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Lichtbringer

Der Fall des Lichkönigs einmal anders...
von

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Ulduar

Bedingt durch den heftiger werdenden Schneefall kam die Karawane immer wieder ins Stocken. Auch wenn die dampfbetriebenen Schneefahrzeuge sich weiterhin mühelos durch den tiefen Schnee gruben mussten die schweren Fahrzeuge dennoch mangels Sicht immer wieder anhalten. Zu groß war die Gefahr vom Wege abzukommen und die steilen Hänge hinabzurutschen. Es war in dem dichten Schneetreiben kaum möglich, die eigene Hand vor Augen zu sehen. Die Welt um sie herum hatte sich in ein wirbelndes, hellgraues Nichts verwandelt.

Gegen Nachmittag begann der Sturm und verwandelte die dicht fallenden Schneeflocken in schneidende Geschosse. Mit lautem Trompeten stemmten sich die Lastmammuts gegen den Sturm und verweigerten schließlich ihren Dienst.

Niamanee hatte ihre Kapuze so dicht zusammengezogen, dass nur noch ihre weiße Nasenspitze aus dem buschigen Pelzbesatz lugte und gewahrte den Schemen von Kommandant Dunkelschwinge erst, als sich der Nachtelf direkt über Golofins Hundeschlitten beugte. Unwillkürlich zuckte sie zusammen und kauerte sich noch tiefer zwischen die Packsäcke. Für einen Moment blieb der finstere Blick des Nachtelfen auf ihr hängen, dann wandte Dunkelschwinge sich Golofin zu.

“Ihr wisst, wo wir hier sind, Gnollhammer?” Die Stimme des Elfen war durch den jaulenden Sturm kaum zu hören. Der Zwerg, der sich in seiner dicken, schneebedeckten Polarkluft kaum von den Packsäcken auf dem Schlitten unterschied nickte und schüttelte dabei das Eis von seiner Fellkapuze.

“Bah! Natürlich! Passt mir gar nicht.”

Ein sprödes Grinsen huschte über Dunkelschwinges tätowiertes Gesicht.

“Ich wusste, das ihr das sagen würdet, Gnollhammer. Nützt aber nichts. In diesem Sturm kommen wir nicht weiter. Wir müssen hier Schutz suchen.”

Der Zwerg war vom Hundeschlitten gesprungen und versank fast bis zum Bauch in einer Schneewehe, schniefte und wischte mit einer hastigen Bewegung den unter seiner großen Nase zu Eis erstarrten Atem fort.

“Das Tor zur Eingangshalle des Turms der westlichen Außenbefestigung ist damals aufgesprengt worden. Das ist nicht weit von hier, nur den Hang hinauf. Dort sollten wir vor dem Sturm erst einmal sicher sein.”

Golofin drehte sich nochmals zu Dunkelschwinge um während er zu dem Leithund seines Gespanns stapfte.

“Folgt mir einfach!” Obwohl er nahezu gebrüllt hatte, ging seine Stimme im Sturm gänzlich unter. Der Nachtelf winkte und trat zurück in den wirbelnden Schnee.

Niamanee stemmte sich gegen den Wind zwischen den Packsäcken hoch. “Soll ich aussteigen, Herr Gnollhammer? Braucht ihr Hilfe?” Ihre Stimme überschlug sich fast als sie versuchte gegen das allgegenwärtige Heulen anzuschreien. Golofin schüttelte den Kopf und hieß ihr mit einer knappen Handbewegung am Platze zu bleiben. “Lass ma’, Mädchen, Ihr werdet mir hier vom Sturm noch davongepustet!”

Entrüstet wollte die Elfe entsprechend antworten, schmunzelte dann aber und verkroch sich wieder zwischen der Ladung. Bequemer war es so allemal.

Mit einem Ruck fuhr der Schlitten wieder an. Die kräftigen Hunde mit dem dicken, hellen Fell versanken streckenweise fast gänzlich im Schnee, strampelten sich japsend wieder frei, kämpften sich Stück für Stück durch die Kälte weiter. Golofin, der vorne den Leithund am Geschirr führte, war nur noch ein gelegentlich auftauchender Schatten im wirbelnden, heulenden Weiß.

Niamanee beobachtete die Hunde eine Weile, dann zog ihre Kapuze zu, sprang vom Schlitten und begann Selbigen von hinten zu schieben. Der Windschatten der Ladung schützte sie vor dem eisigen Wind, dennoch kostete es Kraft durch den losen Schnee zu stapfen und dabei den schweren Schlitten den Hang hinauf zu schieben. Trotz der Kälte standen Niamanee bald Schweißtropfen auf der Stirn, verfingen sich im Pelz ihrer Kapuze und froren dort zu winzigen Eisperlen. Die frierende Luft brannte in ihren Lungen. Aber sie dachte nicht daran aufzugeben und wieder in die Bequemlichkeit ihres Platzes zwischen der Ladung zurückzukehren.

Mühsam einen Fuß vor den anderen setzend, starrte sie in den von den Kufen aufgewühlten Schnee. So bekam sie den abrupten Halt des Schlittens erst mit, als sie durch den plötzlichen Rückstoß rücklings in das pulvrige Weiß geschleudert wurde. Eisspuckend rappelte sie sich wieder hoch. Da fegte der Sturm das mittlerweile nachlassende Schneetreiben in einem kurzen Aufbäumen für einen Augenblick gleich einem Vorhang zur Seite. Wie von einer Riesenhand auf den Fels gesetzt reckte sich ein gewaltiges Monument gen Himmel, sein Oberstes entschwunden in den bleigrauen Schneewolken. Hunderte und aberhunderte Säulen aus dunklem, glänzendem Stein türmten sich kaskadengleich nach oben verjüngend bis zur Unendlichkeit übereinander.

Dann verwischte ein Schneewirbel die Sicht auf das gewaltige Gebäude. Niamanee, noch ganz gefangen von dem imposanten Anblick starrte in den Schnee – und direkt in das rote Gesicht von Golofin Gnollhammer, der ihr grinsend seine Hand entgegenstreckte.

“Ich habe mich schon gewundert, warum der Schlitten auf einmal so leichtgängig wurde.” Jetzt hüpften seine buschigen Brauen mit leichtem Vorwurf nach oben. “Ihr solltet doch auf dem Schlitten bleiben, Mädchen.”

Niamane ergriff die Hand des Zwerges und sprang auf die Beine, ihre Augen immer noch voller Staunen.

“Wo sind wir hier?”

Golofin grinste wieder. “Das hier? Das ist Ulduar.” Er sah die Elfe fragend an. “Ihr habt noch nie von Ulduar gehört?”

Niamanee schüttelte den Kopf. Golofin rieb sich wieder schniefend die Nase.

“Lass’ uns erst einmal alles reinbringen!”

Als sie durch das gigantische Eingangstor fuhren wanderten Niamanees Blicke fasziniert über die übermannsgroßen Türangeln, an denen noch die geborstenen Reste eines gewaltigen, steinernen Tores hingen, streckenweise geschwärzt von der mächtigen Explosion, die es vor einiger Zeit auseinander gerissen hatte.

Schnee war weit in die riesige Halle hineingeweht worden und so konnten die Schlitten mühelos hineinrutschen.

Als letztes fuhren die Dampffahrzeuge ein, das Bollern ihrer stotternden Motoren hallte von allen Seiten der hohen Wände wieder als sie sich in einer Reihe vor dem Eingang postierten.

Feuerholz wurde von einigen der Schlitten geladen, und alsbald brannten drei kleinere, wärmende Feuer. Der Feuerschein glänzte auf der aus riesigen Steinquadern hochgezogenen Wand in die in schmalen Abständen schwarze Säulen eingelassen worden waren, welche die reich verzierte Kassettendecke hoch über ihnen stützten. Kompliziert ineinander verschlungene, goldene Ornamente, präzise gearbeitete Meisterwerke, liefen funkelnd überall an den Wänden entlang. Dies konnte unmöglich das Werk von Menschen, Elfen oder gar Zwergen sein, dazu war es viel zu gewaltig. Das dem Eingang gegenüberliegende, geschlossene Tor hatte die Höhe eines mehrstöckigen Hauses. Dennoch hatte die Ornamentik etwas Vertrautes.

Niamanees Blick fiel auf die ledergepunzte Verzierung auf Golofins Gürteltasche. Der Zwerg sah ihren Blick. Er lächelte während er ebenfalls einen ausgedehnten Blick durch die gigantische Halle warf. Und es war ein durchaus stolzes Lächeln.

“Dies, Fräulein Niamanee, ist das Werk unserer Schöpfer.” Ehrfurcht schwang in seiner knorrigen Stimme mit.

“Und ihr habt noch gar nichts gesehen. Dies hier ist nur unwichtiger, kleiner Turm der ersten Außenbefestigung.”

Golofin reichte Niamanee zwei dichte, lockige Schafsfelle und eine dicke Wolldecke. “Es ist zwar erst später Nachmittag, aber wir werden die Nacht hier verbringen – es wird noch eine Weile dauern, bis der Sturm nachlässt.”

Dankbar nahm Niamanee die Felle und die Decke entgegen und spürte erst jetzt, wie sehr ihr die Kälte noch in den Knochen saß – fast schlagartig begann ihr Körper zu zittern. Der Weg den Hang hinauf durch den Schneesturm war weitaus anstrengender gewesen, als sie es sich vorgestellt hatte. Sie hockte sich auf den Fellen näher an das Feuer und zog die Decke um sich. Ihr Blick wanderte wieder zum gesprengten Eingangsportal.

Der wilde Sturmtanz der Schneeflocken nahm noch immer die Sicht nach draußen und das Echo des heulenden Windes klang geradezu gespenstisch aus allen Ecken wieder. Es war merklich dunkler geworden.

Sie zog die Decke noch enger und wandte sich wieder zu Golofin, der zusammen mit einem weiteren Zwerg beschäftigt war, ein Dreibein über dem Feuer zu postieren. “Warum wolltet ihr hier nicht hin?”

“Böse Geister.” Die Antwort kam von dem graubärtigen Mann, der zur ihrer Rechten Rüben in einen Topf schnippelte. Ein Grinsen zog sich jetzt über das narbige Gesicht als er zu Golofin und dem anderen Zwerg hinübersah. “Sie glauben, dass die flüsternden Stimmen des alten Gottes immer noch hier in diesen Mauern reden.”

Golofin stemmte entrüstet seine Arme in die Hüften. “Du bist ein ignoranter Holzkopf, Mathis! Unsere Messgeräte haben ganz klar aufgezeigt, dass Yogg-Sarons negative Energien die Steinstrukturen zweifelsohne beeinflusst haben!”

Der Mann hatte sich wieder seinen Rüben zugewendet, schmunzelte aber immer noch. “Ich hör’ hier nichts.”

Er schenkte Niamanee ein kurzes Augenzwinkern. Als er ihren verständnislosen Ausdruck bemerkte drehte er sich wieder zu Golofin um. “Ich glaube, das Mädchen hat überhaupt keine Ahnung, wovon wir reden.”

Golofin sah zu Niamanee und zog seine Brauen hoch. “Fräulein Niamanee, habt ihr wirklich noch nie von Ulduar gehört?”

Niamanee schüttelte den Kopf und bedachte Golofins erstaunten Blick mit einem amüsierten Lächeln. “Heute zum ersten Mal. Ich bin erst vor kurzem hier mit einem Versorgungsschiff der Verlassenen angekommen. Die sind nicht gerade für Gesprächigkeit bekannt. Seitdem war ich eigentlich nur alleine unterwegs.”

“Oha!” Golofin räusperte sich, rückte seinen Gürtel gerade und stellte sich in Positur.

“Fräulein Niamanee, wir befinden uns hier am Ursprung allen Lebens, an dem Ort, an dem der Funke unserer Welt entfacht wurde!”

“Sagen die Zwerge,” warf Mathis grinsend ein und hängte den Topf über das Feuer. Der Zwerg, der mit Golofin zusammen am Feuer werkelte, warf dem Narbigen einen finsteren Blick aus seinen kleinen, dunklen Augen zu. “Die Unbegreiflichkeit dieses Bauwerks sollte doch Beweis genug sein! Ihr Menschen mit eurer ewigen Skepsis. Das Offensichtliche reicht euch wohl nicht!”

Mathis’ Grinsen war breiter geworden. “Damit kriegt man unsere kleinen Freunde immer!” Dann wurde sein Grinsen zu einem gutmütigen Lächeln und er nickte. “Aber ihr solltet euch wirklich anhören, was Golofin über Ulduar zu erzählen hat. Denn dieser Ort hat’s in sich. Kaum vorstellbar, dass ihr noch nichts von Ulduar und Yogg Saron gehört habt!”

Golofin sah sich langsam in der Runde um. Von den anderen beiden Feuern waren jetzt auch die übrigen Mitglieder des Erkundungstrupps herübergekommen und hatten sich in einer großen Runde niedergelassen. Zwei bärtige Männer warfen noch weitere Reisigbündel ins Feuer. Im warmen, unsteten Licht der hoch lodernden Flammen erkannte Niamanee auch das unverändert finster dreinschauende Gesicht des Lagerkommandanten Dunkelschwinge zwischen den Neuankömmlingen und nickte ihm mit einem freundlichen Lächeln zu. Sardak Dunkelschwinge verzog keine Miene.

Golofin Gnollhammer räusperte sich nun lautstark, stemmte seinen kräftigen Brustkorb vor und steckte seine Daumen mit einer gewichtigen Geste in den breiten Gürtel. Dann begann er mit tiefer, knorriger Stimme zu sprechen.

“Einst war das Alter, da die Titanen kamen...”

“Begar pad var aldur begar Titans kom” hallte es seinen Worten mehrkehlig in einem dunklen, monotonen Chor nach und Niamanee sah mit leisem Erstaunen, dass sich nun auch alle anderen Zwerge erhoben, sich in ähnliche Positur wie Golofin gestellt hatten und seine Worte mit diesem dunklen Singsang ihrer Sprache begleiteten. Golofin sprach weiter.

“Da war nicht Sand, nicht See, nicht salz’ge Wellen”

pad var enginn sandur, ekkert hafid, né salt dunom

Nicht Gras noch Baum

Ekki gras né trein

Nur blanker Stein

Adeins ber steinn”

Mathis beugte sich leicht zu Niamanee hinüber und flüsterte kaum hörbar:” Sie sprechen die Worte der Taflá, ihrer heiligen Tafeln.” Niamane nickte ohne den Blick von Golofin zu nehmen. Fasziniert lauschte sie den Worten Golofins die zusammen mit ihrem monoton gesungenen Echo die riesige Halle füllten und alsbald von überall her zu tönen schienen.
 

“Mit ihrem Atem bliesen die Titanen Feuer in die Dunkelheit

Und der Funke des Lebens sank in den Stein

Erhob die Irdenen

Die schufen die Hallen

Med anda beirra, Titans blés eldi í myrkeinin

Og neisti lífsins sökk inn í steininn

Vöktu á skropeligals

Hver skapadi Halls
 

Hundert mal hundert Hallen gebaut aus Marmor, Silber und Gold

Hundert mal hundert Hallen gekrönt von Kuppeln aus reinstem Kristall

Zu Ehren die Titanen

Erbaut für die Ewigkeit

A hundrad sinnum hundrad sölum byggd úr silfur, gull og marmaral

A hundrad sinnum hundrad sölum toppad af innlendum hreinnar kristal

Til heidurs Titans

Byggt fyrir eilífídans
 

Viele Zeiten herrschten dort die Titanen

Und schufen das Wasser, den Wind und die Sterne

Immerwährende Wunder

Für endlose Jahre

Margir sinnum Titans barna ríkja á

Og skapadi vatn, vindur og stjörnuna

Avarandi Mjanvdar

Fyrir endalaus ár
 

Aber dort, wo Licht und Schönheit scheinen

Lockt es aus dem Dunkel die Schatten

Wie Motten das Feuer

So kam das Grauen

En bar sem ljós og fegurd virdanum

Pad ladar frá myrkrinu í skugganum

Eins mölflugum til elting

Pannig kom skelfing
 

Das Biest der tausend Mäuler, der Traum der niemals endet

Das alte Böse, erwacht durch die Erschaffung der Welt

Gott der Vergänglichkeit

Gott des Todes

Dýrid í búsund munni, ad draumurinn endar aldrei

Forn illt vakna af sköpun heimsínei

Gud orgjengeligans

Gud daudans
 

Yogg Saron, so ward er genannt, vergiftete steinerne Herzen

Sein Odem stinkend und faul brachte den Fluch des Fleisches

Das Ende der Wunder

Das Zeitalter des Todes

Yogg Saron, hann hét, eitur hjörtu steini úr

Anda hans stank og færdu bölvun Rotten kjúr

Endalok Mjanvdar

Aldri dauda
 

Die Titaten stellten sich dem Gott entgegen und errangen den Sieg

Und doch konnten sie ihn nicht töten, den alten Gott

Verbunden für immer

Als ewiger Fluch

Titans stód upp til Guds og sigur vann

Og enn beir gátu ekki gamla gud drepa hann

Avarandi tengdun

Sem eilífa bölvun
 

So sperrten sie ihn gefangen von Stein tief unter die Hallen von Ulduar

Bewacht von Loken, Thorim Hodir, Tyr und Freya, den treuen Wächtern

Für immer verwahrt

Von allen vergessen

Og beir læst hann fastur djúpt fyrir nedan steininn sölum Ulduar

Gættu um Loken, Thorim Hodir, Freya og Tyr, hinum trúudu forráduar

Vardveitt ad eilífu

Gelymt allradu”
 

Mit einem erneuten, kehligen Räuspern warf Golofin einen zufriedenen Blick in die bedächtig lauschende Runde und nickte dann den anderen sechs Zwergen zu. Diese erwiderten sein Nicken würdevoll und setzten sich wieder auf ihre Plätze. Mit einem breit unter dem buschigen Bart wachsenden Grinsen ließ sich Golofin neben Niamanee nieder.

“Eigentlich hat die Taflá 1036 Strophen. Aber das wäre dann vielleicht doch etwas lang geworden!”

Die bleiche Elfe sah ihn staunend an. “Und ihr kennt sie alle auswendig?”

Golofin nickte enthusiastisch. “Oh ja! Jeder Zwerg kennt die Taflá! Das ist so ziemlich das erste, was wir lernen, wenn wir sprechen können!” Sein Grinsen war noch eine Spur breiter geworden.

Kleine Grübelfältchen erschienen zwischen Niamanees spitz geschwungenen Brauen. “Was genau ist dieser Fluch des Fleisches?”

“Steingeboren waren unsere Vorfahren nahezu unverwundbar und unsterblich. Aber mit Yogg Sarons Fluch wurden wir sterblich, Stein wurde zu vergänglichem Fleisch. Überall quoll nun die Verderbnis hervor – aber Freya wandelte diese Verderbnis in Schönheit und schuf daraus Blumen und Bäume.”

Niamanees Grübeln wich jetzt einem feinen Lächeln. “Möglicherweise hat der Fluch auch steinerne Herzen aufgeweicht.”

Golofin runzelte etwas indigniert seine niedrige Stirn. Dann aber wirkte er nachdenklich. “So habe ich das noch nie betrachtet.”

Mathis, der soeben eine Kostprobe des köchelnden Eintopfs genommen hatte schmunzelte. “Ein hübscher Gedanke, finde ich. Wusste gar nicht, dass Blutelfen so poetisch veranlagt sind.”

Eine leichte Unsicherheit schwang jetzt in Niamanees Lächeln mit.

Der würzige Duft der aus dem großen, dampfenden Kessel über dem Feuer zog Niamanee jetzt direkt in die Nase und löste unwillkürlich ein dumpfes Knurren in ihre Magen aus. Schuldbewusst sah sie sich hastig um, aber niemand schien es bemerkt zu haben. Sie wandte sich wieder an Golofin.

“Und was ist nun mit diesem alten Gott? Er ist immer noch hier, hier hinter diesen Mauern?”

Golofin lachte leise auf. “Dann würden wir wohl kaum so unbekümmert hier lagern.” Wieder etwas ernster fuhr er fort: “Nun, das was die ersten Strophen erzählen ist ja längst nicht alles. Die Titanen besiegten den alten Gott – aber zu was für einen Preis! Einer der ihren verfiel den dunklen Gedanken Yogg Sarons und trachtete so nun ebenfalls, die Herrschaft über seine Brüdern und Schwestern sowie über die junge Welt an sich zu reißen. Und so kam es zum Kampfe und Sargeras fiel. Aber sein Geist entschwand in die Schatten um dort zu neuer, ungeahnter Größe zu gelangen. Und er setzte sich an die Spitze derer, die danach strebten, das Licht aus dem Universum zu löschen. Sein Körper jedoch liegt irgendwo hier auf dieser Welt und seit dieser Zeit versucht Sargeras mit seiner Armee des Schreckens in diese Welt zu gelangen, sich seines Körpers wieder zu bemächtigen und diese Welt seinem grauenvollen Schattenreich einzuverleiben.“

„Bis heute ein Gerücht,“ fiel Mathis ein. „Angeblich liegen die Überreste des Sargeras in einer versunkenen Elfenstadt tief auf dem Grund der großen See.

Kaum mehr als eine Legende.“

„Seid euch da mal nicht so sicher, Mensch.“ Kommandant Dunkelschwinges leise Stimme ließ für einen Moment alle Geschäftigkeit in Stille verharren.

Seine weißleuchtenden Augen fixierten den graubärtigen Mann, der dem Blick des Nachtelfen auswich und unbehaglich mit den Schultern zuckte.

„Wie auch immer, das war lange vor meiner Zeit.“

„Genau.“ Ein leicht spöttisches, fast schon boshaftes Grinsen huschte über Dunkelschwinges tätowiertes Gesicht. Niamanee wurde dieser hoch gewachsene Elf immer unheimlicher und sie vermied es, in seine Richtung zu schauen.

Scheinbar unbeirrt von der kurzen Unterbrechung setze Golofin mit dem obligatorischen Räuspern seine Geschichte fort.

„Sargeras war es, der die Orks in diese Welt holte, ihren fürchterlichen Blutdurst weckte und sie als Werkzeug für die Eroberung dieser Welt nutze.“

„Mithilfe eines Menschen.“ Das spöttische Lächeln in Dunkelschwinges Gesicht hatte jetzt fast schon etwas Lauerndes. Auf Mathis’ Gesicht spiegelte sich nun deutlicher Unwillen. „Das ist wahr – aber Sargeras’ Einflüsterungen hätten auch genauso gut einen von euch Spitzohren treffen können!“

Dunkelschwinges Grinsen wurde breiter. „Hat es aber nicht.“

Jetzt verzog sich auch Mathis Mund zu einem provokanten Grinsen.

„Vielleicht waren die magischen Künste der Elfen für Sargeras nicht ausreichend?“

Nun richteten sich aller Augen gespannt auf den Kommandanten. Dunkelschwinge funkelte Mathis finster an – und lachte dann kurz auf.

„Der geht an dich, Mathis!“

Man konnte es förmlich spüren, wie die aufgebaute Spannung in der riesigen Halle sich schlagartig in Luft auflöste. Sardak Dunkelschwinge nickte Golofin zu. „Fahrt fort, Gnollhammer.“

„Der Zwerg schüttelte leicht den Kopf und hob wieder an.

Sargeras rechte Hand, eine der furchterregendsten Kreaturen, die das Schattenreich je hervorgebracht hat ist der, der bei euch Menschen und Elfen auch als Erzdämon Kil’Jaeden bekannt ist. Seitdem er in die Dienste Sargeras getreten ist versucht er alles, um seinem Meister den Weg zu ebnen. Er war es, der den Lichkönig schuf und die Geißel entfesselte. Nicht ohne Grund hat der Lichkönig Nordend zu seinem Domizil erwählt. Hier unter dem Eis des Nordens hat die physische Manifestation des alten Gottes Einfluss auf die Erze und das Gestein genommen – Saronit! Das schwarze Blut des alten Gottes, wie es auch genannt wird. Ein Metall, härter als alles bisher Bekannte und doch um ein vielfaches Leichter. Ein Metall, das auf unheimliche Weise zu leben und zu atmen scheint. Es zeigt eine geradezu unglaubliche Resistenz gegen jegliche Art von Angriff, ob magisch oder physisch. Das perfekte Material für Waffen und Rüstungen! Und ganz offensichtlich hat das Treiben der Geißel hier in Nordend das Alte, Böse, längst Vergessene hier in Ulduar wieder geweckt.”

“Vielleicht aber auch hätte Herr Bronzebart nicht einfach hier die Eingangspforten in die Luft jagen sollen,” fiel jetzt ein schwarzbärtiger Zwerg mit langen, dicken Zöpfen Golofin ins Wort. Golofin winkte ab.

“Wie auch immer, jedenfalls begann der alte Gott sich zu regen. Und das, wo wir gerade diese fürchterliche Niederlage an der Pforte des Zorns erlitten hatten. Yogg-Saron hatte bereits sein tief unterhalb von Ulduar liegendes Gefängnis gesprengt und seine nun freien, dunklen Gedanken vergifteten langsam das Bewusstsein der treuen Titanenwächter. Es hätte nicht viel gefehlt und er hätte sie auf seiner Seite gehabt. Ob wir ihn dann noch hätten stoppen können…” Golofin zuckte mit den Schultern.

“Wir haben so ziemlich alles an entbehrlichen Truppen nach Ulduar verlagert und glücklicherweise ist es uns gelungen, die Wächter wieder auf unsere Seite zu bringen. Mit ihrer Hilfe konnte die Manifestation des Alten Gottes aus dieser Welt gedrängt werden...und sollte er es wagen, zurückzukehren, dann werden wir ihm noch ein bisschen fester in den Allerwertesten treten!”

“Ihr wart dabei?” Niamanee hob interessiert die Brauen. Jetzt räusperte Golofin sich etwas verlegen.

“Nun, ein Cousin ersten Grades stand direkt in den vordersten Linien, ich weiß also alles quasi aus erster Hand!”

Ein amüsiertes Lächeln erhellte die Züge der Elfe dann wurde ihr Blick wieder forschender.

“Aber in euren Versen hieß es doch, das die Titanen, weil sie ihn nicht töten konnten, den alten Gott hier einkerkerten. Warum haben sie nicht gleich die Manifestation des Gottes aus dieser Welt gebannt? Die Macht dazu mussten sie doch gehabt haben!”

Mathis streute eine Handvoll Gewürze in den Topf und nickte dabei zustimmend. „Da hat sie irgendwie Recht.“ Er sah Golofin an. „Warum haben die Titanen diese Sache damals nicht selbst erledigt? Hätte doch viel Ärger ersparen können.“

Der Zwerg verzog seinen Mund zu einem schiefen Grinsen und zuckte mit den Schultern. “Sie werden ihre Gründe gehabt haben. Vielleicht hätte ihr Eingreifen mehr als nur die Manifestation vernichtet und damit die Welt zerstört”

Dann aber sah er sich etwas ungemütlich um.

“Dennoch – in diesen Gemäuern hallt immer noch das Echo seiner dunklen Gedanken. Hat schon manch einen auch nach dem Sieg über Yogg Saron in den Wahnsinn getrieben…”

Mathis verzog seinen Mund und sah Golofin provozierend an. “Hast du mit ‘manch’ schon persönlich gesprochen?”

Golofin schüttelte den Kopf. “Nein. Aber man sagt…”

“Genau. Man sagt.” Mathis ironisches Grinsen wurde breiter. “Ich bin immer wieder erstaunt, dass so stämmige, kräftige Kerle wie ihr so abergläubisch sein können.”

Golofin stieß wieder ein unartikuliertes Räuspern aus, und seine kleinen Augen wurden unter seinen buschigen Brauen noch schmaler. Mathis gab ihm lachend einen Klaps auf die Schulter. “Nichts für ungut, Freund! Kommt, der Eintopf ist fertig!”

Dankbar nahm Niamanee die hölzerne Schale mit dem aromatisch dampfenden Inhalt aus Mathis Händen entgegen. Mit geschlossenen Augen sog sie den köstlichen Duft in die Nase und genoss den ersten Löffel.

“Und ich glaube ja immer noch, dass es Herr Bronzebart war, der den alten Gott geweckt hat indem er hier unangemessen eingebrochen ist.” Der Zwerg mit den dicken, dunklen Zöpfen wischte sich mit einem groben Tuch Eintopf aus seinem struppigen Bart und da er während des Sprechens kaute, war er recht schlecht zu verstehen. “Man sprengt nicht einfach die Türen der heiligen Hallen von Ulduar.”

Ein anderer, fast kahlköpfiger Zwerg mit ebenso dunklem, struppigem Bart nickte ihm zu. “Da gebe ich Kulgin Recht. Diese Bronzebarts stecken ihre Nasen immer viel zu weit in Dinge, die man besser ruhen lassen sollte.”

Niamanee setze ihren Löffel ab und sah neugierig auf.

“Wer sind die Bronzebarts? Ist der Name eures Königs nicht auch Bronzebart? Magni Bronzebart?”

Der kahlköpfige Zwerg nickte mit einem recht trockenen Lächeln. “Und wie sie etwas mit seiner Hoheit zu tun haben. Es sind seine jüngeren Brüder. Muradin und Bran Bronzebart. Und während König Magni alle Hände voll mit den Regierungsgeschäften zu tun hat, vertreiben seine Brüder ihre Zeit damit, legendären Artefakten nachzujagen. Haben die Forscherliga – die Vereinigung zur Kartografisierung, Katalogisierung und Sicherstellung historischer und vor allem zwergischer Artefakte – schon in manch prekäre Situation gebracht.”

Recht abrupt setzte der Zwerg nun seine Essschale ab, beugte sich zu Niamanee und reichte ihr seine breite, haarige Hand. “Ich bin übrigens Dolmin Kohlenfaust, Sohn von Nurodin Kohlenfaust aus Thelsamar.”

Und während Niamanee seine Hand ergriff und die Begrüßung ebenso herzlich erwiderte, legte Dolmin seinen anderen Arm um den dunkelbezopften Zwerg zu seiner Linken. “Und das ist mein mürrischer Bruder Kulgin!”

Kulgin stieß ein zwergentypisches Räuspern aus, setze dann aber etwas zögerlich seine Holzschale ab und reichte Niamanee ebenfalls seine Hand. Was er dabei murmelte konnte sie allerdings nicht verstehen, denn er kaute schon wieder.

Diese ehrliche Freundlichkeit, die ihr von den meisten Kundschaftern entgegengebracht wurde, hatte sie hier in Nordend nicht erwartet. Nicht nach all der schlechten Erfahrung, die sie in der Scherbenwelt mit der Allianz gesammelt hatte. Selbst als sie schon längst unter dem Schutz von Bolvar Fordragon stand, schlug ihr von den meisten Allianzangehörigen nur Ablehnung entgegen. Aber hier war es anders. Die einzigen, die ihr nach wie vor äußerst verhalten begegneten, waren die wenigen Nacht- und Hochelfen in der Gruppe, allen voran der finstere Kommandant Sardak Dunkelschwinge. Auch wenn Niamanee versuchte, es zu ignorieren, der unheimliche, leuchtende Blick des tätowierten Nachtelfen schien sie überall hin zu verfolgen.

Dolmin, der seine Suppe mittlerweile ausgelöffelt hatte, stellte seine Schale zu Seite, verschränkte die Arme hinter seinen Kopf und lehnte sich bequem in die Felle hinter sich zurück.

“Jedenfalls, als die Kundschafter, die man nach Nordend ausgeschickt hatte, um den Lichkönig im Auge zu behalten zum ersten Mal von diesem gewaltigen Gebäudekomplex in den Sturmgipfeln berichteten, war Bran nicht mehr zu halten und ließ die Forscherliga sofort eine Expedition ausrüsten, obwohl es überhaupt noch nicht klar war, um was es sich handelte. Bran aber war von Anfang an überzeugt, dass es sich nur um das legendäre Ulduar handeln könne. Er hatte Recht – aber als es ihm und seiner Expedition nicht gelang, die Mechanismen der gewaltige Tore zu öffnen, wurde er ungeduldig und ließ alles aufsprengen weil er nicht warten konnte ins Innere zu gelangen. Er wollte unbedingt als Entdecker von Ulduar in die Geschichte eingehen.

Bis dato war in den Sturmgipfeln alles friedlich gewesen, die Bedrohung ging einzig und ausschließlich von Eiskrone aus. Aber kaum waren die Tore gewaltsam geöffnet, begann das Unheil! Ihr könnt mir sagen, was ihr wollt, ich glaube, dass diese verdammten Sprengungen den Gott geweckt und das ganze Schlamassel heraufbeschworen haben!” Dolmin biss ein Stück Kautabak ab sah mit herausforderndem Blick schmatzend in die Runde.

Golofin nickte leicht und stopfte dabei eine langstielige Pfeife. “Wäre ja nicht der erste Schlamassel, den die Bronzebart-Brüder heraufbeschworen haben. Hätte Muradin nicht so besessen nach diesem verfluchten Schwert gesucht, würden wir wohl alle nicht hier in der Kälte sitzen.”

Mathis stimmte mit nachdenklicher Mine in das Nicken mit ein. “Möglich ist das. Wie konnte er den wahnsinnigen Prinzen nur zu der Waffe führen. Spätestens nachdem Arthas eigenhändig seine Söldner abgeschlachtet hat, muss ihm doch klar gewesen sein, dass der Prinz seinen Verstand verloren hat.”

Kulgin zuckte mit der ihm eigenen, mürrischen Miene die Schultern. “Er hat Arthas viele Jahre unterrichtet. Muss wohl wie ein Sohn für ihn gewesen sein. Vielleicht wollte er nicht sehen, was mit Arthas geschehen war.”

Niamanee spürte einen kalten Schauer ihren Rücken hinabrinnen. Allein der Klang dieses Namens rief aus den Nebeln der Vergangenheit wieder die entsetzlichen Schreie der sterbenden Bewohner Silbermonds hervor, das unaussprechliche Grauen, das an diesem Tage über sie hereingebrochen war, nahm langsam wieder Konturen an und der frostkalte, blauglühende Blick des Monstrums auf dem skelettierten Kriegsross bohrte sich als eisig schneidender Schmerz in ihre Erinnerung.

Deutlich zeichneten sich die Knöchel ab als ihre Hände die Holzschale umkrallten, um das Zittern zu verbergen, dass sich ihrer plötzlich bemächtigte. Mathis sah sie stirnrunzelnd an. “Alles in Ordnung, Mädchen?”

Niamanee nickte hastig. “Es ist nichts. Nur ein kühler Luftzug von draußen.”

Mathis erhob sich, ging zu seinem Lager und kehrte mit einer fellgefütterten Wolldecke zurück, die er Niamanee über die Schultern legte. Dabei beugte er sich leicht zu ihr hinab, seine Stimme war kaum hörbar.

“Ich war in Lordaeron-Stadt, als Arthas aus Nordend zurückkehrte. Mein kleiner Sohn stand in der ersten Reihe als wir dem Prinzen zujubelten. Er stand auch noch dort, als der Prinz mit diesen Kreaturen aus dem Schloss zurückkehrte. Sie lassen einen nicht los, diese Bilder, nicht wahr?”

Das sanfte grüne Schimmern in ihren Augen verdunkelte sich, als Niamanee zu dem vernarbten Gesicht des Mannes aufsah. Dieser begegnete ihrem sprachlosen Blick mit einem schmerzlichen, dennoch tröstlichen Lächeln. “Der Schlächter wird fallen. Seine Zeit ist gekommen. Wir werden ihm all das, was er der Welt angetan hat heimzahlen. Dann werden auch unsere Träume gehen.” Mathis nickte der Elfe nochmals kurz zu und setzte sich dann wieder auf seinem Platz am Feuer.

Für einen langen Moment schloss Niamanee ihre Augen. Dann aber sah sie wieder auf und versuchte, Interesse zu zeigen. “Ich wusste gar nicht, dass Muradin Bronzebart Arthas zum Schwert geführt hat.”

Golofin nickte, nahm einen tiefen Zug aus seiner Pfeife und stieß einen großen Rauchkringel aus.

“Ihm sind irgendwelche alten Schriften in die Hände gefallen. Und von da an hat er die Idee, das Schwert finden zu müssen nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Diese Schriften führten ihn nach Nordend – wo er die verfluchte Klinge nach längerem Suchen auch entdeckte. Und während er fort war, fiel die Geißel in Lordaeron ein und verseuchte das Land. Nachdem dieser wahnsinnige Sohn von König Terenas II in der nordlordischen Stadt Stratholme die Bewohner abgeschlachtet und alles niedergebrannt hatte um eine Ausbreitung der Seuche zu verhindern, machte er sich mit der gesamten Kriegsflotte Lordaerons auf den Weg nach Nordend um dort den Dämon Mal’Ganis zu stellen, dem angeblichen Urheber dieser Seuche.

In Nordend angekommen traf Arthas alsbald auf Muradin, der nicht die geringste Ahnung hatte, was mittlerweile in den östlichen Königreichen geschehen war. Dementsprechend entsetzt war er auch, als er davon erfuhr – und daraufhin Arthas wohl von Frostgram berichtete. Wenig später aber erreichte ein Bote König Terenas’ die eisige Küste mit der strikten Order, die Kriegsflotte wieder zurück in heimische Gefilde zu segeln. Arthas hatte sich nämlich, wie sich nun herausstellte ohne seines Vaters Wissen nach Nordend aufgemacht – und dachte auch nicht daran, wieder zurückzukehren. Er beauftragte eine Gruppe Söldner in der Nacht die Schiffe niederzubrennen – um dann genau diese Söldner des Verrats zu beschuldigen. Als die wütenden Soldaten über die vermeintlichen Verräter herfielen, war Arthas einer der ersten, der die Männer mit seinem Hammer blutig niederstreckte.”

Mit einem leisen Seufzen nahm Golofin einen weiteren, tiefen Zug aus seiner Pfeife.

“Spätestens da hätte Muradin Bronzebart erkennen müssen, das Arthas in seinem Vergeltungswahn den Verstand verloren hatte. Und doch hat er ihn zu dem Schwert geführt. Was ihm beinahe auch das Leben gekostet hätte. Als Arthas das Schwert aus dem Stein zog explodierte der eisige Sockel und ein Splitter traf Muradin am Kopf.

Arthas jedoch hatte nur noch das Schwert im Kopf und es kümmerte ihn nicht mehr. Er ließ seinen einstigen Freund und Mentor vermeintlich tot in der Eishöhle liegen und kehrte zu seinen Männern an der Küste zurück. Aber er kam nicht allein.”

Der Zwerg senkte den Blick. “Kein Soldat hat die Heimat je wieder gesehen.”

Niamanee hob fragend ihre Brauen. “Aber woher weiß man dann das alles?”

Ein kurzer Augeblick der Irritation flog über Golofins knorrige Züge. Dann stieß er wieder ein Räuspern aus.

“Na ja, es gab ja Überlebende. Soldaten, die vor Arthas und seinen untoten Geißelkreaturen fliehen konnten und sich hier in der eisigen Einöde versteckten, bis die ersten Truppenverbände des Argentumskreuzzuges eintrafen. Genauso wie Bronzebart selbst. Der Splitter hatte ihn nicht tödlich getroffen – allerdings für eine ganze Weile sein Erinnerungsvermögen getrübt. Nachdem er wieder zu sich kam, irrte er einige Jahre völlig verwirrt hier umher – bis die ersten Truppen ihn halb verhungert und völlig verwahrlost aufgriffen. Schon erstaunlich, wie er in diesem Zustand der Umnachtung hier hat überleben können. Rhonin und seinen Magiern von den Kirin Tor ist es schließlich gelungen, sein Erinnerungsvermögen wieder herzustellen.”

Ein dunkler Schatten huschte über das knollnasige Zwergengesicht. “Und von allen Überlebenden ist er der Einzige, der noch übrig ist. Alle anderen sind meinem Wissen nach letztendlich doch hier zu Tode gekommen.”

Einer der Männer in hinteren Teil der Runde, die Haare noch unter einer dicken, pelzumsäumten Strickmütze verborgen beugte sich vor und erst als der Feuerschein auf die harten Gesichtszüge fiel erkannte Niamanee, dass es eine Frau war. “Mein Bruder war Marinesoldat. Nachdem die Geißel meine gesamte Familie ausgelöscht und mein Dorf niedergebrannt hatte, schloss ich mich dem Kreuzzug an, weil ich wissen wollte, was ihm widerfahren war. Und weil ich irgendwo immer noch die Hoffnung hatte, er könne noch leben.

Ich konnte es kaum fassen, als ich ihn hier ihn hier tatsächlich lebend fand.”

Sie sah in die Runde. „Seine Version von dem, was passierte, klang aber ein bisschen anders, als das, was Herr Bronzebart erzählt.“

Alle Blicke richteten sich nun auf die Frau und Golofin nickte ihr mit fragend hochgezogenen Brauen zu. „Du hast nie erzählt, dass du einen Bruder hattest, Jaelle.“

Die Frau schloss die Augen und schüttelte leicht den Kopf. „Wen hätte es interessiert? Es haben so viele ihre Angehörigen verloren.“

Sie sah auf. „Jenlen war erster Kanonier auf dem königlichen Schiff. Niemand bekam Arthas selbst während der gesamten Überfahrt nach Nordend zu Gesicht. Bald kamen Gerüchte auf. Die einen sagten, der Prinz sei bereits auf geheimen Wege in Nordend angekommen. Andere meinten, er sei bei dem, was in Stratholme passiert war so entstellt worden, dass er sich nicht mehr an die Öffentlichkeit traue.

In Nordend angekommen war bald klar, dass an den Gerüchten nichts dran war, denn Arthas ließ sich mit einigen Offizieren an Land bringen.

Als erster Kanonier musste Jenlen auf dem Schiff bleiben, beobachtete von dort aber den Küstenstreifen mit dem Fernglas. So sah er, wie Muradin Bronzebart mit seinen Zwergen in das Lager kam, sich mit Arthas unterhielt.

Einige Zeit später verließ ein größerer Trupp auf Pferden das Lager und Jenlen war sich sicher, den Prinzen und Muradin Bronzebart unter den Reitern gesehen zu haben, wie sie in Richtung der Berge geritten sind. Sie waren noch nicht lange fort, da landete ein Bote auf einem Greifen. Jenlen war ziemlich irritiert, als der Kapitän des königlichen Flaggschiffes den Befehl gab, die Flotte unverzüglich seeklar zu machen und das Lager wieder abzubrechen. Irgendwie sickerte durch, dass der Prinz die Flotte offensichtlich ohne das Wissen von König Terenas und Uther Lichtbringer nach Nordend geführt hatte und nun der König verlangte, dass die Flotte unverzüglich wieder umkehren solle.“

Golofin schüttelte den Kopf. „Das stimmt so nicht, Muradin hat erzählt, dass Arthas dabei war, als der Bote ankam!“

Dunkelschwinge hob beschwichtigend die Hand. „Lass’ Jaelle weitererzählen, Golofin.“

Grummelnd setze der Zwerg sich wieder zurück. Jaelle sah Dunkelschwinge für einen Moment fragend an und fuhr auf sein Nicken hin fort.

„Es dauerte eine ganze Weile, bis alle Vorbereitungen getroffen worden waren und Jenlen legte sich nach getaner Arbeit für eine Weile in seine Hängematte, wo er einschlief. Geweckt wurde er von dem lauten Knistern des Feuers, das bereits das halbe Schiff erfasst hatte. Er konnte gerade noch rechtzeitig den Flammen ins eiskalte Wasser entkommen und schwamm ans Ufer. Und musste mit Entsetzen sehen, das Prinz Arthas und die Soldaten dabei waren, eine kleinere Gruppe Söldner niederzumetzeln. Angeblich hätten die Söldner die Schiffe in Brand gesetzt. Jenlen erzählte mir, dass er dieses blaue, fanatische Glühen in den Augen des Prinzen niemals wieder würde vergessen können, wie er gleich einem Berserker mit diesem glühenden Runenschwert durch die Reihen der Söldner fuhr.“

„Nein, nein, nein!“ Golofin schüttelte jetzt noch vehementer den Kopf. „Als Arthas die Söldner tötete, hatte er Frostgram noch gar nicht! Muradin hat das ganz anders geschildert!“

Jaelle sah Golofin ruhig an. „Jenlen hat es mir so erzählt. Und seiner Erinnerung nach waren Muradin und seine Zwerge gar nicht mehr dabei. Jenlen hat den Prinzen angeschrien:‚Was tut ihr da? Warum tötet ihr die Söldner?’ Und Arthas hat innegehalten, ihn angeschaut und gelächelt. ‚Du hast recht, Soldat. Warum töte ich eigentlich nur Söldner?’ Mit diesen Worten durchbohrte er den Soldaten zu seiner Rechten. Für die meisten Soldaten kam das Begreifen zu spät, sie hatten keine Chance gegen Arthas – sein boshaftes Lachen hat Jenlen noch Jahre danach aus dem Schlaf geschreckt. Als die ersten Untoten aus dem Dunkel um das Lager traten, ist er nur noch gerannt. Und hat es geschafft, zu entkommen.“

Golofin rümpfte die Nase. „Ein Deserteur kann wohl kaum in der Lage gewesen sein, die Lage richtig zu beurteilen. Muradin Bronzebarts Schilderung ist da wohl erheblich sachlicher und näher dran.“

„Mein Bruder war kein Deserteur!“ Sichtlich aufgebracht war Jaelle aufgesprungen. Was hättest du denn gemacht, Golofin? Hättest du die Hand gegen deinen eigenen König erhoben?“

Golofin runzelte die Stirn. „Offensichtlich haben die entsetzlichen Geschehnisse am Strand den Geist deines Bruders verwirrt und so die Abfolge durcheinander gebracht.“

Jenlen war nicht geistig verwirrt!“ Zornesröte stieg in Jaelles Gesicht.

Dunkelschwinge hob beschwichtigend die Hand. Seine Stimme klang überraschend sanft. „Lasst gut sein, ihr beiden. Keiner von uns war dabei und jede Version wird von ihrem subjektiven Standpunkt aus ihre Berechtigung haben. Tragisch genug, was dort geschah, wir sollten darüber im Nachhinein nicht in Streit verfallen.“ Sein Blick blieb auf Jaelle hängen.

„Ich würde Jenlen gerne einmal kennenlernen.“

Jaelle sah traurig zu Boden. Im flackernden Licht des Feuers schien es, als würden sich die Furchen in ihrem Gesicht noch tiefer in ihre Wangen graben.

“Viel gemeinsame Zeit war uns nicht beschieden. Er fiel an der Pforte des Zorns.”

Dunkelschwinge nickte leicht. Zum ersten Mal glaubte Niamanee auf seinem spöttisch- finsteren Gesicht eine Gefühlsregung zu erkennen.

„Das tut mir leid, Jaelle. Möge Elune seiner Seele gnädig gewesen sein.“

Niamanee warf Golofin einen Blick zu und flüsterte: “Pforte des Zorns? Davon habt ihr vorhin schon erzählt, Herr Gnollhammer.”

Der Zwerg verzog etwas verdrießlich den Mund. “Die erste große Militäroffensive des Kreuzzugsbündnisses gegen den Lichkönig. Lief nicht ganz so, wie sich beide Seiten das vorgestellt hatten. Weder für Arthas und schon gar nicht für uns.” Mit einem erneuten, recht plakativen Räuspern erhob sich Golofin, putze ein par Brotkrümel von seiner Hose und sah Niamanee mit einem etwas zu unbekümmerten schrägen Grinsen wieder an.

“Aber darüber können wir uns ein anderes Mal weiter unterhalten. Jetzt sollten wir alle sehen, dass wir noch eine ordentliche Mütze Schlaf bekommen, der morgige Tag wird noch anstrengend genug.”

Mit zustimmendem Gemurmel erhoben sich jetzt auch einige der anderen und gingen zu ihren Schlafplätzen an den beiden anderen bereits recht weit heruntergebrannten Feuern. Kommandant Dunkelschwinge blieb noch einen Moment stehen, warf Niamanee einen schweigenden, grußlosen Blick zu und wandte sich dann an die Brüder Kohlefaust.

„Kulgin! Dolmin! Ihr beiden habt die erste Wache!”

Dolmin nickte, winkte kurz in die verbliebene Runde, hängte sich seinen schweren, bodenlangen Umhang um und zog aus einem der Schlitten eine recht eindrucksvolle Axt. Auch Kulgin erhob sich, nickte weitaus mürrischer in die Runde, ging ebenfalls zu dem Schlitten, zog dort eine annähernd doppelt so große Axt wie die von Dolmin hervor und folgte seinem Bruder mit unverständlichem, recht ungnädigem Gemurmel auf den Lippen zum riesigen Eingang.

Niamanee reichte Mathis die gefütterte Wolldecke zurück. Dieser aber schüttelte den Kopf. “Gib’s mir wieder, wenn wir da sind. Ich habe noch so ein Ding.” Sie schenkte Mathis ein dankbares Nicken und legte sich gähnend auf die Felle.
 

Obwohl sie todmüde war, konnte sie zunächst nicht einschlafen, zuviel ging ihr durch den Kopf. Auch das leise Knistern des heruntergebrannten Feuers hielt sie wach. Das Geräusch ruhigem, regelmäßigen Atmens, gemischt mit dem einen oder anderen Schnarcher, drang von allen Seiten an ihr Ohr und sie beneidete die anderen um ihren schnellen Schlaf.

Eine kleine Funkenwolke stieg auf, als der Elf, der die erste Feuerwache hielt leise einen kleineren Holzscheit nachlegte. Mit lauter werdenden Knacken griffen die kleinen Flämmchen gierig nach der neuen Nahrung, wurden größer. Wie gebannt starrte Niamanee auf das unstete Flackern der wachsenden Flammen...



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