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Hollow Day

von

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Theft

"... und das war es, was der Autor uns mit seinem Werk letzendlich vermitteln wollte. Damit sind wir dann auch für heute durch."

Für einen kurzen Moment erfüllte das obligatorische Klopfen einiger Dutzend Hände auf Holz den Seminarraum. Dann wurden auch schon die ersten Stühle gerückt und meine Studenten wandten sich wieder einander und ihrer weiteren Tages- bzw. Abendplanung zu, während ich meinen Laptop herunterfuhr und mich schließlich ebenfalls auf den Heimweg machte.
 

Draußen war es bereits dunkel; kühler Herbstwind klammerte sich an mich und versuchte meine Jacke zu überlisten, indem er sich in die Ärmel hineinzwängte. Doch kaum dass ich meine Kopfhörer aufgesetzt hatte, ließ ich die Hände wieder in den warmen Taschen verschwinden. Der Wind rauschte beleidigt und konzentrierte sich nun auf meine langen Haare, die ich allerdings in weiser Voraussicht zu einem Zopf gebunden hatte.

Genervt gab er auf und wandte sich den umliegenden Bäumen zu.

Getragen von Beethovens Mondscheinsonate machte ich mich also wie immer auf den Heimweg - vorbei an all den düsteren Gassen und zwielichtigen Gestalten, die die Nächte in Domino Abend für Abend erneut auf den Plan riefen.
 

Ich kannte einmal jemanden, der sich um diese Zeit besonders wohl im Stadtzentrum fühlte... aber das war schon lange her. 
 

"Vorsicht, Onkel!"

Bevor ich ausweichen konnte, hatte der kleine Junge mich auch schon gerammt und stürmte mit einem lauten "Entschuldigung!" um die nächste Ecke. Nachhause zu seinen Eltern, wie ich in Anbetracht der späten Stunde hoffte.

Als ich in meiner Wohnung ankam und nach meinem Schlüssel kramte, hatte ich den Jungen längst wieder vergessen.

Ich erinnerte mich erst wieder an ihn, als ich am darauffolgenden Morgen an der Kasse des Supermarktes stand und beim besten Willen mein Portemonnaie nicht finden konnte, das ich sonst immer in meiner Jackentasche verstaute...
 

Man hatte mich beklaut.
 

Zum ersten Mal in meinem Leben hatte man mich ganz normal und klischeehaft bestohlen - und das, nachdem ich jahrelang mit einem Dieb zusammengelebt hatte.

Es war peinlich, meinen Einkauf zurücklassen zu müssen, und beinahe noch peinlicher, mich bei dem Kassierer für die Umstände entschuldigen zu müssen.

Zum Glück trug ich nie mehr Geld als nötig bei mir und dank der modernen Technik konnte der miese kleine Langfinger, dem ich das zu verdanken hatte, auch keinen Gebrauch von meiner Bankkarte machen - meine Augen, die zur Identifizierung dienten, hatte ich schließlich noch und ohne sie (bzw meine Iris) öffnete sich nicht einmal die Tür der Bank.
 

Eine Gruppe Grundschüler - 6., vielleicht auch erst 5. Klasse - versammelte sich gemeinsam mit mir an der Fußgängerampel und wartete auf Grün. Ihre inhaltslosen Gespräche schwirrten in der Luft umher wie durstige Mücken.

"Taki steht auf dich, kein Zweifel." "Eeecht? Wie cool! Er ist so irre süß..." "Warst du mal wieder bei NagNag? Die haben da jetzt eine neue Kollektion reingekriegt. Kawaii ohne Ende." "Da muss ich hin." "Ich auch!" "Wollen wir Aka mitnehmen?" "Aka? Bist du doof? Auf keinen Fall." "Sei leise, sonst hört sie uns." Schrilles Kichern.

Ich bekam Kopfschmerzen.

Die Ampel schaltete um. Ich ließ den Kindern den Vortritt - lieber wartete ich noch einmal, als ihr Gerede weiter ertragen zu müssen. Plötzlich löste sich ein Kind aus der Gruppe, blieb mitten auf der Straße stehen und drehte sich zu mir um. Ein seltsames Grinsen schlich sich auf sein Gesicht, als es in die Taschen seiner kurzen schwarzen Hose griff und mir etwas zuwarf, das ich problemlos auffing.

Mein Portemonnaie.

Bis auf das Bargeld war noch alles darin.

Als ich nach meiner flüchtigen Inspektion wieder aufblickte, war das Kind verschwunden.
 

Amane.
 

Es wurde wieder rot, ich hatte den Anschluss verpasst.

Wieso hatte dieser kleine, androgyne Taschendieb mich plötzlich an meine Schwester denken lassen?

Bis auf die dunklen Augen gab es keine Gemeinsamkeiten zwischen ihnen - und braune Augen waren schließlich alles andere als eine Seltenheit. Zumindest außerhalb meines ehemaligen Umfelds, das allerdings ohnehin zum größten Teil aus vorchristlichen Wiedergeburten und/oder Ausländern bestand.

Yugi mit seinen magentafarbenen Kulleraugen, deren Farbe vermutlich ein Gendefekt zugrunde lag, von dem auch sein Großvater betroffen war.

Kaibas stahlblaue Seelenspiegel.

Mariks Augen. Amethystfarben. Mit schwarzem MakeUp betont.

Und Anzus große, aufmerksam dreinblickende, himmelblaue Augen.

Dagegen wirkten wir... wirkte ich fast schon langweilig, wären da nicht meine silbernen Haare, auf die ich im Geheimen doch sehr stolz war. Ich hatte sie wachsen lassen, bis sie sich endlich mit einem Zopfgummi bändigen ließen.

Anders als die meisten musste ich weder auf schrille Klamotten noch auf grelle Tuben-Haarfarbe zurückgreifen, um aus der Masse zu stechen. An mir war alles echt. Und trotzdem anders.

Dieser Tatsache (gefolgt von meiner Bildung) hatte ich schon immer diverse Bewunderer zu verdanken; früher hauptsächlich weiblichen Geschlechts, heute zu fast gleichen Teilen gemischt. Nicht dass ich ein Problem mit Okama* hatte - mit Atemu, dem man seine Orientierung gar nicht anmerkte, wenn man es nicht wusste, war ich sogar mehr oder minder befreundet. Es war nur... nicht meins.
 

Kalter Wind kam auf und riss mich aus meinen immer weiter abschweifenden Gedanken; erinnerte mich daran, dass ich noch immer an der Kreuzung stand und wohl schon zum 3. Mal meine Chance, sie zu überqueren, verpasst hatte.

Auf den gigantischen Bildschirmen der mich umgebenden Hochhäuser wurde über der laufenden Werbung eine Sturmwarnung eingeblendet und wie auf Abruf jagte mir plötzliche eine kalte Böe unangenehme Gänsehaut über den Körper.

Irgendetwas würde heute passieren, dessen war ich mir sicher...

Ich spürte so etwas einfach, ob ich wollte oder nicht.
 

Elektrisches Summen und das Geräusch zahlloser Schritte.
 

Dieses Mal schloss ich mich der Menschenmenge an, trieb zusammen mit der Masse über die große Kreuzung des Dominoer Stadtzentrums, als ich aus den Augenwinkeln heraus plötzlich einen silbernen Haarschopf registrierte.

Das konnte nicht... durfte nicht...

Hastig wandte ich mich um.

Doch dort, wo ich im ersten Moment mein ehemaliges zweites Ich befürchtet hatte, stand nur ein alter Mann und lächelte sanft und weise in meine Richtung.

Ich erwiderte seine freundliche Miene und verbeugte mich leicht, ehe ich meinen Heimweg fortsetzte.
 

Nur wenige Stunden später war auch das letzte bisschen Sonne hinter einer schweren, tiefgrauen Wolkenwand verschwunden und die Bäume bogen sich ächzend im Sturmwind. Ich verfolgte das Naturschauspiel von der Fensterbank aus - in eine weiche Decke gehüllt mit einem guten Buch auf dem Schoß und duftendem Tee, der meine kalten Hände angenehm wärmte.
 

Meine Wohnung lag direkt am äußersten Zipfel des Stadtparks, an dessen andere Seite wiederum das Gelände der lokalen Grundschule grenzte, um welches sich nun zahllose Autos versammelt hatten, in die die besorgten Eltern ihre Sprösslinge drängten, um sie vor dem Unwetter in Sicherheit zu bringen.

Ich selbst hatte angesichts der Sturmwarnung beschlossen, lieber gleich daheim zu bleiben anstatt mich auf dem Weg zur Universität davonwehen zu lassen...

Ganz anders als irgend so ein armer Irrer dort draußen, der zwar wie alle anderen sein Kind abholte, jedoch als einziger ohne Auto angereist war. Wie unvernünftig konnte ein einzelner Mensch sein? Oder sollte ich besser fragen: Wie dumm?
 

Inzwischen zuckten auch schon die ersten Blitze am Himmel und tonnenschwerer Donner rollte über die Stadt hinweg.

Das bemitleidenswerte Kind, das zu diesem Verrückten gehörte, hatte bereits Schwierigkeiten sich auf den Beinen zu halten. Schließlich nahm sein Vater es huckepack, wandte sich von der Schule ab und begann, gegen den stetig an Kraft zunehmenden Wind anzurennen, als handele sich bei der ganzen Aktion um ein lustiges Spiel.

Als ich noch klein war, trug mein Vater mich auch oft auf seinem Rücken herum. Wenn ich wollte, dass er nach rechts lief, dann musste ich nur an der entsprechenden Stelle an seinem Kragen ziehen. Dasselbe bei der anderen Richtung. Zum Anhalten hielt ich ihm die Augen zu; zum Beschleunigen stupste ich mit den Fersen in seine Seiten. Wie alle Kinder genoss ich es, jemanden so herumkommandieren zu können.

Scheinbar ging es dem Sprössling des Irren genauso. Immer und immer wieder trieb die kleine Gestalt ihren Vater an und zerrte an seiner tief ins Gesicht gezogenen Kapuze, lenkte ihn gefährlich nah an den schwankenden Bäumen entlang und dachte gar nicht daran das Reiterspiel aufzugeben.
 

Nun, da die zwei etwas näher gekommen waren, vermutete ich, dass der Ältere wahrscheinlich doch nicht der Vater sondern der große Bruder war. Zumindest sprach seine recht unkonventionelle Kleidung dafür (mal abgesehen von dem kindischen Benehmen). Trotz strömenden Regens trug er Jeans und Turnschuhe und der von weitem wetterfest scheinende Kapuzenmantel hielt wohl auch nicht wirklich, was er versprach.

Ich hätte es mir gleich denken können. Kein halbwegs normaler Vater würde unter diesen Umständen Pferdchen spielen... außerdem erklärte das auch das Fehlen eines fahrbaren Untersatzes.

Wieder zog das Kind an der Kapuze und dieses Mal schaffte es es, sie seinem Spielgefährten herunterzuziehen.
 

Ich blieb stumm und trank genüsslich einen Schluck Grünen Tee, obwohl mein Herz tatsächlich für einen Moment aussetzte, als Yorus helle Mähne wie eine silberne Flamme vom Wind erfasst und zum Tanzen gebracht wurde.

Und er dies mit einem ergreifend schlichten Lachen quittierte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
* Begriffe mit einem Sternchen sind mit dem Glossar verlinkt und in diesem erklärt Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  jyorie
2013-08-07T15:11:12+00:00 07.08.2013 17:11
Hey ^_^

der Anfang klingt ein wenig danach, als ob Ryou seinen Yami vermisst?

*ggg* die Schlußfolgerung das Yugis Augenfarbe einem Gendefekt zu grunde lieg fand ich lustig.

Ich bin mal gespannt, was es in der Unwetternacht geben wird :D

CuCu Jyorie

Von: abgemeldet
2011-01-18T18:51:57+00:00 18.01.2011 19:51
Ich glaube, ich habe eben entschieden, dass ich deinen Schreibstil jetzt schon wahnsinnig gerne mag. Dabei könnte ich dir nicht mal sagen, was genau mir so gefällt, aber er reißt mich einfach mit - und das, obwohl ich momentan gerade bei deutschen Geschichten oft meine Probleme habe.

Zugegeben, ich war am Anfang etwas skeptisch, weil ich Sallow Night wirklich toll fand und mit Fortsetzungen ist das immer so eine Sache; aber es beginnt genauso klasse, wie es aufgehört hat. Obwohl im Grunde noch nicht viel passiert ist. Aber du fängst diese ganze (irgendwie unwirkliche) Sturmstimmung einfach ein. Ich hätte nie gedacht, dass ich es mal so faszinierend finden würde, Wetterbeschreibungen zu lesen. Schon merkwürdig. Du malst mit deiner Sprache und mein Kopf kratzt sich automatisch alles an Bildern und Gefühlen zusammen, die er vom letzten Sturm noch übrig hat. Und noch ein bisschen mehr. Tatsache: Aus irgendeinem Grund fühle ich mich jedesmal seltsam, wenn ich etwas von dir durchhabe (ja, ich habe schon ein bisschen weitergestöbert).

Deine Geschichten haben alle diesen Nachgeschmack, aber ich kann's wirklich nicht erklären.

Und ich finde es übrigens genauso interessant Ryou zu lesen wie Bakura. Dass du Probleme mit ihm hattest, versteckst du ziemlich gut. Und dass ich Probleme mit ihm habe, lässt sich hier (wieder mal) beunruhigend leicht ignorieren.


Fazit: Ich bin gespannt, wie's weitergeht und fange langsam an, echt neidisch zu werden ... Am Wochenende komme ich dann hoffentlich dazu, noch ein paar andere Geschichten zu kommentieren. :)

Grüße


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