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Magenta III

Im Bann der Aspekte
von

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Die Bürde eines Helden

Emanuelle rümpfte die Nase. Der unsägliche Blutgestank wurde immer intensiver, je weiter sie die glitschige Rampe in das Dunkel vor ihnen hinab stiegen. Darunter mischte sich zu dem allgegenwärtigen Schimmelgeruch und dem erstickenden Fäulnisgestank jetzt auch noch ein Geruch, den Emanuelle kannte. Er war scharf und beißend und unverkennbar, für jemanden, der sich mit Maschinen und Brennstoffen auskannte.

Ich werde vorsichtig mit den Feuerzaubern sein müssen, dachte die kleine Magierin bei sich. Zumindest ein wenig vorsichtiger als sonst.
 

„Wo sind wir?“, hörte Emanuelle Ceredrians Stimme in der Dunkelheit. Sie selbst konnte von den Nachtelfen nur schemenhafte Umrisse mit leuchtenden Augenpaaren irgendwo oberhalb ihres Kopfes ausmachen. „Diese Statuen…sie wirken so echt.“

„Das liegt daran, dass sie echt sind, du Trottel.“, antwortete eine heisere Stimme, die nur dem kratzbürstigen Schurken gehören konnte. „Achtung!“

Ein Zischen und Rasseln war zu hören. Etwas krachte und zerbarst. Steinsplitter prasselten auf Emanuelle herab. Dann hörte sie das Reißen von Fleisch, das von einem Messer durchtrennt wurde, und ein schwerer Körper plumpste neben ihr auf den Boden. Als sie die Hand ausstreckte, fühlte sie die raue, schuppige Haut einer Schlange.

„Die Brut von Hakkar.“, grollte die tiefe Stimme des Druiden dicht neben Emanuelle. „Wir werden vorsichtig sein müssen. Hier unten treffen wir bestimmt auf mehr als nur eine Schlange.“

„Ach wirklich?“ Emanuelle, die gerade in ihrer Tasche nach ihrer Ultrasichtbrille und einer leistungsstarken Taschenlampe kramte, überlegte kurz. Sie hatte da diese Maschine für einen Freund gebaut. Der gute Mann hatte das Problem gehabt, dass seine Frau immer mit ihm schimpfte, weil der Sonntagsbraten, den er von der Jagd mit nach Hause brachte, ihr nie groß genug war. Emanuelles Tiervergrößerer hatte dieses Problem für ihn gelöst. Danach konnte er immer ihr die Schuld geben, wenn das Ding im Ofen einging. Wenn man nun die Wirkung dieser Maschine umdrehen und mit einem gnomischen Schrumpfstrahl kombinieren würde, dann könnte man vielleicht…

“Kommt Ihr, Magierin?

Emanuelle rückte die Brille vor ihren Augen zurecht und knipste die Lampe an. Im kegelförmigen Schein erschien die vertraute Gestalt von Easygoing, der fragend die Augenbrauen nach oben gezogen hatte. Zu seinen Füßen lag der tote Körper einer weißen, gefiederten Schlange.

„Ähm ja, ich habe nur…ach egal.“, murmelte Emanuelle. Sie hatte vollstes Vertrauen, dass die Nachtelfen das Schlangenproblem auch ohne ihre Hilfe lösen würden. Und während die drei bereits die nächste Natter am Wickel hatten, würde sie sich erst mal mit ein paar Nasenstöpseln gegen diesen impertinenten Gestank behelfen.
 

Vorsichtig trippelte Emanuelle hinter Easygoing und Ceredrian her. Der Dritte im Bunde hatte es offensichtlich vorgezogen, in den Schatten unterzutauchen, und nur eine gelegentliche, flüchtige Bewegung oder ein Luftzug ließen darauf schließen, dass der Schurke sich noch in ihrer Nähe befand. Aber im Grunde genommen hatte Emanuelle auch keine Zeit, sich darum zu kümmern. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, die reich verzierten Gänge zu bewundern, die sie immer tiefer in das Heiligtum des Gefallenen Gottes führten. Anders als im oberen Teil des Tempels, waren die Masken, Statuen und Wandbilder hier noch in all ihrer Pracht und Grausamkeit zu bewundern. Nicht wenige ließen darauf schließen, dass dem trollischen Blutgott nicht nur unwissende Fremde, sondern vor allem die Gläubigen in Scharen geopfert wurden. Die Priester hingegen hatten, wie es aussah, eine Vorliebe dafür entwickelt, das ausgeblutete Fleisch zu…nun ja…zu verspeisen. Emanuelle schauderte anhand der expliziten Darstellungen. So tief hatte sie eigentlich nie in das Studium der Troll-Anatomie vordringen wollen.
 

„Leise!“, zischte Easygoing plötzlich und hob warnend die Hand. Aus dem Gang vor ihnen drang neben einem sehr schwachen Lichtschein ein dunkler, murmelnder Sprechgesang in der gutturalen Sprache der Trolle.

Der Druide winkte dem Priester und Emanuelle zurückzubleiben und huschte dann auf die andere Seite der Türöffnung. Dort angekommen zog er sich in die Schatten zurück und kurz darauf steckte eine schwarze Raubkatze dicht an den Boden gedrückt ihren Kopf durch die Tür. Pfote um Pfote glitt der Druide in den Raum und verschwand schließlich aus ihrem Sichtfeld. Ein Luftzug und ein verschwommener Umriss folgten ihm. Emanuelle sah schräg nach oben zu Ceredrian hinauf.

„Gehen wir auch rein?“, fragte sie grinsend.

„Ich wüsste nicht, was ich lieber täte.“, gab der Priester mit einem Zwinkern zurück. „Nach Euch.“

Die kleine Magierin legte grüßend Zeige- und Mittelfinger an den Rand ihrer Schutzbrille, löschte ihre Lampe und wuselte dann durch die Türöffnung.
 

Vor Emanuelle öffnete sich ein großer, rechteckiger Raum. Boden, Wände und Decke lagen verborgen im Dunkel, denn die einzigen Lichtquellen im Raum waren zwei große Feuerschalen, die auf langen, eisernen Stangen über einem klobigen Altar gehalten wurden. Vor dem Altar kniete eine Gestalt. Unverkennbar ein Troll mit einer langen, dunklen Mähne, die ihm in Zotteln über den Rücken und seine Robe fielen. Um den Troll herum pulsierte eine schwache, violette Aura, die Emanuelle frösteln ließ.

„Ein Schattenpriester.“, flüsterte Ceredrian und seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Das wird nicht einfach.“

Emanuelle wollte gerade etwas erwidern, als der Troll sich erhob und sich zu ihnen herumdrehte. Seine funkelnden, schwarzen Augen, in denen Emanuelle sich sicher war, auch einen Funken von Wahnsinn glimmen zu sehen, richtete sich direkt auf die beiden Eindringlinge.
 

„Ihr habt gewagt, das Reich von Hakkar zu betreten.“, lachte der Trollpriester und bleckte seine Hauer. „Jetzt werdet Ihr sterben.“

Bevor Emanuelle reagieren konnte, hatte der Troll etwas in ihre Richtung geworfen. Kaum hatte das Ding – es sah aus wie ein gedrungener Holzstab mit Federn und Knochen – den Boden berührt, fühlte Emanuelle eine erdrückende Schwere auf sich lasten. Die Erde selbst schien sich über ihr aufgetürmt zu haben und an ihren Füßen zu kleben. Sie konnte sich nicht bewegen und alles an ihr schien Tonnen zu wiegen.

„Priester, ja?“, fauchte Emanuelle und warf Ceredrian einen bösen Blick zu. „Ich würde sagen, Schamane trifft es eher.“

„Ich bin untröstlich über die Verwechselung.“, knirschte Ceredrian, der ebenfalls und, wie es schien ungleich stärker, mit der Wirkung des magischen Totems zu kämpfen hatte.

„HAKKAR!“, schrie der Priesterschamane derweil. Er hob die Hände zum Altar und machte beschwörende Gesten. „Dein ergebener Diener Jammal’an bietet dir neue Seelen dar. Komm und erfülle mich mit deiner Macht. Gib deinem treuesten Propheten Macht! MACHT!“
 

Emanuelle nutzte die Gelegenheit der Ablenkung. Sie versuchte nicht länger, gegen den Erdbindungszauber anzukämpfen, sondern konzentrierte sich stattdessen auf einen Teleportationszauber, um sich aus dessen Reichweite zu bringen. Sie spürte, wie die Kraft der magischen Fesseln nachließ und wurde mit einem Ruck nach vorn katapultiert. Von ihrem eigenen Schwunge getrieben, stolperte sie haltlos vorwärts, bis plötzlich zwei säulenartige Beine vor ihr aufragten. Die eingefallene, graue Haut des Besitzers knisterte trocken unter Emanuelles Fingern, als sich ein paar der Binden lösten, die daran befestigt waren. Voller böser Vorahnungen blickte Emanuelle an den Beinen entlang nach oben.
 

„Du wirst jetzt sterben.“, versprach der untote Troll, gegen den sie geprallt war, und hieb mit einer gezackten, grün glühenden Klinge nach der kleinen Magierin. Sie überlegte nicht lange und brachte sich mit einem weiteren Blinzelzauber in Sicherheit. Von einer halbhohen Säule herab wollte sie gerade einen Feuerball beschwören, um die Mumie in Brand zu setzen, als ein langgezogener, schwarzer Schatten sich mit einem wütenden Fauchen auf den untoten Troll stürzte.

„Ogrom! Töte ihn! Töten den Ungläubigen!“, kreischte Prophet Jammal‘an am Altar. „Lass sein Blut in Strömen fließen. Und DU“, sein Blick richtete sich auf Emanuelle, „Du wirst Orgom dabei helfen! Der Prophet befiehlt es.“
 

Emanuelle spürte, wie ein Zauber über sie hinweg spülte und von ihr Besitz ergriff. Voller Entsetzen musste sie zusehen, wie sich ihre Hände ohne ihr Zutun hoben. Ihr Zeigefinger richtete sich direkt auf Easygoing und sie spürte, wie sich die arkane Macht darin sammelte. Sie würde den Druiden, der immer noch in den Kampf mit dem Untoten verstrickt war, völlig unvorbereitet treffen. Emanuelle wollte schreien, sich gegen diese feindliche Übernahme zur Wehr setzen, doch sie war machtlos angesichts der Kraft, die ihre Gedanken fesselte und ihre Handlungen kontrollierte. Ohnmächtig sah sie dem Grauen mit Tränen in den Augen entgegen. Die Arkane Explosion würde den Druiden und auch seinen Gegner in Stücke reißen. Sie musste…sie konnte nicht…sie….hatte plötzlich wieder die Gewalt über ihren Zauber.

Blitzschnell riss sie die Hand nach oben und der grelle Blitz raste gegen die Decke der steinernen Halle. Im gleißenden Licht der Explosion sah Emanuelle Jammal’an am Altar stehen. Sein ungläubiger Blick war auf seine Brust gerichtet, wo sich ein dunkler Fleck rasch ausbreitete. Hinter ihm warf eine schemenhafte Gestalt einen nachtelfenförmgen Schatten auf den Boden.

„Was…?“, röchelte der Prophet. Blut lief aus seinem Mundwinkel. „Was habt ihr getan? Ihr könnt… mich nicht töten. Hakkar…die Unsterblichkeit…zu früh. Der Schild…zerbrochen! Hakkar…wird…leben!“

Der Troll hustete und fasste sich an die Brust. Dann verlosch Emanuelle Zauber und tauchte die Halle wieder in schummerige Dunkelheit. Die schattenhafte Silhouette des Trolls taumelte, stolperte zwei der Altarstufen hinab und fiel dann zu Boden. Im Fallen verfing sich die weite Robe des Priesterschamanen in einer der Feuerschalen und riss sie mit sich zu Boden.
 

Emanuelle verfolgte den leuchtenden Feuerstreif mit den Augen. Sie wusste plötzlich, dass sie etwas Entscheidendes vergessen hatte. Wegen der Nasenstöpsel hatte sie schlichtweg nicht mehr daran gedacht.

„Runter!“, rief sie den Nachtelfen eine Warnung zu und warf sich selbst in Deckung.

Die Feuerschale beschrieb einen Halbkreis und krachte dann mit Getöse zu Boden. Funken flogen durch die Gegend und verloschen glimmend in der Dunkelheit. Emanuelle rollte sich zu einer Kugel zusammen, kniff die Augen zu, stopfte sich die Finger in die Ohren und wartete auf die Explosion.
 


 

Easygoing versetzte dem untoten Troll eine Stoß mit dem Kopf, der den lebenden Leichnam rückwärts taumeln ließ. Scharfe Krallen rissen seinen bandagierten Körper auf und eine gewaltige Pranke zermalmte den Schädel mit den bleichen Hauern, als dieser auf dem Boden aufschlug. Erst dann wich das untote Leben aus der wandelnden Mumie und ließ einen staubenden Haufen trockenes, totes Trollfleisch zurück. Easygoing verwandelte sich zurück und spuckte aus.

„Widerlich!“, knurrte er und sah sich um. Sein Bruder kniete über der Leiche des Propheten und durchsuchte dessen Taschen, Ceredrian klopfte sich den Staub und Ascheflocken von der Robe und Emanuelle…

„Wo ist die Gnomin?“

„Ich weiß nicht.“, antwortete der Priester. „Das Letzte, was ich von ihr sah, war, das sie da oben auf dieser Säule hockte.“

Easygoing sah zu der leeren Säule hoch und runzelte die Stirn. Mit ein paar schnellen Schritten war er bei ihr und spähte vorsichtig hinter das steinerne Hindernis. Dort saß die Gnomin in einer Ecke zusammengekauert, mit verkniffenem Gesicht und den Händen an ihren Ohren. Als Easygoings Schatten auf sie fiel, öffnete sie ein Auge und lugte vorsichtig zu ihm hinauf.

„Ist es schon explodiert?“, fragte sie.

„Was?“

„Na das Petroleum. Ich habe den Gestank zwischen all dem Blutgeruch bemerkt und dachte mir, das könnte ins Auge gehen.“

„Nun, offensichtlich sind wir alle noch hier.“, grollte der Druide und musste gegen seine Willen ein wenig schmunzeln. „Also kommt da heraus, damit wir endlich diesen Blutgott finden können.“

Emanuelle kratzte sich an der Nase und krabbelte dann gehorsam hinter ihrer Säule hervor.
 

Die anderen beiden waren inzwischen zu dem Altar getreten und betrachteten eine Schriftrolle, die ausgebreitet darauf lag. Trollische Runen bedeckten das uralte Pergament.

„Oh, ich weiß, was das ist.“, rief Emanuelle und wuselte zum Altar, wo sie sogleich die Altarplatte erklomm und sich neben das Pergament stellte. „Mit dieser Formel können wir Hakkar beschwören. Also seinen Avatar. Wir müssen dann nur den Avatar so lange im Schach halten, bis ich seine Essenz in das Ei gebannt habe. So hat Yeh’kinya es mir zumindest erklärt.“

„Ich finde, wir sollten zunächst einmal etwas mehr Licht in die Sache bringen.“, warf Ceredrian ein. Der Priester nahm eines der Scheite aus den umgefallenen Feuerschale und trat damit an den Rand der Halle. Er hielt das Scheit eine Weile in Bodennähe, bis der Funke des Feuers übersprang. Rasch lief die feurige Spur am Boden weiter, entzündete weitere Linien, die wie brennende Ratten über die Steinplatten huschten. Vom Boden aus züngelten die Flammen dann nach oben und entzündeten nach und nach weitere Feuerschalen, bis die Halle schließlich von einem Kreis aus flackernden Feuern umgeben war.
 

„Oh.“, machte Emanuelle nur, als sie von dem Altar herunter auf eine Plattform starrte, die den größten Teil der Halle einnahm. Auf der Plattform lag das Skelett einer gigantischen, geflügelten Schlange. Die Reißzähne der Skelettschlange waren jeder so groß wie die Gnomin selbst und die Spannweiter der Schlange musste eine doppelte Nachtelfenlänge betragen. Um die Plattform der Schlange herum floss in einer breiten, steinernen Rinne eine dunkle Flüssigkeit. Mit der zunehmenden Wärme durch die Feuer wurde der Blutgeruch intensiver. Easygoing schüttelte sich.

„Trolle sind wirklich noch widerlicher, als ich es mir immer vorgestellt habe.“, knurrte er. „Wie geht es jetzt weiter?“

„Nun ja…also…ähm…“, stotterte Emanuelle etwas vor sich hin. „Irgendjemand muss die Formel vorlesen, denke ich.“

„Das werde ich übernehmen.“, bot Ceredrian an.

„Du kannst das lesen?“, staunte Deadlyone neben ihm. Der Schurke war inzwischen so gut wie sichtbar, lediglich noch etwas unscharf an den Rändern. Die Schattenaura des Propheten schien ihr Übrigens geleistet zu haben.

„Ja, zufällig kann ich das lesen.“, antwortete Ceredrian mit einem süffisanten Lächeln. „Auch wenn ich natürlich meine geistige Überlegenheit und reichhaltigeren Erfahrungen dir gegenüber nur ungern so offen zur Schau trage, mein lieber Deadlyone.“

Der Schurke machte ein unanständiges Geräusch und grinste dann. „Na ja, es muss ja auch irgendwas geben, was du kannst. Kämpfen gehört immerhin nicht gerade dazu.“

„Noch ein Wort und ich…“

„Genug!“, bellte Easygoing. „Wir haben jetzt wirklich keine Zeit für solche Kindereien. Ceredrian, du liest, die anderen gehen auf ihre Position.“

„Und die wäre wo?“, fragte Emanuelle mit unschuldigem Augenaufschlag.

„Ich…ihr…ach bleibt mir einfach vor den Füßen weg.“, blaffte der Druide und verwandelte sich mangels einer besseren Idee in seine Bärengestalt, bevor er mit einem Satz auf die Plattform zu der Skelettschlange übersetzte. Manchmal gingen die drei ihm wirklich auf die Nerven.

„Dann beginne ich jetzt das Ritual.“, verkündete Ceredrian, bevor er mit dunkler, fremd klingender Stimme begann, die magische Beschwörungsformel zu rezitieren.
 

Die Worte quollen wir Gift über Ceredrians Lippen und wo sie die Oberfläche der Blutrinnen berührten, begann das dunkle Rot zu brodeln. Tropfen und Rinnsale erhoben sich aus den Kanälen und flogen und schlängelten sich auf das riesige Skelett zu. Pfote um Pfote wich Easygoing zurück, bis er mit dem Rücken an die knöcherne Schlange stieß. Ein Beben ging durch den Knochenhaufen und verebbte auch nicht, als der natürliche Einfluss der Berührung schon längst hätte vorüber sein müssen. Immer stärker wurde das Zittern des Knochenhaufens. Wirbel begannen sich zu verschieben, Rippen rutschten in ihre Position. Die Skelettschlange erwachte zum Leben.

„Ich weiß nicht, Easy, aber ich glaube, du solltest da weggehen.“, meinte Deadlyone.

Für den Druiden klang das ausnahmsweise mal nach einer guten Idee und er sprang mit allen vier Pfoten gleichzeitig über eine der Blutrinnen, bevor die verfluchte Flüssigkeit seine Tatzen benetzte. Kaum war er auf den andere Seite angekommen, schossen auch schon ganze Fontänen des dunklen Rots empor und benetzten die bleichen Knochen der geflügelten Schlange. Wo das geschah, begann neues Fleisch zu wachsen. Muskeln und Sehnen bildeten sich aus dem Nichts heraus und wanden sich ihrerseits wie Schlangen um die fahlen Knochen. Mit einem grässlichen Geräusch zwischen einem Lachen und einem Zischen hob die Skelettschlange den Kopf.

„Hier bin ich! Flieht, Sterbliche! Flieht oder verzweifelt!“, zischte die Schlange und schüttelte die Flügel, zwischen denen sich eine glasfeine Haut gebildet hatte.

„Kommt gar nicht in die Tüte!“, rief Emanuelle zurück. „Du kommst jetzt schön hier rein. Na wird´s bald!“

Die Gnomin reckte das uralte Ei in di Höhe, dessen grünliches Leuchten sich plötzlich zu einem gebündelten Strahl ausdehnte und die riesige Knochenschlange traf. Ein bestialisches Jaulen kam aus dem Maul der Schlange, während gerade noch neu entstandenes Fleisch unter dem Leuchten verging wie Asche im Wind.

„Nein, nimm es weg! Es brennt! Es brennt!“, heulte die Schlange. „Kommt meine Kinder! Kommt und beschützt Euren Gott und Vater!“
 

Ein Zischen hinter ihm ließ Easygoing herumfahren. Vor ihm ragte eine große, geflügelte Schlange von blauer Farbe auf. Sie versetzte ihn mit ihm Schwanz einen Schlag auf die Schnauze, die ihn vor Schmerz aufbrüllen ließ und segelte dann mit ausgebreiteten Flügeln zu der Plattform, wo sich der Avatar von Hakkar in entsetzlicher Agonie auf dem Boden wand. Die blaue Schlange öffnete ihr Maul und spie einen grellen Blitz aus. Das weiße Licht sprang empor, verästelte sich und bildete eine schützende Wand zwischen Emanuelle mit dem Ei und dem brüllenden Avatar. Sogleich brach der grüne Lichtstrahl ab und die Heilung der Skelettschlange setzte erneut ein.

Easygoing wusste, was er zu tun hatte. Mit einem wütenden Brüllen warf er sich auf die blaue Schlange und riss sie zu Boden. Ihr Schutz zauber brach ab und der Schild versagte. Windend und zischend kämpfte die Schlange um ihre Freiheit, während Easygoing versuchte, ihren Kopf zu packen zu bekommen. Die Flügel der Schlange peitschten ihm um die Ohren und die nadelspitzen Fangzähne bohrten sich in sein Fell. Weit entfernt hörte er Emanuelle erneut aufschreien und sah aus den Augenwinkeln, dass eine weitere der blauen Schlangen erschienen war, um ihren Herrn und Meister zu beschützen. Der Druide überlegte nicht lange und handelte.

Blitzschnell verwandelte er sich von seiner Bären- in seine Katzengestalt und kam so aus dem Würgegriff der Schlange frei. Fauchend stürzte er sich mit Zähnen und Klauen auf den Kopf der Schlange und trennte ihn mit einem beherzten Biss vom Körper. Während der sich windende und zuckende Körper zu Boden fiel, spurtete er mit fliegenden Pfoten auf die andere Seite der Plattform, nur um gerade noch mitzuerleben, wie Deadlyone mit dem Schwert des Mumientrolls ausholte und seine gefiederte Gegnerin ebenfalls enthauptete. Doch schon hörte Easygoing erneut ein Zischen hinter sich. Er wirbelte herum und erstarrte. Vor ihm stand mit aufgerissenem Rachen eine grüne Drachenbrut.

„Sssstoppt diesen Wahnsinn!“, zischelte sie und richtete die klauenbesetzten Hände auf den Avatar von Hakkar. „Der Dunkle darf nicht in diese Welt übertreten!“
 

Ein violetter Blitz jagte von der Drachenbrut in den schutzlosen Körper der Skelettschlange. Der Avatar heulte vor Wut und Schmerz und zwischen dem Geschrei konnte Easygoing Emanuelle lauthals piepsen hören.

„Haltet ihn auf! Wir verlieren den Avatar. Haltet diese Drachenbrut auf!“

Ysera, vergib mir, dachte Easygoing und stürmte mit den Krallen voran auf die Drachenbrut zu. Die grüne Gestalt kreischte entsetzt auf und ihr Zauber brach ab. Jetzt wurde die Energie des Avatars wieder von Emanuelle in das Ei gezogen.

Easygoing drückte die Drachenbrut zu Boden und knurrte eine Warnung. Er wollte das Mitglied des grünen Schwarms nicht verletzen. Immerhin standen sie ja auf derselben Seite. Die Drachenbrut hingegen schien das anders zu sehen. Sie hieb mit den Klauen nach ihm und verpasste ihm dann einen Schlag mit dem dicken Schwanz, der Easygoing gegen eine Wand schmetterte. Sogleich war der Druide wieder auf den Pfoten, verwandelte sich umgehend und warf sich dann mit neu gewonnener Wut der Drachenbrut entgegen. Bärenpranken trafen auf Drachenschädel und mit einem erstickten Seufzer sank die grüne Kreatur ohnmächtig zu Boden. Zumindest hoffte Easygoing, dass sie nur ohnmächtig war.
 

Es blieb ihm keine Zeit, das zu überprüfen, denn schon stürmte die nächste Drachenbrut an Easygoing vorbei. Jedoch wandte sie sich nicht gegen den Avatar, sondern gegen einen weiteren von Hakkars Söhnen, der soeben erschienen war, um seinen Vater zu beschützen. Drachenbrut und blaue Windschlange gingen einander an die Kehle verbissen sich so fest ineinander, dass Easygoing nicht wagte, dazwischen zu gehen. Ein Blick zum Altar bestätigte ihm, was er vermutet hatte. Dort stand Ceredrian, die Augen geschlossen, unablässig einen Zauber murmelnd, der die Drachenbrut unter seine Kontrolle brachte. Wahrscheinlich war es dem Priester möglich, den menschlichen Teil der Drachenbrut zu beeinflussen und ihren gerechten Zorn so auf die Brut von Hakkar zu richten.

Das Ei in Emanuelles Händen hingegen pulsierte und leuchtete inzwischen in einem giftigen Grün. Die Skelettschlange tobte derweil auf ihrer Plattform. Sie zischte wütend und wandte sich jetzt, da ihr niemand mehr zur Hilfe kam, direkt gegen die kleine Gnomin, um ihre das peinigende Artefakt zu entreißen. Teils Fleisch, teils Knochen breitete der Avatar die geisterhaften Flügel aus und wollte sich auf Emanuelle stürzen und sie zwischen den gewaltigen Kiefern zermalmen.

Gerade noch rechtzeitig warf sich Deadlyone vor die kleine Magierin und parierte das Zustoßen der Schlange mit der breiten Trollklinge. Der Schurke wurde durch die Wucht des Aufpralls nach hinten geworfen, stolperte und rutschte rückwärts die Stufen des Altars hinunter. Mit einem wütenden Zischen raste der Kopf der Skelettschlange erneut auf ihn zu.

Easygoing drückte sich instinktiv zum Sprung ab und landete neben dem peitschenden Schwanz des Avatars auf der Plattform. Seine Zähne gruben sich einer Bärenfalle gleich in die bleichen Knochenfortsätze und er zog mit einem Ruck daran.

Der Stoß der Schlange ging fehl und einer ihrer Fangzähne zersplitterte an den steinernen Stufen. Inzwischen war fast kein Fleisch mehr auf den Knochen zu sehen und die Blutrinnen leergelaufen. Trotzdem ruckte der Kopf mit den glühenden Augen zu Easygoing herum, der immer noch den Schwanz der Skelettschlange im Maul hatte.

„Dummer, kleiner Bär. Gib mich frei!“, zischte die Schlange und ließ ihren Schwanz zucken. Der Ruck war so heftig, dass Easygoing Blut im Maul schmeckte. Trotzdem ließ er nicht los und schüttelte störrisch den Kopf. Er musste nur noch ein wenig durchhalten. Nur noch ein bisschen länger.

„Dann stirb!“, fauchte der Avatar und öffnete sein Maul zum finalen Biss.
 

„Nicht, wenn ich auch noch ein Wörtchen mitzureden habe.“, hörte Easygoing seinen Bruder rufen. Ein brennender Komet, den der Druide kurz darauf als die zweite Feuerschales des Altars identifizierte, flog durch die Luft und ließ einen feurigen Schauer auf die Skelettschlange niedergehen. Es gab ein Geräusch, als wäre man einer Katze auf den Schwanz getreten, etwas zischte und binnen Sekunden stand der Avatar in Flammen.

Winselnd, heulend und fauchend wand sich die Knochenschlange in den Flammen. Sie breitete ihre Skelettflügel aus und versuchte, die Flammen zu löschen, fachte sie aber dadurch nur noch mehr an. Schnell ließ der Druide den Schwanz der Schlange los, bevor die Flammen auch ihn erfassten.

„NEIN! ICH STERBE! NEIN!“, kreischte die brennende Kreatur, bevor sie mit einem gewaltigen Knall in tausend Stücke barst. Die Druckwelle warf Easygoing zu Boden, fegte ihn von der Plattform und löschte Sekundenbruchteile später die Feuer an den Wänden. Ein brennender Regen aus glimmenden Knochensplittern ging im Dunkeln hernieder und verlosch schließlich in der Finsternis der Beschwörungskammer. Stille breitete sich aus, die nach dem kreischenden Lärm des Kampfes schwer auf die Ohren drückte.
 

Easygoing blieb regungslos liegen. Jeder Knochen in seinem Leib schmerzte und seine Kiefer fühlten sich an, als hätte man versucht, jeden seiner Zähne einzeln auszureißen. Wahrscheinlich war mehr als einer von ihnen jetzt locker. Das war jedoch nichts im Vergleich mit dem Brennen, das einsetzte, als er versuchte, sich zurück zu verwandeln. Seine Muskeln waren einfach nicht bereit, sich jetzt umzuformen und zu transformieren. So blieb er einfach still liegen und wartete, dass die Schmerzen nachließen und das dumpfe Kreisen in seinem Kopf abnahm.

„Ist…ist jemand verletzt?“

Das dünne Stimmchen musste Emanuelle gehören. Aus halb geschlossenen Augen sah Easygoing, wie ein heller Lichtpunkt auf ihn zu hüpfte. Kurz darauf hoben kleine Finger eines seine Lider und leuchteten ihm direkt ins Auge. Geblendet warf er den Kopf zurück und brummte böse.

„Ah, Ihr seid also nicht tot.“, stellte Emanuelle fest. „Das ist gut. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht.“

„Lasst mich nach ihm sehen.“, mischte sich jetzt Ceredrian ein und Easygoing konnte fühlen, wie die schlanken Hände des Priesters nach ihm tasteten. Kurz darauf fühlte er die beruhigende Wärme eines Heilzaubers, die sich in seinem Körper ausbreitete und Blut und Schmerzen hinfort schwemmten.

Als er wieder in der Lage war, sich zu verwandeln, tat er es und schob Ceredrians Hand weg. „Das kann ich allein.“, knurrte er. „Such lieber Deadly.“

„Oh, dem geht´s gut. Nur ein verstauchter Knöchel und einige Brandblasen.“, antwortete Ceredrian und Easygoing konnte das spöttische Leuchten in den Augen des Priesters erkennen. „Der Einzige, der so richtig was abgekriegt hat, bis du. Im Übrigens brauchst du mir nicht zu danken. Knurr einfach einmal, dann weiß ich, dass du mir quasi die Füße küsst.“

Easygoing setzte zu einem Laut an und bleckte dann stattdessen die Fangzähne. „Witzbold! Los, hilf mir hoch!“

„Dein Wunsch ist mir Befehl“, gab der Priester zurück und zerrte den Druiden auf höchst unsanfte Weise auf die Füße. Easygoing verkniff sich jeden Schmerzenslaut und wandte sich an die Gnomin, auf deren Kopf etwas wie ein Helm mit einer Lampe daran saß.

„Haben wir das Ei?“

„Sicher und warm.“, verkündete die Gnomin. „Hier, wollt Ihr es sehen?“

Sie hielt ihm einen rundlichen, grünlich leuchtenden Gegenstand entgegen. Eine Welle von Übelkeit erregender Bosheit schwappte zu ihm empor und nahm ihm fast die Luft.

„Nein, nein.“, wehrte er rasch ab. „Verpackt es sorgfältig und verstaut es gut. Und dann nichts wie raus hier.“

So schnell es Easygoings Verletzungen zuließen, strebten sie dem Ausgang zu. Dabei huschte das Licht von Emanuelles Kopfbedeckung über einen massigen Körper, der von grünen Schuppen bedeckt war. Trotz seiner Schmerzen, fingen die Gedanken des Druiden an herumzuwandern. Wo war die Drachenbrut auf einmal hergekommen? Wie hatte sie den Weg in die Beschwörungskammer gefunden? Und wo war der Rest von ihnen?
 

Als sie die wasserbedeckte Halle erreichten, hatte Easygoing einen Entschluss gefasst. Bei dem von Emanuelle gesprengten Loch half er zunächst seinem Bruder auf die obere Ebene, reichte dann Emanuelle zu dem Schurken nach oben und ließ schließlich Ceredrian über seine Schultern zu den beiden hinauf steigen. Als sich die beiden anderen Nachtelfen dann hinunter beugten, um ihm gemeinsam hoch zu helfen, schüttelte er den Kopf.

„Geht ohne mich weiter.“, sagte er und erstickte jeden aufkommenden Protest mit einer entschiedenen Geste. „Ich habe hier unten noch etwas zu erledigen.“

„Ich glaube, der Schlag auf den Kopf war doch heftiger, als ich angenommen hatte.“, grinste Ceredrian. „Komm schon, alter Muffelbär. Machen wir, dass wir hier wegkommen.“

„Ich sagte nein, und das meinte ich auch so.“, versetzte der Druide dem Priester grob. „Also nimm die Magierin und meinen nutzlosen Bruder mit und verschwinde jetzt endlich von hier.“

„Du gehst nicht allein.“, knurrte Deadlyone und machte Anstalten, wieder nach unten zu klettern.

„Deadly! Nein!“, blaffte Easygoing und fletschte die Zähne. „Zwing mich nicht dazu, dich mit Gewalt dort oben zu halten. Du gehst mit den anderen! Hast du mich verstanden? Das hier geht nur mich etwas an.“

Der Schurke bleckte ebenfalls die Zähne und zischte wie eine Katze. „Gut, wenn du es so willst. Dann geh halt und bring dich um. Ich werde dir jedenfalls nicht dabei zusehen.“

Daraufhin schnappte sich der Schurke die protestierende Magierin, klemmte sie sich unter den Arm und marschierte mit ihr von dannen. Ceredrian sah ihm kurz nach und warf dann einen Blick nach unten zu Easygoing.

„Ich hoffe nur, du weißt, was du tust.“, sagte der Priester, bevor er sich ebenfalls erhob und den anderen folgte.

Ich weiß es nicht, dachte Easygoing, verwandelte sich in eine Raubkatze und trabte den schimmeligen Gang entlang in Richtung eines Aufgangs. Aber ich werde es herausfinden.
 


 


 

Magenta drückte sich unwillkürlich tiefer in den Sattel, als der schneidende Wind über sie hinweg pfiff, und schob den Schal vor ihrem Gesicht nach oben. Ihr Atem bildete kleine, weiße Wölkchen in der Luft und die Kälte kroch trotz der vom strahlend blauen Himmel herunter lachenden Sonne unerbittlich durch alle Kleiderschichten. Vor ihr pflügte Schakals Widder wie eine kleine Dampfwalze durch den Schnee und wirbelte das glitzernde Weiß zu allen Seiten, während Abbefarias weißer Nachtsäbler hinter ihr förmlich mit der weißen Landschaft Wintersprings verschmolz. Magenta hingegen kam sich vor, als würde sie den feurigen Hufen ihres Teufelsrosses gleich einen dunklen Fleck in das makellose Weiß um sie herum brennen.

Der Blick der Hexenmeisterin irrte nach oben zu den schneebedeckten Baumriesen, die sich unter ihrer weißen Last bogen und immer wieder etwas von der kalten Pracht auf die kleineren Bäume herunter rieseln ließen, ungeachtet irgendwelcher Abenteurer, die unvorsichtig genug waren, sich ebenfalls in ihrem Dunstkreis zu bewegen. Der winterliche Wald hatte etwas Geheimnisvolles, Verwunschenes an sich, ganz ähnlich den Wäldern von Ashenvale, die sie noch vor wenigen Tagen bereist hatten.

Magenta erinnerte sich noch genau an den Augenblick, an dem sie aus dem dunklen Höhlengang der unfreundlichen Bärenmenschen herausgetreten war und zum ersten Mal die prächtige Schneelandschaft erblickt hatte. Nach dem erdigen Halbdunkel der Timbermaw-Festung – Abbefaria hatte ein sehr gutes Wort für Magenta und Schakal einlegen müssen, damit die pelzigen Bewohner der Erdhöhle, die den einzigen Zugang von Felwood in dieses Gebiet bildete, sie passieren ließen – hatte sie für einen Augenblick die Augen schließen müssen, bis sie sich an die blendende Helligkeit gewöhnt hatten. Sie war begeistert von dem wunderschönen Anblick gewesen und hatte voller Staunen die nahen Frostfeuerquellen beobachtet, deren Geysire aus Dampf und heißem Wasser mitten aus der schneebedeckten Landschaft herausbrachen.

Schon etwas weniger begeistert hatte sie feststellen müssen, dass im verschneiten Unterholz durchaus Bewohner zu finden waren, die auf der Suche nach Nahrung weder zimperlich noch leicht zu beeindrucken waren. Nur mit Müh und Not war Magenta einem riesigen, weißen Bären entkommen, der beschlossen hatte, heute Hexenmeisterin zu frühstücken. Er war sich allerdings mit einer zweiköpfigen, blauweißen Schimäre ins Gehege gekommen, die ebenfalls Anspruch auf Magenta als Appetithappen erhob. Und während Pelztier und Echse sich noch stritten, wer zuerst beißen durfte, hatte Magenta sich klammheimlich verkrümelt und von da an Abstand davon genommen, irgendwelche „hübschen Abkürzungen“ zu nehmen und wenn sie noch so einladend aussahen.

Inzwischen aber war ihr einfach nur noch kalt, ihre Magen knurrte ungefähr so laut wie der alte Splitterzahnbär und ihre Laune war auf einem sprichwörtlichen Tiefpunkt angekommen. Daran änderte auch der wunderbare Ausblick auf einen tiefverschneiten See, an dessen Ufern marmorne Ruinen mit dicken Schneemützen Zeugnis einer untergegangenen Kultur gaben, nicht das Geringste. Während sie daran vorbeiritten, meinte Magenta, hier und da eine geisterhafte Bewegung zwischen den Mauerresten wahrzunehmen. Sie unterdrückte ein Frösteln und drängte das ungute Gefühl, das mit ihm einherging, in die Tiefen ihres Unterbewusstseins zurück. Dieses Land war seltsam.
 

„Der See von Kel’Theril.“, sagte Abbefarias tiefe Stimme neben ihr. Der Druide, der ebenfalls in eine dickere, pelzbesetzte Rüstung gehüllt war, nickte zu den Ruinen hinüber. „Wenn wir ihn umrundet haben, müssten wir eigentlich schon Everlook erkennen können.“

„‘S wär vielleicht ne gute Idee dort einzukehren.“, brummte Schakal. Der Bart des Zwergs war genauso mit Eiskristallen bedeckt wie Magentas Schal. „Die Sonne sinkt bereits und der Sturm, der sich im Osten zusammenbraut ist nicht eben von Pappe.“

Abbefaria blickte in die Richtung, in die Schakal gedeutet hatte und nickte. „Ihr habt Recht. Auch wenn ich es vorziehen würde, die Gesellschaft der Goblins zu meiden, wäre eine Nacht unter freiem Himmel sicherlich nicht zu empfehlen.“

„Sicherlich nicht.“, bemühte sich jetzt auch Magenta etwas zum Gespräch beizutragen. Ihre Stimme klang seltsam belegt, als hätte sie sie zu lange Zeit nicht benutzt. Sie blickte ebenfalls nach Osten und fragte sich, was die zwei wohl am Horizont gesehen hatten, das ihr entging. Sie sah dort nur einen langsam dunkler werdenden Himmel, unter dem die endlosen Schneefelder auf den Bergen violett schimmerten. Aber Sturm hin oder her, sie würde garantiert nicht im Freien schlafen. Wer wusste schon, was hier nachts im Wald sein Unwesen trieb. Yetis womöglich!

„Also gut, dann auf nach Everlook.“, rief Abbefaria und schnalzte mit der Zunge, um seinen Nachtsäbler anzutreiben.
 

Die Sonne sank jetzt immer rascher und obwohl Magenta es nicht für möglich gehalten hatte, wurde es noch kälter. Zusammengesunken saß sie auf dem Rücken ihres Pferdes und wäre beinahe in Schakal hinein geritten, der auf der Kuppe eines Berges anhielt und nach unten ins Tal zeigte.

„Das dort muss Everlook sein.“, knurrte er. „Sieht mir zumindest sehr nach Goblinstadt aus.

Magenta lehnte sich vor und musste Schakal Recht geben. Die Ansammlung aus schneebedeckten, kuppelartigen Häusern hätte auf den ersten Blick eine ganz normale Siedlung sein können. Wenn man jedoch genauer hinsah, besaß jedes der Gebäude irgendetwas, dass sich bewegte, blinkte, kreiselte oder sonst irgendeinen technischem Schnickschnack. Im Gegensatz zu den Erfindungen der Gnome, die Magenta immer irgendwie als possierlich empfunden hatte, wirkten die Maschinen der Goblins auf sie allesamt gefährlich, heimtückisch und auf eine schwer zu erklärende Art und Weise…irre. Wie sich herausstellte, war es um die Bewohner von Everlook nicht sehr viel anders bestellt.
 

„Halt, wer da?“, schnarrte die vermummte, grünhäutige Gestalt am Eingang der Stadtmauer. „Nennt mir Euren Namen und Euer Anliegen!“

„Wir wollen hier übernachten.“, sagte Schakal und stieg von seinem Widder. Das Tier schnaubte unruhig, als etwas, das verdächtig nach einem mechanischen Kaninchen aussah, zwischen seinen Hufen hindurch flitzte und im Schnee verschwand.

„Jaaa, das kann ich mir vorstellen.“, antwortete der Goblin und lachte meckernd. „Das macht dann 50 Silberstücke für jeden von Euch.“

„WAS?“ Schakal machte ein empörtes Gesicht. „Wofür?“

„Eintrittsgeld in die Stadt.“, grinste der Goblin und entblößte dabei eine Reihe spitzer, gelber Zähne. „Ihr könnt natürlich auch draußen übernachten oder Euch nach Starfall weiter im Norden durchschlagen, aber ich glaube nicht, dass Ihr das noch vor dem Einbruch der Nacht schaffen werdet. Und dann ist da ja auch noch dieser Blizzard…“

„Jaja, schon gut.“, brummte der Zwerg und händigte dem Goblin das verlangte Geld aus. „Gibt es eine Unterkunft für unsere Tiere?“

„Schon möglich.“, flötete der Goblin und popelte hingebungsvoll in der Nase. „Und vielleicht weiß ich sogar wo.“

„Wie viel?“

Der Goblin nannte einen Betrag, den Schakal ebenfalls zähneknirschend herausrückte, bevor der Goblin auf einen Verschlag etwa zwanzig Meter weiter links deutete.

„Dort könnt Ihr die Tiere lassen. Azzelby wird auf sie aufpassen. Gegen eine unwesentliche Gebühr, versteht sich. Und wenn ich jetzt noch Eure Namen…“

„Hör zu, Bursche.“, knurrte Schakal, der kurz davor schien, dem unverschämten, grünen Kerl an die Gurgel zu gehen. „Wie wir heißen, geht dich nichts an. Ebenso wenig, was wir hier wollen oder wie der Name meiner Großmutter ist. Alles was wir wollen ist eine warme Mahlzeit und ein Bett für eine Nacht.“

Das Jaulen des Windes, das stetig anschwoll, war das einzige Geräusch, das zu hören war, während Schakal und der Goblinwachmann sich anfunkelten. Keiner der beiden blinzelte und beide hatten die Hand unmissverständlich an ihre Waffen gelegt. Schließlich seufzte der Zwerg, langte in seinen Geldbeutel und drückte dem Goblin noch eine Münze in die Hand.

„Hier, ich würde sagen, das reicht, damit wir die Sache mit den Namen vergessen.“

Der Goblin grinste breit, während er das Gold in seiner Tasche versenkte. „Willkommen in Everlook, Mister, Mister und Misses Smith.“
 

Kurze Zeit später saßen die drei Abenteurer jeder vor einem Teller mit tranig riechendem Eintopf in der einzigen Gaststätte des Ortes. Schakal, der die ganze Zeit noch etwas von „Halsabschneider“ und „grüne Galgenvögel“ vor sich hingemurmelt hatte, hatte sich inzwischen auf geräuschvolles Schlürfen verlegt und Abbefaria brütete still über seiner Portion vor sich hin. Magenta hatte den Nachtelfen selten so schweigsam erlebt. Zumindest nicht auf diese Weise.

Lautes Gelächter vom Nebentisch ließ die Hexenmeisterin aufblicken. Eine Runde dunkelhäutiger Zwerge sprach in immer kleiner werden Abständen dem laut Schakal „unerträglich scheußlichen“ Bier zu. In einer anderen Ecke waren ein Troll, ein Mensch und eine Untote in ein Streitgespräch vertieft, dessen Lautstärke auf und abschwoll, je nachdem ob die Wache am Eingang gerade in ihre Richtung sah oder nicht. Magenta fand es bezeichnend, dass den dreien ihre Waffen abgenommen worden waren, als sie die Taverne betraten. Kriegshammer, Streitaxt und Breitschwert lehnten jetzt zusammen an der Wand und wirkten dabei um einiges einträchtiger als ihre Besitzer. An einem anderen Tisch saßen ein eine rothaarige Frau und ein Mann, dessen bohrende Blicke Magenta unangenehm waren. Irgendwas an dem Kerl schrie eindeutig „Paladin“, auch wenn Magenta nicht wirklich benennen konnte, was es war.

„Scheußlicher Eintopf, scheußliches Bier, scheußliches Wetter.“, knurrte Schakal. „Fehlt nur noch ein scheußliches Bett und mein Tag ist perfekt.“

„Wir werden nicht lange bleiben.“, sagte Abbefaria leise. „Es ist besser, wenn wir in aller Frühe aufbrechen. Am besten schon vor Tagesanbruch.“

Magenta wollte noch etwas sagen, doch der Nachtelf hatte sich bereits erhoben und in den Bereich der Taverne zurückgezogen, in dem die Bettstätten vermietet wurden. Anders als in den Gasthäusern der Menschen, Zwergen und selbst der Nachtelfen gab es hier keine einzelnen Zimmer. Essen, Trinken und Schlafen fand zusammen in einem Raum statt. Magenta fand diese Sitte äußerst gewöhnungsbedürftig. Sie hatte sich wie Abbefaria für eine der luftigeren Hängematten entschieden, die kreuz und quer unter der Decke gespannt waren. Schakal hingegen hatte sich geweigert, in einer dieser „Affenschaukeln“ zu steigen, und würde die Nacht auf einem Strohhaufen neben einem geräuschvoll schnarchenden Tauren verbringen.

„Wenn der mein Bett frisst, mach ich Hackfleisch aus ihm.“, knurrte der Zwerg und orderte ein weiteres Bier. „Vielleicht hilft das ja gegen das Schnarchen. Gegen seines, meine ich.“
 

Magenta entschied, dass sie ebenfalls genug für heute hatte. Sie schob den Rest ihres kalt gewordenen Eintopfes von sich und verabschiedete sich von Schakal, der sich mit einem Pfeifchen auf dem Stuhl zurückgelehnt hatte und die andere Gäste beobachtete. Leise schlich die Hexenmeisterin an Abbefarias Hängematte. Der Nachtelf lag auf dem Rücken und starrte gegen die Decke.

„Was ist los?“, fragte sie leise und griff nach seiner Hand. „Und versuch gar nicht erst, dich schlafend zu stellen. Du weißt, dass deinen Augen im Dunkeln leuchten.“

Abbefarias Mundwinkel zuckten kurz.

„Es ist nichts, mein Herz.“, antwortete er verspätet auf ihre Frage. „Geh schlafen.“

„Nicht, bevor du mir nicht gesagt hast, was los ist.“, beharrte Magenta.

„Ich…du würdest es ohnehin nicht verstehen.“, murmelte der Nachtelf und wollte sich herumdrehen.

„Oh nein, mein Lieber.“, grunzte die Hexenmeisterin und packte ihren Gefährten an der Schulter. „Seit wir diese Reise begonnen haben, wirst du stiller und stiller. Versuch wenigstens, es mir zu erklären.“

Ein Moment der Stille füllte den Raum zwischen ihnen, durchbrochen vom polternden Gelächter der Zwerge und dem schrillen Gekeife der Goblinwirtin.

„Es ist wirklich schwer zu erklären.“, sagte Abbefaria schließlich. „Irgendwie habe ich das Gefühl, ich gehöre nicht hierher.“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, das trifft es nicht ganz. Im Gegenteil, ich gehöre hierher. Es mag albern klingen, aber als wir durch Astranaar kamen und ich gesehen habe, wie wenig dort tagsüber auf den Straßen los war und wie viel mehr in der Nacht. Ich…ich vermisse es, unter meinesgleichen zu sein.“

Etwas in Magentas Magen krampfte sich zu einem Klumpen zusammen. Möglicherweise war es nur der eigenartige Eintopf, doch der hätte wohl kaum auch noch dafür gesorgt, dass ihr Herz so wehtat.

„Wirst du…“, begann sie, bevor ihre Stimme versagte.

Abbefaria richtete sich auf. „Nein. Nein auf keinen Fall. Ich bleibe bei dir und immerhin…“, er lächelte jetzt, „Immerhin haben wir eine Aufgabe. Awbees Schwarm soll von seinem Schicksal erfahren. Onyxia und Nefarian müssen aufgehalten werden. Und außerdem liebe ich dich.“

Er neigte sich vor und seine Lippen streiften ihre.

„Ich dich auch.“, hauchte sie und schluckte den Kloß, der stachelig und kratzend in ihrem Hals saß herunter. Ich liebe dich so sehr. Dich zu verlieren würde mein Herz herausreißen und mich in einen Abgrund stürzen, aus dem es keine Widerkehr gibt.
 

Magenta ließ ungesagt, was ihr durch den Kopf ging. Sie küsste Abbefaria noch einmal und zog sich dann in ihre Hängematte zurück. Mit offenen Augen lag sie in der Dunkelheit und lauschte den Geräuschen der Tavernengäste, bis auch diese nach und nach verklangen. Irgendwann glitt sie schließlich in das Reich der Träume hinüber, wo wilde Schatten mit Flügeln und langen Hälsen sie jagten und nach ihren Fersen schnappten, während sie selbst versuchte, auf ein weit entferntes Tor zuzulaufen. Ein Tor, das sie nie erreichte, bevor ein riesiges Drachenmaul sich öffnete und sie verschlang.
 


 


 

Easygoing lief dicht an den Boden geduckt auf leisen Pfoten durch die feuchten, kalten Gänge des Versunkenen Tempels. Immer wieder hielt er an Kreuzungen an und stellte lauschend die langen Ohren auf. Mehr als einmal suchte er in einem halb verfallenen Seitengang Schutz, während Kreaturen an ihm vorbeieilten, ohne ihn zu bemerken. Erstaunlich viele von ihnen liefen auf zwei Beinen und waren auf der Suche nach demjenigen, der es gewagt hatte, das Heiligtum ihres Gottes zu entweihen. Andere wiederum hatten grüne Schuppen und ihre Klauen schabten beim Laufen über den Steinboden. Wann immer sich Gruppen der einen und der andere Sorte trafen, entbrannten wütende Kämpfe. Doch Easygoing wartete nicht ab, welche Seite jeweils den Sieg davontrug, sondern nutzte die willkommene Ablenkung, um seinen eigenen Weg weiter zu verfolgen, der ihn immer tiefer in das Herz des Tempels brachte. Am Rand einer großen Halle schließlich, hielt er schließlich inne.
 

Die steinerne Kuppel erstreckte sich so weit in die Höhe, dass Easygoing sie nicht mehr erkennen konnte. Ihr Durchmesser hätte gut eine kleine Stadt fassen können und doch wirkte sie anhand der Kreaturen, die sich in ihr tummelte, überfüllt und klein. Schuppige, grüne Leiber drängten durch die verschiedenen Ausgänge nach draußen, selbst Welpen flatterten über den Truppen und über allem schwebten auf weiten Schwingen zwei elegante, schlanke Echsen, die in der zischelnden Sprache der Drachen Befehle an die Drachenbruten weitergaben. Easygoing hätte das Herz aufgehen müssen anhand dieser Ansammlung von Yseras Schwarm. Doch er spürte, dass etwas mit ihnen nicht in Ordnung war und erinnerte sich an die Worte des Trolls in Tanaris. Sie waren vom Alptraum befallen und würden Freund und Feind nicht auseinanderhalten können. Und doch musste er dort unten hin. Er musste einfach.

Und wenn es mein Tod sein sollte, dachte er grimmig und begann vorsichtig an der steilen Wand der Halle nach unten zu klettern.

Auch wenn die Krallen seiner Katzengestalt ihm sicherlich Halt gegeben hätten, zog er es für diesen Schritt vor, sich auf das Vorhandensein von Daumen zu verlassen. So hangelte er sich in seiner Nachtelfenform an den Reliefs und Schlingpflanzen entlang, die die Wände mehr als üppig bedeckten. Der Boden kam bereits in greifbare Nähe, als einer der Drachenwelpen in seiner Nähe den Kopf hob und ihn entdeckte. Der krächzende Schrei des Jungtiers alarmierte die Gruppe von Drachenbruten in seiner Nähe, vor allem aber den größeren der beiden fliegenden Drachen. Der schlangengleiche Kopf des Reptils ruckte herum und er öffnete sein Maul zu einem lauten Gebrüll.

„Eindringling!“, kreischte er und seine Stimme ließ Easygoings Trommelfelle vibrieren. „Ergreift ihn! Vernichtet ihn zu seinem eigenen Besten! Er weiß ja nicht, was er tut!“
 

Easygoing überlegte nicht lange und ließ sich fallen. Kurz bevor er am Boden aufkam, verwandelte er sich wieder in seine Katzengestalt und spurtete mit fliegenden Pfoten zwischen den zupackenden Krallen des Drachen hinweg. Eine grüne Wolke vernebelte seine Sicht und er wich hakenschlagend den ebenfalls orientierungslosen Drachenbruten aus, die der Drachen ebenfalls mit seinem Atem getroffen hatte.

Der grüne Drachenbrodem biss in seine Nase und kratzte in seinem Hals, doch Easygoing ignorierte den Schmerz und wurde jetzt, da er freie Bahn hatte, nur noch schneller. Instinktiv schlug er dabei die Richtung ein, die ihn auf einen der großen Ausgänge aus der Halle zuführte.

„Komm zurück!“, fauchte der Drache hinter ihm. „Wecke nicht den Träumer! Weaver, halte ihn auf!“

Schon spürte Easygoing den Luftzug des zweiten, herannahenden Drachen in seinem Nacken. Harte Klauen versetzten ihm einen Stoß und ließen ihn straucheln. Und der Ausgang war noch so unendlich weit entfernt. Er würde es nicht schaffen.

Cenarius! Elune! Wer auch immer meine Gebete erhören mag. Ich brauche Eure Hilfe jetzt!

Ein weiterer Schlag brachte ihn endgültig aus dem Gleichgewicht und eine scharfe Kralle riss seine Seite auf. Haltlos kollerte er über den Boden und schlitterte durch Wasserpfützen und schleimigen Unrat. Wie in einem schlechten Traum sah er, dass selbst seine verzweifelte Hoffnung auf Rettung durch das Erreichen des Ausgangs ein Hirngespinst gewesen war, denn just in diesem Moment tauchten zwei weitere grüne Drachen unter dem rettenden Torbogen auf. Er hätte nur ein Ende gegen ein anderes getauscht. Aber er würde nicht kampflos sterben.

Mit letzter Kraft verwandelte er sich in einem Bären und stemmte die Pfoten trotzig in den Stein.
 

Der Kampf, der folgte, war kürzer, als der Druide angenommen hatte. Es brauchte nicht mehr als zwei oder drei Schläge, bis ihm schwarz vor Augen wurde. Der grüne Atem der Drachen tat sein Übriges, denn das grüne Gas brannte in jeder seiner Wunden wie Feuer und machte ihn träge und schläfrig. Und so war es vorbei, bevor es eigentlich richtig begonnen hatte. Die riesige Pranke eines der Drachen drückte ihn schließlich zu Boden und beendete seinen Widerstand. Instinktiv nahm er wieder seine Nachtelfengestalt ein, um den Druck auf seine Brust zu lindern.

„Ich habe versagt.“, flüsterte er kaum hörbar. „Ich konnte deinen Schwarm nicht retten. Vergib mir, Ysera.“
 

Lang ist es her, dass ich diesen Namen vernahm, wisperte eine kaum hörbare Stimme in Easygoings Geist. Wer bist du, dass du den Namen der Träumerin so offen gebrauchst?

Der Griff um Easygoings Körper wurde ein wenig gelockert und als der Druide die Augen öffnete, sah er, dass der große, grüne Drache über ihm den Kopf schief gelegt hatte, fast so, als würde er ebenfalls einer unhörbaren Stimme lauschen. Die Echse zischte und zog sich plötzlich vollkommen von Easygoing zurück.

Der Druide wusste nicht, wie ihm geschah. Er versuchte, sich aufzurappeln, doch seine Beine verweigerten ihm seinen Dienst. Da hörte er wieder die leise Stimme in seinem Kopf.

Deine Wunden sind schwer. Viel hast du gewagt, bis hierher vorzudringen und knapp bemessen ist unsere Zeit. Schon jetzt fühle ich die Klarheit meines Geistes wieder schwinden. Der Alptraum ruft… Doch ich will sehen, mit wem ich es zu tun habe. Morphaz wird dich zu mir bringen, währen dich die anderen weit fortschicken werde. Es kostet zu viel meiner Kraft, sie zurückzuhalten.
 

Der kleinste und wendigste der vier grünen Drachen legte den Kopf in den Nacken und kreischte. Die anderen drei zogen sich daraufhin zurück, während der Drache sich zu Easygoing herabbeugte und das Maul öffnete.

„Hab keine Furcht.“, zischelte die grüne Echse, deren Stimme hoch und heiser war. „Ich hab zwar schon viele von deiner Art verschlungen, doch dieses Mal sollst du geschont werden.“

Die Zähne des Drachen ergriffen Easygoing wie eine Katze ihr Junges aufnehmen würde, und der grün geschuppte Riese trug ihn direkt zu dem Eingang, aus dem er gekommen war. Kurz darauf ließ er ihn etwas weniger sanft wieder zu Boden fallen.

„Der Träumer erwartet dich.“, zischelte er zum Abschied, bevor er sich umdrehte und ebenso wie seine drei Kameraden verschwand.

Easygoing blieb allein am Boden einer geräumigen Kammer zurück, an dessen Ende sich etwas Riesiges regte. Geisterhaft ragte ein gigantischer, grüner Drache über dem Druiden auf. Wie es aussah, schlief er, denn seine Augen waren geschlossen und der gehörnte Kopf ruhte auf den gewaltigen Pranken. Trotzdem hatte Easygoing das Gefühl, dass er ausnehmend gemustert wurde.
 

„Ich sehe dich.“, sagte eine Stimme aus dem Nichts heraus und Easygoing wusste, dass sie demjenigen gehörte, dessen Worte er bereits in seinen Gedanken vernommen hatte. Aber auch jetzt war er sich nicht ganz sicher, ob das, was er hörte, tatsächlich in seine Ohren drang oder ob die Worte nicht direkt in seinem Kopf entstanden.

„Ich sehe dich.“, wiederholte die eigenartige Stimme. „Und doch kann ich nicht glauben, dass jemand so Kleines wie du, ein Sterblicher, vollbrachte, was mir nicht gelang. Doch sei´s drum. Wir haben Wichtigeres, Dinglicheres zu besprechen, denn ich fühle bereits, wie mein Verstand beginnt, sich wieder zu vernebeln.“

Easygoing wollte antworten, aber die Stimme fuhr fort, bevor er auch nur einen Laut über die Lippen gebracht hatte.

„So höre denn meine Bitte, Sterblicher. Mein Name ist Eranikus vom grünen Drachenschwarm und ich wurde zum Hüter über diesen Verfluchten Tempel berufen. Meine Aufgabe war es sicherzustellen, dass die Trolle in diesem Tempel niemals wieder ihre widerliche Missgeburt von einem Gott nach Azeroth beschwören können. Doch ich habe versagt und so wurden ich und alle, die mit mir gekommen waren, zum Opfer der verderbten Macht. Selbst jetzt, da Ihr den Schrecken seiner Macht beraubt habt, kann ich den Verfall und das Abdriften ins Dunkel nicht verhindern. Ich vermag es nur für kurze Zeit aufzuhalten. Und daher benötige ich deine Hilfe, Sterblicher. Du musst mir helfen aus diesem Gefängnis auszubrechen.“

„G-gern.“, stotterte Easygoing. „Doch wie?“

„Sieh diesen Kristall“, erklärte Eranikus und vor Easygoing materialisierte sich ein grüner, leuchtender Edelstein in der Luft. „Ich habe in ihm einen Teil meines Geistes, meiner Essenz, eingeschlossen. Er muss geläutert werden, so dass auch der Rest von mir von der Verderbnis des Alptraums gereinigt werden kann. Bring den Edelstein zum Ende dieser Kammer. Dort findest du ein Becken mit einer grünen Flüssigkeit. Sie ist erfüllt von der Macht unseres Schwarms. Reinige den Kristall in dem Becken und mein Geist wird geläutert werden. Ich bitte dich, Sterblicher, zögere nicht zu lang. Ich weiß nicht, wie lange ich meine Kinder noch zurückhalten kann und mit deinem Tod wird all meine Hoffnung auf Rettung schwinden.“
 

Easygoing zögerte. Konnte dies eine Falle sein? Doch wenn ja, zu welchem Zweck? Wenn der Drache ihn hätte töten wollen, hätte er es längst geschehen lassen können. Der Druide ergriff den Kristall und erhob sich mit schmerzenden Knochen. Hinkend und humpelnd bewegte er sich um den Drachen herum und stand schließlich tatsächlich vor einem steinernen Becken mit einer grünleuchtenden Flüssigkeit. Je näher er dem Becken mit dem Kristall kam, desto heller schien dieser zu leuchten. Er stützte sich an den Rand des Beckens und sah in die schillernde Tiefe.

„Ja, ja.“, hauchte Eranikus in seinem Kopf aufgeregt. „Tu es! Wirf den Kristall hinein! Nur so kann ich gerettet werden. Nur so wird der grüne Schwarm in der Lage sein, endlich die Oberhand über die verfluchten Atal’ai zu gewinnen.“

Der Druide holte noch einmal tief Luft und tauchte dann den Kristall in die Flüssigkeit.
 

Helles, grünes Licht schoss aus dem Kristall hervor, so dass Easygoing geblendet die Augen schließen musste. Der Stein in seiner Hand schien zu brennen, Feuer zu fangen, während Eranikus in seinem Kopf jauchzte.

„Ja, ja…ich fühle es, wie die Verderbnis zurückweicht. Danke, Sterblich, danke! Ich…Was?“

Der Tonfall des Drachen änderte sich plötzlich.

„Was ist das? Nein, das kann nicht sein! Der Wahnsinn dieses verfluchten Alptraums hat selbst die Reinheit eines Essenzquells beschmutzt? Wie ist das möglich?“

Das Entsetzen in der Stimme des Drachen wurde größer und Easygoing glaubte den Schmerz des Drachen fast körperlich zu spüren. „Aaaah! Es reißt! Es brennt! Hilf mir…ES BRENNT! Ich werde…fortgezogen! Sterblicher, HILF MIR!“
 

Mit einem Schrei dem Drachen ebenbürtig riss Easygoing sich von dem Becken los, dessen Flüssigkeit nicht länger strahlend grün, sondern von dunkler, ekelerregend schlammiger Farbe war. Tentakel aus schwarzem Rauch krochen daraus hervor und langten nach dem Kristall, der jetzt nur noch schwach leuchtend am Boden lag. Als eines der Tentakel den Kristall berührte, schrien Eranikus und Easygoing gleichzeitig vor Schmerz auf.

Ohne zu überlegen griff Easygoing nach dem Kristall und riss ihn an sich. Schwach drang die Stimme des großen Drachen daraus hervor, dessen astraler Körper jetzt nur noch undeutlich im schwindenden Licht der Kammer zu sehen war.

„Sterblicher…ich habe mich geirrt. Meine Essenz. Sie ist jetzt an den Kristall gebunden und ich fühle meine Kraft schwinden. Geh! Ich flehe dich an. Finde einen vom grünen Drachenschwarm, der diesem Wahnsinn Einhalt gebietet und mich von meinen Qualen erlöst.“
 

Schon wollte der Druide dem Ausgang entgegen streben, doch Eranikus hielt ihn zurück. „Nein, warte! Keines meiner Kinder hier im Tempel wird dir helfen können. Sie sind ebenso dem Wahnsinn anheimgefallen wie ich und mir fehlt jetzt die Kraft, sie von dir fernzuhalten. Du musst…Ysera.“

Die Stimme aus dem Kristall verstummte und Easygoing wusste, dass er keine Hilfe mehr von dem grünen Drachen erhalten würde. Er sah auf den Kristall in seinen Händen, dessen grünes Leuchten nur noch schwach pulsierte wie der Herzschlag eines sterbenden Vogels. Er wusste, er konnte den Stein nicht hier lassen. Bei der Reinigung war er auf eigenartige Weise ebenfalls mit dem Stein verbunden worden, auch wenn dies vermutlich weder in der Absicht des grünen Drachen noch in der seines Gegenspielers gelegen hatte. Er war zum Träger der Essenz des gründen Drachens geworden, auch wenn er keine Ahnung hatte, was das bedeutete.

Zunächst einmal bedeutet es aber, dass ich schleunigst von hier verschwinden sollte.

Easygoing schob den Stein unter sein Hemd überlegte. Vermutlich würde er rennen müssen, wie noch nie zuvor in seinem Leben. Ein Wettlauf auf Leben und Tod, den er, wenn überhaupt, nur mit knapper Not gewinnen konnte.

Ah, ich liebe solche Herausforderungen, dachte er mit einem schmallippigen Lächeln bei sich und wechselte in die Katzengestalt, damit er schneller laufen konnte. Möge der bessere Drache gewinnen.
 


 


 

Magenta erwachte mit einem pelzigen Gefühl auf der Zunge und einem emotionalen Belag auf ihrem Gemüt. Sie wusste, dass das heute Nacht nur Träume gewesen waren, und doch ließen sich die Schatten der Nacht nur schwer verscheuchen. Sie mischten sich ansatzlos unter die Dunkelheit des frühen Morgens und die zähe Schleimigkeit ihres Frühstücksbreis und bildeten so einen dunklen, zähen Morast, durch den sich die Hexenmeisterin wie durch Teer bewegte. Das Gefühl wurde langsam besser, als sie die Goblinstadt endlich hinter sich ließen und im Licht des noch hinter dem Horizont versteckten Tages in Richtung Süden aufbrachen. Abbefaria hielt sich während des Ritts an ihrer Seite und schenkte ihr ein Lächeln, wann immer sie in seine Richtung blickte.

„Mazthoril müsste irgendwo in diesen Bergen liegen.“, erklärte Schakal und zügelte seinen Widder am Rand einer Tannenschonung, die wie der Rest der Landschaft dich mit frischem Schnee überpudert war. Die Spuren ihrer drei Reittiere sowie die einiger Kaninchen und Eichhörnchen waren die einzigen, die Magenta bis dahin hatte entdecken können. Einen Tatsache, die Abbefaria Sorgen zu bereiten schien.

„Wenn wir vom Weg abweichen, wird es eventuellen Verfolgern leicht fallen, uns zu finden.“

„Und was schlag Ihr also vor, Freund Nachtelf?“, wollte Schakal wissen. „Sollen wir uns Flügel wachsen lassen und zum Gipfel des Berges hinauf fliegen?“

Abbefaria murmelte etwas, das Magenta nicht verstand. Laut sagte er: „Ihr beide reitet vor und nehmt meinen Nachtsäbler mit euch. Ich werde unsere Spuren verwischen, wenn ich es vermag, und Euch dann folgen.“

„Und wie wollt Ihrdann unbemerkt über den Schnee kommen?“, spottete Schakal.

„Nun, die Spuren eines Bären sollten in dieser Gegend nicht weiter auffallen.“, antwortete Abbefaria ernst.

„Ha…haha.“, lachte Schakal. „Immer wieder für eine Überraschung gut, dieser Druide. Also schön, wir reiten. Aber passt auf, dass Euch kein Jäger eine Ladung Schrot auf den Pelz brennt. Ihr wollt doch nicht als Bettvorleger enden.“

„Ich werde mich bemühen.“, grinste Abbefaria zurück und deutete eine Verbeugung an.

Magenta folgte Schakal, der Abbefarias Reittier am langen Zügel führte. Kurz vor der Schonung sah sie noch einmal zurück.

„Sei vorsichtig.“, bat sie leise. „Wir schaffen das hier nicht ohne dich. Ich…“

Abbefaria legte den Kopf schief und lächelte sie an. „Keine Sorge. Ich krieg das schon hin.“

Magenta nickte wenig überzeugt, doch dann wandte sie sich endgültig um und folgte Schakal in die weite Schneelandschaft hinein.
 


 


 

Abbefaria wartete, bis seine beiden Begleiter verschwunden waren, dann erst ließ er es zu, dass die Sorge wieder auf seinem Gesicht sichtbar wurde. Er betrachtete den aufgewühlten Schnee und seufzte lautlos. Es würde ein gutes Stück Arbeit werden, den Schnee so wieder herzurichten, dass niemand ihnen folgen konnte. Entschlossen trat er auf einen der jungen Bäume zu und legte die Hand auf den Stamm.

„Vergib mir, Freund.“, murmelte er auf Darnassisch. „Aber ich benötige einen deiner Äste, um unsere Spuren zu verwischen.“

Er schloss die Augen und wartete auf eine Antwort des Baums. Der Wind pfiff um seine langen Ohren, während er tief hinab in das lebende Wesen horchte, ob er die Erlaubnis bekam. Doch sie kam nicht. Hatte er die Fähigkeit, mit den Bäumen zu sprechen verlernt? Oder lag der grüne Gefährte in einem so tiefen Schlummer, dass er ihn schlichtweg nicht erreichte?

Er versuchte es noch einmal, während ihm Schnee ins Gesicht getrieben wurde, bis seine Haut fast taub war vor Kälte. Doch es gab immer noch keine Antwort des Baums. Stattdessen fauchte der Wind um ihn herum und spielte mit seinen kurzen, blauen Haaren.

„Was soll das?“, rief der Druide ärgerlich und öffnete die Augen. Wild sah er sich nach allen Seiten um, so als könne er dem Wind ins Gesicht blicken. „Willst du mich etwa verspotten? Hilf mir lieber!“

Ein Rauschen und Säuseln war die Antwort. Dann flachte der Wind plötzlich ab und war verschwunden. Missmutig betrachtete Abbefaria die halb verwehten Fußspuren, als ihm plötzlich eine Idee kam. Was, wenn er den Wind noch einmal rief? Sicherlich, er war kein Schamane, der mit den Elementen sprach. Aber war nicht der Wind ein Teil der Natur, der Vögel am Himmel hielt und Samen über Land und Wasser trug? Außerdem hatte er schon von Druiden gehört, die den Wind meisterten und ihn als Waffe gegen den Feind benutzen, die Druiden der Kralle. Sie waren ihm vorhin bereits in den Sinn, als der Zwerg vom Fliegen sprach, denn eine ihrer Fähigkeiten war es, sich in eine Sturmkrähe zu verwandeln. Er selbst hatte dieses Kunststück bis jetzt nicht einmal versucht, aber vielleicht konnte er den Wind ja trotzdem überreden, ihm zu helfen.

Abbefaria schloss die Augen und breitete die Arme aus. Seine Füße suchten festen Stand und er öffnete vorsichtig seinen Geist. Er wollte nicht, dass seine Traumgestalt allzu weit von ihm fortgetragen wurde.
 

Es war, als hätte man ihn mit einem Eimer Eiswasser übergossen. Die frostige Umgebung spiegelte sich auch in dem Wesen der Bäume wieder. Sie waren starr und unbeweglich, lagen im tiefen Schlummer und waren nicht erfreut, dass der Geist des jungen Druiden sie streifte. Sie schüttelten sich unfreundlich und wandten sich von ihm ab. Abbefaria versicherte ihnen, dass er ihre Ruhe nicht weiter stören wollte und sah sich um. Die Landschaft Wintersprings unter ihm wirkte noch unwirklicher und fantastischer, als sie es ohne hin schon tat. Fremdartige Ströme glitten wie Nordlichter über den Schnee und tauchten ihn in wilde Farben.

Abbefaria wollte gerade den Wind herbeirufen, als etwas an ihm zerrte. Eine fremde Präsenz, die irgendwo weiter im Osten saß und nach ihm rief. Es war, als streife ihn ein süßer Hauch, ein Ruf von daheim, einem Ort, an dem er sein sollte. Er war nahe daran, der verlockenden Einladung Folge zu leisten, als sein geistiges Auge auf zwei Gestalten fiel, die nahe dem Eingang einer riesigen Eishöhle standen. Magenta und Schakal hatten ihr Ziel fast erreicht.

Nein, ich darf nicht gehen, dachte Abbefaria. Ich muss ihnen helfen. Wind? Wind!
 

Eine Böe wirbelte den Druiden herum. Ungestüm wie ein junger Hirsch sprang sie mal hier, mal dort hin und ließ den Schnee um seinen stofflichen Körper herum in die Höhe stieben. Der Druide versuchte behutsam, sie zu lenken, ihr zu zeigen, was er von ihr wollte und zu welchem Zweck er sie gerufen hatte. Es war nicht einfach. Immer wieder brach sie aus, zog und zerrte zurück in die Freiheit und wand sich unter seinem Willen wie ein Fischotter im wilden Wasser, bis es Abbefaria schließlich gelang sie zu beruhigen. Er versprach der Böe, sie freizulassen, wenn sie ihm geholfen hatte, und endlich wehte der Wind in die Richtung, um die er ihn bat.
 

Als Abbefaria die Augen wieder öffnete, lag zu seinen Füßen eine glatte, unberührte Schneedecke, die im Morgenlicht glitzerte. Der Wind zauste erneut seine Haare und wehte ein wenig Schnee von einer Tannenspitze herunter, bevor er mit einem Brausen in Richtung Norden verschwand. Der Druide reckte die kalt gewordenen Glieder und schüttelte sich den Schnee aus den Haaren. Als er nach oben sah, blickte er in die runden Augen einer weißen Eule. Das Tier sah ihn aufmerksam an.

„Was?“, grinste er übermütig. „Du meinst, ich sollte es doch einmal mit dem Fliegen probieren? Nun ja, warum nicht?“

Abbefaria breitete die Arme aus. Er konzentrierte sich auf das Schweben, ließ im Geist seine Arme zu Flügeln werden, seine Kleidung zu Gefieder, das Gesicht zu einem Schnabel.

Und jetzt flieg! Er machte einen gewaltigen Satz nach vorn und landete das Gesicht voraus im Schnee. Kaltes Nass drang Mund, Nase und Ohren und rieselte eisig seinen Rücken hinunter. Über sich hörte er das spöttische „Schuhu“ der Eule.

„Also schön.“, brummte er und stemmte sich auf alle Viere. „Ich habe verstanden. Ich laufe.“ Damit nahm er die massige Gestalt eines Bären an, der kurz darauf auf vier gut gepolsterten Pfoten durch den Schnee tapste. Die gelben Augen der Eule folgten ihm, bis er über die Hügelkuppe verschwunden war. Dann breitete der Vogel die Schwingen aus und erhob sich in die Luft um nach einem kurzen Kreisen in Richtung Osten davon zu segeln.
 


 

Abbefaria erreichte seine Freunde, als sie verborgen im Windschatten einer Schneewehe darüber berieten, wie sie am besten an den Wächtern der Höhle vorbeikamen.

„Es ist sicherlich nicht ratsam, sich mit Gewalt Zutritt zu verschaffen.“, sagte Schakal. „Ich fürchte, das könnten sie falsch verstehen.“

Magenta hatte die Stirn in Falten gelegt und wollte gerade antworten, als Abbefaria zwischen zwei schneebedeckten Bäumen hervortrat. Vorsorglich hatte er sich zunächst zurück verwandelt, damit es in dieser angespannten Situation nicht zu einer fatalen Verwechselung kam.

„Ah, da bist du ja endlich.“ Magenta klang vorwurfsvoll und ungeduldig. Er hatte eigentlich von seinem Erfolg berichten wollen, schluckte die Worte aber hinunter. Es würde später Zeit genug dafür sein.

„Wir haben jede Menge Probleme.“, sagte jetzt auch Schakal und deutete düster zum Eingang der Höhle. „Die meisten davon sind blau.“
 

Abbefaria kniete sich neben Schakal und kniff die Augen zusammen. Das blendende Weiß des Schnees biss in seinen Augen. Trotzdem konnte er unweit ihres Standortes drei Drachenwelpen erkennen, die mit wild flatternden Flügeln offenbar in einer Art Jagdspiel zwischen den verschneiten Tannen hindurch veranstalteten. Als einer der Verfolger, dem voranfliegenden Welpen zu nahe kam, drehte sich dieser in der Luft herum und stieß eine blaue Wolke eisigen Atems aus. Doch seine Gefährten fauchten nur spielerisch und stürzten sich gemeinsam auf ihn, woraufhin alle drei in einem Schneehaufen landeten.

„Ich habe eine Idee.“, murmelte der Druide. „Wir werden einen der Welpen fangen.“

„Das kann nicht dein Ernst sein.“, sagte Magenta und sah ihn ungläubig an.

„Wir tun ihm nichts.“, versprach Abbefaria. „Er soll lediglich eine Nachricht für uns überbringen. Wir wollen ihn nicht verletzen.“

„Guter Plan.“, brummte Schakal. „Am besten stecken wir die kleine Krabbe in diesen Sack hier. Ich hab nämlich nicht unbedingt Lust, mir von ihm die Nase abbeißen zu lassen.“

„Dann los.“, wisperte Abbefaria und bewegte sich leicht über den Schnee von hinten an die Gruppe heran. Er suchte sich einen der Welpen aus und murmelte den Zauber, mit dem er sonst wilde Tiere beruhigte. Die Bewegungen des Welpen wurden langsamer und träge. Er riss die kurze Schnauze auf und gähnte, während seine beiden Kameraden sich bereits um einen schneebedeckten Felsen jagten. Abbefaria gab Schakal ein Zeichen.

Kurz darauf rannte der Zwerg mit einem kreischenden, zappelnden Bündel durch den hohen Schnee, verfolgt von zwei aufgebrachten Drachenwelpen, die ihrem Kameraden beistehen wollte. Da stellte Magenta sich ihnen in den Weg. Abbefaria konnte nicht verstehen, was sie den Drachen entgegen brüllte, doch die beiden blauen Welpen flüchteten mit lautem Geschrei in Richtung der Eishöhle und ließen die Fremden Fremde sein. Es konnte jedoch nur eine Frage der Zeit sein, bis sie mit Verstärkung zurückkamen.
 

„Schnell jetzt.“, sagte Abbefaria und nahm Schakal das fauchende Bündel ab. Er langte hinein und verzog das Gesicht, als sich kleine, scharfe Zähne in seine Hand bohrten. Trotzdem packte er den Welpen am Nacken und hob ihn aus dem Sack.

„Hör zu!“, flüsterte er eindringlich, während er dem kleinen, blauen Drachen kurzerhand die Schnauze zuhielt, damit dieser ihn nicht noch einmal biss oder gar eisige Magie spuckte. „Wir sind hier, um mit Haleh zu sprechen, verstehst du das? Wir bringen Nachrichten von Awbee, einem deiner Brüder, und über die Machenschaften des schwarzen Schwarms. Wir brauchen eure Hilfe.“

Der kleine Drache war bei der Nennung von Awbees Namen ganz still geworden und sah den Druiden aus großen, hellblauen Augen an. Sein Blick erinnerte den Druiden so sehr an den tapferen, jungen Drachen in der Blackrockspitze, dass es weh tat.

„Ich werde dich jetzt freilassen.“, sagte Abbefaria und lockerte den Griff um die Schnauze des Drachen. „Bitte, flieg für uns zu Haleh und bitte sie uns anzuhören. Das Schicksal von vielen Leben könnte davon abhängen.“
 

Der Druide ließ den kleinen Drachen los, der sich sofort wieder in die Luft erhob. Er krächzte, als wolle er die Verwirrung, die sich auf seinem Gesicht spiegelte, zum Ausdruck bringen. Dann schwang er sich mit einer gekonnten Pirouette höher in die Luft und flatterte, so schnell er konnte, in Richtung der großen Eishöhle davon.

„Ich fürchte, jetzt heißt es warten.“, sagte Abbefaria.

„Die sollen sich nur nicht so viel Zeit lassen.“, murrte Schakal. „Nur weil´s uns Zwergen nichts ausmacht, wenn´s mal ein bisschen fröstelt, heißt das noch lange nicht, dass wir es genießen, uns in der Kälte die Beine in den Bauch zu stehen. Noch dazu ohne anständiges Frühstück. Ich werde mal versuchen, ein Feuerchen in Gang zu kriegen.“

Abbefaria warf noch einen Blick auf die große Eishöhle. Ihm war, als würden sich in ihrem Schatten mehrere Umrisse bewegen. Doch selbst seine guten Augen reichten nicht aus, um mehr zu erkennen. Sie würden warten müssen.
 


 


 

Erschöpft und völlig außer Atem zog Easygoing sich aus dem eiskalten Wasser des Tränenteichs und blieb erst einmal flach auf dem Rücken am Ufer liegen. Neben dem tiefen Triumpfgefühl, den grünen Drachen tatsächlich entkommen zu sein, summten ungefähr tausend Gedanken wie ein aufgescheuchter Bienenschwarm durch seinen Kopf. Ärgerlich scheuchte er sie fort, um sich auf das Naheliegenste zu konzentrieren. Er musste seinen Bruder und die anderen finden. Gerade, als er sich erheben wollte, raschelte es im Ufergebüsch.
 

Sofort war Easygoing wieder auf den Füßen, wobei er sich mit einem kurzen Schulterblick versicherte, dass sich nicht etwa Somnus aus dem sumpfnebelverhangenen Himmel von hinten auf ihn stürzen würde. Doch der Himmel war leer und das Rascheln wiederholte sich. Easygoing spannte die Muskeln zum Sprung.

„Ah, Ihr seid zurück, Nachtelf. Das trifft sich gut.“

Das Schilf vor Easygoing teilte sich und gab die gebückte Gestalt Holaarus frei. Der Verirrte sah auf den geduckten Druiden herab und schnalzte mit der Zunge. „Ihr habt lange gebraucht. Eure Freunde sind schon vor einiger Zeit in unser Lager zurückgekehrt.“

„Ich…wurde aufgehalten.“, grollte Easygoing und erhob sich.

„Ich weiß.“, antwortete Holaaru. „Deswegen bin ich hier. Es gibt jemanden, der Euch zu treffen wünscht. Folgt mir!“

Damit drehte sich der Verirrte um und ließ Easygoing am Seeufer stehen.

„He!“, versuchte der Druide zu protestieren, wagte jedoch nicht allzu laut zu rufen, um nicht die Aufmerksamkeit des Wächters auf sich zu lenken.

„Was bildet sich dieser…Draenei eigentlich ein.“, knurrte er halblaut und wrang sich das letzte Wasser aus den Haaren. „Ich bin doch nicht…ich kann…ich…ach verdammt.“
 

Fluchend und Verwünschungen vor sich hin murmelnd folgte Easygoing Holaaru, so gut es ging, durch die sumpfige Landschaft. Der Verirrte hatte ein straffes Tempo angeschlagen, das dem Druiden bald die Kälte aus dem Körper trieb und seine Muskeln wieder warm und geschmeidig werden ließ. Unter seinem Hemd pulsierte die Essenz von Eranikus im Gleichklang mit seinem Herzschlag. Er fühlte sich gut und lebendig, doch er würde dem Verirrten nicht ewig folgen, wenn dieser ihn nicht bald an ein Ziel brachte.
 

Fast als hätte er diesen Gedanken gehört, blieb Holaaru plötzlich am Rand eines kleinen Weihers stehen. Die Luft war erfüllt vom Zirpen der Grillen und dem Geruch nach abgestandenem Wasser. Glühwürmchen tanzten wie kleine Irrlichter durch die Dunstschwaden, die über die Wasseroberfläche waberten.

„Dort hinten ist es.“, sagte der Verirrte und wies auf das andere Ufer des Tümpels, wo Easygoing den gedämpften Schein eines kleinen Lagerfeuers sehen konnte. „Er erwartet Euch.“

„Wer?“, wollte Easygoing wissen, doch der Verirrte zeigte nur weiter beharrlich auf den Lichtschein und schwieg. Mit einem Knurren setzte der Druide sich in Bewegung.
 

Langsam und immer wieder nach Fallen und Hinterhalten Ausschau haltend, näherte sich Easygoing dem Lagerfeuer. Die Gestalt, die dahinter stand und abwesend in die Flammen starrte, schien ihn noch nicht bemerkt zu haben.

Easygoing schnaubte abfällig. Ein Hochelf?

Dieses Volk war vor unendlich langer Zeit einmal Teil seiner eigenen Rasse gewesen. Die Hochelfen hatten sich geweigert, der Nutzung arkaner Magie abzuschwören und waren dafür von den Nachtelfen verbannt worden. Im Laufe der Zeit hatten sich ihre Völker nicht nur ideologisch weit voneinander entfernt. Auch die äußeren Ähnlichkeiten beschränkten sich im Wesentlichen auf die Länge der Ohren, denn die Hochelfen waren schlanker und zierlicher als ihre Vorfahren, wenngleich immer noch größer als ein normaler Mensch, und ihre Haut war von auffallen heller Farbe.

Was kann ein Hochelf von mir wollen? Ich sollte mich einfach umdrehen und gehen.

Kaum hatte Easygoing das gedacht, blickte der blonde Elf auf und sah dem Druiden genau ins Gesicht.

„Das Schicksal geht seltsame Wege.“, erklang die melodiöse Stimme des Elfen. Der Feuerschein ließ seine schmalen Züge noch ausgezehrter wirken und seine Haare, die wie ein bleicher Wasserfall über seine Schultern flossen, während der Rest des Körpers durch die schlammgrüne Farbe seiner Robe mit dem Hintergrund verschmolz, gaben ihm ein seltsam geisterhaftes Erscheinungsbild. „Die Zukunft hält viele Entscheidungen für Euch bereit, Nachtelf. Wählt Euren Weg mit Bedacht. Wählt weise.“

„Wer…wer seid Ihr? Und was wollt Ihr von mir?“ Easygoing trat einen Schritt näher, hielt jedoch immer noch einen respektvollen Abstand zu dem geheimnisvollen Fremden.

„Ihr erhieltet ein Geschenk.“, sagte der Fremde. „Und eine Bürde gleichermaßen.“
 

Unwillkürlich wollte Easygoing nach dem Kristall greifen, hielt sich jedoch zurück und ballte stattdessen die Hand zu einer Faust.

„Was ist damit?“, quetschte er zwischen den Zähnen hervor. Ein heißer Schmerz war hinter seiner Stirn erwacht und pochte und pulsierte von innen gegen seine Schläfen. Er wollte noch etwas sagen, doch die Worte erstarben, als Eranikus‘ Essenz zum Leben erwachte. Die Stimme des grünen Drachen dröhnte in seinem Kopf.

Dieser Schmerz…Itharius, mein alter Freund…hilf mir!

Easygoing stöhnte auf, als die Stimme erstarb. Sein Kopf fühlte sich an, als würde er gleich zerplatzen, und das trübe Licht des kleinen Feuers erschien ihm unendlich hell und gleißend. Als er den Kopf hob, sah er, dass der blonde Elf ihn voller Mitleid musterte.

„Ihr…“, keuchte er. „Ihr seid…Itharius?!“

Der Elf nickte.

„So willkommen das Geschenk auch sein mag“, fuhr die melodiöse Singsangstimme des Elfen fort, „ so ist es doch auch der Grund dafür, dass ich Euch rufen ließ. Ich…wir brauchen Eure Hilfe. Eure Hilfe dabei, meinem Bruder Eranikus endlich Frieden zu bringen.“

Easygoings Augen weiteten sich. „Eranikus ist Euer Bruder? Das heißt, Ihr seid…Ihr seid ein grüner Drache!“

Ein dünnes Lächeln huschte über die Lippen des blonden Elfen. „Ich sehe, die Zeit der Täuschung ist vorbei. Eine Notwendigkeit und ein geringer Preis für Eranikus‘ Rettung. Mein Bruder ist gefangen in etwas, das man den Alptraum nennt. Wenn mich nicht alles täuscht, seid ihr mit diesem Begriff vertraut.“

„Mehr als das.“, knurrte Easygoing. „Doch was ist geschehen? Die Drachen im Tempel und Eranikus selbst...“

Wird dieser Alptraum jemals enden? Ich kann einfach nicht aufwachen!

Der Elf schüttelte traurig den Kopf und Easygoing verstand.

„Ihr hört ihn ebenfalls, nicht wahr?“

„Ich höre ihn und sein Leid trübt meine Freude darüber, dass er für einen Augenblick den Klauen des Alptraums entkommen war. Der Gott der Atal’ai ist für all dies verantwortlich. Eranikus und ich dachten, wenn wir seine körperliche Manifestation zerstören und den Tempel in den Fluten des Sees versenken, würde das reichen, um ihn aus dieser Welt zu tilgen.“ Itharius‘ Stimme wurde bitter. „Wir haben uns geirrt. Die Macht des dunklen Gottes war stärker, als wir angenommen hatten. Seine Verderbtheit besudelte alles, was mit ihm in Berührung kam, und Eranikus…Eranikus blieb im Tempel, um ihn zu bewachen. Mein Bruder merkte nicht, dass er selbst von der Korruption betroffen war, bevor es zu spät war. Wir hatten den dunklen Gott der Atal’ai so sehr unterschätzt…“
 

Easygoing rutschte ein wenig unruhig hin und her. Dann griff er schließlich unter sein Hemd und zog den Kristall hervor.

„Eranikus gab mir dieses Kleinod.“

Elende Kreatur! Meine Seele ist kein Schmuckstück!

Easygoing kämpfte den Schmerz in seinem Kopf zurück und fuhr fort. „Es enthält einen Teil seiner Essenz. Was soll jetzt damit geschehen.“

Und mit mir, fügte er in Gedanken hinzu.

„Die Tatsache, dass Ihr hier seid, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.“, antwortete der Elf freundlich und wieder hatte Easygoing das Gefühl, dass damit auch seine unausgesprochene Frage beantwortet wurde. „Es ist ein erster Schritt um meinem Schwarm, Yseras Schwarm, den grünen Drachen, zu helfen, auch wenn Ihr Eure Rolle in all dem vermutlich nie ganz begreifen werdet. Eranikus‘ Schmerz hat mich aus meinem Traum wachgerüttelt und es ist jetzt an mir dafür zu sorgen, dass seine Qualen enden. Auf die eine oder andere Weise. Doch zunächst einmal möchte ich Euch bitten, mir den Stein auszuhändigen.“
 

Easygoing wollte entrüstet auffahren. Was der Elf von ihm verlangte, erschien ihm ungeheuerlich. Fast so, als hätte er von ihm verlangt, sich selbst auszuliefern, nackt und mit einem Messer an seiner Kehle.

Die blassgrünen Augen des blonden Elfen wurden weicher. „Ich verstehe Eure Bedenken, Druide. Doch lasst mich Euch und Eranikus wenigstens einen Teil weit helfen.“

Mit zitternden Fingern griff Easygoing nach dem Kristall und händigte ihn schließlich an Itharius aus. Die Finger des Elfen glitten über die glatte Oberfläche des Kristalls und Easygoing musste an sich halten, um nicht zu schreien, als er die Berührung ebenfalls spürte.

Itharius begann leise eine Formel zu murmeln und grünes Licht erschien zwischen seinen Fingern. Warm und kühl zugleich strich es über den Kristall und Easygoing konnte Eranikus stöhnen hören.

Itharius…
 

Kurz darauf erlosch das Licht wieder und Easygoing fühlte eine seltsame Befreiung. Er hatte nicht mehr das Bedürfnis, Itharius den Kristall aus den Fingern zu reißen. Stattdessen fühlte er sich eher abgestoßen von dem grünen, leuchtenden Ding, das dort in den Händen seines Gegenübers lag.

„Ich habe die Verbindung zwischen Euch und dem Kristall gelöst.“, erklärte Itharius. „Zwar seid Ihr immer noch in der Lage, ihn zu hören, doch die Schmerzen sollten verschwunden sein.“

„Hab Dank dafür.“, erwiderte Easygoing. Die Worte waren nur ein schwacher Ausdruck der Erleichterung, die ihn erfasst hatte.

„Und doch muss ich Euch um einen weiteren Gefallen ersuchen.“, fuhr Itharius ungerührt fort. „Ihr und ich seid die Einzigen, die um die Bedeutung dieses Kristalls wissen. Um Eranikus zu retten und ihn aus den Klauen des Alptraums zu befreien, muss dieser Kristall gereinigt werden. Mir selbst fehlt das Wissen darum, doch es gibt jemanden, der es vielleicht kann. Da meine Aufgabe mich hier bindet, bitte ich Euch, Sterblicher, den Kristall zu Behüter Remulos in Moonglade zu bringen. Mit seiner Hilfe könnte das schier Unmögliche gelingen.“

„Ich…ich kenne Remulos.“, sagte Easygoing.

„Ich weiß.“, antwortete Itharius. „Ihr seid ein Druide aus dem Volk der Nachtelfen. Es mag Teil Eurer Bestimmung sein, dass ausgerechnet Ihr hierher kamt.“
 

Easygoing dachte über diese Worte nach. Er hielt nicht viel von dem Begriff Schicksal. Noch weniger hielt er davon, nicht der Herr seiner Entscheidungen zu sein. Doch er wusste, dass diese Entscheidung bereits für ihn getroffen war. Er ahnte, dass die Schmerzen, die er hatte erdulden müssen, nur ein Teil dessen war, was Eranikus spürte. So ein Schicksal wünschte er nicht einmal seinem ärgsten Feind, geschweige denn einem Mitglied des grünen Drachenschwarms. Es war seine Pflicht zu helfen.

Dummer Sterblicher! Dir ist nicht klar, was du in Händen hältst. Befreie mich und ich werde dich in Stück reißen.

„Eranikus Urteilsvermögen schwindet bereits.“, sagte Itharius mit Bedauern in seinen Worten. „Womöglich ist es bereits zu spät.“

„Nein.“ Easygoings Stimme war fest, als er das sagte. „Ich werde auf dem schnellsten Weg nach Moonglade reisen. Euer Bruder wird gerettet werden.“

Itharius lächelte und in seinem Gesicht mischten sich Schmerz und Hoffnung zu eine, melancholischen Ausdruck. „Ich hoffe, dass Ihr Recht habt, Druide. Ich hoffe es so sehr.“
 


 


 

Kurz darauf betrat Easygoing den Sicheren Hafen in Holaarus Begleitung. Deadlyone und die andere sprangen auf, als sie ihn kommen sahen.

„Wo warst du?“, blaffte der Schurke. „Cere hat mir die ganze Zeit die Ohren vollgejault.“

Ein Blick auf den Priester verriet Easygoing, das dies durchaus nicht der Fall gewesen war, auch wenn der weißhaarige Nachtelf ebenfalls erleichtert schien, den Druiden wohlbehalten wiederzusehen. Allein Emanuelles Gesichtsausdruck zeigte keinerlei Sorge.

„Ich wusste, dass Ihr zurückkommt.“, verkündete die Gnomin mit einem breiten Grinsen. „Deswegen habe ich Euch auch extra noch etwas vom Nachtisch aufgehoben. Kandierte Heuschrecken.“

Easygoing gönnte ihr ein kurzes Lächeln und wurde dann gleich wieder ernst.

„Ich habe keine Zeit zu essen.“, erklärte er. „Ich bin nur gekommen, um mich von Euch zu verabschieden.“

„Verabschieden?“ Deadlyones heisere Stimme erreichte ungeahnte Höhen. „Bei dir piept´s wohl! Du gehst nirgendwo mehr ohne mich hin.“

Der Schurke stellte sich mit verschränkten Armen neben ihn und machte ein finsteres Gesicht.

„Ich muss auf dem schnellsten Weg nach Moonglade reisen.“, erwiderte Easygoing. „Und wie du weißt, kann ich diese Reise nur allein antreten. Du wirst wohl oder übel noch bei unserem lieben Cousin und unserer reizenden Begleiterin bleiben müssen.
 

Deadlyone sah aus, als habe er Zahnschmerzen.

„Das kannst du mir nicht antun.“, jammerte er. „Weißt du eigentlich, dass ich mir schon Taschentücher in die Ohren gestopft habe? Die beiden machen mich wahnsinnig.“

„Du schaffst das schon.“, brummte Easygoing gutmütig. „Außerdem: Wer, wenn nicht du, soll denn auf die beiden aufpassen, während ich weg bin. Die bringen es doch glatt fertig und tauschen das Ei mit der Essenz von Hakkar gegen eine technologische Spielerei oder schenken sie der erstbesten Holden, die ihnen über den Weg läuft und schöne Augen macht Du musst aufpassen, dass sie auch wirklich ihr Ziel erreichen.“

Deadlyones Zahnschmerzgesicht wurde grimmig. „Ich mag vielleicht in deiner getrübten Wahrnehmung nicht der Hellste sein, Bruderherz, aber so dumm bin selbst ich nicht. Du willst mir das doch nur schönreden.“

Easygoing senkte die Stimme. „Ja, vielleicht ein wenig. Aber ich muss etwas sehr Wichtiges nach Moonglade bringen. Glaube mir, ich würde es nicht tun, wenn es nicht sein müsste. Bitte mach jetzt kein Drama daraus, kleiner Bruder.“

„Also schöööön.“, gab der Schurke gedehnt zurück und zuckte mit den Achseln. „Reise ich eben wieder in das stinkende Tanaris zu stinkenden Goblins mit…sehr viel Geld in den Taschen.“ Deadlyone bleckte die Vorderzähne. „Na vielleicht ist das ja doch keine so schlechte Idee. Wir sehen uns auf der andere Seite.“

Ja, dachte Easygoing, bevor er die Formel zu rezitieren begann, die ihn auf direktem Weg nach Moonglade bringen würde. Wir sehen uns auf der anderen Seite.
 


 


 

Magenta hielt die Hände so dicht über die Flammen, dass sie kurz davor war, sich zu verbrennen. Der kurze Zeitraum, in dem Winterspring am Morgen in Sonnenschein getaucht worden war, war viel zu schnell vorüber gegangen und hatte den Platz mit einer widerlichen Mischung aus Schnee und Regen getauscht, deren Kälte der Hexenmeisterin bis in die Knochen zog. In ein paar Stunden würde die Nacht herauf ziehen und sie würden vermutlich schlichtweg am Boden festfrieren und am Morgen zu einer eigenartigen Dreiergruppe von Eisskulpturen erstarrte sein. Fröstelnd zog sie ihre Robe noch enger um sich und steckte den Kopf zwischen die Falten ihres Schals.
 

„Da kommt jemand.“
 

Magenta schreckte, durch Abbefarias Stimme geweckt, aus ihrem Halbschlaf auf. Mit verklebten Wimpern blinzelte sie in das graue Wetter hinaus. Erst konnte sie nicht erkennen und der heulende Wind machte es unmöglich, etwas außer ihrem eigenen Herzklopfen zu hören. Doch dann schälte sich die riesige Gestalt einer blauen Drachenbrut aus dem Schneegestöber und maß sie mit einem forschenden Blick, in dem eine wache Intelligenz lag
 

„Man sssagte mir, Ihr wünscht die Matriarchin zu sprechen.“, zischelte die Drachenbrut. Sie war um einiges schlanker und weniger massig als General Drakkisath, dennoch fühlte sich die Hexenmeisterin auf eine merkwürdige Art und Weise an ihn erinnert. Auch diese Drachenbrut war in eine glänzende Rüstung gehüllt. Kostbare Mithrilplatten schützten Brust, Bauch und Nacken und auch seine klauenbewehrten Füße wurden von den silberglänzenden Rüstungsplatten bedeckt, die in messerscharfen Krallen endeten. Überall auf dem silberweißen Metall glühten machtvolle, blaue Runen auf, deren Farbe die kobaltblauen Schuppen der Drachenbrut in ein unheimliches Licht tauchten. Als Abbefaria sich erhob, glitt die rechte Hand der Drachenbrut automatisch zum Griff eines Schwerts, dessen Schneide Magenta an einen gezackten Eisstachel denken ließ.
 

„Wir sind gekommen, um mit Haleh zu reden.“, wiederholte Abbefaria erneut ihr Gesuch. „Wir haben ihr eine Botschaft zu übermitteln.“

Mit diesen Worten langte er in seinen Beutel und zog Awbees Schuppe heraus. Die Drachenbrut zischte erregt und zog ihre Waffe.

„Wir werden Euch prüfen.“, fauchte sie und deutete mit der Schneide auf ihr Gepäck. „Lasst all Eure Waffen und Eure Habe zurück und folgt mir. Doch seid gewarnt. Eine falsche Bewegung und Ihr seid des Todesss.“

Ein Brüllen irgendwo über ihnen antwortete der Drohung der Drachenbrut und gewaltige Schwingen brachten den Schnee um sie herum zum Trudeln.

Die Drachenbrut verzog ihre Lippen zu einem zähnestarrenden Lächeln. „Spellmaw wird Euch beobachten.“
 

Mit einem unguten Gefühl folgte Magenta der blauen Drachenbrut. Unsichtbare Augen, die auf ihnen ruhten, machten die Lage nicht unbedingt angenehmer. Zudem konnte sie in Wind und Schnee kaum sehen, wohin sie gingen. Der blauen Drachenbrut schien das Wetter nichts anhaben zu können.

Die vagen Umrisse des Bergs erschienen wie drohende Schatten im weißen Wüten des Schneesturms, dessen Heftigkeit immer mehr zunahm. Wäre nicht der mit gezackten Schuppen besetzte Schwanz der Drachenbrut gewesen, der wie eine blaue Schlange vor ihnen durch den Schnee glitt, Magenta hätte sich binnen dreier Atemzüge verlaufen. Sie war so in ihren Anblick versunken, dass sie fast in die Drachenbrut hinein gerannt wäre, als diese am Eingang der Höhle stehenblieb.

„Ihr betretet jetzt das Reich des blauen Schwarmsss…“, zischelte die Drachenbrut. „Es sssind schon viele hineingegangen, aber wenige hinausss. Ssseid gewarnt.“
 

Der heulende Wind ebbte augenblicklich ab, als sie die Höhle betraten. Wie aus dem Nichts waren weitere Drachenbruten hinter ihnen aufgetaucht und jeweils zwei der geschuppten Wächter nahmen einen der drei Fremden in ihre Mitte. Hintereinander wurden sie tiefer in die Eishöhle geführt, deren Ausmaße schier gigantisch schienen. Als sie einen Blick zurückwarf, sah Magenta, wie blauer Echsenkopf sich aus dem Schneesturm in die Höhle schob und ihnen aus kalten Augen nachsah. Doch bevor sie noch weitere Zeit damit verschwanden konnte, den blauen Drachen anzustarren, machte einer ihrer Wächter ihr mit einem rüden Stoß klar, dass sie weiterzugehen hatte. Schnell wandte die Hexenmeisterin sich ab und ging weiter.

Wände aus blauem Eis zogen an Magentas staunenden Augen vorbei. Ab und zu meinte sie, Figuren oder Umrisse darin zu erkennen, doch wann immer sie genauer hinsah, war es nur eine ungewöhnliche Felsformation, eine Reflexion, ein aufgewirbelter Haufen Schnee, der vom Fußboden zur Decke trieb. Geräusche, das Kratzen von Schuppen, Fauchen und Zischen war zu hören, und doch hätte es immer auch das Knacken des Eises oder der Wind sein können, der klagend durch die eisigen Hallen pfiff. Trotzdem wurde Magenta das Gefühl nicht los, dass sie beobachtet wurden und zwar von mehr Drachen, als es zunächst den Anschein hatte. Fröstelnd betrachtete sie diejenige, die sich vor ihnen in das Reich des blauen Schwarms gewagt hatten, und gescheitert waren. Ihre gefrorenen Körper säumten als bizarre Kunstwerke den Weg, der sie immer tiefer hinein in den Berg führte.

Als sie, wie es Magenta schien nach Stunden in eisiger Kälte, eine große Höhle erreichten, ließ ihr Anführer sie anhalten. Er rief etwas, das Magenta nicht verstand, und ein zweistimmiges Brüllen antwortete ihm. Kurz darauf landeten zwei gewaltige, blauweiße Drachen direkt vor ihnen. Dolchartige Krallen schabten über den hartgefrorenen Boden und die ausladenden Flügel wirbelten lose Eiskristalle auf. Der größere von ihnen, auf dessen Stirn ein gewundenes, elfenbeinfarbendes Horn wuchs, beugte den langen, schlanken Hals zu ihnen herab.

„Colbatann, wen bringst du da? Frisches Futter für die Brut?“

Die Drachenbrut fauchte ärgerlich. „Zurück, Manaclaw! Die Sterblichen sind hier, um Haleh zu sehen. Sie sagen, sie wissen etwasss über die verschwundenen Welpen.“

„Die Jungen!“, kreischte der zweite Drache. „Sie haben die Jungen gestohlen. Wehe ihnen!“

Der Schwanz des Drachen wirbelte Schnee und Steine auf, die in alle Richtungen spritzten. Sein eisiger Atem rollte über Magenta hinweg und schwappte gegen die Wand hinter ihnen.

„Scryer, nein!“ Die Drachenbrut drohte dem erheblich größeren Drachen mit aufgerissenem Rachen. Die gescholtene Echse fauchte ärgerlich, zog sich aber ein Stück zurück.

“Haleh soll entscheiden, was mit ihnen passiert. Ich werde den Nachtelfen mit mir nehmen, während ihr die anderen beiden bewacht.“
 

„Was? Nein!“ Abbefaria wand sich im Griff seiner zwei Bewacher. „Ihr werdet Magenta nicht…“

„Rührend.“, zischte die Drachenbrut kalt. „Entweder Ihr befolgt unsere Anweisungen oder Ihr findet alle den Tod im Ewigen Eisss. Also, Nachtelf, wie lautet Eure Antwort?“

Magenta sah, dass Abbefaria mit sich rang. Sie versuchte seinen Blick aufzufangen und schüttelte nur stumm den Kopf. Sie hatten gewusst, worauf sie sich einließen. Ein Kampf wäre gegen diese Übermacht aussichtlos gewesen. Alles hing jetzt davon ab, dass Haleh ihnen glaubte.

Geh, dachte sie und hoffte, dass ihr Geliebter ihre Gedanken in ihren Augen lesen konnte. Geh und erzähl ihr von Awbee. Haleh ist seine Mutter. Siewirddir zuhören.
 

Einen bangen Augenblick lang fürchtete Magenta noch, dass Abbefaria erneut aufbegehren würde, doch dann senkte er ergeben den Kopf. „Einverstanden.“, sagte er leise. „Bringt mich zu Haleh.“

Die Drachenbrut nickte. „Keine Sorge, Sterblicher. Wenn Ihr die Wahrheit sagt, habt ihr Nichtsss zu befürchten.“
 


 


 

Den Blick immer noch auf den Boden gerichtet, folgte Abbefaria der Drachenbrut. Sie führte ihn zu einem leuchtenden Runenkreis im hinteren Teil der Eishöhle. Der Druide wagte nicht, sich umzudrehen. Er hätte es nicht ertragen, seine Freunde in den Klauen der blauen Drachen zu sehen. Zudem wusste er, dass der einzige Weg, ihnen zu helfen, der war, Haleh zu überzeugen.

„Bereit?“ Die Drachenbrut musterte Abbefaria mit wacher Aufmerksamkeit. Dem Druiden entging nicht, dass sie wieder ihr Schwert gezogen hatte, dessen glänzende Oberfläche das blaue Licht des Runenkreises einfing und es in glitzernden Flecken auf die schneebedeckten Wände warf. Eigenartigerweise wirkte dieses Schauspiel irgendwie beruhigend auf Abbefaria. Zwar war ihm bewusst, dass er hier, nur durch den Runenkreis getrennt, einem tödlichen Krieger gegenüberstand, einem erfahrenen Anführer, der, wenn man bedachte, welcher Rasse er angehört, vermutlich auch noch über ein erquickliches Arsenal an tödlichen Zaubern verfügte. Trotzdem konnte Abbefaria keine Bosheit oder Hinterlist bei ihm entdecken, nur Wachsamkeit und Vorsicht gepaart mit großem Verantwortungsbewusstsein und vielleicht sogar etwas Neugier. Und plötzlich wusste Abbefaria, dass er nichts zu befürchten hatte. Die blauen Drachen mochten feindselig und abweisend erscheinen, doch sie hätten kein solch falsches Spiel getrieben. Wenn sie die drei Abenteurer hätten töten wollen, so hätten sie es sofort getan und sie dazu nicht erst in das Innerste ihres Horts vordringen lassen. Das war ein gutes Zeichen.

„Nun?“

Abbefaria wusste nicht, wie lange er die Drachenbrut angestarrt hatte, doch das amüsierte Glitzern in den gelben Augen mit den schlitzförmigen Pupillen ließ vermuten, dass es zu lange gewesen war, um unbemerkt zu bleiben. Er beeilte sich zu nicken.

„Dann kommt.“, zischte die Drachenbrut und trat zusammen mit dem Druiden in den Runenkreis.
 

Die Eishöhle um Abbefaria herum verschwand in einem Wirbel aus Weiß und Blau und ein Gefühl, dass er von dem magischen Tor in Darnassus kannte, machte sich in ihm breit. Er musste nicht erst die Augen öffnen und die schneebedeckten Bergkuppen um ihn herum sehen, um zu wissen, dass sie sich jetzt mehrere hundert Meter über dem Punkt befanden, an dem sie eben noch gestanden hatten. Was er allerdings nicht erwartet hatte, war der gleißende Sonnenschein, der ihn empfing. Geblendet hob er die Hand und bedeckte seine Augen.
 

„General Cobaltann.“, hörte der Druide eine weibliche Stimme. „Wen bringt Ihr da? Wer ist dieser Nachtelf?“

„Mylady.“ Abbefaria blinzelte und sah, dass die Drachenbrut sich umständlich verbeugte. „Er sagt, er bringt Kunde von den verschwundenen Welpen und verlangte Euch zu sehen. Ich hielt esss daher für angebracht, ihn unverzüglich zu Euch zu bringen.“

„Die Welpen?“, hauchte die Stimme. „Dann lasst ihn sprechen.“

Ein schmaler Schatten schob sich zwischen Abbefaria und die gleißende Sonne und wurde langsam zu einer Gestalt in der violetten Robe hinab. Sie lächelte und schob die blonden Haare hinter die langen Ohren. Blaue Augen, klar und kalt wie tiefe Bergseen, schienen mühelos durch Fleisch und Knochen bis in seine Gedanken hinein zu blicken.

„Es ist gut, dass du da bist, Abbefaria.“
 

Der Druide starrte die Frau an, die soeben seinen Namen genannt hatte. Er erkannte, dass es sich um eine Hochelfe handeln musste, auch wenn er noch nie einem Vertreter ihres Volkes begegnet war. Es gab keine Hochelfen in Kalimdor.

„Überrascht?“, fragte die Frau und ließ ein kurzes, glockenhelles Lachen hören. Danach wurde sie sofort wieder ernst. „Ich nehme an, du bist nicht hier, um Spielchen zu treiben. Ich spüre etwas Vertrautes an dir und doch umweht dich auch der Hauch der Verderbnis. Du bist rätselhaft, junger Nachtelf. Komm und erzähle mir, was dich hierher bringt. Denn ich bin diejenige, die du suchst. Ich bin Haleh.“

Abbefaria schluckte. Er konnte nicht umhin zuzugeben, dass ihn Halehs Präsenz in ihren Bann schlug. Sie war schön und ohne Zweifel sehr klug und ohne es zu wollen war er froh, sie nicht in ihrer Drachengestalt anzutreffen. Er wusste, dass ihm dann die Courage gefehlt hätte, weiter zu sprechen, aus Angst, sich lächerlich zu machen. Jetzt jedoch nahm er allen Mut zusammen und langte nach dem Beutel an seinem Gürtel.
 

Als seine Finger zwei Gegenstände streiften, zögerte er. Er ertastete die kühle, harte Oberfläche von Awbees Schuppe und gleich daneben die geborstenen Umrisse des Amuletts von Hochlord Bolvar. Welches von beiden sollte er Haleh zuerst präsentieren?

„Mir scheint, Ihr habt den falschen Schwarm aufgesucht, Nachtelf.“, hörte er Haleh sagen. „Mir ist es nicht gegeben, den Lauf der Zeit zu verändern oder zu verlangsamen. Und wenngleich mein Leben auch unendlich ist, Eures ist es nicht. Also sprecht oder verlasst diesen Ort!“

Abbefarias Schultern strafften sich, als er entschlossen die Hand um einen der Gegenstände schloss und ihn aus dem Beutel zog. „Verzeiht, Haleh. Es lag nicht in meiner Absicht, Eure Zeit zu verschwanden.“

Abbefaria streckte die Hand aus und Awbees Schuppe leuchtete blau im Sonnenlicht. „Wir bringen Nachricht von einem Eurer Kinder.“
 


 


 

Als Abbefaria seine Erzählung beendet hatte, stand Haleh regungslos im Schnee. Der Wind spielte mit ihren langen, blonden Haaren, während sie Awbees Schuppe gedankenverloren in den schmalen Finger hin und her drehte. Sie wirkte klein und verletzlich vor der eisbedeckten Landschaft Wintersprings und Abbefaria meinte eine kleine Träne in ihrem Augenwinkel zu sehen. Der schimmernde Kristall perlte von den schrecklich schönen Zügen ab, als Haleh plötzlich den Kopf hob, kaltes Feuer in ihren Augen. Sie schloss die Hand um die Schuppe zu einer Faust.

„Die Aspekte, unter ihnen auch mein Gemahl Malygos, bestehen darauf, dass wir uns aus den Angelegenheiten der Sterblichen heraushalten.“, fauchte sie mehr, als das sie es sagte. Das Eis in ihrer Stimme sandte einen heißkalten Schauer über Abbefarias Rücken. „Doch wie können wir das, wenn einer der unseren diese Regel so grausam missachtet? Wenn er unsere Kinder für seinen Krieg gegen die jungen Völker missbraucht. Ich für meinen Teil werde nicht tatenlos zusehen, wie Deathwings verfluchte Brut sich an den unsrigen vergreift. Ich werde handeln.“
 

Haleh trat an den Rand der Klippe, von der man ganz Mazthoril überblicken konnte. Obwohl sie immer noch ihre Elfengestalt beibehielt, hatte Abbefaria das Gefühl vor einem riesigen, blauen Drachen zu stehen, dessen Flügel sich spreizten und der seinen Schmerz und seine Wut über das Tal hinaus brüllte.

„Seit Nefarian sich im Blackrock verkrochen hat, wird es für uns immer schwieriger, seine Pläne zu vereiteln. Wir vom blauen Schwarm sind nur noch wenige und die Zahl derjenigen, die willens sind, uns zu helfen, ist noch geringer. Und währenddessen schwärt die Verderbnis der Schwarzen in den Tiefen und Höhlen der Welt, bis sie irgendwann hervorbrechen und uns alle verschlingen wird. Wir müssen uns ihr jetzt entgegenstellen.“

Die blaue Drachin dreht sich zu ihm herum und fixierte Abbefaria mit ihrem Blick. „Es gibt diejenigen, die sich schämen würden, das hier auszusprechen, doch ich gebe nichts darauf. Wir haben uns viel zu lange in unserem Elfenbeinturm zurückgezogen, im Glauben, die Welt und ihr Geschick ginge uns nichts mehr an. Doch jetzt brauchen wir Eure Hilfe, Nachtelf. Wir können Euch die Macht verleihen, zu tun, wozu wir nicht im Stande sind, wenn Ihr es wünscht. Doch wählt mit Bedacht, denn der Weg, der vor Euch liegt, ist voller Unbill und Gefahren. Niemand würde Euch einen Vorwurf machen, wenn Ihr ablehnen würdet, die Verantwortung zu schultern, die nicht einmal wir Drachen zu tragen vermögen. Kehrt zu Euren Begleitern zurück und beratet Euch. Ich erwarte Eure Entscheidung im Morgengrauen.“
 

Sie wandte sich wieder ab und Abbefaria fühlte, dass er entlassen war. Die blaue Drachenbrut hinter ihm regte sich und wollte ihn entfernen, doch der Druide entwand sich den zupackenden Händen und trat auf Haleh zu. In seinen Zügen stand Entschlossenheit.

„Ich muss nicht überlegen.“, sagte er und war selbst erstaunt, wie wenig seine Stimme zitterte. Oder dass er überhaupt ein Wort herausbrachte anhand der Ungeheuerlichkeit, die er zu tun im Begriff war. Haleh schien ebenfalls erstaunt, unterbrach ihn jedoch nicht, so dass er den Mut fasste fortzufahren.

„Die Welt ist nicht so arm an Verbündeten, wie Ihr geglaubt habt, Haleh. Ich habe Euch bis jetzt nur einen Teil der Geschichte erzählt, von dem ich dachte, dass er Euch am ehesten betrifft. Doch ich nannte Euch nicht den Grund, aus dem wir ursprünglich in den Blackrock gereist sind. Wir wollten versuchen, dies hier zu reparieren.“

Abbefaria griff in seinen Beutel und zog das zerbrochene Amulett des Hochlords hervor. Haleh zischte, als sie es erblickte.

„Das ist es also, dessen Hauch Euch umweht wie Teergestank.“, schnaubte sie voller Abscheu. Einen Moment lang schien es, dass sie nach dem Amulett greifen wollte, ließ es dann aber in Abbefarias Hand liegen. „Ein Stück der schwarzen Brutmutter Onyxia. Wie seid Ihr in seinen Besitz gelangt?“

„Onyxia selbst benutzte es, um den Hochlord der Menschen in Stormwind zu kontrollieren. Es zerbrach, als wir sie konfrontierten und sie fliehen musste.“

Haleh zog eine Augenbraue nach oben.

„Ihr seid voller Überraschungen, Sterblicher. Doch was veranlasste Euch, den verfluchten Gegenstand ausgerechnet in das Herz des Bösen zu tragen. Ihr werdet wohl kaum angenommen haben, dass Nefarian Euch helfen würde, seine üble Zwillingsschwester auszustechen. Was die Verderbnis der Welt angeht, sind die beiden wie Pech und Schwefel.“

„Wir ersuchten jemanden um Hilfe, der dabei sein Leben gab. Den roten Drachen Vaelastrasz.“

Halehs Augen weiteten sich. „Vaelastrasz…ist tot? Ein Spross der Lebensbinderin selbst tot? Das wäre ein herber Verlust. Wie? Warum?“

„Er starb, um unser Leben zu retten.“, antwortete Abbefaria leise. „Und um zu verhindern, dass das Amulett in Nefarians Hände fällt. Es ist ein Schlüssel zu Onyxias Hort. Wir…er wollte es reparieren. Ohne seine Hilfe wären wir nie in die oberen Regionen des Blackrocks gelangt. Wir hätten Awbee nie getroffen.“
 

Die blaue Drachin schwieg einen Augenblick lang.

„Es herrscht keine innige Freundschaft zwischen dem blauen und dem roten Schwarm.“, sagte sie schließlich. „Doch gegen das Böse, dass diese Welt bedroht, stehen wir auf derselben Seite. Die ruhmreiche Tat des roten Prinzen soll nicht unvergessen bleiben. Ich werde Euch an seiner Statt helfen. Ich nehme an, Ihr habt, was dazu notwendig ist?“

Abbefaria nickte.

„Gut. Übergebt es General Coltabann und lasst mich dann allein. Ich muss nachdenken.“
 

Die blonde Elfe drehte ihm erneut den Rücken zu und Abbefaria respektierte diesmal ihren Wunsch allein gelassen zu werden. Er händigte der blauen Drachenbrut das zerbrochene Amulett und das Blut von Generals Drakkisath aus und betrat dann erneut die magische Rune, die ihn wieder in das Innere des Berges zurückbrachte. Er fand Magenta und Schakal in der Obhut der beiden blauen Drachen. Als er näherkam, sprang die Hexenmeisterin auf.

„Geliebter…“ Ihre Stimme erstarb und er zog sie wortlos in seine Arme.

„Sie wird uns helfen.“, sagte er, während er über Magentas Haare strich, in denen sich Raureif gebildet hatte. „Wir werden gegen die schwarzen Drachen in den Kampf ziehen und Haleh wird uns dabei helfen.“

Schakal, der inzwischen ebenfalls mehr einem frostbedeckten Baumstumpf denn einem Zwerg ähnelte, schüttelte sich und knurrte: „Na hoffentlich hast du dir das gut überlegt, Jungchen.“

„Nein.“, lächelte Abbefaria. „Habe ich nicht. Aber ich werde es trotzdem tun. Weil es das Richtige ist.“

Der Zwerg schaute einen Augenblick lang finster und warf dann die Arme in die Luft. „Oh na gut, meinetwegen. Alles nur raus aus dieser verdammten Kälte. Es gibt auch für einen Zwerg eine Grenze des Erträglichen und die ist bei dem eklatanten Mangel an Bier hier nun endgültig erreicht. Also los, brechen wir auf und gehen schwarze Drachen jagen.“
 

Über ihnen legten Scryer und Manaclaw die Köpfe in den Nacken und der Berg erbebte vom Gebrüll der gewaltigen, blauen Drachen. Die Herausforderung war ausgesprochen. Der Krieg konnte beginnen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  darkfiredragon
2011-12-30T16:47:19+00:00 30.12.2011 17:47
Du hast es ja echt noch pünktlich geschafft das Kapi hochzuladen, find ich super! War ein geniales Kapi, hat mir sehr gut gefallen ;) Ich bin gespannt wie es mit den zwei oder nunmehr ja schon 3 Gruppen weitergehen wird. Wem wohl diese Schicksalhafte Begegnung zuteil wird? Ich bin auf jeden Fall gespannt^^
Achso, und ich denke ich weiß welche Filmszeen du evrsteckt hast. Als Magenta und Co in Everlook ankommen und Schakal mit dem Goblin am Eingang um den Einlass feilscht - das is eindeutig Fluch der Karibik als Jack in Port Royal ankommt :D Bekomm ich jetzt nen Keks?^^

glg, darkfiredragon


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