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Truths and lies

von

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Es wurde Tag und es wurde Abend 1

Sie hatte sich wahrlich gut entwickelt. Sie hatte echte Fortschritte gemacht. Eben so wie er es damals schon von ihr erwartet hatte. Damals, als sie zu ihm gekommen war, um gehen zu lernen, wie es ein Model tat.

Ihre Haare waren wieder gewachsen und sie trug sie nun schulterlang. Sie waren hellbraun, wie sie es schon lange nicht mehr gewesen waren. Das Rehbraun hatte sie schon eine ganze Weile abgelegt.

Seit ihrem siebzehnten Geburtstag waren weitere drei Jahre vergangen und nun war sie zwanzig. Mit ihrem Alter war auch ihre Vernunft gekommen und die Vermutungen aller in Bezug auf sie hatten sich bewahrheitet. Sie war zu einer echten Bombe geworden.

Ihr Name wurde inzwischen in einem Atemzug mit seinem genannt und das allein hatte schon sehr viel zu bedeuten.

Er hatte schon lange damit gerechnet, es schon hervor gesehen, doch das es letztendlich auch dazu kommen sollte, war ein regelrechter Schock für ihn gewesen. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Er hatte nicht damit gerechnet, dass es so kommen würde. Nicht so schnell, nicht auf diese Weise, doch es war gekommen.
 

„Ren, bist du sicher, das du den Job annehmen willst?“, Rory hatte sich zu ihm vorgebeugt, um ihm ganz tief in die Augen blicken zu können: „Bist du dir ganz sicher?“

„Ja.“, der Schauspieler lehnte sich auf der Couch im Büro des Chefs zurück und sah diesen selbstsicher an. Er würde es durch ziehen. Es musste irgendwann einmal soweit kommen und nun war es soweit. Außerdem spürte er, dass sie ihm gewachsen sein würde.

„Ren, ich mache mir Sorgen um dich. Bist du dir ganz sicher, dass du ihr schon gewachsen bist?“, Rory wurde immer eindringlicher und starrte ihm fest in die Augen.

„Warum sollte ich das nicht sein?“, er war überrascht. Warum dachte der Präsident, dass er ihr nicht gewachsen war? An diese Möglichkeit hatte er noch gar nicht gedacht. Es hatte für ihn außer Frage gestanden.

Rory sah ihn mit einem dieser Blicke an, die klar sagten: „Fragst du das jetzt wirklich?“

„Ich kann mir vorstellen, worauf Sie hinaus wollen, aber das wird mich nicht beeinflussen.“, warum wollte er sich unbedingt rechtfertigen?

Rory sah ihm ungläubig ins Gesicht, zuckte kurz mit den Schultern, als wäre es ihm egal und verabschiedete ihn mit den Worten: „Dem Film wird es sowieso nicht schaden. Egal wie sehr du es funken lässt. Meinetwegen kannst du es auch krachen lassen, aber bleib sauber und verletze sie nicht.“

Ren wollte ihm schon eine Antwort entgegen schleudern, besann sich dann allerdings eines Besseren und verdrehte lediglich die Augen, als er ging.

„Der Junge hat noch viel zu lernen.“, Rory ließ sich auf seiner Couch nieder und legte die Beine auf den Tisch.
 

„Was wollte er?“, Yashiro hatte vor der Tür auf ihn gewartet und kam nun auf ihn zugelaufen.

„Er wollte mich nur immer wieder fragen, ob ich mir auch sicher sei, dass ich es schaffen kann. Er hat gerade so getan, als würde er mich in ein Colluseum schicken und mich den Löwen zum Fraß vorwerfen. Und eins sag ich dir, als ich Kyoko zum letzten Mal gesehen habe, war sie noch wirklich ungefährlich.“, Ren lief an ihm vorbei und sprach recht leise.

Sein Manager ließ nicht locker und stand ihm bald im Weg: „Wann hast du sie das letzte Mal gesehen?“

„Vor etwas mehr als einer Woche. Und da schien sie noch genauso ungefährlich wie immer.“

„Wann hast du zuletzt mit ihr vor der Kamera gestanden?“

„Bei Dark Moon.“, Ren wurde schon argwöhnischer. Worauf wollte er hinaus? Eigentlich wusste er es schon und er konnte auch verstehen, wie es dazu gekommen war, doch er wollte es sich nicht eingestehen, das durfte er nicht.

„Wann hast du zuletzt mit ihr vor der Kamera gestanden, seit dem du dir eingestanden hast, was du für sie empfindest?“, Yashiro’s Stimme wurde etwas leiser, damit nicht jeder mitbekam, was er sagte. Ren war ihm dankbar.

„Auch bei Dark Moon.“

„Und wann hat sie seit dem das letzte Mal deinen Gegenpart gespielt?“, Yashiro’s Stimme war kaum noch mehr als ein Hauchen.

„Noch nie.“, Ren sah an ihm vorbei zu Boden.

„Jetzt kannst du den Präsidenten und mich doch bestimmt verstehen oder irre ich mich da?“, der Manager sah seinen Schützling mitfühlend an.

„Ich kann nicht ewig davor weglaufen. Irgendwann muss ich mich stellen und ich weiß, dass ich es schaffen kann, wenn es wirklich darauf ankommt. Ich muss mich nur auf die Hinterbeine setzen, mich im Zaun halten und dann wird es schon funktionieren.“, er sah wieder zu seinem Gegenüber auf und fasste Mut: „Ich werd das schon schaffen!“

„Darf man stören?“, Yashiro, der gerade den Mund geöffnet hatte, um etwas zu antworten, schloss ihn sofort wieder und öffnete ihn fast augenblicklich wieder sperrangelweit, als er sah, wer da zu ihnen gekommen war.

Ren hatte kaum merklich stärker eingeatmet, als er die Stimme gehört hatte und wandte sich einiger Maßen gefasst zu seiner Linken, wo sie stand, Kyoko.

Sie hatte ihr schulterlanges braunes glattes Haar am Hinterkopf locker mit einer großen Haarspange zusammengefasst. Unter der Spange fielen die unteren Bahnen ihres Haares auf ihre Schultern, die in eine weiße Bluse gehüllt waren. Diese war am Kragen ein Stück geöffnet und gab den Blick auf einen hübschen lilablauen Stein frei, den sie in einen kleinen Anhänger gefasst hatte, sodass sie ihn um den Hals tragen konnte. Es war ihr Glücksbringer Koon. Über ihren rechten Arm hatte sie sich ihren blauen Jeansmantel gehängt. Ihre Hose schien wie angegossen zu passen und bestand aus blauer Jeans, die auf der Vorderseite einen weißen Streifen aufgedruckt hatte. Darunter waren schwarze Stiefeletten zu sehen, deren Spitzen unter den Hosenbeinen hervorragten.

Über ihrer linken Schulter hing ihre Handtasche, die bis zu ihrer Taille baumelte. Sie wirkte sehr aufgeweckt, offen und locker.

„Hallo Kyoko-chan.“, Yashiro begrüßte sie sogleich offenherzig, doch Ren musste zunächst einmal schlucken: „Du siehst toll aus.“

„Danke, Yashiro-san.“, sie lächelte ihm offen entgegen: „Sie sehen aber auch nicht schlecht aus. Die letzten Monate scheinen Ihnen richtig gut bekommen zu sein.“

„Danke schön.“

„Kyoko-chan, wir haben nicht mehr viel Zeit, du solltest langsam hinein gehen.“, eine junge Frau kam hinter Kyoko auf sie zu und lächelte sie alle freundlich an: „Er wartet schon.“

„Ist gut Kessy, ich komme gleich, versprochen.“

Die junge Managerin ging an ihnen vorbei und zog sich an einem Automaten einen Kaffee.

Kyoko wandte sich in der Zwischenzeit an Ren: „Mussten Sie auch in die Höhle des Löwen, Tsuruga-san?“, Kyoko deutete mit einem leichten Kopfnicken auf die Bürotür des Präsidenten. Yashiro musste glucksen, sie hatte die gleiche Metapher verwendet wie Ren zuvor.

„Ja, allerdings.“, er hatte sich wieder gefasst und sah sie freundlich lächelnd an. Sie war einfach zu plötzlich aufgetaucht, er hatte nicht mit ihr gerechnet und er hoffte inständig, dass sie nichts von dem Gespräch mitbekommen hatte. Es schien allerdings nicht so.

„Kyoko-chan, komm bitte.“, Kessy stand bereits nervös an der Tür und trank an ihrem Kaffee.

Kyoko wandte sich wieder den beiden Männern zu: „Na dann will ich mal, sonst bekommt sie noch einen Herzanfall.“

„Ist gut.“, Ren sah ihr in die Augen und lächelte sie an.

Sie erwiderte das Lächeln und entfernte sich langsam rückwärtsgehend von ihnen: „Aber viel kann mir ja nicht mehr passieren, wenn Sie schon drinnen waren.“

„Warum nicht?“, er schenkte ihr einen leicht verwunderten Blick.

„Nun, die Krallen haben Sie ihm schon gestutzt, mir bleiben nur noch die Zähne.“, sie wandte sich um und verschwand im Büro.

Yashiro sah von der geschlossenen Tür zu seinem Schützling: „Sie ist richtig charmant geworden.“

Ren blickte ihm überrascht ins Gesicht, nicht etwa, weil er sich über seinen Manager wunderte, sondern weil ihm klar wurde, dass es vielleicht doch nicht so einfach für ihn werden würde.
 

„Setz dich doch bitte, Kyoko-chan.“, Rory deutete mit seiner rechten Hand auf die Couch, auf der zuvor noch Ren gesessen hatte und ließ sich auf seinem vorigen Platz nieder.

Die junge Schauspielerin folgte seiner sanften Geste und ließ sich in die Polster gleiten: „Was kann ich für Sie tun, Herr Präsident?“

„Nun, ich frage mich, ob du dich dem neuen Job gewachsen fühlst.“, er lehnte sich in der Couch zurück und legte den rechten Arm über die Rückenlehne, während er sein linkes Bein über das rechte schlug.

„Sie meinen wohl eher, dass Sie sich sorgen, ob ich mit Tsuruga-san klar kommen werde, richtig?“, sie hatte ihn auf anhieb durchschaut. Sie war eben nicht auf den Kopf gefallen, das war sie noch nie gewesen.

„Als nächstes werden Sie mich fragen, ob ich mir sicher bin, dass ich es kann. Stimmt’s?“, bohrte sie weiter.

„Bist du es denn?“, er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

Sie lehnte sich in der Couch vor und stützte ihre Ellbogen auf den Knien ab. Ein selbstsicheres Lächeln trat in ihr Gesicht: „Aber klar doch.“
 

„Was wollte er eigentlich von dir?“, Kanae lehnte an der Zimmerwand und sprach zu der geöffneten Kleiderschranktür, hinter der ihre Freundin verschwunden war. Sie hatte ihre Beine überkreuzt, die in einer eleganten schwarzen Stoffhose steckten und die Arme vor der Brust verschränkt. Diese wurde von einem roten Top mit Spagettiträgern verhüllt, das wie angegossen passte. Auf ihren Schultern lagen ihre schwarzen Haare, die sie offen von ihrem Kopf fallen lies. Sie war Bahrfuß.

„Er wollte mir auf die Nerven gehen.“, Kyoko schien nicht gerade angetan, was man an ihrer Stimme deutlich vernahm. Sie warf ihre weiße Bluse auf den Stuhl, der neben der offenen Schranktüre stand und somit nicht von dieser verdeckt wurde.

„Willst du nicht etwas genauer werden?“

„Nein, nicht wirklich.“, Kyoko warf einen Gürtel zur Bluse.

„Hast du mit deiner Managerin darüber gesprochen?“, Kanae zog sich den Schreibtischstuhl heran und ließ sich darauf nieder, hatte sie doch keine Lust der bald kommenden Schimpftirade, die sie im Stande war heraufzubeschwören, im Stehen zu begegnen.

„Ich konnte es Kessy nicht erzählen. Sie macht sich sowieso schon wegen jeder Kleinigkeit überdimensionale Sorgen und ich kann mir jetzt schon vorstellen, wie sie reagiert hätte.“, Kyoko’s Stimme klang wieder etwas sanfter, als ihre Freundin einen Arm hinter der Schranktür hervorragen sah, der in ein rotes T-Shirt geschoben wurde.

„Aber sollte sie sich nicht um dich Sorgen machen und nicht umgekehrt?“, Kanae musste lächeln. Kyoko hatte sich zwar sehr verändert, sie war erwachsener geworden, doch ihre Eigenheiten und einige ihrer Angewohnheiten hatte sie dennoch beibehalten.

„Ich weiß. Aber sie macht den Job noch nicht sehr lange und dass meine alte Managerin schwanger geworden ist, kann ich ihr nicht in die Schuhe schieben, schließlich hatte Kessy ja nichts damit zu tun.“

Kanae musste kichern.

„Was ist so lustig daran?“, Kyoko kam hinter der Schranktür hervor. Sie trug das rote T-Shirt, dass sie sich kurz zuvor noch angezogen hatte und auf dessen Brust der Slogan „Well shouted, lion!“ prangte. Darunter trug sie immer noch die Jeans vom Mittag, doch stand sie nun sperrangelweit offen und gab den Blick auf einen schwarzen Slip frei. Die Schuhe hatte sie schon ausgezogen und an den Füßen trug sie schwarze Socken.

Kanae grinste sie bei diesem Anblick breit an. Es passte wirklich wie die Faust aufs Auge, wie ihre Freundin motzend hinter der Schranktür mit dem Slogan „Well shouted, lion!“ hervor kam: „Du bist wirklich unverbesserlich. Willst du mir jetzt endlich mal sagen, was der Boss von dir wollte?“

„Nein.“, sie verschwand wieder hinter der Tür und Kanae konnte sie im Schrank kramen hören.

„Du platzt noch, wenn du es nicht bald los wirst.“, Kanae’s Belustigung war aus ihrer Stimme verschwunden.

Kyoko stöhnte, als sie ihre Hose runterzog: „Er hat mich gefragt, ob ich mich wirklich dazu im Stande sähe, diesen Job zu übernehmen und warum ich mir da so sicher sei.“

Sie warf die Hose auf den Stuhl und griff nach einer Jogginghose.

„Warum regst du dich so sehr darüber auf?“, Kanae beobachtete, wie ihre Freundin hinter der Tür hervor trat.

„Du fragst ehrlich warum?“

Kanae nickte.

Kyoko schloss die Schranktür und schritt durch das Zimmer: „Ganz einfach, weil er mir immer noch nichts zutraut. Er traut mir nicht zu, dass ich dazu in der Lage bin, diesen Job zu übernehmen.“

„Warum sollte er das nicht tun?“

„Weil er immer noch denkt, dass ich mein Problem nicht überwunden hab.“

„Das ist Blödsinn, schließlich hat er es doch selbst erlebt, dass du das schon geschafft hast. Du hast doch inzwischen schon einige dieser Filme gedreht, dass weiß er doch noch, oder?“

Kyoko wandte sich zu ihr um und sah sie leicht wütend an: „Natürlich sollte er das noch wissen.“

„Na siehst du. Warum sollte er also denken, dass du den Job nicht meistern könntest?“, Kanae stützte ihren Kopf auf ihrer rechten Hand, den rechten Arm auf der Schreibtischkante, zu der sie hinüber gerollt war.

Kyoko blieb stehen, sah zu Boden und dachte ernsthaft darüber nach: „Vielleicht“, schloss sie langsam: „Vielleicht ist es auch wegen Tsuruga-san. Vielleicht traut er mir nicht zu, mit ihm spielen zu können.“, sie sah zu ihrer Freundin als erhoffte sie sich von ihr eine Bestätigung.

„Nun, hast du denn Angst, dass er dich gegen die Wand spielen könnte?“, Kanae hatte den Kopf gehoben und sah sie nachdenklich an.

„Natürlich nicht!“, kam prompt die Antwort, während sie sich auf der Bettkante niederließ: „Ich habe schon mal mit ihm gespielt. Gut, er hat mich damals an die Wand gespielt, aber ich hatte auch keine Erfahrung und ich hatte keine Ausbildung, so wie er.“

Kanae lächelte sie an: „Na dann mal ran an den Speck.“

„Natürlich!“

„Das heißt aber auch, dass du dir nicht mehr den Kopf drüber zerbrechen sollst.“

Kyoko sah zu Boden.

„Meine Güte.“, stöhnte die Schwarzhaarige: „Ich hoffe, ich werde niemals so werden wie du.“

„Warum?“, Kyoko sah sie überrascht an.

„Weil du genauso reagierst, wie es mir Yukihito von Tsuruga-san erzählt hat.“

Kyoko stand der Mund offen: „Sag mal, hast du eigentlich in letzter Zeit oft mit Yashiro-san zu tun?“

Kanae wich ihrem Blick aus, konnte sich aber ein kleines Lächeln nicht verkneifen: „Möglich.“

Kyoko lächelte.
 

Kanae war gegangen und nun saß die junge Schauspielerin in ihrer Wohnung, durchblätterte das Skript. Es war nicht ungewöhnlich, dass sie es noch nicht all zu bald brauchen würde. Sie hatte es schon öfter erlebt, vor allem bei Dark Moon. Zuerst gab es eine Pressekonferenz, schließlich war Ren Tsuruga ein Hauptdarsteller in einem Film des Regisseurs Shingai.

Das sie mitspielte zählte sie als nicht so bedeutend, wie sie es immer tat. Es half ihr auf dem Teppich zu bleiben und zu entspannen, während andere um sie herum bereits abhoben und sich über alles erhaben sahen.

Sie blätterte das Skript durch und ging einige der Passagen durch. Es konnte nicht schaden sich bereits vorab Gedanken um den Ablauf zu machen. Wie sie ihre Figur darstellen wollte, hatte sie fast sofort gewusst, als sie es in den Händen gehalten und überflogen hatte.

Sie musste sich nur noch einmal den Handlungsablauf in Erinnerung rufen, damit sie die Texte in den Kontext einordnen konnte. Sie hatte noch nicht alles gelernt, aus Angst Texte durcheinander zu werfen. Aber die meisten konnte sie bereits. Sie würde die letzten paar Seiten noch vor Drehbeginn beherrschen und sie den Szenen zuordnen können, da war sie sich sicher.

Doch das war nicht das Problem. Es war auch nicht der wahre Grund dafür, dass sie es durchblätterte. Der wahre Grund war, dass sie nach Fallen suchte, die auf sie lauern könnten. Obwohl sie Kanae’s Rat befolgen wollte, konnte sie dennoch nicht vergessen, mit welchem Nachdruck der Präsident von LME auf sie eingeredet hatte. Es war einfach so und sie wusste noch immer nicht warum. Aus irgendeinem Grund, der ja auch nicht ganz abwegig war, erhoffte sie sich eine Lösung im Skript zu finden.

Aber selbst nachdem sie es endlich durch hatte, stand sie fast genauso dumm da, wie vorher auch. Es bestand nur der kleine Unterschied, dass sie nun die letzten Seiten auch konnte.

Frustriert legte sie sich in ihre Kissen und zog die Decke bis zum Kinn hoch, um sich hinein zu kuscheln.
 

Ren saß vor der Couch in seinem Wohnzimmer, das Skript aufgeschlagen vor sich. Er konnte nichts finden. Da war nichts besonderes zu finden, dass ihm größere Sorgen bereiten sollte, als alles andere, das dort geschrieben stand. Er konnte keine Stelle finden, bei der er sagen konnte: „Da wird sie mir gefährlich werden. Das wird zum Problem.“, oder auch: „Das ist ein Grund den Job abzulehnen.“ Er konnte nichts finden. Gut, es gab schon die eine oder andere Stelle von der er dachte, dass sie ihm gefährlich werden würde, aber davon hatte er auch schon vor dem Gespräch mit Takarada gewusst und es war nichts wirklich ungewöhnliches. Er kannte solche Szenen bereits aus anderen Filmen, hatte sie immer wieder auf verschiedene Arten gespielt und sie schließlich zu einer seiner Spezialitäten gemacht.

Doch das half ihm nicht weiter. Er kannte den Text, er kannte den Ablauf und er wusste, wie er seinen Charakter gestallten würde, doch er hatte keine Lösung für das vom Präsidenten angesprochene Problem gefunden.

Es war deprimierend.

Allmählich überkam ihn die Müdigkeit und er erhob sich. Ren stellte das Glas auf den Tisch, aus dem er die letzten Stunden Wasser getrunken hatte und zog sich auf dem Weg zum Bad das Shirt aus.

Was sie wohl beim Präsidenten sollte? War es seinetwegen? War es zu vermessen so etwas in Erwägung zu ziehen? Bestimmt.

Er putzte sich die Zähne und schlüpfte von seiner Jeans in seinen Schlafanzug.

Hatte sie vielleicht Probleme, von denen er nichts wusste? Wie sollte er nur seine Maskerade aufrechterhalten, wenn ausgerechnet sie im Film das Objekt seiner Begierde darstellen sollte? Wie sollte er es schaffen so stark zu bleiben, dass es niemandem auffiel? Würde sie wohl noch einmal darauf herein fallen, wenn er alles, was in ihm während des Drehs aufkeimte in seine Darstellung packte? Würde es auffallen, solange er sich an das Skript hielt? Bestimmt.

Er ließ sich auf der Bettkante nieder, schüttelte noch einmal das Kopfkissen auf, ließ seinen Kopf gleichzeitig hinein und die Beine ins Bett sinken und griff mit der rechten Hand nach der Bettdecke, die er unter seinen Beinen hervorzog.

Ren drehte sich zur Seite und zerbrach sich noch eine ganze Weile den Kopf, bevor er in einen unruhigen Schlaf fiel.

Es wurde Tag und es wurde Abend 2

Kyoko zupfte ihre vergissmeinnichtfarbene Bluse zurecht und zog die weiß grau gestreifte Blazerjacke darüber, die perfekt zu der dazugehörigen Hose passte. Nach einem letzten Blick in den Spiegel, der über den Waschbecken hing, verließ sie die Toilette, begleitet von dem klackern ihrer schwarzen Stiefel, die sie auch heute wieder angezogen hatte.

Sie durchquerte den Korridor, bis sie zu Tsuruga-san und den restlichen Darstellern sowie dem Regisseur kam. Sie warteten alle auf das bevorstehende Interview zu ihrem neuen Film. Sie gesellte sich zu dem jungen Schauspieler und blieb neben ihm an der Wand stehen.

„Hast du deine Rolle schon ausgearbeitet?“, er sah sie nicht an, sondern behielt den Regisseur im Auge.

Kyoko verkniff sich gerade noch ihre Augen zu verdrehen: „Aber natürlich. Wie steht es mit Ihnen?“, auch sie beobachtete den Regisseur.

Ren konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen: „Du hast dich ganz schön verändert.“

Sie wandte sich zu ihm um, damit sie ihm ins Gesicht sehen konnte. Natürlich musste sie zu ihm aufsehen, da er größer war als sie: „Positiv oder negativ?“, ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht.

Er sah sie aus den Augenwinkeln an, als sich seine Mundwinkel hochzogen: „Das stellt sich noch heraus.“

Sie sah wieder zum Regisseur: „Ist Shingai immer so nervös, wenn ein Interview bevorsteht?“

„Eigentlich nicht.“, Ren verschränkte die Arme vor der Brust.

Ein junger Mann kam aus einem Raum rechts von ihnen und bat sie höflich hinein. Es würde nun also beginnen.

Während Kyoko mit den Anderen zur Tür ging, zupfte sich Ren noch ein letztes Mal den schwarzen Anzug zurecht und knöpfte auf dem Weg zu der Schauspielerin, die an der Tür stehen geblieben war, um auf ihn zu warten, seine Manschettenknöpfe zu.

„Ist alles in Ordnung?“, sie sah ihm offen ins Gesicht, als er zu ihr kam.

Ren lächelte: „Lass uns rein gehen.“, er legte ihr die linke Hand ins Kreuz und übte leichten Druck auf sie aus, damit sie mit ihm durch die Tür schritt. Gemeinsam liefen sie hinüber zu ihren Stühlen und ließen sich dort nieder.
 

„Tsuruga-san, wie sehen Sie den kommenden Dreharbeiten entgegen? Haben Sie irgendwelche Befürchtungen, das die Dreharbeiten vielleicht unnötig in die Länge gezogen werden könnten?“, eine neugierige Reporterin sah dem Schauspieler offen ins Gesicht, während sie ihren Notizblock gezückt hatte.

„Nein.“, er warf Kyoko einen aufmunternden Blick zu: „Ich habe gar keinen Grund dazu.“

Kyoko sah ihm dankbar entgegen und blickte zu der aufdringlichen Reporterin, die sich aufgeregt Notizen machte.

„Regisseur Shingai, warum haben Sie sich dazu entschlossen diesen Film zu drehen?“, ein junger dunkelhaariger Mann, der in der Mitte des Raums saß, sah an einem größeren Reporter vor ihm vorbei, während von allen Seiten fotografiert wurde.

Shingai antwortete ihm, doch das hörte Kyoko gar nicht mehr. Sie hörte nicht mehr zu, bis die nächste Frage gestellt wurde. Auch diese galt dem Regisseur. Bis zum Ende des Interviews wurde keiner von ihnen mit Fragen verschont und als sie endlich aus dem inzwischen stickigen Raum raus konnten, waren alle erleichtert.

Kyoko dagegen war tief in Gedanken versunken. Musste sie wirklich aufpassen, was während des Drehs geschah? Zuerst hatte sie nur der Präsident darauf angesprochen, aber nun hatte diese Reporterin auch noch Anspielungen auf sie gemacht. Fast so, als befürchtete sie, dass Kyoko dem Job nicht gewachsen sein würde. Das gefiel ihr gar nicht.

„Ist alles in Ordnung? Du bist so blass.“, Ren war von hinten an sie heran getreten. Er hatte sein Hemd am Kragen geöffnet, die Krawatte in der linken Hand und die Anzugjacke über den rechten Arm gehängt. Die rechte Hand steckte in seinem Hosensäckel.

„Es ist alles Okay.“, sie zog sich ihre Jacke aus und behielt sie in der linken Hand. Es war so warm.

„Du siehst aber nicht danach aus. Was ist los?“, er ließ nicht locker.

„Mir ist nur etwas warm, dass ist alles.“, sie hatte den Satz noch nicht zuende gesprochen, als er auch schon die linke Hand auf ihre Stirn gelegt hatte. Sie sah ihn etwas verdutzt an, als ihr die Krawatte vor den Augen baumelte. Sie war sehr schön und passte mit den silbernen Streifen perfekt zu seinem Anzug.

„Fieber hast du keins.“

„Nein.“, sie legte eine Pause ein und sah ihm offen in die Augen: „Denken Sie, ich bin dem Job gewachsen?“

Ren schenkte ihr einen überraschten Blick: „Hast du Zweifel daran?“

„Sollte ich denn?“

Er sah zu Boden und lächelte: „Du willst jetzt unbedingt meine Meinung hören.“

„Und wenn es so wäre?“

„Nun, dann sollst du sie haben.“, er sah ihr direkt in die Augen: „Ich bin mir fast sicher, dass du es schaffen wirst.“

„Nur fast?“, sie ließ ihn nicht aus den Augen, auch als er den Blickkontakt wieder abbrach und scheinbar auf ihren Mund sah.

„Ja, denn wenn du weiter so sehr an dir zweifelst, aus welchem Grund du es auch tust, wird es vielleicht wirklich in die Hose gehen.“, er sah ihr wieder in die Augen und ihr wurde klar, wie ernst es ihm damit war.

„Gut, dann werd ich’s schaffen.“, sie lächelte ihn an.

„Warum diese Selbstzweifel?“, Ren runzelte die Stirn, als sie den Flur entlanggingen um zu den Managern zu kommen, die in der Eingangshalle auf sie warteten.

„Ich weiß auch nicht.“

„Doch du weißt es, du willst es mir nur nicht sagen.“, er sah sie von der Seite an, kein Lächeln zierte seinen Mund. Hätte Kyoko es nicht besser gewusst, sie hätte fast gedacht Enttäuschung in seinem Blick zu sehen.

Sie fasste sich ein Herz: „Es ist wegen dem Boss. Er hat mich gestern fast gelöchert, nur weil er auch ganz sicher sein wollte, dass ich mich bereit fühle.“

Ren wusste warum. Der Präsident rechnete ernsthaft damit, dass er sich nicht würde beherrschen können. Also war sie letztlich doch wegen ihm verunsichert worden. Das bereitete ihm ein schlechtes Gewissen: „Aber das ist noch nicht alles, oder? Du warst auch wegen der Reporterin verunsichert, stimmt’s?“

„Die war nur der Tropfen auf dem heißen Stein.“, sie erreichten die Eingangshalle. Ren schummelte sich vor sie und blieb ihr zugewandt stehen: „Der Präsident fragt solche Sachen immer mal wieder. Das kann dir egal sein, es sei denn, er rät dir offen davon ab. Solange du es dir zutraust, darfst du dich nicht von ihm beeinflussen lassen. Und die Reporterin. Reporter stellen auch sehr oft solche Fragen. Manchmal sogar weil sie einfach neidisch sind.“

Kyoko sah zu ihm auf und ein Lächeln schlich sich in ihr Gesicht: „Warum sollte sie denn neidisch sein?“

Ren erwiderte das Lächeln und sah ihr tief in die Augen: „Vielleicht ja, weil du meine Partnerin spielen kannst und sie nicht.“

Kyoko verdrehte die Augen und lief an ihm vorbei: „So toll ist das nun auch wieder nicht.“

Ren lachte in sich hinein: „Du hast ja keine Ahnung.“

„Sie sind ganz schön von sich selbst überzeugt.“

„Das ist normal. So was nenne ich gesundes Selbstvertrauen.“

Sie drehte sich zu ihm um und blickte ihn schelmisch an: „Nicht doch lieber Eitelkeit?“

Er kam ihr näher, blieb kurz vor ihr stehen und sah auf sie hinab: „Nein. Selbstvertrauen gefällt mir besser.“

Sie sah zu ihm auf, wofür sie den Kopf in den Nacken legen musste, so nahe war er ihr: „Was Ihnen besser gefällt, spielt hier aber eine weniger große Rolle.“, sie drehte sich um und lief auf ihre Managerin zu, mit der sie auch sogleich in ein Gespräch versank.

Ren sah ihr nach, sah wie ihre langen glatten Haare bei jedem Schritt wippten. Sie war wirklich die einzige Frau, die er bisher getroffen hatte, die nicht vor ihm dahinschmolz, ob er es nun wollte oder nicht.
 

„Hey, hast du mich vergessen?“, Yashiro kam auf ihn zu und rückte sich seine Brille mit dem rechten Handballen zurecht: „So wie du ihr gerade hinterher siehst, könnte jeder Idiot erraten, was los ist.“

Ren zuckte bei seinen letzten Worten zusammen und wandte sich schlagartig von Kyoko ab, was Yashiro zum Lachen veranlasste. Es war dumm und kindisch, das wusste er, aber er hatte schlagartig weggesehen. Es war mehr ein Reflex als eine Entscheidung gewesen.

„Über was habt ihr euch denn eben so angeregt unterhalten? Mh?“, in Yashiro’s Stimme war die Anzüglichkeit klar zu vernehmen und Ren strafte ihn dafür mit Schweigen.

„Was denn? Redest du jetzt nicht mehr mit mir?“, der Manager wirkte enttäuscht, als er sich die dunkelbraune Aktentasche noch besser unter den linken Arm klemmte.

„Doch natürlich rede ich noch mit dir.“, Ren, der voran lief, konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen: „Nur nicht über sie.“

„Aber mit wem willst du denn sonst darüber sprechen? Außer mir weiß doch keiner bescheid. Gut, der Präsident vielleicht noch, aber sonst niemand.“

„Yashiro, du kannst wirklich nerven, wenn du recht hast.“, Ren hatte kurz darüber nachgedacht und beschlossen seinem Manager nicht zu sagen, dass er noch mit dem Gockel sprechen konnte oder viel mehr dem Mann im Kostüm des Gockels.

„Wann fangen die Dreharbeiten genau an?“

„Nächste Woche. Du hast also noch genügend Zeit um dich auf sie vorzubereiten.“, Yashiro lächelte wieder, während sein Schützling genervt die Augen verdrehte und sich jeden weiteren Kommentar sparte.

Sie liefen weiter den Flur entlang und plauderten über den nächsten Job, Ren’s Terminplan und wie so oft in letzter Zeit über sein Abendessen. Der Schauspieler konnte offen sagen, dass sich seine Essgewohnheiten stark verbessert hatten und er sich nun auch selbst etwas kochen konnte, wenn er genügend Zeit hatte. Da dies aber kaum vor kam, holte er sich anständiges Essen zum Mitnehmen.

„Ren-sama!“, ertönte plötzlich die Stimme eines kleinen Mädchens hinter ihnen und auf das Gesicht des Schauspielers trat sogleich ein Lächeln. Er drehte sich dem Mädchen zu und breitete die Arme aus, als sie auch schon hinein sprang.

Sie war etwa dreizehn oder vierzehn Jahre alt, hatte dunkelblondes lockiges langes Haar und braune Augen. Außerdem war sie sehr süß in ihrem blassrosa Kleid mit den schwarzen Schuhen und den weißen Kniestrümpfen, deren Ränder unter dem Kleid verschwanden.

„Maria, wie geht es dir?“, er drückte sie leicht an sich und lächelte in ihre Haare hinein, während sie ihre Arme so fest um seinen Hals geschlungen hatte, dass er Gefahr lief zu ersticken.

„Gut.“, drang ihre glückliche Stimme direkt in sein Ohr: „Ich hab dich so vermisst. Wie geht es meinem Prinzen?“

„Auch gut. Sag mal, was machst du denn hier so alleine?“, er hielt sie etwas von sich, damit er ihr ins Gesicht sehen konnte. Obwohl sie inzwischen schon ein Teenager war, hatte sie nichts an ihrer Art mit ihm zu reden geändert.

„Ich bin nicht alleine. Ich war eben noch mit Opa unterwegs, aber dann hab ich dich gesehen und wollte dir unbedingt bescheid sagen. Das muss ich doch, du bist doch mein Prinz.“

Ren wurde es schon wieder mulmig ums Herz. Das geschah ihm immer, wenn Maria wieder kurz davor war, mit ihren Träumereien von einer Hochzeit mit ihm anzufangen. Sie tat ihm ganz offen leid.

„Aber dann macht er sich doch bestimmt sorgen um dich.“, Ren suchte die Eingangshalle nach dem Präsidenten ab, doch er konnte ihn nicht finden.

Maria war völlig unbeeindruckt und wechselte sofort das Thema: „Hast du Onee-sama gesehen?“ Warum sollte sie auch nicht mal alleine unterwegs sein. Sie war etwas enttäuscht. Er schien immer noch das kleine Mädchen in ihr zu sehen, dass sie mal gewesen war.

Ren wandte sich augenblicklich wieder dem dem Mädchen in seinen Armen zu: „Warum fragst du?“

„Weil ich sie eben gesehen habe. Sie ist mit dieser Kessy weggegangen. Ich mag diese Tussi nicht. Aber Onee-sama hat mir ganz lieb „Hallo“ gesagt.“, Maria strahlte ihn aus ihren hübschen Augen an.

Gerade als der Schauspieler antworten wollte, fiel ihm der Manager ins Wort: „Wir haben sie eben gesehen. Sieht sie nicht toll aus?“

Maria wandte sich begeistert Yashiro zu und antwortete ihm über Ren’s Arm hinweg: „Ja! Sie sieht wirklich klasse aus. Ich weiß ja noch, wie sie hier früher rumgelaufen ist. Jetzt sieht sie richtig erwachsen aus. Aber sie ist immer noch so nett wie früher und hat sich kaum verändert. Nur an Märchen glaubt sie nicht mehr so sehr.“

„Maria.“, Rory kam durch die Menge auf sie zu und schien recht erleichtert, als er sah, dass Ren sie im Arm hatte. Seine Wut über ihr Verschwinden war aber trotzdem noch da: „Du kannst doch nicht einfach weglaufen! Wie oft soll ich dir das noch sagen, junge Dame?“

Er stellte sich tadelnd hinter sie und wartete, bis sie sich umdrehte.

Maria wandte sich ihrem Großvater zu, wozu sie Ren loslassen musste und schenkte ihm ein kleines verstecktes Lächeln: „Ich wollte nur Ren-sama begrüßen.“

„Du hast mir eine Heidenangst eingejagt. Was hätte ich denn deinem Vater erzählen sollen, wenn ich dich nicht mehr gefunden hätte?“, Rory’s Wut schien bei ihrem Anblick dahin zu schmelzen.

Das junge Mädchen lächelte ihn noch einmal glücklich an und seine Maske brach. Um ihr nicht mehr ins Gesicht sehen zu müssen, sah er zu Ren auf, der sich inzwischen erhoben hatte: „Wie läuft die Arbeit?“

„Wie erwartet gut.“

„Mal abwarten, was noch kommt, wenn die Dreharbeiten angefangen haben.“, Rory grinste dreckig, bedeutete Maria zu gehen und verschwand nach einem großen Abschied von Seiten des Mädchens mit ihr in der Menge auf dem Weg zu seinem Büro. Rory war schon ein komischer Kauz. Dieses Mal hatte er bayrische Lederhosen getragen.

Ren wandte sich von den Beiden ab, nicht zuletzt um den Anblick aus seinem Gedächtnis zu verbannen. Er würde wohl nie verstehen können, wieso sich Männer in solch enge und unpraktische Hosen zwängten. Vielleicht war das mit dem Zwängen auch nur ein Vorurteil seinerseits gewesen. Er hatte nichts gegen Bayern. Sie waren scheinbar ein sehr nettes Völkchen und ihre Trachten waren auch ganz hübsch, aber er würde sie nicht anziehen wollen, dessen war er sich sicher.

Der Schauspieler sah zu seinem Manager auf, der ihn wissend angrinste und ließ seinem Zorn freien lauf. Da davon nicht sonderlich viel vorhanden war, ging es für Yashiro wohl eher glimpflich aus: „Das war unnötig.“

„Was denn?“, er stellte sich dumm, wusste er doch, dass sein Schützling noch nicht ganz ausgelastet war.

„Das du Maria auf sie angesprochen hast. Wäre der Präsident nicht gekommen, hätte sie mit dem Thema nicht mehr aufgehört.“, Ren lief an ihm vorbei und schob verärgert seine Hände in die Hosentaschen seines Anzugs.

„Aber du musst zugeben, sie hat Recht. Kyoko ist einmalig.“

Der Schauspieler warf ihm einen verärgerten Blick zu und registrierte dabei den Blick des Managers. Als er ihm folgte, erblickte er Kanae Kotonami, die nicht weit von ihnen mit dem Leiter der Schauspielsektion Matsushima sprach.

„Sag mal, willst du mir vielleicht etwas erzählen?“, er warf dem braunhaarigen einen vielsagenden Blick zu.

„W-Was?“, er schob sich die Brille weiter die Nase hinauf und wandte sich überrascht dem Schauspieler zu, als hätte er vergessen, dass dieser da war.

„Willst du mir etwas erzählen?“, Ren deutete mit einem Kopfrucken auf die junge Schauspielerin und setzte seinen Weg fort.

Yashiro wurde rot und folgte ihm leicht zerknittert: „Muss ich jetzt immer mit einem Kommentar zu dem Thema rechnen, wenn ich von IHR anfange?“

Ren warf ihm einen Blick über die Schulter zu, der wohl eindeutig „Klar!“, bedeutete.

Der Manager stöhnte und sah noch ein letztes Mal zu der Schauspielerin zurück.

Kanae war all das nicht entgangen. Auch sie hatte ihn bemerkt und mit Enttäuschung festgestellt, dass er sie nicht einmal gegrüßt hatte. Er hatte sie ganz sicher gesehen, dass hatte sie gespürt und sie hatte gehofft, er würde sie mehr als nur wahrnehmen. Sie hatte sich gewünscht, dass er... dass er mehr auf sie eingehen würde.

Enttäuscht wandte sie sich um und ging in den Flur zurück, aus dem sie gekommen war.

Es wurde Tag und es wurde Abend 3

Kyoko drehte sich im Bett auf die andere Seite und griff nach dem Manuskript auf ihrem Nachttisch. Sie schlug es auf und drehte sich auf den Bauch um besser darin blättern zu können. Die kuschelige Bettdecke umschlang sie und sie häufte das Kissen vor sich auf, um das Manuskript daran zu lehnen.

Es würde ein schöner Dreh werden. Sie mochte solche Geschichten, nun ja, zumindest die Kernstruktur. Es würde ein klasse Film werden.

Doch warum zweifelten so viele an ihr? Scheinbar waren Rory und diese Reporterin nicht die Einzigen gewesen, denn auch in den Nachrichten war sie als der Schwachpunkt dargestellt worden und insgeheim wunderte sie sich bereits, warum Rory sie noch nicht von dem Job abgezogen hatte.

Betrachtete er all das als gute Werbung? Der Film war schon vor Drehbeginn in aller Munde. Vielleicht würde sie ja noch für Überraschung sorgen.

Sie besah sich noch einmal ihre Rolle.
 

Ihr Name war Jo Callaghan. Sie war zweiundzwanzig Jahre alt und hatte eine Schwester namens Conny. Diese war etwa zwei Jahre jünger als sie und hatte sie nach Japan zurück begleitet. Der Rest ihrer Familie, also ihre Mutter, war in Amerika geblieben. Sie hatte nach ihrer Scheidung zehn Jahre zuvor nicht zu der Beerdigung ihres Exmannes kommen wollen.

Der Film würde mit einem Rückblick in Conny’s Kindheit beginnen, die ihrer Schwester oft nachgeschlichen war. Sie hatte damals mit angesehen, wie Jo, nach einem Kuss, Matsushima, der in sie verliebt war, hatte abblitzen lassen. Kurz darauf waren sie nach der Scheidung ihrer Eltern nach Amerika gezogen. Der eigentliche Film würde dann dort beginnen, wenn Jo und Conny aus der Maschine von Amerika zurück nach Japan stiegen um zu der Beerdigung zu gehen. Kyoko’s Rolle würde zusammen mit ihrer Schwester versuchen den Gasthof ihres Vaters über Wasser zu halten und vor der Juno-Corps zu schützen, die alle Grundstücke in der Umgebung aufkaufte, damit sie einen Vergnügungspark bauen konnten. Deren Vertreter war Matsushima Junahito, der auch in die Stadt gezogen war und sich dort positiv verändert hatte, wie ihre Rolle fand.
 

Kyoko schlug das Skript wieder zu, schnaufte, schlug die Decke zurück, drehte sich auf den Rücken und stand schließlich auf. Sie kannte ihre Texte und würde den Einen oder Anderen noch einmal lernen müssen, da es nicht selten zu Änderungen kam.

Sie streckte sich und lief an ihren Kleiderschrank. Nachdem sie die Türen geöffnet hatte holte sie Unterwäsche, eine schwarze Jeans und eine weiße Bluse heraus und ging ins Bad.

Es war gar nicht so schlecht gelaufen für sie. Sie hatte sehr große Fortschritte gemacht und bald würde schon wieder der nächste Film mit ihr in die Kinos kommen. Deshalb konnte sie sich nun eine eigene Wohnung leisten. Sie hatte das alte Ehepaar aus dem Daruma ya nicht vergessen, das würde sie wohl nie können, doch sie war ausgezogen und hatte ihr eigenes Leben begonnen. Sie besuchte sie noch oft, mindestens jedes Wochenende, wenn es ihr möglich war und half auch in der Küche, wenn es nicht gegen ihre Termine verstieß.

Kyoko stieg aus der Dusche und zog sich an.

Es war nicht so einfach. Es war schwerer geworden, aber im Grunde hatte sich für sie nicht wirklich etwas verändert, schließlich hatte sie ja schon bei Sho so gelebt. Sie hatte gearbeitet, geputzt, eingekauft und gekocht. Schwerer war es nur, weil sie nun Schauspielerin war. Sie hatte keine festen Arbeitszeiten mehr, musste manchmal sogar nachts an ein Set um dort stundenlang zu drehen. Nicht selten kam sie erst am Ende der Woche dazu ihre Wohnung zu putzen. Es war eben schwerer geworden.

Sie griff nach ihrem Mantel und ihrer Tasche, bevor sie die Wohnungstür hinter sich schloss und zur Arbeit ging.

„Guten Morgen.“, Kyoko betrat den Versammlungsraum und zog sich einen Stuhl heran, während ihr ein kleiner Chor die gleichen Worte antwortete.

„Also, wir werden noch heute mit dem Dreh beginnen. Denkt daran, dass wir in die Außenlokation fahren. Den Termin bekommt ihr alle noch mitgeteilt und vergesset es nicht, damit es später keine Schwierigkeiten mit der Planung gibt.“, der Regisseur stand am Kopfende des Tisches und sah zu allen in den Kreis: „Ansonsten sehen wir uns gleich in Halle drei.“

Er beendete das Treffen und zog sich mit einigen anderen zurück. Übrig blieben nur die Schauspieler und Manager, von denen sich letztere an den Kaffeeautomaten vor der Tür verzogen.

Eine ältere Frau, die neben Kyoko saß, verkrampfte ihre Hände ineinander. Sie schien sehr nervös und starrte auf ihre Hände hinab. Es war wohl ihr erster Film. Sie war etwas kleiner als Kyoko inzwischen war, hatte graues Haare, das an ihrem Hinterkopf zusammengefasst war. Ihr Name war Kaori Latsubeka und sie war etwa fünfundsiebzig.

„Sie sehen verschlafen aus.“, Kyoko sah quer über den Tisch in die braunen Augen ihres früheren Senpai.

„Nein, ich war nur an der frischen Luft.“, sie wandte sich an Kaori: „Es ist ziemlich kalt geworden, finden Sie nicht auch?“

Die ältere Dame sah überrascht zu ihr auf und lächelte sie an: „Ja, es ist ungewöhnlich für Juli.“

Kyoko erwiderte das Lächeln und wandte sich dann wieder an Ren: „Wo sind eigentlich die anderen Schauspieler?“

„Die sind schon zum Set gefahren. Du bist etwas spät dran gewesen.“

„Entschuldigen Sie.“

„Bei mir musst du dich nicht entschuldigen. Was war denn der Grund?“, er versuchte so beiläufig wie möglich zu fragen, doch seine Neugier war dennoch deutlich herauszuhören.

„Die Straßenbahn war zu voll. Ich musste auf die Nächste warten.“, sie stützte ihren Kopf auf ihrer rechten Hand ab und setzte den rechten Ellbogen auf den Tisch.

„Sie fahren Bahn?“, Kaori sah sie verwundert an: „Kommen Sie denn ungestört zur Arbeit?“

„Ich schon.“, sie lächelte sie freundlich an.

Die Wahrheit war, dass sie sich eine Kapuze über den Kopf zog, die Stöpsel ihres Mp3-Players in die Ohren steckte und mit ihrem Äußeren wohl kaum als Schauspielerin durch ging, wenn sie in die Bahn stieg. Sobald sie in der Agentur ankam, verschwand sie in der Umkleide und zog sich den Kapuzenpulli über den Kopf, bevor sie sich die Haare richtete und den Player in der Tasche verstaute. Manchmal wurde sie aber auch von Kessy abgeholt.

Ren behielt sie genau im Auge und dachte sich schon sein übriges dazu. Er wusste, dass sie noch mit dem Fahrrad zur Arbeit kam, wenn das Wetter hielt. Das mit der Bahn war neu, aber überraschte ihn nicht sonderlich. Sie würde diesen Film wohl brauchen, damit sie endlich das Geld für ein Fahrzeug ausgeben konnte, dass sie mit ihrem Führerschein fahren konnte, den sie vor kurzem bestanden hatte.

Kyoko begegnete seinem Blick und sah ihn fragend an. Er lächelte sie an, schüttelte kaum merklich den Kopf und erhob sich.
 

Das erste Set war ein Wohnzimmer. Zwei alte verschlissene Sessel standen um einen edlen braunen Tisch. Daneben war eine dazu passende Couch an die Wandgeschoben. Etwas abseits in einer Ecke stand ein Fernseher. An der einzigen freien Wand versperrte ein wuchtiger brauner Schrank den Blick auf die weiße Tapete.

Kyoko lief an dieser Einrichtung vorbei zu einer weißen Tür am Rande der Halle, auf der mit silbernen Lettern die Aufschrift Umkleideraum prankte, nachdem sie die erste Szene gesagt bekommen hatte. Sie betrat den Raum, bekam ein Kostüm in die Hände gedrückt und verschwand hinter einem Vorhang um es anzuziehen.

Es war ein schwarzer Rock mit einer weißen Bluse und einer schwarzen Blazerjacke. Es passte alles wie angegossen. Darunter zog sie eine schwarze Strumpfhose und schwarze Stiefel, die ihr bis knapp unter die Knie reichten.

Als sie hinter dem Vorhang hervor kam, gab man ihr eine schwarze Handtasche und sie lief in die Maske einen Raum weiter. Dort steckte man ihr die Haare am Hinterkopf hoch und schminkte sie blass.

Als sie aus der Türe heraus trat, stand Kaori bereits vor einem der Sessel und eine junge Frau hatte es sich auf der Couch bequem gemacht.

Kyoko sah zur Seite und erkannte Ren, der mit einigen anderen Schauspielern schon mit einer anderen Szene angefangen hatte. Er stand in einem Büro und unterhielt sich offenbar mit seinem Chef. Zumindest im Film.

Kyoko gesellte sich zu den Anderen und gab der jungen Frau zur Begrüßung die Hand. Sie stellte sich als Maiko Hanazoto vor und war recht nervös. Sie war nur etwas kleiner als Kyoko.
 

„Sind Sie denn sicher, dass es keine andere Fläche für den Vergnügungspark gibt?“, Matsushima klang recht kühl, doch ließ er seinen Chef nicht aus den Augen. Es ging ihm näher, als er zugeben wollte.

„Nein, es gibt keinen anderen Ort, zumindest will ich keinen anderen. Das Grundstück und die ganze Umgebung um diesen kleinen Gasthof sind einfach ideal und außerdem habe ich bereits alle im Umkreis dazu gebracht zu verkaufen. Das wird nicht billig werden und wenn ich nicht bald auch die Zusage dieser Frauen bekomme, wird es wirklich Probleme geben!“, der Chef war sehr gereizt. Er konnte es sich nicht leisten noch länger auf eine Zusage zu warten. Zuerst hatte er sich mit diesem unsinnigen Kato herumschlagen müssen und nun waren seine Töchter fast noch schlimmer: „Stellen Sie das klar. Bringen Sie sie zum Verkauf.“

Matsushima sah ihn entschlossen an, nickte kurz und verschwand gleich darauf durch die Tür. Er würde sie schon überreden können, auch wenn es ihn mehr Kraft kosten würde, als er vielleicht aufbringen konnte. Schließlich hatte er Jo schon seit einigen Jahren nicht mehr gesehen. Aber die Wunden waren verheilt und ihn interessierte nur der Job!
 

„Cut!“, Shingai kam zu ihnen herüber, besprach sich noch einmal kurz mit Rens Szenenkollegen und schloss die Szene schließlich mit einem: „Das war hervorragend.“, endgültig ab.

Ren zog seine Anzugjacke aus und öffnete die Manschetten seines Hemdes. Das wäre dann wohl erledigt.

Er warf einen Blick hinüber zu dem Set, in dem Kyoko saß.

Der schwarze Rock stand ihr wirklich ausgezeichnet.

Ren beobachtete, wie der Regisseur zu ihr hinüber ging und sich mit ihr besprach. Es war ein eigenartiger Drehplan, denn sie begannen mit den Anfangsszenen des Films, was nicht immer der Fall war bei einem Drehbeginn.

Kyoko lächelte über irgendeinen Kommentar Shingai’s und begab sich an ihren Platz. Ren ging einige Schritt näher an das Set heran, um sie wieder sehen zu können und lehnte sich an eine Säule der Halle.

Er würde nicht mehr oft die Gelegenheit haben, ihr beim Spielen zuzusehen, schließlich würde er meistens selbst spielen, wenn sie an der Reihe war und außerdem nicht immer am Drehort sein, wenn sie sich keine Szene teilten. Es war eben nicht so einfach.

Die Kameras wurden eingeschaltet und der Dreh begann.
 

„Granny, bitte beruhige dich.“, Conny redete behutsam auf ihre Großmutter ein, doch sie konnte nicht aufhören zu weinen.

„Jo, sag doch auch mal was.“, die Jüngere der Schwestern blickte vorwurfsvoll zu ihrer älteren Schwester auf, während sie weiterhin die Hand der Großmutter tätschelte und in der ihren hielt.

Jo achtete gar nicht auf sie. Sie stand am Fenster und starrte hinaus. In ihrem Blick lag keine Trauer, sondern ein Hauch von Wut. Sie hatte ihrem Vater nicht verzeihen können, dass er ihre Mutter betrogen hatte und verspürte auch einen Hauch von Wut auf ihre Mutter, dass sie es ihr allein überlassen hatte zu entscheiden, was sie mit ihrem Erbe anfangen würde und ihr nicht beistehen wollte. Conny war zwar mit ihr gekommen, doch die kleine Schwester würde wohl kaum eine Hilfe dar stellen.

„Jo.“, Conny ließ nicht locker, konnte und wollte sie nicht verstehen.

Die Angesprochene drehte sich langsam zu ihr um, erblickte die aufgelöste Großmutter und ging mit sanftem Blick zu ihr hinüber. Sie ließ sich auf ihre Knie sinken und blickte mitfühlend zu ihr auf: „Warum weinst du so? Dein Sohn ist doch schon seit über einer Woche tot.“

Die ältere Frau sah erschrocken in ihr Gesicht: „Wie kannst du so etwas sagen?“

„So war es nicht gemeint. Gibt es noch etwas, das dich bedrückt?“, warf Conny schnell ein, glücklich darüber, dass sie aufgehört hatte zu weinen und verängstigt darüber, was ihre Schwester mit ihren Worten bewirkt haben könnte.

„Was wird nun aus dem Gasthof? Was soll nur aus dem Erbe meines lieben Kenta werden?“, sie sah zu Conny hinüber, die neben ihr auf dem Sofa saß.

„Wir finden schon eine Lösung.“, Jo sah sie zuversichtlich an und drückte freundschaftlich ihre Hände: „Willst du dich nicht etwas hinlegen?“

Die ältere Dame erhob sich allmählich und verschwand durch eine Seitentüre.

„Bist du verrückt geworden?“, Conny lief auf Hochtouren: „Dein Sohn ist doch schon länger als eine Woche tot?“, äffte sie ihre Schwester nach und sah sie böse an.

„Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich diesem Typen hinterher trauere!“

„Dieser Typ ist unser Vater, Jo!“

„Nicht für mich!“, Jo klang sehr hart, dass wusste sie, doch es entsprach ihrer Auffassung, da war sie sich sicher: „Für mich ist dieser Mann schon vor Jahren gestorben.“

Conny sah ihr ungläubig in die Augen: „Aber Mama hat ihn doch verlassen.“

„Er hätte sich auch bei uns melden können und soweit ich es weiß, war es berechtigt, dass sie ihn verlassen hat.“

„Wovon redest du?“, Conny sah sie verwirrt an.

„Das ist jetzt nicht wichtig, wir müssen uns morgen um den Gasthof kümmern. Irgendetwas wird uns schon noch dazu einfallen.“, Jo öffnete eine Tür und verschwand.
 

„Cut!“, erklang die Stimme des Regisseurs. Shingai wirkte recht beeindruckt und schritt zusammen mit den Schauspielern zu dem kleinen Fernseher, der in der Ecke stand, um sich die aufgenommenen Szenen anzusehen.

Kyoko stand neben Maiko Hanazoto, die nervös an ihren Fingernägeln fummelte, während sie den Fernseher anstarrte und danach bewundert zu ihr sah. Kyoko wandte sich ab und sah lächelnd zu Boden, während sie mit vor dem Bauch verschränkten Armen langsam zu Kessy lief, die etwas weiter abseits mit einem anderen Manager sprach.

Es war ihr immer noch unangenehm so betrachtet zu werden, als hätte sie etwas zustande gebracht, dass vor ihr noch nie jemand geschafft hatte.

Sie drehte sich zur Seite und erblickte Ren, der sie offenbar die ganze Zeit gemustert hatte. Sie hatte es eher gespürt als gesehen und aus irgendeinem Grund, wusste sie nicht, ob es ihr gefiel, wie er sie ansah oder ob es ihr lieber wäre, wenn er es nicht tat.

Sie wandte sich ab und marschierte zielsicher zu ihrer Managerin.

Es war besser, wenn sie sich keine Gedanken darüber machte. Sie hatte es schon so oft zur Seite geschoben und vergessen, dass es ihr auch dieses Mal mit Leichtigkeit gelingen sollte.
 

„Kyoko-chan hat sich gut gemacht, findest du nicht?“, Yashiro grinste ihn an. Er wusste genau, was nun in dem Kopf seines Schützlings vor sich ging und ihm war klar, dass dieser lieber nicht drüber reden wollte.

Ren wandte sich von ihm ab und reagierte nicht weiter auf ihn.

„Ignorierst du mich jetzt? Ist das deine neue Taktik?“, Yashiro sah ihn überrascht an.

„Es ist egal, was ich sage. Du hast deine Vorstellung und wirst nicht davon abweichen, ich kenn dich doch.“

„Tja, so ist das nun mal. Sie ist fertig mit umziehen.“, der Manager deutete auf die junge Schauspielerin, die nun auf sie zukam.

„Du gehst schon wieder?“, Ren sah sie überrascht an.

„Ja, bei mir hat sich ein Termin geändert und da heute auch noch jemand krank ist, fällt die Szene flach. Ich kann also schon wieder gehen.“, sie musterte ihn aufmerksam: „Wie lange werden Sie denn noch da sein?“

„Eine Weile.“, Ren beobachtete aus den Augenwinkeln, wie sich Yashiro langsam verzog und sich mit Kessy in ein Gespräch verwickelte, damit sie die beiden alleine ließ. Als er sich wieder Kyoko zuwandte, beobachtete sie ihn aufmerksam.

„Was ist?“

„Sie sind ganz blass. Was haben Sie heute schon gegessen?“

„Ich war mit Yashiro in einem kleinen Pub. Mach dir keine Sorgen, ich bin satt geworden.“

„Sie satt zu bekommen, ist auch nicht schwer. Ich dachte eigentlich, dass hätte sich inzwischen geregelt und nun das.“, sie stützte ihre Arme in die Seiten und sah ihn anklagend an.

„Wenn es dich beruhigt, frag Yashiro, ich hab genug gegessen.“

Ihr Blick blieb skeptisch.

„Wenn es dir nicht reicht, kannst du ja noch mal zum essen vorbeikommen und ich koche zur Abwechslung, damit du merkst, dass ich mich auch selbst ernähren kann.“, er verschränkte die Arme vor der Brust und sah selbstbewusst zu ihr hinunter.

Sie ließ sich nicht im geringsten davon beeindrucken. Was hatte er auch erwartet.

„Vorsicht, ich nehme Sie noch beim Wort.“

„Kannst du ruhig machen. Wir finden schon einen Termin.“

„Sicher.“

„Isst du denn genug?“, er versetzte ihr einen prüfenden Blick, trat einen Schritt vor und bemerkte ihren überraschten Ausdruck.

„Ich? Natürlich.“, sie trat ihrerseits auf ihn zu und sah ihn von unten her an. Damit hatte er nicht gerechnet. Sie waren sich nun so nah, dass sie sich fast berührten: „Ich bin ja nicht so ein Arbeitstier, dass den Kopf verliert und das Essen vergisst, wie Sie es sind.“

Sie lächelte, sonst hätte er sich ernsthaft Sorgen gemacht. Sie hatte sich wirklich verändert. Früher wäre es ihr zu unverschämt erschienen.

Er spürte, wie er sich unwillkürlich zu ihr lehnte. Sie bemerkte es offenbar auch, sah ihm aber nur in die Augen und ließ es geschehen.

„Ähm. Ich will ja nicht stören.“, Kyoko’s Managerin stand neben ihnen und starrte sie an. Ihre Wangen waren leicht gerötet und sie wusste nicht so recht, was sie tun sollte: „Wir müssen weiter.“

„Natürlich.“, Kyoko schreckte zurück und sah zu ihr hinüber: „Klar. Ich komme. Tschüss Tsuruga-san.“

„Tschüss.“, er war genauso verwirrt, wie sie.
 

„Kyoko, was war das eben?“, Kessy flüsterte, als glaubte sie, Ren könnte sie sogar von der Tür aus noch hören.

„Wir haben uns unterhalten.“

„Unterhaltet ihr euch immer so, als würdet ihr euch gleich küssen?“

Kyoko blieb abrupt stehen und starrte sie entsetzt an: „So ein Unsinn! Da ist nichts, gar nichts! Wir haben uns nicht fast geküsst!“

Kessy schwieg und folgte ihr.

Diesen Blick zuvor hatte sie leicht vergessen können. Aber wie sollte sie das nun tun? Wie sollte sie ausgerechnet das wieder vergessen? Kyoko seufzte und tat es damit Ren gleich, der noch am Set stand und sich den Fragen von Yashiro ausgesetzt sah.

Es wurde Tag und es wurde Abend 4

Kyoko lief neben Kessy die Flure der Akatoki Agency auf der Suche nach dem Besprechungsraum entlang. Sie würde in einem neuen Musikvideo mitwirken, mit dem Sho Fuwa seinen neusten Song vermarkten wollte.

„Sag mal, was ist eigentlich los mit dir?“, Kessy warf ihr einen Seitenblick zu, während sie ihren Terminplaner durchging: „Du bist heute so anders. Ist irgendetwas passiert?“

„In wie fern bin ich denn anders?“, Kyoko versuchte sich unbeeindruckt zu geben, was ihr allerdings nicht ganz zu gelingen schien. Sie strich sich eine Haarsträhne hinter das rechte Ohr und rückte mit der linken Hand ihre Tasche auf der Schulter zurecht.

„Nun ja, du wirkst leicht angespannt.“, ihre Managerin klappte den Planer zu und stopfte ihn zurück in ihre Tasche: „Gibt es Probleme mit dem Film?“

„Nein, es ist alles in Ordnung.“

„Findest du nicht, dass du dich mir anvertrauen solltest. Wenn etwas passieren sollte, könnte ich wenigstens helfen.“, Kessy wirkte leicht eingeschnappt.

Kyoko konnte es ihr nicht verübeln. Sie kannte die Geschichte von Sho und ihr schließlich nicht und hatte all das nicht miterlebt. Kessy war erst kurze Zeit vor ihrem Flug nach Amerika zu ihrer Managerin geworden, da ihre frühere in Schwangerschaftsurlaub gegangen war. Kyoko hatte sie damals durch Kuu kennen gelernt, bei dem sie in dieser Zeit untergekommen war. Er und seine Frau Julie waren wirklich liebenswürdig gewesen. Sie kannten Kessy schon seit einer kleinen Ewigkeit und wussten von ihrem Wunsch nach Japan zu gehen und dort als Managerin voran zu kommen.

„Es ist eine sehr lange Geschichte.“, wich Kyoko ihr nun aus. Sie hatte keine Lust, sich in der Vergangenheit zu verlieren.

„Dann gib mir die Kurzfassung, wir sind nämlich gleich da.“, sie deutete mit dem rechten Zeigefinger auf eine nicht mehr allzu weit entfernte weiße Tür auf der linken Seite des Flures.

„Okay. Die Kurzfassung ist, dass ich mit Sho Fuwa meine Differenzen habe und ich ihn nicht ausstehen kann.“, sie hatte sich wieder zu Mio gewandelt, was sie bei Kessy’s Anblick schnell abschüttelte um noch hinzu zu fügen: „Mach dir keine Sorgen. Ich kann das überspielen und außerdem ist es mir nicht mehr all zu wichtig.“

Kessy seufzte und wirkte nicht sehr überzeugt davon, schien aber die Hoffnung nicht aufzugeben: „Bist du bereit?“

Kyoko nickte und verwandelte sich etwas in Natsu, damit es ihr leichter viel, als Kessy auch schon die Tür zu dem kleinen Raum aufstieß.

An einem langen Tisch saßen der Regisseur, die Maskenbildnerin, die Kameramänner, eine Vertreterin der Nebendarsteller und eine Tanzchoreografin. Am Ende des Tisches waren noch vier Plätze frei. Auf dem Tisch standen Kaffeekannen und –tassen verstreut zwischen kleinen Manuskripten.

Kessy betrat vor Kyoko den Raum, sie begrüßten die Anderen, zogen ihre Mäntel aus, die sie über die Stuhllehnen zweier freier Stühle hingen und setzten sich auf diese.

Allgemeines Gemurmel hob fast augenblicklich wieder an, sodass Kessy den Moment nutzen konnte, um sich zu ihrem Schützling hinüber zu lehnen und ihr ins Ohr zu flüstern: „Wo ist Fuwa denn?“

Kyoko schenkte ihr ein leicht verbittertes Lächeln, bevor sie ihr genauso leise antwortete: „Herr Fuwa ist der Ansicht, dass alle auf ihn warten müssen und er niemals zu spät kommt, da die anderen immer zu früh da sind.“

Kessy zog die Augenbrauen hoch und griff nach dem Skript, das vor Kyoko auf dem Tisch lag: „Willst du es nicht durchlesen?“

„Ich kenn es schon.“

„Du hast es schon gelernt? Ich hab es dir doch erst heute Morgen gegeben.“, Kessy sah sie überrascht an.

„Ich hatte nichts zu tun auf dem Weg hierher. Du bist schließlich gefahren.“

Bevor Kessy etwas erwidern konnte, betraten Sho und Shoko den kleinen Raum.

Die junge Managerin sah sie überrascht an und bemerkte mit erstaunen, dass Kyoko sich nicht mal zu ihnen umdrehte.

Die Beiden setzten sich neben sie und Sho lehnte sich sehr weit in seinem Stuhl zurück und sah sie lange an. Kyoko begegnete kurz seinem Blick, wandte sich dann aber ohne ein Zeichen des Wiedererkennens wieder dem Regisseur zu.

Kessy behielt sie im Auge, während sie Shoko, die neben ihr saß, ein freundliches Nicken schenkte, das sofort erwidert wurde.

Die Besprechung dauerte nicht lange und schon bald verließen sie wieder alle nacheinander den kleinen Raum, um sich zu den Sets zu begeben.

„Du hast keine Miene verzogen.“, stellte Kessy fest, die ihren Schützling während des ganzen Gesprächs im Auge behalten hatte.

Kyoko hatte sich den schwarzen Mantel über den rechten Arm gelegt und zupfte mit der linken Hand ihren weißen Blusenkragen zurecht: „Warum sollte ich auch?“

„Nun ja, nach deiner Stellungnahme vorhin hatte ich schon meine Befürchtungen. Du kannst entsetzlich impulsiv sein.“, Kessy reichte ihr ihre Tasche, die Kyoko dankbar entgegen nahm.

„Die Zeit in Amerika hat mich verändert, auch wenn es nur ein Jahr gewesen war. Ich weiß nicht, vielleicht hatten Kuu und Julie Hizuri eine positive Wirkung auf mich. Sie sind sehr liebenswürdig und aufgeschlossen, wenn du verstehst, was ich meine.“

Sie erreichten den kleinen Maskenraum.

An der rechten Seite der Wand waren Schminktische aneinander gestellt, während die andere Seite mit Stühlen bestückt war. Am Ende des Raumes befand sich eine Tür, die zu den Umkleidekabinen führte.

„Hallo, kommen Sie doch bitte zu mir Kyoko-san, damit ich ihnen ihr Kostüm anpassen kann.“, eine junge Frau mit kurzen verstruwelten schwarzen Haaren stand neben dieser Tür, eine Kleidertasche über dem rechten Arm.
 

Kyoko trat in ihrem schwarzen Kleid aus dem Raum. Ihr Haar war hochgesteckt und unter einer schwarzen Perücke versteckt, deren Haare ihr in sanften Wellen bis zum Po reichten.

Sie war ganz weiß geschminkt und wirkte schon fast wie eine Leiche, durch den Farbkontrast zum Kleid.

Warum hatte sie auch einen Dreh zu Fuwas neuster Ballade angenommen? Ach ja, Kuu hatte sie darum gebeten. Sie hatte es schon fast wieder vergessen.

Alles in Allem wäre es ja auch gar nicht so schlimm, wäre diese eine Szene nicht.

Kyoko trat zu Sho heran, der beim Regisseur stand und mit diesem auf sie wartete. Der Rest des Teams sammelte sich auch allmählich um sie.

„Also, wir beginnen mit...“, leitete der Regisseur noch einmal ein, was Kyoko gar nicht mehr mitbekam, da ihr Fuwa sofort ins Ohr flüsterte. Er klang gereizt.

„Was ist los mit dir?“

Sie sah ihn überrascht von der Seite an und antwortete ihm im gleichen Ton: „Was soll los sein?“

Er konnte also immer noch nerven, wenn er wollte.

„Du warst die ganze Zeit nicht da, kommst wieder, nimmst freiwillig einen Job für eines meiner Videos an und bist auch ansonsten ganz anders.“

„Erstens: ich muss mich nicht bei dir abmelden, wenn ich gehe und ich bin dir auch keine Anmeldung schuldig, wenn ich wieder zurück komme. Zweitens: warum hätte ich den Job nicht annehmen sollen? Es ist ein Job wie jeder andere. Und Drittens: ich bin noch die Gleiche.“

„Wenn das so ist, warum rastest du dann nicht aus? Du weißt schon, wegen dieser einen Szene?“, raunte er ihr nun zu, seine Stimme hatte sich verändert.

„Was soll damit sein?“, sie stellte sich dumm. Sie ahnte bereits, dass irgendetwas nicht stimmte. Er hatte etwas gewaltig missverstanden.

„Nun ja, du bist deshalb weder wütend, noch nervös.“

„Ich habe keinen Grund nervös zu sein.“

„Und wütend?“

„Sagen wir es so. Wenn du mir noch weiter so auf den Geist gehst, werde ich wirklich wütend. Ansonsten ist es mir gleich.“, sie drehte sich wieder zum Regisseur, der sie nun auf ihre Plätze schickte.
 

„Nur noch eine Szene, dann haben wir es im Kasten.“, rief der Regisseur und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.

Kyoko stand mitten in einem Blaufeld, in das später virtuell eine Straße eingefügt werden würde. Ihr gegenüber stand Fuwa, das blonde Haar wie vom Wind zerzaust, den weißen Hemdkragen offen und die blaue Jeans mit einem schwarzen Gürtel in der Hüfte befestigt.

Sie hatte ihr Kostüm geändert. Sie trug nun einen hellblauen Rock, der ihr munter um die Knöchel spielte und ein weißes trägerloses Top, das sie umhüllte wie eine Korsage. Ihr Haar war immer noch unter einer Perücke versteckt, diesmal jedoch unter einer mit Pferdeschwanz, der ihr bis zur Taille reichte. Dank ihren schwarzen Pumps war sie nur noch einige Zentimeter kleiner als er.

„Schaltet den Ventilator ein.“, befahl der Regisseur.

Ein riesiger Ventilator am Rande des blauen Feldes wurde aktiviert, der Kyoko’s Rock, sowie ihre als auch Fuwas Haare durch die Luft tanzen lies.

„Aktion!“, rief der Regisseur und faltete seine Hände im Schoß.

Kyoko und Sho standen sich gegenüber. Sie sahen sich sehnsuchtsvoll an, standen sich aber noch immer in einigen Metern Entfernung gegenüber. Das Lied, das im Hintergrund lief erreichte seinen Höhepunkt und die beiden überquerten die Distanz, bis sie sich gegenüber standen. Sie sahen sich an, einige Sekunden lang, bis sie sich nicht mehr beherrschen konnten und sich endlich in die Arme sanken um sich zu küssen.

„Cut!“, der Regisseur lief hinüber zum Fernseher, der in einer Ecke stand, um sich die Szene anzusehen.

Kyoko schob Sho von sich. Er hatte doch tatsächlich versucht ihr die Zunge in den Mund zu schieben. Sie hatte ihn abgewürgt und ihm draufgebissen.

Sie wandte sich von ihm ab, ohne ihn eines Blickes zu würdigen oder ihn anzusprechen und ging hinüber zum Fernseher. Sie spürte seinen Blick im Rücken, aber reagierte nicht darauf. Er konnte tun und lassen, was er wollte, aber er konnte ihr nicht zu nahe kommen, das ließ sie nicht zu.

Er folgte ihr zur Garderobe und klappte ihr die Tür vor der Nase wieder zu, noch bevor sie den Raum betreten konnte. Kessy war schon hinein gegangen.

„Warum hattest du es eben so eilig?“

„Wahrscheinlich weil ich nicht an deiner Zunge ersticken wollte.“, ihre Stimme war kühl und desinteressiert, genau wie sie sich fühlte.

Sho sah sie mit großen Augen an: „Du hast dich verändert in Amerika.“

„Was man von dir nicht behaupten kann, du bist noch der Gleiche.“

Sho zog einen Mundwinkel hoch: „Wo hast du Küssen gelernt?“

„Ich wüsste nicht was dich das angeht.“, sie wollte so gerne aus diesen Sachen raus und zurück in ihre eigenen, die ihr so viel bequemer erschienen.

„Sagen wir, ich mache mir Sorgen um dich.“

„Der Witz ist schon zehn Mal um die Ecke, Sho.“, sie schenkte ihm einen mitleidigen Blick.

„Was hast du schon zu verlieren, wenn du es mir erzählst?“, er klang über die Maßen neugierig.

„Nichts. Ich hab aber auch nichts zu gewinnen.“, sie griff erneut nach der Türklinke.

„Du könntest mir beweisen, dass du kein Mauerblümchen bist, wie du es schon immer wolltest.“, jetzt wurde er gemein, aber das würde ihm auch nichts bringen.

Kyoko kam einen Schritt auf ihn zu, bis sie ihm fast so nahe war, wie bei dem Kuss zuvor, lehnte sich auf ihre Zehenspitzen und flüsterte ihm ins Ohr: „Mir ist es egal, was du denkst.“

Bevor sie sich zurück lehnte und durch die Tür verschwand, bemerkte sie noch, wie ihm ein Schauer über den Rücken lief.
 

„Was kommt als nächstes?“, Kyoko schritt neben Kessy durch das LME Gebäude.

„Nun müssen wir zum Dreh mit Tsuruga-san.“, Kessy beobachtete sie von der Seite: „Du warst überraschend ruhig während des ganzen Morgens und als du in deine Garderobe kamst, warst du auch irgendwie komisch. Was ist passiert?“

„Nichts. Sho Fuwa bedeutet mir nur nicht mehr so viel, wie er es früher einmal getan hat.“, sie klang selbst verwundert.

„Und warum warst du so anders, als du nach dem Dreh in deine Garderobe gekommen bist?“

„Weil er mich dazu gebracht hat, ihm zu sagen, wie egal er mir ist.“

Außerdem hatte er bemerkt, dass sie nicht mehr die gleiche war, die sie früher einmal gewesen war. Sie hatte in Amerika eine beinahe Beziehung geführt, die nur deshalb gescheitert war, weil sie keine Lust mehr gehabt hatte und zurück nach Tokio wollte. Außerdem hatte der Kerl gedacht, dass er ewig unentschlossen bleiben könnte. Joe war ganz süß und lieb gewesen und sie hatte ihn wirklich gemocht, aber er war einfach noch nicht so weit gewesen. Für eine richtige Beziehung war es noch zu früh für ihn gewesen. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie selbst schon bereit gewesen war.

„Kyoko-chan? Wo bist du gerade mit deinen Gedanken?“, Kessy musterte sie neugierig, während sie vor einer Tür zum stehen kamen.

„In der Vergangenheit würde ich sagen. Lass uns reingehen.“, sie schob die Tür auf und betrat das Set.

An der linken Wand zogen sich die Garderoben entlang, deren Türen mit kleinen Namensschildern versehen waren. Der Rest der Halle war mit Sets, Kameras und Scheinwerfern gefüllt.

In einigen Metern Entfernung konnte Kyoko den Regisseur in einem der Stühle erkennen. Vor ihm stand ein Fernseher, in dem er den Dreh beobachtete. Er wurde von Kameras flankiert, die alle auf einen kleinen Raum gerichtet waren und von Kameraleuten gesteuert wurden.

Kyoko ging hinüber zu ihrer Garderobe, betrat sie und wartete in dem Stuhl am Schminktisch auf Kessy, die ihr die Maskenbildnerin und die Anweisung des Regisseurs bringen würde, der sich noch nicht vom Dreh lösen konnte.
 

Es würde noch einige Zeit dauern, bis sie an der Reihe war. Tsuruga-san befand sich noch im Set und drehte mit Maiko. Kyoko gesellte sich mit Kessy in eine Ecke der Halle, von der aus sie den Dreh beobachten konnten, ohne im Weg zu stehen. Sie lehnte sich gegen eine Säule und verschränkte die Arme vor der Brust.

Tsuruga-san leistete mal wieder ganze arbeit. Maiko’s Spiel erfolgte fast ausschließlich als Reaktion auf ihn. Sie konnte einem Leid tun.

„Sie sind bald soweit. Wenn diese Szene im Kasten ist, bist du an der Reihe, Mogami-san.“ , Yashiro war an sie heran getreten und hatte ihnen zugeflüstert.

„Gut zu wissen.“, sie schenkte ihm ein schiefes Lächeln und wandte sich dann wieder dem Set zu: „Er könnte wirklich etwas rücksichtsvoller sein.“

„Was meinst du damit?“, Kessy sah verwundert von ihr zum Manager.

Yashiro grinste nur: „Dann würde es ihm nur halb soviel Spaß machen.“

„Ach was. Ich weiß, dass er das nicht aus Spaß macht. Er hat es eilig, stimmts?“

Yashiro schenkte ihr einen nervösen Blick: „Warum sollte er das?“

„Ich weiß nicht. Aber wenn er denkt, dass er mich genauso abfertigen kann, dann hat er sich geschnitten.“, sie lächelte selbstsicher und ließ Ren nicht aus den Augen, während er Maiko aus der Ruhe brachte.

Kessy blickte verständnislos von einer zum anderen und wandte sich dann wieder der Szene zu. Sie würden ihr schon sagen, was los war, wenn sie es für richtig hielten.

Yashiro schob seine Brille die Nase hoch und verbarg dabei sein Grinsen mit der Hand vor Kyoko’s Blick. Das würde er nur zu gerne sehen. Es war nicht so, dass er es ihr nicht zutraute, Ren widerstehen zu können, aber leicht würde es dennoch nicht für sie werden.

Es wurde Tag und es wurde Abend 5

„Sagen Sie mal, Sie kennen die Beiden doch schon länger, oder Yashiro-san?“, Kessy sah ihren Kollegen fragend an, aber es war klar, dass sie auf etwas anderes hinaus wollte.

Yashiro beschloss behutsam vorzugehen: „Ja, ich kenne sie schon eine ganze Weile. Ren war noch nicht so lange mein Schützling, als Kyoko plötzlich bei LME auftauchte. Aber darauf möchten Sie nicht hinaus, stimmts?“

Die junge Managerin schenkte ihm ein ertapptes kleines Schmunzeln: „Erwischt.“, sie seufzte: „Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, aber ich weiß mir nicht mehr zu helfen. Kyoko redet nicht über alles, was man ihr kaum zum Vorwurf machen kann. Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass sie mir wichtige Informationen vorenthält.“

Er sah sie überrascht an und wandte sich dem Set vor ihnen zu, dass gerade für die nächste Szene hergerichtet wurde. Er wägte seine Worte genau ab, bevor er ihr antwortete: „Hören Sie, dass ein Schützling Ihnen nicht alles erzählt, kann schon vorkommen. Wie lange arbeiten Sie nun eigentlich schon als Kyoko’s Betreuerin?“

Sie seufzte: „Seit etwas mehr als einem halben Jahr.“

„Das ist doch noch gar nicht so lange. Wenn Sie Geduld haben, wird sie Ihnen offener begegnen. Versuchen Sie einfach so einfühlsam und vertrauensvoll wie möglich auf sie einzugehen. Dann wird sie sich Ihnen auch mehr öffnen.“

„Aber was soll ich tun, wenn ihr Schweigen schon vorher negative Einwirkungen auf ihren Job ausübt?“, sie schenkte ihm einen verzweifelten Blick.

Yashiro wusste nicht, was er ihr antworten sollte. Er wollte Kyoko nicht in die Bredulie bringen, konnte die Not seiner Kollegin aber nachvollziehen. Um sich eine Antwort überlegen zu können, die weder der einen noch der anderen Seite schadete, versuchte er Zeit zu gewinnen: „Gab es denn eine konkrete Situation? Sie scheinen sich ernsthafte Sorgen zu machen und sowas kommt für gewöhnlich nicht grundlos.“

Sie seufzte erneut: „Heute Morgen hat sie beim Dreh von Sho Fuwas neuem Musikvideo mitgewirkt. Es ist nichts vorgefallen, was ein schlechtes Licht auf sie werfen würde, nicht dass Sie mich jetzt falsch verstehen. Sie war nur so reserviert und Fuwa ist ihr offenbar ganz schön an die Nieren gegangen. Jedenfalls haben sie beide merkwürdig reagiert. Vorallem nach dem letzten Take mit der Kussszene war Fuwa irgendwie von der Rolle.“, sie stoppte kurz und überlegte offenbar, ob sie weiter erzählen konnte oder es besser lassen sollte.

„Was genau ist denn passiert?“, bei dem Namen „Fuwa“ hatte er ja schon aufgehorcht, aber eine „Kussszene“? Er sah neue Strapazen mit Ren am Horizont aufziehen und wollte daher so viele Informationen darüber haben, wie es ihm möglich war.

Kessy sah ihn unsicher an: „Nun ja, ähm, also ich weiß nicht, ob ich...“

„Ich werde Sie zu nichts drängen und ausplaudern werde ich auch nichts. Außer Ren vielleicht, aber Sie wissen ja, wie die Beiden zueinander stehen. Er wird ihr nicht schaden! Und solange er mich nicht fragt werde ich ihm nichts sagen, versprochen!“, er wollte sie nicht ans Messer liefern, weshalb er sie über Ren aufgeklärt und somit auch vorgewarnt hatte, doch er wollte es um jeden Preis wissen. Es ging hier um Kyoko und da war jede Information eine gute Information. Vorallem wenn sich sein Schützling später wieder wegen dieses Musikvideos verrückt machen sollte.

Sie überlegte kurz, gab sich aber dann doch geschlagen: „Nun ja, nach der Szene wirkte Kyoko irgendwie aufgewühlt, aber Fuwa war noch schlimmer. Er folgte uns zu ihrem Umkleideraum und stieß ihr hinter meinem Rücken die Tür vor der Nase zu. Ich konnte kaum etwas hören. Eigentlich sogar gar nichts. Rauskommen war auch unmöglich, weil er offenbar vor der Tür stehen geblieben war.

Aber als sich die Tür wieder öffnete, war Kyoko bester Launne und Fuwa wirkte irgendwie geschockt, als ich ihn durch die offene Tür sah.“, sie besann sich der Ereignisse: „ Als ich sie fragte, was los sei, antwortete sie mir, dass sie ihm nur gesagt hätte, wie egal er ihr sei. Fuwa sah allerdings tief getroffen aus, auch als wir gingen.“

„Hm.“, er wusste nicht genau, was er davon halten sollte. Der Kuss war bestimmt nicht so schlimm, wenn er Ren diese Geschichte erzählte, doch wusste er nichts davon, was vor der Tür geschehen war. Nun sah sich der Manager selbst in der Klemme. Am Besten würde es natürlich sein, wenn Ren gar nicht erst davon erfuhr, doch wie er sein Glück einschätzte und den Charakter von Fuwa interpretierte, würde der Schauspieler nicht nur bald davon erfahren, sondern auch noch von Fuwa höchstpersönlich alles unter die Nase gerieben bekommen.

„Yashiro-san, was soll ich denn nun tun, wenn ihr Job davon beeinflusst wird?“, Kessy sah ihn hilfesuchend an und bemerkte nichts von der veränderten Stimmung.

„Als Ren mir nicht alles erzählt hat, habe ich ihn oft mit Fragen gelöchert. Manchmal habe ich ihm auch einfach meine Vermutungen an den Kopf geworfen.“, er hatte zwar ein schlechtes Gewissen Kyoko gegenüber, aber nach den letzten Neuigkeiten überwog einfach die Neugierde. So würde er vielleicht noch mehr erfahren können, wenn es in Zukunft wieder zu solchen Situationen kommen sollte. Natürlich war es seiner Kollegin gegenüber nicht freundlich, aber wenn sie schon mit jemandem über die Belange ihres Schützlings redete, war es doch besser, wenn er es war, als wenn sie einen Fremden erwischte, der die Geschichte womöglich noch höchst gewinnbringend an den Mann brachte.

„Wenn sie darauf nicht reagiert, fangen Sie einfach davon an, dass Sie so Ihren Job nicht machen können. Allerdings sollten Sie ihr auch Zeit lassen, damit sie auch zu Ihnen kommen kann, um Ihnen etwas zu erzählen und ihr nicht zu sehr auf den Nerv fallen.“

Kessy schien jeden seiner Sätze einzusaugen und war gleichzeitig dankbar für den hingeworfenen Rettungsring: „Ich danke Ihnen. Wissen Sie, Kyoko ist mein erster Schützling. Ich möchte es unbedingt gut machen.“

Das schlechte Gewissen spannte einen Knoten um seinen Magen: „Keine Urasche. Nur, übertreiben Sie es nicht. Sie müssen einfach erkennen, wie weit sie gehen können.“, er tätschelte ihre linke Schulter: „Und vertrauen Sie sich nicht jedem an, was Kyoko’s Belange angeht. Wissen Sie, man kann nicht alles mit sich selbst ausmachen und ich kann verstehen, dass Sie mich um Hilfe gebeten haben und Sie können es auch gerne wieder tun, nur behalten Sie dabei die Gefühle und die Karriere ihres Schützlings in Erinnerung. Das sind die Dinge, die Sie als höchstes Gut betrachten sollten.“

Sie schaute verlegen zu Boden.
 

Währenddessen wurde eines der schwierigsten Sets eingerichtet. Es war eine Sattelkammer, die aus vier kompletten Wänden bestand, was das Filmen später erheblich erschweren sollte. Die Kameras mussten so präzise angebracht werden, dass sie zwar jeden Winkel des Raumes erfassten, aber dennoch in keinem Bild auftauchten. Und die Beleuchtung musste an den Raum angepasst werden, jeden Winkel erfassen, damit keine Handlung unerkenntlich wurde, aber gleichzeitig auch realistisch erscheinen.

Diese Zeit überbrückten die Schauspieler damit, sich in der Maske herrichten zu lassen. Das hieß, Ren lies sich herrichten, während Kyoko neben ihm auf einem Stuhl saß, die Hände auf der Sitzfläche rechts und links von ihren Beinen abgestützt und sich mit ihm und der Masekenbildnerin unterhaltend dabei zusah.

„Wann haben Sie beide eigentlich zum ersten Mal zusammen vor der Kamera gestanden?“, Olivia machte ihm gerade die Haare zurecht und schien einen Heidenspaß mit ihnen zu haben. Es war ihr nicht zu verdenken. Sie unterhielten sich und warfen sich gelegentlich die Bälle hin und her.

„Bei Dark Moon. Da hat sie mir das Leben als „Mio“ schwer gemacht.“, Ren warf seiner Kollegin einen chelmischen Seitenblick zu, da er seinen Kopf nicht drehen konnte. Sie erwiederte zwar seinen Blick, aber stimmte ihm offenbar nicht zu. Sie schüttelte den Kopf: „Jetzt bin ich fast schon etwas enttäuscht.“

„Ach ja? Weshalb?“, er verstand nicht.

„Weil es so nicht ganz richtig ist, Tsuruga-san.“, sie lächelte verhalten aber aufrichtig: „Haben Sie etwa diesen Schauspieltest vergessen?“

Er konnte sich erinnern, aber Olivia war ganz erpicht darauf zu erfahren, wovon sie redeten, weshalb Kyoko fortfuhr, allerdings ohne all zu viele Informationen preiszugeben, die auf die Hintergründe mit Ruriko Matsunai hinweisen könnten: „Ich war gerade erst in der Love-Me-Section und mein erster Job hatte mit einem seiner Filme zu tun. Ich hatte eine große Klappe und war der Meinung, ich könnte den weiblichen Part auch hinbekommen, da sich die Darstellerin mit einigen Kleinigkeiten schwer tat und ziemlich frustriert war.“

Sie machte eine Pause.

Es stimmte schon, sie hatte damals eine große Klappe gehabt, aber dafür hatte sie auch ganz schön was geboten, so ganz ohne Ausbildung und Erfahrung.

„Deshalb ging Regisseur Shingai soweit, dass er uns einen Schauspieltest machen ließ. Die Darstellerin und ich spielten also um die Rolle, auf die ich insgeheim sowieso keine Chance hatte.“, fuhr sie fort: „Nun ja, man kann es ihm ja auch nicht verdenken. Die Schauspielerin war angekündigt worden und der Präsident wäre mit Sicherheit nicht damit einverstanden gewesen, selbst wenn ich es besser gemacht hätte.“

„So schlecht warst du gar nicht.“, er legte ein freches Grinsen auf: „Auch wenn ich dich mit Leichtigkeit an die Wand gespielt hab. Ich hätte es nur kaum zu unseren gemeinsen Auftritten gezählt.“

„Keine Sorge, das passiert mir kein zweites Mal.“, sie wirkte etwas pikiert, was sein Grinsen breiter werden ließ.

„Bist du dir da sicher?“

„Kommen im dem Film Glöckchen vor?“

Er lachte: „Nein.“

Sie erwiederte sein Lächeln selbstsicher: „Gut, dann bin ich mir sogar ganz sicher.“

Olivia, die völlig in Vergessenheit geraten war, sah von einem zum anderen, während sie die Haarbürste aus der Hand und zurück auf die Ablage legte: „Okay, ich komm nicht mehr mit. Welche Glöckchen?“, sie schenkte ihnen einen höchst verwirrten, aber auch belustigten Blick.

Die beiden lächelten sie an.
 

„Also gut ihr beiden.“, Shingai stand mit ihnen in der Sattelkammer, die erstaunlich echt wirkte und sah von einem zum anderen, ein kleines Schmunzeln im Gesicht. Er hatte sich nun wirklich schon lange darauf gefreut einen Film mit Kyoko Mogami zu machen, aber dass dann auch noch Ren dabei war, überstieg seine kühnsten Vorstellungen.

„Ich möchte, dass ihr euch in diesem Set so frei bewegt, wie es der Raum zu lässt. Nutzt meinet wegen auch die Requisiten, dafür sind sie ja da. Aber vorallem vergesst nicht, dass ich jetzt eine schöne spannende Szene von euch beiden sehen möchte, schließlich warte ich hierrauf schon wie lange? Drei Jahre?“

Sie sahen sich verdutzt an und schenkten ihm ein breites Grinsen. Wenn er es so wollte, konnte er es auch ruhig bekommen.

Shingai verließ das Set und ließ sich in seinem Regiestuhl nieder. Seine Vorfreude konnte man regelrecht spüren.

„Na dann wollen wir mal, nicht?“, Ren zog den rechten Mundwinkel zu einem schiefen Schmunzeln nach oben und verließ das Set ebenfalls durch die Tür, die sich hinter ihm wieder schloss.

Nun war sie alleine. Sie konnte von Glück reden nicht klaustrophobisch zu sein, denn es gab wahrlich nicht viel Platz in Mitten dieser vier Wände, die künstlich errichtet worden waren.

Sie holte tief Luft und versetzte sich langsam in ihre Rolle.
 

Ihre Schwester hatte sie wieder in Rage gebracht. Warum musste sie auch ständig wieder von diesen alten Geschichten anfangen? Das mit Matsushima war nun wirklich lange genug her und damals hatte sie ihn abblitzen lassen. Er hatt geküsst wie ein Fisch, der auf dem Trocknen nach Sauerstoff schnappt. Und als wäre das noch nicht genug, musste ihr Reika auch noch ständig im Genick sitzen, weil sie auf jeden Fall verindern wollte, dass sie das Anwesen verkauften.

Sie seufzte. In gewisser Weise konnte sie die alte Frau ja auch verstehen. Sie hatte ihr ganzes Leben hier verbracht und mit ansehen müssen, wie ihr Sohn von seiner Familie verlassen wurde. Ob nun gerechtfertigt oder nicht war mal so dahingestellt. Und dann tauchte da diese Firma auf, die sich alles im Umkreis unter den Nagel riss und auch noch einen Vertreter als Gast ins eigene Haus schickte.

Sie hörte auf den Sattel zu polieren und sah sich in dem kleinen Raum um. In die Wände waren dicke Nägel geklopft worden, an denen man etwa zwanzig verschiedene Zaumzeuge aufgehängt hatte. Sie bedeckten nahezu eine ganze Wand zusammen mit den Halftern, die entweder repariert werden mussten oder als Ersatz hier verstaut waren.

An der nächsten Wand befanden sich die Sattelstützen. Es hingen immer zwei übereinander um Platz zu sparen, der hier ohnehin knapp war. Sie waren alle überfüllt mit Sätteln, wenngleich auch hiervon einige kaputt und verschlissen waren. In den Ecken standen Loungen herum. Unter dem Fenster zum Hof an der nächsten Wand waren zwei kleine Regale aufgestellt worden, die überfüllt waren mit Putzzeug für die Tiere selbst und Sattelputzmitteln. Zwischendrin lagen sowohl neue, als auch alte Lappen, die jedoch alle gemeinsam hatten, dass sie fast bis zur Unkenntlichkeit verstaubt waren. Rechts und links neben dem Fenster befanden sich große Regale die fast den Rest der ganzen Wand einnahmen. In ihnen lagen Gerten, die zum Rest des Raumes passten und Satteldecken, die zusammengeknautscht worden waren, damit sie in die Fächer passten, sodass man nicht mehr erkennen konnte, ob sie noch brauchbar waren oder eher in den Müll gehörten.

Die letzte Wand neben der Tür war mit Bildern verziert, die verschiedene Familienmitglieder der vergangenen Gernerationen auf ihren Pferden zeigten. Das letzte Bild in der Reihe zeigte sie selbst mit ihrer Schwester und ihrem Vater. Sie blieb davor stehen und sah es sich lange an. Zu ihren Füßen häuften sich die Pferdegaloschen, die nicht mehr in den kleinen Schrank passten, der zum Bersten damit gefüllt war und dessen Schranktüren aus den Angeln hingen. Er sah aus, als hätte jemand seinen Fuß darin versenkt.

Die Tür öffnete sich schlagartig. Sie zuckte zusammen und sah hinüber um zu sehen, wer sie hier störte. Sie rechnete schon fast mit dem Pferdeknecht, den sie nur noch wegen der vier Isländer beschäftigten, die zum eigenen Besitz gehörten. Der Rest der Ställe, sowie die Koppeln waren leer.

Doch es war nicht der Knecht, der da in der Tür stand. Es war einer von den Leuten, die sie nun am wenigsten sehen wollte. Was machte er auch hier?

Er sah sie lange an, bevor er sich wieder regte: „Jo, wir sollten reden.“

„Ich wüsste nicht worüber.“, sie wandte sich von der Wand ab und begab sich zwischen dem Tisch und den Sattelständern, die den Rest des Raumes einnahmen hinüber zu dem Sattel, den sie zuvor poliert hatte, um mit ihrer Arbeit fortzufahren. Danach würde sie diese Rumpelkammer ausmisten, bis man wieder die Sattelkammer erkennen konnte, die einst hier gewesen war.

Matsushima ließ nicht locker und schritt weiter in den engen staubigen Raum hinein, statt sie endlich in Ruhe zu lassen, was sie bedauerte: „Es hat sich einiges verändert.“

„Ja, hat es.“, sie sah nicht mal vom Sattel auf. Sie wollte, dass er ging und zwar sofort.

Als sie etwas rascheln hörte, sah sie auf. Er hatte sein Jaquett ausgezogen und es sich vorsichtig über den Arm gelegt. Wie er da so zwischen dem ganzen Dreck stand, konnte sie es sich nicht verkneifen: „Vorsicht, sonst machst du dich noch dreckig.“

Er sah sie wütend aus seinen braunen Augen an. Er versuchte diese Gefühlsregung zu überspielen, doch sie kannte ihn zu gut. Eine widerspenstige Haarsträhne fiel ihm ins Gesicht. Zu schade, wo er sie sich doch mit so viel Mühe aus dem Gesicht gekämmt hatte, dachte sie Sarkstisch.

„Jo, das ist mir doch egal.“

„Sieht aber nicht so aus.“, sie sah ihn einen Moment an, blickte ihm in die Augen und senkte ihre Aufmerksamkeit dann wieder auf ihren Sattel: „Du hast Recht, es hat sich so einiges verändert.“

Er atmete tief ein und fuhr sich mit der linken Hand durchs Haar, sodass noch mehr Strähnen entstanden, die sich auf seine Stirn schlichen: „Aber nicht alles.“

Sie antwortete ihm nicht, war aber offensichtlich nicht seiner Meinung. Er fuhr fort: „Ich will dir zum Beispiel immer noch nichts Böses.“

Jetzt sah sie ihm verstimmt ins Gesicht und hielt mit dem Polierlappen auf dem Sattel inne: „Ach nein? Kommt mir nicht so vor.“

„Dann irrst du dich.“

„Und was genau soll dein guter Wille bei all dem Mist hier sein?“, sie kontrollierte ihre Stimme, war aber noch wütender als zuvor.

Er machte einen Schritt auf sie zu und stellte fest, dass er wirklich versuchte nicht dreckig zu werden. Es kümmerte ihn nicht. Er musste sich von ihr nicht vorwerfen lassen, dass er sich verändert hatte, schließlich hatte sie es ja auch getan: „Ihr macht kaum noch Umsatz. Denkst du etwa allen Ernstes, dass ihr den Gasthof retten könnt?“

Sie schluckte. Er hatte einen wunden Punkt erreicht: „Selbst wenn ich will, geht es dich nichts an. Und sag mir gefälligts nicht, was ich kann und was nicht. Ich hab es noch nicht mal versucht Herr Gott noch mal.“, sie zog sich wütend die grüne Lederschürze über den Kopf, die verhindert hatte, dass sie ihre Bluejeans und ihr brauens Shirt beschmutzte und pfefferte sie in eine Ecke, was eine Staubwolke aufwirbelte.

„Was mich das angeht? Gut, dann mach doch, wenn du es unbedingt versuchen willst. Aber lass dir eins gesagt sein, je länger du wartest, desto geringer wird der Preis werden, den du für den Saustall hier bekommst.“, er umfasste mit einer Geste den ganzen Raum: „Du weißt genau, dass es hier irgendwann überall so aussehen wird, egal wie sehr du dich abrackerst.“

„Ach und was ist deine gute Absicht? Mir die schwere Bürde abzunehmen, hier alles wieder auf vordermann zu bringen?“, ihre Stimme triefte vor Sarkasmus.

Er schmiss sein Jaquett auf einen der Sättel und stürmte auf sie los, bis er sie gegen die Regalwand getreiben hatte und seine Hände rechts und links von ihrem Kopf am Regal abstützen konnte. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, dass ihr aber durch Mark und Bein ging, auch wenn sie es niemals zugeben würde: „Meine Absicht ist, dich daran zu hindern, mit noch weniger Kohle hier rauszugehen, als du sie jetzt schon bekommen wirst. Du wirst dich in den Ruin treiben, bis du verkaufen musst, wenn du es versuchst und das weißt du genauso gut, wie ich!“

Sie sah ihm widerspenstig in die Augen und schob den Unterkiefer vor: „Und selbst wenn, dann ist es mein Ruin und der geht dich nichts an.“

Er sah an ihr herunter und begegnete dann wieder ihrem Blick. Sie musste zu ihm aufsehen, weil er ein gutes Stück größer war, als sie. Das konnte sie allerdings nicht beeindrucken. Ihre Stimme wurde wieder sarkastisch: „Vorsicht, sonst wirst du am Ende doch noch dreckig.“

Er kochte vor Wut. Diese dumme Gans. Sie hatte nichts dazu gelernt, gar nichts! Er wusste genau, wenn er jetzt nicht ginge, würde er etwas tun, was er später bereuen würde, wie zum Beispiel sie zu schütteln, bis sie es endlich begriff.

Stattdessen sah er sie noch einmal lange abschätzend von ihren Schuhspitzen bis hinauf zu ihren Augen an. Sein Blick wurde sanfter, was er zwar nicht bemerkte, aber ihr keines Falls entging. Ohne es wirklich zu bemerken, näherte er sich ihrem Gesicht.

Sie hob ihre Hand unter sein Kinn und zwang ihn ihr wieder von ihren Lippen in ihre Augen zu sehen und sah ihn mit vor Wut dermaßen kochenden Augen an, dass sich sogar ihre Augenbrauen zusammenzogen: „Vergiss es!“

Sie stieß ihn von sich und er blieb in einiger Entfernung vor ihr stehen. Als sie ihn musterte, erkannte sie, dass er verwirrt war und vor sich hinstarrte. Nach einem Moment hatte er sich wieder gefangen. In diesem Raum wirkte er wahrlich übergroß.

Er sah ihr wieder fest in die Augen: „Ich bleibe noch eine Weile, falls du dir deine Antwort was den Hof betrifft noch mal überlegst. Aber lass dir eins gesagt sein. Mein Boss wird nicht ewig warten.“

Er machte auf dem Absatz kehrt, ergriff im Gehen sein Jaquett und verließ den Raum ohne sich ein weiteres Mal umzudrehen. Zu schade, sonst hätte er gesehen, wie verletzlich ihr Gesichtsausdruck in dem Moment geworden war, in dem er sich umgedreht hatte. Sie würde es niemals zugeben, aber das eben war ihr doch verdammt nahe gegangen. Sie brauchte eine Weile, bis sie sich wieder gegen alles abgeschottet hatte und wandte sich mit einem saftigen Tritt gegen eine der Sattelstützen wieder ihrem Sattel zu. Der Tritt hatte so viel Staub aufgewirbelt, dass sie wieder von vorne beginnen konnte.
 

„Cut!“, Shingai war zufrieden. Wenn er ehrlich war, hatte er zwar damit gerechnet, dass sie gut miteinander harmonieren würden, doch er hatte nicht gedacht, dass Kyoko ihm doch würde ausweichen können. Als er sie damals gesehen hatte, war sie noch lange nicht soweit gewesen. Damals hätte sie niemals so kühl reagieren können, während Ren sie taxierte.

Er war stolz. Sowohl auf seine Schauspieler als auch auf die Wahl, die er getroffen hatte. Es war eindeutig richtig gewesen.

Die beiden hatten sich schon am Fernsehen eingefunden. Kyoko war ganz verstaubt von den letzten Minuten, die sie in dem kleinen Räumchen verbracht hatte. Als sie herausgekommen war, hatte sie wie am Spieß gehustet.

Ren war immer noch dabei, ihr den Rücken abzuklopfen, während sie vergeblich versuchte, den Staub mit ihren Fingern aus ihrem Haar zu entfernen.

Sie sahen sich alle Takes an, die sie gemacht hatten und nach Shingais Ruf, der noch auf dem letzten Take zu hören war, mussten alle lachen, als sie sahen, wie Kyoko in Selbstbeherrschung zuckte und dann ihren Hustenanfall bekommend den Raum verließ.

„Es war wirklich klasse. So hatte ich es mir vorgestellt, aber mit Kamera vier stimmt was nicht, weshalb wir das ganze jetzt noch mal machen müssen.“, er musterte Kyoko, die ihn mit ihrem verstaubten Gesicht ansah: „Vielleicht lässt du dich drüben abblasen und dann, ähm.... dann machen wir das Ganze noch mal, aber ohne deinen letzten Kick. Der war übrigens klasse.“, er grinste sie breit an.

Ihrer Kehle entrang sich ein neuerliches Husten, woraufhin ihr Ren lachend auf den Rückenklopfte und somit noch mehr Staub aufwirbelte. Die Crew um sie herum zog sich in einem etwas größeren Abstand zurück.

Kyoko sah ihn zurechtweisend an, während sie zur Makse hinüber gingen, um sich irgendwie das Staubs zu entledigen: „Das ist nicht witzig.“

„Doch ist es.“, er lachte immer noch.

„Und was genau ist so lustig?“

„Nun ja, du hast dich wirklich nicht gegen die Wand spielen lassen, alle Achtung.“, er gluckste noch ein letztes Mal: „Aber im Endefekt bist du doch irgendwie der begossene Pudel.“

Sie grinste ihn für einen Moment breit an. Ihre Zähne hoben sich gegen den Staub in ihrem Gesicht ab, als sie Olivia erreichten.

„Ach du Schande, was ist denn mit dir passiert?“, sie war geschockt.

„Tja, es war etwas staubig.“

„Jetzt sag nur noch, dass ihr die Szene noch mal drehen müsst.“, Olivia seufzte tief.

„Ähm, zu meiner Verteidigung: Kamera vier ist Schuld. Ich hätte sofort das OK bekommen.“

Olivia deutete mit der rechten Hand auf einen kleinen Raum neben den Umkleiden: „Geh duschen, ich beschaff dir die Klamotten und dann richten wir dich wieder her.“

Es wurde Tag und es wurde Abend 6

Sie war zufrieden. Sie war wahrlich zufrieden mit sich selbst. Es war nicht wirklich eine schwere Szene gewesen, wenn man mal von seiner Wut und seinen aufreizenden Blicken absah, aber sie hatte sich dennoch nicht von ihm an die Wand spielen lassen!

Nun saß sie wieder bei Olivia, die ihr die Haare zu einem Pferdeschwanz hochsteckte und wie wild auf sie einplapperte, was sie gar nicht wirklich bemerkte. Die nächste Szene würde sie mit Maiko drehen. Es würde eine klassische Geschwisterszene werden und danach könnte sie dann endlich nach Hause fahren. Sie war ganz schön geschlaucht, was sie sich allerdings nicht anmerken lassen wollte.

Es klopfte an der Tür: „Kyoko?“, Kessy steckte den Kopf herein: „Hör mal, ich hab noch einen Termin in der Argentur. Tsuruga-san meinte, er würde dich nach Hause bringen. Ist das in Ordnung für dich?“

Kyoko erhob sich von ihrem Stuhl. Nach einem Moment seufzte sie und gab sich geschlagen: „Na schön. Aber ich könnte auch mit der Straßenbahn fahren.“

„Das schlägst du ihm am Besten selbst vor. Ich kann mir seine Antwort schon denken und nur zu deiner Information, er hat Recht!“

Kyoko runzelte die Stirn und sah sie verständnislos an: „Wie willst du das wissen, wenn du noch nicht mal seine Antwort gehört hast?“

Kessy verdrehte ihre grauen Augen und verschwand wieder durch die Tür. Kyoko fing die Tür ab, bevor sie zufallen konnte und ging ihr nach: „Sag mal, was ist das eigentlich für ein Termin?“

„Nichts besonderes. Mach dir keine Sorgen, ich mach das schon.“, die Managerin fuhr sich mit der rechten Hand im Gehen durch ihre kurzen Haare, die hinten etwas kürzer waren als vorne und ihr dort nur bis zum Kinn reichten.

Kyoko blieb stehen und sah ihr verwirrt hinterher. Wenn es nicht so wichtig war, konnte sie es ihr doch erzählen. Wenn es sich allerdings um etwas drehte, was sie nicht wissen sollte, konnte es sich nicht um etwas harmloses handeln, ergo war es wichtig. Sie hatte eine dunkle Vorahnung von ihrer Managerin, die sich heimlich mit dem Präsidenten traf, um ihm zu sagen, dass er sich keine Sorgen machen musste und ihm von ihrer Arbeit berichtete.

Kyoko seufzte. Was redete sie sich da nur wieder ein? So ein Unsinn! Kessy Keller war ihre Managerin und keine Spionin oder Feindin. Und selbst wenn sie sich mit ihm traf, würde sie ihr den Rücken stärken und sie nur davor schonen wollen, sich zu viele Gedanken zu machen. Vielleicht war es ja auch einfach nur ein gewöhnlicher Termin, war doch möglich.

Sie seufzte erneut. Kessy war nun ihre geringere Sorge. Viel dringender war, wie sie den Schauspieler davon überzeugen wollte, dass sie mit der Straßenbahn fahren konnte. Kessy hatte Recht, draußen war es schon dunkel und er würde sie niemals alleine auf der Straße herumlaufen lassen, nicht um 22.00 Uhr abends.

„Na? Bist du fertig für die nächste Szene?“, drang seine Stimme plötzlich von hinten an ihre Ohren.

Sie wandte sich überrascht um, ließ sich aber nichts anmerken: „Ja. Hören Sie, Sie müssen nicht auf mich warten.“, sie ließ ihn stehen.

Er drehte sich um, damit er ihr folgen konnte: „Was ist, wenn ich es aber möchte?“

Kyoko warf ihm einen Blick von der Seite her zu, während sie auf das nächste Set zuging: „Dann haben Sie ein Problem.“

„Ach, und weshalb?“

„Weil ich Ihr Angebot zwar zu schätzen weiß, glaub Sie mir. Aber ich möchte die Straßenbahn nehmen.“

Er blieb plötzlich stehen und verschränkte die Arme vor der Brust: „Gut, dann fahr ich eben mit dir und setz dich vor deiner Haustür ab.“

Sie war wie vom Donner gerührt und hatte bereits ein Bild von ihm in der Straßenbahn vor Augen, der sich vor Fans nicht mehr retten konnte. Sie hatte ein kleines Dejavú. Wenn sie sich nicht irrte, hatte sie ihn damals aus diesem Grund mit dem Fahrrad zum nächsten Job gefahren, als das Taxi im Stau stecken geblieben war.

Sie wandte sich zu ihm um. Dieser Mann war unsagbar naiv, wenn es um seine eigene Berühmtheit ging: „Vielen Dank, aber ich denke, ich bin schneller, wenn ich alleine fahre.“

Er kam auf sie zu und blieb kurz vor ihr stehen: „Das bezweifle ich. Denn wenn es dir um Schnelligkeit geht, wäre mein Auto die bessere Wahl.“

Sie seufzte. Verdammt.

„Kyoko-chan, komm bitte, wir möchten anfangen.“, Shingai winkte ihr vom Set her zu, das nur noch einige Meter von ihnen entfernt war.

Sie wandten sich wieder einander zu und Ren lächelte sie siegessicher an: „Also ich warte dann hier.“

„Sie langweilen sich doch bestimmt nur.“

„Wieso sollte ich? Ich kann ja schließlich zusehen, wie du deine letzte Szene in den Kasten bringst.“

„Ich wüsste nicht, was daran so interessant sein sollte.“

Er sah ihr tief in die Augen, was ihr ein merkwürdiges Gefühl den Magen hinunter laufen ließ: „Es ist faszinierend.“

Sie wandte sich schweigend von ihm ab, ein kleines Schmunzeln auf den Lippen, damit er nicht sehen konnte, was sie schon gespürt hatte. Sie fühlte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg.
 

„Du überraschst mich immer mehr.“, Yashiro lehnte sich mit verschränkten Armen an die Säule neben ihm.

„Ich weiß nicht, was du meinst.“, Ren nahm nicht einen Moment lang den Blick von der Szene, die gerade vor ihm gedreht wurde, lehnte aber gleichfalls an der Säule mit vor der Brust verschränkten Armen.

„Nun ja, du bist irgendwie agresiever geworden.“, der Manager sah ihn schel von der Seite her über seine Brillengläser hinweg an: „Du provozierst sie, schmeichelst ihr, bringst sie nach Hause... Was kommt als nächstes? Ein Kuss?“

Ren sah ihn überrascht an: „Ich mache nichts, was ich nicht auch vorher getan hätte. Ich habe sie schließlich schon früher nach Hause gefahren.“

„Du willst wissen, was du anders machst?“, Yashiro glaubte nicht wirklich, dass er es ihm noch sagen musste, war sich allerdings bie dem Schauspieler nicht so ganz sicher. Wie konnte er auch. Ren war gelegentlich schon erstaunlich Blind, wenn es um ihn selbst ging.

Ren schwieg einen Moment, unsicher, was er nun antworten sollte: „Schieß los.“

Yashiro löste seine Arme aus der Verschränkung und legte ihm eine Hand auf die freie Schulter: „Du flirtest, mein Lieber.“

„Unsinn.“, er schon die Hand von seiner Schulter, schüttelte den Kopf und wandte sich wieder Kyoko zu, die sich gerade mit Maiko unterhielt und dabei eine perfekte Performance ablieferte.

„Doch doch. Und weißt du, was noch merkwürdiger ist?“

„Ich bin gespannt.“, seine Stimme klang eher genervt als neugierig und er sah seinen Manager noch immer nicht an.

„Nun ja,“, Yashiro nahm wieder seine alte Haltung ein und antwortete ihm in desinteressiertem, nahzu beiläufigem Ton: „Sie geht drauf sein.“

Ren starrte ihn an. Stimmte das? Gut, sie war offener geworden, aber sie hatte sich nicht sonderlich verändert, soweit er das beurteilen konnte.

„Nun guck nicht so.“, der Manager seufzte: „Deshalb wollte ich eigentlich nicht mit dir reden.“

Ren hing weiter seinen Gedanken nach und antwortete ohne wirklich zu merken, was er tat: „Weshalb dann?“

Yashiro holte tief Luft. Er war sich gänzlich im Klaren, was er nun anrichten würde, doch es war wohl besser, wenn er es ihm gleich erzählte und nicht erst wartete, bis er es aus den Medien erfuhr: „Tja, also ich habe mich vorhin mit Ms. Keller unterhalten.“

„Und?“, immernoch keine Aufmerksamkeit, der Manager verlor seine Gewissensbisse.

„Kyoko war heute bei einem Dreh zu einem Musikvideo.“, machte eine kurze Pause, bevor er die Bombe platzen ließ: „Einem Video mit Sho Fuwa.“

Ren sah zu ihm auf, ohne auch nur ein Wort zu sagen und wartete, dass der Manager fortfuhr, denn es war offensichtlich, dass es noch mehr zu diesem Thema zu sagen gab.

„Sie meinte, er wäre echt komisch gewesen, vorallem nach der Kussszene.“, Yashiro sah ihn schel von der Seite an und bemerkte zufrieden, dass Rens Gelassenheit aufrichtigem Schock gewichen war.

Er fuhr fort: „Sie meinte, Kyoko wäre danach irgendwie sauer gewesen, aber nachdem er sie aus ihrer Umkleide ausgesperrt hatte, damit sie ihn nicht einfach stehen ließ, wäre sie irgendwie gut gelaunt zu ihr hinein gekommen.“

„Wie meinst du das?“

Yashiro seufzte: „Er hat sie geküsst, die Szene war vorbei, sie ließ ihn stehen und zog wütend Richtung Umkleide ab. Bevor sie drin war, hat er ihr die Tür vor der Nase zugeschlagen und als sie schließlich doch rein kam, hatte sie gute Laune und Fuwa machte ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter.“

Ren kommentierte ihn nicht weiter, sondern sah wieder zu der jungen Schauspielerin hinüber, die er so liebte.

„Keller meinte, sie hätte sie darauf angesprochen und Kyoko hätte gesagt, sie hätte ihm gesagt, wie egal er ihr inzwischen wäre.“

Immernoch keine Reaktion.

„Ren, verstehst du, was ich dir sage?“

„Das geht mich nichts an.“

„Das würde ich so nicht sagen.“, Yashiro machte eine kleine Pause: „Sie hat offenbar von ihrer Rache abstand genommen. Wenn er ihr egal ist, ist sie ihm nicht mehr wütend, ergo beudeutet er ihr nichts mehr. Was heißt das dann wohl für dich.“
 

Sie streckte sich müde, als sie aus der Umkleide kam, ihre Tasche über der Schulter, den Mantel eng um die Hüfte geschlungen.

„Wie soll ich dich nun Heim bringen? Bahn oder Auto?“, Ren lehnte mit dem Rücken an der Wand gegenüber, um ihn herum ein reges Treiben von Leuten, die das letzte Set soweit herrichteten, dass sie es ohne Probleme am nächsten Tag wieder würden nutzen können. Seine Arme waren vor seiner Brust verschränkt. Das weiße Hemd, das er trug, war am Kragen weit geöffnet, sodass sie die kleine Mulde unter seinem Adamsapfel sehen konnte. Die Beine, die in einer schwarzen Jeans steckten, hatte er an den Knöcheln überkreuzt.

Sie atmete tief ein. Sie konnte den Kampf sowieso nicht mehr gewinnen, also war es wohl das Beste, wenn sie sich einfach geschlagen gab: „Auto. Aber das ist eine Ausnahme!“

Er lächelte sie offenherzig an: „Ein Glück, sonst müsste ich noch mal her kommen, um meinen Wagen zu holen.“

„Sie könnten sich die ganze Prozedur auch sparen, in dem Sie einfach nach Hause fahren.“, schlug sie in einem letzten Versuch lächelnd vor. Er tat es mit einem Seufzen und einer wegwerfenden Handbewegung ab, während er einfach an ihr vorbei in Richtung Tiefgarage ging.

Sie zog ihre Tasche weiter ihre Schulter hinauf und folgte ihm schweigend. Er fand ihr Spiel faszinierend. So hatte er es doch zuvor gesagt, als er sie so merkwürdig ernst und gleichzeitig sanft angesehen hatte.

Es hatte sich sowieso einiges verändert. Er war irgendwie anders als früher. Es war fast, als hätte er diesen Graben von dem er damals erzählt hatte, überwunden. Okay, er hatte es nicht so bezeichnet, sondern es eher umschrieben, aber das änderte nichts an der Tatsache selbst. Vielleicht überlegte sie, als sie ins Auto stiegen, vielleicht hatte er ja sogar endlich mit dieser Frau gesprochen und seine Gefühle zugelassen. Das würde zumindest erklären, weshalb er so anders war, seit sie aus Amerika zurück war. Außerdem hatte er diese Last, was genau sie auch immer war, nun wahrlich lange genug mit sich herum getragen.

Sie seufzte. Diese kleinen offenen Gespräche mit ihm, wenn sie der Hahn war, vermisste sie irgendwie. Sie war nun ja auch schon lange genug nicht mehr als Bou aufgetreten.

„Mogami-san, hörst du mir noch zu?“, er bremste an der nächsten Ampel, sodass er an der Haltelinie zum Stehen kam. Das rote Licht der Ampel verfärbte seine Gesichtsfarbe minimal.

Sie schreckte auf und erwiederte seinen Blick noch ganz verdattert: „Entschuldigen Sie, was haben Sie gesagt?“

„Wo warst du denn gerade?“, er sah wieder aus der Frontscheibe und gab Gas, als die Apel wieder auf Grün sprang.

„In meinem Bett, ich bin echt müde.“, sie strich sich eine Haarsträhne hinter ihr rechtes Ohr: „Was hab ich denn nun verpasst?“

„Ich hatte dich gefragt, wie er dir in deiner Wohnung gefällt.“, wiederholte er freundlich und setzte den Blinker, um in die nächste Straße abzubiegen.

„Oh, sie ist ganz okay. Ich fühle mich wohl.“, sie warf ihm einen Blick zu und gluckste kurz: „Ihnen würde es bestimmt nicht gefallen.“

„Ach ja? Wieso?“

„Nun ja, es ist kleiner und enger. Ihre Wohnung ist im Vergleich dazu riesig.“, sie lächelte offenherzig durch die Windschutzscheibe, während sie sprach: „Aber wie gesagt, mir gefällts.“

Er konnte schon an ihrem bloßen Blick erkennen, dass es so war. Sie schien ganz vernarrt in ihr neues Heim. Da fiel ihm etwas ein: „Tja, ich kann nicht wissen, ob sie mir gefällt. Ich hab sie noch nie gesehen.“

Stimmt. Sie hatte ihn noch nicht eingeladen, dabei wohnte sie nun schon eine ganze Weile dort. Er hatte nicht mal die Adresse gewusst, bevor er sie an diesem Abend gefragt hatte. Sie spürte, wie sich ihr Gewissen regte und sich ihr Magen verkrampfte: „Haben Sie denn heute schon etwas gegessen?“

„Ja, auch wenn es wohl kaum vorstellbar für dich erscheint.“, er lachte. Immer die gleichen Sorgen. Aber dieses Mal nutze sie es aus, um das Thema zu wechseln. Vielleicht hätte er es nicht ansprechen sollen, dann würde es nun nicht so an ihm nagen.

Zuerst wollte sie sein Angebot, nach Hause gebracht zu werden, nicht annehmen und nun das. Okay, mit der Bemerkung war er fast schon etwas aufdringlich gewesen, wenn er so darüber nachdachte, aber das änderte auch nichts.

Kyoko ging schnell den Inhalt ihres Kühlschranks und ihre Getränkevorräte durch: „Was gabs denn heute Abend?“

Er atmete tiefer ein. Erwischt! Er seufzte: „Ein wenig Reis und später noch einen Energieriegel.“

Sie wandte sich so abrupt in ihrem Sitz um, dass er von der Seite her den Eindruck hatte, sie wäre einige Zentimeter in die Höhe gesprungen: „Was? Tsuruga-san, das ist doch kein Abendessen! Haben sie sich denn kein Lunchpaket genommen?“

„Hast du es denn?“, die Frage war eigentlich überflüssig, denn er hatte gesehen, dass sie sich nichts genommen hatte.

Sie schmunzelte: „Was halten Sie davon: Ich habe noch ein paar Kleinigkeiten im Kühlschrank, aus denen ich uns was zaubern könnte. Bleiben Sie zum Essen?“

Er trat auf die Bremse und kam vor einem Zebrastreifen zum Stehen, während er sie überrascht ansah: „Du must dir doch jetzt keine Umstände mehr machen.“

„Mach ich auch nicht. Sie sind sowieso da und ich muss ja auch noch etwas essen.“, versuchte sie ihn zu überzeugen: „Und selbst wenn es nicht so wäre, ist es doch immer noch meine Entscheidung mir die Arbeit zu machen oder nicht. Ich hätte das schon nicht getan, wenn ich es nicht wollte. Und so können Sie auch mal meine Wohnung sehen.“

Er starrte sie an.

„Tsuruga-san, der Zebrastreifen ist frei und unser Hintermann hubt schon ungeduldig.“, sie wollte ihm ja nicht reinreden, aber sie war auch nicht gerade erspicht darauf mit dem anderen Autofahrer Bekanntschaft zu machen. So oder soe war die Situation irgendwie unangenehm. Er betätigte das Gas, nachdem er den ersten Gang eingelegt hatte und antwortete ihr schließlich: „Nun ja, wenn das so ist.“

Sie lächelte. Na also.

Es wurde Tag und es wurde Abend 7

Kyoko schloss die Tür zu ihrer Wohnung in dem zweistöckigen Arpatmentgebäude auf und betrat vor Ren ihren kleinen Flur. Der Schauspieler war ihr ganz der Gentleman in das Gebäude, durch die untere Etage mit den vier Apartments die Wendeltreppe hoch zu ihrer Wohnung gefolgt und hatte dabei immer auf ihren Vortritt bestanden.

Auf ihrer Etage gab es weitere drei Wohnungen neben ihrer Eigenen doch es war offenbar schon spät genug, dass sich ihre Nachbarn entweder in ihre Aparments verzogen oder auf den Weg zu einer Feier oder Verabredung gemacht hatte.

Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, spürte sie Rens Anwesenheit fast überdeutlich, was ihr einen Knoten in der Magengegend schuf. Nur nicht nervös werden!

Sie schlüpfte schnell aus ihren Stiefelletten, zog sich ihre Hausschuhe an und stieg über die kleine Stufe hinweg zu einem Schuhschrank, der direkt daneben stand, um dem Schauspieler ein paar Hausschuhe heraus zu nehmen.

Sie reicht sie ihm: „Ich weiß nicht, ob sie passen, aber Sie können es ja mal versuchen. Die benutzt der Chef immer, wenn er mit der Okami-san zu Besuch kommt.“

Er nahm ihr die Schuhe dankbar aus der Hand: „Kommen sie denn oft her?“

„Gelegentlich an den Wochenenden.“, sie wandte sich von ihm ab, nachdem sie ihm seine Jacke abgenommen hatte und ging zu einer kleinen Garderobe hinüber, die an der Wand gegenüber der Haustür stand, während er sich die Schuhe aus und an zog: „Aber meistens besuche ich sie. An den Wochenenden ist eben Hochbetrieb. Ich helfe dann manchmal in der Küche aus, damit der Chef hinter die Theke kann, um der Okami-san im Ausschank zu helfen.“

Sie wandte sich wieder um, als sie ihren Mantel zu seiner Jacke gehängt hatte und bemerkte, wie er sich in dem kleinen Flur mit dem Dielenboden und den weißen Wänden umsah, in die je eine Tür eingelassen worden war. Sie folgte seinem Blick zu dem Schuhschrank, der von der Haustür aus an der linken Wand vor der Wohnzimmertür stand, zu der Garderobe hinter ihr rechts von ihrer Schlafzimmertür.

„Falls Sie sich vor dem Essen noch die Hände waschen möchten, ist das Bad hier drüben.“, Kyoko deutete auf die Tür an der von ihm aus gesehen rechten Wand.

„Danke.“, er verschwand durch die Tür, währends sie den Anrufbeantworter betätigte. Das Telefon stand auf dem Schuhschrank.

Ren schloss die Tür hinter sich, als Kessy’s Stimme aus dem Flur an seine Ohren drang und sah sich um.

Links von ihm befand sich der Waschschrank, der an der Wand hing und über dem ein Hängeschrank mit einem Spiegel und zusätzlichem Stauraum schwebte. Darauf folgte eine kleine schlichte Eckwanne, die an die Wand gegenüber von ihm grenzte. Kyoko hatte ihre Seifen darauf abgestellt, die mit ihrem Duft den ganzen Raum erfüllten. Rechts von ihm an der Wand stand ein Badezimmerschrank mit einer Tür und einigen Schubladen. Auf ihm lag ein zusammengefaltetes grünes Badetuch. Darauf folgte eine Dusche, die zugleich auch dazu genutzt wurde, die Toilette dahinter so zu verstecken, dass man sie von der Tür aus nicht sehen konnte. Sie hatte eine runde Front aus Milchglas, sodass man kaum hinein sehen konnte. Zwischen Toilette und Wanne stand eine Palme unter einem schönen Panoramabild.

Auf den großen Bodenfließen lag ein großer Teppich.

Er ging zum Waschbecken hinüber, wusch sich die Hände un nahm am Rande seines Bewusstseins war, dass es im Flur still geworden war. Er trocknete sich seine Hände an einem Handtuch unter dem Becken ab, während er sich das Bild über der Palme ansah, das einen Strand zeigte und verließ das Bad wieder durch die Tür.

Er hatte Recht gehabt, sie war schon weiter gegangen, aber sie hatte die Tür hinter sich geschlossen. Fifty-fifty-Chance. Verdammt! Wenn er nicht nach ihr rief, sondern einfach sein Glück versuchte, konnte er vielleicht einen Blick auf ihr Schlafzimmer erhaschen. Er war einfach zu neugierig. Wenn er sich dabei erwischen ließ, konnte er sagen, er hätte sich verlaufen. Aber anderer Seits war es einfacher nach ihr zu rufen. Sie würde es ihm bestimmt vorhalten, wenn er sagte, er hätte sich verlaufen. Das war ja auch schon eine ganz schön schwache Ausrede.

Er seufzte: „Mogami-san?“, die Vernunft hatte also gesiegt.

Sie öffnete die Tür ihm gegenüber, eine Schürze um die Hüfte geschlungen und lächelte ihn an: „Hier bin ich. Entschuldigen Sie, ich hätte die Tür offen lassen sollen.“

„Ist schon gut.“, er erwiederte ihr Lächeln und folgte ihr in den Raum. Dieser war im Loftcharakter gestaltet, wenngleich er nicht sonderlich groß wirkte. Rechts von ihm stand ein Regal, in dem Kochbücher standen. Es war noch recht leer, denn sie hatte noch nicht sonderlich viele davon. Allerdings waren die angesammelten Bücher schon ganz schön abgenutzt und zerflättert. Neben dem Regal ragte ein kurzes Stück Wand in den Raum ungefähr in der Breite des Regals.

Als er der Wand um die dadurch entstandene Ecke folgte, erblickte er ein kleines Zweisitzersofa vor einer Fensterwand, die die ganze Wand füllte und bis ins obere Stockwerk reichte. An der Wand gegenüber des Sofas stand ein kleiner Fernseher und daneben eine kleine Stereoanlage, beides auf je einem kleinen Holzschränkchen. In der Mitte auf einem runden Teppich, der den Holzboden weiträumig bedeckte, stand ein kleiner Tisch, auf dem eine Fernsehzeitschrift und die Fernbedienung lagen.

„Setzen Sie sich doch.“, forderte ihn Kyoko auf und deutete auf das Sofa: „Was darf ich Ihnen zu trinken anbieten?“

Er folgte ihrer Aufforderung, ging an dem Sessel vorbei, der mit dem Rücken zur Küche stand und lie0 sich auf das Polster sinken. Es war extrem bequem, auch wenn es aussah, als würde man hoffnungslos darin versinken: „Ein Wasser, bitte. Danke.“

Sie wandte sich von ihm ab und ging auf den Kühlschrank zu: „Kalt oder auf Zimmertemperatur?“

„Zimmertemperatur reicht mir.“, er lächelte sie offenherzig an, was sie allerdings nicht sehen konnte, da sie mit dem Rücken zu ihm stand. Er wusste ja, dass sie schon mal als Kellnerin gearbeitet hatte, aber ihm war nicht klar, dass sie immer noch von jetzt auf gleich wieder in diesen Modus verfiel. Ihr offenbar auch nicht.

„Okay.“, sie holte eine Flasche aus einem der Küchenschränke, wie er vermutete, denn er konnte es nicht genau sehen, da ihm die halbhohe Wand im Weg war, die die Küche vom Wohnbereich trennte, nahm ein Glas aus einem Hängeschrank, füllte es mit Wasser und stellte es mit der Wasserflasche vor ihm auf dem Tisch ab: „Bitte.“

„Wie lange genau lebst du hier jetzt schon?“, er folgte ihr mit den Augen zurück in die Küche. Sie hatte ihm nie erzählt, dass sie umziehen wollte und daher wusste er auch nicht, wann sie umgezogen war.

Sie überlegte kurz und zerhackte unterdessen eine Zwiebel in kleine Würfel: „Hm...Ich bin hier eingezogen bevor ich nach Amerika geflogen bin, also schon eine ganze Weile.“, sie sah zu ihm hinüber: „Es fühlt sich aber teilweise immer noch so an, als wäre es erst gestern gewesen.“ Sie sah vor sich hin, als wäre sie ganz woanders, während sie das Messer neben der Zwiebel in der Schwebe hielt.

„Wieso das?“, er behielt das Messer im Auge, aus Angst sie könnte sich mit ihrer Abgelenktheit verletzen und lehnte sich in dem Sofa zurück, nachdem er einen Schluck getrunken hatte und das Glas wieder auf dem Tisch abgestellt hatte. Den linken Arm hatte er auf der Rückenlehne angewinkelt und das rechte Bein in der gleichen Haltung auf der Sitzfläche abgelegt.

Sie schreckte kaum merklich hoch, sah zu ihm rüber, zuckte mit den Schultern und schob sich mit dem rechten Handrücken eine Haarsträhne zurück, das Messer noch in der Hand: „Nun ja, soweit ich zurück denken kann, habe ich eigentlich niemals zuvor wirklich alleine gelebt.“, sie machte eine kurze Pause und zerhackte die letzten Zwiebelscheiben in Stücke. Dann verschwand sie hinter der Wand und er konnte hören, wie sie nach einem Topf kramte: „Als Kind hatte ich zwar kaum Kontakt zu meiner Mutter, aber ich lebte bei den Fuwas, weshalb ich nicht alleine war. Danach kam ich mit Shotaro hierher, da haben wir uns eine Wohnung geteilt. Nun ja, wenn man das so sagen kann.“

Es freute ihn, dass sie so einfach und schmerzlos davon reden konnte, doch Fuwas Name erinnerte ihn an Dinge, an die er lieber nicht denken wollte. Er griff noch einmal nach seinem Wasserglas und warf einen Blick durch die Fensterfront nach draußen auf die Lichter Tokios, die aus seiner Wohnung viel weiter entfernt wirkten als hier. Es erinnerte ihn an seine Unterhaltung mit Yashiro zuvor. Er wollte nicht daran denken, atmete tief ein, vertrieb die düsteren Gedanken und wandte sich wieder ihr zu. Sie hatte ihn beobachtet, wie er nun überrascht feststellte.

Sie legte den Kopf schräg: „Ein Penny für Ihre Gedanken.“

„Ist nicht so wichtig.“

„Gefällt Ihnen die Aussicht?“

„Ja.“, er schmunzelte sie dankbar an. Es war besser, wenn sie dieses Thema nicht vertieften, es würde sonst den ganzen Abend zerstören: „Es ist nur so ungewohnt die Lichter aus dieser Nähe zu sehen.“

Kyoko wandte sich ihm zu, die linke Hand auf der Arbeitsfläche, die rechte in der Hüfte auf der Schürze abgestützt. Die Haare hatte sie sich am Hinterkopf zu einem losen Knoten zusammengebunden, aus dem einzelne Strähnen heraus hingen: „Das kann ich mir vorstellen.“, sie gluckste: „Ich habe Glück, dass ich keine Leuchtreklame vorm Fenster habe.“

Sie hatte sich in Amerika wirklich verändert. Sie war nicht nur erwachsener sondern auch attraktiver geworden, was er nun deutlicher bemerkte, als jemals zuvor. Selbst jetzt mit dieser merkwürdigen Frisur und der nun bespritzten Schürze. Auf ihn kamen schwere Zeiten zu.

Sie bemerkte offenbar seinen Blick, denn sie zog ihre Augenbrauen offenbar verwirrt zusammen, sodass kleine Fältchen dazwischen entstanden.

„Wieso eigentlich „wenn man das so nennen kann“?“, kehrte er zum Thema zurück.

Sie sah ihn immernoch einen Moment verdutzt an, begriff den Sprung, den die Unterhaltung nun nahm und ruderte zurück: „Zum Einen natürlich weil ich ja nur ein Hausmädchen für ihn war.“, sie wandte sich wieder dem Herd zu und rühte darin herum: „Klar, wir waren immer noch unter einem Dach, deshalb hat es auch eher weniger damit zu tun. Nein, dass ich so gut wie alleine war, lag schon eher daran, dass er so gut wie gar nicht mehr nach Hause kam, als er endlich erfolg hatte. Ich hatte also eine verdammt teure Wohnung, die er ausgesucht hatte und die ich im Alleingang zu finanzieren versuchte. Ich ackerte mich dafür mit verschiedenen Jobs gleichzeitig ab, dabei wollte er nie zurück kommen.“

„Und trotzdem ist es noch ungewohnt für dich?“

„Tja, ich habe damals gelebt um zu arbeiten und nicht gearbeitet um zu leben.“ , sie trank einen Schluck Wasser aus einem Glas, das sie sich aus dem Schrank geholt hatte und zuckte mit den Schultern, als sie es wieder auf der Arbeitsfläche abstellte: „Danach zog ich sofort in den Daruma-ya.

Er sah sie noch einen Moment an, dann wanderte sein Blick gedankenverloren zum Fließenspiegel über dem Herd: „Ich kann mich noch erinnern, wie es damals für mich war. Es wird noch eine Weile ungewohnt sein, aber mit der Zeit wirst du nicht mal merken, dass du dich daran gewöhnt hast, denn es wird normal für dich sein und diese Wohnung wird sich als dein zu Hause anfühlen.“

Sie lächelte ihn an: „Das hoffe ich doch!“

„Und ungemütlich ist es hier ja nun auch nicht.“, Ren sah sich noch einmal in dem kleinen Wohnbereich um und warf dann einen Blick auf die einfach Küche. Links von der Tür in der Ecke befand sich eine Wendeltreppe, unter der eine Zimmerpflanze stand. Daneben war der Kühlschrank an die Wandgestellt. Er hatte ein extra Eisfach und gewiss auch schon bessere Zeiten gesehen. Darauf folgte eine Küchenzeile, die aus einzelnen Schränken unter einer Arbeitsplatte bestand und sich vom Kühlschrank bis zur Ecke und von dort aus weiter zur halben Wand zog. In den Schrank vor der Ecke war die Spüle eingelassen worden und neben dem Schrank an der halben Wand war der Herd zwischen den Schränken verstaut, vor dem sie nun stand. Über dem Herd hing eine Dunstabzugshaube, die zwar sauber war, aber dennoch am verschliessendsten wirkte. Sie war umrandet von Hängeschränken, die bis zur Ecke über der Zeile hingen. Über der Spüle und dem Herd befanden sich Fließenspiegel. Alles in Allem war die Küche schon ziemlich alt, aber sie war noch nicht hässlich. Küchen waren eben sehr teuer, wenn er sich recht erinnerte.

Das Licht der alten Küchenlampe erhellte die fensterlose Küche mit den ebenso großen Fließen, wie es im Bad der Fall war.

Kyoko rührte in dem Topf und mischte Gewürze hinein. Es roch köstlich: „Es ist nur eine Suppe, aber die ist immer noch besser als Ihr Müsliriegel.“, sie schmunzelte ihn an, doch ihre Augen blieben ernst.

„Ich hatte auch Reis.“, okay, seine Verteidigung war wirklich schwach. Während sie wieder mit ihm schimpfte, sah er nach oben und erhaschte einen Blick auf den Balkon über der Küche. Es gab ein Geländer mit Scheibenfront, durch die er einen Stuhl, einen Teppich und offenbar noch ein Stück eines Tisches sehen konnte.

„Gefällt Ihnen denn die Wohnung?“, sie holte zwei Schüsseln aus einem der Hängeschränke und nahm noch zwei Löffel und eine Schöpfkelle aus den Schubladen, füllte die Suppe in die Schüsseln und kam zu ihm rüber.

„Ob du es glaubst oder nicht, mir gefällts.“, er nahm ihr dankbar die Schüssel ab und merkte bei ihrem Geruch, wie hungrig er war: „Sie ist zwar ein gutes Stück kleiner als meine, aber allein der Ausblick ist schon klasse. Du hast sogar was aus der alten Küche gemacht.“

„Danke.“, sie beobachtete ihn, wie er den Löffel an den Mund führte: „Vorsicht, sie ist sehr heiß.“

Es schmeckte köstlich. Wie sehr er das vermisst hatte, wurde ihm jetzt erst bewusst: „Und da oben hast du dann deinen Essbereich?“

„Ja, es sieht aber größer aus, als es tatsächlich ist. Nun ja, mir reichts.“

Er sah sie wieder lange an, was sie leicht verunsicherte. Es war sowieso schon seltsam ihn hier auf ihrer Couch sitzen zu sehen, aber dass er sie nun auch ständig so ansah, jagte ihr einen Schauer über den Rücken: „Was ist?“

Er fing sich wieder: „Ich dachte nur gerade, dass du dich verändert hast, seit du nach Amerika geflogen bist.“

„Das haben Sie schon mal gesagt. Sagen Sie mir denn jetzt auch, wie Sie es meinen?“, sie stellte die leere Schüssel vor sich auf dem Tisch ab und lehnte sich zufrieden aber neugierig im Sessel zurück.

„Hm... Du bist selbstsicherer geworden, als du es so schon warst.“, er platzierte auch seine Schüssel auf dem Tisch und fixierte sie weiter: „Yashiro meinte sogar, du hättest an Charme gewonnen. Ich muss ihm zustimmen.“

Sie sah ihm aufmerksam in die Augen nahezu unfähig seinem Blick zu entfliehen und spürte, wie ihr die Wärme in die Wangen kroch und sich ihr Herz weitete.

Er wischte sich mit dem linken Daumen etwas aus dem Muntwinkel, während er nachdachte. Er saß wieder genauso da, wie er es zuvor getan hatte, als sie die Suppe gekocht hatte: „Weißt du noch, wie du mir mal gesagt hast, du würdest dich selbst durch die Schauspielerei finden?“, er wartete nicht auf eine Antwort, da er wusste, dass sie es tat und fuhr fort: „Seit du zurück bist, ist es, als würdest du in vielen verschiedenen Farben schimmern. Als wärst du vorher nicht komplett gewesen und nun schon.“

Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Er fuhr fort: „Natürlich hast du dich positiv verändert. Aber selbst wenn du es nicht getan hättest,“, sie schluckte steif, während er seinen Satz beendete: „Wärst du dennoch etwas besonderes.“

Ihr Mund stand leicht offen, ihre Wangen schienen so heiß, dass sie nur darauf wartete, dass ihr der Schweiß ausbrach, weil sie verglühte und sie traute ihrer Stimme kaum, als sie schüchtern seinem Blick auswich und heißer sagte: „Danke.“

Ein peinliches Schweigen setzte ein. Sie sah auf ihre Hände in ihrem Schoß hinunter, die sie immer wieder ineinander verschränkte und löste.

Mist, warum hatte er es auch gesagt. Es war zu aufrichtig gewesen! Er hatte sie nur in jedem Winkel dieser Wohnung gespürt. Es war wie eine warme Decke, die sich um ihn legte, wodurch er sich so wohl fühlte, dass er jede Vorsicht fahren gelassen hatte. Ihm wurde bewusst, dass er zwar immer gedacht hatte, sich in seiner Wohnung zu Hause zu fühlen und er war sich sicher, dass er das auch immer noch konnte, doch es war trotzdem nicht vergleichbar zu dem, was er nun empfand, während er mit ihr zusammen Suppe aß und Wasser trank und einfach redete. Das machte ihm Angst.

Kyoko spürte das Schweigen fast körperlich auf ihr lasten. So etwas hatte ihr noch niemals jemand gesagt und es hatte sie fast zu Tränen gerührt. Aber sie hatte nicht weinen wollen. Im Nachhinein war sie auch froh, dass sie es nicht getan hatte, denn das hätte dieses Schweigen noch schlimmer gemacht, da war sie sicher.

„Du hast mir noch gar nicht von deinem Aufenthalt in Amerika erzählt.“

Beim Klang seiner Stimme sah sie überrascht zu ihm auf. Sie hatte hörbar eingeatmet. Offenbar brauchte sie noch einen Moment, denn sie sah ihn nur an, bevor sie schließlich mit einem erleichterten Lächeln anfing von ihren Jobs zu erzählen. Kuu hatte ihr offenbar bei einigen weiter geholfen.

Es wurde Tag und es wurde Abend 8

Riesige Augenringe begegneten ihm am Morgen. Nun gut, riesig empfand er sie nur, weil es seinem Image schaden konnte, aber sie waren dennoch vorhanden und störten ihn gewaltig. Er hatte doch letzte Nacht Kyoko nach Hause gebracht, dann musst es wohl eine längere Nacht gewesen sein.

„Sag nichts.“

„Willst du es mir nicht freiwillig erzählen?“

„Nein, aber das hindert dich ja doch nicht daran, mir den letzten Nerv zu stehlen.“

„Stimmt,“, Yashiro schmunzelte, schob sich seine Brille weiter die Nase hinauf und sah weiterhin seinen Schützling an, der nun wahrlich etwas gegen seine Ringe unter den Augen tun musste.

Es war einfach zu gut! Ren hatte alleine damit angefangen, ohne dass er auch nur einen Satz gesagt hatte. Insgeheim frohlockte er! Dann wäre er heute gewiss leichter zu knacken: „Also, wenn du mir nichts sagen möchtest, rate ich einfach mal ins Blaue hinein.“

Er sah Ren gespannt an, der aber beharrlich schweig und fuhr fort: „Du hast sie nach Hause gefahren, sie hat dich mit in ihre Wohnung genommen und dann...“, er schenkte dem Schauspieler einen vielsagenden Blick und ließ den Rest des Satzes absichtlich offen.

Der verschlafene Ren brauchte noch einen Moment, bis er begriff, was sein Manager meinte und riss die Augen auf, als dieser fortfuhr: „Als die Sonne aufging, bist du dann langsam wachgeworden und hast dich so richtig beeilen müssen, um von ihrer Wohnung aus hier her zu kommen und hattest daher auch keine Zeit mehr etwas gegen diese Ringe unter deinen Augen zu unternehmen. Bist du nicht tot müde?“

„Ja, bin. Aber das hat andere Gründe, als du denkst.“, er war verstimmt.

„Ach und welche?“, Yashiro ließ immer noch nicht locker auch wenn er es merkte.

„Vielleicht solltest du dir mal eine Freundin zulegen, meinst du nicht? Dann hättest du genug mit deinem eigenen Leben zu tun.“

Der Manager sah ihn zuerst erschrocken und dann belustigt an. Der war ja ganz schön muffelig: „Du musst doch mal über sowas reden, wo du dir mit dem Thema immer so herrlich selbst im Weg stehst. Außerdem weist du doch, dass ich mir sonst meine eigenen Gedanken mache.“

„Die du mir natürlich auf die Nase binden musst.“

Yashiro gluckste: „Natürlich, sonst erfahre ich ja nicht, ob ich noch auf dem Laufenden bin.“

Ren seufzte tief. Wenn er sich also nicht den letzten Nerv rauben lassen wollte, musst er reden. Na toll!

„Zu meiner Verteidigung, ich dachte, ich würde nur zum Essen bleiben und wir mussten heute beide nicht früh raus.“

Der Manager riss die Augen auf: „Also hatte ich doch Recht.“

„Nein.“, der Schauspieler strich sich genervt die Haare über den Kopf zurück, während sie weiter den Gang entlang schritten: „Wie haben über ihre Wohnung und über ihren Aufenthalt in Amerika gesprochen und die Zeit vergessen. Irgendwann ist sie fast auf dem Sessel eingeschlafen und ich hab mich verabschiedet. Als ich nach Hause kam, war es schon wieder vier Uhr.“

„Oh.“, Yashiro wirkte enttäuscht, während er sich eilte mit ihm Schritt zu halten, um gemeinsam die Flure von LME zu überqueren. Ren verdrehte die Augen. Yashiro musst ja auch nicht alles wissen!

Sie hatten in der Tat angeregt über ihren Aufenthalt in Amerika und ihre Unterkunft bei den Hizuris gesprochen. Zu seiner eigenen Erleichterung hatten seine Eltern offenbar die meisten Fotos von ihm versteckt, sodass sie nur Kinderfotos zu Gesicht bekommen hatte, auf denen er so jung war, dass sie ihn offenbar weder mit ihm noch mit dem Jungen in Verbindung gebracht hatte, den sie damals vor Jahren getroffen hatte und mit dem er, wie er fand, kaum noch Ähnlichkeit hatte. Sie hatte sich natürlich darüber gewundert, dass es keine jüngeren Fotos von dem Jungen gab, die sie ständig bis in den Himmel lobten und offenbar über die Maßen liebten, doch hatte sie nicht in möglichen Wunden stochern wollen, um zu erfahren, was es nun mit ihm auf sich hatte. Seine Tarnung war also auch noch weiterhin vorhanden. Darum hatte er sich insgeheim gesorgt, wenn er ehrlich war. Es hatte aber auch gut getan zu sehen, wie begeistert sie von ihrer Arbeit dort und auch von Kuu und Julie war. Es wärmte ihm das Herz, wenn er daran dachte, wie lebhaft sie ihm alles erzählt hatte und wie sie dabei sogar wild mit den Händen gestikulierte, damit er auch tatsächlich alles verstand. Außerdem tat es gut zu hören und zu sehen, was ihr seine Eltern bedeuteten, denn es war offensichtlich erkennbar. Das bedeutete ihm viel.

Sie war sogar etwas enttäuscht gewesen, dass sie die Fotos, die sie zur Erinnerung hatte machen lassen, erst vor so kurzer Zeit zum entwickeln gebracht hatte, sodass sie ihm nun nichts davon zeigen konnte. Einen Computer hatte sie schließlich nicht.

Er schmunzelte vor sich hin. Sie hatte so viel erzählt, dass sie irgendwann über einer seiner Fragen einfach eingeschlafen war. Er hatte sie in das einzige Zimmer getragen, das er noch nicht betreten hatte, ihren Kopf an seiner Schulter, hatte sie ins Bett gelegt zugedeckt und war dann nach einem kurzen Moment in sein Apartment gefahren. Ihr schlafendes Gesicht ständig vor Augen, war er schließlich selbst halb tot ins Bett gefallen.

Es war schon irgendwie ein merkwürdiger Zufall, dass sie ausgerechnet in dem Moment eingeschlafen war, in dem er sie nach Fuwa und seinem Video hatte fragen wollen. Im Nachhinein war er aber ganz froh darüber. Es hätte die entspannte Atmosphäre gewiss zerstört.

„Willst du mir nicht sagen, weshalb du die ganze Zeit seufzt?“, Yashiro hatte ein verschmitztes Grinsen aufgesetzt. Sie waren am Auto angekommen. Ren antwortete ihm mit einem Verdrehen seiner Augen und stieg auf der Fahrerseite ein. Yashiro öffnete die Tür und setzte sich zu ihm: „Wünschst dir wohl, ich hätte mit meiner Vermutung richtig gelegen, was?“
 

Als sie die Augen öffnete, lag sie in ihrem Bett. Nachdem sie unter der Decke nachgesehen hatte, was sie anhatte, um festzustellen, dass sie in den Sachen geschlafen hatte, die sie gestern Abend noch angehabt hatte, fragte sie sich, wie sie überhaupt ins Bett gekommen war. Sie konnte sich partout nicht daran erinnern hierher gekommen zu sein. Einen Filmriss konnte sie nicht haben, sie hatten ja nur Wasser getrunken.

Verschlafen sah sie auf den kleinen Wecker, der auf einem der Beistellschränkchen neben ihrem Doppelbett stand. Sie hatte noch Zeit. Kyoko schälte sich aus der Decke und ihren Kleidern, nahm sich etwas aus ihrem Kleiderschrank, überquerte in ihrer Unterwäsche den Flur und verschwand im Bad unter der Dusche. Das prasselnde Wasser auf ihrem Körper war die reinste Wohltat nach dieser ermüdenden Nacht in ihren Straßenkleidern. Sie entspannte sich und wusch sich die Haare.

Es war ein schöner gemütlicher später Abend geworden. Zum Glück hatte er diese Anspannung gelöst, die wie ein Schatten über ihnen gehangen hatte. Seine Worte hallten in ihren Ohren wieder: „Seit du zurück bist, ist es, als würdest du in vielen verschiedenen Farben schimmern.“, hatte er gesagt und sie hatte fast abgeschaltet, weil sie das Gefühl hatte, ihr Herz würde gleich überlaufen vor Glück. Und dann hatte er gesagt: „Aber selbst wenn du es nicht getan hättest, wärst du dennoch etwas besonderes.“ Sie dachte einen Moment an den intensiven Blick, mit dem er dabei ihre Augen gefesselt hatte und ihr wurde plötzlich schwummrich unter der Dusche. Sie hörte auf gerade aus zu starren schüttelte kurz den Kopf, duschte fertig und stieg aus der Dusche. Sie schaltete ab, ging in die Küche und räumte die Überbleibsel weg, während sie das Radio laufen ließ. Es war ein wirklich schöner Abend gewesen, auch wenn sie immer noch ganz verschlafen war.

Bei ihrer Erzählung hatte sie absichtlich ihre Fastbeziehung ausgelassen. Sie hatte nicht darüber reden wollen und das schon gar nicht mit ihm.

Es klingelte an der Tür, als sie den ersten Bissen von ihrem Brötchen nahm, das sie sich gerade geschmiert hatte.

Ach ja, Kessy hatte sie ja abholen wollen. Dazu hatte sie letzten Abend ja auch auf den Anrufbeantworter gesprochen. Sie verließ die Küche in Richtung Flur, sah kurz durch den Spion in der Wohnungstür und ließ sie dann herein.

„Guten Morgen“, Kessy zog gut gelaunt ihre Schuhe aus und hängte ihre Jacke an die Garderobe. Sie stockte: „Wem gehört denn die Jacke da?“

Kyoko drehte sich im Türrahmen zur Küche wieder um und schluckte schwer an ihrem letzten Bissen: „Die hat ein Freund vergessen.“

Kessy wandte sich ihr zu: „Kenn ich den?“, sie sah noch einmal zur Jacke zurück: „Ich glaube, ich hab die Jacke schon mal gesehen. Sieht teuer aus.“

Kyoko seufzte. Es hatte ja doch keinen Zweck: „Sie gehört Tsuruga-san. Ich hab ihn gestern noch auf etwas Suppe und Wasser eingeladen. Da fällt mir ein, ich muss dringend einkaufen.“, sie ging in die Küche zurück und ließ ihre Managerin einfach stehen.

„Mach eine Liste und ich besorg dir alles, während du spielst.“, sie folgte ihr und sah zu, wie sie zu schreiben begann: „Willst du mir nicht erzählen, was ihr gestern gemacht habt? Du siehst verdammt müde aus.“

„Hab ich doch schon.“

Kessy seufzte verzweifelt: „Und wieder passiert es.“

Kyoko sah überrascht zu ihr auf: „Passiert was?“

Die Managerin sah sie traurig an: „Du vertraust mir so gar nicht, stimmts? Ich weiß ja, dass ich noch nicht lange deine Managerin bin und ich hab wirklich versucht darauf zu warten, dass du von alleine mit mir sprichst, aber so langsam weiß ich nicht mehr weiter. Zuerst Fuwa jetzt Tsuruga-san. Wie soll ich wissen, wie ich dich betreuen soll, wenn ich nicht weiß, was da eigentlich los ist mit euch?“

Kyokos Gewissen regte sich: „Es tut mir Leid, Kessy. Daran habe ich nicht gedacht.“

„Eigentlich wollte ich mich ja auch nicht beschweren, das tut mir Leid.“

„Ach Unsinn. Du hast ja Recht. Ich muss mehr über die Dinge sprechen, die mich beschäftigen, vorallem mit dir. Ich kann dir vertrauen, das weiß ich. Ich denke sogar, ich vertraue zu sehr auf deine Fähigkeiten, sodass ich einfach nicht daran gedacht habe, dass du die Informationen brauchen könntest.“

Kessy errötete kaum merklich: „Danke.“

Kyoko strich sich die Haare aus dem Gesicht, sah sich kurz in der Wohnung um und griff dann schließlich nach ihrem Einkaufszettel: „Lass uns fahren. Ich meine, du fährst und ich erzähle.“

Kessy stellte sich als gute Zuhörerin heraus, die an den richtigen Stellen die richtigen Reaktionen zeigte. Als sie über Fuwa herzog, schmunzelte Kyoko sogar etwas.

Sie maschierten gerade zusammen zu ihrem Job als Bou, als Kyoko mit ihrer Geschichte endete: „Ich weiß nicht, ob ich noch etwas vergessen habe.“

Kessy lächelte sie dankbar an: „Wenn doch kann ich dich ja fragen, nicht wahr?“

„Klar. Schieß los.“

„Also Kanae ist deine beste Freundin, aber wer ist diese kleine Mädchen, dass wir letzte Woche nach der Pressekonferenz gesehen haben?“

Kyoko überlegte kurz: „Du kannst nur Maria-chan meinen. Sie ist Maria Takarada, die Enkelin des Präsidenten. Sie ist wie eine kleine Schwester für mich und außerdem extrem in Tsuruga-san vernarrt.“

“Takarada...“, Kessy schwieg.

„Was ist los?“

„Sie ist also die Tochter des Präsidenten von LME? Oder doch nicht etwa die Enkelin?“

„Enkelin.“, Kyoko lächelte.

„Wow, ich hätte nicht gedacht, dass er schon in dem Alter ist.“

„Vielleicht ist er es ja auch gar nicht, sondern hat seinen Sohn einfach früh bekommen.“

„Hm, jedenfalls hätte ich das nicht erwartet.“

„Geht den meisten so.“

„Und Fuwa steht ganz offensichtlich immer noch auf dich. War er deshalb so komisch?“

„Ja offenbar.“

„Ist dir eigentlich mal in den Sinn gekommen, dass er nur wieder auf dich aufmerksam geworden sein könnte, weil er dich nicht haben kann oder auch weil...öhm...vielleicht Tsuruga-san, in dem er seinen natürlich Rivalen sieht, auf dich steht?“, ihre Stimme war immer leiser geworden, sodass Kyoko den letzten Teil des Satzes kaum verstehen konnte.

Sie versteinerte dennoch mitten im Schritt: „Ach Unsinn. Wie kommst du darauf?“

Kessy schloss die Tür hinter ihnen, während Kyoko sich aus ihrer Jacke schälte und sie an die Garderobe hängte: „Nun ja, ich habe euch zusammen erlebt. Es ist doch nicht wirklich üblich einen Kollegen nach Hause zu fahren und dafür sogar noch zu warten, bis er mit der Arbeit fertig ist, um nur mal ein Beispiel zu nennen.“

„Wir sind eben auch Freunde, glaube ich...“, sie schlüpfte mit den Beinen in den Korpus des Hahns, den Kessy ihr helfend festhielt: „Unter Freunden kommt es vor.“

Die Managerin zog ihr den Reisverschluss auf dem Rücken zu, als sie ihre Arme durch die Flügel gesteckt hatte: „Als ich noch in Amerika war, war ich oft bei den Hizuris zu Besuch, weißt du? Irgendwann habe ich sogar angefangen mit ihnen „Dark Moon“ zu sehen.“

Kyoko hörte ihr verständnilos zu. Worauf wollte sie eigentlich hinaus? Kessy fuhr fort: „Nun ja, es gab da so eine Folge, in der Katsuki und Mizuki zusammen Klavier spielten, während sie auf seine Verlobte warteten.“

„Und?“

„Katsuki hat sie da an einer Stelle so warm und voller Liebe angesehen, dass ich es kaum erwarten konnte, zu sehen, wie sie endlich zusammen kommen. Als ich dich letzte Woche mit ihm zusammen sah, da hatte er den gleichen Ausdruck in den Augen, als er dich ansah.“

Kyoko erinnerte sich sehr gut an diese Szene: „Ach was.“

Kessy stemmte ihre Hände in die Hüften: „Wenn du es dir mal eingestehen würdest, würdest du es auch sehen. Der Mann liebt dich, Schätzchen und du bist einfach zu blind es zu bemerken.“

Kyoko stopfte sich den Hahnenkopf über: „Das glaub ich nicht.“

Die Managerin seufzte: „Was meint denn Kanae dazu?“

„Sie hat mal was in der Art erwähnt.“, die Schauspielerin klang nicht sonderlich begeistert.

„Und was war gestern Abend genau zwischen euch?“

„Er meinte, ich wäre etwas besonderes und hätte mich positiv verändert.“

„Wie hat er dich dabei angesehen?“

„Freundlich.“, Kyoko sah zur Uhr hinüber, als Kessy ihr eine weitere Frage stellte.

„Was meint Yashiro?“

„Der macht ständig Anspielungen. Hör mal, ich muss jetzt los, sonst verlier ich den Job.“

„Warum machst du das eigentlich noch?“

„Vergiss meine Einkäufe nicht, ja?“

„Okay. Nur noch eins.“, Kessy wirkte nervös: „Wenn jemand zufällig ganz verzweifelt gewesen wäre, weil sie hinter jeder Ecke etwas Schädliches für deine Karriere gesehen hätte, und deshalb mit einem gewissen Manager über den Dreh von Fuwas Video gesprochen hätte, wärst du dann sehr sauer?“

Kyoko starrte sie an, was allerdings durch den Schädel des Hahn auf ihrem Kopf an Wirkung verlor. Verdammt. Das konnte problematisch werden: „Ich würde ihr sagen, dass ich sie verstehen kann, aber dass sie in Zukunft bitte etwas vorsichtiger mit meinen Angelegenheiten und Problemen umgehen soll.“

Sie verschwand durch die Tür.

Na schön, wenn sie wirklich glaubte, was Kessy annahm, nämlich dass dieser Superschauspieler in sie verliebt war, dann hatte sie nun ein echtes Problem. Tsuruga-san hatte ohnehin schon einen sehr ausgeprägten Beschützerinstinkt, wenn sie sich recht erinnerte. Dabei konnte sie sogar seine potenziellen Gefühle außer Acht lassen. Dazu kam, dass Sho für ihn manchmal wie eine rote Flagge wirkte, die dem Bullen vor den Augen hin und her geschwungen wurde.

Sie konnte fast sicher sein, dass Yashiro ihm davon erzählt hatte und das war nicht gut. Klar, sie hatte sich nichts vorzuwerfen, schließlich hatte sie nur ihren Job gemacht und neben bei auch noch einen Gefallen für Kuu erfüllt, der sich davon irgendetwas versprochen hatte, aber sie fühlte sich dennoch nicht sicher.

Andererseits hatte er letzte Nacht nichts davon erwähnt und wenn Yashiro es erfahren hatte und sie darauf gekommen wären, wie sie sich verändert hatte, was sie offenbar waren, denn der Manager hatte ja gesagt, sie hätte an Charm gewonnen, dann hätte er es ihm gewiss sofort gesagt.

Dummerweise konnte sie nicht wissen, ob es wirklich so war. Sie war ja auch einfach eingeschlafen und dadurch hatte er vielleicht nicht mal mehr die Chance bekommen, etwas zu dem Thema zu sagen. Sie musste also auch damit rechnen, dass er völlig grundlos, wie sie fand, wütend auf sie war.

Sie seufzte. Wenn sie ehrlich war, was heute offenbar das Motto des Tages sein sollte, dann machte sie diesen Job als Bou eigentlich nur noch wegen Tsuruga-san. Natürlich machte es ihr Spaß, aber diese Aufmachung war auch die einzige Möglichkeit mit ihm reden zu können, ohne gleichzeitig die Etiketten Kollegin und jüngere Frau zu erfüllen. So war sie einfach nur ein Freund, den er nie in seiner echten Gestalt gesehen hatte.

Außerdem wollte sie ihm die Blöße ersparen, ihrem Nachfolger zu begegnen und nicht zu wissen, dass ein anderer im Kostüm steckte. Das konnte für ihn sogar gefährlich werden, wenn dieser Jemand seine Probleme und Herzensangelegenheiten nutzte um an Geld zu kommen oder so ähnlich.

Dummer Weise würde sie Bou aber auch nicht mehr sehr lange weiter spielen können. Ihr Zeitplan wurde immer enger und Kessy bekam allmählich wirkliche Schwierigkeiten den Job noch unterzubekommen. Das sie den Job nach ihrem Aufenthalt in Amerika noch hatte, war ohne hin ein Wunder. Als sie gefahren war, waren zufällig auch die Aufnahmen ausgesetzt und alte Sendungen gezeigt worden. Doch als sie immer noch nicht zurück gekommen war, hatte sie jemand gedoubled. Diesem Jemand versperrte sie nun auch noch die Jobmöglichkeit.

Sie musste dem Schauspieler also endlich sagen, dass sie aufhören würde!

Sie bog um die nächste Ecke und blieb schlagartig stehen.

Tsuruga-san stand vor ihr im Flur. Sie konnte zwar nur seinen Rücken sehen, doch sie war sich sicher, vorallem als Yashiro auf ihn zukam. Okay, wenn sie nun ganz langsam zurück gehen würde, konnte sie sich vielleicht davon stehlen. Sie sah noch einmal auf die Tür zu seiner Linken. Verdammt, er stand genau vor dem Studio, in dem sie nun arbeiten sollte.

Was machte er bloß hier? Moment. War es möglich? Nein, das durfte nicht sein! Die drei Jungs von Bridge Rock sprachen kurz mit ihm und verschwanden im Studio.

Verdammt! Wie hatte sie das übersehen können?

Sie hatte es ihm zwar sagen wollen, dass sie aufhörte, doch ohne, dass er erfuhr wer sie war. Die Jungs nannten sie immer beim Vornamen, er war ja schließlich auch ihr Künstlername, und außerdem würde er sich sicherlich irgendwie verabschieden wollen. Dass er vielleicht auch einfach neugierig sein würde, wer unter dem Kostüm steckte, konnte sie auch nicht ausschließen. Er neigte gelegentlich dazu.

Sie hatte offenbar lange genug unschlüssig im Flur gestanden, denn als sie sich entschloss, leise zu verschwinden, um sich etwas zu überlegen, sah sie ihn auch schon auf sich zukommen. Er winkte kurz, damit sie ihn auch sah, wie er es damals getan hatte, um sich bei ihr zu bedanken. Es bestand kein Zweifel, er hatte sie gesehen. Er machte ja sogar große Schritte, um schnell bei ihr zu sein.

Sie seufzte und versuchte sich innerlich zu wappnen. In den sauren Apfel musst sie wohl beißen. Auf ins Desaster!

Es wurde Tag und es wurde Abend 9

„Hey,“, er kam vor ihr zum Stehen und ihr drehte sich der Magen um: „Hast du mich nicht wiedererkannt?“

„Wie kommst du darauf?“, sie verstellte ihre Stimme und hoffte, dass er ihre Nervosität nicht bemerken würde.

Er sah sie verwirrt an. Mist, es hatte nicht geklappt: „Ich dachte eben, du wolltest gehen, obwohl du mich gesehen hast. Ist wirklich alles in Ordnung? Wir haben uns zwar lange nicht gesehen, aber du wirkst trotzdem irgendwie anders, als sonst.“

„Ach was.“, sie klopfte ihm mit einem ihrer riesigen Flügel auf die Schulter: „Ich bin nur überrascht, dass du heute unser Gast bist.“

Jetzt war seine Verwunderung über deutlich zu erkennen: „Das hast du nicht gewusst? Wie ist das möglich? Es wurde doch schon in der Sendung letzte Woche angekündigt.“

Verdammt! Sie atmete tief ein und versuchte sich zu sammeln: „Weißt du, ich war in letzter Zeit seltener hier. Ich werde vermutlich bald aufhören. Deshalb weiß ich es nicht.“

„Wieso hörst du auf? Gefällt es dir nicht mehr?“, er wirkte irgendwie enttäuscht.

„Nein, das ist es nicht ganz. Aber wenn, könntest du es mir dann verübeln?“, sie stemmte die Flügel in ihre Seiten, was in dem Kostüm einen merkwürdigen Anblick bieten musste, denn er unterdrückte offenbar ein Grinsen: „Ich meine, das Kostüm ist oft ganz schön unbequem und jetzt im Sommer ist es sogar echt warm.“

„Warum nimmst du dann nicht den Kopf?“

Oh nein. Dumme Kyoko, dumme Kyoko!

„Öhm, weil wir gleich anfangen und ich mich so besser einfinden kann.“, gut, dass war knapp.

„Achso.“, er wirkte wieder etwas enttäuscht: „Schade, denn ich habe dich noch nie ohne diesen Kopf gesehen.“

„Das macht auch nichts.“

„Wieso denkst du das?“, er sah sie mit gerunzelter Stirn an.

„Nun ja, wenn wir uns so unterhalten, fühl ich mich frei genug, alles sagen zu können, was ich möchte und wie ich es möchte. Ich kann absolut ehrlich sein, verstehst du? Aber wenn ich jetzt damit rechnen müsste, dir irgendwann auf dem Flur zu begegnen und du würdest mich erkennen, dann würde mich das verunsichern, wenn wir reden.“, ob er ihr das wirklich glaubte? Okay, es entsprach vor Jahren schon der Wahrheit und irgendwie auch jetzt noch, doch inzwischen war es irgendwie doch leichter, als sie selbst mit ihm zu reden. Zumindest empfand sie es augenblicklich so.

„Ich verunsichere dich also so sehr?“

„Ich hab dich als BJ gesehen. Ja, das tust du.“

„Du hast mich erkannt?“

Sie gingen nebeneinander her in Richtung des Sets: „Ja, allerdings. Du hast mich bei unserer ersten Begegnung auch so angesehen, dass vergisst man nicht so schnell.“ Das war schon wieder so knapp.

„Oh.“, er seufzte: „Aber du hast es keinem gesagt?“

„Nein.“, sie sah ihn von der Seite her schel an: „Warum sollte ich auch.“

Er gluckste.

Okay, die erste Hürde hatte sie überstanden, doch sie musste sich immer noch irgendwie mit den anderen unterhalten, ohne dass er etwas mitbekam, damit sie sie nicht mit „Kyoko“ ansprachen.

„Ren, ich müsste noch mal kurz mit dir sprechen.“, und augenblicklich mochte sie Yashiro noch mehr! Er war ja so ein toller Manager!

„Bis gleich.“, sie klopfte ihm noch einmal auf die Schulter und ging zum Set, wo die Jungs von Bridge Rock schon auf sie warteten. Sie blieb nervös vor ihnen stehen und unterbrach ihre Begrüßung: „Hört mal, könntet ihr mir vielleicht einen Gefallen tun?“

„Was gibt’s?“

„Nun ja, ihr wisst doch, dass ich diesen Film mit Tsuruga-san mache.“

„Ja.“

„Öhm, er weiß nicht, dass ich auch den Hahn für euch spiele. Ich würde es gerne dabei belassen. Könntet ihr mich vielleicht in der nächsten Zeit einfach nur „Bou“ nennen?“

Sie starrten sie an, sie sah verzweifelt zurück und ihre Mienen wurden irgendwie mitleidig: „Na gut. Aber du weißt, dass es nicht so gut ist, wenn du dich dafür schämst, oder?“

„Ich schäme mich nicht dafür, ich will nur, dass ich es ihm selbst sagen kann, auf meine Weise, wenn ich soweit bin.“

Sie seufzten im Chor. Es klang irgendwie merkwürdig.

„Und öhm, noch etwas... könntet ihr es vielleicht den anderen am Set auch erklären? Ich lenke ihn in der Zwischenzeit ab, ja?“

„Wir sollen also alle lügen.“

„Nun ja, ihr lügt ja nicht direkt. Ihr sprecht mich nur mit meinem Charakter an, den ich gerade darstelle.“, sie klang wirklich wenig überzeugend. Obendrein war sie auch noch extrem nervös. Es war nicht fair alle dazu anzustiften für sie zu lügen und zeugte auch von wenig Respekt der Show gegenüber.

Sie seufzte. So konnte, nein, so durfte sie es nicht stehen lassen: „Wenn er es einfach so erfährt, wird es wirklich unangenehm. Nicht wegen der Show, sondern wegen meiner kollegialen Beziehung zu ihm.“

„Was ist denn passiert?“, sie wirkten aufrichtig besorgt und ganz schön neugierig.

Sie seufzte erneut, sie log schon wieder... nun ja, so ganz gelogen war es ja dann doch nicht: „Ich hab ihm mal offen gesagt, dass ich ihn nicht leiden könnte. In diesem Kostüm konnte er mich ja nicht erkennen.“, sie redete sich um Kopf und Kragen: „Das soll nicht heißen, dass es immer noch so wäre und auch nicht, dass er nachtragend wäre, aber.... es wäre mir unangenehm, wenn er wüsste, dass ich als kleiner Neuling so aufbrausend und unhöflich war.“

„Das beschäftigt dich ganz schön, was? Du bist ja richtig nervös.“, sie sahen sie nun wirklich besorgt an: „Na gut, Bou. Lenk ihn ab, wir reden mit den anderen.“

„Danke.“, sie wollte sie umarmen, musste aber feststellen, dass sie sie eher umwerfen würde, also ließ sie es doch bleiben: „Fühlt euch gedrückt. Ich schulde euch was.“

„Tsuruga-san, wenn Sie reinkommen, setzten Sie sich bitte hier her.“, Kyoko machte einen Satz in die Luft, als sie diesen Satz hinter sich hörte. Sie wandte sich um, unsicher ob er etwas mitbekommen hatte. Er stand mit dem Regisseur an einem freien Platz, der gar nicht so weit von ihr entfernt war.

„Unsere“, setzte der Regisseur an und deutete auf sie, als ihn einer der Jungs von Bridge Rock unterbrach: „Ja und Bou begleitete Sie zu uns herein.“

Der Regisseur sah die Jungs verwundert an: „Ähm, ja genau.“, er wandte sich an sie: „Wärst du so nett und würdest schon mal mit ihm rausgehen und ihm zeigen, wo ihr gleich entlanggehen werdet?“

„Klar.“, sie hatte wieder ihre Stimme verstellt, was den Regisseur nun ganz offen iritierte. Sie ließ sich nichts anmerken und verließ so schnell wie möglich das Set: „Also wir gehen dann hier entlang hinein.“

„Geht es hier immer so zu?“, Ren wandte sich noch einmal um und sah, wie die Jungs eindringlich auf den Regisseur einredeten, der sich offenbar geschlagen gab und in das Mikrofon an seinem Revers sprach. Was er sagte, konnte er allerdings nicht verstehen.

„Ja.“, sie seufzte. Nicht lügen, das tat sie heute immerhin schon genug: „Nun ja, sie sind alle etwas nervös, weil du da bist.“

„Oh, das tut mir Leid.“

Sie wandte sich aprubt zu ihm um: „Nein, das muss es nicht.“

„Okay, jetzt machst du mir wirklich Sorgen.“, er ging auf sie zu und fasste sie bei den Schultern ihres Kostüms: „Was ist eigentlich los mit dir? Rede doch endlich mal mit mir. Ich vertrau mich dir ja auch oft genug an.“

Was sollte sie tun? Sie konnte es ihm doch unmöglich einfach so sagen. Nicht hier. Nicht jetzt. Nicht kurz vor Drehbeginn! Sie war noch nicht soweit. Das ging nicht! Auf keinen Fall!

Sie sah zur Seite und erblickte die Badmintonschläger, die noch immer hier gelagert wurden. Bei ihrer ersten Sendung hatte sie sich mit Sho beim Federballspiel duelliert.

Danach hatte sie immer irgendwelche Aktionen mit den Besuchern machen müssen. Daran zu denken, versetzte sie in noch größeres Unbehagen.

„Nun ja,“, sie fixierte weiterhin die Schläger: „Wenn ich ehrlich bin, bin ich ziemlich nervös.“

Was ja noch nicht mal gelogen war.

„Und warum das?“, er ließ seine Hände wieder sinken und legte den Kopf schräg, sein Blick war ernst.

„Also, wenn jemand hier als Gast in die Show kommt, muss ich immer irgendeine Atkion mit ihm machen. Das kann Badminton sein oder eine kleine Schlacht mit Wasserpistolen oder auch was ganz anderes.“, sie machte eine Pause, sie war wirklich nervös deshalb. War es dann dennoch eine Lüge? Sie wollte ihn nicht anlügen. Sie wusste genau, dass es immer böse auf sie zurück fiel, wenn sie ihn anlog. Und außerdem fühlte es sich nicht gut an.

„Und jetzt bist du nervös, weil ich zu Gast bin.“, schloss er nach einem Moment des Schweigens.

„Ja.“

„Das musst du doch nicht sein.“, er sah sie liebevoll an: „Du machst doch nur deinen Job. Ich werde dir nicht böse sein, egal was wir machen müssen. Versprochen!“

„Danke.“

„Gut, dann können wir ja jetzt wieder ganz normal miteinander umgehen.“

„Ja.“, sie klopfte ihm auf die Schulter: „Klar!“

Ihr Gewissen ließ ihr dennoch keine Ruhe. Was hatte sie getan, dass sie so schlechtes Karma verdiente?

„Weißt du denn schon, was auf uns zukommt?“

„Nein.“, gestand sie offen: „Und wenn ich es wüsste, würde ich es dir nicht sagen.“

Er wirkte überrascht: „Wieso nicht?“

„Weil es Teil der Show ist, dass die Gäste überrascht werden. Du wirst genauso reagieren müssen, wie alle anderen auch, nämlich spontan.“

„Das ist aber schade.“

„Find ich nicht. Dann habe ich immerhin eine Chance.“

„Denkst du nicht, dass du dein Licht ganz schön unter den Scheffel stellst?“

Sie überlegte kurz gespielt: „Vielleicht.“

Er lächelte sie an.

„Tsuruga-san, Sie müssen aber doch nicht hier warten. Sie können gerne in ihre Umkleide gehen. Wir holen Sie dann, wenn es soweit ist.“, der Regisseur war wieder zu ihnen gestoßen.

„Ist schon in Ordnung. Es klingt ohnehin so, als hätten sie schon angefangen.“

In der Tat waren im Hintergrund schon die Fanrufe zu hören.

„Es wird aber noch einige Minuten dauern, bis wir bereit sind für Ihren Auftritt.“, der Regisseur verzog sich wieder ins Studio und ging an die Arbeit.

Ren wandte sich wieder dem eigenartigen Hahn zu: „Woher genau wissen wir denn, wann wir raus müssen?“

„Oh, ich komme Sie holen.“

„Und wann musst du raus?“

„BOU.“, erklang ein Ausruf aus dem Studio.

„Jetzt.“, sie winkte ihm zum Abschied, während sie gut gelaunt in Richtung Studio lief und dort dann wie ein Klaun vor die Kameras hüpfte.

Ren blieb einen Moment alleine in dem Raum zurück, bis die Maskenbildnerin kam, um auszubesser, was ihr an ihrer Arbeit zuvor nicht mehr so gut gefiel.

„Der Hahn scheint ja richtig beliebt zu sein.“

„Kennen Sie die Sendung denn nicht?“, sie wirkte überrascht.

„Ich muss gestehen, ich komme selten dazu, mir eine Sendung im Fernsehen anzusehen. Also habe ich Bridge Rock noch nie gesehen.“

„Oh, das ist schade.“, sie machte eine Pause und steckte ihr Werkzeug wieder ein: „Aber ja, unser Bou ist in der Tat ein echter Star hier. Sie macht es ja nun auch schon recht lange.“

Ren horchte auf. Sie? Er war immer davon ausgegangen, dass ein Mann in dem Kostüm steckte.

„Ich freue mich jetzt schon auf den Tag, an dem sie sich verabschiedet und ich sie zurecht machen kann. Wissen Sie, so als Hahn schaut sie natürlich selten bei mir herein. Aber ich denke, in der letzten Sendung, die sie mit uns macht, was ja bestimmt irgendwann der Fall sein wird, werden wir sie sicher auch mal ohne diesen Kopf zeigen.“, senierte die Maskenbildnerin weiter.

„Sagen Sie, heißt sie hier eigentlich immer nur „Bou“?“, er hatte ein merkwürdiges Gefühl, dass ihm den Rücken hinauf kroch.

Die Maskenbildnerin sah ihn überrascht an. Sie dachte einen Moment nach, offenbar unsicher, was sie sagen sollte oder bildete er sich das nur ein?

„Hab ich was falsches gefragt?“

„Nein.“, sie lächelte ihn wieder an: „Ich überlege nur gerade, ob wir sie noch anders nennen. Ich hab wirklich selten mit ihr zu tun.“

„Achso.“

„Ja.“, sie dachte immer noch nach. Dann schien es ihr plötzlich einzufallen. Sie öffnete den Mund, um ihm seine Frage zu beantworten, dass konnte er deutlich sehen, doch in diesem Moment rannte auch schon der Hahn auf sie zu und blieb neben ihm stehen.

Sie sahen ihn beide überrascht an, während von draußen eine erneute Ansage kam: „Begrüßen wir unseren Gast, Ren Tsurugaaaa.“

Der Applaus und das Getöse seiner Fans drang ihm laut an die Ohren und der Hahn verschwand hinter seinem Rücken und begann ihn hinaus zu schieben.

„Sie müssen schon laufen. Was macht das sonst für einen Eindruck.“

Ren schreckte auf. Verdammt, er hatte es so gerne wissen wollen. Egal, er musste sich nun wieder konzentrieren! Er machte einen Schritt vor den Anderen, bis er in einen leichten Trapp verfiel und im Studio zum stehen kam. Er winkte dem Publikum zu und konnte viele Banner mit irgendwelchen Sprüchen erkennen, die ihn nicht halb so sehr interessierten, wie die Frage zuvor.

Er ging zu dem Platz hinüber, schüttelte Hände und ließ sich schließlich lächelnd auf seinem Platz nieder. Ein weiterer Blick hinüber zu dem Durchgang aus dem er gekommen war und er erblickte den Hahn, der offenbar angstrengt atmete und sich die Flügel in die Seiten stemmte.

Sein Gewissen regte sich. Er hätte daran denken müssen, dass der Vogel nicht so schnell laufen konnte. Oder viel mehr die Frau, die in dem Kostüm mit den kurzen Beinen steckte und mit ihm mithalten sollte.

„Bitte beruhigt euch wieder.“, einer der Jungs lachte ins Publikum, das nach und nach wieder ruhiger wurde, sodass man nun einzelne Zwischenrufe verstehen konnte. Es waren die üblichen Sachen, die er sich nun schon seit Jahren anhören musste und die vermutlich auch zu einem Klischee mutiert waren. Aber eines war sicher, er würde gewisse keinem dieser Kinder ein Kind machen!

„Ich danke euch. Und nun bitte noch ein Glas Wasser für unseren lieben Bou.“, das lenkte die Aufmerksamkeit wieder auf den Hahn. Hier und da brach Gelächter los ob seinem Anblick.

Bou nahm das Glas und versuchte es zwischen seinen Flügeln zu halten, was aber offenbar nicht wirklich so leicht war, wie es vielleicht wirkte, und watschelte wieder hinaus.

Ren beantwortete aufmerksam Fragen zu dem Film, den er nun mit Kyoko drehte. Dann wurden Publikumsfragen zugelassen, die eher auf sein Privatleben zielten. Es waren Fragen über sein Liebesleben, seine Lieblingsspeisen, seine favorisierten Lokale, seine liebsten Filme und Bücher, seine Vorstellungen einer perfekten Frau für ihn, seiner Beziehung zu Kyoko, seinen Beziehungen zu anderen Darstellern und und und. Es waren immer die gleichen Fragen, aber er beantwortete sie geduldig und verstand es der Einen oder Anderen auszuweichen.

Schließlich kam der Hahn neben ihm mit einem Tablett zum stehen und reichte ihm Gebäck und Wasser. Das Wasser nahm er dankbar an, denn vom vielen Reden war seine Kehle trocken geworden, doch das Gebäck lehnte er mindestens genauso dankend ab.

Der Hahn torkelte hinüber zu den Moderatoren und reichte auch ihnen etwas, bevor er das Tablett auf einem kleinen Tischen in ihrer Mitte abstellte.

„Nun, wie Sie sicherlich schon gehört haben, lassen wir unsere Gäste immer eine Kleinigkeit für uns tun. Bou wird Ihnen vielleicht helfend vielleicht aber auch als Behinderung zur Seite stehen, beziehungsweise im Weg sein.“, sagte einer der Jungs, während der nächste dem letzten einen Beutel hinhielt. Der Dritte im Bunde zog einen Zettel hervor: „Nun, was Sie für uns heute tun sollen, steht auf diesem kleinen Zettel hier, den ich gerade zufällig aus dem Beutel gezogen habe,“ er faltete den Zettel auf und las kurz. Ein Lächeln bildete sich auf seinem Gesicht: „Ihre Aufgabe, Tsuruga-san, ist“, er sah noch mal nach, während das Publikum gespannt zusah und er konnte förmlich spüren, wie aufgeregt seine Fans waren.

„Sie werden...“

Es wurde Tag und es wurde Abend 10

Der junge Moderator verstand sich offenbar darauf, es spannend zu machen. Ren warf dem Hahn einen kurzen Blick zu, der wieder recht nervös wirkte. Irgendwie konnte er es ihm nachempfinden, doch er ließ es sich nicht anmerken.

„Basketball.“, sagte er schließlich.

Ren und der Hahn sahen sich an. Oh je, wie sollte er denn gegen einen Hahn spielen, der so riesige Füße und so kurze Beine hatte, dass er nicht mal mit ihm Schritt halten konnte, wenn er den kleinen Flur hierer entlang joggte? Das war ganz schön unfair. Er konnte verstehen, warum er, nein, sie, so nervös gewesen war.

„Brauchen Sie vielleicht andere Schuhe?“, ihm wurden Turnschuhe in seiner Größe gereicht. Natürlich wurde diese Aktion auch gleich noch als Schleichwerbung für die Schuhmarke genutzt, für die er kürzlich geworben hatte. Er nahm sie dankbar entgegen und zog sie sich an, während der Hahn nach hinten verschwand.

„Nun dnn meine Damen, meine Herren und vorallem natürlich meine Damen,“, der Junge kicherte über seinen Witz, der wohl gar nicht so falsch sein konnte. Wenn er sich hier umsah, waren erstaunlich viele weiblichen Fans da.

„Heute darf ich Ihnen eine Sensation zeigen. Ren Tsuruga, beliebtester Schauspieler Japans, Frauenschwarm und kürzlich zum sexiest Man von der Japanischen Voke gewählt vs. Bou, das allseits beliebte und vielseitig begabte Maskottchen unserer Sendung beim Basketball.“

Ren stand schon vor dem Korb, als der Hahn bei dieser Ansage wieder aus dem kleinen Flur gelaufen kam. Sie hatten ihm nun offenbar ein Trikot umgelegt, dass auf der Brust eine große Null mit dem Namen „Bou“ trug. Er hatte sich den Ball unter den rechten Flügel geklemmt und wirkte irgendwie lächerlich. Nun ja, was hieß lächerlich? Im Vergleich zu vorher wirkte er eher sportlich.

Rens Gewissen regte sich immer noch. Wie sollte er gegen eine Frau in einem viel zu großen und unpraktischen Kostüm Basketball spielen? Er besah sich noch mal ihre Füße und bekam wirkliche Schwierigkeiten sein Mitleid zu verstecken.

Bou kam langsam auf ihn zu, wie er es schon von früher gewohnt war und blieb schließlich vor ihm stehen.

„Tsuruga-san hat zuerst den Ball.“, sagte einer der Moderatoren.

Ren drehte sich wieder zu ihnen um, sah sie kurz verwirrt an und nahm dem Vogel dann den Ball ab.
 

Kyoko war extrem nervös. Sie hatte offenbar ganz schön Glück gehabt, dass sie in genau dem richtigen Moment zu ihm zurück gegangen war, denn sonst hätte diese kleine Maskenbildnerin, die sich wichtig machen wollte, alles ausgequatscht. Das wäre tötlich gewesen.

Sie sah ihn sich noch mal genauer an. Ohoh, er unterschätzte sie. Wie er schon ihre Füße fixierte, da war ihr alles klar. Das war nicht gut, für ihn. Er hatte ja noch nicht gesehen, was sie in diesem Ding alles machen konnte. Gut, Basketball hatte sie noch nie versucht, aber hinten hatte das Dribbeln schon ziemlich gut geklappt mit den Flügeln. In der Schule hatte es ihr auch immer Spaß gemacht, also warum nicht?

Er hatte aber ganz schön Mitleid mit ihr, das war offensichtlich. Sie sah ihm zu, wie er sich dem Moderatorenteam zuwandte, als er den ersten Wurf zugesagt bekam. Wenn sie sich jetzt nicht dumm anstellte und auf ihren Kopf aufpasste, der ja so eigentlich gar nicht runterfallen durfte und den er ihr hoffentlich nicht aus purer Neugierde versuchen würde herunter zu ziehen, dann hatte sie gute Chancen. Vielleicht machte es ja sogar Spaß. Nun ja, sie durfte nur weder ihn noch sich selbst verletzen, was mit diesem Kostüm gewisse nicht ganz einfach sein würde.

Er setzte zum ersten Wurf an. Das war ganz schön weit, was er da machen wollte. Sie sah noch mal kurz zum Korb zurück und wandte sich gerade noch rechtzeitig um, um in die Höhe zu springen, den Flügel ausgestreckt und den Ball abzufangen. Er hatte ihre Größe mit dem Flügel und ihre Sprungkraft ganz offensichtlich unterschätzt.

Während sie stolz auf sich war, hatte er sich den Basketball zurückgeholt und trippelte auf sie zu und an ihr vorbei. Sie schreckte auf und rannte ihm hinterher, doch ihre Versuche ihm den Ball abzunehmen, schlugen kläglich fehl und er machte den ersten Korb.

Das Publikum hatte bei ihrer Reaktion gelacht und jubelte nun ganz offensichtlich für ihn. Es war ohrenbeteubend. Es war deprimierend.

Ihr Kampfgeist war geweckt.

Sie hatte nun den Ball. Sie schätzte die Entfernung zum Korb ab und besah sich ihre Chancen an ihm vorbei zu kommen, während sie den Ball tapfer gegen ihn verteidigte. Als sie sich sicherer fühlte, setzte sie zu einem Sprungwurf an, den er zwar aufhalten wollte, doch der es trotzdem in den Korb schaffte.

Sie wurde ausgebuht. Okay, die einzige richtige Reaktion war wohl, den Kopf hängen zu lassen.

„Oh bitte, meine Ladies, wir wollen doch fair bleiben und ihm sein Können anerkennen, ja? Ich bitte um etwas Applaus für unseren Bou!“

Sie sah zu Ren hinüber und seufzte, als keiner einen Ton von sich gab. Ren erwiederte seinen Blick freundlich und klatschte in die Hände. Das Publikum starrte ihn an, wartete einen Moment und schloss sich ihm schließlich an.

Dieser... Sie holte tief Luft, um ihre aufkeimenden Gefühle wegzuatmen. Das konnte sie jetzt nicht gebrauchen. Wenn sie nun Zuneigung für ihn empfand, würde er noch stutziger werden.

Er hatte den Ball wieder und sie lieferten sich eine weitere Partie. Sie schaffte es, ihm den Ball abzuluchsen, doch kam sie nicht weit, da hatte er ihn sich schon wieder zurück geholt und einen Korb gemacht.

Sie versuchte erneut einen Wurf von ihrer Startposition, der in den Korb ging. Sie starrten beide den Korb an, Rens Blick wanderte wieder zu ihr. Sie starrte immer noch auf den Korb. Das Publikum applaudierte nun wieder für sie. Sie nahm es gar nicht wahr. Sie hatte gerade in einem Hahnkostüm einen Drei-Punkte-Wurf gemacht.

„JUHU.“, sie reckte den Flügel in die Luft, während sie einige Zentimeter in die Höhe hüpfte und schrie, was allerdings außer Ren keiner hören konnte. Er lachte ob ihrer Reaktion.

Okay, das machte echt Spaß!

Sie merkte förmlich, wie sie unter dem Kostüm einging vor Hitze, doch es machte solchen Spaß, dass sie es einfach ignorierte. Sie wichen sich gegenseitig aus und versuchten sich gegenseitig zu übertrumpfen. Das Publikum applaudierte nun nicht mehr nur, um ihnen für ihre Körbe zu gratulieren, sondern auch um sie anzufeuern. Okay, sie feuerten Tsuruga-san und sie stellte sich nur vor, dass es auch ihr galt, aber das änderte nicht wirklich etwas.

Sie lachten zusammen, während sie sich gegenseitig den Ball abnahmen und sich die Körbe verdarben. Ren wurde sogar so dreist, dass er sich in der Nähe das Korbes mit dem Rücken zu eben diesem hinstellte und den Ball über seinen Rücken nach hinten warf. Erstaunlicher Weise ging der Ball nach einem kurzen Moment, in dem er auf dem Netz kreiste, auch noch rein.

Die Menge tobte und schließlich wurde ihr kleines Spielchen abgebrochen. Kyoko klemmte sich den Ball wieder unter den Flügel. Sie hatte verloren, aber das machte ja nichts. Sie hatte immerhin richtig Spaß gehabt. Sie zog den Korb auf zwei Rädern hinter sich her und maschierte den Flur entlang aus dem Filmbereich, den Applaus des Publikums im Genick.
 

Ren wechselte wieder seine Schuhe. Er atmete noch etwas schwer. Das hatte er schon lange nicht mehr gemacht. Er hatte ganz vergessen, wie lustig Basketball sein konnte. Und dieser Hahn war wirklich talentiert, so wie er in diesem Ding rumhüpfte. Er würde diese Frau wirklich gerne mal ohne dieses lächerliche Kostüm kennen lernen, das stand fest.

„Wow, das sah gerade aus, als hätten Sie wirklich Spaß gehabt.“

„Ja, es war lustig. Und Bou sollte man gratulieren, dass er mit den großen Füßen und den kurzen Beinen noch mithalten konnte. Ich muss gestehen, ich hatte anfangs so meine Zweifel.“

Die Moderatoren kicherten, während das Publikum wieder vor Begeisterung zu bersten schien. Er bekam ein neues Glas Wasser von dem Vogel, der das Trikot inzwischen ausgezogen hatte und sich dann dankbar vor ihm verbeugte und wieder verschand.

Er ließ noch weitere Fragen über sich ergehen und konnte sich allmählich wieder entspannen.
 

Kyoko blieb hinter den Kameras stehen, den Hahnenkopf noch immer auf ihren Schultern. Sie musste sich noch etwas überlegen, wenn sie verhindern wollte, dass er ihr nach dem Ende der Sendung folgte und schließlich doch noch heraus fand, dass sie es war, dem er sich all diese Zeit anvertraut hatte.

Sie seufzte.

„Was ist denn heute los mit Ihnen? So kenne ich Sie gar nicht.“

Sie blickte überrascht zur Seite und erblickte Yashiro, der neben ihr stand. Sie seufzte erneut. Konnte sie ihm vertrauen? Eher nicht. Vermutlich würde er es Ren erzählen. Er war ihr zu nichts verpflichtet. Kessy konnte sie aber nicht fragen, denn wenn sie hier gesehen wurde, war es klar, dass sie selbst hier irgendwo stecken musste. Und da diese tolle Maskenbildnerin ihm verraten hatte, dass Bou eine Frau verbarg, würde es ihn nur Sekunden kosten, eins und eins zusammen zu zählen.

Dann war Yashiro wohl doch das kleinere Problem. Nun ja, vielleicht würde ihr Karma ihr doch wieder einen Strich durch die Rechnung machen. Merkwürdig bis heute hatte sie noch nicht mal daran geglaubt, geschweige denn sich Sorgen darum gemacht.

„Entschuldigen Sie, wenn ich jetzt unhöflich erscheine, aber ich kann leider nicht erkennen, was sie gerade denken könnten, da ihr Gesicht immer noch unter diesem Kopf steckt. Reden Sie nicht mehr mit mir?“

Sie schreckte hoch: „Yashiro-san, wir müssen dringend irgendwo kurz unter vier Augen reden.“

Er sah sie irritiert an. Kein Wunder, sie hatte ihre Stimme ja auch nicht verstellt. Hoffentlich tat sie das Richtige. Sie ließ ihn stehen und wich in eine entlegendere Ecke des Studios zurück, von wo aus man sie nicht so leicht sehen konnte. Nun ja, wohl eher von wo aus Tsuruga-san sie nicht sehen konnte. Sie hatte nicht viel Zeit, die Sendezeit war nämlich bald vorbei.

Zu ihrer Belustigung bemerkte sie, dass Yashiro ihr tatsächlich folgte. Sie blieb stehen und wandte sich zu ihm um: „Es wird schwer zu glauben sein, aber ich brauche Ihre Hilfe.“

Er sagte immer noch keinen Ton, sondern starrte sie bloß verständnislos an.

Sie fuhr fort: „Yashiro-san, Tsuruga-san darf auf keinen Fall erfahren, wer ich wirklich bin. Ich meine, er darf nicht wissen, wer unter diesem Kostüm steckt.“

„Warum nicht?“

„Weil er mir sonst sehr sehr böse sein wird.“, sie atmete tief ein: „Hören Sie, ich weiß, dass ich es ihm irgendwann sagen muss, aber ich will, dass er es von mir erfährt auf meine Weise, verstehen Sie?“

„Diese Stimme, die kommt mir so bekannt vor.“

Sie stöhnte enttäuscht und zog sich schließlich den Kopf vom Kopf: „So hören Sie doch.“

Yashiro starrte sie an: „Oh je. Das wird schlimm.“

„Nur wenn er es heute erfährt.“

„Das wird sogar richtig schlimm.“

„Hören Sie mir doch bitte zu.“

„Ach und was willst du mir sagen? Dass ich mich in nächster Zeit in Deckung nehmen muss, wenn ich euch beiden zusammen begegne? Das brauchst du nicht mehr. Sobald er erfährt, dass ich bescheid weiß und ihm nichts gesagt habe, kann ich mir einen neuen Schützling suchen.“

„Yashiro-san, bitte.“, sie sah ihn verzweifelt an: „Wenn ich ihm gesagt habe, was ich sage möchte und ihn dazu bringen kann, mich zu verstehen, dann wird es nicht so schlimm werden.“

„Nicht so schlimm?“, er wirkte ungläubig: „Erinnerst du dich noch daran, wie wir ihm nicht gesagt haben, dass dieser Stalker hinter dir her war und Fuwa dich gerettet hat? Es war das reinste Desaster!“

„Was?“, sie sah ihn ungläubig an: „Aber Sie haben doch damals gesagt, es wäre nicht so schlimm und es wäre nur der erste Schock und es würde wieder gut werden. Und jetzt plötzlich fangen Sie so an.“

„Ja, weil wir von damals wissen, dass es schrecklich enden wird.“

„Yashiro-san, wenn sie mir nicht helfen, dass ich es ihm erklären kann, wird es noch viel schrecklicher enden, als es sonst der Fall sein wird.“, sie klammerte sich an ihrem Kostümkopf: „Bitte.“

„Warum hast du das überhaupt gemacht?“

„Warum ich das...“, sie seufzte und sah über seine Schulter hinweg zum Set: „Es war ein unglücklicher Zufall. Ich hatte gerade diesen Job angefangen und war gefeuert worden, weil ich auf Fuwa losgegangen war.“

Yashiro starrte sie an, während sie nach einer schnellen Erklärung suchte: „Da bin ich ihm begegnet. Ich wollte abhauen, weil ich bei unserer letzten Begegnung ganz schön unhöflich gewesen war, aber er hat mich aufgehalten und mich um Hilfe gebeten, weil er Probleme mit seinem Text hatte. Ich hab ihm geholfen und ihn ausgelacht und hab ihm gesagt, dass ich ihn nicht ausstehen könnte und er hat einfach gelacht. Irgendwie hab ich mich mit ihm unterhalten können, wie mit einem ganz normalen Menschen, was damals noch undenkbar gewesen wäre. Und dann hatte er seine Schauspielblockade und ich hatte zufällig das Kostüm dabei, als er alleine in einer Ecke saß. Da dachte ich mir, wenn es schon mal geklappt hat, warum sollte es nicht noch einmal funktionieren. Ich traf ihn immer nur, wenn er irgendwelche Probleme hatte. Zufällig konnte ich mich dann ab und zu auch mal ihm anvertrauen und so haben wir beide davon profitiert.“

Der Manager seufzte abgrundtief: „Aber verschweig es ihm nicht zu lange. Wenn alle Stricke reißen, kann ich ihm dann wenigstens sagen, dass ich es noch nicht lange wusste. Er hasst es, angelogen zu werden.“

„Ich weiß. Ich hab auch noch alle am Set dazu verleitet mich nur noch Bou zu nennen. Wissen Sie, wie schlecht es mir dabei geht?“

„Warum sagst du es ihm dann nicht jetzt?“

„Weil ich noch nicht soweit bin.“, sie machte eine Pause: „Ich will es ihm irgendwann in aller Ruhe sagen. Ich hab einfach noch zu große Angst.“

Sie zog sich den Kopf wieder über und ging ins Studio zurück, wo nun die letzten Minuten aufgenommen wurden.

Yashiro sah ihr verwirrt hinterher. Er hatte sich ja schon immer gefragt, wieso er sich ausgerechnet mit diesem Hahn so gut verstand, aber er wäre niemals auf die Idee gekommen, dass es Kyoko sein könnte. Wer rechnete auch schon mit soetwas?

Aber das war auch nicht das Problem. Das Problem war, dass er nicht wusste, wie er ihn von ihr fernhalten sollte. Er würde ihr gewiss sofort folgen, wenn die Kameras ausgingen und dann würde er schnell handeln müssen, um ihn zu stoppen. Das Schwierige dabei war nur, glaubwürdig zu wirken. Wenn er Lunte roch, konnte sie sich gleich vor ihn stellen und sich den doofen Kopf vom Kopf ziehen.

Er wusste ja auch nicht, worüber die beiden immer gesprochen hatten, wenn sie alleine verschwunden waren. Das kam noch erschwerend hinzu. Offenbar war es aber so pikant, dass sie es ihm nicht einfach sagen konnte.

Dem Manager drehte sich der Kopf, als die Sendung schließlich endete und Kyoko sich von ihm verabschiedete. Sie kam an ihm vorbei und sah ihn noch einmal hilfesuchend an, als auch schon Ren auf ihn zukam: „Warte doch mal.“

„Ähm, Ren.“, er stellte sich ihm in den Weg: „Wir müssen sofort weiter. Diese kleine Basketballnummer hat doch mehr Zeit gekostet, als erwartet.“

Der Schauspieler sah ihn verdutzt an: „Das hat doch noch einen Moment.“

„Ich fürchte nicht. Die Sendung wurde überzogen und“, er schnupperte kurz an ihm: „Sei mir bitte nicht böse, aber du musst duschen.“

Das war keine Lüge.

Ren blickte noch ein letztes Mal in die Richtung, in die der Hahn verschwunden war und seufzte enttäuscht. Sie war weg. Er musste sich geschlagen geben: „Na gut.“

Yashiro tätschelte ihm den Arm, sah ein letztes Mal über die Schulter und erkannte Kyoko, die um die Ecke lugte und ihm mit den Lippen ein Dankeschön formte.

Na hoffentlich ging das nicht in die Hose.

Es wurde Tag und es wurde Abend 11

Kyoko sah in den Spiegel und beobachtete, wie Olivia ihr Haar zurecht machte. Hier und da zog es etwas an ihrem Kopf, wenn die Bürste darüber schreifte und die einzelnen Haare zurück in die Hand der Maskenbildnerin zog.

Kanae wollte sie heute zum Mittagessen besuchen. Sie freute sich schon richtig drauf. In letzter Zeit verbrachte sie einfach viel zu wenig Zeit mit ihrer Freundin. Das lag aber nicht nur an ihrem Terminplan, der inzwischen schon ziemlich vollgestopft war, sondern auch an dem ihrer Kollegin. Kanae war inzwischen auch schon sehr erfolgreich. Während ihrer Zeit in Amerika hatte nicht nur sie selbst sich verändert.

Irgendetwas ging da zum Beispiel zwischen Yashiro und ihrer Freundin vor. Sie wusste nicht was, da sie in letzter Zeit nicht wirklich oft gesprochen hatten und Kanae es auch nicht thematisiert hatte, aber da war was. Sie hatte sie zum letzten Mal an dem Abend gesehen, als sie vom Präsidenten zurück gekommen war. Damals hatte sie geschmunzelt, als die Sprache auf den Manager kam. Lief da was, von dem sie nichts wusste? Welch schlechte Freundin sie war, wenn sie nichts über die Beziehung ihrer Freundin wusste! Ihr Gewissen regte sich.

Sie seufzte.

„Oh, hab ich dir weh getan?“, Olivia fasste die Haare in einer Hand zusammen und band sie zu einem Zopf, der ihr locker auf die Schultern fiel und sah ihr im Spiegel in die Augen.

„Nein, alles in Ordnung.“, Kyoko lächelte sie an.

„Okay.“, sie wirkte nicht wirklich überzeugt, aber das war Kyoko nun wahrlich gleich.

Wo sie gerade bei Yashiro war. Hoffentlich hatte er nichts verraten. Nachdem er mit Tsuruga-san verschwunden war, hatte sie noch einiges erklären müssen, was sie der Crew nicht mal verübeln konnte. Es war ihr auch wichtig gewesen, dass sie nicht alle dachten, sie würde sich für ihren Job schämen. Sie hatte es ihnen erklären können, auch wenn sie einige pikante Details ausgelassen hatte, die nicht sie selbst sondern ihn belastet hätten. Sie hatte nichts von ihrem Gespräch über sein Liebesleben verraten und auch nicht, dass er gedacht hatte, Tentekomai sei ein Tanz. Sie hatte nur oberflächlich von Textproblemen gesprochen und die Geschichte etwas abgewandelt, sodass es so aussah, als hätte sie sich ihm anvertraut und er hätte ihr Mut gemacht, weiter zu machen. Alles in Allem hatte sie ihn in ein ziemlich gutes Licht gerückt. Okay, sie hatte gelogen und das war nicht gut, aber es war keine Lüge zu ihrem eigenen Nutzen sondern zu seinem Schutz gewesen. Wie hätte die Wahrheit wohl ausgesehen. Es wäre ein Desaster gewesen. Aber nun hatte sein Image keinen Schaden genommen und das war die Hauptsache!

Nun blieb ihr nur noch zu Hoffen, dass Yashiro ihr wirklich geholfen hatte. Sie konnte ihn verstehen, dass er ihn nicht anlügen wollte, denn es gefiel ihr ja selbst nich mal. Bei ihm ging es aber auch um seinen Job. Würde Tsuruga-san ihm nicht mehr vertrauen, dann könnte er seine Arbeit nicht mehr machen.

Sie hörte auf, darüber nachzudenken, denn sie spürte, wie ihr allmählich schlecht wurde. Sie musste schnell etwas unternehmen. Sie musste handeln.

„So, wir sind fertig. Du kannst jetzt rausgehen.“, Olivia lächelte sie an.

„Danke sehr.“, sie verließ den Raum und begab sich zum nächsten Set.

Wo sie gerade dabei war, Kessy hatte sie auch nichts gesagt. Das musste noch warten.

Sie zog sich noch einmal die Schürze über ihren Kleid zurecht und band den Knoten am Rücken fester, bevor sie zu Maiko hinüber ging.

Die junge Frau hatte ein hellblaues Kleid an, über dem auch eine Schürze hing. Ihre blonden Haare waren auch in einem Zopf am Hinterkopf zusammengefasst. Er reichte ihr aber nur bis zu ihrem Genick, weil ihre Haare ein gutes Stück kürzer waren als Kyokos.

„Hübsch siehst du aus.“, Kyoko schmunzelte sie an

„Danke.“, sie war ganz verlegen und kratzte sich leicht an ihrer Schläfe: „Du aber auch.“

Kyoko lächelte sie an: „Bist du nervös?“

„So ziemlich.“, ihre Stimme war nur ein Flüstern: „Wir haben zwar schon gespielt, aber ich bin trotzdem noch jedes Mal aufs neue so aufgeregt, als wäre es das erste Mal.“

„Das legt sich mit der Zeit.“

„Sicher?“

„Ganz sicher.“, Kyoko lächelte sie an und sah hinüber zu der Szene, die gerade gedreht wurde. Tsuruga-san stand vor der Kamera und sie musste erneut feststellen, dass sie sein Spiel noch genauso fesselnd fand, wie sie es früher schon getan hatte.

„Ihr seid wohl gute Freunde, du und Tsuruga-san, was?“

Kyoko wandte sich widerwillig zu Maiko um: „Wir kennen uns schon lange. Und ja, ich glaube schon, dass wir Freunde sind.“

„Beneidenswert.“

Kyoko sah sie überrascht an: „Ist alles in Ordnung?“

Sie lächelte verlegen: „Ja. Es ist nur, ich bin meistens so schüchtern, es sei denn, ich stehe vor der Kamera.“, sie lachte verlegen: „Er sieht schon verdammt gut aus. Und nett ist er auch noch.“

„Ja, schon.“, Kyoko wunderte sich, worauf sie hinaus wollte: „Das ist wahr.“

„Ich trau mich nur kaum, mit ihm zu reden.“

„Wieso das?“

„Eben weil ich so schüchtern bin.“, sie sah ihm bei seiner Darstellung zu: „Er kann wirklich gut spielen.“

Kyoko war unsicher ob sie wirklich fragen sollte. Wenn sie wirklich so schüchtern war, wie es den Eindruck machte, würde sie sie vielleicht in Verlegenheit bringen. Sie raufte sich zusammen, die Neugierde und dieses merkwürdige Ziehen im Magen, ließen ihr sonst keine Ruhe: „Maiko-chan, kann es sein, dass du vielleicht ein kleines Bisschen in ihn verliebt bist?“

Die junge Frau sah sie überrascht an, ihre Wangen färbten sich auffallend rot und sie antwortete langsam aber auch extrem nervös: „Nein. Ich finde nur, dass er gut aussieht.“

„Wenn es so wäre, wäre das doch kein Problem.“, sie log schon wieder, dass wusste sie tief im Unterbewusstsein, doch sie verdrängte es gekonnt.

„Ich bin nicht in Tsuruga-san verliebt.“, sagte sie entschlossen und Kyoko war geneigt ihr zu glauben.

„Entschuldige, ich hätte nicht fragen sollen.“

„Würde es dir denn etwas ausmachen?“, Maiko behielt sie genau im Auge.

Wie war das noch mal gewesen? Ach ja, wenn etwas nicht wahr ist, dann muss man es auch verneinen!

„Nein. Er scheint nur oft diese Wirkung auf seine weiblichen Kollegen zu haben.“, das war alles die Wahrheit.

„Also auch auf dich?“

„Nein, auf mich nicht.“, okay er machte sie nervös, aber sie war nicht naiv genug sich deshalb gleich in ihn zu verlieben: „Ich habe nie mehr als einen Freund in ihm gesehen.“

Maiko starrte sie an: „Wow, ich fühl mich, hätte ich ein Einhorn gefunden.“

Kyoko starrte sie verständnislos an: „Bitte was?“

Sie errötete wieder: „Ähm, ich lese gern Fantasygeschichten und nun ja, in Wirklichkeit sollte es ja keine Einhörner geben und es ist deshalb fast genauso unmöglich ein Einhorn zu sehen, wie dass jemand ihm nicht verfällt, wenn er diese Szenen spielt. Das dachte ich nur immer.“

Sie hatte immer schneller geredet und den letzten Satz leise und kleinlaut hinzugefügt.

Kyoko überlegte einen Moment und sah noch einmal hinüber zu dem Schauspieler, dann wandte sie sich wieder an Maiko: „Was hälst du davon, wenn du später mit zum Mittagessen kommst. Eine Freundin und meine Managerin werden auch da sein.“

Maiko strahlte sie an: „Vielen Dank!“

„Ist doch klar.“, Kyoko lächelte sie wieder an. Vielleicht konnte sie sich ja mit ihr anfreunden. Dann wäre sie auch später als die Jüngste am Set nicht so alleine, wenn sie zur Lokation fuhren.
 

„Cut.“, Shingai erhob sich von seinem Stuhl und ging zum nächsten Set hinüber, dass bereits aufgebaut worden war, während die Schauspieler der letzten Szene zum Fernseher gingen, um sich ihr Werk noch einmal anzusehen.

Er kam vor Kyoko und Maiko zum Stehen: „So meine Ladies, damit wären wir bei eurer Szene angekommen.“

Sie sahen sich verwundert an. Ladies? Was war denn in ihn gefahren?

Er geleitete sie zum Set hinüber, dass dieses Mal aus einer Küche bestand, in deren Wand eine Anreiche eingelassen worden war: „Hier auf dem Tisch, liegen die Blumen, die ihr zu kleinen Sträußen binden sollt. Am besten ist es wohl, wenn ihr euch irgendwie absprecht, wie ihr die Sträuße machen wollt, damit sie sich irgendwie ähneln. Schließlich binden Jo und Conny sie, damit sie sie im Speiseraum auf den Tischen verteilen können.“

Sie sahen auf die Blumen hinab, die vor ihnen auf dem Tisch lagen und Kyoko zog sich kurz das weiße Kleid zurecht, dass sie unter der roten Schürze trug und ihre Knöchel umspielte. Darunter trug sie ein paar brauner Schuhe, die zwar nicht so klobig und hoch waren wie Wanderschuhe, aber diesen doch irgendwie ähnelten. Sie passten nicht zum Kleid.

Shingai fuhr fort: „Denkt dran, dass Matsushima noch nicht lange in euer Hotel eingecheckt hat und ihr noch etwas in der Vergangenheit schwelgt. Maiko, erinnerst du dich noch daran, was deine Erinnerungen sind?“

Es war nicht böse gemeint, dass er sie abfragte. Sie war noch ziemlich neu im Geschäft und er wollte ihr helfen, alles im Blick zu behalten. Maiko half es bei jeder Szene ihre Schüchternheit zu vergessen und so brachte sie gute Szenen zustande. Es war klar, dass sie irgendwann auch selbst dazu in der Lage sein musste, aber bisher war es nicht schlecht.

„Also, ich habe beobachtet, wie Matsushima meine Schwester geküsst hat und sie daraufhin zurück gewichen ist und ihm so nett wie möglich gesagt hat, dass sie nichts von ihm will.“

„Genau. Und dann?“

„Und dann haben sich meine Eltern plötzlich getrennt und ich bin mit meiner Schwester und meiner Mutter nach Amerika gezogen. Sie hat sich nicht von ihm verabschiedet.“

„Gut. Was noch?“

„Ähm, ich weiß nicht, dass er bei der Juno-Corps angestellt ist und will die Gaststätte genauso wie meine Großmutter weiterführen. Deshalb streite ich mich zur Zeit des öfteren mit Jo, die sich noch nicht ganz sicher ist, aber mit dem Gedanken spielt alles zu verkaufen.“, Maiko’s Stimme wurde nach und nach immer fester und sie wirkte selbstsicherer.

„Gut, dann sprecht euch ab und wenn ich es sage, fangen wir an.“, er ließ sie stehen und ging hinüber zum Fernseher, wo die letzte Szene gerade aufhörte. Er verwickelte Tsuruga-san in ein Gespräch und Kyoko wandte sich wieder Maiko zu.

„Was haben wir denn hier schönes?“, sie sah auf die Blumen hinunter die einen wirklich kurzen Stiel hatten. Die Sträuße würden nicht groß werden. Neben den Blumen lagen schon einige fertige Sträußchen. Kyoko nahm sich einen: „Hm, da fehlt nur die kleine Margerite. Ich würde sagen, wir machen sie genauso wie die hier, meinst du nicht?“

Maiko sah auf die Blumen hinunter, sie wirkte traurig, irgendwie.

„Was ist los?“

„Ich versteh nicht, dass er das immer macht. Ich glaube, ich bekomm die Szenen auch hin, wenn ich ihm nicht jedes Mal runterbeten muss, worum es gerade geht.“

„Dann rede doch mal mit ihm. Er meint es sicherlich nur gut.“, Kyoko tätschelte ihre Schulter: „Na komm, wir finden uns in unsere Rollen ein und dann geht’s los, okay?“

Maiko nickte verlegen.
 

Die Küche war schon ziemlich alt, aber sie sah lange nicht so schlimm aus, wie die Sattelkammer. Reika hatte sich wohl darum gekümmert. Das war ein Glück, so konnten sie immerhin sicher sein, dass sie keine Probleme mit der Gesundheitsbehörde bekamen.

„Sieh mal, wer da geht.“, Conny deutete mit einem Kopfrucken auf die Anreiche, die zwischen ihnen über dem Tisch war und durch die man Matsushima sehen konnte, der die Treppe hinunter kam und den Flur überquerte, von dem man nicht wirklich viel sehen konnte.

„Was der wohl vor hat?“, Conny zupfte gedankenverloren an einer Blume.

„Hey, mach sie nicht kaputt, wir brauchen die noch.“, Jo ergriff ihre Hand und hielt sie davon ab, die Blume zu verstümmeln: „Es ist doch egal, was er macht.“

„Bist du dir da sicher?“, Conny lächelte sie an: „Ich weiß noch, wie ich gesehen habe, wie er dich küsste. Lief da was zwischen euch?“

Jo sah sie überrascht an: „Du hast uns bespitzelt?“, ihre Stimme klang ein klein wenig wütend, genau richtig.

„Ach komm schon, ich hatte damals nicht viel zu tun. Unsere Eltern haben sich ständig gestritten und alleine reiten wollte ich nicht. Es war Zufall, dass ich in der Nähe war und als ich euch mal gesehen hatte, war es irgendwie schwer nicht neugierig zu sein.“

Jo seufzte.

„Also, könnte da wieder was laufen?“

„Conny!“, sie sah ihre Schwester verständnislos an, faste sich und seufzte erneut: „Damals ist nichts gelaufen. Ich hab ihn abblitzen lassen. Ich hätte mich nicht mal von ihm küssen lassen, hätte ich damit gerechnet.“

„Schade.“

Jo sah auf ihren Strauß hinab und lächelte frech: „Er hat geküsst wie ein Fisch.“

Conny sah überrascht zu ihr auf: „Was?“

„Nun ja.“, sie lächelte nun amüsiert und entschwebte für einen Moment in die Vergangenheit: „Es war sein erster Kuss und der war nicht sonderlich gut.“

„Wie kann man denn wie ein Fisch küssen?“, Conny lächelte nun auch schon.

„Du weißt schon.“, sie machte einen Fischmunt und brachte ihre Schwester damit vollends zum Lachen.

„So schlimm?“, sie hielt sich die Seite.

„Ja.“, sie stimmte in ihr Lachen ein: „Ja, so schlimm. Ich hab sogar Mitleid mit ihm bekommen.“

„Ja und dann hast du ihm gesagt, dass du ihn zwar gern hast, aber dass du nichts von ihm willst.“, Conny wirkte wieder etwas ernster: „Meinst du, er küsst immer noch so?“

„Wär schon irgendwie lächerlich, wenn es so wäre.“

„Ja. Bei dem Aussehen und dann so ein schlechter Küsser.“, Conny lächelte wieder.

„Tja, man kann Menschen eben nicht ansehen, wie sie küssen.“

„Hast du es ihm jemals gesagt?“

Jo sah auf ihre Hände: „Sowas kann man einem doch nicht sagen.“

„Wieso nicht?“

„Weil es ganz schön unhöflich wäre. Außerdem habe ich ihn damals das letzte Mal gesehen und es wäre wirklich unsensibel gewesen, ihm das so kurz nach der Abfuhr zu sagen.“

„Hm.“, Conny wirkte nachdenklich: „Und warum hast du ihm die Koffer entgegengeworfen, als er hier einchecken wollte?“

„Hab ich doch gar nicht.“, Jo’s Stimme wurde etwas höher. Okay, sie war wenig überzeugend, das stand fest: „Ich hab ihn nur nicht reinlassen wollen.“

„Aber warum?“

„Das hat andere Gründe.“, sie machte eine Pause: „Er arbeitet für die Juno-Corps.“

„Was?“, Conny war geschockt: „Aber was macht er hier? Und warum hast du ihn dann rauswerfen wollen?“

„Ich nehme an, er will die Lage checken.“, sie leckte sich über die Unterlippe: „Ich will ihn nicht hier haben, weil ich mich nicht unter Druck gesetzt fühlen will, wenn ich mich entweder dafür oder entgegen entscheide, den Laden hier weiter zu führen.“

Conny seufzte.

Ihre große Schwester wischte sich die Hände an der Schürze ab: „Ich geh mal eben und sieh nach, ob wir genug Vasen auf den Tischen hab und ob sie auch Wasser haben.“
 

„Cut.“, Shingai erhob sich von seinem Stuhl und wandte sich an alle, während die beiden vom Set zu ihnen herüber kamen: „Ich möchte euch noch einmal daran erinnern, dass wir für nächste Woche die Außenlokation gebucht haben. Denkt also bitte daran und findet euch pünktlich zu euren Szenen ein.“

Kyoko sah zu Ren auf, der neben ihr stand. Sie war leicht überrascht, denn eben war er noch nicht da gewesen.

„Das war nett.“

„Nett?“, sie wandte sich leicht pikiert zu.

„Ja.“, er grinste sie schelmisch an.

Sie atmete aus und sah zu Kessy hinüber, die eine Jacke in die Höhe hielt.

„Ich hab Ihre Jacke dabei. Die haben Sie vorgestern bei mir vergessen.“

Er folgte ihrem Blick zu ihrer Managerin hinüber: „Ach die. Die hab ich schon gesucht.“

Er sah wieder auf sie hinab begegnete ihrer gerunzelten Stirn: „Was ist los?“

„Sagen Sie, wie bin ich eigentlich ins Bett gekommen?“

Er hob die Hände: „Ich hab dich nur rüber getragen und da abgelegt. Ich dachte, wenn du auf dem Sessel schläfst, hast du nur Rückenschmerzen, wenn du aufwachst.“

Sie sah verlegen auf ihre Füße: „Danke.“

„Gern geschehen.“, er sah noch einmal zum Set hinüber: „Ich mag diese Stelle mit dem Fisch nicht so ganz.“

Sie zupfte lächelnd an der Innenseite ihres rechten Mundwinkels und legte den Kopf in den Nacken, um zu ihm aufzusehen, während sie ihre Hände im Rücken faltete: „So so, dass hat Ihnen also nicht gefallen.“

Er sah auf sie hinab: „Wer sollte das auch glauben.“

„Hoffentlich die Zuschauer.“

Er kam noch näher auf sie zu und stellte fest, dass sie nicht vor ihm zurück wich: „Solange du das nicht glaubst.“

„Warum sollte das so wichtig sein.“, sie legte kaum merklich den Kopf schräg. Es war ihr nicht mal bewusst, ihr Körper reagierte einfach.

Er sah ihr lange in die Augen und schmunzelte dann: „Sonst bist du später noch so überrascht, dass du nicht mehr richtig spielen kannst.“

Sie lächelte ihn nun offen und selbstsicher an: „Das glaube ich kaum.“

Sie sahen sich lange an, bevor er ihr antwortete: „Du wirst es ja sehen.“

„Klingt wie eine Herausforderung.“

„Versteh es eher als eine Warnung.“

„Ich schätze, wenn es nicht stimmt, muss ich lachen.“

„Dann wirst du nichts zu lachen haben.“

„Sie sind sich ja ganz schön sicher, Mister.“

Er strich ihr eine Strähne hinters Ohr, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte: „Ich weiß es eben sicher.“, sein Blick wanderte langsam zu ihrem Mund: „Wäre nicht das erste Mal.“

Sie lächelte ihn selbstsicher an und trat einen Schritt zurück ohne den Blickkontakt zu brechen, der bei ihrer Bewegung wieder entstanden war: „Wir werden sehen.“

Er blieb bewegungslos stehen und sah ihr nach, wie sie sich lächelnd umdrehte und zu Kessy und Maiko hinüber ging, die das ganze offenbar beobachtet hatten. Er wandte sich von ihr ab und bemerkte erleichtert, dass ansonsten nur Yashiro etwas mitbekommen hatte. Er war schwach geworden und hatte feststellen müssen, dass es ihm sogar Spaß gemacht hatte. Er hatte immer noch ein Lächeln auf den Lippen, dass nicht mal wegen der Fragen des Managers brechen konnte, die er irgendwie einfach überhörte.

Er seufzte verliebt und wurde sich dessen auch augenblicklich peinlich bewusst. Sie hatte sich wirklich verändert. Er musste es sich jedes Mal aufs Neue eingestehen, wenn sie so anders mit ihm umging. Damals, als sie bei der Abschlussfeier von „Dark Moon“ gewesen waren, war sie noch richtig nervös geworden und hatte sogar den Präsidenten in seinem Versteck umgeworfen, als er mit ihr geflirtet hatte.

Vielleicht musste er endlich gänzlich über seinen Schatten springen. Es würde ohnehin immer so laufen, wenn er sie wieder traf und er spürte, dass er keine andere Frau außer ihr wollte. Rick hatte er damals hinter sich gelassen, wieso also sollte er nicht auch seine Zweifel und seine Vorsicht fahren lassen?

Er klopfte dem Manager gelassen auf die Schulter, den er schon die ganze Zeit ignorierte: „Lass uns was essen gehen.“

Yashiro starrte ihn verständnislos an. Was war jetzt wieder los?

Es wurde Tag und es wurde Abend 12

„Um 14.00 Uhr müssen wir zu Queen Records.“, Kessy ging den Terminplan durch, während sie mit Maiko das Aufnahmestudio verließen.

Kyoko zuckte kurz und sah zu ihrer Managerin hinüber, die sie bereits vielsagend ansah: „Wieso das? Der Job ist doch erledigt.“

„Tja, ich mach es kurz und schmerzvoll: Du sollst mit aufs Cover der CD und die Werbemedien. Deshalb wurde für heute Nachmittag ein Fotoshooting angesetzt.“, sie ließ ihren Schützling keine Sekunde aus den Augen.

„Oh.“, Kyoko wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte. Das würde wieder Probleme machen. Es war so sicher, wie das Amen in der Kirche. Sie musste wohl mal wieder ins kalte Wasser springen, denn sie hatte Kuu immerhin versprochen, den Job ohne Probleme und ordentlich zu erledigen.

„Was war das für ein Job?“, Maiko sah neugierig von einer zur Anderen.

„Nicht so wichtig.“

„Achso.“, sie sah den Flur entlang und erblickte eine große Frau mit dunklen langen Haaren, die ihnen im Weg stand. Sie trug eine lange weiße Stoffhose unter deren Saum schwarze Pumps zu erkennen waren. Unter ihrer blauen Blazerjacke, die offen stand, war ein schwarzes Top zu erkennen. Von ihrer Schulter baumelte eine schwarze Handtasche.

Kyoko folgte ihrem Blick und strahlte fast augenblicklich: „Na wenn das nicht meine Richterin ist.“

„Hm. Ich dachte ja eigentlich, ich wäre deine Freundin, aber wenn dir eine Richterin lieber ist, kann man nichts machen.“, antwortete ihr die Fremde.

„Wär doch klasse, wenn du beides wärst.“, Kyoko umarmte sie kurz und lächelte sie an.

„Ich bin ja nicht immer eine Richterin.“

„Aber du bist es immer, wenn ich dich mal zu Gesicht bekomme und das ist leider nur im Fernsehen.“, sie knuffte sie in den Oberarm.

„Tja, dass liegt aber nicht nur an mir. Außerdem bist du da noch besser weggekommen, als ich. Ich seh dich nämlich immer nur in Sho Fuwas PV.“

Kyoko sah sie getroffen an: „Au! Das war ein Schlag unter die Gürtellinie.“

„Tschuldige.“, sie lachte.

Kessy räusperte sich verhalten, lächelte sie aber unsicher an, weshalb sich Kyoko erschrocken umdrehte. Sie hatte die Beiden völlig vergessen.

„Entschuldigt. Kanae, an Kessy Keller erinnerst du dich bestimmt noch, oder?“, sie wies mit ihrer Hand auf ihre Managerin, die Kanae freundlich anlächelte.

„Klar. Und wer ist das? Du bist aber auch schusselig, mich einfach nicht vorzustellen.“, sie wirkte pikiert, aber ihr Gesichtsausdruck war warm und belustigt.

„Tja, du hast mich eben zu sehr abgelenkt.“, Kyoko wandte sich wieder Maiko zu: „Das, meine Liebe, ist Maiko Hanazoto. Sie spielt meine kleine nervige aber liebenswerte Schwester.“

Kanae machte zwei große Schritte auf sie zu und reichte ihr die Hand: „Hallo, ich bin Kanae Kotonami.“

Maiko ergriff schüchtern ihre Hand: „Jetzt erkenn ich Sie auch wieder. Sie spielen die Hauptrolle in „Richten will gelernt sein“, stimmt’s?“

„Ja.“, Kanae ging wieder zu Kyoko zurück und die beiden verfielen wieder in diese Geplauder, in das sich nun Kessy gelegentlich einklinkte, bis sie in der Cafeteria angekommen waren.

Sie stellten sich an der Essensausgabe an, holten sich ihr Essen und gingen hinüber zu einer Ecke, in der sie ungestört reden konnten. Kanae ließ sich an dem runden Tisch gegenüber von Kyoko nieder, während sich Kessy und Maiko jeweils rechts und links von ihr verteilten.

In dem Raum waren noch mehr Tische verteilt, an denen auch einige Schauspieler saßen, aber die meisten Tische waren mit der Crew vom Set besetzt.

Kyoko sah sich unauffällig um, wobei sie nicht viel erkennen konnte, da sie mit dem Rücken zur Essensausgabe saß, die sich gegenüber der Fensterfront befand, an der ihr Tisch stand.

„Suchst du jemand bestimmtes?“, Kanae hatte sie bemerkt und grinste sie nun frech an: „Vielleicht kann ich dir ja sagen, wer so im Raum ist.“

„Nein, danke.“, sie erstach leicht verstimmt eine Minigurke auf ihrem Teller und schob sie sich in den Mund.

„Kennen Sie sich schon lange?“, Maiko sah zu Kanae hinüber, Neugierde und Begeisterung in den Augen.

„Eine Weile.“, Kanae sah zu Kyoko hinüber, die den Mund schon wieder voll hatte.

„Und was hat das jetzt mit diesem Fotoshooting auf sich?“, sie wandte sich an Kessy und Kyoko.

Kanae horchte auf: „Ein Fotoshooting? Wo? Für wen? Wann?“

Kyoko seufzte: „Für Sho Fuwa. Ich habe doch in seinem letzten Video mitgespielt und jetzt hatte er plötzlich die Idee, dass ich mit aufs Cover und die Werbeplakate soll.“

„Du klingst nicht begeistert. Warum machst du es dann?“, Kanae war verwirrt.

„Ich hab es jemandem versprochen. Und außerdem ist es ein Job. Ich mach meine Arbeit anständig zu ende.“, sie sah auf ihren Teller hinab und lud sich eine neue Gabel voll, die sie dann in den Mund schob.

„Wo ist denn das Problem?“, Maiko sah von einer zur Anderen.

Kessy antwortete ihr: „Kyoko und er kennen sich noch von früher und deshalb ist die Atmosphäre gelegentlich etwas angespannt.“

„Genauso angespannt wie vorhin zwischen ihr und Tsuruga-san?“

Alle starrte die junge Frau an, die verlegen auf ihren Teller hinunter sah.

„Wovon redet sie?“, Kanae zog die Augenbrauen hoch, als sie von Kyoko zu Kessy und wieder zurück sah.

Die beiden warfen sich einen Blick zu, der von Kyokos Seite aus bedeutete, sie solle nichts sagen. Kessy überging dies einfach, grinste breit, nahm ihr Glas, trank einen Schluck und meinte dann: „Tja, die beiden flirten nicht mehr nur vor der Kamera, Kotonami-san.“

„Nenn mich Kanae. Wie meinst du das?“

„Es hat vorhin wieder ganz schön geknistert, als sie übers Küssen gesprochen haben.“, Maiko sah aus den Augenwinkeln zu Kyoko hinüber und lächelte breit.

Kyoko wich allen aus und stocherte in ihrem Teller herum. Sie hatten doch gar nicht wirklich geflirtet, oder? Okay, vielleicht ein Bisschen, aber das lag ja wohl nicht nur an ihr. Moment mal. Was hieß hier eigentlich nicht nur? Sie war völlig unschuldig. Sie reagierte nur auf sein Verhalten! Ja genau.

„Kyoko.“, rief Kanae leise, die gemerkt hatte, dass ihre Freundin abtrifftete: „Komm mal wieder zurück zu uns oder schwelgst du gerade in Erinnerungen?“

„Nein, mach ich nicht.“, okay, jetzt musste sie doch langsam mal was tun: „Ihr beiden übertreibt. Da ist nichts.“

„Was Fuwa angeht, stimme ich dir ja zu.“, Kessy verschränkte die Arme vor ihrem Teller auf dem Tisch und sah sie ernst an: „Aber bei Tsuruga-san ist es anders.“

„Nein.“, sie schob die Unterlippe vor und sah ernst zurück.

„Er hat sie sogar nach Hause gefahren und im Flur noch bevor die Dreharbeiten angefangen hatten haben sie es auch ganz schön knistern lassen. Das war direkt nach der Pressekonferenz.“

„Hör mal, ich dachte du bist meine Managerin. Musst du mich da nicht schützen?“

„Ach was, vor deinen Freundinnen ist das was anderes.“

Maiko errötete leicht.

„Na komm schon.“, Kanae legte ihr Besteck zur Seite und sah ihr in die Augen.

Kyoko seufzte tief: „Er triezt mich einfach immer wieder und ich lass es mir nicht gefallen.“

„So kann man es auch nennen.“, Kessy verdrehte die Augen: „Du ärgerst ihn aber auch mal ganz gerne.“

Kyoko antwortete nicht, sondern nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Glas, dass sie danach wieder auf den Tisch stellte.

Kanae lächelte breit: „Wenn man vom Teufel spricht.“

„Was?“, Kyoko sah sie verständnislos an, während sich Maiko, die mit dem Rücken zur Tür saß ungeduldig in ihrem Stuhl umdrehte und Kessy einfach geradeaus dorthin sah.

„Tsuruga-san. Er ist gerade hereingekommen.“

Kyoko nahm sich eine weitere Gabel von ihrem Teller: „Jetzt werdet ihr ja sehen, dass wir ganz normal miteinander umgehen.“

Kessy hustete gespielt: „Wers glaubt.“

„Hallo ihr Vier.“, Yashiro fixierte Kanae, die seinen Blick ernst erwiederte. In ihren Augen lag etwas wie Sehnsucht, wie es Kyoko erschien. Der Manager ging zu ihr hinüber und blieb bei ihr stehen, um sich kurz mit ihr zu unterhalten.

„Schmeckts?“

Kyoko drehte sich zur Seite, konnte aber niemanden sehen und legte dann den Kopf in den Nacken um nach oben zu sehen: „Ja, danke.“

Ren lächelte sie freundlich an: „Dann sollte ich mir vielleicht auch mal etwas holen.“

„Wäre zu empfehlen, sonst essen Sie am Ende wieder gar nichts.“

Er lehnte sich zu ihr hinunter, seine Hände an ihrer Armlehne abgestütz und flüsterte ihr schließlich ins Ohr: „Warum starren sie uns alle so an?“

Kyoko kicherte: „Weil sie spinnen, deshalb.“

„Vielleicht sollten wir ihnen etwas zum gucken geben.“, aus den Augenwinkeln konnte er sehen, wie sie grinste. Den Kopf hatte sie immer noch im Nacken, damit sie ihm gleichfalls ins Ohr flüstern konnte: „Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist.“

„Ich bin mir sogar sicher, dass sie es nicht ist. Yashiro nervt mich schon die ganze Zeit.“

„Der also auch.“, sie seufzte. Für ihn war es einer der schönsten Klänge seines Lebens.

„Aber wenn wir ihnen nichts zum Reden geben, werden sie uns nur weiter anstarren.“

„Scheint so.“, sie atmete tief ein und erkannte den Geruch seines Aftershaves wieder, den sie schon bei ihrem kleinen Basketballspiel war genommen hatte: „Was ist ihr Plan?“

Er kicherte: „Ich glaube, wir haben sie schon genug verwirrt.“

„Hm.“, sie biss sich von innen auf die Lippe und stoppte sich, bevor sie „schade“ sagen konnte: „Wenn das so ist, hat es sich wohl erledigt.“

„Wir könnten es allerdings auch noch weiter treiben.“

„Maiko hat ein zartes Gemüt, ich glaube, das verträgt sie nicht.“, Kyoko neigte den Kopf wieder zurück, sodass sie wieder Kanae erblickte.

„Was wirst du ihnen erzählen?“, er flüsterte weiter in ihr Ohr.

Sie wandte den Kopf, um ihm in die Augen zu blicken und bereute es augenblicklich. Er hatte wieder diesen Blick aufgesetzt, der ihre Eingeweide verrückt spielen ließ. Sie atmete tief ein, lächelte, neigte den Kopf wieder zurück und flüsterte: „Dass es sie nichts angeht.“

Er lachte. Er lachte ganz offen und stellte sich wieder gerade auf, allerdings ohne den Blick von ihren Augen zu nehmen, die immer noch zu ihm aufsahen.

Kyoko brach den Blickkontakt und sah zurück zu den Anderen, die sie alle anstarrten. Als sie Kanaes Blick begegnete, löste diese sich aus der Starre und schob sich lächelnd eine weitere Gabel in den Mund. Sie war die Einzige, die offenbar wieder zum Leben erwacht war, neben Yashiro, der sie aus den Augenwinkeln beobachtete.

Kyoko griff nach ihrem Glas, doch als sie es erreichte, hatte eine Hand es bereits erfasst. Sie sah hinunter und erkannte Rens Ärmelsaum, der auf seinem Handgelenk lag, als sie auch schon seine Stimme hörte: „Ich nehm mir mal kurz einen Schluck, ja?“

Kyoko sah wieder zu ihm auf: „Na gut.“

Er trank einen Schluck und reichte ihr danach das Glas, bevor er sich an seinen Manager wandte: „Lass uns gehen, sonst bekomm ich wieder ärger.“

„Allerdings.“, Kyoko lächelte zu ihm hoch, als sie das Glas wieder auf den Tisch stellte.

„In Ordnung.“, Yashiro sah ein letztes Mal auf Kanae hinunter, die seinen Blick irgendwie verletzt erwiederte und ging.

Was war da los zwischen den Beiden? Kyoko machte sich allmählich wirkliche Sorgen. Sie mochte es nicht, wenn sie Kanae so verletzt sah. Bei ihrer letzten Begegnung war sie noch glücklich gewesen, als sie auf Yashiro zu sprechen gekommen waren und nun war sie so traurig.

Kyoko ignorierte die Blicke der Anderen und die ausbrechenden Fragen und griff nach ihrem Glas. Er hatte davon getrunken. Sie sah auf ihre Hand hinab, die wie versteinert vor dem Glas schwebte.

Vielleicht musste sie sich nicht nur Gedanken um ihre beste Freundin machen, sondern auch um sich selbst. Sie überwandt sich und ergriff das Glas. Was sollte das? Wieso stellte sie sich nun so an. Dann hatte er eben daraus getrunken, und? Es war immer noch ein einfaches Glas und der Inhalt hatte sich dadurch auch nicht verändert.

Sie setzte das Glas an die Lippen und trank. Aber es stimmte nicht, es war anders. Er hatte davon getrunken.

Es wurde Tag und es wurde Abend 13

„Kyoko-san, könnten Sie bitte das Kinn noch etwas heben?“, der Fotograf wandte sich wieder ihr zu, nachdem er sich kurz mit dem Regisseur des Videos besprochen hatte, für welches sie nun diese ganze Protzedur über sich ergehen ließ.

Es stimmte schon, sie hatte ihre Vernarrtheit in Märchen abgelegt. Es war auch gerade mal ein Jahr her, wenn sie so darüber nachdachte. Nun gut, so ganz genau konnte sie es nicht sagen, aber fest stand, dass sie erwachsener geworden war.

Den Grundstein dafür hatte er wohl gelegt, als er ihr überdeutlich klar gemacht hatte, dass das Leben eben kein Märchen war. Das arme, liebe und fleißige Mädchen, dass sich so für andere aufopferte, bekam eben nicht immer, was sie wollte. Sie bekam nicht, was sich ihr Herz am meisten ersehnte, denn keiner hatte den „Prinzen“ gefragt, ob er sich auch das Gleiche wünschte.

Ja, sie glaubte nicht mehr an Märchen, weshalb ihr seine Aufmachung nun auch ziemlich lächerlich vorkam. Vor einem Jahr noch hätte sie sich beherrschen müssen, um ihm nicht zu zeigen, wie begeistert sie war. Doch nun musste sie es nicht mehr.

Sie veränderte ihre Haltung nach den Anweisungen des Fotografen und senkte den Blick.

Wenn sie so darüber nachdachte, hatte sie die Fähigkeit zu glauben selbst erst durch Kuu’s Hilfe zurück erlangt. Sie vermisste Julie und ihn von Tag zu Tag mehr. Durch die Beiden hatte sie die Liebe wiedergefunden. Sie hatte jeden Tag mit angesehen, wie sie miteinander umgingen und wie auch ihre Freunde einander behandelten. Sie waren ihr ans Herz gewachsen und zum ersten Mal hatte sie eine Ahnung davon bekommen, wie elterliche Liebe aussehen konnte. In den Beiden hatte sie vermutlich sogar neue Eltern gefunden. Eltern, denen sie wichtig war und die sie mit Liebe umhüllten, wie es ihre eigene Mutter und auch die Fuwas nie getan hatten.

Sie hatten ihr auch geholfen, die Sache mit Joe zu überstehen, ohne in alte Verhaltensmuster zurück zu verfallen. Sie hatte ihn geliebt, aber es hatte einfach nicht gereicht. Es war nach einigen Monaten kaputt gegangen. Die Hizuris hatten ihr den nötigen Halt gegeben, wodurch sie darüber hinaus auch im Job weiter gekommen war. So hatte sie ihre erste Hauptrolle in einem Liebesfilm erhalten und mit einigen Startschwierigkeiten mit Pravour bestanden.

Deshalb hatte sie Kuu auch diesen einen Wunsch nicht ausschlagen können. Sie sah seinen Rücken sehnsuchtsvoll und verletzt an und rief sich das Versprechen ins Gedächtnis, dass sie schließlich hierher in diese Situation gebracht hatte.

Sie konnte regelrecht sehen, wie Kuu ihr die Hände auf die Schultern legte, ihr ernst in die Augen sah und mit seiner freundlichen, irgendwie väterlichen Stimme, die sie in ihren Ohren zu hören glaubte, sagte: „Jetzt hast du es soweit geschafft, Kyoko-chan. Du hast dich wieder verliebt, den Liebeskummer überstanden, ohne einen Rückfall zu erleiden und bist als Schauspielerin zu der Granate geworden, mit der alle gerechnet hatten. Ich würde sogar sagen, du hast den Einen oder Anderen sogar überrascht.“

„Kyoko-san, mit diesen Aufnahmen sind wir fertig.“, der Regisseur riss sie aus ihren Gedanken, während der Fotograf offenbar den Film wechselte: „Geh dich bitte umziehen.“ Er lächelte. Offenbar hatte er nicht gemerkt, dass sie mit ihren Gedanken in der Vergangenheit schwelgte, statt sich auf das Shooting zu konzentrieren.

Auf dem Weg zur Umkleide hörte sie wieder Kuu in ihren Ohren: „Sag mir, warum hast du dich in der vergangenen Zeit so angestrengt? Was war dein Antrieb?“

Sie hatte ihn unsicher angesehen: „Ich wollte gut sein, glaube ich.“

Sein Blick war weicher geworden und hatte sie irgendwie an Tsuruga-san erinnert: „Dann solltest du den Job annehmen!“

„Aber was ist, wenn ich wieder anfange wie früher?“

„Das wirst du nie wissen, wenn du dich ihm nicht stellst. Wenn es so sein sollte, weißt du, dass du ihm noch nicht gegenüber treten kannst und dass du noch Zeit brauchst. Du wirst den Job abbrechen, ohne Blödsinn anzustellen und Jobs nachgehen, die nichts mit ihm zu tun haben. Mit der Zeit wirst du dann merken, dass du so weit bist. Vielleicht wird es dir nicht mal wirklich bewusst sein.“, er hatte eine Pause gemacht und sie zuversichtlich angesehen: „Aber wenn du solche Angst davor hast, bin ich mir sicher, dass du es schaffst!“

Sie hatte auf ihre Hände gesehen: „Ich möchte Sie nicht enttäuschen.“

Er hatte ihr Kinn angehoben und sie liebevoll angesehen: „Versprich mir, dass du es zumindest versuchst und nicht davon läufst. Dann kannst du mich nicht enttäuschen!“

Kyoko verließ die Umkleide wieder. Sie trug ein schwarzes Kleid, dass ihr bis auf die Oberschenkel reichte und am Rücken völlig frei war. In der Hüfte hatte es eine kleine schwarze Stoffrose. Ihr rechter Arm streifte sie bei jedem Schritt.

Sie seufzte. Ja, das war genau Sho’s Geschmack: Viel Haut, wenig Stoff und High Heels.

Ihre Haare waren ausgefranst und hochgesteckt worden, sodass sie wie Spinnweben wirkten und ihre Augen und ihr Mund waren schwarz geschminkt. Es war etwas zu viel Gothik für ihren Geschmack.

Sie ging wieder zum Set das Shootings zurück und blieb am Rand beim Fotografen stehen, der fleißig und begeistert Fotos von Sho schoss.

Der stand vor einem bourgunderroten Satinstoff, der kunstvoll drapiert worden war. Das linke Bein hatte er angewinkelt und hochgestellt wie ein Gipfelstürmer, der seine Flagge gesetzt hatte. Seine linke Hand dagegen krallte er in ein schwarzes Gitter, dass am Rande des Satins aufgestellt worden war. Während er böse das Gitter betrachtete, hielt er in seiner rechten Hand eine schwarze Rose fest, den Daumen in eine Gürtelschnalle geharkt.

Ein von einem Ventilator künstlich erzeugter Wind bließ ihm die Haare dramatisch aus dem Gesicht, die nicht Opfer einer Hargelattacke geworden waren und bauschte seinen schwarzen Mantel im Rücken so auf, dass man von der Seite noch etwas von seinem Gesäß und seinen Beinen sehen konnte die von einer schwarzen Lederhose verhüllt waren.

Kyoko fand es fürchterlich, aber es passt zu seiner CD.

„Kyoko-san, setzen Sie sich bitte mit dem Rücken zu Fuwa-san auf die andere Seite des Gitters.“, der Fotograf hatte das Schießen der Fotos unterbrochen.

Sie folgte seinen Anweisungen und ließ sich auf der anderen Seite des Gitters nieder, den Rücken Sho zugewandt, der sie sogleich leise ansprach: „Passt irgendwie, findest du nicht?“

„Was denn?“

„Nun ja, du kehrst mir den Rücken zu und ich verzweifle.“

„Lass das.“

„Was?“

„Diese Vergleiche.“, sie wandte sich zu ihm um: „Das hat nichts mit uns zu tun, nichts davon!“

„Ach nein?“, er sprach wieder mit ihrem Nacken, denn sie hatte sich wieder umgedreht: „Das finde ich aber schon.“

„Dieser Ausdruck ist klasse, Fuwa-san!“, der Fotograf war ganz aus dem Häusschen und knippste wild drauf los: „Kumi-chan könntest du Kyoko-sans Haar auf der linken Seite bitte noch einmal feststecken? Wir müssen den Ventilator etwas drehen, damit nur Fuwa-san davon erfasst wird.“

Die Maskenbildnerin kam zu ihr herüber und machte sich an dieser Horrorfrisur zu schaffen. Die Stäbe, an denen ihre Haare festgemacht waren, bohrten sich ihr schmerzvoll in ihre Schädeldecke.

„Es passt sogar genau!“, Sho ließ nicht locker: „Das weißt du auch, aber du verdrängst es.“

Kyoko konnte sehen, wie Kumi verständnislos zwischen ihnen hin und her sah, dann aber wieder ging: „Du verrennst dich da in etwas.“

„Kyoko-san, könntest du dich bitte etwas länger machen? Streck dein rechtes Bein etwas weiter aus und lass das Linke leicht angewinkelt. Genau so.“

Sie stütze sich auf den Unterarmen ab, den Kopf an das Gitter gelehnt, während Sho gänzlich auf die Knie sank, die Hände mit der Rose in ihrem Rücken an das Gitter gepresst. Sie konnte spüren, wie er ihr ins Genick atmete und sich seine Finger in die Gitterspeichen harkten. Es war extrem unbequem.

„Kyoko-san, sehen Sie mich bitte etwas arroganter an. Genau so.“, der Fotograf knippste ein weiteres Mal: „Fuwa-san, der schmerzvolle Ausdruck ist super!“

„Wenn ich dir wirklich egal bin, warum machst du das hier dann überhaupt?“, flüsterte er ihr ins Ohr, während er seine linke Wange an das Gitter legte.

Vor einigen Monaten hätte diese Frage sie noch verunsichert: „Es ist ein Job, nicht mehr und nicht weniger. Ich werde dafür bezahlt, dass ich sowas wie hier mache und dass ich es ordentlich erledige.“

„Das redest du dir doch nur ein!“, er geriet kaum merklich in Rage: „Den Floh hat dir bestimmt dieser Tsuruga ins Ohr gesetzt!“

„Tsuruga-san hat damit nichts zu tun.“, erwiederte sie aufrichtig.

„Das glaube ich dir nicht.“

Ohje, da war wohl noch eine Menge Redebedarf: „Lass es, Sho. Das bringt dir nichts.“

„Was genau bitte?“, seine Stimme klang zornig.

„Deine Aufnahmen mit diesem Geschwätz zu stören.“

„Geschwätz nennst du das?“

Sie seufzte, als auch schon der Fotograf rief: „Fuwa-san, mach deinen Blick noch etwas sanfter bitte. Gut so.“

Aus den Augenwinkeln konnte sie sehen, wie er sie sehnsuchtsvoll ansah und sie wusste, dass es nicht nur gespielt war. Ihr drehte sich der Magen um. Das war nicht gut! Wie sollte sie es ihm nur begreiflich machen?

„Tu doch nicht so. Ich bekomm doch mit dass der Typ scharf auf dich ist.“

Sie war irritiert: „Unsinn. Wir sind nur Freunde.“

„Achso, du hast ihn also wegen mir abblitzen lassen.“, er klang triumphierend.

Sie seufzte erneut: „Shotaro, dass ist Unsinn und das weißt du!“

Sie stellte überrascht fest, dass sie sich nicht mehr hinter einer Rolle verstecken musste, umm mit ihm klar zu kommen. Sie konnte sie selbst sein. Vielleicht würde sie es ja doch noch schaffen, es ihm bewusst zu machen. Es stimmt wohl, man wächst mit seinen Aufgaben, schoss ihr durch den Kopf. Kuu wäre stolz auf sie!

„Da ist aber noch was zwischen uns, das weißt du!“, er lehnte nun mit geschlossenen Augen seine Stirn an das Gitter. Der Fotograf knippste aufgeregt weiter, während sich Kyoko fragte, wozu sie so viele Fotos brauchten.

„Nein, da ist gar nichts mehr.“, sie hielt ihre Pose und wünschte sich, ihm in die Augen sehen zu können, damit er ihr endlich glaubte.

„Sag mir, wieso du das machst?“, es war keine Bitte. Sie verstand nicht, was er sich davon versprach.

„Ich habe in Amerika begriffen, was mir wichtig ist, Sho. Du gehörst nicht mehr dazu.“

„Das ist eine Lüge!“

„Wir sind fertig. Ihr könnt euch umziehen.“, der Fotograf sah sie dankbar an: „Es hat wirklich Spaß gemacht. Danke für die gute Zusammenarbeit. Ich schicke euch dann die Fotos zu.“

Kyoko erhob sich, ohne das Kleid hochrutschen zu lassen, was allein schon irgendwie ein Kunststück war, wie sie fand und ging zu ihrer Umkleide hinüber, in der Kessy schon wartete.

Aus den Augenwinkeln konnte sie sehen, wie Sho ihr nachkommen wollte, aber in ein Gespräch verwickelt wurde. Vielleicht war es ja doch besser so.

Vielleicht war es besser ihm einfach aus dem Weg zu gehen und alles so stehen zu lassen, wie es jetzt war. Aber sie war sich fast sicher, dass er draußen auf sie warten würde, wenn sie wieder aus der Umkleide kam.

Was diese Anspielung auf Tsuruga-san anging, konnte sie auch nicht so ganz verstehen. Es war irgendwie schon merkwürdig. Wieso war er eifersüchtig? Das die anderen redeten, okay, sie hatten sie auch zusammen gesehen. Sie hatten gesehen, wie sie zusammen vor der Kamera standen und dann war da noch diese Sach in der Cefeteria.

Aber Sho hatte sie nicht zusammen gesehen und Gerüchte konnte er auch nicht gehört haben. Der einzige Grund, aus dem er vielleicht so reagieren konnte, war, dass sie diesen Film zusammen machten. Aber eigentlich war das auch kein richtiger Grund dafür.
 

„Na? Fertig?“, Kessy reichte ihr eine Tasse Kaffee, während Kyoko die Maskenbildnerin an ihre Haare ließ.

„Danke. Ja, es wurde auch Zeit.“, sie lächelte.

„Dass Sie immer noch lächeln können.“, die Maskenbildnerin sah sie bewundernd im Spiegel an: „Ich könnte das nicht, nicht mit der Frisur.“

„Och, es tut schon ganz schön weh,“, gab Kyoko zu: „Aber es ist mein Job. Also muss ich da wohl durch.“

„Na dann beeile ich mich mal, damit es Ihnen gleich wieder besser geht.“

„Danke.“, Kyoko nahm einen Schluck aus ihrer Tasse. Was sollte sie ihm denn noch sagen, damit er ihr endlich glaubte? Damit das alles endlich ein Ende hatte?

„Damit wäre der Job dann endlich zuende.“, Kessy setzte ein Häkchen im Terminplaner, den sie auf der Ablage vor sich abgelegt hatte und lächelte sie an: „Zufrieden?“

„Noch nicht ganz.“, sie seufzte: „Ich muss noch ein unangenehmes Gespräch führen, bevor ich Kuu davon erzählen kann.“

Es wurde Tag und es wurde Abend 14

Als sie die Umkleide verließen, wartete Sho bereits auf sie. Kyoko seufzte. Sie hatte gehofft, wenigstens noch bis zum Flur zu kommen, bevor sie sich mit ihm auseinander setzten müsste.

Sie sah zu Kessy hinüber, die neben ihr zum Stehen kam: „Gibst du uns bitte einen Moment?“

Die Managerin sah besorgt vom Sänger zu ihrem Schützling und nickte kurz, bevor sie noch einmal zu dem Fotografen hinüber ging, um ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Somit befanden sich Sho und Kyoko in einem toten Winkel.

Sie sahen sich lange in die Augen. Kyoko konnte in seinem Gesicht lesen wie in einem offenen Buch. Da war Schmerz, der wohl von ihren Aussagen und ihrem Verhalten verursacht worden war, so etwas wie Eifersucht, was sie nicht ganz nachvollziehen konnte und schiere Wut, weil er einfach nicht verstehen wollte, dass sie Recht hatte und ihm die Wahrheit sagte.

„Das kann nicht dein Ernst sein!“

Na also, es brach also endlich aus ihm heraus. Das sie ihn völlig teilnahmslos ansah, war wohl mit ein Grund dafür. Zu ihrer eigenen Überraschung stellte sie fest, dass sie gar nichts empfand. Nun gut, vielleicht etwas Mitleid, aber kein Zorn, keine Wut, kein Schmerz, gar nichts, was sonst in ihr hochgekocht wäre. Sie musste ihm nun nur noch klar machen, dass es ihr Ernst war, dass sie es ihm nicht vorspielte, sondern es sogar aufrichtig meinte.

„Das ist es aber.“, ihre Stimme klang fest und neutral und sollte ihn davon überzeugen, dass sie es absolut ernst meinte, was er vielleicht auch spürte. Ihr Gesichtsausdruck wurde von Mitleid erfüllt.

„Das glaub ich dir nicht.“, okay, vielleicht bemerkte er es doch nicht: „Das kannst du mir nicht vor machen!“

Sie runzelte die Stirn. War das verdrehte Logik? Oh nein! Gerade weil sie so überzeugend wirken wollte, damit sie dieses schlechte Theaterstück hinter sich lassen konnte, glaubte er, sie spielte ihm etwas vor, damit er ihr glaubte, obwohl sie log. Ergab das einen Sinn? Sie war kurz verwirrt. Dann setzte Klarheit und ein Fünkchen Wut bahnte sich durch ihre Adern.

Er verdrehte alles!

Sie atmete einen Moment ein und aus, bis die Wut einem Hauch Verzweiflung Platz machte. Was sollte sie denn nun tun? Wie sollte sie ihn davon überzeugen, wenn er ihr einfach nicht glauben wollte?

Sho behielt sie genau im Auge und deutete ihre Reaktion offenbar völlig falsch: „Ich wusste es!“

Sie seufzte resignierend: „Du verdrehst alles.“

Er ignorierte ihre Reaktion einfach und kam in Fahrt wie es schien: „Ja, klar! Hast mich bestimmt vermisst in Amerika, was? Konntest es kaum erwarten zurückzukommen und deiner Rache nachjagen zu können.“, er steigerte sich weiter hinein, ihren überrumpelten Gesichtsausdruck entweder missdeutend oder völlig ignorierend, sie wusste es nicht: „Muss ja schlimm gewesen sein, dass du mich so lange nicht mehr triezen und mir nicht mehr auf die Nerven gehen konntest.“

Sie verdrehte die Augen während Sarkasmus in ihr aufbrodelte: „Ja klar, natürlich. Ich hatte nur das im Kopf. Mir ging es nicht im geringsten um die Arbeit oder darum, dass mir das alles Spaß gemacht hat. Ich wollte nur zu dir zurück.“

„Wusste ich es doch!“, er schien plötzlich wieder gut gelaunt. Gerade so, wie ein kleiner Junge, der ein Rätsel gelöst hatte und nun die Belohnung bekommen sollte.

Sie seufzte erneut. Es wäre so einfach, ihn einfach in dem Glauben zu lassen, doch das würde auch bedeuten, sih ihm jedes Mal aufs Neue stellen zu müssen und zu versuchen, ihn endlich zu überzeugen, damit sie ihre Ruhe fand. Sie würde nie von ihm loskommen, das wurde ihr nun klar.

„Das nennt man Sarkasmus Shotaro.“, sie klang immer noch wütend, allerdings unterschwelllig.

„Das willst du mir nur weiß machen.“, er kam auf sie zu und drängte sie somit zurück. Es war wie in der Szene mit Tsuruga-san in der Sattelkammer, nur war es da irgendwie angenehm gewesen. Tsuruga-san. Er hatte ihr damals gesagt, sie solle etwas genaustens abstreiten, wenn es nicht stimmte oder sie nicht darüber reden, sondern es verbergen wollte.

Wieso konnte er jetzt nicht hier sein? Oder viel mehr, wieso konnte sie nicht bei ihm sein, denn seine Gesellschaft wäre ihr nun um einiges lieber als Sho’s. Er war immer so freundlich und zuvorkommend. Gut, in letzter Zeit war er irgendwie doch anders gewesen, offensiver und aufgeschlossener, aber dennoch war ihr seine Nähe um einiges angenehmer.

Sho strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und hob ihr Kinn an, womit er sie schlagartig wieder in die Gegenwart zurück holte: „Vergiss es!“

„Ich vergesse gern, dass du mir hier diese Lügen auftischen wolltest.“

Sie befreite ihr Kinn aus seinem Griff. Er hatte doch wohl nicht wirklich geglaubt, dass sie sich nun von ihm küssen lassen würde? Das konnte einfach nicht wahr sein. Wut kochte in ihr auf. Jetzt hatte sie endlich genug! Sie stieß ihn von sich: „Shotaro Fuwa, vielleicht solltest du endlich mal darauf hören, was ich dir sage, statt deinem Wunschdenken weiter hinterher zu jagen!“

Offenbar war sie zu laut geworden, denn aus den Augenwinkeln konnte sie sehen, wie sich Kessy und der Fotograf ihnen zuwandten und besorgte Blicke zu ihnen rüber warfen. Sie sah zu ihrer Managerin hinüber, die ihren Gesichtsausdruck offenbar richtig deutete und den Fotografen wieder in ein Gespräch verwickelte.

Sho hatte davon offenbar nichts bemerkt oder es war ihm egal, denn er zeigte keine Reaktion und fuhr ohne umschweife fort.

„Sagen kannst du viel, aber du meinst es nicht.“, er blieb cool und verschränkte seine Arme vor der Brust, senkte allerdings auch nicht seine Stimme: „Das hast du als Kind schon immer gemacht, wenn ich dich dabei erwischt habe, wie du mit irgendwelchen Feen oder so gesprochen hast, die gar nicht da waren. Wenn dir das peinlich wurde, hast du genauso reagiert, wie jetzt.“

Kyoko starrte ihn ungläubig an. Gut, das mit den Träumereien von Feen und Elfen stimmte schon, aber es hatte nichts mit dieser Unterhaltung und ihrer Überzeugung oder auch ihren Gefühlen zu tun. Was bildete sich dieser Protz eigentlich ein? Er konnte doch nicht einfach eine Verbindung zur Vergangenheit herstellen, wo es keine Bezugspunkte gab.

Sie sammelte sich wieder und atmete tief durch. Das war lächerlich! Sie kam sich vor wie in einer schlechten Parodie von Stolz und Vorurteil, in der sie dem aufdringlichen Mr. Collins ihre Abfuhr erteilen musste. Nur hatte ihr eigener Mr. Collins ganz andere Beweggründe als der des Jane Austin Romans.

„Hörst du dir eigentlich mal zu?“, sie sah ihm fest in die Augen, in ihrer Stimme schwang Spott mit: „Ich sage dir jetzt schon bestimmt zum fünfzigsten Mal, dass ich nichts mehr für dich empfinde, GAR NICHTS mehr - kein Hass, keine Rachegelüste, keine Unruhe, gar nichts. Du bist mir egal geworden. Du bist wie ein flüchtiger Bekannter, mit dem ich nichts mehr zu tun habe und der mich nicht interessiert und dennoch willst du mir nicht glauben?“

„Weil du lügst! Du spielst mir was vor!“, er klang immernoch selbstsicher, doch die Fassade bröckelte bereits. Ihre Worte hatten ihn verletzt, das war klar und in seinen Augen waren die ersten Zweifel an seiner Vorstellung zu erkennen: „Du willst es vielleicht nicht, aber ich habe Recht und das wissen wir beide. Du willst mich nur verunsichern, damit ich dir am Ende doch noch glaube.“

„Nein, WIR wissen gar nichts! Es gibt kein WIR! Und ich weiß, dass ich die Wahrheit sage.“

„Ja klar.“, er machte sich über sie lustig und ignorierte, was er nicht hören wollte: „Wenn es so ist, beweis es mir!“

Sie überlegte kurz, spielte mit dem Gedanken ihm zu sagen, dass sie ihm soetwas wie einen Beweis nicht schuldig sei. Na schön, er wollte es so. Vielleicht würde er ihr ja endlich glauben, wenn sie ihm einen Beweis lieferte. Vielleicht war es auch kein Beweis, aber das war nicht entscheidend. Entscheidend war, dass es ihn verletzen würde und sie vielleicht schließlich so ihre Ruhe vor ihm finden würde. Sie hatte ihm eigentlich nichts davon erzählen wollen, um ihn zumindest etwas zu schonen, doch sie sah keinen anderes Ausweg mehr. Hoffentlich tat sie das Richtige: „Du willst also einen Beweis?“

„Ja!“

„Gut.“, sie seufzte: „Du hast mich gefragt, was in Amerika war. Ich sags dir. Ich gebe zu, als ich hinflog, wollte ich immer noch meine Rache an dir bekommen. Es war mir wichtig. Du solltest noch schlimmer leiden als ich, wenn ich dir das nehmen würde, was dir am wichtigsten ist, den Showrummel.“

„Ha! Ich wusste es!“, er war scheinbar wieder auf der Höhe. Kyoko wartete einen Moment, bis er ihr wieder zuhörte, damit ihm nichts entging, sah ihn teilnahmslos an und ignorierte seinen kurzen Ausbruch: „Das war der Grund dafür, dass ich meine ersten Jobs dort vermasselt habe. Aber weißt du was? Ich hab nach etwa einem oder zwei Monaten nicht mal mehr an deinen Namen gedacht. Meine Rache war mir plötzlich völlig egal und weißt du warum?“

Er glaubte ihr noch nicht, konnte aber auch ihren aufrichtigen Augen nicht ausweichen, die diesmal keine Gefühlsregung zeigten, nicht mal Mitleid.

Ihr Ausdruck wurde weich, als sie sich offenbar an etwas erinnerte: „Ich habe jemanden kennen gelernt, der mir wichtiger wurde als du.“

„Das glaube ich dir nicht.“, seine Kehl schien trocken geworden zu sein, denn seine Stimme klang irgendwie gepresst.

„Ich hatte in Amerika das schönste Jahr meines Lebens, weil ich jemanden lieben konnte, der mich liebte und weil ich keinen Gedanken daran verschwendet habe, wie ich mich an dir rächen könnte. Es war egal, der Schmerz war weg. Er existierte nicht mehr und ich war frei.“, ihr Stimme war ganz sanft geworden und für einen Moment war sie nicht mehr in diesem Raum, nicht mehr bei ihm, sondern in der Vergangenheit. Sie war mit ihren Gedanken wieder bei den sonnigen Nachmittagen, die sie mit Joe in Parks und an Sets beim Essen verbracht hatte. Wie sie sich gegenseitig mit Kirschen gefüttert hatten, die sie von den Bäumen um sie her gepflückt hatten und wie er ihr die Schultern mit Sonnencreme eingerieben hatte, als sie an einem besonders heißen Drehtag lange in der Sonne stehen sollte.

„Das sagst du nur!“, mit einem Schlag war sie wieder in die Gegenwart zurückgekehrt und mit ihr auch die schmerzvollen Erinnerungen und Gefühle, die mit ihrer Trennung zusammen hingen. Sie hatten sich zwar einvernehmlich getrennt, aber deshalb war es noch lange nicht einfach gewesen.

Sie sah Sho wieder bewusst in die Augen, der nun wieder ganz schön wütend war. Hatte er wohl bemerkt, dass sie kurz abgetriftet war?

Er schien vor Wut zu kochen: „Es ist wie in meinem Video. Du sagst es, um mich wegzustoßen und dich selbst zu ignorieren.“

Das machte doch gar keinen Sinn! Noch durch ihre Erinnerungen und die damit verbundenen Gefühle aufgewühlt reagierte sie unkontrollierter, als sie es beabsichtigt hatte: „Wie oft soll ich dir noch sagen, dass zwischen dir, dem Video und mir keine Verbindung besteht?“

Sie hatte das Video extra zwischen ihm und sich genannt, damit er nicht wieder etwas hörte, was er falsch deuten konnte.

„Doch natürlich!“, er stemmte seine Hände in die Hüften: „Wieso willst du das nicht erkennen?“

„Wieso?“, sie konnte ihre Wut nicht mehr kontrollieren und als sie antwortete, war ihr klar, dass ihre Worte nicht nur ihm sondern eigentlich auch Joe galten: „Sho, DU hast mich MICH sitzen lassen und ausgenutzt! Und von jetzt auf gleich hast du plötzlich diese blöde Idee, dass es ein UNS geben könnte! Das hat gar nichts mit dem Video oder deinem blöden Song zu tun!“

„Doch natürlich!“, seine Augenbrauen zogen sich über seiner Nase eng zusammen, während er sie offenbar nicht verstehen wollte: „Beides handelt von Sehnsucht und Schmerz und einer Liebe, die nie vergeht!“

„Nur gibt es die Liebe und Sehnsucht zwischen uns nicht!“, unterbrach sie ihn. Ihre Stimme bebte vor Zorn: „Ich liebe dich nicht. Ich bin dir nicht mal mehr böse. Da ist kein Schmerz mehr und die Sehnsucht hast du schon damals getötet, als du mich mit der Wohnung hast sitzen lassen. Sieh es endlich ein, du bist mir egal!“

Er wirkte verstört. Sein Ausdruck war verwirrt und es schien als würde er mental vor ihr zurückweichen: „Nein.“

„Doch!“, sie sah ihm ernst ins Gesicht und blendete den Fotografen und Kessy, die wieder auf sie aufmerksam geworden waren, mindestens genauso aus, wie er es tat. Es war Zeit für den Gnadenstoß.

„Du lügst mich an.“, es war wie sein Mantra. Okay, vielleicht war es höchste Zeit für den Stoß.

„Ich habe gar keinen Grund, dich zu belügen.“, sie war wieder ruhig und ihre Stimme war leiser aber auch gnadenlos: „Ich muss und will dich vor nichts schützen und mich zwingt auch niemand dich zu belügen.“

„Unsinn!“, er brauste ein letztes Mal schwach auf: „Wenn ich dir so egal wäre, hättest du den Job mit mir nicht angenommen!“

„Den Job habe ich angenommen, weil ich es einem Freund versprochen habe, der wollte, dass ich endlich mit dir abschließe und dem genauso wie mir klar war, dass es nur auf diese Weise möglich sein würde.“

„Ren Tsuruga! War ja klar. Ich wette, er sitzt dir auch im Genick!“, jetzt schwang Eifersucht in seiner Verzweiflung mit.

Sie war einen Moment lang sprachlos. Dann fasste sie sich wieder. Sie hätte sich denken können, dass er auf den Schauspieler zu sprechen kommen würde. Sie blieb ruhig: „Tsuruga-san hat damit nichts zu tun.“

„Doch klar! Was hat er gemacht? Hast du deshalb den Job mit ihm bekommen?“

Sie brauchte einen Moment um diesen Schlag unter die Gürtellinie zu verkraften.

„Er hat damit nichts zu tun. Und selbst wenn würde das auch bedeuten, dass du mir egal bist, denn dann wärst du mir nicht mal so viel Wert, wie ein Job. Und mal ganz abgesehen davon, habe ich keine Allmosen nötig, denn ich bekomme meine Jobs von jeher durch mein Können.“

„Daran zweifle ich auch nicht.“, ihm war sein Fehler schlagartig bewusst geworden, wie es schien: „Aber ich weiß einfach, dass er dich unter Druck setzt. Du kannst mir sagen, was es ist.“

Sie beobachtete wie eine Außenstehende, wie er auf sie zu kam, um sie zu trösten, wie es schien und dabei wie ein geschlagenes Kind wirkte.

Sie wich vor ihm zurück, er blieb stehen und sie sah ihm fest in die Augen. Es musste wohl sein: „Ich habe keinen Grund zu lügen. Begreif es endlich oder lass es sein. Aber fest steht, dass du mir völlig egal bist. Außerdem würde ich Tsuruga-san dir immer vorziehen.“

Sie ließ ihn stehen, ging zu Kessy hinüber, bedankte sich bei dem verdatterten Fotografen und ging ohne ein weiteres Wort oder sich noch einmal umzuschauen. In einer Glasscheibe konnte sie erkennen, dass Fuwa wie versteinert war. Es war ihr egal. Als die Tür zum Studio hinter ihr ins Schloss fiel, lächelte sie. Sie war endlich frei!

Es wurde Tag und es wurde Abend 15

Yashiro behielt Ren genau im Auge, der das Auto durch die Straßen Tokios manövrierte. Es wartete auf eine Regung das Schauspielers, der bislang nur stur geradeaus gestarrt hatte. Was genau er erwartete, wusste er selbst nicht, aber irgendetwas musste kommen, da war er sich sicher. Ren warf ihm einen kurzen Blick zu und sah wieder aus der Frontscheibe des Wagens. Nun gut, vielleicht musste auch nichts kommen. Wenn er ehrlich war, kannte er ihn nun ja auch schon gut genug, um zu wissen, dass er nicht zwangsläufig mit einer Reaktion rechnen konnte.

Der Manager seuftze.

Am letzten Abend waren seine schlimmsten Befürchtungen war geworden. Er hätte es sich denken müssen, dass er schlechtes Karma auf sich zog, wenn er Kyoko half den Schauspieler anzulügen. Eigentlich glaubte er ja nicht an Karma, aber er wusste nicht, wie er es sich sonst erklären sollte. Sie waren am Set eines Films gewesen, für den Ren nur noch die letzten Szenen hatte drehen müssen. Als die letzte Szene im Kasten war, hatten sie noch angestoßen und einer der Nebendarsteller hatte seinen Laptop ausgepackt, den er wohl wegen seiner Buchhaltung dabei hatte und ausgerechnet das Musikvideo von Sho Fuwa aufgerufen. Natürlich hatten sich alle um ihn versammelt und Ren dazu gerufen.

Yashiro war es eiskalt den Rücken hinunter gelaufen, als er bemerkt hatte, was sich auf dem Bildschirm abspielte und daraufhin dem Blick des Schauspielers gesehen hatte. Ren hatte für einen Moment seine Fassung verloren und in seinen Augen hatte die pure Eifersucht gestanden. Nun ja, zumindest vermutete er, dass es Eifersucht war. Es hätte aber auch Zorn sein können.

Der Manager seufzte erneut. Sie hatten kein Wort darüber verloren und waren still zur Argentur zurückgefahren. Das Schweigen hatte bis heute angehalten.

„Schlecht geschlafen?“, Ren sah ihn aus den Augenwinkeln an, während er in den nächsten Gang wechselte: „Du wirkst irgendwie frustriert.“

Yashiro, der bei diesen Worten aus seinen Gedanken hochgeschreckt war, sah ihn überrascht an. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Er musterte den Schauspieler eingehend und musste feststellen, dass es wohl doch so war.

Er warf ihm einen mitleidigen Blick zu: „Ach weißt du, ich habe gut geschlafen.“, okay, das war nicht ganz richtig, hatte er sich doch die Nacht mit Sorgen um sein Befinden und seine Zukunft als Manager gemacht: „Wie steht’s wohl mit dir, frag ich mich.“

„Wieso sollte ich nicht gut geschlafen haben?“, der Schauspieler sah ihn verständnislos an, wandte sich dann wieder der Ampel zu, an der sie gehalten hatten und fuhr erneut an.

„Hm, lass mich überlegen.“, Yashiro tippte sich übertrieben ans Kinn: „Vielleicht ja, weil du dieses Musikvideo von Fuwa gesehen hast?“

Eine Pause entstand. Ren’s Ausdruck war undefinierbar und er schien sich ausschließlich aufs Fahren zu konzentrieren. Schließlich ließ er sich doch zu einer Antwort herbei: „Das war doch nur ein Video. Was sollte schon damit sein?“

„Und wieder verdrängst du alles.“, Yashiro wirkte enttäuscht: „Ich dachte, wir wären über diesen Punkt hinaus, an dem du mir was vormachst. Ich meine, du neigst zwar dazu, alles, was mit Kyoko zu tun hat, in dich hinein zu fressen, aber irgendwann musst du auch mal drüber reden, oder willst du etwa unkontrolliert auf sie treffen und alles an ihr auslassen?“

Yashiro sah den Schauspieler über seine Brille hinweg an, als wollte er sagen, dass es ohnehin keinen Sinn hätte, etwas zu verheimlichen zu wollen.

Ren sah weiterhin aus der Frontscheibe und versuchte seinen Manager einfach zu ignorieren. Es wäre ihm bestimmt auch gelungen, wäre da nicht diese kleine Stimme in seinem Hinterkopf gewesen, die ihn ständig warnte, dass der Manager ihm wohl keine Ruhe lassen würde und das womöglich nicht mal vor Kyoko selbst. Missmutig verzog er seinen Mund und sah verärgert hinaus auf die Straße vor ihm: „Was willst du eigentlich von mir hören?“

„Was dich gerade beschäftigt, wäre doch mal ein guter Anfang.“, Yashiro schien zu frohlocken, da er sich sicher war, dass er es geschafft hatte.

„Das ist dann wohl der Straßenverkehr.“, seine Stimme klang trocken, doch er konnte selbst an seinem Unterton erkennen, dass Trotz darin mitschwang.

Yashiro brauste auf: „Tu doch nicht so. Ich rede von dem Kuss zwischen Kyoko und Fuwa und das weißt du auch.“

„Es war ein Job.“, blockte er ab: „Was sollte mich da beschäftigen?“

„Was dich da...“, der Manager brach ungläubig ab und fuhr sich mit der rechten Hand durchs Haar: „Willst du mir etwa sagen, dass es dich nicht gestört hat, sie so zu sehen?“

„Nein.“, gut, was war gelogen: „Nun ja, etwas, vielleicht.“

„Das ist ja wohl die Untertreibung des Jahrhunderts.“, Yashiro wandte sich auf dem Sitz zu ihm um und sah ihn verstimmt an: „Gestern Abend als du dieses Video gesehen hast, war dir ins Gesicht geschrieben, wie verärgert du warst. Du hast dir zwar Mühe gegeben es zu verbergen, aber sein wir mal ehrlich, das hat nicht geklappt!“

Ren spürte wie etwas in seinem Magen zu brodeln began. Er brauchte einen Moment um es zu identifizieren und es dann mit aller Macht zurück zu drängen. Er presste seinen Lippen aufeinander, um Worte zurück zu halten, die ihm besser nicht über die Lippen kommen sollten, da sie sonst alles noch schlimmer gemacht hätten.

Er sah zu, wie die Ampel vor ihm von gelb auf rot sprang und kam schließlich hinter dem Auto vor ihm zum Stehen. Er warf einen Blick über die rechte Schulter und sah Yashiro an, der immer noch böse zu ihm rüber sah und auf eine Antwort wartete, die ihm besser gefiel.

Der Manager blinzelte und richtete seinen Blick auf etwas, dass hinter ihm zu sein schien. Seine Miene hellte sich kaum merklich auf. Dem Schauspieler schwahnte böses.

„Und diese Werbeplakate? Hast du dazu auch nichts zu sagen?“

Ren folgte seinem Kopfrucken und sah aus seinem Seitenfenster. An einem Haus in der Nähe hing eines dieser fürchterlichen Plakate, auf denen Kyoko und Fuwa zusammen abgelichtet waren.

Dieses Exemplar zeigte die beiden, wie sie an einem Gitter saßen. Sie waren beide in schwarz gekleidet und mindestens genauso dunkel geschminkt. Fuwa klammerte sich in die Sprossen des Gitters und lehnte sich mit der Wange in etwa der Höhe von Kyokos Schulter daran, während er davor kniete. Seine Hände steckten in schwarzen Handschuhen und sein schwarzer Umhang bauschte sich über seiner ansonsten ebenso schwarzen Kleidung auf. In seinem Gesicht stand die pure Verzweiflung gepaart mit einer Sehnsucht, die ihn zu verzehren drohte.

Kyoko dagegen lehnte mit dem Rücken am Gitter, die Haare zu einer Art Spinnennetz gestilt, das Gesicht leicht zur Seite geneigt und einen traurigen Ausdruck um die Augen, der so trübsinnig wirkte, dass man den Schmerz, den sie wohl empfand, geradezu greifen konnte. Sie trug ein schwarzes sehr kurzes und enganliegendes Kleid und streckte ihr rechtes Bein so lange wie möglich über den Boden aus, auf dem sie saß, während sie das Linke angewinkelt hatte. Sie war mit Fototechnick unscharf gemacht worden.

Selbst in diesem Aufzug sah sie noch wunderschön aus, in seinen Augen sogar sexy. Wären da nicht der Name von Fuwa und der Titel der CD gewesen, die auf ihren Beinen prankten. Es war, als hätte der Sänger sie als seinen Besitz markiert.

Er seufzte. Das Video allein war schon schmerzhaft für ihn gewesen, aber dem hatte er wenigstens entgehen können, in dem er einfach umschaltete, wenn es gerade im Fernsehen kam. Diese Plakate schienen die ganze Stadt zu bepflastern. Egal wo er hinfur, mindestens eines davon war da. Er hatte sogar gehört, dass es ein großes Werbebanner geben sollte, dass irgendwo an von einem Hochaus hing. Für ihn war es nur Glück, dass er es noch nicht gesehen hatte. Wenn er ehrlich war, konnte er auch gut darauf verzichten.

Er seufzte. Wenn er den Schmerz außer Acht ließ, kristallisierte sich eine bestimmte Frage aus seinen Gedanken heraus, die ihn allerdings so sehr störte, dass er lieber nicht darüber nachdenken wollte. Es war die Frage, was eigentlich zwischen den Beiden bei diesem Dreh vorgefallen war und wo sie nun standen. An und für sich, war an der Frage nichts schlimmes, das versuchte er sich zumindest einzureden. Das Schlimme daran war nur die Angst, die damit verbunden war. Die Angst um eine schlechte Antwort für ihn.

„Die Ampel ist grün.“, Yashiro klang desinteressiert und distanziert als er ihn aus seinen Gedanken riss und auf die Ampel vor ihnen deutete, die inzwischen grün aufleuchtete.

Ren betätigte das Gas, nachdem er den richtigen Gang eingelegt hatte, fuhr an und bemühte sich, seine trüben Gedanken zu verdrängen, as ihm nicht ganz gelang. Hatte dieser Sänger doch wieder einen Teil ihres Herzens gewonnen? War es möglich, dass sich wieder alles geändert hatte? Hatte dieser Kerl sie am Ende vielleicht sogar ganz für sich einnehmen können? Er hatte es schon einmal geschafft, wieso sollte er es nicht ein zweites Mal geschafft haben? Sie war immer so auf ihn fixiert gewesen, da war es doch möglich. Oder würde er wieder damit zurrecht kommen müssen, dass sie ihn diesen Kerl dachte, wenn sie mit ihm zusammen war? Was sollte er tun, wenn sie wieder so in ihrem Hass auf ihn versank, dass sie selbst gänzlich verschwand? Würde er sie wieder zurück holen können? Würde er es durchstehen können, wenn er sie an ihn verlor?

Das Klingeln von Yashiro’s Handy riss ihn aus seinen Gedanken. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie der Manager sich einen Handschuh über die rechte Hand zog, das Mobiltelefon aus seiner Aktentasche fischte und das klingeln durch einen kleinen Druck auf die Hörertaste beendete.

Er hörte nicht weiter hin, bis er bemerkte, dass sich die Miene des Managers veränderte. Yashiro wirkte irgendwie fröhlich. Das verunsichterte ihn, ganz gewaltig sogar, doch er konnte nichts aus den Gesprächsfetzen heraus hören. Es frustrierte ihn etwas, denn er wusste, wenn sein Manager ihn so ansah, musste er sich sorgen.

„Kein Problem. Machen Sie sich keine Sorgen, wir machen das schon....Nein, das macht uns keine Umstände.“, Yashiro kicherte: „Wir machen das gerne....Der auch, glauben Sie mir. Er wird sich freuen, dass er Ihnen diesen Gefallen tun kann....Ja, das stimmt allerdings. Ich wünsche Ihnen auch viel Erfolg und dass Sie morgen dann auch problemlos zu uns stoßen können. Bis dann.“, Yashiro klappte sein Handy zusammen und schob es zurück in seine Aktentasche.

Ren wartete einen Moment, bevor er scheinbar unbeteiligt fragte: „Na? Was gibt’s?“

„Och, eigentlich nichts besonderes.“, der Manager gab sich desinteressiert, was allerdings nicht überzeugend wirkte. Das war ihm wohl auch selbst klar, denn er fuhr fort: „Ich denke nur, dass du dich jetzt wirklich langsam mal dazu herablassen solltest, mit mir darüber zu reden, denn viel Zeit hast du nicht mehr.“

„Was meinst du damit?“, fragte er argwöhnisch und zog die Augenbrauen zusammen.

Yashiro feixte über das ganze Gesicht: „Nun, wir werden Kyoko jetzt abholen. Ihre Managerin war gerade am Apparat. Sie ist verhindert und Kyoko hat sich darauf verlassen, dass sie gefahren wird, weshalb sie den Bus nun schon verpasst hat. Ich war so nett, in deinem Namen zuzusagen, dass wir sie mitnehmen.“

Ren gab keinen Ton von sich.

„Du hast also noch gut zehn Minuten, um mit mir zu reden.“, bohrte Yashiro weiter. Nach einem Moment fuhr er fort: „Du erstickst noch dran.“

„Ich weiß nicht, warum du dich so anstellst.“, Ren verdrehte die Augen: „Das mit dem Video wusste ich schon und selbst wenn nicht, scheint sie ihren Job doch anständig erledigt zu haben. Ich habe also gar keinen Grund irgendwie wütend auf sie zu sein.“

„Es geht nicht um den Job und das weißt du auch. Es geht um Kyoko, deine Gefühle für sie, Fuwa und dich.“

„Sag mal, was ist da eigentlich mit dir und dieser Kotonami?“

Yashiro seufzte und wandte sich wieder seinem Seitenfenster zu. Er würde also nicht weiter kommen. Ren frohlockte: Er hatte gewonnen.
 

Kyoko schloss ihre Reisetasche und fiel fast darüber, als sie eilig vom Boden ihres Zimmers auf- und über darüber hinwegsprang, um an das Telefon im Flur zu rennen, das wild klingelte.

„Hallo?“, sagte sie, als sie den Hörer endlich an ihr Ohr presste und vor dem Schuhschrank zum Stehen kam.

„Kyoko, hier ist Kessy.“, hörte sie die Stimme ihrer Managerin am anderen Ende der Leitung antworten.

„Was?“, sie lachte obwohl sie schon so eine Ahnung hatte, warum sie anrief: „Wieso rufst du an, du Scherzkeks? Du solltest doch schon längst hier sein oder stehst du am Ende schon unten vor der Tür und wartest, dass ich rauskomme?“

„Nein, leider nicht.“, sie klang entschuldigend: „Ich kann dich leider nicht bringen, Kyoko. Ein Termin hat sich kurzfristig ergeben und da du nicht in der Lage bist, ihn anzunehmen, werde ich das für dich tun müssen.“

„Oh, schade.“, Kyoko sah auf das Telefon hinab, während sie mit der freienhand am Netzkabel der Ladeschale herumspielte: „Da kann man wohl nichts machen. Worum handelt es sich denn?“

„Es geht um Rock Bizarr. Sie wollen ein Abschlussgespräch, um festzustellen, wann nun endgültig für dich Schluss ist. Das dürfte ich hinbekommen, schließlich haben wir ja schon einen Termin herausgepickt. Es geht nur noch um die Planung. Da musst du nicht dabei sein.“

„Okay, wenn du meinst.“

Eine Pause entstand.

„Mach dir keine Sorgen.“, Kessy schien ein wirklich schlechtes Gewissen zu haben: „Ich komme so schnell wie möglich nach und morgen früh bin ich vielleicht schon wieder bei dir.“

„Darum mach ich mir keine Sorgen. Das ist schon in Ordnung. Schließlich bin ich früher auch alleine klar gekommen.“, sie schluckte kurz: „Ich denke nur gerade an die Taxirechnung.“

„Brauchst du nicht.“, Kessy kicherte: „Ich habe dir schon was besorgt.“

Kyoko schweig einen Moment. Hier war was faul: „Wieso lachst du darüber? Was hast du mir denn besorgt?“

„Na, eine Mitfahrgelegenheit. Und ich lache, weil sie dir bestimmt gefallen wird.“, sie gluckste erneut: „Yashiro und Tsuruga-san müssten eigentlich auch gleich schon bei dir sein.“

„Tsuruga-san? Was?“

„Ja. Also, mach keine Schwierigkeiten, tu deinen Job gut, pass auf dich auf und hab eine schöne Zeit, bis ich komme.“

„Kessy warte mal.“, Kyoko startte ganz verdattert auf den Hörer in ihrer Hand. Kessy hatte aufgelegt.

„Gleich da“, hatte sie gesagt. Kyoko legte den Hörer auf und sah an sich herab. Sie trug eine zur Hotpan abgeschnittene blaue Jeans, die aufranzte, ein altes gammliges Top, dessen grüne Farbe bereits ganz ausgeblichen war und war barfuß. Ihre Haare hatte sie wirsch am Hinterkopf hochgebunden und einzelne Haarsträhnen hatten sich daraus hervor geschlichen. Sie sah furchtbar aus!

Als sie dachte, sie würde mit Kessy fahren, hatte sie sich nichts dabei gedacht. Sie hatte es sich in dem Auto so bequem wie möglich machen wollen und sich schon darauf gefreut die Karte zu studieren, während Kessy sich blind auf ihr Navi verließ. Sie hatte sich auf die witzen Fahrtgespräche gefreut, die sie in Amerika schon immer geführt hatten und es kaum erwarten können mit ihrer Managerin irgendwelche Lieder im Radio laut und falsch mitzusingen.

Kyoko rannte in ihr Zimmer zurück, viel dabei fast über die Tasche, die noch immer im Weg lag und stürzte an den Kleiderschrank. Sie griff sich eine kurze Stoffhose in braun heraus, die ihr bis zur Mitte ihrer Oberschenkel reichte und zog sich gerade das grüne Top über den Kopf, als es an der Tür klingelte. Sie riss es herunter, ließ es auf den Boden fallen und sah geschockt in den Spiegel. Verdammt! Er war schon da.

„Mo-Moment, ich komme!“, schrie sie stotternd, griff sich ein rotes Top, zog es sich über den Kopf, spurtete zu ihrer Haarbürste, die sie aus Platzmangel in ihre Handtasche gestopft hatte und zog mit der linken Hand das Top in ihrem Rücken hinunter, wo es sich in der Eile beim Anziehen aufgewickelt hatte. Auf dem Weg zur Tür stolperte sie wieder über die Tasche, fuhr sich mit der Haarbürste durch die geöffneten Haare und warf die Bürste auf den Badezimmerteppich, bevor sie die Tür öffnete.

Ohne eine Begrüßung wandte sie sich wieder direkt von ihm ab und ließ sich auf der kleinen Stufe nieder, um ihre Turnschuhe über ihre nackten Füße zu ziehen. Das würde wohl auch noch Blasen geben: „Hallo.“

„Guten Morgen.“ Er sah sie lange an, doch sie blickte nicht wirklich zu ihm auf, sondern konzentrierte sich darauf, ihre Schuhe zu binden: „Bist du soweit?“

Sie sprang wieder auf und flitzte in ihr Zimmer: „Ja, ich komme.“

„Kann ich dir was helfen?“, er sah sich in dem Flur um, den er bereits kannte und erblickte zufällig ihre Haarbürste die auf dem Teppich im Badezimmer lag, dessen Tür offen stand.

„Nein, danke.“, rief sie vorraus, bevor sie mit ihrer Reisetasche über der Schulter in den Flur zurück kam: „Danke, dass Sie mich mitnehmen.“

„Ist doch klar.“, er nahm ihr die Tasche ab, die nicht so schwer war, wie sie aussah. Während sie nach einer Jacke und ihrer Handtasche griff, sah er noch mal flüchtig ins Bad und runzelte die Stirn: „Hast du auch alles?“

„Ja.“, sie schluckte. Sie konnte ihre Haarbürste nicht holen, da er sonst mitbekam, dass sie sie einfach auf den Teppich geworfen hatte und sie nicht wollte, dass er noch mehr glaubte, sie hätte sich in letzter Minute fertig gemacht, als er es ob ihrem Verhalten ohnehin schon tat.

Er schien nicht überzeugt.

Sie schluckte erneut und beruhigte ihre Atmung, die von dem ganzen Rennen leicht unregelmäßig war. Sie würde zwar gerne noch ihre abgeschnittenen Shorts und das abgetragene Top mitnehmen, aber in der Tasche war kein Platz mehr und außerdem wollte sie ihn nicht warten lassen. Sie hatte sich allerdings noch ein paar Socken in die Jacke gestopft, als er nicht hingesehen hatte.

Sie packte ihre ganze Überzeugung in den nächsten Satz und gab sich Mühe aufrichtig und ausgeglichen zu klingen: „Ja, ich hab alles.“ Sie lächete: „Wo ist eigentlich Yashiro-san?“

„Der wartet im Wagen.“

„Achso.“, sie sah ihm verlegen in die Augen: „Tut mir Leid, dass ich Ihnen nun so zur Last falle.“ Er wirkte so verstimmt.

Ren sah sie überrascht an: „Du bist doch keine Last.“

Sie lächelte verlegen und wich seinem Blick aus: „Nun, wenn er wartet, sollten wir uns vielleicht mal auf den Weg machen.“

Es wurde Tag und es wurde Abend 16

Auf einem Hügel oberhalb des kleinen Dorfes, dass aus einer Ansammlung von Wohnhäusern, kleinen Geschäften und Restaurants bestand, erhob sich das große Gebäude gegen den Horizont.

Der Eingangsbereich war vom Parklplatz aus über einen kleinen Hof und zwei Stufen, sowie durch eine Flügeltür zu erreichen. Der kleine Saal endete an einer Treppe, die Züge von „Vom Winde verweht“ aufwies und von zwei Türen eingefast war. Der Empfangsschalter befand sich an der linken Wand vom Eingang aus und war nicht sehr groß. Der Boden war mit weißen Fließen beflastert, die zu den dunkel getäfelten Wänden passten und das Licht, das durch die beiden Fenster links und rechts der Flügeltür im Raum verteilten. Am Tresen vorbei konnte man eine kleine Lounge erreichen, während die Doppeltür an der Wand gegenüber zum hausinternen Restaurant führte.

Durch die Tür links neben der Treppe erreichte man die Privat- und Personalbereiche, den Hausmeister und die beiden Fahrstühle, die ebenfalls ins obere Stockwerk führten.

Dieses war durch kleine Flure ganz verschachtelt, die zu den Zimmern führten und die Zimmeraufteilungen des dritten Stockwerks wiederspiegelten.

Jedes Zimmer enthielt ein Badezimmer, einen Schlaf-und Wohnbereich und einige sogar noch einen Balkon, von dem man das ganze Tal überblicken konnte.
 

Eine Reisetasche landete auf einem Doppelbett mit weißen Laken und in himmelblau gefasster Bettwäsche. Sie schaltete eine der Nachttischlampen an und sah sich kurz in dem Raum um. Das Doppelbett bestand aus dunklem Eichenholz und war größer als ihr Eigenes zu Hause. Die passenden Nachttische befanden sich zu beiden Seiten davon und trugen je eine kleine Lampe. In der Mitte über dem Bett hing ein Panoramagemälde an der Wand. Ihr gegenüber befand sich eines der beiden Fenster, die den Raum tagsüber wohl mit Licht füllten und die große Balkontür einrahmten.

Zu ihrer Linken standen in etwa einem Meter Abstand zum Bett ein Zweisitzersofa, ein Sessel, ein runder Beistelltisch und ein kleiner Schrank mit Fernseher. Auf dem Boden lag ein runder Teppich.

Der Rest des Raumes wurde von einer Zimmerecke verdeckt. Sie wandte sich vom Bett ab. Was dahinter lag, wusste sie bereits. Es war der kleine Eingangsbereich mit einer kleinen Garderobe, einer Fußmatte und einer Minibar von der sie wohl kaum Gebrauch machen würde. Darüber hing ein großer Spiegel und gegenüber stand eine kleine Stereoanlage.

Sie öffnete ihre Tasche und griff nach ihrem Kulturbeutel, wandte sich der Tür zu, die sich bislang in ihrem Rücken befunden hatte und betrat das Bad, das sie nun in der nächsten Zeit nutzen würde.

Es war alles da, was man so brauchte. Ein Badezimmerschrank mit Waschbecken und Spiegel an der Wand gegenüber, links daneben eine Dusche und rechts davon die Toilette. Zu ihrer Linken gegenüber der Dusche stand eine normale Badewanne. Wie der Rest des Hotelzimmers wurde auch das babyblaue Bad von indirektem Licht erhellt.

Kyoko ging zum Waschbecken hinüber, stellte den Kulturbeutel auf der Anrichte ab und begann sich den Reisetag vom Gesicht zu waschen. Als sie das Handtuch wieder weg hängte, dass sie zum Abtrocknen genutzt hatte, schob sie ihre Haare mit ihrer rechten Hand über den Kopf zurück und stützte sich mit beiden Händen auf der Ablage des Badezimmerschranks ab, während sie in den Spiegel blickte und beobachtete, wie die Strähnen ihres Haares wieder auf ihren Platz zurück rutschten. Sie seufzte.

Der Tag war irgendwie anstrengend gewesen. Am Morgen hatte sie in aller Ruhe gefrühstückt, gepackt und schließlich zu Mittag gegessen. Es war nichts ungewöhnliches geschehen und sie hatte sich sogar auf die Fahrt mit Kessy gefreut, bis diese abgesagt hatte und der Tag mit einem Mal eine Wendung genommen hatte, die ihr nicht ganz geheuer gewesen war.

Mal abgesehen von ihrer Haarbürste und ihren geliebten „Gammelklamotten“, die sie zu Hause hatte zurücklassen müssen, war die Fahrt aus der Stadt auch noch irgendwie zu einem verdammten Mienenfeld mutiert.

Dank Fuwa und seiner Marketingstrategie waren sie fast ständig an seinen Werbeplakaten vorbei gekommen. Er war sogar so dreist gewesen, dieses blöde Werbebanner in der Nähe ihrer Wohnung aufhängen zu lassen. Es war klar, was er damit bezweckte. Er wollte ihr zeigen, wie sie zusammen wirkten und der Sloagen auf ihren Beinen war auch nur all zu deutlich. Es war, als hätte er ihr seinen Namen eingraviert.

Sie seufzte erneut und ging zum Bett zurück, um schließlich doch noch ihre Tasche auszupacken und ihre Sachen in dem Schrank neben der Badezimmertür zu verstauen.

Eigentlich hätte sie sich nichts dabei gedacht, schließlich war es ein Job und das gehörte nun mal dazu. Außerdem war ihr so ziemlich egal, was er in seinem Frust anstellte, solange es ihrer Karriere nicht schadete. So etwas wie in Privatleben hatte sie ja im Moment ohnehin nicht.

Vielleicht hätte es ihr auch nichts ausgemacht, wenn sie nur seine Nachricht bekommen hätte, in der er ihr mitteilte, dass er trotzdem nicht aufgeben würde und alles daran setze, sie wieder zu kriegen. Kessy hatte sie ihr unterwegs über ihr Handy vorgelesen. Er hatte den Mist wohl bei LME abgeben lassen.

Nein, das wirklich Schlimme daran waren die angespannte Stimmung in Tsuruga-sans Wagen und Yashiros ständige Anspielungen gewesen, die die Stimmung nur noch weiter in den Keller getrieben hatten. Irgendwann hatte sogar sie genug gehabt und gebeten, das Radio einzuschalten. Das hatte zwar die Sticheleien gestoppt, aber die Atmosphäre hatte sich nicht gebessert. So waren sie fünf Stunden unterwegs gewesen, während sie Musik und einer Quizshow gelauscht hatten. Irgendwann war Sho’s Song erklungen und Yashiro hatte das Radio schnell wieder abgestellt, weshalb sie still weiter gefahren waren.

Sie konnte noch immer nicht verstehen, wieso es dazu gekommen war. Bislang war immer alles in Ordnung gewesen, wenn es um ihren Job gegangen war. Schließlich war es ihr Job gewesen und den hatte sie auch ordentlich erledigt. Weshalb Tsuruga-san also so merkwürdig war, konnte sie sich beim besten Willen nicht erklären. Dass sie keine Probleme gemacht hatte und alles gemacht hatte, was zu ihren Aufgaben gezählt hatte, war offensichtlich, aber was ihm nun die Stimmung verhagelt hatte, blieb ihr schleierhaft. Welchen Grund könnte er sonst noch haben, sich dermaßen über dieses Video und die dazu gehörige Promotion aufzuregen? Denn das es darum gegangen war, war Glas klar. Sonst hätte Yashiro nicht diese Anspielungen gemacht und das Radio abgestellt.

Kyoko stopfte ihre Tasche in das obere Fach ihres Schranks und schloss ihn. Wie sie sie dort wieder heraus bekommen sollte, war ihr noch unklar, aber es war der beste Platz dafür. Sie sah an sich herab und wünschte sich sehnlichst ihr ausgeblichenes grünes Top und die abgeschnittenen Jeans vom Morgen herbei. Sie schlüpfte in ihre Hausschuhe, ging um das Bett herum, öffnete die Balkontür und stellte sich an dessen Geländer, die Hände darauf abgelegt.

Der Portier hatte nicht gelogen, die Aussicht war umwerfend. Sie konnte nicht nur das Dorf erkennen, sondern auch die Dächer ihrer Location, die von Bäumen umringt zu sein schien. Weiter hinten erstreckten sich weite Felder und Koppeln über die Ebene.

Sie sog genüsslich die frische und so viel reiner Luft als in Tokio ein, während ihre einige Haarsträhnen aus dem Gesicht geweht wurden.

Mit der Brise, die ihr ins Gesicht wehte, waren ihre Erinnerungen an ihre Zeit mit Joe in Amerika zurückgekommen. Sie versuchte sich vorzustellen, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn sie nicht gegangen wäre, sondern versucht hätte, die Beziehung zu retten und vorran zu treiben. Es gelang ihr nicht. Vermutlich lag dieses Leben einfach schon zu weit zurück. Oder aber die Vorstellung wurde von ihrem gegenwärtigen Leben überlagert. Wenn sie so darüber nachdachte, wäre es wohl ohnehin nicht gut gegangen. Sie hatten sich schon eine ganze Weile vor ihrem Abflug von ihrer anfänglichen Beziehung entfernt.

Ihr Blick folgte einem Vogel, der auf Höhe ihres Balkons vorbei flog und sich schließlich die beiden Stockwerke zum Innenhof hinabgleiten ließ. Das dritte Stockwerk hatte schon seine Vorteile.

„Der Ausblick ist toll, nicht?“

Kyoko wandte sich erschrocken nach rechts um, um dem Besitzer der Stimme in die Augen zu sehen. Auf dem Balkon nebenan lehnte Tsuruga-san an einem der Fenster, die Arme vor der Brust verschränkt. Sein Jacket hatte er auf einen der Balkonstühle gelegt, so dass er nun lediglich ein weißes Hemd und die Hose seines Anzugs trug. Das Hemd hatte er sich am Kragen aufgeknöpft und die Ärmel waren bis zu den Ellenbogen hochgeschoben.

Er sah sie nicht an, was ihr merkwürdig erschien. Nach einem Moment des Schweigens wandte auch sie sich wieder der Aussicht zu: „»Toll« ist untertrieben.“

„Stimmt wohl.“

„Noch mal Danke fürs Mitnehmen.“, sie schluckte schwer. Die Atmosphäre war wieder so angespannt.

„War kein Problem.“, wieder so eine abgehackte Antwort. Sie wartete einen Augenblick, fasste sich und stützte sich mit ihren Unterarmen auf dem Geländer ab: „Tsuruga-san, ist alles in Ordnung?“

„Ja.“, in seiner Stimme schwang Verwunderung mit: „Und bei dir? Ist das Zimmer gut?“

Sie räusperte sich kaum vernehmlich: „Ja, aber das meinte ich nicht.“

„Was meintest du dann?“

Kyoko versuchte ihn aus den Augenwinkeln zu sehen, ohne sich zu ihm umzudrehen, allerdings verfolglos: „Sie sind heute so merkwürdig. Geradeso als hätte ich Sie mit irgendetwas verstimmt, als wir meine Wohnung verlassen haben.“

Sie hörte ihn seufzen, danach enstand eine Pause. Als sie wieder aus den Augenwinkeln zu seinem Balkon hinüber sah, erkannte sie, dass er nicht weit von ihr die gleiche Haltung eingenommen hatte wie sie und nach unten in den Hof blickte. Kyoko wandte ihm ihr Gesicht zu und runzelte die Stirn.

„Du hast nichts getan.“, Ren sah ihr offen in die Augen.

„Doch, irgendwas hab ich getan. Ich erknnes an ihren Augen.“

Er wandte den Blick wieder ab: „Du hast mir noch gar nicht erzählt, was sich verändert hat.“

Sie starrte ihn an. Das sie überlegte, was er meinte, stand ihr wohl offen ins Gesicht geschrieben, denn er erläuterte es ihr: „Du hast mir von deinem Zusammenleben mit den Hizuris, von deinen Jobs und der Umgebung erzählt, die du so zu Gesicht bekommen hast. Aber was dich so verändert hat, das hast du ausgelassen.“

„Sind Sie deshalb sauer?“, sogar in ihren eigenen Ohren klang ihre Stimme ungläubig.

Er seufzte wieder tief: „Ich bin nicht sauer. Du lässt dich nicht ablenken, stimmt’s?“

„Nein.“, sie wandte sich ihm vollends zu, den linken Arm auf dem Geländer, die rechte Hand selbstsicher in die Hüfte gestemmt.

Kyoko konnte ihm ansehen, dass er sich geschlagen gab. Auch er richtete sich auch, stützte sich jedoch weiterhin mit beiden Händen auf dem Geländer ab: „Du hast mir gar nichts von deinem Job bei Fuwa erzählt.“

„Darum geht es also wirklich?“, sie sah ihn überrascht an. Das es darum ging, hatte sie sich bereits gedacht, doch dass er versuchen würde, es vor ihr zu verbergen, war ihr neu.

Ren schwieg und sah dem Vogel unten im Hof beim Laufen zu.

„Ich wusste nicht, dass Sie meine Aufträge so sehr interressieren.“, sie klang amüsiert: „Worum genau geht es denn?“

„Wie ist es denn so gelaufen?“, die Frage klang zu beiläufig.

„Super.“, sie nahm seinen Tonfall an: „Sowohl das Video als auch das Fotoshooting lief einwandfrei. Ich bin nur froh, dass sie nicht die Fotos genommen haben, auf denen wir kuscheln, das wäre ja auch nicht so gut für seine jüngeren Fans gewesen.“

Er sah sie überrascht an, öffnete den Mund, um etwas zu sagen und schloss ihn wieder stumm wie ein Fisch. Sie war sich nicht sicher, aber es lag etwas Verletztes in seinem Blick.

Kyoko seufzte: „Das war ein Scherz. Ich habe meinen Job einwandfrei erledigt und bin gegangen.“

„Keine Verwirrungen?“

„Nein.“

Sie schwiegen erneut.

„Darf ich fragen, wieso du den Job angenommen hast?“, er klang bereits freier. Als hätte er eine Last abgeworfen.

Sie wandte sich wieder von ihm ab und stützte sich wie zuvor auf dem Geländer ab: „Ich hatte es Kuu Hizuri versprochen. Ich bin froh, dass ich es gemacht habe, denn es war befreiend.“

Er musterte sie lange und runzelte die Stirn. Als er wieder sprach, klang er leicht frustriert: „Das verstehe ich nicht.“

Ihr Herz klopfte ihr plötzlich bis zum Hals. Sie hatte ihm nichts von Joe erzählen wollen, aber um es ihm zu erklären, würde sie es tun müssen. Andererseits hatte sie eigentlich gar keinen Grund, es ihm zu verheimlichen. Er war nur ihr Sempai, also gab es keinen Grund dafür.

Kyoko schluckte schwer. Aber sie wollte es ihm nicht sagen. Das war wohl das eigentliche Problem. Dennoch wusste sie, dass es keinen Sinn haben würde, ihm nichts zu sagen, denn irgendwie fand er ja immer alles heraus und zu ihrem eigenen Verdruss wusste Sho davon, der es ihm bei Gelegeneit brühwarm auftischen würde.

Trotzdem: „In Amerika war ich weit genug von allem entfernt, was mich in irgendeiner Weise mit ihm in Verbindung gebracht hätte. Ich hatte Abstand und irgendwie hab ich dadurch zu mir selbst gefunden.“, sie klang nachdenklich, was allerdings daran lag, dass sie das Mienenfeld umgehen wollte: „Irgendwann war es mir egal, was mit ihm ist. Es interessierte mich einfach nicht mehr.“

Ren beobachtete sie genau und ließ sich ihre Worte durch den Kopf gehen: „Und Hizuri bestand darauf, weil?“

Sie schmunzelte: „Er wollte, dass ich mich ihm stelle und wirklich einen Schlussstrich ziehe. Das war auch nötig, denn nur so konnte ich mir selbst sicher sein.“

Er schnaubte: „Er war bestimmt begeistert.“

Kyoko schluckte kurz: „Eher weniger. Er wollte mir nicht glauben.“

Ren sah sie mitfühlend an: „Es wird ihm schon noch klar werden.“

Sie schenkte ihm ein kleines Lächeln, das er aufrichtig erwiederte.



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Von:  federfrau
2015-05-05T11:47:21+00:00 05.05.2015 13:47
Super FF!! Habe sie in einem Rutsch durchgelesen und hoffe sehr, dass du so bald wie möglich weiter schreiben wirst!!
Von: abgemeldet
2011-12-14T16:36:12+00:00 14.12.2011 17:36
hallo,
ich nehm es ernst und versuche es bei den neueren kapiteln umzusetzen. bin dir auch wirklich dankbar, dass du mir so gute feedbacks gibst!es ist mir nämlich selbst gar nicht wirklich aufgefallen.
ich werd mir in den neueren kapiteln wieder etwas mehr mühe bei der tiefe geben!
Von:  Kyoko-Hizuri
2011-12-13T16:15:11+00:00 13.12.2011 17:15
das Kap ist in ordnung,
aber kann es sein das du deinen Schreibstil geändert hast?
es kommt mir so vor, wenn ich mir die ersten 12-13 Kaps durchlese und dann deine letzten 3...*hmmm*
du beschreibst seit kurzen viel mehr die Umgebung der Personen und gehst nicht mehr so in die Tiefe bei dem Inhalt des Geschehens ein,...das vermisse ich ein bisschen,...
sonst habe ich nichts zu bemerken^^
hoffe nur du schreibst noch weitere Kaps, du musst mein schreiben auch nicht so ernst nehmen, wenn du nicht willst!
bis bald,
Kyo-Hizu
Von:  Kyoko-Hizuri
2011-12-12T08:19:09+00:00 12.12.2011 09:19
bin schon gespannt, ob Yashiro ein zweideutiges gespräch mit Kyoko anfängt um damit ren aus der Reserve zu locken^^
das hat Kessie mit sicherheit absichtlich gemacht, vielleicht hat Kessie ja den teil des Gespräch von Sho und kyoko mitbekommen, wo Kyoko gesagt hat, das sie Ren Sho immer vorziehen würde^_^...*grins*, könnte ich mir gut vorstellen,
schreib bitte schnell weiter,
Kyo-Hizu
Von:  Kyoko-Hizuri
2011-12-12T07:59:43+00:00 12.12.2011 08:59
super Kap^________________^
besonders der Satz hat mir gefallen: "Außerdem würde ich Tsuruga-san dir immer vorziehen.“
genial, Sho tut mir fast leid...*grins*
jetzt fehlt nur noch das kyoko sich bewusst wird, das sie in Ren verliebt ist um es perfekt zu machen^^
weiter so, ich lese sofort das nächste
Kyo-Hizu
Von:  SchwarzeNami
2011-12-11T21:22:12+00:00 11.12.2011 22:22
das gespräch zwischen Ren und seinem Manager hast du gut hinbekommen... wie Yashiro versucht die gewünschten Antworten aus Ren rauszubekommen, einfach gut...
Ob bei Kessys 'kurzfriestigen' Termin net ne bissch absichthinter steckt? *grübel*
bin echt mal gespannt wie die Autofahrt zwischen Ren, Kyoko und Yashiro wird... ob unsere 'zwei Turteltauben' zu zweit nicht rausbekommen was zwischen Yashiro und Kanae läuft... bin ech gespannt und freu mich auf die nächsten Kapitel ^^
Von:  SchwarzeNami
2011-12-11T20:59:49+00:00 11.12.2011 21:59
Wie verzeifelt Sho versucht auf Kyoko einzureden...
Das Mädel is echt Mental gewachsen
und der Gnadenstoß
Ich LIEBE diesen Gnadenstoß... einfach göttlich....
werde gleich das nächste Kapitel lesen....
war zimlich überrascht das schon wieder 2 on stehen....^^
du hast mir meine Straba fahrt heim gerette :D
Von:  mitsuki11
2011-12-11T14:36:25+00:00 11.12.2011 15:36
Freue mich auch auf das Gespräch zwischen den beiden!!
Und natürlich auf das nächste Kapitel!!

LG
Mina
Von: abgemeldet
2011-12-11T12:03:27+00:00 11.12.2011 13:03
Das ist schön. Ich versuche jetzt Distanz zwischen den Beiden aufzubauen und ich hoffe, dass es nicht in die Hose geht und ihr es nicht mehr lesen wollt. Mit dem nächsten Kapitel bin ich mir nicht so ganz sicher, aber ich hab auch keine bessere Idee, wie ich es sonst machen könnte. Dafür schreib ich grad an Kapitel 22, was mich selbst ganz überrascht. Hoffentlich wird es euch nicht zu langweilig. :-)
Noch mal danke für die Feedbacks!
Von:  SchwarzeNami
2011-12-10T13:18:57+00:00 10.12.2011 14:18
der Fotograf is echt der Hammer, wie der net bemerkt das seine zwei Modell gar net bei der Sache sind... *hihi*
ich finde gut das Kyoko sind Gedanken darüber macht warum sho so eifersüchtig is... vll kommt sie so der Wahrheit ne Stückchen näher ^-^v
auf das Gespräch zwischen sho und Kyoko freu ich mich schon, den ich hoffe das da die Fetzen fliegen *sfg*

ich warte gerne auf deine Geschichte... den es lohnt sich meiner Meinung nach darauf zu warten :P trotzdem würde ich mich freuen wenn es recht zügig weiter geht :)-
lg
Nami




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