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The Art Of Breaking

von

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One-Shot

I think I might just lose my mind

If I have to watch this one more time

I can't explain how many times i've

Stayed for you when you were on my mind
 

No one ever said that it was easy

So come out of the cold and stop your bleeding

I never would of thought that things could

Go this far, but please believe me
 

Are you gonna run away, and leave me here alone?

Are you gonna run away, and leave me here?
 

Thousand Foot Krutch – The Art Of Breaking
 

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Es war für zwei Personen gedeckt.
 

Wie jeden verdammten Abend war für zwei Personen gedeckt. Manchmal kam es einem wirklich so vor, als gäbe es nicht mehr Mitglieder in ihrer Familie. Schweigend starrte Kuon das Geschirr auf dem viel zu langen Esszimmertisch an, ehe er sich abwandte und die Treppe zu seinem Zimmer bestieg. Dabei hörte er seine Mutter in der Küche mit jemanden telefonieren. Da sie wütend und aufgeregt klang, vermutete er, dass es sich um seinen Vater handelte.
 

Sein Vater.
 

Schnaubend ging er weiter. Als ob man diesen Mann wirklich als solchen bezeichnen konnte. Wann war er je hier? Wann kümmerte er sich denn um sie? Wann dachte er auch nur einen Augenblick an sie? Es ging ihm nur um die Schauspielerei, seine Karriere, seinen Ruf. Früher mochte er einmal sein Held gewesen sein, aber inzwischen war er nur noch erbärmlich.

Er war wie alle anderen.
 

Gut, durch ihn wurden jeden Monat die Rechnungen bezahlt. Sie besaßen ein großes Haus in Beverly Hills, konnten sich alles kaufen, was sie wollten, fuhren die besten Autos und hatten jede menge Bekanntschaften unter der High Society von L.A. Aber was brachte einem das alles, wenn... wenn...
 

Er schüttelte mit dem Kopf und betrat sein Zimmer, wo er die Sporttasche ablegte, die er mit zum Basketballtraining genommen hatte, und sich sofort auf sein Bett fallen ließ. Mit ausgebreiteten Armen lag er da und starrte an die Decke. Er hatte keine Lust mehr.

Sein Leben war langweilig, trostlos, bitter. In der Schule krochen ihm alle förmlich in den Hintern, nur weil er der Sohn des Kuu Hizuri war und in der Welt von Hollywood, die Welt, in die er so gerne gehören würde, verachteten ihn alle. Weil er der Sohn Kuu Hizuris war. Kuu, Kuu, Kuu, immer nur Kuu.

Wann würde endlich jemand erkennen, dass er nicht sein Vater war? Er war Kuon!

Oder war er vielleicht doch nur eine Kopie dieses Menschen?
 

Seine Mutter rief ihn zum Abendessen. Kurz spielte er mit dem Gedanken, sie zu ignorieren, doch da er wusste, was er damit auslösen würde, rappelte er sich schließlich auf und schlich nach unten. Es gab einen schnellen, einfachen Eintopf. Während sie sich schweigend gegenüber saßen und die Suppe löffelten, sah Kuon sie verstohlen an.
 

Vor langer Zeit war Julie Hizuri eine Schönheit gewesen, doch nun war nur noch wenig davon zu erkennen. Ihr Gesicht war blass geworden, ihre Haare stumpf und glanzlos. Doch am schlimmsten waren ihre Augen. Ihre leeren, leblosen Augen.

Sie würde es heute wieder tun. Sie sah immer so aus, bevor sie es tat.
 

Auf einmal fokussierte sich ihr Blick auf sein Gesicht und Kuon hielt mitten in seiner Bewegung inne, um darauf zu warten, was nun kommen würde.

„Habt ihr ein gutes Training gehabt?“, fragte sie monoton. Wahrscheinlich interessierte es sie nicht einmal.

„Ja, es war recht angenehm“, entgegnete er und ließ seinen Löffel auf den tiefen Teller sinken, in Erwartung auf weitere Fragen. Doch sie kamen nicht.

„Kommt Vater heute wieder nicht nach Hause?“, wollte er deshalb wissen.

Sie ließ den Löffel fallen, den sie gerade an ihren Mund hatte führen wollen, woraufhin der Eintopf in ihrem Teller sich gleichmäßig auf dem Tisch und ihrer Kleidung verteilte. Mit fest zusammengekniffenen Mund stand sie auf und holte einen Lappen, um das ganze aufzuwischen.
 

„Er hat einen Vertrag für einen neuen Film geschlossen“, erklärte sie ihm schließlich, ohne ihn anzusehen. „Es wird dauern, bis er wiederkommt.“

Kuon nickte daraufhin und fuhr mit ihr gemeinsam fort, das Abendessen zu verspeisen. Danach räumte er unaufgefordert die Teller weg und dankte ihr für die Zubereitung des Essens.

Sie gab keine Regung von sich, als er sich auf dem Weg zurück in sein Zimmer machte.
 

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Wie immer in solchen Nächten konnte er nicht schlafen. Er lag zusammengerollt unter seiner Decke und wartete. Manchmal länger, manchmal weniger lang. Es kam immer darauf an, wie sehr sie noch in der Realität verankert war. Hatte sie sie verloren, ging es schnell, da sie dann vergessen hatte, dass er noch im Haus war. Ansonsten schlich sie immer zunächst in sein Zimmer, um sich zu vergewissern, dass er schlief, bevor sie damit begann.

Manchmal fragte Kuon sich, ob sie nicht eines Tages dafür sorgen würde, dass er es nicht mehr mitbekommen konnte. Aber dafür war sie wahrscheinlich noch zu sehr sie selbst.

Dafür liebte sie ihn zu sehr. Oder vielleicht auch zu wenig.
 

Dieses Mal war es etwa drei Uhr morgens, als er sie leise an seiner Zimmertür vorbei tapsen hörte. Sie hielt nicht einmal für einen kurzen Augenblick inne, um zu horchen, ob er noch wach war. Kein gutes Zeichen.

Trotz allem schien sich etwas in ihm zu entspannen, als ihre Schritte im Haus immer leiser wurden. Wahrscheinlich da das Warten endlich vorbei war. Zumindest für heute Nacht.
 

Er schloss einen Moment lang die Augen, dann richtete er sich auf und schlüpfte aus dem Bett. Diesmal hatte sie nicht einmal das Licht angemacht, sondern sich mit der Dunkelheit begnügt, die um diese Uhrzeit in diesem Viertel, in ihrem Haus herrschte.

Stirn runzelnd begann er, sich an der Wand entlang zu tasten, bis er an den Raum kam, von dem er wusste, dass sie sich darin befinden musste. Die Tür war nur angelehnt, das Zimmer dunkel. Sie hatte die Wasserhähne aufgedreht und der übliche, metallene Geruch drang an seine Nase.
 

Vorsichtig suchte er mit seiner Hand nach dem Lichtschalter und drückte ihn, sobald er ihn gefunden hatte. Die Lampe enthüllte von einem Augenblick zum anderen, was er schon oft gesehen hatte und nie wieder erleben wollte: Seine Mutter, am Boden, umgeben von Blut, während das Zimmer von dem Wasser der offenen Hähne überflutet wurde. Ihre Augenlider hoben sich und sie sah ihn schweigend, flehend, bittend an, doch er konnte ihr ihren Wunsch nicht gewähren. Nicht jetzt. Niemals.
 

Seufzend griff er nach seinem Handy, dass er in solchen Nächten immer griffbereit hatte und wählte die Nummer, die er schon seit Jahren als Kurzwahl hatte.

„Hallo?“, sagte eine müde, weibliche Stimme. Es war nicht beneidenswert, Nachtschicht schieben zu müssen.

„Hi, ich bin's“, sagte er nur.

Die Person am anderen Ende der Leitung schaltete sofort: „Ich werde dir sofort einen Wagen vorbeischicken. Sie sind in spätestens zehn Minuten da.“

„Danke“, flüsterte er und legte wieder auf.
 

Julie sah ihn schweigend an und bewegte sich nicht, während das Blut aus ihren Adern floss. Mit geübten Griffen holte Kuon Handtücher aus einem Schrank hervor und versuchte damit, ihre Wunden fürs erste zu verbinden, die Sanitäter, die jeden Moment kommen müssten, würden alles weitere tun. Dabei vermied er es, ihrem Blick zu begegnen.
 

In den Minuten zwischen seinen Anruf und dem Erscheinen der Anderen fragte er sich oft, ob es falsch war, ihr das Leben zu retten. Wenn sie sich so sehr nach dem Tod sehnte, war es dann nicht besser, sie gehen zu lassen? War das nicht richtig?

Was hatte er für einen Anspruch auf ihr Leben? Sie hatte ihn zur Welt gebracht, sie hatte ihm alles gegeben, was er hatte, was er war. Hatte er da wirklich ein Recht darauf, sie hier zu halten?

Aber was sollte er sonst tun? Wie könnte er weiterleben, wenn sie nicht mehr wäre? Was sollte er ohne sie denn tun?

Er brauchte sie! Er war doch noch nicht soweit, erwachsen zu werden. Er war ein Kind, selbst wenn er bereits sechzehn Jahre alt war.
 

Langsam trat er zurück, bis er mit dem Rücken an die nächste Wand stieß. Daran ließ er sich hinab gleiten und setzte sich still auf den Boden, während er nun endlich den Blick seiner Mutter erwiderte. So verharrte er, bis sie endlich kommen würden.
 

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Das ärgerliche, das wirklich ärgerliche an Julies Selbstmordversuchen war, dass sie damit immer erreichte, was sie hatte bewirken wollen: Kuu kam frühzeitig von seinen Dreharbeiten nach Hause. Es war kurz nach sechs Uhr morgens, als er durch die Tür ihres Krankenzimmers gerauscht kam und inne hielt, um die Bandagen an den Armen seiner Frau zu betrachten.

Kuon genoss diese Momente immer zutiefst. Sollte er ruhig sehen, was er mit seinem Egoismus anrichtete! Sollte er ruhig leiden! Er hatte es verdient, dieser arrogante, egoistische Bastard!
 

Diese Schadenfreude verflog jedoch immer sofort, wenn sein Vater sich zu ihm umdrehte und ihn mit diesem Blick ansah. Er war voller Schmerz, Schuldgefühle und Trauer. Ein Spiegel seiner eigenen Seele. Wie konnte er diesem Mann länger böse sein, wenn er dasselbe fühle wie er?

„Kuon“, flüsterte sein Vater, ging auf ihn zu und zog ihn in eine Umarmung. „Es tut mir so Leid.“
 

Das sollte es auch. Es war schließlich alles deine Schuld! Ohne dich würde sie nicht dort liegen! Ohne dich würde sie keinen Grund haben, gehen zu wollen! Ohne dich...!

„K... Kuu?“ Ihre Stimme. Schwach. Müde. Erschöpft. Dennoch lebendig. Das erste Mal, seit Wochen wieder lebendig.

Sofort löste sein Vater die Umarmung und drehte sich zu ihr um. „Julie“, sagte er sanft, aber vorsichtig. Man konnte nie wissen, wie sie reagierte, sobald sie ihn sah.

Heute war sie glücklich. Ihr Gesicht strahlte geradezu, als er nach ihrer Hand griff und sie fest drückte. Sie sah ihn an und ihre Augen waren dabei nicht mehr leer. Es ging ihr wieder gut und das nur, weil er wieder hier war.
 

Kuon könnte kotzen. Wie sehr er es doch hasste. Wie sehr er die beiden hasste! Doch sie waren seine Eltern und deshalb war er dazu gezwungen, sie zu lieben.
 

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Wenn sein Vater da war, konnte er ohne Gewissensbisse die ganze Nacht wegbleiben. Seine Mutter brauchte ihn nicht in solchen Nächten. Da war er überflüssig.

In der Regel verbrachte er sie damit, mit Freunden und Bekannten durch die Clubs zu ziehen, sich sinnlos zu betrinken, zu rauchen, Drogen zu nehmen und mit ein oder mehreren Mädchen in einem Love Hotel zu verschwinden. Manchmal kamen auch andere Jungen mit. Es kam immer darauf an, wie zu er war.
 

In solchen Nächten dachte er nicht. Er vergaß lieber und ließ sich fallen. Selbst, wenn ihn niemand auffangen sollte, was spielte es schon für eine Rolle? Vielleicht würde sein Vater einmal wegen ihm kommen, wenn er sich in Schwierigkeiten brachte.
 

An dem Morgen nach dem neuesten Selbstmordversuches seiner Mutter erwachte er in den Armen von einer Blondine und einer Brünetten. Am Boden konnte er außerdem ein paar seiner Kumpel sowie einige andere Mädchen sehen. Der ganze Raum roch nach dem Zeug, das sie letzte Nacht geraucht hatten und alles sah mehr als chaotisch aus. Sie hatten es eindeutig übertrieben.
 

Vorsichtig, um die anderen nicht zu wecken, stand er auf und suchte sich seine Kleidung zusammen. Sobald er wieder angezogen war, verließ er das Hotelzimmer, in dem sie sich breit gemacht hatten – er hoffte, dass es nicht auf seine Rechnung geschehen war – und machte sich auf den Weg nach Hause.
 

Aus Gewohnheit benutzte er den Hinterausgang, als er das Hotel verließ. Obwohl er nur Kuus Sohn war, kannten die Paparazzi und Reporter ihn und waren stets bereit, ihn zu verfolgen. Eine äußerst lästige Angelegenheit, die manchmal recht unangenehm werden konnte.
 

Es war noch dunkel, er war früh aufgewacht, aber er meinte am Himmel bereits erste Anzeichen für das Morgengrauen zu erkennen. Grauen. War das Leben denn etwas anderes?

Die Luft war kühl und stank nach Abgasen. Irgendwo konnte er eine Frau lachen hören.
 

Als er durch die verlassene Gasse ging, hörte er hinter sich Schritte, die ihm folgten. Er musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wer es war.

„Hey, Hizuri!“, rief die Stimme eines betrunkenen Jungens. „Ich hab gehört, deine Mutter hätte jetzt vollkommen den Verstand verloren! Wie geht es dir dabei?“ Ein paar andere Stimmen lachten. „Warum drehst du dich nicht um? Du brauchst vor uns deine Tränen nicht verstecken! Wir wissen doch, dass du ein Muttersöhnchen bist.“ Weiteres Lachen, das dumpf in seinem Kopf widerhallte.

Sie hatten doch keine Ahnung! Sie hatten nicht die geringste Ahnung!

Schnell beschleunigte er seine Schritte, was noch mehr Gelächter hervorrief. „Oooohhh, hat der kleine Hizuri etwa Angst vor den großen Jungs?!“

„Dreh dich um!“, rief ein anderer. „Oder traust du dich nicht? Du Weichei!“

„Du Kind einer Hure!“
 

Du wertloses Etwas, dass es nicht einmal schafft, seine eigene Mutter zu beschützen.
 

Kuon tat den Jungen den Gefallen. Er drehte sich um. Aber bereits ein paar Minuten später würden sich alle Beteiligten wünschen, er hätte es nie getan.
 

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Sein Vater schlug mit seinen Händen so fest auf den Tisch, dass die Vase mit den Narzissen umfiel und scheppernd in tausend Scherben zerbrach. „Was hast du dir dabei gedacht?!“

Er war wütend. Mehr als wütend. Kuon hatte ihn noch nie so sehr die Beherrschung verlieren sehen. Andererseits hatte er auch sich selbst noch niemals so die Beherrschung verlieren sehen, wie an diesem Morgen.

„Zuerst bist du die ganze Nacht weg, ohne ein Wort zu hinterlassen, dann betrinkst du dich und checkst mit irgendwelchen Leuten, die wir nicht kennen in das wohl teuerste Hotel der Stadt ein, wo ihr nichts besseres zu tun habt, als einen Joint nach dem nächsten zu rauchen und dann, als ob das nicht genug wäre, prügelst du dich mit deinen Klassenkameraden?! Hast du eigentlich eine Ahnung, was das für unseren Ruf bedeutet?“
 

Natürlich. Der Ruf. Worum sollte es sonst gehen? Es war nicht wichtig, dass er blutüberströmt nach Hause gekommen war. Es spielte keine Rolle, dass er diesen Jungen mit seinen eigenen Fäusten umgebracht hatte. Es hatte kein Gewicht, dass er in seinem jungen Alter schon Drogen nahm. Das einzige, was zählte, war der Ruf der Familie oder genauer gesagt, der Ruf seines Vaters. Dass sein einziger Sohn nachts durch die Straßen streifte und so viel Ärger machte, würde kein gutes Licht auf ihn als Privatmenschen werfen.

Ein Gefühl der Zufriedenheit überkam ihn. Wenigstens war die ganze Geschichte für etwas gut.
 

„Hast du bei der ganzen Sache eigentlich einmal an deine Mutter gedacht?“, fuhr sein Vater fort, als er bemerkte, dass seine Worte keine Wirkung hatten. „Sie hat erst gestern versucht, sich das Leben zu nehmen und jetzt gibst du ihr sofort wieder einen neuen Grund dafür! Weißt du eigentlich, wie sehr sie das alles aufregt?“

Natürlich wusste er es. Er kannte seine Mutter schließlich. Er sah jeden Tag dabei zu, wie sie jede Kleinigkeit mehr zu Grunde richtete. Ganz im Gegensatz zu einer anderen Person.
 

„Verdammt noch mal, Kuon!“, schrie der Mann geradezu und schlug noch einmal auf den Tisch. „Jetzt sag endlich, was mit dir los ist! Ich mache mir Sorgen um dich!“

Bisher hatte Kuon stur geradeaus gesehen, ohne ihm auf irgendeine Art zu zeigen, dass er ihn wahrnahm. Nun hob er jedoch langsam seinen Blick und fixierte sein wutverzerrtes Gesicht, das jedoch tatsächlich eine Spur Sorge beinhaltete. Nicht, dass ihn das interessierte.

„Ach ja?“, sagte er mit einem sarkastischen Unterton. „Seit wann?“
 

Kuus Augen weiteten sich und er stolperte erschrocken ein paar Schritte zurück. „Kuon...?“

„Wer bin ich, Vater?“, das letzte Wort spie er geradezu aus, während er sich aus seiner bisher sitzenden Postion erhob, um sich mit ihm auf eine Ebene zu bringen. „Was tue ich in meiner Freizeit? Welche Fächer habe ich in der Schule belegt? Wer sind meine Freunde? Was bereitet mir Freude? Was ärgert mich? Was ist meine Lieblingsfarbe? Verschlafe ich morgens oder bin ich pünktlich? Bin ich ein guter Schüler? Habe ich ein Lieblingsteam? Mag ich Paprika?“ Er sah den Schauspieler für ein paar Sekunden schweigend an, ehe sich ein kaltes Lächeln auf seinen Lippen ausbreitete. „Kannst du überhaupt eine Frage über mich wahrheitsgemäß beantworten?“

Der Mann antwortete ihm nicht. Er brauchte es nicht. Sie beide wussten, dass er es nicht konnte.
 

Und so etwas nannte sich Vater.
 

Hinter ihm ertönte ein leises Rascheln und als er sich umdrehte, konnte er seine Mutter erkennen, die in einem teuren Morgenrock dastand und ihr „Gespräch“ offenbar belauscht hatte. Ihr Gesicht war ausdruckslos, als sie auf ihren Sohn zuging und ihm eine Ohrfeige verpasste.

„Was fällt dir eigentlich ein, so mit deinem Vater zu sprechen, junger Mann?“, zischte sie aufgebracht. „Du solltest dich schämen, wie du mit ihm redest, nachdem er alles in die Wege geleitet hat, damit du für deine leichtsinnige und überaus kindische Tat nicht im Gefängnis landest!“
 

Vielleicht hatte er ja genau das erreichen wollen? Vielleicht wollte er ins Gefängnis? Es würde ihm eine wunderbare Ausrede liefern, um nicht mehr hierbleiben zu müssen. Hier, in diesem Haus.

„Julie“, flüsterte Kuu sanft. „Es ist gut. Er hat ja Recht.“

Das war nicht das, was Kuon hatte hören wollen.
 

Ohne einen von den beiden noch einmal anzusehen, rauschte er aus der Küche und wollte bereits aus dem Gebäude stürmen, als er mit jemanden zusammenprallte. Fast wäre er gefallen, wenn man ihm im letzten Augenblick nicht aufgefangen hätte.

„Na so was“, sagte eine Stimme, die er lange nicht mehr gehört hatte und als er seinen Kopf hob, blickte er in das Gesicht eines... Schafes? „Wenn das nicht der kleine Kuon ist. Du bist aber groß geworden. Wohin so eilig?“

Er wusste nicht, warum er ihm die Wahrheit sagte. Vielleicht, weil ihm keine andere Wahl blieb. Oder weil er ahnte, dass dieser Mann ihm die Lösung für alles präsentieren würde. Eigentlich spielte es überhaupt keine Rolle.
 

„Fort von Zuhause.“
 

Das Lächeln, das der Präsident der japanischen Agentur LME Post Production ihm in diesem Augenblick schenkte, würde er nie wieder vergessen. „Ich glaube, dabei könnte ich dir behilflich sein.“
 

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An diesem Abend würde wieder nur für zwei Personen gedeckt sein.

Denn anstatt wie jeden Abend schweigend die Köstlichkeiten seiner abwesenden Mutter zu verspeisen...

Anstatt wieder nicht schlafen zu können...

Anstatt wieder stundenlang zu warten...

Anstatt ein weiteres Mal ihr Blut aufzuwischen, nachdem die Sanitäter sie weggebracht hatte...

Anstatt zu hoffen, dass sein Vater endlich für immer zurückkehren würde...
 

Anstatt all dieser Dinge saß er in einem Privatjet nach Japan, mit nichts als seinem Reisepass, seinem Personalausweis und der Kleidung, die er am Leibe trug.

Auch, wenn er seine Mutter wahrscheinlich damit umbrachte, so war er doch das erste Mal seit langer Zeit wieder in der Lage, sich zu entspannen.

Er würde nie wieder die Verantwortung für ihr Leben tragen müssen. Kuon Hizuri konnte endlich schlafen gehen und Ren Tsuruga würde entstehen.
 

Erschöpft sah er aus dem Fenster und beobachtete die Wolken, die sich zu geheimnisvollen Städten auftürmten. Er verließ seine Heimat. Wenn es nach ihm ginge, würde er nie wieder dahin zurückkehren.
 

„Und?“, sagte Rory Takarada und beugte sich verschwörerisch zu ihm vor. „Bist du immer noch sicher, dass du es dir nicht anders überlegen wirst?“

Der Junge grinste. „So sicher, wie noch nie in meinem Leben.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Kyoko-Hizuri
2011-04-22T13:38:50+00:00 22.04.2011 15:38
das Kap gefällt mir sehr gut^_____________^
dein schreibstil gefällt mir sowieso. Ich bin froh das du endlich wieder was geschrieben hast, hab dich schon vermisst...*heul*
aber endlich hast du was geschrieben und es ist super^^
bitte, bitte, bitte schreib noch mehr ffs über Skip beat...*fleh*
Kyo-Hizu
Von:  Susilein
2011-04-21T16:22:25+00:00 21.04.2011 18:22
Also vorneweg, ich liebe den OS! *-*
einfach wunderschön was du aus den paar angaben die ich dir gegeben habe für ein so tolles Werk erschafen hast.

So dann aber nochmal präzieser ;3
Die Story ist wirklich sehr traurig, für alle beteidigten in diesen OS.
Kuu denn seine Kariere wichtiger ist als seine eigene Familie, der keine einzieg fragen über seinen Sohn beantworten kann. Julie die unter der Karieregeilheit ihres Mannes leidet und zerbricht und nicht bemerkt das sie ihren SOhn mit runterzieht. und Kuon. Er bekommt alles mit, als stummer beobachter, wird garnicht gesehen und kann nicht helfen, zerbricht selbst darann.

Ich find deinen Schreibstyl nach wie vor einfach geniial, wie du die Story erzählst, die gefühle miteinbaust und auch die handlungen der Personen, einfach wundervoll. Du hast aus den Song echt was tolles erschafen, ich bin sehr beeindruckt von diesen OS und deiner kreativitär. Ich hoffe es kommt bald wieder sowas geniales von dir!

Vielen dank für die Geschichte Aya, sie hat mir sehr gut gefallen! ^~^

Deine Sue


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