Zum Inhalt der Seite

Sterblich

-Flashback-
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Und was du...

Wutentbrannt hämmerte ich auf dem Armaturenbrett des schäbigen Golfs herum. »Verdammte Scheiße!«, schrie ich laut. Leider hatte ich vergessen, dass das Fenster sperrangelweit offen stand und die vorbeilaufenden Passanten jedes Wort meines Wutausbruchs hören konnten. Doch die kopfschüttenden Leute interessierten mich nicht im Geringsten. Ich war vielmehr damit beschäftigt, mich über meine eigene Unfähigkeit zu beschweren, während ich mit 100km/h durch die 50er Zone bretterte. Als ein Auto aus einer Seitenstraße auf die meine abbog, hätte ich ihm beinah das Blech abgefahren. Ich vollführte eine Vollbremsung und kam kurz vor ihm zum stehen. »Kannst du nicht aufpassen, du Vollidiot?«, schrie ich ihn an und drückte einige Sekunden auf die Hupe. »Hast du deinen Führerschein in der Kläranlage gefunden, oder was?« Mein Ärger war kaum zu überhören. Wieder drückte ich auf die Hupe, diesmal aber aus Frust. Ich hatte es in vier Stunden im Internetcafé nicht geschafft, mich ins Netzwerk des FBI zu hacken. Anscheinend hatten sie neue Sicherheitsvorkehrungen getroffen, von denen ich nichts mehr verstand. Es stand fest, dass ich ohne Hilfe nicht ins System kommen würde, auch wenn es mich noch so ärgerte. Ich war also wohl oder übel auf jemanden angewiesen, der sich damit auskannte.

Noch immer stand mein Auto mitten auf der Straße und ich machte auch keine Anstalten, es wegzufahren. Stattdessen dachte ich nach. Ich konnte nur jemanden um Hilfe bitten, dem ich vertraute, doch damit würde ich auch gleichzeitig einen Teil meiner Anonymität aufgeben. Der einzige Mensch, der die Mittel dazu hatte, auf den Datenserver des FBI zuzugreifen und dem ich mein Vertrauen schenkte, war Taylor Jones. Damals, vor meinem Ableben, hatten wir zusammen gearbeitet und wurden gute Freunde. Er war außerdem ein exzellenter Datenanalyst.

Es war mir zwar zuwider, Taylor erzählen zu müssen, dass ich noch lebte, doch nach langem hin und her wurde mir klar, dass ich ohne ihn keine Chance hatte Jeffrey O´Neil und den USB-Stick zu finden. Und ohne diesen Stick wäre meine ganze bisherige Suche umsonst gewesen und mein Mörder würde niemals seine Strafe erhalten. Ich hatte schlicht und einfach keine andere Wahl, als Taylor ins Vertrauen zu ziehen. Also machte ich mich auf dem Weg zu seiner Wohnung.

»Ein Tag zu viel ist ein Tag zu wenig!«, hämmerte es in meinem Schädel, als ich über eine rote Ampel fuhr. Ein paar Erinnerungen kamen zurück.

»Glaubst du, er wird es schaffen?«

Ich schloss die Augen, während ich weiter fuhr und versuchte diese Gedankenstücke zu ignorieren. Stattdessen erstreckten sich plötzlich Bilder vor mir. Es ging alles so schnell, dass mein Gehirn Schwierigkeiten damit hatte es aufzunehmen.

Kellerraum, kalte Luft, einatmen, ausatmen, stocken, flüstern.

Ich verlor mich in den tiefen meines Verstandes.

»Hör auf damit!

»Halt den Mund, Clay!«, meint der Erste und wendet sich dem Zweiten zu: »10ml/g, mehr nicht!« Der stämmige Mann setzt sich in Bewegung und schreitet schwerfällig zu mir herüber. Ich liege auf einem Bett, das weder weich noch hart erscheint. Es fühlt sich beinah so an, als würden meine Glieder gar nicht mehr zu mir gehören, denn ich spüre sie nicht. Alles, wobei ich mir sicher bin, dass es noch zu meinem Körper gehört, ist mein Gesicht, welches ich noch halbwegs kontrollieren kann.

»Was?«, stammel ich, doch mehr bringe ich nicht hervor. Spucke läuft mir aus dem Mundwinkel und ich kann nichts dagegen tun.

Der Mann steht jetzt neben mir und beugt sich zu mir herunter. Seine Augen werfen ein funkelndes rotes Licht, doch sonst bleibt er unerkannt. Er hebt seine linke Hand und presst mir seinen Zeigefinger auf die Lippen. »Nicht reden«, sagt er leise und hebt auch seine Rechte. Darin erkenne ich eine Spritze, die eine klare Flüssigkeit enthält. Meine Augen weiten sich instinktiv und ich versuche mich aus dieser Situation zu befreien, doch weder meine Arme noch Beine reagieren auf den Befehl meines Gehirns zu fliehen.

»Jetzt stell ihn endlich ruhig, damit wir anfangen können!«, meckert der Erste in genervtem Tonfall.

Der Zweite drückt die Nadel der Spritze in meinen linken Oberarm.

Meine Gedanken schreien mich an, mich endlich aus dem Staub zu machen. Sie flehen und betteln, die Flüssigkeit, was immer es ist, nicht zu spritzen. Vergeblich. Ich starre an mir herunter auf die Nadel, die sich tief in mein Fleisch bohrt. »Bitte…«, versuche ich es erneut, doch wieder brechen meine Worte ab. Schließlich nimmt er die Spritze wieder zu sich, nachdem sie ihren Zweck erfüllt hat.

Mir wird schwindelig. »Was macht ihr mit mir?«, will ich fragen, doch stattdessen gebe ich nur hin gemurksten Kram von mir, den ich selbst nicht deuten kann, bis meine Stimme vollends versagt. Auf meinen Augen macht sich ein grauer Schleier breit und zieht mich an einen Ort fernab der Realität.

»Gute Nacht, Clay«, hallen die Worte des Ersten in meinem Kopf. Vielleicht sind es auch die des anderen, doch das kann ich nicht mehr mit Gewissheit sagen. Schließlich tauche ich in einen bunten Tumult aus allerlei Farben, die mir fremd sind und von denen ich nie wusste, dass es sie gibt. Aus den Farben entwickeln sich Bauten, Häuser und Städte, Flüsse und Burgen, bis sie als Tränen auf mich herabfallen. Und schließlich verschlingt mich das Bunt und wirft mich in einen Abgrund aus stechendem Schwarz.


 

Verwirrt sah ich mich um. Ich stand auf dem Seitenstreifen eines Highways, der mir unbekannt war. Wie war ich hier hin gekommen? Völlig desorientiert starrte ich die vorbeiheizenden Autos an.

»Was zum Teufel ist los mit dir?«, fragte ich mich selbst laut, um meine Verwirrtheit nur noch zu bestätigen. »Hast du jetzt komplett den Verstand verloren?« Ich machte mir langsam Sorgen um meine geistige Verfassung. Es war jetzt das dritte Mal, dass ich in meinen Erinnerungen unterging und irgendwo am Ende der Welt wieder aufwachte. Allmählich wurde es mir unheimlich. Was war damals nur mit mir geschehen? Was wurde in diesem finsteren Kellerraum mit mir gemacht? Warum erinnerte ich mich an so wenig?

Ich wusste es nicht. Eine Antwort auf diese Fragen schien in weiter Ferne. Doch ich wusste, wie ich sie finden konnte: Indem ich meinen Mörder fand.

Ohne weitere Zeit damit zu vergeuden, mich über meinen Geisteszustand zu sorgen, ließ ich den Motor aufheulen und fuhr los. Ich fuhr so weit, bis ich die Orientierung wiedererlangt hatte und wusste, wohin ich fahren musste, um bei Taylor anzugelangen. Es dauerte eine Dreiviertelstunde, bis ich schließlich den Blinker setzen und am Straßenrand anhalten konnte. Die Zeit des Fahrens war mir gar nicht richtig bewusst gewesen. Sie war verflogen, als wäre sie Sand im Wind.

Vom Wagen aus konnte ich das Zweifamilienhaus betrachten, in welchem Taylor lebte. Er hatte das gesamte Untergeschoss für sich, was nicht gerade wenig war. Für eine Person war es eindeutig zu viel Platz, doch das hatte Taylor nie so gesehen. »Weißt du, Clay, wenn man so viel Platz hat, wie ich hier, dann brauche ich zumindest keine Angst zu haben, Platzangst zu bekommen!«, hatte er mir mal gesagt. Ich hielt ihn schon immer für etwas… anders.

Ohne Anstalten zu machen auszusteigen, blickte ich auf das große Haus. Es war weiß gestrichen und von Efeu bewachsen. Im Allgemeinen machte es einen schönen Eindruck, wenn man von der abblätternden Fassade absah. Neben dem Haus stand ein Carport unter welchem zwei Autos ihren Platz hatten: Ein Mercedes Benz und ein kleiner Opel Corsa.

Was ich nie an Taylor verstanden hatte war, warum er immer noch diesen Corsa fuhr, obwohl er genug Geld besaß, um sich einen schönen und besseren Wagen zu kaufen. Er hatte sich wohl in dieses kleine, schwarze Auto verliebt.

Endlich öffnete ich die Autotür und trat hinaus. Schweren Herzens ging ich zur Haustür, die in einem dunklen Braun gestrichen war und drückte auf die Klingel. Im Innern der Wohnung polterte es und ich wusste sofort, dass der tollpatschige Taylor Jones etwas in seiner Eile, an die Tür zu kommen, umgeworfen hatte. Sogleich öffnete er. Ich betrachtete den 175cm kleinen Mann, dessen braunes Haar ihm wirr auf dem Kopf wuchs. Sein Mund stand sperrangelweit offen, als er erkannte, wer vor ihm stand.

»Hi!«, sagte ich und versuchte ein Lächeln, doch schon warf er die Tür wieder zu. Ich zog meine Augenbrauen hoch und drückte erneut auf die Schelle. Nichts. Noch einmal. Wieder nichts.

»Ich bin es: Clay!«, rief ich laut um gegen die gut gedämmte Tür anzukommen. Drinnen polterte es wieder und Taylor rief zurück: »Clay ist tot!«

»Lass mich rein, Taylor! Ich bin es wirklich!«

»Ich rede nicht mit Toten! Verschwinde jetzt!«

Ich konnte ihm seine Reaktion nicht verübeln, denn schließlich war ich eigentlich tatsächlich tot. Dennoch wollte ich, dass er mich einließ, also versuchte ich es erneut: »Ich werde dir alles erklären.«

»Hau ab! Du existierst gar nicht! Du bist nur ein Hirngespinst, das auf meiner Türschwelle steht!« Anscheinend dachte er, dass er allmählich verrückt wurde. »Tot, tot, tot! Clay ist tot! Du bist gar nicht da!«

Irgendwie musste ich ihn eines Besseren belehren. Ich dachte angestrengt nach und kratzte mich derweilen am Hinterkopf. »Jack Daniel´s!«, sagte ich prompt und klopfte gegen die Holztür.

»Was ist damit?«, schrie Taylor zurück und stellte sich dümmer, als er tatsächlich war.

»Wir haben einen Abend Jack Daniel´s getrunken. Ganze zwei Flaschen! Und wir haben die ganze Nacht Playstationspiele gezockt. Um sechs Uhr morgens wollten wir dann endlich Schlafen gehen, aber Mr. P. rief an und bestellte uns zur Arbeit. Weißt du noch, wie wir beide völlig betrunken versucht haben, unsere Arbeit zu machen?« Ich lachte laut, bei der Erinnerung an diesen harten Tag. Taylor hing wie ein nasser Sack vor seinem Computer und war nicht in der Lage, die einfachsten Anweisungen auszuführen. Ich hatte in meinem Büro ein Nickerchen gemacht, bis Mr. P. mich dann mit einer Standpauke weckte und mich aus meinem wohlverdienten Schlaf riss. Weil mit Mr. P. auch nicht zu Spaßen war, wurden wir für zwei Wochen suspendiert und bekamen kein Gehalt. Aber das machte Taylor und mir absolut nichts aus. So hatten wir jeden Abend die Gelegenheit, Jack Daniel´s zu trinken und zu zocken, was wir auch ausgiebig taten.

»Warum nennen wir Mr. Sullivan Mr. P.?«, fragte Taylor. Er schien mir immer noch nicht zu glauben.

»Weil seine Nase wie ein P aussieht!«

Es polterte wieder im Inneren des Hauses. Die Tür wurde schwungvoll geöffnet und Taylor schlug mir zur Begrüßung seine Faust ins Gesicht. Als ich ihn stoppen und nach dem Grund für die Gewalt fragen wollte, verpasste er mir noch einen harten Schlag. Ich taumelte nach hinten und hielt mir die Hand auf die eben getroffene Nase.

»Du lebst und hältst es nicht für nötig dich bei mir zu melden?«, kreischte er, sodass die Nachbarn vom Stuhl gefallen sein mussten. »Ich war auf deiner Beerdigung! Ich habe dich zu Grabe getragen, verdammt! Was denkst du dir eigentlich dabei, Clay?«

Vielleicht hätte ich auch gar nicht herkommen und ihn einfach in seinem Glauben belassen sollen, ich sei vor zwei Jahren gestorben. Vielleicht…
 

***

Wir saßen gemeinsam in Taylors Wohnzimmer auf dem großen, weißen Sofa, welches sich in der rechten Hälfte des Raumes befand. Davor stand ein Holztisch und auf dem wiederum standen unsere Gläser in denen kühles Bier hin und her schwappte. Im Hintergrund lief Musik von Falco. Ich konnte mich mit dieser Art von Musik nie ganz identifizieren, aber Taylor liebte sie. Er hörte sie rauf und runter. Manchmal hatte ich mich gefragt, ob sie ihm nicht langweilig wurde, doch mir wurde schnell klar, dass sie ihm nie aus den Ohren hing.

Ich nahm einen kräftigen Schluck Bier und wischte mir anschließend den Schaum vom Mund. Dann lehnte ich mich zurück und meinte beiläufig: »Ich bräuchte vielleicht deine Hilfe, Taylor.« Diese Worte schienen Taylor mehr als nur zu schocken, denn er zuckte nicht nur instinktiv zusammen, sondern spuckte das Bier, das er gerade zu trinken versuchte, in einem hohen Bogen auf den Fußboden.

»Was?«, kreischte er und sah mich verdutzt an. »Bist du nur deshalb hier aufgetaucht? Weil du meine Hilfe brauchst?« Ich hatte Angst, seine Faust würde gleich zum nächsten Schlag ausholen. Und als ich seine Frage auch noch bejahte, fürchtete ich, er würde mich in Stücke reißen. Seinem Blick nach zu urteilen hatte er darüber sogar nachgedacht. »Das bedeutet also im Klartext«, begann er wutschnaubend, »dass du gar nicht wegen mir hier bist und um mich endlich mal aufzuklären, sondern weil du einfach nur irgendetwas von mir brauchst?«

»Ich kann dir das erklären!«

»Na da bin ich aber mal gespannt!«, fauchte mein Freund und hob die Augenbrauen. Ich öffnete den Mund, wusste jedoch nicht, was ich sagen sollte, weil ich nicht damit gerechnet hatte, dass Taylor überhaupt eine Erklärung hören wollte. Erst denken, dann reden! Das hatte mir doch meine Mutter schon immer gepredigt. Als Taylor erkannte, dass er keine Antwort darauf hören würde, verschränkte er die Arme vor der Brust und fragte dann anormal ruhig: »Kannst du mir dann erklären, warum du noch lebst und mir nie ein Sterbenswörtchen davon gesagt hast?«

Ich erklärte ihm, dass ich mir die ganze Zeit über nicht sicher sein konnte, wem ich vertrauen konnte und wem nicht. Taylor war nicht wirklich in der Lage das nachzuvollziehen. Er fragte dennoch, was überhaupt geschehen sei und wie ich überlebte. Im Prinzip wollte er die ganze Geschichte wissen.

»Jemand schoss auf mich, als ich an jenem Tag zur Arbeit wollte. Wie du sicher noch weißt, lag ich blutend auf dem Straßenpflaster. Susanna rief irgendwann einen Krankenwagen, doch genau erinnere ich mich nicht«, erzählte ich und führte mir den Tag erneut vor Augen. »In dem Krankenwagen saßen drei Männer, doch ich kann mich einfach nicht mehr erinnern, wie sie ausgesehen haben. Es ist als wären sie aus meinem Gedächtnis gelöscht worden. Sie verfrachteten mich irgendwann von dem Krankenwagen in ein gewöhnliches Auto und aus dem Auto trugen sie eine Leiche in den Krankenwagen. Ich denke, sie haben den Toten so verändert, dass alle Welt glaubte, ich sei es gewesen. Aber das kann ich nicht mehr wirklich sagen. Danach wurde ich ungefähr ein Jahr in einem dunklen Raum eingesperrt. Doch ich weiß nicht mehr viel von dieser Zeit, nur, dass manchmal Männer zu mir kamen, mir Spritzen gaben und wie ich schließlich entkam. Doch auch das ist nicht mehr vollständig in meinem Gedächtnis vorhanden. Es sind nur Bruchstücke. Nichts als gottverdammte Bruchstücke!«

Taylor sah mich an. Dann knackte er mit den Fingern und entgegnete beiläufig: »Wissen und Erinnerungen sind nur gespeicherte Daten in unseren Köpfen. So lange, bis jemand auf die Delete-Taste drückt.« Dies war der Typische Satz eines Datenanalysten. Doch wollte er damit sagen, dass ich einer Gehirnwäsche unterzogen worden war? Ich hatte mal davon gehört. Als ich noch beim FBI tätig war, da gab es einige Fälle in denen es um so etwas wie Gehirnwäsche ging. Die Menschen vergaßen einfach, was ihnen widerfahren war und wer ihnen etwas angetan hatte. Allerdings waren dies keineswegs FBI-Fälle, sondern wurden kurzerhand weitergeleitet.

»Was hast du danach gemacht?«

»Ich habe mich in Deckung gehalten, bis ich schließlich anfing, nach den Drahtziehern hinter allem zu suchen. Bislang ohne wirklichen Erfolg.«

»Und jetzt soll ich dir dabei helfen?«

Ich zuckte mit den Schultern und berichtete ihm von diesem besagten Jeffrey O´Neil und davon, dass ich nicht in den FBI-Server kam, um mir die Informationen über seinen Standpunkt selbst zu beschaffen. Als Taylor den Namen hörte stutzte er. Ich konnte nicht sagen, warum, aber irgendwie schien er diesen Namen schon einmal gehört zu haben.

»Jeffrey O´Neil?«, fragte er etwas irritiert, »Nie gehört.«

Ich hatte keine Ahnung von Psychologie, wusste nicht, wie man anhand von Mimik und Gestik erkennt, dass jemand lügt oder die Wahrheit sagt, doch mein Bauchgefühl verriet mir, dass Taylor mir etwas verschwieg.

»Aber wir können nachsehen!«, meinte er und ging in sein Arbeitszimmer. Kurze Zeit später kam er mit seinem Laptop im Schlepptau zurück, klappte ihn auf und hämmerte ungezwungen auf der Tastatur herum. Er hatte den Laptop auf dem Schoß, sodass ich nicht sehen konnte, was er machte. Schließlich hörte er auf zu tippen. Ich verfolgte seine Augen, die gebannt zu lesen schienen. Dies dauerte ungefähr eine Minute, doch es kam mir vor wie eine halbe Stunde. Dann blickte er mich ausdruckslos an und meinte: »Bist du dir sicher, dass du wissen willst, was mit dir geschehen ist und wer das alles zu verantworten hat?«

Was für eine dämliche Frage! Natürlich wollte ich es wissen! Hätte ich sonst so viel Arbeit in diese Suche gesteckt? Doch anstatt dies zu sagen nickte ich nur zielsicher.

»Wenn du meinst! Aber damit das klar ist, ich helfe dir nur von Außerhalb, also von meinem Laptop aus. Komm bloß nicht auf die Idee mich da mit reinzuziehen! Denn das ist mir eindeutig eine Nummer zu hoch!«

Noch einmal schenkte er mir einen eindringlichen Blick, schob mir dann aber den Laptop rüber. Erwartungsvoll starrte ich auf den Bildschirm. Darauf war eine Art Steckbrief von dem besagten Jeffrey O´Neil zu sehen, der in dieser Gegend weit und breit der einzige zu sein schien. Den Worten nach zu urteilen war er 35 Jahre und der Sohn des berühmten und stinkreichen Frank Jason O´Neil, der Leiter eines Milliardenunternehmens. Mir stockte der Atem. Ich hatte nicht damit gerechnet gegen den Sohn eines sehr, sehr, wirklich sehr einflussreichen Mannes vorzugehen. Deswegen hatte Taylor mich also gefragt, ob ich es mir gut überlegt hatte. Ich seufzte und dachte daran, wie schwierig es sein würde, diesen vermaledeiten Jeffrey O´Neil in die Finger zu bekommen und den Stick zu ergattern. Da stand mir eine Menge Arbeit bevor.

Als ich weiter las, erfuhr ich, dass Jeffrey keine Familie hatte und selbst im Unternehmen seines Vaters tätig war. Außerdem wohnte er in einer riesigen Villa, und genau wie Taylor in Washington DC. Taylor wohnte in der Oklahoma Avenue. Von hier aus waren es noch gut fünf Meilen. Das bedeutete, dass ich ungefähr eine halbe Stunde Fahrt einrechnen musste, je nach Verkehrslage. Nachdem Taylor mir auf eine Bitte Stift und Papier brachte, schrieb ich mir Jeffreys Adresse auf. Er hatte sein Anwesen direkt am Eckpunkt zwischen der 19th Street NW und der E Street NW. Ich kannte diesen Ort und es war für mich keine Schwierigkeit dorthin zu finden.

Dann gab ich meinem Freund seinen Laptop wieder und Taylor meinte: »Du wirst das niemals alleine schaffen!«

Ich zuckte daraufhin nur mit den Schultern.

»Das was du machst ist Selbstmord! Dann weißt du mal, was es heißt, tatsächlich tot zu sein!« Er senkte den Kopf und faltete die Hände zusammen, als wolle er beten. »Pass auf«, begann er und ich ahnte schreckliches, »Ich stelle dir zumindest einen Scharfschützen zur Verfügung, der dich begleiten wird! Cody ist zwar noch sehr jung, aber glaub mir, er versteht etwas von seinem Fach und er ist absolut zuverlässig. Es könnte dir eine große Hilfe sein, ihn bei dir zu haben.«

»Wie alt ist er?«

»Was spielt denn das für eine Rolle? Cody wird dir sicherlich behilflich sein und deinen Arsch retten, wenn es darauf ankommt!«

»Ich habe gefragt, wie alt er ist!«, entgegnete ich nun in schärferem Ton.

»Achtzehn.«

Ich schlug mir die Hand gegen die Stirn. Der war ja noch ein Kind! Und ein solches Kind sollte ich mir an die Fersen heften lassen? Niemals! Ich hatte ernsthaft Angst ich müsse ihm die Windeln wechseln.

»Kommt nicht in Frage!«, polterte ich, doch mein Freund ließ nicht locker.

»Wenn du ihn nicht mitnimmst, Clay, dann schwöre ich dir, ich werde keinen deiner Schritte verfolgen und dich auch nicht in diese Villa hineinschleusen!«

Hatte ich das denn von ihm verlangt?

»Dann halt nicht, ich mach das auch alleine!«

Taylor war empört. »Ohne mich bist du tot, bevor du die Villa überhaupt betreten hast! Hast du dir schon einmal die Wachposten und die Sicherheitsvorkehrungen angesehen?«, fauchte er, hämmerte wieder auf der Tastatur herum und drückte mir den Laptop erneut in die Hände. »Da! Guck dir das Ganze gerne an!«

Tatsache. Der Laden war so gut bewacht, da würde ich niemals hineinkommen, wenn mir niemand die Türen öffnete und mich leitete.

»Na gut«, willigte ich schließlich widerstrebend ein, »Dann hol den Kleinen her, damit wir ihn mit der Lage vertraut machen können.«



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (4)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  w-shine
2012-10-16T20:56:27+00:00 16.10.2012 22:56
Hallöchen,

sooo… da bin ich mal wieder hier und hab ein weiteres Kapitel gelesen.
Der Rückblick hat mir persönlich gut gefallen, hat etwas Unheimliches und Bedrohliches dieser Flashback und was sie das mit ihm machen. Im ersten Moment hat mich allerdings der Zeitenwechsel verwirrt (was aber sicherlich auch daran liegt, dass ich mich selber immer damit verwirre, wenn ich in verschwinden Geschichten unterschiedliche Zeitformen benutze…).

Was ist das aber für eine 50er Zone, dass er es tatsächlich schafft, dort mit 100 zu fahren? Normalerweise sind die Straßen doch total voll gepackt ;) Und ich persönlich kriegt das ja nicht mit, wenn jemand flucht, wenn der da mit 100 Sachen an mir vorbei brettert.
Beeindruckend auch, dass er es schafft so weit wegzukommen, während er seinen Flashback hat ohne einen Unfall zu bauen…

Die erste Begegnung mit Taylor fand ich gut beschrieben. Er fragt ihn genau das Gleiche, was ich mich auch gefragt habe: Warum zeigt sich Clay nicht gleich seinen Liebsten und versucht das Mysterium mit ihrer Hilfe zu lösen?
Die Erinnerung an den Jack Daniel’s Abend fand ich seine sehr schöne persönliche Note.
Wenn Jeffrey ein Milliardärssohn ist, dann sollte sich doch aber eigentlich auch so etwas über ihn finden lassen. Google ist doch bei solchen Personen schon mal ein guter Anfangspunkt ;)
Cody ist ein wirklich sehr junger Scharfschütze. Gibt es das überhaupt? Brauchen die nicht eine megalange Ausbildung? Und wie kommt Taylor eigentlich dazu, den einfach so anfordern zu können?

Anyways… der Teil wirft einiges an neuen Fragen auf, so dass man gespannt ist, auf den nächsten Teil und wie wohl Clays Ausflug zu Jeffrey wird.

Mal schauen, wann ich dazu komme, den nächsten Teil zu lesen…

LG Shine

Von: abgemeldet
2012-02-04T23:58:28+00:00 05.02.2012 00:58
Nacht,
also ich bin noch hellwach, da lese ich am besten ein bisschen. ;)

"Dieser Teil wird nach dem Lesen des Kapitels hinzugefügt, weil man mit etwas Positivem beginnen soll" (als ob ich immer nur meckern würde, hmpf):
Deine Geschichte finde ich ja offensichtlich ganz gut, zumindest hattest du mich mit dem Prolog, der war wunderbar. Und auch das erste Kapitel, besonders, wie du die Gewalt geschildert hast (nicht dass ich komische Veranlagungen hätte) hat mich relativ beeindruckt.
Da bin ich natürlich unglaublich neugierig, wie es sich weiterhin entwickten wird.

Doch die kopfschüttenden Leute interessierten mich nicht im Geringsten.
Frag' mich bitte nicht, warum mir sowas ständig auffällt: Aber wo werden die Köpfe denn hingeschüttet? [/schlechter Wortwitz]
Du meinst kopfschüttelnden Leute, nicht wahr?

Ich vollführte eine Vollbremsung und kam kurz vor ihm zum stehen.
Hmmmm... Hier bin ich nicht sicher, ob "vollführte" nicht etwas gestelzt klingt und ein einfaches "machte" es auch tun würde. Meinetwegen auch ein vergleichbares Wörtchen. Außerdem müsste "Stehen" groß geschrieben werden, oder?

Ich hatte es in vier Stunden im Internetcafé nicht geschafft, mich ins Netzwerk des FBI zu hacken.
Nein, der Satz ist so in Ordnung. Was ich hierbei anmerken wollte ist, dass der Typ in einem schlichten Internetcafé, mit lahmen Computern, vier Stunden lang sitzt und versucht das FBI zu hacken und die nicht vor der Tür stehen und ihn mitnehmen. ^^ Die Sicherheitsorkehrungen sind heutztage nicht mehr das, was sie mal waren. Normalerweise macht uns das Fernsehen doch klar, dass wir _sofort_ gefasst werden - sie sind eine höhere Macht, mit Superkraft oder so.
Nimm mich nicht zu ernst, bitte.

Ich schloss die Augen, während ich weiter fuhr und versuchte diese Gedankenstücke zu ignorieren.
Gut, "weiterfuhr" wäre möglich und nach "versuchte" fehlt ein Komma, glaube ich.

»Was macht ihr mit mir?«, will ich fragen, doch stattdessen gebe ich nur hin gemurksten Kram von mir,
Es könnte "hingemurksten Kram" heißen. Aber ich weiß nicht, ob das in dem Satz als Formulierung was her macht. "Unverständlichen Kram"? Vielleicht auch wieder nur eine Geschmackssache.

Sie war verflogen, als wäre sie Sand im Wind.
Das ist eine schöne Umschreibung. Nur, um es mal gesagt zu haben. :)

Endlich öffnete ich die Autotür und trat hinaus.
"stieg aus" würde besser passen. Aus einer Haustür kann man treten, man kommt aus einem Raum, aber bei einem Auto, finde ich, passt es nicht so gut.

»Ich rede nicht mit Toten! Verschwinde jetzt!«
Hahaha. Taylor ist toll. *.*
Ja, alles in allem eine sehr verständliche Reaktion. Irgendwie hört man den Satz "ich war auf deiner Beerdigung" ziemlich oft. Aber er ist immer wieder authenthisch.

Von hier aus waren es noch gut fünf Meilen.
Diese Angabe führt zu Verwirrung, weil oben im Text etwas von km/h steht. Du müsstest dich also für eines von beiden entscheiden: Kilometer oder Meilen.

Taylor war doch Datenanalyst, oder? Wie kommt es, dass er einen Scharfschützen Kommandos geben kann? Ich habe keine Ahnung von FBI und der Hierarchie, aber wage dies trotzdem zu bezweifeln.
Und dann ist er achtzehn?! Ui, also das halte ich doch für etwas heftig. Puh, jetzt werde ich die nächsten Jahre recherchieren, jetzt bin ich wirklich neugierig geworden. Vielleicht gibt es sowas ja, woher soll ich das wissen?

Bei der wörtlichen Rede machst du oft auch nach dem Zwischensatz ein Komma, was auch ein Punkt sein könnte oder inzwischen sogar sollte. Das ist eine dieser Reformen... du weißt schon, unsägliche vermaledeite Rechtschreibung. Ich werde niemals alles verstehen. Jedenfalls nimm ruhig weiter deine », aber das Komma irritiert mich immer wieder.
Und ab und zu bin ich mir der Zeilenumbrüche nicht sicher. Ich selbst handhabe es immer so, dass, wenn ein Chrakter beginnt zu sprechen, ich eine neue Zeile beginne. Klar, manchmal passiert das auch mitten im Fießtext oder zweimal hintereinander. Aber dennoch finde ich persönlich Zeilenumbrüche deutlicher.

Leider finde ich aber dieses Kapitel nicht so überzeugend, wir Prolog und Kapitel eins. Es liegt an dem Verhalten der beiden Männer und wie sie miteinander sprechen. Irgendwie. Ganz kann ich es nicht erklären, aber Clay macht manchmal den Eindruck, als ob er absolut keine Ahnung hat - und hier rede ich nicht von Erinnerungslücken. Hmm... trotzdem bin ich neugierig, was du weiterhin daraus gemacht hast.

~present for you~
abgemeldet
Von: abgemeldet
2011-09-15T19:54:30+00:00 15.09.2011 21:54
so~ hier bin ich wieder.
Scheinbar klappt das doch nicht alles so, wie Clay es sich vorstellt, aber es wäre ja auch langweilig, wenn es so einfach wäre ^^
Immerhin wissen wir jetzt, wie er verschwunden ist, obwohl ich es auch schwierig finde eine Person so zu verändern, dass sie wie jemand anders aussieht... aber wenn man es hier mit Profis zu tun hat...? Langsam aber sicher will ich wirklich wissen wer hinter der Sache steckt und warum dieser Jemand so versessen ist Clay verschwinden zu lassen... Und wie es Clay gelingen konnte zu fliehen, obwohl diese Typen scheinbar so scharf auf ihn sind. Ah, alles sehr spannend, so viel steht fest!
Auch Taylor ist ein interessanter Charakter und ich finde du hast esine Reaktion wirklich toll gezeigt!

Mir ist auch eine Kleinigkeit aufgefallen:
Jack Daniel´s
Bei derartigen Dingen verwendet man kein ´ (das gehört bei französischen Wörtern zB auf irgendwelche Buchstaben drauf), sondern ein ' (gleiche Taste wie die #)
also Jack Daniel's
Ansonsten ist mir nichts aufgefallen, an dem ich im Augenblick herummeckern könnte ^^
lg!
Von:  Fairytale_x3
2011-06-09T14:19:09+00:00 09.06.2011 16:19
wow. wirklich, einfach klasse.
dein flüssiger stil, deine art zu beschreiben, deine wortwahl, die handlung. einfach alles. klasse.

ein kleiner fehler ist mir dennoch aufgefallen

Ich verlor mich in den tiefen meines Verstandes.

den Tiefen ;)

inhaltmäßig hat sich mir in diesem kapitel so einiges erschlossen, trotzdem frage ich mich, wie man eine leiche so präparieren kann, das sie ihm zum verwechseln ähnlich gesehen hat, immerhin hatte er ja nur eine schusswunde, er war nicht entstellt oder so, zumindest laut dem, was ich gelesen habe.

die reaktion seines freundes fande ich persönlich super. auch wie er ihm erst mal keinen glauben schenk und denkt, er bildet sich das nur ein. hat mir sehr gut gefallen und seine reaktion war nachvollziehbar.
des weiteren hat man auch über das besagte verschwinden mehr erfahren, was ich sehr gut fande, es wirft zwar weitere fragen auf, beantwortet aber gleichzeitig auch welche und in einem gewissen maß ist das wichtig für die story um den leser nicht vor lauter fragen zu überfordern.

ehrlich gesagt kann ich auch absolut nicht verstehen, wieso die stroy scheinbar so wenig leser hat :S ich finde sie hätte viel mehr aufmerksamkeit verdient und werde deswegen auch direkt weiterlesen :)


Zurück