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With fairytale through the year

von

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Winterzauber: October part 1

Die Ordnung ist Zeichen eines guten Gemeinwesens

und nicht Ursprung seiner Stärke.

Antoine de Saint- Exupéry
 

Um fünf Uhr achtundzwanzig war die Nacht für Rose zu Ende. Die Chaosbraut rief an – schon wieder. Bereits gestern Abend hatte sie schon zweimal angerufen.

“Ich hatte einen Traum”, berichtete sie Rose, die mit ihrem Handy im Dunkeln lag.

“Einen Traum?”

“Einen irren Traum. So real, so eindringlich, so bunt und voller Leben! Ich bin sicher, das hat etwas zu bedeuten. Ich will gleich sofort einen Termin bei meiner Wahrsagerin machen, aber ich wollte zuerst mit ihnen darüber sprechen.”

“Okay.” Mit geübtem Griff dimmte Rose ihre Nachttischlampe herunter. “Worum ging es in dem Traum, Sabina?”, fragte sie, während sie Block und Feder nahm, die bereits neben der Lampe bereitlagen.

“Um Alice im Wunderland.”

“Sie haben von Alice im Wunderland geträumt?”

“Genauer gesagt von der Teegesellschaft beim verrückten Hutmacher.”

“Disney oder Tim Burton?”

“Was?”

“Nichts.” Rose schüttelte ihr Haar zurück und notierte sich Stichpunkte. “Erzählen sie weiter.”

“Also, es gab Musik und ein großes Festmahl. Ich war Alice, aber ich hatte mein Brautkleid an, und Chase einen Stresemann, indem er einfach umwerfend aussah. Die Blumen – oh –, die waren fantastisch, und sie haben alle gesungen und getanzt. Alle waren so glücklich, haben uns zu geprostet und applaudiert. Angelica war als Rote Königin angezogen und hat Flöte gespielt.”

Rose notierte sich EBJ für Angelica, die Erste Brautjungfer, und schrieb dann weitere Teilnehmer der Hochzeitsgesellschaft auf. Den Trauzeugen des Bräutigams als weißes Kaninchen, die Mutter des Bräutigams als Grinsekatze, den Brautvater als Märzhase.

Rose fragte sich, was Sabina vor dem Schlafengehen wohl gegessen, getrunken oder geraucht hatte.

“Ist das nicht faszinierend, Rose?”

“Auf jeden Fall.” Genau wie das Muster der Teeblätter, das über die Farben der Braut entschieden hatte, das Tarot-Orakel, durch welches das Ziel für die Flitterwochen vorausgesagt worden war, die Numerologie, die einen Hinweis auf das einzig mögliche Hochzeitsdatum gegeben hatte.

“Ich denke, vielleicht sagen mir mein Unterbewusstsein und das Schicksal, dass ich meine Hochzeit mit dem Thema Alice im Wunderland feiern sollte. Mit Kostümen.”

Rose schloss die Augen. Zwar hätte sie sofort zugestimmt, dass die Teegesellschaft des verrückten Hutmachers wie die Faust aufs Auge zu Sabina passte, doch bis zur Feier waren es nicht einmal mehr zwei Wochen, und die Dekoration, die Blumen, die Torte und die Desserts, die Speisefolge – alles nur Denkbare war bereits festgelegt.

“Hm.”, sagte Rose, um sich einen Augenblick Zeit zum Überlegen zu verschaffen. “Das ist eine interessante Idee.”

“Der Traum…”

“… sagt mir”, fiel Rose der Braut ins Wort, “dass Sie mit der feierlichen, magischen, märchenhaften Atmosphäre, für die Sie sich bereits entschieden haben, vollkommen richtig liegen.”

“Wirklich?”

“Aber ja. Der Traum zeigt mir, dass Sie aufgeregt und glücklich sind und Ihren großen Tag kaum erwarten können. Denken Sie daran, die Teegesellschaft bei dem verrückten Hutmacher fand jeden Tag statt. Der Traum sagt Ihnen, dass jeder Tag Ihres Lebens mit Chase ein Fest sein wird.”

“Oh! Natürlich!”

“Und, Sabina, wenn Sie am Tag Ihrer Hochzeit in der Suite der Braut vor den Spiegeln stehen, sehen Sie darin sich selbst – jung, abenteuerlustig und glücklich wie Alice.”

Merlin, ich bin gut, dachte Rose, als die Chaosbraut seufzte.

“Sie haben Recht. Sie haben vollkommen Recht. Ich bin so froh, dass ich Sie angerufen habe. Ich wusste, Sie würden wissen, was das bedeutet.”

“Dafür sind wir da. Es wird eine schöne Hochzeit, Sabina. Ihr perfekter Tag.”

Nachdem sie das Telefonat beendet hatte, legte Rose sich für einen Augenblick wieder aufs Bett, doch als sie die Augen schloss, flimmerte vor ihrem inneren Auge wie wahnsinnig die Disney-Version der Teegesellschaft beim verrückten Hutmacher vorüber.
 

Resigniert stand sie auf und ging quer durch den Raum, der einst das Schlafzimmer von Roxannes Eltern gewesen war, zu den Fenstertüren, die auf den Balkon hinausführten. Sie öffnete sie, um frische Morgenluft hereinzulassen, und atmete in der frühen Dämmerung tief durch, während die Sonne gerade eben über den Horizont lugte.

Die letzten Sterne erloschen blinzelnd in einer Welt, die so perfekt, so wundervoll still war, als hätte sie den Atem angehalten.

Das Positive an Chaosbräuten und dergleichen war dieses Wachsein schon vor Tagesanbruch, wenn es war, als ob sich außer ihr noch nichts und niemand regte. Nichts und niemand außer ihr genoss diesen Augenblick, in dem die Nacht ihre Fackel an den Tag übergab und das silbrige Licht perlmuttern schimmerte, bevor es sich, wenn die Welt weiteratmete, in zartes, glänzendes Gold verwandelte.
 

Sie ließ die Türen offen, als sie zurück ins Zimmer ging. Mit einem Band, das sie dem Kästchen aus gehämmertem Silber auf ihrer Frisierkommode entnahm, band sie sich das Haar zum Pferdeschwanz zurück. Dann tauschte sie das Nachthemd mit halblanger Yogahose und Support-Top und suchte sich im Schuhregal ihres penibel geordneten Ankleidezimmers – Abteilung Freizeitklamotten – ein paar Laufschuhe aus.

Sie hakte ihr Handy am Hosenbund fest, stöpselte die Kopfhörer ein und lief die Treppe hinunter. Als sie das Ende des Grundstücks erreichte, blickte sie sich kurz um, bevor sie ihre Laufstrecke einschlug und zur Rockmusik der Apple Hobbits durch die Gegend joggte.
 

Nach fünf Kilometern begann Rose zu lächeln. Merlin, sie liebte ihre Arbeit. Liebte die Chaosbräute, die sentimentalen Bräute, die pedantischen Bräute, sogar die Monsterbräute. Sie liebte die Details und die verschiedenen Ansprüche, die Hoffnungen und Träume, liebte es, das immer wieder Paare zur Bekräftigung ihrer Liebe Ja zueinander sagten und sie ihnen helfen konnte, ihren großen Tag ganz persönlich zu gestalten.

Niemand machte das besser als Farytale, die Hochzeitsagentur, die sie zusammen mit ihren Freundinnen Roxanne, Dominique und Alice führte. Was sie eines späten Sommerabends in Angriff genommen hatten, war heute alles für sie – mehr, als sie je für möglich gehalten hätten.

Und nun, dachte Rose mit noch breiterem Grinsen, planten sie die Hochzeiten ihrer Freundinnen: Roxanne würde im Dezember heiraten, Dome im April und Alice im Juni – wenn sie sich endlich darauf einließ, dass sie verlobt war. Jetzt waren ihre Freundinnen die Bräute, und sie konnte es kaum erwarten, sich tiefer in die Details zu knien.

Roxanne und Frank – traditionelle Hochzeit mit künstlerischen Elementen, Dominique und Fred – Romantik, Romantik und nochmals Romantik. Alice und Albus (Bei Merlins Barte, ihr liebster Cousin –fast Bruder – heiratete ihre beste Freundin) – moderne Eleganz mit romantischen Highlights.

Oh, sie hatte Ideen.
 

Erschrocken sprang Rose zurück, als sie das Aufheulen eines Motors vernahm und im nächsten Moment ein Motorrad an ihr vorbei schoss. Was für ein Arsch, dachte Rose im ersten Moment, doch dann blickte sie den davon rauschenden Pferdestärken hinterher. Es musste ein super geiles Gefühl sein, so über den Asphalt zu fliegen. Bevor ihre Eltern gestorben waren, hätte Rose nichts unversucht gelassen, einmal mit einem Motorrad zu fahren. Doch jetzt hatte sie zu viel Respekt vor diesen Maschinen.

Noch einmal blickte Rose hinter dem Motorrad her, bevor sie nach Hause lief, wo sie direkt hinauf in den Fitnessraum ging. Nachdem sie die Nachrichten eingeschaltet hatte, packte sie die Hanteln und absolvierte ihre Bizepsübungen.

Kurz darauf kam Alice in den Fitnessraum. “Lichterketten. Eine ganze Flut, kilometerweise, ganze Ströme von Lichterketten, überall im Garten, in den Weidenbäumen und Lauben, an der Pergola.”

Alice blinzelte und gähnte. “Hm?”

“Deine Hochzeit. Romantisch, elegant, überschwänglich, aber nicht überladen.”

“Hm.” Alice, die ihr schwarzes Haar mit Clips hochgesteckt hatte, stieg auf das Laufband. “Ich gewöhne mich gerade erst daran, verlobt zu sein.”

“Ich weiß, was dir gefällt. Ich habe eine grobe Übersicht erstellt.”

“Natürlich hast du das.” Doch Alice lächelte. “Wie weit bist du?”

“Zehn Kilometer und die dritte Bizepsübung.”, berichtete Rose.

“Mist! Wer hat angerufen, und wann?”

“Chaosbraut. Kurz vor halb sechs. Sie hatte einen Traum.”

“Wenn du mir jetzt sagst, sie hat von einem neuen Design für die Torte geträumt, dann …”

“Keine Angst. Ich hab alles geregelt.”

“Wie konnte ich daran zweifeln?” Nach ihren Aufwärmübungen fiel Alice in einen lockeren Lauf. “Albus bietet sein Haus zum Verkauf an.”

“Was? Wann?”

“Na ja, nachdem er mit dir darüber gesprochen hat. Aber da du und ich nun einmal hier sind, erzähle ich es dir als Erste davon. Wir haben gestern Abend darüber geredet – heute Abend kommt er übrigens aus Manchester zurück. Also … er würde mit hier einziehen, wenn es dir recht ist.”

“Du bleibst hier.” Rose Augen brannten und glänzten verdächtig. “Du bleibst hier”, wiederholte sie. “Ich wollte dich nicht drängen, und ich weiß, dass Albus ein großes Haus hat, aber – o Merlin, Alice, ich wollte nicht, dass du ausziehst. Und jetzt tust du es auch nicht.”

“Ich liebe Albus so sehr, dass ich vielleicht die nächsten Chaosbraut werde, aber ich wollte auch nicht ausziehen. Mein Flügel ist mehr als groß genug, er ist praktisch ein eigenes Haus. Und Albus liebt dieses Haus ebenso sehr wie du, wie wir alle.”

“Albus kommt nach Hause”, murmelte Rose.

Ihre Familie, dachte sie, alle, die sie liebte und schätzte, würden bald zusammen sein. Und das war es, was ein Zuhause ausmachte.
 

Um acht Uhr neunundfünfzig war Rose fertig angezogen und frisch gestylt. Sie trug ein figurbetontes Kostüm von der Farbe reifer Auberginen und eine frische weiße Bluse mit einer kleinen Rüsche. Exakt fünfundfünfzig Minuten verbrachte sie damit, Eulenpost und Anrufe zu beantworten, die Aufzeichnungen in verschiedenen Kundenakten zu aktualisieren, Lieferungen zu überprüfen und mit den Lieferanten über Aufträge für zukünftige Veranstaltungen zu sprechen. Um Punkt zehn begab sie sich aus ihrem Büro im zweiten Stock zum ersten Ortstermin des Tages.

Über die potentielle Kundschaft hatte sie bereits Erkundigen eingezogen. Die Braut, Jeanne Hagar, war eine regionale Künstlerin, deren Bilder von Fantasy-Traumwelten auf Poster und Grußkarten gedruckt wurden. Der Bräutigam, Wyatt Culpepper, war Landschaftsgestalter. Beide gehörte sie dem reichen Zaubereradel an und beide waren das jeweils jüngste Kind zweimal geschiedener Eltern.

Durch nur minimale Recherche hatte sie herausgefunden, dass das frisch verlobte Paar sich auf einem Umweltfest kennengelernt hatte, dass beide Bluegrasstrio-Musik liebten und gerne reisten.

Weitere Informationsnuggets, die sich geschürft hatte, stammten von Internetseiten, von Facebook, aus Interviews in Zeitungen und Magazinen sowie von Freunden von Freunden von Freunden. Aufgrund dieses Vorwissens hatte sie bereits entschieden, wie sie diese Kennenlerntour, an der auch beide Mütter teilnehmen würde, gestalten wollte.

Auf ihrem raschen Gang durch die Hauptetage musterte sie verschiedene Bereiche und war sehr zufrieden mit Domes romantischem Blumenschmuck.

Sie eilte in die Familienküche, wo – wie erwartet – Mrs Clarks gerade letzte Hand ans Kaffeetablett anlegte, auf dem auch der von Rose gewünschte eisgekühlte Sonnentee und ein Teller mit frischem Obst standen.

“Sieht perfekt aus, Mrs Clarks.”

“Ist alles fertig, wenn du es auch bist.”

“Kommen Sie, stellen wir das Ganze in den Salon. Wenn die Kunden sofort mit der Tour beginnen wollen, bringen wir es vielleicht raus. Es ist schön draußen.”

Rose wollte mit anfassen, doch Mrs Clarks winkte ab. “Geht schon. Ich habe gerade gemerkt, dass ich die erste Stiefmutter der Braut kenne.”

“Wirklich?”

“Hat´s nicht lange ausgehalten, oder?” Mit flinken Bewegungen stellte Mrs Clarks die Tabletts auf einen Servierwagen. “Den zweiten Hochzeitstag hat sie nicht mehr geschafft, wenn ich mich recht erinnere. Hübsche Frau, und ganz nett. Etwas unterbelichtet, aber herzensgut.” Energisch strich Mrs Clarks mit den Fingerspitzen über ihre Latzschürze. “Sie hat wieder geheiratet – irgendeinen Griechen – und ist nach Athen gezogen.”

“Ich weiß gar nicht, warum ich Zeit mit der Internetrecherche verschwendet habe, wo ich doch nur Sie zu fragen brauche.”

“Hättest du das getan, dann hätte ich dir gesagt, dass Roxys Mutter mit dem Ehemann mal was laufen hatte, zwischen dessen Ehefrau Nummer zwei und drei.”

“Angelina? Das überrascht mich nicht.”

“Na ja, wir können alle froh sein, dass daraus nichts geworden ist. Die Bilder der jungen Frau gefallen mir”, fügte Mrs Clarks hinzu, während sie den Wagen zum Salon rollen ließ.

“Sie haben welche gesehen?”

Mrs Clarks zwinkerte. “Du bist nicht die Einzige, die mit dem Internet umgehen kann. Da klingelt es. Also los. Angel uns neue Kunden.”

“Hab ich vor.”

Rose erster Gedanke war, dass die Braut mit den grünen Mandelaugen und der rot goldenen Haarflut, die ihr bis zur Taille reichte, aussah wie eine schottische Prinzessin. Der zweite war, was für eine schöne Braut Jeanne abgeben würde – unmittelbar gefolgt von dem Gedanken, wie gern sie daran beteiligt sein wollte.

“Guten Morgen. Willkommen bei Farytales. Ich bin Rose.”

“Weasley, nicht wahr?” Wyatt streckte ihr die Hand hin. “Ich will nur sagen, ich weiß nicht, wer Ihre Gärten gestaltet hat, aber da waren Genies am Werk. Und ich wünschte, ich wäre es gewesen.”

“Vielen herzlichen Dank. Bitte, kommen Sie herein.”

“Meine Mutter, Patricia Ferell. Jeannes Mutter, Karen Bliss.”

“Ich freue mich, Sie alle kennenzulernen.” Rose machte eine rasche Bestandsaufnahme. Wyatt führte das Wort, aber charmant – und alle drei Frauen überließen es ihm. “Setzen wir uns doch kurz in den Salon und machen uns miteinander bekannt.”
 

Doch Jeanne spazierte bereits im geräumigen Foyer herum und begutachtete das elegante Treppenhaus. “Ich dachte, hier drin wäre es spießig. Ich dachte, es würde sich spießig anfühlen.” Sie wandte sich wieder um, so dass ihr hübscher Sommerrock wehte. “Ich habe mir Ihre Webseite angeschaut. Alles sah perfekt und schön aus. Aber ich dachte, nein, zu perfekt. Ich bin immer noch nicht sicher, ob es nicht zu perfekt ist, aber spießig ist es nicht. Nicht im Geringsten.”

“Was meine Tochter auch wesentlich kürzer hätte ausdrücken können. Miss Weasley, ist, dass Sie ein wunderschönes Zuhause haben.”

“Rose”, wiederholte diese, “und vielen Dank, Mrs Bliss. “Kaffee?”, bot sie an. “Oder eisgekühlten Sonnentee?”

“Könnten wir uns zuerst ein bisschen umschauen?”, erkundigte sich Jeanne. “Vor allem draußen. Wyatt und ich wünschen uns nämlich eine Hochzeit im Freien.”

„Dann fangen wir doch draußen an und kehren später hierher zurück. Sie haben den kommenden September ins Auge gefasst.“, fuhr Rose fort, während sie auf die Tür zuging, die auf die seitliche Terrasse hinausführte.

„Ja, in genau einem Jahr. Deshalb schauen wir uns jetzt Locations an, damit wir sehen, wie die Landschaft, die Gärten, das Licht um diese Jahreszeit aussehen.“

„Wir haben verschiedene Bereiche, die sich für eine Hochzeit im Freien eignen. Am beliebtesten, vor allem für größere Feiern, ist die Westterrasse mit der Pergola. Aber…“

„Aber?“, echote Wyatt, während sie ums Haus herumgingen.

„Wenn ich Sie beide sehe, kommt mir eine etwas andere Möglichkeit in den Sinn. Etwas, was wir hin und wieder machen. Der Teich.“, sagte Rose, als sie hinter dem Haus ankamen. „Die Weiden, die geschwungenen Rasenflächen. Ich sehe eine Blumen übersäte Laube vor mir und lange weiße Läufer, die wie ein Fluss zwischen ebenfalls weißen und mit Blumen geschmückten Stühlen liegen. Das Ganze spiegelt sich im Wasser des Teichs. Überall Blumengestecke, aber nichts Steifes, eher natürliche Arrangements. Bauerngartenblumen, aber in Hülle und Fülle. Meine Geschäftspartnerin Dominique, die unseren Blumenschmuck entwirft, ist eine Künstlerin.“
 

Jeannes Augen begannen zu leuchten. „Was ich im Internet gesehen habe, hat mir sehr gefallen.“

„Sie können direkt mit ihr sprechen, wenn Sie sich entscheiden, Ihre Hochzeit bei uns zu feiern, oder sogar schon, wenn Sie es nur in Erwägung ziehen. Ich sehe auch funkelnde Lichterketten vor mir, flackernde Kerzen. Alles ganz natürlich, organisch – aber verschwenderisch und strahlend. Sie tragen etwas Fließendes“, sagte Rose zu Jeanne. „Etwas Feenhaftes, mit offenem Haar. Keinen Schleier, sondern Blumen in Ihrem Haar.“

„Ja. Sie sind sehr gut, oder?“

„Das ist unsere Aufgabe. Den Tag so auf Sie maßzuschneidern, dass er widerspiegelt, was Sie sich am meisten wünschen, wer Sie sind, jeder für sich und beide füreinander. Sie wollen es nicht förmlich, sondern sanft und verträumt. Weder zeitgenössisch noch altmodisch. Sie wollen etwas, das Sie sind, und wenn Sie zum Altar schreiten, soll ein Bluegrass-Trio spielen.“

„Never Ending Lovestory“, warf Wyatt grinsend ein. „Haben wir schon ausgesucht. Wird Ihre Blumenkünstlerin mit uns zusammenarbeiten, nicht nur in Sachen Hochzeitsdekoration, sondern auch bei den Sträußen und all dem?“

„Bei jedem einzelnen Schritt. Alles dreht sich nur um Sie und darum, den perfekten – oder sogar zu perfekten Tag für Sie zu gestalten“, sagte Rose mit einem Lächeln für Jeanne.

„Der Teich gefällt mir sehr“, murmelte Jeanne, als sie sich von der Terrasse aus umschauten. „Mir gefällt das Bild, das Sie gerade in meinem Kopf gemalt haben.“

„Weil es dir entspricht, Liebes.“ Karen Bliss nahm die Hand ihrer Tochter. „Das ist ganz du.“

„Tanz auf dem Rasen?“ Wyatts Mutter warf einen Blick herüber. „Auch ich habe mir die Webseite angesehen, und ich weiß, dass Sie einen fantastischen Ballsaal haben. Aber vielleicht könnte auch hier draußen getanzt werden.“

„Auf jeden Fall. Entweder, oder. Auch beides wäre möglich, ganz wie Sie wollen. Wenn sie interessiert sind, können wir einen Termin für eine komplette Beratung vereinbaren, zusammen mit meinen Partnerinnen. Dabei könnten wir diese Punkte und weitere Details besprechen.“

„Was hältst du davon, wenn wir uns auch den Rest noch anschauen?“ Wyatt beugte sich hinab, um Jeanne auf die Schläfe zu küssen.
 

Um halb fünf saß Rose wieder an ihrem Schreibtisch und überarbeitete Tabellen, Diagramme und Terminpläne. Als Zugeständnis daran, dass dies für heute die letzten Arbeiten waren, hing ihre Kostümjacke über ihrer Stuhllehne, und ihre Schuhe standen unter dem Schreibtisch.

Sie rechnete damit, noch eine weitere Stunde mit dem Papierkram zu tun zu haben, womit der Tag ihr herrlich locker vorkam. Der Rest der Woche versprach wahnsinnig stressig zu werden, doch mit ein bisschen Glück würde sie heute gegen sechs bequeme Klamotten anziehen, sich ein Glas Wein gönnen und sich sogar hinsetzen können, um etwas zu essen.

“Hm?”, sagte sie, als es an ihrem Türrahmen klopfte.

“Hast du einen Moment Zeit?”, fragte Roxy.

“Sogar mehrere. Du kannst einen haben.” Rose schwang auf ihrem Drehstuhl herum, als Roxanne zwei Einkaufstüten hereinschleppte. “Ich hab dich heute morgen im Fitnessraum vermisst, aber ich sehe, dass du weiter Gewichtheben trainiert hast.”

Grinsend beugte Roxy den Arm. “Ziemlich gut, was?”

“Du bist ein Muskelprotz, Weasley. Bis zum Hochzeitstag hast du echt Wahnsinns Arme.”

Roxanne sank auf einen Stuhl. “Ich muss doch dem Kleid gerecht werden, das du für mich gefunden hast. Hör mal, ich habe geschworen, dass ich weder die Chaosbraut noch die Heulbraut, noch irgendeine andere nervige Braut werde, aber bald ist es so weit, und ich brauche einfach etwas Zuspruch von der Göttin aller Hochzeitsplanerinnen.”

“Alles wird perfekt und genau richtig.”

“Ich habe meine Meinung noch einmal geändert, welche Musik ich für den ersten Tanz will.”

“Das macht nichts. Das kannst du noch bis zum Countdown ändern.”

“Aber es ist symptomatisch, Rose. Ich kann nicht mal bei etwas so Banalem wie einem blöden Musikstück bleiben.”

“Es ist ein wichtiges Stück.”

“Nimmt Frank Tanzstunden?”

Rose machte große Augen. “Warum fragst du mich das?”

“Ich wusste es! Merlin, das ist so süß. Du hast Frank dazu gebracht, Tanzstunden zu nehmen, damit er mir bei unserem ersten Tanz nicht auf die Füße tritt.”

“Frank hat mich gebeten, das zu arrangieren – als Überraschung. Also verderbe sie ihm nicht.”

“Das macht mich ganz gefühlsduselig.” Roxanne Schultern hoben und senkten sich mit ihrem glücklich Seufzer. “Vielleicht kann ich bei keiner Entscheidung bleiben, weil ich ständig gefühlsduselig werde. Aber egal. Heute Nachmittag hatte ich dieses externe Shooting.”

“Wie ist es gelaufen?”

“Genial. Die sind so süß, dass ich sie beide heiraten wollte. Auf dem Heimweg habe ich dann was Dummes gemacht. Ich bin in der Schuhabteilung von Madame Toulan vorbeigegangen.”

“Was ich mir, schlau wie ich bin, aufgrund der Einkaufstüten schon gedacht habe.”

“Ich habe zehn Paar gekauft. Die meisten bringe ich wieder zurück, aber…”

“Warum?”

Roxy kniff die braunen Augen mit dem hellgrünen Ring um die Iris herum zusammen. “Stachel mich in meinem Wahnsinn nicht noch an. Ich konnte schon wieder nicht bei meiner Entscheidung bleiben. Ich habe doch meine Brautschuhe schon gekauft, oder? Waren wie uns nicht alle einig, dass sie perfekt sind?”

“Atemberaubend und perfekt.”

“Genau. Warum habe ich also noch vier andere Paar zur Auswahl gekauft?”

“Sagtest du nicht zehn?”

“Die übrigen sechs sind für die Flitterwochen – na ja, vier davon. Dann brauchte ich unbedingt ein paar neue Schuhe für die Arbeit, und die waren so süß, dass ich ein Paar in Kupferrot und noch eins in so einem irren Grün gekauft habe. Aber das ist unwichtig.”

“Lass mal sehen.”

“Zuerst die Brautschuhe, und sag nichts, bis ich sie alle nebeneinandergestellt habe.” Roxy hielt beide Hände hoch. “Absolutes Pokergesicht. Keine Mimik, kein Laut.”

“Ich drehe mich um und arbeite an dieser Tabelle weiter.”

“Wenn du meinst”, murmelte Roxy und machte sich ans Werk.

Rose ignorierte das Rascheln und die Seufzer, bis Roxy ihr das Startzeichen gab.

Dann drehte sie sich um und ließ den Blick über die Schuhe schweifen, die auf einem Couchtisch aufgereiht standen. Erhob sich, schlenderte darauf zu, musterte noch einmal alle. Ihr Gesicht blieb völlig ausdruckslos, als sie einen Schuh in die Hand nahm, genau betrachtete, wieder hinstellte, zum nächsten ging.

“Du bist schlimmer als der Avada Kedavra”, erklärte Roxy.

“Ruhe.” Rose spazierte zu einem Regal, um einen Ordner herauszuholen und ließ das Foto von Roxy in ihrem Hochzeitskleid herausgleiten. Damit ging sie zurück zu der Auswahl von Schuhen und nickte.

“Ja. Ganz klar.” Sie griff zu einem Paar. “Du wärst wahnsinnig, wenn du die nicht tragen würdest.”

“Wirklich!” Roxanne klatschte in die Hände. “Wirklich? Das waren für mich nämlich die Schuhe. Trotzdem habe ich noch geschwankt, vor und zurück und hin und her. Oh, schau sie dir an. Die Absätze glitzern so, und der Riemen am Knöchel ist so sexy – aber nicht zu sexy. Oder?”

“Die perfekte Mischung aus glitzernd, sexy und elegant. Ich bringe die anderen zurück.”

“Aber …”

“Ich bringe sie zurück, weil du die ultimativen Brautschuhe gefunden hast und deine Entscheidung jetzt nicht mehr umstoßen darfst. Die anderen musst du aus deinem Blickfeld entfernen, und du darfst bis zur Hochzeit die Schuhabteilung nicht mehr betreten.”

“Du bist so klug.”

Rose neigte das Haupt. “Allerdings. Deshalb glaube ich auch, dass dieses Modell sehr gut Domes Brautschuh sein könnte. Ich tausche es in ihre Größe um, und dann schauen wir mal.”

“Oh, oh, schon wieder solche Klugheit.” Roxy griff zu dem Paar, auf das Rose zeigte. “Romantischer, prinzessinnenmäßiger. Das ist super. Ich bin total k.o.”

“Lass die Brautschuhe – alle – hier bei mir. Die anderen nimmst du mit. Ach, und schau mal in deinen Kalender, wenn du nach Hause kommst. Ich habe Beratungstermine eingetragen.”

“Wie viele?”

“Bei den fünf Kennenlerntouren, die ich heute gemacht habe, sind drei komplette Beratungen raus gesprungen. Eine Braut muss noch mal mit Papa sprechen, und eine vergleicht noch die Angebote.”

“Drei von Fünf?” Roxy pumpte zweimal mit der Faust. “Jippie.”

“Ich wette, sogar vier von fünf, weil Papas Mädel uns will, und zwar unbedingt. Und die fünfte? Die Braut kann sich einfach noch nicht entscheiden. Ihre Mutter will uns, und mein Instinkt sagt mir, dass das in diesem Fall gegen uns spricht. Wir werden sehen.”

“Mann, ich flippe aus. Drei komplette Beratungen, und ich habe die perfekten Brautschuhe eingesackt. Jetzt gehe ich nach Hause und verpasse meinem Schatz einen dicken, fetten Kuss, und er weiß nicht, dass er den kriegt, weil er Tanzstunden nimmt. Danke, Rose. Bis später.”
 

Rose setzte sich wieder hin und betrachtete die Schuhe auf dem Tisch. Sie dachte an Roxy, wie sie nach Hause zu Frank eilte. Dachte an Alice, wie sie Albus begrüßte, wenn er nach der zweitägigen Konferenz aus London nach Hause kam. Und an Dome, die vielleicht gerade auf ihrer kleinen Veranda saß, mit Fred ein Glas Wein trank und von ihren eigenen Hochzeitsblumen träumte.

Sie schwenkte mit dem Drehstuhl wieder herum, um die Tabelle auf dem Bildschirm anzustarren. Sie hatte ihre Arbeit, erinnerte sie sich. Ihre Arbeit, die sie liebte. Und das war im Augenblick das was zählte.

Ihr Handy meldete sich, und ein Blick auf das Display sagte ihr, dass noch eine Braut dringend mit ihr reden musste.

“Ich habe immer noch euch.”, murmelte sie und nahm das Gespräch an. “Hallo, Brenna. Was kann ich für Sie tun?”
 

Rose kümmerte sich um die Schuhe, und da ihr Terminkalender sehr eng war, gönnte sie sich selbst nur ein einziges Paar. Zum Mittagessen traf sie sich mit einer Braut, mit deren Lieblingstante, die sie zum Altar führen würde, und mit der Ersten Brautjungfer, um über Gastgeschenke, Blumen und – ganz zufällig – Schuhe zu besprechen.

Sie schaute im Brautsalon vorbei, wo sie auf Wunsch einer anderen Braut bei der endgültigen Entscheidung für die Kleider der Brautjungfern half, ihren Kommentar zum Darunter und zum Kopfschmuck abgab und eine weitere Braut samt Gefolge traf, um sich mit der Auswahl der Tischwäsche zu befassen. Dann eilte sie ins Coffee Talk zu einer raschen Besprechung mit Shelly Maguire, Franks hinreisender Cousine, deren Hochzeit unmittelbar bevorstand.

“Diane benimmt sich unmöglich”, verkündete Shelly, das Kinn auf die Hand gestützt, und machte einen Schmollmund.

“Bei der Hochzeit geht es nicht um deine Schwester.”

“Ich weiß, ich weiß, aber sie benimmt sich trotzdem unmöglich. Sie ist ein totaler Miesmacher, ein echter Stimmungskiller, der einem die ganze Feierlaune verdirbt.”

“Shelly, in weniger als zwei Wochen heiratest du den Mann, den du liebst. Korrekt?”

Shellys Sommer blaue Augen blitzen auf. “O ja.”

“In unserer Planung haben wir den ganzen Tag darauf angelegt, dich glücklich zu machen, eure Liebe zu feiern. Korrekt?”

“O Merlin. Das stimmt allerdings. Ihr alle wart einfach umwerfend.”

“Dann sei glücklich. Feiere. Und wenn deine Schwester daran was zu meckern hat, muss ich sagen, das ist ihr Problem.”

“Genau das sagt Nick auch.” Shelly warf die Hände in die Luft und fuhr durch ihr Sonnen blondes Haar. “Und meine Mutter. Aber… Diane sagt, sie kommt nicht zur Generalprobe, nicht mal zum Probeessen.”

Echt unmöglich, dachte Rose, zeigte jedoch einfach dezentes Mitgefühl. “Das tut mir leid. Warum nicht?”

“Sie hat mit der Hochzeit nichts zu tun – sagte sie. Na ja, das wollte sie ja auch nicht. Ich habe sie gebeten, eine meiner Ersten Brautjungfern zu sein, aber sie hat abgelehnt. Sie sehe nicht ein, wieso sie sich solche Umstände machen sollte, nur weil ich unbedingt zwei Erste Brautjungfern wollte.”

“Deine Schwester und deine älteste, beste Freundin.”

“Ganz genau.” Shelly schlug mit der Faust auf den Tisch und grub energisch ihren Löffel in die Schlagsahne auf ihrem Kaffee. “Und jetzt sieht sie nicht ein, wieso sie einen Babysitter engagieren soll, um an dem Essen teilzunehmen. Ich sage ihr, die Kinder sind auch eingeladen, aber dann heißt es, sie hat keine Lust, bei einem Probeessen den ganzen Abend auf ihre Kinder aufzupassen, wenn sie das Gleiche schon am nächsten Tag bei der Hochzeit tun muss. Für die Kinder wäre es eine Reizüberflutung, sagte sie, und für sie selbst einfach zu anstrengend. Also habe ich gesagt, wir bezahlen ihr den blöden Babysitter, damit sie und Hank am Abend ausgehen können. Da war sie auch wieder beleidigt. Ich kann es ihr nicht recht machen.”

“Dann hör auf, es zu versuchen.”

“Aber sie ist meine Schwester, Rose. Es ist meine Hochzeit.”Tränen schimmerten in Shellys Augen, und ihre Stimme zitterte.

Und dabei, dachte Rose, war sie während der gesamten Planung die fröhlichste, bezauberndste und flexibelste Braut gewesen, die man sich vorstellen konnte.

Sie wollte verdammt sein, wenn sie zuließ, dass Shelly auch nur ein Augenblick ihrer Feier verdorben wurde.

“Ich rede mal mit ihr.”, erklärte Rose und dachte gleichzeitig, dass sie dieser Schwester den Hintern so richtig schön in Flammen setzten würde, damit sie Shelly die Hochzeit nicht madig machte.

“Aber…”

“Shelly.” Rose legte eine Hand auf Shellys. “Vertrau mir.”

“Okay.” Shelly schnaufte einmal tief durch und blinzelte die Tränen fort. “Tut mir leid. Ich bin eine Idiotin.”

“Bist du nicht.” Zur Bekräftigung drückte Rose Shellys Hand kurz und fest. “Das kannst du mir glauben, ich kenne nämlich eine Menge Idioten. Davon bist du weit entfernt. Also, tu mir einen Gefallen, und denk einfach erst einmal nicht mehr daran. Schiebe es beiseite und konzentriere dich darauf, wie gut alles ist und wie wundervoll es wird.”

„Du hat Recht. Ich wusste, dass du mich wieder aufmuntern würdest.“

„Dafür bin ich da.“ Unter dem Tisch drehte Rose das Handgelenk, um auf die Uhr zu schauen. Zehn Minuten konnte sie noch opfern.

„Und, bist du schon ganz versessen auf deine Termine im Spa und bei der Kosmetikerin, auf die letzten Anproben?“

Aus den zehn wurden fast fünfzehn Minuten, doch Rose hatte für die Heimfahrt zu dem Beratungsgespräch am frühen Abend einen Zeitpuffer einkalkuliert. Selbst der Regen, der herab prasselte, als sie zu ihrem Wagen ging, beunruhigte sie nicht.

Ihr blieb noch reichlich Zeit, um nach Hause zu fahren, sich frisch zu machen, die Unterlagen zu holen, sich um Erfrischungen zu kümmern und mit ihren Partnerinnen die Daten der Kunden durchzugehen. Um Zeit zu sparen, stöpselte sie jedoch ihr Mobiltelefon ein und benutzte die Freisprechanlange, um Alice anzurufen.

„Hohzeitsagenuter Farytale, Confiserie Icing.“

„Hallo. Ich bin auf dem Heimweg. Ist alles bereit?“

„Kaffee, Tee, Champagner, einfache, aber fantastische Horsd´œuvres, Pralinen. Dome hat die Blumen schon ausgetauscht. Wir alle bringen unsere Musteralben mit. He, war das ein Donner?“

„Ja, es geht gerade richtig los.“ Rose warf einen Blick auf die sich drohend auftürmenden Wolken. „In ungefähr zwanzig Minuten bin ich da. Ciao.“

Der Sturm fegte über sie hinweg, wild und ungezügelt – und sie dachte, wie sehr sie das genießen würde, wenn sie im Haus wäre. Sie würde bald dort sein, dachte sie, drosselte jedoch vorsichtig die Geschwindigkeit, als der Regen gegen die Windschutzscheibe peitschte.

So rollte sie langsam in Richtung Zuhause und ging dabei im Geiste die Details durch, die sie über ihre neuen Kunden kannte.

Es passierte schnell, ganz verschwommen vom Regen.

Der Hund – oder war es ein Reh? – stürmte über die Straße. Der entgegenkommende Wagen versuchte ihm auszuweichen, geriet ins Schleudern. Rose ging vom Gas, tippte noch auf die Bremse, als ihr Herz schon wieder ruhiger schlug und das Tier von der Straße verschwand.

Doch der entgegenkommende Wagen schlitterte immer noch genau auf sie zu.

Wieder setzte ihr Herzschlag aus. Da sie keine andere Wahl hatte, riss sie das Steuer hart herum, um den Zusammenprall zu vermeiden. Ihr Wagen schlingerte auf den Seitenstreifen der Straße. Das Heck wirbelte herum, während der Wagen unsanft durchgeschüttelt wurde. Das entgegenkommende Fahrzeug raste an ihr vorbei.

Und fuhr einfach weiter.

Rose saß da, die Hände wie festgeklebt am Lenkrad, mit zitternden Knien. Ihr Herzschlag dröhnte ihr in den Ohren.

„Okay“, keuchte sie. „Ich bin okay. Nicht verletzt. Ich bin nicht verletzt.“

Da sie einfach so sitzen bleiben wollte, befahl sie sich, den Wagen vollständig auf den Seitenstreifen zu lenken, bis sie nicht mehr zitterte. Sonst konnte es sein, dass ein vorbeifahrendes Fahrzeug sie streifte.

Mehr als ein flappendes Ruckeln brachte sie nicht zustande.

Ein Platten, dachte sie und schloss die Augen. Na super.

Sie schnappte sich ihren Zauberstab und murmelte kurz die Zauberformel, sodass sie beim Aussteigen von einem unsichtbaren Regenschirm geschützt wurde.

„Oh, nicht einPlatten“, murmelte sie. „EinPlatten reicht einfach nicht. Zwei Merlin verdammte zerfetzte Reifen.“ Sie verdrehte die Augen gen Himmel, der zu ihrer Verbitterung schon wieder aufklarte.

Der schwache Schimmer eines Regenbogens im Schein von ein paar mickrigen Sonnenstrahlen war für sie unter den gegebenen Umständen eine persönliche Beleidigung.

Sie würde so gut wie sicher zu spät zum Beratungsgespräch kommen, aber zumindest nicht tropfnass.

Positiv denken.

Sie stieg wieder ein und rief den Pannendienst. Da ihre Hände immer noch zitterten,beschloss sie, lieber noch ein paar Minuten zu warten, bevor sie zu Hause anrief.

Sie würde einfach sagen, sie hätte einen Platten, entschied sie, und warte auf den Mechaniker, der ihr den Reifen wechseln sollte. Einen Platten hätte sie ebenso gut auch selbst wechseln können, überlegte sie. Doch sie hatte nur einen Ersatzrad.

Sie presste eine Hand auf ihren rebellierenden Magen und nahm einen Schluck aus ihrem Magentrank.

Der Abschleppwagen würde wohl eine halbe Stunde brauchen, wenn sie Glück hatte. Dann würde sie den Fahrer bitten müssen, sie nach Hause zu bringen, oder sich ein Taxi bestellen. Natürlich könnte sie auch Apperieren, aber das würde ihren rebellierenden Magen noch unterstützen und sie den ganzen Abend außer Gefecht setzen. Aber sie würde nicht zu Hause anrufen und eine ihrer Partnerinnen bitten, sie abzuholen – und sie den Wagen zu Gesicht bekommen lassen.

Nicht vor einem Beratungsgespräch.

Ein Taxi, entschied sie. Wenn sie sich ein Taxi rief, würde es sich gleichzeitig mit dem Abschleppwagen auf den Weg zu ihr machen. Das war effizienter. Wenn sie nur aufhören würde zu zittern, könnte sie alles wieder in Ordnung bringen. Die Sache regeln.

Als sie das Dröhnen eines Motors hörte, flog ihr Blick zum Rückspiegel. Bremst schon, erkannte sie, als sie den Atem wieder ausstieß. Ein Motorrad, das sicher mehr als genug Platz hatte, an ihr vorbeizufahren.

Stattdessen hielt es hinter ihr an.

Barmherziger Samariter, dachte sie. Nicht jeder war so ein rücksichtsloser Vollidiot wie der andere Fahrer. Sie stieß die Fahrertür auf, um dem Motorradfahrer zu sagen, dass sie schon Hilfe gerufen hatte, und stieg aus.

Und sah, wie Scorpius Malfoy seinen schwarzen Helm abnahm und kurz mit seinen Fingern durch die Haare strich.

Das wurde ja immer besser, dachte sie. Jetzt wurde sie auch noch vom Freund ihres Cousins gerettet, der außerdem derzeit der Automechaniker von Farytale war – und ihr oft ganz schön auf die Nerven ging.

Sie sah, wie er sich einen Überblick über die Situation verschaffte, während der nachlassende Regen sein blondes durch wuscheltes Haar durchnässte. Seine Jeans waren am Knie aufgerissen und hatten Ölflecken an den Oberschenkeln. Das schwarze Hemd und die Ledejacke vervollständigten das Bild des unverschämt gut aussehenden sexy Draufgängers.

Mit Augen, dachte sie, als sein Blick ihrem begegnete, bei denen eine Frau schwach werden konnte. Mehr als schwach.

“Bist du verletzt?”

“Nein.”

Er musterte sie eingehend, als wollte er sich selbst davon überzeugen. “Dein Airbag ist nicht aufgegangen.”

“Ich bin nicht so schnell gefahren und bin nirgendwo gegen geprallt. Ich bin nur einem Vollidioten ausgewichen, der einem Hund ausgewichen war und dann auf mich zu schleuderte. Ich musste auf den Randstreifen und …”

“Wo ist er? Der andere Fahrer?”

“Er ist einfach weiter gefahren. Wer macht so was? Wie kann jemand so was tun?”

Schweigend griff Scorpius an ihr vorbei und nahm ihre Wasserflasche aus dem Halter. “Setz dich. Trink einen Schluck Wasser.”

“Mir geht es gut. Ich bin nur wütend. Ich habe echt eine Stinkwut.”

Scorp stupste sie ein wenig an, und sie sank quer zum Lenkrad auf den Fahrersitz. “In welchem Zustand ist dein Ersatzrad?”

“Es ist noch nie benutzt worden, also neu. Letzten Winter habe ich alle Reifen erneuert. Verdammt.”

“Jetzt brauchst du wieder zwei neue.” Scorpius beugte sich kurz herab, so dass diese scharfen eisblauen Augen auf einer Höhe mit ihren waren.

Es dauert einen Moment, bis sie begriff, dass die Bewegung und sein beiläufiger Tonfall sie vermutlich beruhigen sollten. Da es zu funktionieren schien, musste sie ihm dankbar dafür sein.

“Wir nehmen welche, die zu denen passen, die du schon hast”, fuhr er fort. “Wenn ich schon dabei bin, schaue ich mir auch den Rest des Wagens an.”

“Ja, schön, okay.” Rose trank einen Schluck, weil sie merkte, dass ihre Kehle wie ausgedörrt war. “Danke. Ich habe nur …”

“Eine Stinkwut.”, beendete Scorpius den Satz, während er sich aufrichtete. “Das kann ich dir nicht verdenken.”

“Und ich komme zu spät. Ich hasse es, zu spät zu kommen. Ich habe zu Hause ein Beratungsgespräch, in – oh, verdammt, in zwanzig Minuten. Ich muss mir ein Taxi rufen.”

“Nein, nicht nötig.” Scorpius schaute die Straße hinunter auf den sich nähernden Abschleppwagen.

“Das ging schnell… Du warst schnell. Ich habe nicht damit gerechnet …” Rose hielt inne, als ihr Gehirn wieder zu arbeiten begann. “Warst du hier auf der Strecke unterwegs, mit dem Motorrad?”

“Ich bin hier unterwegs, mit meinem Motorrad”, berichtigte er. “Da du den Pannendienst gerufen hast, nachdem du von der Straße abgekommen warst. Hast du nicht die Verkehrs-Auroren gerufen?”

“Ich habe das Nummernschild nicht erkannt, nicht mal den Wagentyp.” Und das wurmte sie. “Es ging so schnell, und es hat geregnet, und …”

“Und es wäre Zeitverschwendung. Bill macht trotzdem ein paar Fotos und meldet die Sache für dich.”

Rose presste die Handwurzel an die Stirn. “Okay. Danke. Echt, vielen Dank. Ich glaube, ich bin ein bisschen durch den Wind.”

“Das erste Mal, das ich dich so sehe. Warte”

Er ging zum Abschleppwagen, und während er mit seinem Fahrer sprach, trank sie Schluckweise Wasser und befahl sich, ruhiger zu werden. Alles war in Ordnung, völlig in Ordnung. Der Fahrer würde sie nach Hause bringen, und sie würde nicht einmal zu spät kommen. Zehn Minuten bis nach Hause, fünf Minuten, um sich frisch zu machen. Die banale Geschichte von ihrem Platten würde sie erst nach dem Beratungsgespräch erzählen.

Alles war völlig in Ordnung.

Sie schaute auf, als Scorpius zurückkehrte und ihr einen knallroten Helm reichte. “Den brauchst du.”

“Wofür?”

“Sicherheit geht vor, Rosie.” Er setzte ihn ihr eigenhändig auf – und sein Lächeln bekam kaum merklich etwas von einem Grinsen. “Süß.”

“Was?” Rose riss die Augen auf. “Wenn du denkst, ich steige auf das Motorrad da…”

“Willst du rechtzeitig zu deiner Besprechung kommen? Deinen Ruf als Mrs Prompt und Effizient wahren? Der Regen hat aufgehört. Du wirst nicht einmal nass.” Erneut griff er an ihr vorbei, doch diesmal prallten sie dabei aneinander. Er wich zurück, mit ihrer Tasche in der Hand. “Die willst du sicher mit nehmen. Gehen wir.”

“Kann der Fahrer … kann er mich nicht heimbringen?”

Scorp schnallte ihre Handtasche auf das Motorrad und schwang ein Bein über den Sitz. “Du hast doch keine Angst vor dem Motorradfahren, oder? Wozu auch, bei nicht mal zehn Kilometern?”

“Natürlich habe ich keine Angst.”

Scorp setzte den Helm auf, wendete das Motorrad und ließ den Motor ein paarmal energisch aufheulen. “Die Zeit läuft.”

“Oh, Merlin…” Rose verkniff sich den Rest, stakste auf ihren Highheels zum Motorrad, und mit zusammengebissenen Zähnen gelang es ihr, ein Bein hinter ihm über den Sitz zu schieben. Ihr Rock rutschte ihr weit an den Schenkeln hoch.

“Hübsch.”

“Halt die Klappe.”

Sie spürte sein Lachen mehr, als es zu hören. “Schon mal auf einer Harley gefahren, Rosie?”

“Nein. Warum sollte ich?”

“Dann wird das ein besonderes Vergnügen für dich. Am besten hältst du dich fest. An mir.” Fügte er nach einem Moment hinzu.

Sie legte die Hände rechts und links an seine Taille. Doch als er den Motor erneut aufheulen ließ – und sie wusste genau, dass er es absichtlich tat –, schluckte sie ihren Stolz hinunter und schlang die Arme fest um ihn.

Warum kam jemand bloß auf die Idee, auf einem so lauten, gefährlichen Ding…

Dann flogen sie die Straße hinunter, und der Wind wehte kühl und sanft und himmlisch über ihren ganzen Körper.

Okay, es war ein Nervenkitzel, räumte sie ein, und ihr Herzschlag setzte aus, als Scorp sich in die Kurve legte. Ein schier unerträglicher Nervenkitzel. Wie eine Achterbahn – noch so etwas, wovon sie zugeben konnte, dass es aufregend war, ohne dass sie es in ihrem wohlgeordneten Leben brauchte.

Die Landschaft sauste vorüber. Sie roch den Regen, das Gras, das Leder seiner Jacke, spürte das Vibrieren des Motorrads zwischen den Beinen.

Sinnlich, gestand sie sich ein. Und erregend, was zu diesem schier unerträglichen Nervenkitzel hinzukam. Das musste der Grund dafür sein, warum Leute Motorrad fuhren.

Als Scorpius in ihre Auffahrt einbog, musste sie der Versuchung widersprechen, die Arme in die Luft zu reißen, um zu spüren, wie der Wind ihre Handflächen abklatschte.

Kaum hielt Scorpius vor dem Haus, als Albus herauskam.

“Scorp.”

“Al.”

“Rose, wo ist dein Wagen?”

“Oh, ich hatte einen Platten, nicht weit von hier. Scorpius ist vorbeigekommen. Der Fahrer seines Abschleppwagens repariert alles. Ich habe jetzt ein Beratungsgespräch.”

Ihr Cousin legte den Kopf schräg, und sie sah, wie es um seinen Mund zuckte. “Rose. Du bist auf einem Motorrad gefahren.”

“Na und?” Sie versuchte, anmutig abzusteigen, was mit den hohen Absätzen und dem Rock eine echte Herausforderung war.

Scorpius schwang sich vom Sitz und hob sie herunter wie ein Paket, das er ablieferte.

“Danke. Vielen Dank. Jetzt muss ich mich beeilen, sonst …”

“Kommst du zu spät.” Scorpius schnallte ihre Handtasche ab. “Den willst du dabei wahrscheinlich nicht tragen.” Er öffnete den Helm und hob ihn hoch.

“Danke.”

“Das sagtest du bereits. Mehrfach.”

“Na dann …” Ungewöhnlich befangen drehte Rose sich um und eilte zum Haus.

Sie hörte Albus sagen: “Komm doch noch auf ein Butterbier mit rein.”

Und bemühte sich, nicht zusammenzuzucken, als Scorpius gedehnt entgegnete: “Warum eigentlich nicht?”

Scorpius folgte Albus ins Haus und erhaschte gerade noch einen Blick auf Rose, wie sie die Treppe hinaufstürmte. Die Frau hatte echt Beine von der Sorte, die er immer als Hollywood-Beine bezeichnete.

Ihre Geschäftspartnerinnen – die kühle Schwarzhaarige, die Schöne mit den engelsgleichen blonden Locken und die gertenschlanke Schwarzhaarige – standen in der Tür des Raums, den sie wohl Salon nannten, und redeten alle gleichzeitig.

Es war ein Bild für die Götter.

“Reifenpanne.”, erklärte Albus, ohne stehen zu bleiben.

Das Anwesen der Weasleys hatte Stil, dachte Scorpius. Es hatte Klasse, es war imposant, und doch wirkte es nicht wie ein Museum, sondern wie ein Zuhause. Das war wohl das Verdienst derjenigen, die hier lebten.

Warme Farben, Kunst, die das Auge anzog, statt es zu verprellen, bequeme Sessel, glänzende Tische, dazu Blumen, Blumen und nochmals Blumen, die sich in den Stil, die Klasse, das Imposante einfügten.

Trotzdem hatte er nie das Gefühl, er müsse die Hände in den Taschen behalten, aus Angst, irgendwo einen Fingerabdruck zu hinterlassen.

Er kannte fast alle Bereiche des Anwesens – außer Rose Privaträume (wäre es nicht interessant, das zu ändern?) – und hatte sich überall wohlgefühlt. Doch der ungezwungenste und einladenste Platz im Haus war immer noch Mrs Clarks Küche.

Die Genannte persönlich drehte sich am Herd um, wo sie irgendwas umrührte, das paradiesisch duftete.

“Ach, da ist ja Scorpius.”

“Wie geht es Ihnen, Mrs Clarks?”

“Ganz gut.” Mrs Clarks zog eine Augenbraue hoch, als Albus zwei Bier aus dem Kühlschrank holte. “Nehmt das mit raus. Ich kann euch hier nicht gebrauchen.”

“Jawohl, Madam”, erwiderten beide Männer im Chor.

“Ich nehme an, du bleibst zum Abendessen”, wandte Mrs Clarks sich an Scorpius.

“Laden Sie mich ein?”

“Werde ich wohl, wenn Albus seine Manieren vergessen hat.”

“Er ist gerade erst gekommen”, brummelte Albus.

“Da die anderen mich überredet haben, nach dem Beratungsgespräch was zu Essen zu servieren, kann ich auch noch einen mehr beköstigen. Wenn er nicht wählerisch ist.”

“Wenn sie kochen, Mrs Clarks, bin ich für den kleinsten Bissen dankbar.”

“Zungenfertig bist du ja, was?”

“Das sagen jedenfalls alle Mädels.”

Mrs Clarks lachte auf und klopfte mit dem Löffel an einen Topfrand. “Jetzt aber raus mit euch beiden.”

Albus öffnete den Kühlschrank und nahm noch zwei Butterbier heraus. Drei der vier Flaschen drückte er Scorpius in die Hand, dann fischte er im Hinausgehen sein Handy aus der Tasche.

“Fred. Scorp ist hier. Wir haben Butterbier. Hol Frank.” Dann steckte er sein Handy weg.

Er trug immer noch seinen Anzug, bemerkte Scorpius, und obwohl er die Krawatte abgenommen und den Kragen gelockert hatte, war er immer noch, jeder Zoll der in Oxford ausgebildete Anwalt.

Albus setzte sich und streckte die Beine von sich weg. Von seinem Wesen her war er lockerer und um Längen weniger kratzbürstig als seine Cousine, was vielleicht der Grund dafür war, dass sie zuerst Poker Kameraden und später Freunde geworden waren.

Sie ließen die Kronkorken knallen, und als Scorpius den ersten kühlen Schluck trank, entspannte er sich zum ersten Mal, seit er vor zwölf Stunden sein Werkzeug zur Hand genommen hatte.

“Was ist passiert?”, fragte Albus.

“Womit?”

“Mach mir nichts vor, Scorp. Reifenpanne, von wegen. Wenn Rose einen Platten gehabt hätte, dann hättest du ihr den Reifen gewechselt, oder sie hätte es selbst gemacht – und sie wäre nicht mit dir auf dem Motorrad heimgefahren.”

“Sie hatte einen Platten.” Scorpius trank noch einen Schluck Bier. “Genauer gesagt: sogar zwei. Die Reifen sind hinüber.” Er zuckte die Achseln. Einen Freund würde er nicht anlügen. “Nach dem, was sie gesagt hat, und so wie es aussah, als ich dort ankam, ist irgendein Idiot einen Schlenker gefahren, um einen Hund auszuweichen. Rose musste auf dem Randstreifen brettern, um nicht erwischt zu werden. Nasse Straße, vielleicht ein bisschen übersteuert, sie ist selbst etwas ins Schleudern geraten und hat die beiden linken Reifen geliefert. Von den Reifenspuren her sah es für mich aus, als wäre der andere Fahrer gerast – Rose aber nicht. Und er ist einfach weitergefahren.”

“Er hat sie da stehen lassen?” Blanke Wut klang aus Albus Stimme und fegte wie ein Sturm über sein Gesicht. “Dreckskerl. Hat sie das Kennzeichen, den Wagentyp?”

“Gar nichts hat sie, und ich kann ihr keinen Vorwurf machen. Es muss mitten in dem kurzen Wolkenbruch passiert sein, so dass sie Mühe hatte, ihren Wagen unter Kontrolle zu halten. Ich würde sagen, das hat sie ziemlich gut gemacht. Sie ist nirgendwo gegen gefahren, nicht mal der Airbag ist aufgegangen. Sie war allerdings fix und fertig, und stinksauer dazu. Vor allem, weil sie dachte, sie käme zu spät zu ihrer Besprechung.”

“Aber unverletzt”, sagte Albus mehr zu sich selbst. “Okay. Wo?”

“Ungefähr zwölf Kilometer von hier.”

“Warst du da draußen mit dem Motorrad unterwegs?”

“Nein. So bescheuert bin ich nun auch wieder nicht.” Verdammtes Kreuzverhör. “Meine Mutter hat den Anruf entgegen gekommen und kam raus und sagte, jemand hat Rose von der Straße abgedrängt, und sie sitzt fest. Also bin ich hingefahren, um nach ihr zu sehen, während meine Mutter Bill losgeschickt hat.”

“Ich bin dir echt dankbar, Scorp.” Albus hob den Blick, als Mrs Clarks herauskam, um eine Schüssel mit Knabbergebäck und einen Teller mit Oliven auf den Tisch zu stellen.

“Damit könnt ihr das Butterbier ein bisschen aufsaugen. Eure Freunde rücken an.” Mit einem Nicken deutete sie über den Rasen, während flackernd die Dämmerlampen aufleuchteten.

“Du.” Sie pikte Scorpius in die Schulter. “Ein Bier kannst du noch trinken, weil wir uns erst in frühstens einer Stunde zum Essen setzen. Aber das war´s dann, jedenfalls bis du diese Monstermaschine wieder bei dir zu Hause geparkt hast.”

“Sie und ich könnten erst noch zusammen tanzen gehen.”

“Vorsicht.” Sie zwinkerte ihm zu. “Ich kann mich noch ganz gut bewegen.”

Damit kehrte sie ins Haus zurück und ließ einen grinsenden Scorpius zurück. “Das glaube ich gern.” Zur Begrüßung prostete er Fred und Frank mit seinem Bier zu.

“Genau was der Heiler verordnet hat.” Fred Weasley, Sunnyboy, Architekt und Albus Kumpel aus Kinderzeiten, machte sich ein Bier auf. Die robusten Stiefel und die Jeans, die er trug, zeigten Scorp, dass Fred heute eher Ortstermine auf Baustellen als Büroarbeit absolviert hatte.

Ein krasser Gegensatz zu Franks Oxfordhemd und Khakihose. Beim Anblick von Franks Lesebrille, die aus seiner Hemdtasche ragte, stellte Scorpius sich vor, wie er in seinem neuen Arbeitszimmer saß und Arbeiten benotete, während sein Professor-Longbottom-Tweedjackett ordentlich im Wandschrank hing.

Sie waren schon ein bunt zusammengewürfelter Haufen – Albus in seinem italienischen Anzug, Fred in seinen Arbeitsstiefeln, Frank in der lehrertypischen Khakihose und er selbst…
 

Verdammt, wenn er gewusst hätte, dass er zum Abendessen eingeladen würde, hätte er eine andere Hose angezogen.

Wahrscheinlich.

Fred schnappte sich eine Handvoll Knabbergebäck. “Was gibt´s Neues?”

“Jemand hat Rose von der Straße abgedrängt. Scorp ist ihr zu Hilfe geeilt.”

“Alles okay mit ihr?” Frank stellte rasch sein Bier ab, ohne getrunken zu haben. “Ist sie verletzt?”

“Es geht ihr gut”, erklärte Scorpius. “Zwei zerfetzte Reifen. Nichts Großes. Und ich komme dadurch zu ein paar Bierchen und einem Abendessen. Ziemlich gutes Geschäft.”

“Er hat Rose überredet, aufs Motorrad zu steigen.”

Fred schnaubte, und sein Blick schweifte von Albus zu Scorp. “Ohne Witz?”

“War das Geringere von zwei Übeln.” Amüsiert schob Scorp sich eine Olive in den Mund. “Ich glaube, es hat ihr gefallen. Ich muss mal eine richtige Tour mit ihr machen.”

“Klar.” Albus lachte auf. “Viel Glück dabei.”

“Glaubst du etwa, ich könnte sie nicht mehr auf das Motorrad kriegen?”

“Rose ist nicht gerade die geborene Motorcycle-Mama.”

“Pass auf, was du über meine Mama sagst.” Nachdenklich trank Scorpius noch einen Schluck Bier. “Ich habe zehn Galleonen, die mir sagen, ich schaffe es, sie binnen zwei Wochen wieder drauf zu kriegen – für eine ganze Stunde.”

“Wenn du dein Geld so aus dem Fenster wirfst, muss ich dir in Zukunft weiterhin dein Bier bezahlen.”

“Ich nehme dein Geld.” Fred langte erneut beim Knabbergebäck zu. “Hab da keine Skrupel.”

“Topp, die Wette gilt.” Scorpius schüttelte Fred die Hand. “Ist aber immer noch offen für dich”, wandte er sich an Albus.

“Na schön.” Als sie einander die Hand schüttelten, warf Albus Frank einen Blick zu. “Willst du auch mitmachen?”

“Nein, ich glaube nicht … äh, also, ich glaube, ich setze mein Geld auf Scorpius.”

Scorpius starrte Frank nachdenklich an. “Vielleicht bist du doch so Schlau, wie du aussiehst.”
 

Nach Scorpius Erfahrung setzten sich die meisten Leute an einem gewöhnlichen Dienstag nicht zu Honig glasiertem Schinken, Kartoffelspalten, Babykarotten und zart gegrilltem Spargel an den Tisch. Wahrscheinlich fehlten bei ihrem Essen auch Kerzenschein, Blumen und in Kristallgläsern funkelnder Wein.

Andererseits war der Weasley-Haushalt auch nicht die meisten Leute.

Auch ohne Mrs Clarks drohenden Blick hätte er auf den noblen französischen Wein verzichtet. Über das Stadium, in dem er sich die Kante gab, bevor er auf sein Motorrad stieg, war er längst hinaus.

Ursprünglich hatte er vage vorgehabt heimzugehen, den langen Tag bei einem Workout auszuschwitzen, schnell zu duschen, sich irgendwas zwischen ein paar Brotscheiben zu klatschen, ein Bierchen zu zischen und ein bisschen vor der Glotze abzuhängen.

Das wäre für ihn völlig in Ordnung gewesen.

Doch er musste zugeben, dass es hier besser war.

Nicht nur das Essen – obwohl Mrs Clarks echt verdammt gut kochte! –, sondern auch das Ambiente und das ganze Drumherum. Schöne Frauen, Männer, die er gern mochte, die wundervolle Mrs Clarks.

Und vor allem die stets faszinierende Rose Weasley.

Ihr Gesicht war für Kerzenschein geschaffen. Elegant, aber nicht kalt, außer, wenn sie es wollte. Sexy, aber ganz dezent.

Dann war da ihre Stimme – tief, ein ganz klein wenig rauchig, aber wechselnd wie das Wetter: von forsch, zu förmlich, vom warm zu eisig. Mit diesen verschiedenen Tonfällen setzte sie Dinge durch, wusste ganz genau, wie sie sie einzusetzen hatte.

Sie hatte die ganze Geschichte von ihrem Beinahezusammenstoß erzählen müssen und dafür einen beiläufigen Ton mit gelegentlichen Aufbrausen gewählt. Wenn er sie nicht unmittelbar nach dem Vorfall gesehen hätte, dann hätte er ihr vielleicht abgekauft, dass sie nie wirklich in Gefahr gewesen sei und sich lediglich über ihr Überreagieren und die Fahrlässigkeit des anderen Fahrers geärgert habe.

Doch auch so waren die Anderen ganz besorgt um sie, bombardierten sie mit weiteren Fragen, regten sich über den anderen Fahrer auf. Und überhäuften Scorp mit Dankbarkeit, bis er sich darunter verschüttet fühlte.

Er nahm an, dass er und Rose ungefähr gleich erleichtert waren, als das Thema gewechselt wurde.

Er hörte ihnen gern zu, ihnen allen. Das gemeinsame Essen – eher ein Familienessen – dauerte lange, und es wurde lautstark und unglaublich lebhaft geredet. Das war Scorp nur recht. Es bedeutete, dass er selbst nicht viel zu sagen brauchte, und seiner Ansicht nach lernte man mehr über die Menschen, wenn man ihnen das Steuer überließ.

“Was hast du nun mit deinem Billardtisch vor?”, wollte Fred von Albus wissen.

“Hab ich noch nicht entschieden.”

Das bewog Scorpius dazu nachzufragen. “Was ist den mit dem Billardtisch?”

“Nichts.”

“Albus verkauft sein Haus und zieht hier ein.” Erklärte Frank.

“Du verkaufst? Seit wann das denn?”

“Brandneue Geschichte.” Mit hochgezogenen Brauen sah Albus Scorp an und butterte sich eins von Mrs Clarks raffinierten Hörnchen. “Willst du es kaufen?”

“Was sollte ich denn damit? Es ist groß genug für eine zehnköpfige Familie samt den Großeltern aus Irland.” Nachdenklich schnitt Scorpius sich noch eine Scheibe Schinken ab. “Könnte ich vielleicht nur das Spielzimmer kaufen?”

“Leider nicht. Aber ich habe schon ein paar Ideen dazu.”

“Sag mir Bescheid, wenn du die Flippergeräte verkaufen willst.”

“Wo willst du die hinstellen?”, wollte Fred wissen. “In der Bude über der Garage deiner Mutter hast du kaum Platz, dich umzudrehen.”

“Für die Klassiker würde ich mein Bett rausschmeißen und auf dem Boden schlafen.”

“Jungs und ihre Spielzeuge.” Alice wandte sich zu Albus und verdrehte die Augen. “In unser Schlafzimmer kannst du deine nicht stellen. Da ist die Grenze, Albus. Keine Diskussion.”

“Ich hatte an einen anderen Platz gedacht.” Albus warf Rose einen Blick zu. “Wir sprechen noch darüber.”

“In Ordnung. Ich dachte, du willst vielleicht eine der Dachkammern umbauen”, begann Rose. “Aber ich habe sie mir selbst angesehen, und ich weiß nicht, ob sie stabil genug sind, um diese Gewichte zu tragen. Zumindest nicht, wenn du den Billardtisch aus Schiefer behalten willst.”

“Ich dachte nicht an oben, sondern an unten.”

“Unten?”, wiederholte Rose. “Wo…o Merlin, Albus, nicht in einem der Kellerräume.”

“Wie viele Dachkammern und Kellerräume gibt es den hier?”, wandte Scorpius sich leise an Dome.

“Drei Dachkammern, zwei, nein, drei Kellerräume, wenn man den unheimlichen Raum mit dem Heizungskessel mitzählt, in dem die Vampire und Dämonen hausen, die kleine Mädchen bei lebendigem Leibe verschlingen wollen.”

“Cool.”

“Klar, wenn du ein Junge bist, wie Albus es war.” Mit zusammen gekniffenen Augen warf Dominique einen finsteren Blick über den Tisch. “Aber wenn du ein Mädchen bist, das Schatzsuchen spielt, kannst du dich zu Tode erschrecken, wenn auf einmal ein gewisser gemeiner Junge mit einer Taschenlampe mit roter Birne aufkreuzt und dabei ganz irre lacht.”

Sie griff zu ihrem Weinglas und schauderte ein wenig. “Ich kann immer noch nicht da runtergehen.”

Scorp hörte weiter zu, während Rose und Albus sich Einzelheiten über Kellerräume an den Kopf warfen, Alice lachend in ihren Wein schaute, Fred sich noch ein Brötchen nahm und Roxy und Frank etwas ins Ohr raunte, das die Spitze dieses Ohrs rot anlaufen ließ.

Interessant.

“Pass auf”, sagte Albus. “Du nutzt den Keller des Westflügels als Lager für eure Veranstaltungen – für extra Tische, Stühle, was auch immer.”

“Wir kaufen noch mehr. Investieren in unseren Bestand”, erklärte Rose. “So sparen wir die Leihgebühr, haben sogar Einnahmen, indem wir die Sachen vermieten.”

“Ein gutes Geschäft. Wenn ich bei Veranstaltungen ausgeholfen habe, bin ich so oft da unten gewesen, dass ich es gar nicht zählen kann. Du hast dort genug Platz, um einen Ausstellungsraum einzurichten.”

“Es geht nicht um den Platz, Albus. Platz kannst du haben.” Rose wog offenbar verschiedene Möglichkeiten ab. Mit gerunzelter Stirn sah sie auf ihr Wasserglas, dann zu Albus. “Wir könnten das Lager in den Ostflügel verlegen, aber selbst dann …”

“Nein, nein!” Dome wedelte mit beiden Händen. “Das ist zu nah am Schlund der Hölle.”

“Und er ist immer noch da unten”, drohte Albus finster, “Und wartet auf dich.”

“Ich hasse dich, Albus. Fred, schlag ihn zusammen.”, verlangte Dome. “Hau ihn windelweich.”

“Okay. Kann ich erst mein Brötchen fertig essen?”

“Ost- oder Westflügel”, unterbrach ihn Rose, “Es bleibt immer noch ein Keller. Es gibt so gut wie kein Tageslicht, die Decken sind gerade mal zwei Meter hoch, die Böden sind aus Beton, die Wände nur verputzt, alles ist voller Rohre.”

“Also perfekt für die Höhle eines Mannes. Außerdem, was glaubst du, warum ich ihn mir warm halte?” Albus deutete auf Fred. “Er hat mehr zu bieten als sein hübsches Gesicht.”

“Ein Kellerloch in einen MHR verwandeln? Für euch Laien, das bedeutet Männner-Hobbyraum.” In Freds rauchigen Augen blitzte Interesse auf. “Kann ich machen.”

“Die Wände sind 30 Zentimeter dick”, fuhr Albus fort. “Der Raum könnte also auch während Veranstaltungen genutzt werden, ohne das jemand etwas hören würde.” Er hob sein Weinglas und wirbelte den letzten Rest Wein darin herum, während er den Blick auf Dome heftete.

“Genau wie niemand die Schreie der Mädchen hört, die von dem Dämon mit dem roten Auge lebendig verschlungen werden.”

“Mistkerl.” Dome zog die Schultern hoch.

“Komm, lass uns mal nachsehen.”

Rose starrte Albus an. “Jetzt?”

“Klar.”

“Ich geh nicht da runter”, brummelte Dome.

“Ach, Baby.” Fred beugte sich zu ihr und legte den Arm um sie. “Ich beschütze dich.”

Kopfschüttelnd sah sie ihn an. “Das sagst du jetzt.”

“Macht ihr mal.” Roxy schwenkte ihr Weinglas. “Frank und ich trinken noch unseren Wein aus, dann … haben wir zu Hause noch was zu erledigen.”

“Es gibt noch Pastete”, verkündete Mrs Clarks.

“Also …” Roxy lächelte. “Wir gönnen uns zu Hause einen Nachtisch, oder, Frank?”

Frank bekam wieder rote Ohren. “Sieht so aus.”

“Komm mit, Scorp”, sagte Albus. “Wir zeigen dir die Tiefen dieses Gemäuers und holen uns Appetit auf Pastete.”

“Klar.” Nach den anderen stand er auf und griff zu seinem Teller, um ihn abzuräumen.

“Lass mal.” Mrs Clarks fuchtelte abwehrend mit dem Finger. “Geh nur erst auf Entdeckungsreise.”

“Okay. Der beste Schinken, den ich je gegessen habe.”

“Ich packe dir was zum Mitnehmen ein.”

Als Scorpius an ihr vorbeiging, beugte er sich hinunter. “Ich bin Ihnen ein Tänzchen schuldig”, raunte er und brachte sie damit zum Lachen.

“Was war das den?”, wollte Rose wissen.

“Kleiner Insiderscherz.”

Er trottete hinter den anderen her, über Hintertreppen, auf denen bestimmt einst die Dienstboten gehuscht waren, und er fragte sich, warum Rose immer noch ihre hochhackigen Schuhe trug.

Als Albus ein paar Schalter betätigte, flackerte grelles Neonlicht auf und gab den Blick auf ein wahres Labyrinth frei.

Scorp bemerkte die niedrigen Decken, die rohen Wände mit den freiliegenden Leitungen, und als sie zu einem offeneren Bereich gelangten, sah er zweckmäßige Regale sowie Stapel von Tischen, Stühlen und Hockern.

Ein Kellerraum, zweifellos, mit einem gerade noch angenehmen Gruselfaktor – und so picobello sauber wie die Küche eines Fünf-Sterne-Restaurants.

“He, habt ihr etwa Kellergeister, die nachts rauskommen und hier putzen?”

“Dass es ein zweckmäßiger Lagerraum ist, heißt nicht, dass er nicht sauber sein sollte”, erwiderte Rose. “Albus, es ist deprimierend hier unten.”

“Noch.”

Albus trat in einen Korridor, duckte sich geschickt – aus Erfahrung, vermutete Scorp – unter weiteren Rohren hindurch, und schlängelte sich weiter.

“Der alte Heizkesselraum.” Mit dem Daumen zeigte Albus auf eine verriegelte Holztür. “Wo die Dämonen geifern und sich die Krallen wetzen, an den Knochen von…”

“Darauf bin ich schon mit acht Jahren nicht reingefallen”, erinnerte Alice ihn.

“Was wirklich eine Schande ist.” Er schlang ihr den Arm um die Schultern, sie legte ihm ihren um die Taille.

Scorpius passte seinen Schritt an, so dass er neben Rose weiterging. “´Ne Menge Platz hier.”

“Der Keller ist schon auf verschiedenste Weise genutzt worden. Als zweckmäßiges Lager, so wie jetzt. Und Roxys Urgroßvater hatte eine Werkstatt hier unten. Er hat gern Sachen gebaut – und es heißt, dass er sich auch gern zurückgezogen hat, wenn ihre Urgroßmutter ihm eine Szene gemacht hat. Sie haben auch Konserven und Wurzelgemüse eingelagert, alles, was sie selbst geerntet hatten. Angelina hat mal erzählt, dass sie in den Fünfzigerjahren hier einen Luftschutzraum eingerichtet hatten.”

Als der Korridor wieder breiter wurde, blieb Rose stehen und stemmte die Hände in die Hüften. „Merlin, Albus, es ist unheimlich hier. Wie Katakomben.“

„Mir gefällt es.“ Mit zusammen gekniffenen Augen spazierte Fred umher. „Wenn man diese Wand raus nimmt, die Öffnung vergrößert. Träger, Säulen. Das bringt ein Fenster mehr und damit etwas mehr Licht.“

„Diesen Schlitz nennst du ein Fenster?“, fragte Alice.

„Die Beleuchtung ist das Wichtigste, und da gibt es Möglichkeiten.“ Fred hob den Blick. „Wir müssen einige Leitungen umlegen, damit der Raum höher würde. Platzprobleme gibt es nicht, ich würde also die Wände mit einer Lattung versehen und verblenden, dahinter die elektrischen Leitungen und weitere Wasserrohre verlegen. Dort drüben ein schönes Klo einbauen, entsprechend dazu auf der gegenüberliegenden Seite ein Kämmerchen. Ich persönlich würde auch einen Gaskamin installieren, wegen der Wärme und des Ambiente, und vielleicht diese Wand mit Steinen oder Ziegeln verblenden. Den Boden fliesen und darunter Heizelemente verlegen. Dann habt ihr da draußen noch diese Bunkertüren. Darüber möchte ich nachdenken, alles vermessen, aber ich denke, es ist machbar. O ja, es ist machbar.“

Albus warf Rose einen Blick zu, zog eine Augenbraue hoch.

„Wenn du das willst, mir soll´s recht sein.“

„Da hast du dein grünes Licht, Weasley.“

Fred rieb sich die Hände. „Yeah, Baby.“

„Jetzt fangen sie an, über tragende Wände und Wasserrohre zu reden.“ Alice schüttelte den Kopf. „Ich geh nach oben. Mir schwirrt immer noch mein Kopf vom Bau meiner zusätzlichen Küche. Die das Werk eines Genies ist“, fügte sie an Fred gewandt hinzu.

„Drunter machen wir´s nicht.“

„Ich komme mit dir.“ Rose schickte sich an, mit Alice hinauszugehen, bleib aber noch einmal stehen. „Fred, können wir im Lagerbereich auch eine Fußbodenheizung einbauen?“

„All das, meine Schöne, und noch mehr.“

Rose lächelte. „Vielleicht reden wir mal miteinander.“

Als Scorpius zurück nach oben kam – nachdem Fred ihm einen Raum ausgemalt hatte, der weiß Merlin ebenso genial, wenn nicht noch genialer war als das Testosteron Paradies in Albus jetzigem Haus –, waren Mrs Clarks, Dome, Alice und Rose beim Ab- und Aufräumen schon weit gekommen.

Kopfschüttelnd nahm er Mrs Clarks Hand. „Nee, nee. Sie setzen sich hin.“ Er deutete auf die Bank in der Frühstücksecke. „Wer kocht, muss nicht auch noch abwaschen. Das ist das Malfoysche Gesetz.“

„Deine Mutter mochte ich schon immer.“

„Ich habe sie auch sehr gern. Möchten Sie noch Wein?“

„Wein hatte ich genug, aber gegen eine Tasse Tee hätte ich nichts einzuwenden.“

„Kriegen Sie.“

Scorpius ging zum Herd, schüttelte den Kessel, schob dann Rose aus dem Weg, um ihn am Wasserhahn zu füllen. Ihren starren Blick erwiderte er fest.

„Problem?“

„Nein.“

„Dein Haar duftet wie die weißen Blüten an dem Busch unter meinem Schlafzimmerfenster, als wir noch in Wales gewohnt haben. Echt faszinierend.“

Er stellte den Kessel auf den Herd, schaltete die Platte ein. Die anderen Männer kamen herein, als er Dome gerade einen Stapel Teller abnahm.

„Mist“, brummte Albus. „Wir sind nicht lange genug unten geblieben.“

„Ihr könnt die Sachen holen, die noch auf dem Tisch stehen“, wies Alice sie an. „Wir sind knapp besetzt, weil Roxy und Frank sich verdrückt haben, um zu Hause Nachtisch zu essen. Der S-E-X buchstabiert wird.“

„Wenn sie eine Stunde gewartet hätten, dann hätten sie Pastete und Sex haben können.“ In einem Schrank fand Scorpius eine Tasse und eine Untertasse. “Besser geht´s doch nicht.“

Und, so stellte er sehr bald fest, es war eine verdammt gute Pastete.

Bevor er sich vom Tisch zurückschob, überlegte er, ob jetzt der rechte Zeitpunkt war. Albus und Fred kauerten über Skizzen, die Fred auf einen irgendwoher gezauberten Notizblock geworfen hatte, und Alice tauschte sich mit Mrs Clarks über Rezepte aus.

„Ich muss los. Danke, Mrs Clarks.“

„Pokerabend.“ Albus schaute auf. „Bring Kohle mit.“

„Klar, schließlich nehme ich dann deine mit nach Hause.“

„Bestell deiner Mutter schöne Grüße von mir.“ Mrs Clarks klopfte mit dem Finger auf den Tisch. „Rose, hol Scorpius die Reste, die ich für ihn beiseite gelegt habe.“

Umso besser, dachte Scorpius und schenkte Mrs Clarks ein breites Grinsen, als sie ihm zu zwinkerte. Dann folgte er Rose in die Küche.

„Sieht so aus, als würde ich morgen noch mal wie ein König speisen.“ Er schob sich die Frischhaltedose unter den Arm.

„Mrs Clarks hat eine Schwäche für Streuner. War nicht so gemeint“, fügte sie rasch hinzu.

„Hab´s auch nicht so aufgefasst.“

„Ich bin dir echt dankbar für deine Hilfe heute Abend. Du hast mir eine Menge Zeit und Ärger erspart. Ich bring dich zur Tür.“

Sie griff auf ihren förmlichen Ton zurück, stellte Scorp fest. Den Ton, der einem Mann klar zu verstehen gab, einen Schritt zurückzutreten. Also ging er auf dem Weg zur Tür absichtlich dichter neben ihr.

„Kannst du ungefähr abschätzen, wann ich meinen Wagen abholen kann?“

Ganz geschäftsmäßig jetzt, dachte Scorp. „Ma ruft dich morgen früh wegen der Reifen an und bespricht das mit dir. Da ich den Wagen schon mal habe, kann ich ihn auch kurz durchchecken.“

„Ich wollte nächsten Monat einen Inspektionstermin vereinbaren, aber, ja, wenn er schon mal da ist.“

„Hattest du irgendwelche Probleme damit?“

„Nein. Gar nicht.“

„Das dürfte die Sache vereinbaren.“

Rose streckte die Hand nach der Türklinke aus. Er kam ihr zuvor.

„Danke noch mal. Ich erwarte also morgen den Anruf deiner Mutter.“

Knapp und kühl wie ein Händedruck, dachte Scorpius. Er stellte die Dose auf einen Tisch, den eine Vase mit dicken orangefarbenen Rosen schmückte. Manchmal, dachte er, bewegte man sich langsam, manchmal schnell.

Er bewegte sich schnell, zerrte kurz an Rose, so dass sie gegen ihn prallte. Bei der Art, wie sie Entschuldigung sagte, wie eine altgediente Lehrerin zu einem ungezogenen Schüler, musste er grinsen, bevor er die Lippen auf ihren Mund presste.

Das war sogar noch besser als die Pastete.

Weich, köstlich, reif, mit nur einem Hauch des Entsetzens, der in die Süße drang. Er spürte, wie sich ihre Finger in seine Schulter gruben, und ihr leises Zittern konnte ebenso gut der Empörung wie der Lust entspringen.

Er hatte ihre Lippen bereits zuvor geschmeckt – einmal, als sie ihn gepackt und ihm einen Kuss aufgedrückt hatte, um sich an Albus zu rächen, und noch einmal, als er bei einem Besuch in Rose und Albus Haus in Cornwall seinen Instinkten nachgegeben hatte.

Und jedes Mal bekam er Lust auf mehr.

Auf viel mehr.

Er hielt sich nicht groß mit Nettigkeiten auf. Aalglatte oder höfliche Typen hatte sie sicher schon reichlich gehabt, und er wollte weder das eine noch das andere sein. Also genoss er einfach, ließ seine Hände an ihrem wahrhaft außergewöhnlichen Körper hinauf wandern, dann wieder hinunter, und freute sich daran, wie sie langsam dahinschmolz.

Als er das leise Schnurren in ihrer Kehle vernahm, es auf der Zunge schmeckte, ließ er sie los. Er trat zurück und nahm wieder die Dose mit den Resten. Dann lächelte er sie an. Es war das erste Mal, dass er sie perplex und sprachlos erlebte.

„Wir sehen uns, Rosie.“

Damit schlenderte er hinaus und schnallte die Frischhaltedose auf sein Motorrad. Als er sich auf den Sitz schwang und den Motor aufheulen ließ, warf er noch einen Blick zurück und sah Rose in der Tür stehen.

Sie sah einfach fantastisch aus, dachte er, wie sie so eingerahmt dort stand, in ihrem Businesskostüm, ein ganz klein wenig zerzaust, um sie herum das große, traumhafte Haus.

Er tippte zum Gruß an seinen Helm, dann donnerte er davon – mit jenem Bild so klar in seinem Kopf, wie er ihren Geschmack auf der Zunge hatte.

Rose trat einen Schritt zurück, schloss die Tür, dann drehte sie sich um und zuckte zusammen, als sie Alice in der Diele stehen sah.

„Kann ich einfach wow sagen?“

Rose schüttelte den Kopf und wünschte, sie hätte etwas, um ihre Hände zu beschäftigen. „Er hat mich … einfach gepackt.“

„Allerdings. Also nur ein wow.“

„Er ist ein Grabscher, bedrängt mich einfach und …“

„Ist richtig, richtig scharf. Und das sage ich als eine Frau, die wahnsinnig verliebt in deinen Cousin ist. Ich könnte auch noch ergänzen“, fuhr Alice fort, als sie auf Rose zuging, „da ich nicht höflich den Blick abgewendet habe und weggegangen bin, habe ich zufällig gesehen, dass du ihn nicht gerade von dir gestoßen hast.“

„Er hat mich überrumpelt. Außerdem wollte ich ihm die Genugtuung nicht gönnen.“

„Entschuldige, aber er sah auch so sehr zufrieden aus. Und, Rose?“ Alice tätschelte der Freundin den Arm. „Du siehst aus, als wärst du durcheinander, du bist glühig und hast einen verklärten Blick.“

„Ich bin nicht glühig.“

Alice drehte Rose an den Schultern zum großen Spiegel in der Diele um. „Was hast du gesagt?“

Gut, vielleicht glühten ihre Wangen, und vielleicht war ihr Blick ein wenig glasig, aber … „Das ist der Zorn.“

„Ich sage jetzt nichts von Lügen, aber, Rose, ich glaube, unter diesem Rock sind deine Beine ganz schön kurz.“

„Na gut, na gut. Er kann toll küssen, wenn man die raue, arrogante Art mag.“

„Schien dir ganz gut zu gefallen.“

„Das lag nur daran, dass er mich hinterrücks überfallen hat. Und das ist ein albernes Gespräch über rein gar nichts. Ich geh nach oben.“

„Dahin war ich auch unterwegs. Deshalb habe ich ja was von dem rein gar nichts zu sehen bekommen.“

Sie gingen gemeinsam hinauf, doch bevor sie sich trennten, blieb Rose auf dem Treppenabsatz stehen. „Ich hatte das Finger-weg-Cape an.“

„Was?“

„Ich bin nicht blöd. Er hat schon in der Küche so eine kleine Geste gemacht. Ehrlich gesagt, macht er ständig kleine Gesten, wenn ich ihm über den Weg laufe, was ein bisschen unangenehm und verwirrend ist, aber damit komme ich klar. Als ich ihn zur Tür brachte, dachte ich mir also schon, dass er was vorhaben könnte.“

Alice machte große Augen. „Und dann hast du das Finger-weg-Cape übergestreift? Den berühmten Panzer, der Männer aller Altersklassen, Glaubensrichtungen und politischen Neigungen abwehrt?“

„Ja.“

„Und doch hat es bei ihm nicht funktioniert. Er ist immun.“ Alice gab Rose einen Klaps auf den Arm. „Womöglich ist er der Einzige seiner Art.“

„Das ist nicht witzig.“

„Doch, und wie. Und sexy.“

„Ich habe aber nicht vor, mit Scorpius Malfoy irgendwas zu machen, das witzig oder sexy ist.“

„Rose, wenn du nicht irgendwie an ihm interessiert wärst, hättest du ihn abgeschüttelt wie ein Stäubchen auf deinem Kostüm. Er …“ Alice suchte nach dem richtigen Wort. „Er fasziniert dich.“

„Nein, er … vielleicht.“

„Als deine Freundin lass mich sagen, es ist schön zu sehen, dass dich ein Mann fasziniert, vor allem, da ich diesen Mann mag und mir aufgefallen ist, dass er auch fasziniert von dir ist.“

Rose zuckte heftig die Achseln. „Er will mich doch nur ins Bett kriegen.“

„Ja, natürlich will er dich ins Bett kriegen. Aber ich bin mir überhaupt nicht sicher, ob es nur das ist.“

“Ich werde keinen Sex mit ihm haben. Wir haben eine rein geschäftliche Beziehung.”

“Weil er dein Automechaniker ist?”

“Er ist der Automechaniker von Farytale, und er ist Albus Freund.”

“Rose, deine Ausreden sind so lahm, dass sie hinken. Das bringt mich auf den Gedanken, du könntest Angst haben, dass du mit ihm Sex haben willst.”

“Es geht nicht um Sex. Es geht nicht immer alles um Sex.”

“Du hast davon angefangen.”

Erwischt, gestand Rose sich ein. „Und jetzt höre ich wieder auf damit. Ich habe sowieso zu viel im Kopf, um darüber nachzudenken. Morgen haben wir ein volles Programm. Genau wie an den vier Tagen danach.“

„Stimmt. Magst du, dass ich noch mit hoch komme und ein bisschen bei dir bleibe?“

Die Tatsache, dass sie sich das wünschte, wirklich wünschte, zeigte Rose nur, dass sie zu viel Lärm um nichts machte. „Nein, danke, alles bestens. Und ich habe noch ein bisschen Arbeit zu erledigen, bevor ich schlafen gehe. Bis morgen früh.“

Sie ging allein nach oben und schaltete zur Gesellschaft das Radio ein. Nachdem sie aus den Schuhen geschlüpft war, untersuchte sie beide auf Dellen, Kratzer oder Schrammen. Zufrieden stellte sie das Paar dann an seinen Platz im Schuhregal ihres begehbaren Kleiderschrankes. Sie ließ ihr Kostüm in den Kleidersack der Reinigung fallen und drückte ihren Schmuck zurück in die dafür vorgesehenen Halterungen in den flachen Schubladen.

Sie streifte ihr Negligé über, dann einen Morgenmantel, in dessen Tasche sie ihr Telefon steckte. Sie überlegte, ob sie ein ausgiebiges heißes Bad nehmen sollte, entschied sich jedoch dagegen, da ausgiebiges Baden zum Nachdenken und Träumen verleitete. Auf beides war sie nicht erpicht.
 

Stattdessen konzentrierte sie sich auf ihr Programm des folgenden Tages, während sie ihr Gesicht reinigte und mit Gesichtswasser und Feuchtigkeitscreme pflegte.

Von wegen glühig, dachte sie und warf ihrem Spiegelbild einen kühlen Blick zu. Was für ein alberndes Wort. Eigentlich war es überhaupt kein richtiges Wort, sondern total falsch.

Alice hatte das Liebesfieber. Daran erkrankten fast alle Bräute, und zu den Symptomen gehörte, dass sie alles und jeden durch einen rosaroten Liebesdunst sahen.

Schön für sie, räumte Rose ein, als sie das Band aus ihrem Haar nahm. Gute Geschäfte für Farytale.

Apropos Geschäfte, sie würde sich jetzt eine Stunde Zeit nehmen, um die neuen Angaben und ersten Entscheidungen der Kunden von der Beratung am Abend in die Akten einzutragen.

Schätzungsweise zweihundert fünfundzwanzig geladene Gäste, dachte sie, als sie zurück in ihr Schlafzimmer ging, obwohl sie später im Wohnzimmer an ihrem Laptop arbeiten wollte. Zum Gefolge der Braut würden sechs Personen gehören, darunter ein Blumenmädchen, das bei der Hochzeit im Juni fünf Jahre alt sein würde.

Die Lieblingsblumen der Braut waren Pfingstrosen, ihre bevorzugten Farben – zumindest zur Zeit – rosa und grün. Sanfte Töne.

Sanft, dachte Rose erneut und wechselte die Richtung, um ihre Balkontüren zu öffnen und hinauszutreten. Sie würde nur erst ein bisschen frische Luft schnappen, kühle Nachtluft.

Die Braut wollte es sanft und zart. Als sie Rose gebeten hatte, in den Brautsalon zu kommen, um das ausgewählte Kleid anzuschauen, hatte sich gezeigt, dass sie begriffen hatte, wie das Kleid im Mittelpunkt der Hochzeitsplanung stand – Farben, Themen, Stimmungen, alles richtete sich nach dem Brautkleid.

All die hübschen, fließenden Lagen, erinnerte sich Rose, der sanfte Schimmer der winzigen Samenperlen, die zarten Spitzenbesätze.

Pastellfarben und Pfingstrosen, schimmernder Tüll und gehauchte Treuegelöbnisse.

Sie konnte es vor sich sehen. Sie würde dafür sorgen, dass es genau so wurde. Darin war sie besonders gut. Es gab keinen Grund, keinen guten Grund dafür, dass sie sich so unruhig fühlte, so verunsichert, so verwirrt.

Keinen Grund, hier draußen zu stehen, auf die Nacht feuchten Gärten zu starren und sich an den unerwarteten Kick einer Motorradfahrt zu erinnern, die nur ein paar Minuten gedauert hatte.

Und die schnell, gefährlich und lächerlich aufregendes gewesen war.

Ähnlich, ganz ähnlich dem unsanften, stürmischen Kuss eines aufdringlichen Typen in ihrer eigenen Diele.

An solchen Dingen hatte sie kein Interesse – absolut nicht. Sie war vielleicht fasziniert, aber das war etwas ganz anderes. Faszinierend fand sie auch Haie, wie sie auf ihre unheimlich lautlose Art durch ein Riesenaquarium schwammen, aber das bedeutete noch lange nicht, dass sie zu ihnen ins Wasser steigen wollte.

Der Vergleich war nicht fair, gestand sie sich seufzend ein. Es war alles andere als fair.

Scorpius war vielleicht dreist, aufdringlich, aber er war kein Hai. Mit Mrs. Clarks war er so unbefangen umgegangen, hatte sogar ein bisschen geflirtet. Rose besaß ein untrügliches Gespür dafür, wenn jemand es mit einem Menschen, den sie liebte, nicht ernst meinte, aber bei Scorpius hatte ihr Radar nicht ausgeschlagen.

Dann war da seine Freundschaft mit Albus. Beruflich mochte Albus Beziehungen zu Blendern und Haien dulden, aber niemals privat.

Also lag das Problem – wenn es denn eines gab – bei ihr. Sie würde es einfach beheben müssen. Probleme zu beheben, zu lösen, aus der Welt zu schaffen, das war ihr Job.

Sie würde sich einfach die Lösung für dieses überlegen, sie anwenden und dann zur Tagesordnung übergehen. Dazu musste sie besagtes Problem zunächst genauer bestimmen, doch sie konnte sich schon ganz gut denken, worin es seinen Ursprung hatte.

Irgendwo in ihrer Faszination – nicht ihrem Interesse, sondern ihrer Faszination – fühlte sie sich zu Scorp hingezogen.

Das war pure Chemie.

Sie war ein Mensch, sie war gesund, und Alice hatte Recht. Scorpius war ein scharfer Typ. Auf seine primitive, ungehobelte Art.

Motorräder und Leder, zerrissene Jeans und dreistes Grinsen. Grobe Hände, ein hungriger Mund. Rose presste sich eine Hand auf den Bauch. Ja, das war definitiv ein Aspekt seiner Anziehungskraft. Nun da sie sich das eingestanden hatte, konnte sie an der besten Methode arbeiten, sie zu entschärfen.

Wie eine Bombe.

Wie die Bombe, die in ihr explodiert war, als er sie an sich gerissen hatte. An sich gerissen, dachte sie erneut. Sie mochte es nicht, wenn jemand sie an sich riss.

Oder?

„Egal“, murmelte sie. Probleme löste man durch Antworten, nicht durch weitere Fragen.

Sie wünschte nur, sie hätte nicht so viele elende Fragen.

Das Handy in ihrer Tasche klingelte. Sie zog es heraus wie eine Frau, die in stürmischer See nach einem Floß greift.

„Merlin sei Dank.“ Sie atmete erleichtert auf. Die Chaosbraut würde ihr zweifellos ein Problem bieten, das sie effizient lösen konnte. Und das sie von ihrem eigenen ablenken würde.

„Hallo, Sabina! Was kann ich für sie tun?“
 


 

Da man uns verletzt hat,

errichten wir eine Mauer um uns herum,

damit man uns nie wieder verletzt.

Und wenn man eine Mauer um sich errichtet hat,

dann fühlt man sich zwar geschützt,

doch wird man nur noch mehr verletzt.

Krishnamurti



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  OnePieceFan
2017-06-03T19:32:32+00:00 03.06.2017 21:32
Hallo :)

ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich bisher keine Zeit hatte, zu kommentieren, aber ich hole es jetzt nach!

Ich bin so so so verliebt in deine Charaktere!!! Wie wundervoll du sie beschreibst, ihre Eigenschaften und alles! Ich bin hin und weg und habe deine Story in einem Rutsch durch gelesen!!!! Das ist mir bei so einer langen Fanfiction noch nie passiert!
Ich kann gar nicht alles aufzählen, was mir alles gefallen hat, denn da würde ich dir deine eigene Story aufschreiben, es ist wirklich alles wundervoll!!!
Roxy und Frank haben mein Herz gestohlen! Wie toll die beiden zusammen sind!
Ich warte nun ungeduldig auf Rose und Scorpius, denn beide sind mein absolutes Lieblingspaar und ich hoffe, bald weiter lesen zu können! Ich weiß nicht, ob du so etwas machst, aber wenn du Zeit und Lust hast, schreib mir doch bitte eine ENS, wenn du weiter geschrieben hast :)

Viele liebe Grüße von deinem neusten Fan :D

Romina
Von:  Lionness
2016-03-28T21:05:05+00:00 28.03.2016 23:05
Hey, das neue Kapitel und es war wie immer sehr sehr schön.

Gefühlte Ewigkeit habe ich auf Rose´s Part gewartet und ich kann nur sagen, dass du mich wiedermal nicht enttäuscht hast, vielen Dank dafür. Im Ganzen muss ich zugeben, dass ich deine Rose sehr mag, vielleicht weil sie mich sehr an mich selbst erinnert. ^^ Jedenfalls kann ich das nächste Kapitel kaum erwarten.

LG Lio
Antwort von:  sunny3291
31.03.2016 14:21
Hei Lionness,
Es freut mich, dass du dich so lange geduldet hast bis Rose und Scorpius an der Reihe sind. Für mich mussten die beiden einfach am Schluss kommen, da sie mein persönliches Traumpaar sind... Und Auch wenn ich viele Fanfics mit einer schüchternen Rose, einer knallharten Rose oder auch mit einer Streberin sehr gerne mag - bin ich sehr stolz auf meine eigene Rose. Sie weiß genau, was sie in ihrem Leben erreichen will, hat dabei aber ihr Herz an der richtigen Stelle. Ich finde, sie hat einen sehr guten Charakter erhalten. Aber selbst Rose verblasst bei dem coolen Scorpius =).

Und keine Angst, lange müsst ihr euch wohl alle nicht mehr gedulden, denn das nächste Kapitel ist schon gut im Fluss (6000 Wörter sind schon auf dem Papier =))

LG sunny
Von:  scater-fiffy
2016-03-21T19:07:40+00:00 21.03.2016 20:07
hey hey,

ich musste so lachen, beim betan und auch beim nochmal lesen :)
so toll und so genial geschrieben, phantastisch wie immer :D
mach bitte weiter so und lass dich nicht beirren :) die story ist immer noch eine Linie und dennoch überrascht sie
beim lesen einen immer wieder :)
und das ich Scorp und Rose liebe als paaring darüber hatten wir es ja schon ;)

halt die ohren steif, gib nicht auf und mach weiter so :)

deine beta fee fiffy :)
Antwort von:  sunny3291
22.03.2016 20:17
O Mann, was würde ich manchmal ohne dich machen???
Ich gucke mal, ob ich sogar deinen Vorschlag in die Fanfic einbaue. Es hört sich auf jeden Fall cool an =)
Von:  Kira04
2016-03-21T17:42:11+00:00 21.03.2016 18:42
Hallo liebe Sunny :)
ich verfolge deine Geschichte schon etwas länger und wollte dir erstmal ein großes Lob aussprechen! Ich liebe dieses Geschichte. Sie gehört eindeutig zu meinen Lieblingsfanfiction, alle meine Lieblingspaare in einer gemeinsamen Geschichte. Finde ich super und ich freu mich jedes Mal darüber, wenn ein neues Kapital online kommt. Ich hoffe es kommen demnächst weitere :)

LG :)
Antwort von:  sunny3291
22.03.2016 20:17
Erst einmal Dankeschön für deinen lieben Kommi.
Und ja ich strenge mich an, dass es bald weiter geht. Ich glaube sogar, dass ich wesentlich schneller neue Kapitel veröffentlichen könnte, wenn ich mir nicht als Ziel mindestens 10 000 Wörter gesetzt hätte.
Also noch etwas Geduld. Das neue Kapitel ist aber schon in der Mache.


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