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Der Neuschnee-key: Poison

von

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Hinweis: "Poison" spielt im Palast der Jahreszeiten, einem Keyfiction Setting das sich jederzeit über Interessenten und Mitleser/schreiber freut, und unter der folgenden Adresse zu finden ist: http://www.palast-der-jahreszeiten.co.cc
 

Danke! Ein riesengroßes Dankeschön geht an Tsugumi, die Poison beta-liest und dabei die ganzen Verwirrungen und Ungereimtheiten enttarnt, die mir gar nicht mehr aufgefallen sind, die sich mit obskuren Rechtschreibfehlern und Wortwiederholungen auseinander setzt, und ohne die Poison sicher nur halb so gut klänge. :)
 

Poison

Your cruel device

Your blood, like ice

One look could kill

My pain, your thrill
 

I want to love you but I better not touch (Don't touch)

I want to hold you but my senses tell me to stop

I want to kiss you but I want it too much (Too much)

I want to taste you but your lips are venomous poison

You're poison running through my veins

You're poison, I don't want to break these chains
 

Your mouth, so hot

Your web, I'm caught

Your skin, so wet

Black lace on sweat
 

I hear you calling and it's needles and pins (And pins)

I want to hurt you just to hear you screaming my name

Don't want to touch you but you're under my skin (Deep in)

I want to kiss you but your lips are venomous poison

You're poison running through my veins

You're poison, I don't wanna break these chains

Poison
 

( aus: Alice Cooper - Poison)
 

Kapitel 2
 

Antoine schreckte aus leichtem Schlaf hoch als die Kutsche hielt und hatte einen Moment lang Probleme sich zu orientieren. Trotz der warmen Felldecke fröstelte er. Draußen fiel kalter Schneeregen an dem einzele Windböen zerrten. Vielleicht die höhere Berglage, mutmaßte er und brachte sich damit gleichzeitig in Erinnerung, wo er sich befand.

„Willkommen im Palast der Jahreszeiten, Monsieur Rigot!“ Der Kutscher öffnete dienstbeflissen die Tür und deutete eine Verbeugung an.

„Ich danke Ihnen“, sagte Antoine und forschte hastig in seiner Geldbörse nach einigen Münzen. Um Gottes Willen, der Kutsche nach zu urteilen würde das, was der Mann normalerweise an Trinkgeldern erhielt das, was Antoine ihm anbieten konnte lächerlich aussehen lassen, doch irgendwie mußte er noch seine Rückfahrt finanzieren – und viel mehr hatte er in seiner grenzenlosen Naivität, von der er mittlerweile überzeugt war, nicht mitgenommen. So drückte er beschämt dem Mann einige Franc in der Hand, halb in der Erwartung, ausgelacht zu werden. Stattdessen jedoch verbeugte der Mann sich ein weiteres Mal mit freundlichem Lächeln. „Vielen Dank Monsieur. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.“

Der Livrierte griff nach Antoines Koffer und deutete einladend voran. „Ich bringe Sie zum Portal“, sagte er höflich und setzte sich in Bewegung. Antoine atmete tief durch, folgte ihm um die Kutsche herum – und erstarrte in der Bewegung.

Was er sich unter dem Palast der Jahreszeiten vorgestellt hatte, konnte er nicht sagen. Mit Sicherheit jedoch nicht das, was hell erleuchtet in der Dunkelheit vor ihm lag. Mit einem hübschen kleinen Château hätte er vielleicht umgehen können. Das was sich dort allerdings an einen Hang eines Ausläufers des Zentralmassivs schmiegte war in der Tat kein kleines Château. Wenn überhaupt war es ein ziemlich großes Château. Ein ziemlich großes, mit zahlreichen, oft hell erleuchteten Fenster, kleinen Türmchen, kunstvoller Stuckarbeit und einer Vielzahl von Schornsteinen, die sich über eine derart schiere Fläche verteilten, daß ihm schwindelig werden wollte.

Benommen von dem Anblick dessen, auf das sein Koffer gerade so selbstverständlich zugetragen wurde, stolperte er dem Portal entgegen, das sich auf ein stummes Signal hin öffnete und den Blick freigab auf eine kaum weniger beeindruckende Halle und eine breite, mit weichem Teppich ausgelegte Treppe.

„Ihr Koffer, Monsieur Rigot.“ Der Mann verneigte sich auf der Schwelle zum Portal und verschwand, noch ehe Antoine sich aus seiner Überwältigung reißen konnte um auch ihm ein Trinkgeld zukommen zu lassen.

„Willkommen im Palast der Jahreszeiten, Monsieur“, riss ihn eine neue Stimme aus der Überrumpelung. Sie gehörte zu einer drallen, resolut wirkenden Frau mittleren Alters in einem gut geschnittenen Kleid, die ihm freundlich zunickte und einladend ins Innere der Halle deutete, ehe sie das schwere Portal hinter ihm schloss und das ungemütliche Wetter aussperrte.

Stumm sah Antoine sich um. Zwei mannshohe Kamine sorgten für behagliche Wärme in der Halle, die von einer Rezeption dominiert wurde, die ihn an ein großes Hotel erinnerte – und auch die geschmackvollen Sitzgruppen und ein freundlicher Zimmerbrunnen im Zentrum der Halle trugen ihren Teil zu diesem Eindruck bei.

„Wenn Sie mir folgen würden, Monsieur...?“ die Frau warf einen knappen fragenden Blick über die Schulter und lenkte ihre Schritte in Richtung der Rezeption.

„..Rigot“, ergänzte Antoine hilflos und trottete mit seinem Koffer und seiner Reisetasche hinterher. Nichts an der Frau vermittelte den Eindruck, er befände sich in dem exklusivesten Freudenhaus Frankreichs, hätte er sie auf der Straße angetroffen, er hätte sie bedenkenlos in Richtung eines teuren Hotels oder ausgewählten Restaurants zugeordet, nicht hierher.

Doch nichts an diesem Palast der Jahreszeiten vermittelte, streng genommen, den Eindruck ein Freudenhaus zu sein, ein gehobenes Bordell, doch nichtsdestotrotz ein Etablissement körperlicher Genüsse. Seine eigene, genauere Definition des Palastes trieb ihm die Röte in die Wangen. Er war mit Sicherheit nicht prüde, doch was in drei Teufels Namen ihn dazu gebracht hatte, drei Wochen an diesem Ort sein zu wollen war ihm plötzlich schleierhaft. Es war verrucht und inakzeptabel.

Vielleicht nicht ganz so inakzeptabel. Über die Gallerie, die sich der Treppe in der Halle anschloss, ging soeben ein Mann dessen Kleidung und Haltung verrieten, daß er zweifelsfrei aus besten Kreisen stammen mußte. Neben ihm lief ein jüngerer Mann dessen ausnehmend angenehmes Äußeres Antoine neuerlich erröten ließ, als eine Ahnung ihn überkam. Heilige Maria Mutter Gottes. … falls du hiermit etwas zu tun haben willst, dachte er und stoppte an der Rezeption, hinter der ein Herr der die sechzig sicher bald überschreiten würde in wohlgeschneiderter Livree eben ein schweres, in Leder gebundenes Buch aufschlug.

„Monsieur Antoine Rigot...“, sprach er. Die Frau die zu ihm getreten war nickte beipflichtend.

„Das wäre dann der Neuschnee-key, wenn ich nicht irre? Für drei Wochen?“

Drei Wochen. Drei Wochen! Es war jenseits seiner Vorstellungskraft.

„Monsieur Rigot?“

„Wie? Oh, verzeihen Sie. Ja. Drei Wochen. Ich habe hier irgendwo...“ Hastig öffnete er seine Reisetasche und forschte unbeholfen nach dem Samtkästchen, raschelte mit Butterbrotspapier und verlor beinahe den Umschlag mit seinem Zugticket. „Hier... hier.“, murmelte er endlich erleichtert und schob die Schatulle über den Thresen.

Mit freundlichem Lächeln griff die Frau danach, öffnete es und warf einen fachkundigen Blick auf den darin befindlichen Schlüssel. Das Licht der Gaslampen die die Rezeption in freundliches Licht tauchten fing sich im Bergkristall der den Schlüssel schmückte und brachte ihn zum Glitzern. Antoine fühlte, wie sein Herz schneller zu schlagen begann - und es war weniger frohe Erwartung als Nervosität der Auslöser.

„Der Schlüssel zur Neuschnee-suite,“ bestätigte die Frau und schloss die Schatulle sanft. Der Mann notierte etwas in seinem Buch ehe er lächelnd aufsah. „Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in unserem Hause. Catherine hier wird Sie sofort zu Ihrer Suite führen. Um Ihr Gepäck wird sich jemand kümmern. Es ist spät, und Sie hatten eine lange Reise hinter sich – wünschen Sie vielleicht noch eine Kleinigkeit zu essen?“

Eilig winkte Antoine ab, obgleich sein Magen sich auf das Stichwort hin lautstark zu Wort meldete. „Nein, nein, danke“, murmelte er, und wünschte sich nichts sehnsüchtiger als aus dieser Halle zu verschwinden, in der er sich wie auf dem Präsentierteller fühlte, und irgendeine Tür hinter sich zu schließen. „Ich habe noch Proviant.“

Wie unpassend Proviant für einen Gast des Palastes der Jahreszeiten sein mußte dämmerte ihm erst, als Catherine und der Mann hinter der Rezeption sich einen kurzen Blick zuwarfen, doch das beinahe mütterliche Lächeln, das Catherine ihm unmittelbar darauf schenkte hielt seine peinliche Berührtheit in Grenzen. „Folgen Sie mir doch bitte.“
 

Seveil rückte seinen Kragen zurecht, warf einen letzten Blick durch den Raum und positionierte sich dezent an der Tür zwischen Wohnzimmer und Vorraum, als das leise Klingeln, das über die überall im Palast positionierten Seilzüge weitergeleitet wurde, ihm mitteilte, daß sein neuer Holder eben im Palast eingetroffen war und jeden Moment den Schlüssel in der Tür zu seiner Suite drehen konnte.

Er hatte seit dem Vormittag seine Kleidung gewechselt. Statt der bequemeren Tweedhose trug er nun eine weich fallende Hose aus ausnehmend teurem Material und ein Seidenhemd, das seine Figur ausgezeichnet betonte. Das schwarze, schulterlange Haar hatte er im Nacken mit einem schlichten Samtband zusammen gefasst, er fühlte sich ausreichend vorbereitet, seinem neuen Holder gegenüber zu treten.

Ein gewisses flaues Gefühl in der Magengegend konnte er auch nach all den Jahren im Palast nicht vollständig verleugnen, wann immer ein neuer Holder angekündigt wurde. Vielleicht war es die Ungewissheit. Die meisten Besitzer seines Schlüssels waren nicht die Menschen, mit denen er tiefere Freundschaft zu schließen wünschte, doch manche waren symphatischer als andere. Und insbesondere jene, die er weniger erfreulich fand, galt es in den ersten Minuten für sich einzunehmen. Nichts übertünchte den mangelden Wunsch, sich mit jemandem zu unterhalten so angenehm wie guter Sex, und bisher hatte er noch jeden rasch davon überzeugen können, daß mit ihm das Bett zu teilen eine erstrebliche Sache war.

Andererseits blieb dieser Holder drei Wochen, und man konnte nicht gut drei Wochen im Bett verbringen und sich der körperlichen Liebe hingeben, ob man es wollte oder nicht. Daß ein Holder derart lange blieb war selten, und die Erfahrungen die er persönlich mit langen Aufenthalten gemacht hatte waren im Großen und Ganzen unerfreulich verlaufen. Früher oder später wurde es schwer, einem arroganten oder anderweitig unsymphatischen Menschen die Meinung über ihn zu verschweigen. Doch was wollte man machen.

Seveil lauschte. Draußen heulte der Wind um den Palast, fuhr unter lauten Klagelauten in die Kamine und ähnelte einer Horde ruheloser Seelen die versuchte, ins Innere des Gebäudes vorzudringen. Graupelschauer klatschten immer wieder gegen die Scheiben der bis zum Boden reichenden Fenster. Nur das Feuer, das verheißungsvoll im Kamin knisterte, schuf eine etwas behaglichere Atmosphäre. Es war ein widerliches Wetter, und sein neuer Holder war den ganzen Tag auf Reisen gewesen.

Ein kurzer Blick auf seine Taschenuhr bewies Seveil, daß es nach elf Uhr Abends war. Im Zweifelsfalle würde sein Gast baden wollen – das war ihm nicht zu verdenken, bei den Zuständen draußen. Seveil hatte seinen Garten seit Tagen nicht mehr betreten, Regen und Graupel hatten den Rasen aufgeweicht und zu einem wahren Schlammfeld gemacht, und immer wieder rissen stürmischen Böen an den Ästen und Zweigen der Bäume.

Endlich näherten sich Schritte auf dem Korridor. Seveil räusperte sich einmal, strich über seine Hose, legte die Hände auf dem Rücken zusammen und beobachtete die Tür, hinter der in diesem Moment Schritte verharrten.
 

Ein letztes Mal lächelte Catherine ihm zu, als sie Antoine vor einer düsteren Tür zurück ließ, die ihm alles andere als anheimelnd erschien. Dem dunklen Holz schien etwas Unheilvolles zu Eigen, und es kam ihm vor, als sähe die Tür selbst auf ihn herab. Unvermittelt überkam ihn der Drang, umzudrehen und den Palast auf schnellstem Wege zu verlassen. Doch das war albern, überdies fuhren des Nachts keine Züge mehr ab, und in dieser Suite befand sich mit Sicherheit ein bequemes Bett, vielleicht gar eine Badewanne, in jedem Falle aber ein gemütlicher Kamin. Und außerdem der Key, eine Person, die für ihre Anwesenheit gut bezahlt würde. Ganz sicher niemand, vor dem nervös zu sein es Grund gab.

Mit unsicherer Hand als ihm lieb war tastete Antoine nach dem Schlüssel und steckte ihn wacklig ins Schloss. Du liebe Güte, schalt er sich selbst, nimm dich etwas zusammen. Es war doch kein Staatsakt, zu dem er hier aufbrach. Hatte er nicht eben heute morgen noch so darauf beharrt, wie ungemein erwachsen er war? Also.

Dreimal klickte das Schloss, dann sprang es auf. Antoine hielt die Luft an und drückte gegen die Tür.
 

Kaum merklich verengte Seveil die Augen, als das Schloss aufsprang. Ungewöhnlich vorsichtig wurde die Tür aufgeschoben. Die meisten Holder nahmen ihren temporären Besitz sehr schwungvoll ein. Manche nur die Räumlichkeiten, andere auch ihn. Er hatte wenig Einwände. Beim Sex lernte man mehr über Menschen als in einem Gespräch gleicher Länge, und obgleich die Erkenntnisse daraus nicht oft über höfliche Neutralität hinausgingen, haftete dem Ganzen immerhin der positive Nebeneffekt körperlicher Freude an.

Der Eintritt dieses Holders allerdings versprach ein Abweichen von der Gewohnheit. Erst schob sich eine Reisetasche durch die Tür, dann der dazugehörige Arm in einem guten Mantel. Der Besitzer des Arms folgte zögernd, obgleich Seveil seine Bewegungen nicht als schüchtern bezeichnen würde. Schließlich stand ein junger Mann im Vorraum der Suite, dessen Augen rasch durchmaßen, was sie sahen, und bei Seveil verharrten. Dieser neigte mit der höflichen Selbstsicherheit, die er sich bereits in seiner Zeit vom Küchenjungen bis zum Diener an zwei verschiedenen fürstlichen Höfen angeeignet hatte, den Kopf.

„Willkommen in der Neuschnee-suite. Mein Name ist Seveil.“, sagte er, richtete sich wieder auf, und musterte den Holder unauffällig. Tatsächlich entsprach er nicht ganz der Vorstellung, die er gehabt hatte. Gute Kleidung, doch keineswegs von übertriebener Fertigung. Aufrechte Haltung, obwohl er für den Moment unsicher wirkte. Ein offenes Allerweltsgesicht, hübsche Augen, eine Nase bei der es der Schöpfer großzügig gemeint hatte, ein schmaler, wohlgeformter Mund. Das braune Haar war sorgfältig geschnitten.

Einen Moment schwieg der junge Mann, dann beeilte er sich, das höfliche Nicken zu erwiedern. „Es freut mich, Sie... di... Sie kennen zu lernen. Antoine Rigot.“

Es zuckte um Seveils Mundwinkel. Es war schwer zu sagen was oder wie dieser Rigot war. Nervosität war kein Beweis, daß ein Holder sich nicht doch als herablassender Wichtigtuer erwies, sobald er sich einmal eingewöhnt hatte, und wenn Seveil eines nicht leiden konnte, dann Menschen dieses Schlages. Leider traf man sie unter Reichen allzu häufig an, oder doch zumindest unter jenen Reichen, die ihren Reichtum mit Vorliebe zeigten. Und viele davon fanden sich im Palast wieder. Aber abwarten.

Seveil verharrte im Türrahmen, drehte sich jedoch halb herum und deutete einladend in den Wohnraum. „Treten Sie ein, Monsieur Rigot. Ich hoffe, Ihre Reise war nicht zu beschwerlich.“
 

Antoines Blick haftete an dem jungen Mann mit den schwarzen Haaren und dem abschätzenden Blick der ihm gegenüberstand, und versuchte seine Gedanken zur Ruhe zu bringen. Der Neuschnee-key sah gut aus. Natürlich, das war im Zweifelsfalle die oberste Vorraussetzung, um eine Stellung im Palast der Jahreszeiten zu bekommen, doch ein derart angenehmes Äußeres hatte er nicht erwartet. Die Gesichtszüge Seveils waren von ausnehmend edlem Schnitt, die dunklen Augen hinter geschwungenen Wimpern ruhten aufmerksam auf ihm.

„Treten Sie ein, Monsieur Rigot. Ich hoffe, Ihre Reise war nicht zu beschwerlich.“

Seveils Arm in einem Seidenhemd, das seine schlanke Gestalt einen Hauch mehr betonte, als es üblich sein konnte, deutete in den hinteren Raum ohne auch nur einen Zentimeter aus dem Türrahmen zu weichen.

Antoine zögerte, dann nannte er sich einen albernen Kindskopf. Die kleine Reisetasche vor sich herschiebend trat er an Seveil vorbei. Sein Mantel streifte das feine Seidenhemd und ein leichter, schwer zuzuordender Duft stieg ihm in die Nase. Dann war er an Seveil vorbei und stand in einem Raum, der ganz genau dem entsprach, was er sich beim Anblick des Palastes vorgestellt hatte.

Seidentapeten und schwere Samtvorhänge prägten das Bild des weiten Raumes, in dem eine angenehme Wärme herrschte, das Mobiliar, die weichen Teppiche auf den Holzbolen des Bodens, selbst die dekorativen Grünpflanzen, alles war von einem unaufdringlich aber entschieden exklusiven Stil der auch mit dem ansehnlichen Haus seines Vaters kaum zu vergleichen war.

„Ich werden Ihren Mantel nehmen“, sagte Seveil, dessen Stimme tiefer war, als man auf den ersten Anblick hin vermutet hätte. Daß der Mann, der vermutlich nur einige Jahre älter war als er, herangetreten war, hatte Antoine in seinem Staunen über die Räumlichkeiten nicht bemerkt, seinen Schreck überspielte er mit einem Räuspern als er die Tasche abstellte. Er fegte imaginären Staub von seinem Mantelärmel ehe er es wagte, den Blick wieder zu heben. Braune Augen hielten ihn fixiert, und er war sich nicht sicher, was in diesem Blick lag. Dann hoben sich Seveils Mundwinkel einen Deut zu einem Lächeln, das irgendwo zwischen Belustigung und Höflichkeit lag.

„Darf ich?“ Gepflegte Hände halfen Antoine, sich aus seinem Mantel zu winden.

Während Seveil im Vorraum mit einem Kleiderbügel klapperte, verspürte Antoine das Bedürfnis, sehr tief durchzuatmen. Worauf hatte er sich nur eingelassen! Bis zu seiner Ankunft hatte die Vorstellung des Palastes etwas romantisches an sich gehabt, etwas wärmendes, etwas perfektes, wie es nur in Träumen und Vorstellungen bestehen konnte. Und obwohl der Palast, die Suite, und dieser Mann, der für drei Wochen mit ihm die Suite teilen würde tatsächlich allen Wünschen genügten – anders war es gar nicht möglich – fühlte Antoine sich unwohl. Er stach hervor aus dem Umfeld und fühlte sich unbedeutend, schlecht angezogen und wie ein Fremdkörper, und überdies war es der Wahnsinn, hierzusein. Was wurde überhaupt von ihm erwartet? Was tat ein Key-holder – diese Bezeichnung war offenbar üblich – nach seiner Ankunft?

Antoine schielte über die Schulter zur Tür in den Vorraum, aus dem Seveil eben heraustrat, sein Körper schlank und geschmeidig ohne ins Zerbrechliche oder, noch schlimmer, Dürre zu gehen. Er strahlte etwas aus, das Antoine nicht zuzuordnen wusste, und es löste zutiefst widersprüchliche Gefühle bei ihm aus. Er konnte schlecht verleugnen, daß er sich in gewisser Weise angezogen fühlte, auf eine ganz und gar anrüchige Weise um genau zu sein, eine Weise, die ihm hochgradig unangenehm war. Das andere Gefühl war simpel und grundsätzlich und übermächtig. Er wollte fort. Möglichst gleich. Er sollte nicht hier sein. Das hier war eine Welt in die er nicht gehörte, die nicht zu seinem Leben passte und ihn trotz der überwältigenden Atmosphäre die ihn umgab beunruhigte.

Es änderte nichts an der Tatsache, daß er nunmal doch hier war, und sich zusammenzureißen hatte. Im Gerichtssaal hatte er auch schon beängstigenden Tatsachen und Menschen gegenüber gestanden, und er hatte sich verhältnismäßig gut geschlagen. Also, nimm dich zusammen Antoine. Man musste nicht selbstsicher sein um selbstsicher zu wirken, und je sicherer man aussah, desto leichter wurde es, sicher zu sein.

„Es ist wirklich schön hier“, bemerkte er also, nur um unmittelbar darauf festzustellen, daß dieser Satz einer der lächerlichsten aller Zeiten sein musste, zumindest nicht geeignet, ihn sonderlich intelligent wirken zu lassen.

„Es freut mich, wenn Ihnen die Suite zusagt“, erwiderte eine Stimme dichter an seinem Ohr als Antoine erwartet hätte. Er fuhr herum, zwang ein Lächeln auf seine Züge das ihm dümmlich erschien – und wusste nicht, was er sagen sollte. Daß gerade in diesem Moment ein helles Glöckchen nahe der Tür zu läuten begann, erschien ihm wie ein gnadenvoller Fristaufschub. Der gutaussehende Mann wandte sich um.

Zögernd griff Antoine wieder nach seiner kleinen Reisetasche, und sei es nur, um sich daran festzuhalten, als er weiter in den Raum hinein trat. Zwei Türen an der linken Wand waren von ähnlicher, düsterer Machart wie die Eingangstür. Während die vordere der beiden Türen verschlossen war, hatte jemand die zweite lediglich angelehnt. Sie gab den Blick frei auf ein Gemach, in dem Antoine vorerst nur ein Bett ausmachen konnte, ein Bett von solchem Prunk, daß er meinte, dem Reichtum Louis XVI. gegenüber zu stehen. Darin zu schlafen musste wundervoll sein.

Darin zu schlafen. Er fühlte Hitze in seine Wangen steigen. Er hatte ganz lapidar bei sich gedacht, es sei ganz sicher leicht möglich, bestimmte Angebote des Palastes nicht anzunehmen, doch genau das war es doch, wofür dieser Ort existierte, das war es, worauf das fürstliche Bett im Nebenraum wartete, und das war es, ob er es im Sinn gehabt hatte oder nicht, wofür sein Schlüssel bezahlt worden war.

Hilflos fuhr Antoine sich mit einer Hand über das Gesicht und trat an eines der bis zum Boden reichenden Fenster. Das unerfreuliche Wetter verhüllte bereits seit Tagen den Mond und ließ den Nachthimmel zu nichts weiter werden als einer drohenden schwarzen Masse. Nur selten gelang es dem späten Novembersturm die Wolkenfetzen auseinander zu reißen und für wenige Momente den Blick auf die Sterne freizugeben.

„Der Koffer ist da“, sagte Seveil aus Richtung der Tür.

„Oh. Ja.“ Antoine löste sich aus seiner Starre und setzte sich eilends in Bewegung um dem Key den Koffer mit entschuldigendem Lächeln abzunehmen. Ihre Hände streiften sich.

„Entschuldigung“, murmelte Antoine, die Tasche in der einen, den Koffer in der anderen Hand, wie ein Reisender am Pariser Hauptbahnhof. Ein überraschter Blick aus dunklen Augen traf ihn.

Der oberste Knopf Seveils Seidenhemdes war geöffnet, bemerkte Antoine in einem Zustand nebliger Distanz. Als er realisierte, daß er sein Gegenüber unhöflich anstarrte sah er auf, nur um erneut auf dunkelbraune Augen zu treffen, deren Ausdruck er zusehends schwerer zu deuten fand.

Vermutlich stumme Belustigung über einen derart konfusen Holder! Unter Einsatz schierer Willenskraft gelang es Antoine, sich aus seinen sämtlichen, reichlich seltsamen, wie er fand, Gedanken zu reißen, Koffer und Tasche rigoros neben dem mächtigen Holztisch abzustellen und sich forsch umzusehen – oder doch zumindest bemüht forsch.

„Ob es wohl möglich wäre, ein Bad zu nehmen?“, fragte er und fühlte sich reichlich unbescheiden und schlecht erzogen, obwohl die Frage nach einem Bad bei dem Wetter naheliegend war und er nicht der erste Holder sein konnte, der die Suite mit irgendwelchen Wünschen erstürmte.

„Selbstverständlich.“ Seveils Stimme verriet nichts über seine Gedanken, als er knapp nickte und die zweite Tür des Raumes einladend öffnete. „Wünschen Sie...“

„Nein, nein, danke!“, wehrte Antoine ab ehe er noch hörte, was er hätte wünschen können.
 

Der Schlüssel ruckelte im Schloss als schlösse jemand das Badezimmer ab der sich auf der Flucht befand und vor Angst kaum Herr seiner Gliedmaßen war. Irritiert sah Seveil Antoine nach. Als sein Holder, dem einsetzenden Plätschern nach zu urteilen, die modernen Wasserleitungen für sich entdeckt hatte, wandte Seveil sich kopfschüttelnd um. Du liebe Güte. Wüsste er es nicht besser – immerhin war Antoine Gast im Palast der Jahreszeiten, also konnte man annehmen daß er wusste, was es damit auf sich hatte – man hätte beinahe annehmen können, daß die Situation ihn überforderte. Vielleicht hatte er sich mit seinem Aufenthalt hier auch lediglich etwas beweisen wollen. Er hatte mehr als einmal halbstarke Holder gehabt, deren Anwesenheit das Ergebnis einer zweifelhaften Mutprobe im Zusammenhang mit einem verwöhnten Freundeskreis gewesen war.

Andererseits war Antoine durchaus nicht als Halbstarker zu bezeichnen. Er war jemand, vielleicht nicht vom Range einer tatsächlichen Bekanntheit, einer Person, der zu Empfängen und Gesellschaften eingeladen wurde, aber zumindest wirkte er durchaus wie ein junger Mann, der im Normalfall mit zwei Beinen fest am Boden stand. Umso weniger passte dieser Auftritt zu ihm.

Allerdings waren fünf Minuten zu wenig, um sich ein wirkliches Bild von ihm zu machen. Genauso gut konnte es sich eben doch um einen Schnösel handeln, der angesichts der Umgebung des Palastes die Fassung verlor, und wenn er sie wiedererlangt hatte erneut zu dem wurde, was man ihm jetzt nicht angesehen hatte.

Seveil griff nach dem Reisekoffer und trat damit in das Schlafzimmer. Die Tasche sollte Antoine besser selbst auspacken, wer wußte schon, was für persönliche Gegenstände er mit sich trug.

Es waren durchweg Kleidungsstücke guter aber solider Qualität, die Seveil dem Koffer entnahm und ordentlich in die freien Fächer des Kleiderschrankes räumte, der trotz seiner Größe im Vergleich zum prunkvollen Doppelbett schmal und unscheinbar wirkte. Hemden, Hosen, Westen, ein altmodischer Seidenschal, Krawatten, Unterwäsche, gewaschen, geplättet, wie es sich gehörte, aber definitiv nicht von einem jener exorbitant teuren Schneider, derer man sich im Adel bediente, ebenso wenig in den Kreisen, in denen man mehr auf sich zu halten pflegte als gerechtfertigt war. Schal und Handschuhe schließlich, zwei Bücher der Rechtskunde – ein erster Hinweis auf Antoine Rigots Hintergrund. Nachdenklich spitzte Seveil die Lippen.

Im Badezimmer, auf der anderen Seite der Wand, verstummte das Wasserrauschen. In den Leitungen gurgelte es kurz, dann plätscherte es gedämpft hinter der Wand, als Antoine offenbar das in den Boden eingelassene Wasserbecken, das ungleich annehmlicher war als eine normale Badewanne, stieg.
 

Antoine ließ sich in das dampfende Wasser gleiten und schloss die Augen, als es warm über ihm zusammenschlug und winterliche Kälte und den Aufruhr in seinen Gedanken gleichermaßen vertrieb. An die Badeöle in teuren Flakons, die auf einem Wandregal über dem Wasserbecken standen, wagte er sich nicht, doch selbst das einfachste Stück Seife, das hier zur Verfügung stand, war von einem betörenden und doch unaufdringlichem Duft, wie es daheim eine Seltenheit zu hohen Feiertagen war.

Wenn man die Möglichkeit hatte zu baden erschienen alle Probleme der Welt weiter entfernt. Dabei hatte er, streng genommen, gar keine Probleme. Welcher seiner früheren Kommilitonen, oder gar seiner heutigen Kollegen, konnte von sich behaupten, in dem Luxus zu schwelgen, in dem er sich gerade befand? Geradezu vorsichtig tauchte Antoine die Seife ins Wasser.

Überhaupt hatte er, nachdem er den Schlüssel in der Badezimmertür herumgedreht hatte und zur Ruhe gekommen war, nicht mehr nachvollziehen können, was ihn zu einer derart panischen Flucht bewogen hatte. Er war zu alt um in einem Etablissement wie diesem die schockierte Jungfrau zu geben, obwohl er noch nie engeren Kontakt mit Bordellen, Freudenhäusern oder auch nur freizügigen Bars gehabt hatte, und obwohl seine ‚praktischen Erfahrungen’ äußerst beschränkt waren. Äußerst beschränkt in der Tat. Ungeachtet dessen konnte man kaum auf den Gedanken kommen ihn als unschuldsvoll zu bezeichnen, und folglich gab es keinen Grund, sich im Palast der Jahreszeiten unwohl zu fühlen. Zudem hatte sich an seinem Plan, die weiteren Vorzüge der Suite nicht zu nutzen, nichts geändert. Der Neuschnee-key würde darüber mit Sicherheit auch erleichtert sein. Im Zweifelsfalle, bei seinem Äußeren, hatte er im Normalfall viel Beschäftigung, wenn ein Holder zu Gast war. Und es war ja nur verständlich, immerhin...

Antoine riss sich gewaltsam aus seinen eigenen Gedankengängen als sie drohten, Richtungen anzunehmen die ihm nicht behagten. Offenbar stiegen ihm die Wärme und der Duft der Seife zu Kopf! Entschlossen begann er, sich mit dem zarten Seifenschaum zu waschen ohne ihm den gebührenden Respekt zu zollen, tauchte einmal ganz unter und öffnete schließlich den Abfluss. Er fröstelte, als er aus dem warmen Becken stieg und sich in eines der großen Handtücher hüllte, die im Bad bereit lagen.
 

*
 

Jaques Leclerc lächelte müde, als Sabatiers Mittelsmann die Kaschemme verlassen hatte, in der Leclerc sich bei einem billigen Glas Rotwein über den Abend zu trösten versuchte. Der Mann war sichtlich erschrocken, als er den nicht mehr ganz so gesuchten Verbrecher zu Gesicht bekommen hatte – nicht, weil Leclerc eine dieser unangenehmen Spukgestalten von Schläger gewesen wäre, derer es wahrhaftig zu viele in dieser Gegend von Paris gab, sondern weil das Gegenteil der Fall war, und sich ein Mensch, der sein ganzes Leben lang nicht über egoistische Betrügereien zugunsten eines ohnehin schon nennenswerten Vermögens heraus gekommen war, sich nur schwer vorstellen konnte, daß Leclerc gefährlich sein konnte.

Mit dürren Händen schob er sein Glas wieder über den Tresen. „Noch eins“, brummte er und blätterte nachdenklich durch die drei eng mit Schreibmaschine gefüllten Seiten. Nicht zu verachten, Sabatier konnte sich eine Schreibmaschine leisten und jammerte da über eine verlorene Betrügerei. Der Mann hatte nie im Leben Hunger oder Kälte gelitten, da war er sich sicher, hatte nie die Schattenseiten der Großstadt kennen gelernt – und auch nicht die Geheimnisse, die tief im Dunkeln dieser Schatten ruhten.

Einen jungen Mann galt es, höflich ausgedrückt, davon zu überzeugen, seine Profession zu wechseln. Für den Fall, daß er sich dazu nicht durchringen konnte, wurde sein spontanes Ableben gefordert. In der Tat, Sabatier hatte Leclerc, zu dem er bis heute nur schriftlichen Kontakt gehabt hatte, ganz sicher eher für einen Schläger gehalten, für jemanden, der sich mit seinen Fäusten und vielleicht noch entsprechender Bewaffnung Gehör zu verschaffen wusste.

Leclerc war sich ziemlich sicher, daß seine Fäuste im besten Falle mitleidiges Lächeln auslösten. Dafür verstand er sich auf andere Dinge, und der alternative Plan in Sabatiers Auftrag lag ihm entschieden mehr. Es gab wundervolle Substanzen auf Gottes Erdboden, ob in der Natur oder vom Menschen verfeinert oder gar kreiert, und es war eine Kunst sie zu nutzen. Nichts war stilvoller, nichts war von größerer Anmut als eine köstliche Dosis tödlichen Giftes, wenn es schleichend, sanft und doch voller Unbeirrbarkeit das Leben aus einem Körper zog, der ihm hilflos ausgeliefert war und unter der Einwirkung seiner Kunst hilflos zuckte wie eine im Todestanz begriffene Marionette.

Die Bezahlung war gut, Sabatier schien keinen Unterschied zu machen, ob der junge Mann ihm aus dem ein oder anderen Grund nicht mehr begegnen würde, und es war gemeinhin leichter, mit Gift zu töten als mit Gift zu erpressen. Doch vielleicht fiel ihm etwas Nettes ein. Wenn nicht so hatte er eine exquisite Auswahl, diesen Antoine Rigot zu seinem nächsten Kunstwerk zu machen.
 

~ wird fortgesetzt ~



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Wolkenfee
2011-01-06T19:43:40+00:00 06.01.2011 20:43
Hallo!
So, ich bin mal dazu gekommen, das zweite Kapitel zu lesen.
Ich finde Seveil übrigens einen sehr schönen Namen, hatte ich ganz vergessen, zu erwähnen.
Antoines Nervosität ist niedlich.
Ich mag deinen Stil, aber das sagte ich schon.
LG, Fee


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