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Nothing Ever Changes

Repo! The Genetic Opera | Graverobber/Amber
von

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Nothing Ever Changes


 

Nothing Ever Changes
 

Graverobber musste zweimal hinsehen, bevor die leuchtend roten Lettern einen Sinn für ihn ergaben. Überrascht zogen sich seine Augenbrauen zusammen, bildeten eine tiefe Furche, die ein eindeutiges Zeichen seiner Verwirrung war. Was hatte das denn zu bedeuten? Die Arme vor der Brust verschränkend, studierte er das an einigen Stellen zerrissene Plakat, auf dem eine Gestalt abgebildet war, die sich über ein Grab beugte und gierig in der Erde buddelte. Missbilligend presste Graverobber die schmalen Lippen aufeinander und ließ schnaubend die Luft aus den Lungen. Sollte das etwa witzig sein? In einer anderen Situation hätte er die offensichtliche Karikatur seiner selbst vielleicht wirklich lustig gefunden, doch nicht jetzt – nicht in Kombination mit den blutroten Worten, die unheilverkündend auf dem schäbigen Papier schimmerten. Nicht, dass sich der Grabräuber jemals etwas aus den Warnungen gemacht hätte, die an jeder Straßenecke (insbesondere auf Friedhöfen) zu finden waren, doch das ging definitiv zu weit. Es war nichts Neues, dass Grabräuber… nun, milde ausgedrückt, nicht gerne gesehen waren, aber an diesem Fahndungsplakat gefiel ihm eins nicht – die Unterschrift.
 

Die Fahndung nach Grabräubern wird verschärft. Dem illegalen Zydrate-Handel muss ein Ende gesetzt werden! Jeder, der sich in der Gesellschaft eines Grabräubers befindet, ist dazu verpflichtet, sich sofort in einem der GeneCo Informationszentren zu melden, andernfalls macht sich die betroffene Person strafbar und...
 

„Blablabla…“ Genervt verdrehte Graverobber die Augen und starrte mit einem säuerlichen Gesichtsausdruck auf die Schnörkelschrift, die in der unteren, rechten Ecke prangte.
 


 

Amber Sweet
 

Knurrend ballte der Mann seine Hand zur Faust und wandte sich ruckartig von der Wand ab, an der das vermeintliche Plakat hing. Es fielen ihm gerade ein Dutzend Schimpfwörter ein, mit denen er Miss Sweet hätte bezeichnen können, aber er wusste selbst, dass es ihm keinen Spaß machen würde sie auszusprechen, wenn Amber nicht anwesend war. Dieses Mal war sie eindeutig zu weit gegangen! Hatte sie einmal daran gedacht, was sie ihm mit diesen verschärften Sicherheitsvorkehrungen antat? Oh, bestimmt hatte sie das! Ein dunkler Schatten huschte über das Gesicht des Zydate-Dealers, als er sich das selbstgefällige Grinsen vorstellte, das ihre Lippen beim Setzen dieser mädchenhaften Unterschrift wohl geziert hatte. Graverobber kickte gegen die nächstbeste Mülltonne und konnte nicht glauben, dass er sich den Anbruch der Nacht durch solch eine Nichtigkeit vermiesen ließ. Die wahre Plage dieser Stadt war nicht das Organversagen, sondern Daddys verwöhntes Prinzesschen!

Im Schatten der Nacht fühlte sich Graverobber sicher. Er konnte durch Straßen und Gassen huschen, ohne dass jemand ihn bemerkte – zumindest wenn er nicht bemerkt werden wollte. Heute achtete er besonders darauf, dass ihm niemand folgte und verfluchte die neue Leiterin von GeneCo einmal mehr für ihr bescheuertes Gesetz, das aus ihm bald einen Paranoiden machen würde, sollte er dem keinen Einhalt gebieten. Doch wie? Es gab nur ein einziges Druckmittel, das Wirkung zeigen würde, denn wenn Graverobber eins mit Sicherheit sagen konnte, dann war es die Tatsache, dass Amber Sweet außer ihrem Aussehen nichts veränderte. Gar nichts. Die roten Lettern waren nichts als heuchlerische Worte, ein leeres Versprechen und doch waren sie dem düsteren Mann ein Dorn im Auge. Sobald er dieses Flittchen in die Finger bekam, würde er ein ernstes Wörtchen mit ihr reden!
 

„Graverobber.“
 

Ein vorfreudiges Grinsen breitete sich auf den blassen Zügen aus, als die zuckersüße Stimme, die ihn so oft zur Weißglut brachte, durch die Gasse hallte, in der er sich für gewöhnlich aufhielt, wenn er Besuch von Miss Sweet erwartete. Nicht, dass er wirklich auf sie warten würde, immerhin hatte er genügend andere Kunden, um die er sich kümmern konnte, aber heute war es gewiss kein Zufall, dass er hier vorbeischaute. Und schon tauchte Amber auf, als hätte sie geahnt, dass sie ein ernstes Gespräch zu führen hatten – von Dealer zu Junkie!

„Amber, welch Ehre dich hier zu sehen. Ich dachte, du wärst damit beschäftigt deine neuen Plakate in der Gegend zu verteilen.“ Spottend zog Graverobber eine Augenbraue in die Höhe, als er sich umdrehte und die leicht bekleidete Frau ins Visier nahm. Sie wurde wie üblich von ihren zwei – nicht gerade redseligen – Leibwächtern begleitet. In einer arroganten Geste warf sie das schwarze Haar zurück und gab ein leises „hmpf“ von sich. Amber ließ sich selten von Graverobbers Worten einschüchtern. Dumm nur, dass es andersherum genauso war und sie mit Reden meistens nicht weiterkamen. Die Aggression, die Graverobber gegenüber dieser hochnäsigen Frau empfand, konnte er sich schon lange nicht mehr erklären. Es war ihre ganze Art, die ihn auf die Palme brachte. Es gab genau genommen nur zwei Gründe, wieso er überhaupt noch mit ihr zu tun hatte: ihr Körper und ihr Geld. Er nutzte sie aus, genauso wie sie ihn ausnutzte. Sie hatten eine stumme Vereinbarung getroffen, die darauf beruhte, sich gegenseitig anzulügen und mit Füßen zu treten. Das seltsamste daran war, dass Graverobber diese Zustände genoss. Auch wenn Amber in seinen Augen genauso dreckig und verabscheuungswürdig war wie der Rest dieser gottlosen Welt, so konnte er dennoch nicht leugnen, dass sie ihn paradoxerweise all diese Dinge, die ihn tagtäglich anwiderten, vergessen ließ. Wenn er sie gegen die Wand presste, konnte er vergessen, dass er der erlösende Geist dieser Stadt war, namenlos und ohne Wurzeln. Wenn sich ihre Hände um seinen Hals legten, löschte der bittersüße Schmerz für ein paar Sekunden alle schwermütigen Gedanken aus seinem Kopf. Und wenn sie sich zwischen wohligen Seufzern und wutentbrannten Schreien auf dem Boden wälzten, dann war alles in bester Ordnung. Fast, als müsste es so sein.
 

„Du weißt, wieso ich hier bin“, brummte Amber und reckte auffordernd das Kinn in die Höhe. Natürlich wusste Graverobber das. Es gab immer nur einen Grund, weshalb Amber Sweet ihn aufsuchte, oder zumindest behauptete sie das. Schon länger hatte Graverobber die Vermutung, dass sie nicht nur von Zydrate abhängig war, sondern auch von… ihm. Und welch besseren Tag als den heutigen hätte er sich aussuchen können, um ihr das unter die Nase zu reiben? Ein fast schon gehässiges Grinsen erschien auf seinem Gesicht, als er Amber provozierend und mit verschränkten Armen musterte.

„Weil du mich vermisst hast?“ Das Lachen, das auf diese Worte folgte, war höhnend und zeigte sogleich den gewünschten Effekt. Ambers Miene verfinsterte sich und sie kam ein paar gefährliche Schritte auf ihn zu. Graverobber rührte sich nicht von der Stelle und spürte auch schon im nächsten Moment, wie sie ihn schubste, jedoch nicht stark genug, um ihn zu Fall zu bringen. Ah, das Spiel, das sie jedes Mal spielten, hatte also begonnen.

„Wovon träumst du Mistkerl eigentlich nachts?“, giftete sie empört und wirkte nur noch verärgerter, als Graverobber lediglich ein paar Schritte zurück taumelte.

„Musst du dich jetzt nicht selbst melden?“, wechselte Graverobber das Thema und begann Amber wie ein Raubtier zu umkreisen. Für einen Moment wirkte Amber verwirrt, was Graverobber triumphierend grinsen ließ. Heute war ein guter Tag. Er hatte die Oberhand. Die Frage war nur, wie lange Amber sich das noch gefallen lassen würde. „Du machst dich strafbar, Miss Scheinheilig“, schmunzelte der Grabräuber und blieb dicht hinter Amber stehen. Sein Lächeln verblasste, als er die Hand hob und seine Finger beinahe schon sanft durch ihr Haar gleiten ließ. Doch plötzlich huschte ein Ausdruck unverhohlener Wut über sein Gesicht und mit zusammengepressten Lippen ballte er die Hand zur Faust. Ruckartig zog er an den Strähnen, die er eben noch so zärtlich berührt hatte. Überrascht schrie Amber auf, als ihr Kopf zurückgerissen wurde und ihre Arme schnellten automatisch nach hinten, um sich aus Graverobbers Griff zu lösen.

„Lass mich los, du Bastard“, fluchte sie ungehalten und wand sich wie ein Wurm, der den Krallen eines Vogels entkommen wollte. Ambers Augen blitzten und Graverobber wusste jetzt schon, dass er seine Offensive später bereuen würde – spätestens, wenn ihre langen Fingernägel blutige Spuren auf seinem Rücken hinterlassen würden – aber im Augenblick beugte er sich mit völliger Gleichgültigkeit zu Ambers Ohr hinunter und flüsterte bedrohlich: „Pack deine Papierschnipsel ein und verschwinde, oder du kannst dein Z vergessen.“

Graverobber ließ seine Worte wirken, bevor er Amber genauso ruckartig losließ, wie er sie gepackt hatte. Er entfernte sich einige Schritte von ihr und machte sich bereits auf einen Gegenangriff gefasst, doch nichts dergleichen geschah. Amber stand einfach nur keuchend da und versuchte sich zu sammeln. Als sie sich langsam zu Graverobber umdrehte, funkelten ihre dunklen Augen – was wohl ihre natürliche Augenfarbe war? – hasserfüllt. Sie sah aber noch immer nicht aus, als würde sie den Kampf mit körperlicher Gewalt austragen wollen. Sehr gut, sie konnten also zum nächsten Punkt übergehen.

Das Problem war, dass Amber sich nicht an den üblichen Plan hielt. Nach dem Streiten rissen sie sich für gewöhnlich die Kleider vom Leib, aber nicht heute. Ohne es gemerkt zu haben, hatte Amber mit ihrer Passivität das Ruder an sich gerissen. Sie hatte nun die Kontrolle, denn Graverobber hatte keine Ahnung, wohin das führen sollte. Vor allem, als die nächsten Worte ihre rot geschminkten Lippen verließen.

„Du bist genauso falsch wie ich, Graverobber. Genauso heuchlerisch. Also tu nicht so, als könntest du mir drohen. Wir sind uns ähnlicher als dir lieb ist.“ Die leise Stimme, mit der Amber sprach, jagte Graverobber unwillkürlich eine Gänsehaut über den Rücken. „Für mich bist du nicht mehr als ein widerlicher Köter, der die Drecksarbeit für mich erledigt und in Gräbern buddelt, damit ich bekomme, was ich will.“ Nichts ging Graverobber mehr auf den Geist, als dieser eingebildete Ton, mit dem sie ihre kleine Ansprache hielt. Zähneknirschend fixierten seine kalten Augen Amber, die sich nach ihrem Rückschlag wieder gänzlich erholt hatte.

„Du hast dich verrechnet, Schätzchen“, widersprach Graverobber ihren Worten und schüttelte langsam den Kopf. „Du bekommst das, was du willst, für Geld.“

Ein amüsiertes Lächeln erschien auf Ambers Lippen, fast, als hätte sie geahnt, dass Graverobber dies sagen würde. Dem Mann kam einmal mehr der absurde Gedanke, dass er Amber als viel dümmer einschätzte, als sie eigentlich war. Dieser Gedanke gefiel ihm ganz und gar nicht, aber er ließ sich die Unsicherheit nicht anmerken.

„Nicht nur für Geld“, erinnerte Amber ihn überflüssigerweise und fuhr sich verführerisch mit dem Zeigefinger über den gereckten Hals. „Aber ja… nennen wir es einfach Bezahlung.“

Ein verächtliches Zischen entwich Graverobber, als er endlich im Stande war, den Blick von ihrer entblößten Haut zu nehmen.

„Das ändert nichts daran, dass du nicht umsonst bekommst, was du willst.“

Schon wieder dieses Lächeln. Verwirrt zogen sich Graverobbers Augenbrauen zusammen und beinahe wäre er zurückgewichen, als Amber mit langsamen Schritten auf ihn zukam, doch dann erinnerte er sich daran, dass er niemals vor ihr davonlief. Sie war die letzte Person auf dieser Welt, die auch nur in irgendeiner Weise erfahren sollte, dass er Schwächen hatte. Und das sie, verflucht nochmal, wahrscheinlich eine davon war.

„Und wer behauptet, dass ich dich nicht gerne… bezahle?“

Perplex weiteten sich Graverobbers Augen. Was zur Hölle…?! Hatte ihm Amber wirklich gerade das bestätigt, was ihm schon vor einiger Zeit aufgefallen war? Er öffnete den Mund, um etwas darauf zu erwidern, doch dazu war er Sekunden später gar nicht mehr in der Lage. Amber hatte ausgeholt und ihm eine saftige Ohrfeige verpasst. Mit schmerzvoll verzogenen Mundwinkeln wandte Graverobber ihr wieder den Kopf zu und widerstand dem Drang, es ihr sofort wieder heimzuzahlen. Ein winziger Teil in ihm wusste sehr genau, dass er diesen Schlag verdient hatte.

„Aber weißt du was, Graverobber? Manche Dinge werden sich trotzdem nie ändern.“ Ambers Stimme war kalt und zornig, als sie sich von ihm entfernte und erhobenen Hauptes zurück zu ihren Bodyguards schritt. Wortlos und überrumpelt sah Graverobber ihr nach, als sie, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, um die Ecke marschierte. Er wusste ohnehin, dass sie in ein paar Stunden wiederkommen würde, um sich ihr Zydrate abzuholen.

Im Stillen musste er ihr recht geben. In dieser Stadt würde sich wirklich niemals etwas ändern. Und er für seinen Teil konnte, je länger er darüber nachdachte und seine schmerzende Wange massierte, wunderbar damit leben.



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