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Gegen Gottes Gebot

von

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.Kuss

“Hey, Ryou, alles wieder in Ordnung?”

Bakura runzelte die Stirn, als Otogi seinen Bruder ansprach. Er hatte auch mitbekommen, dass Ryou bei dem Schwarzhaarigen übernachtet hatte, an dem Tag, an dem Ryou ihn und Malik erwischt hatte. Und er würde lügen, wenn er behauptete, das mache ihm nichts aus.

Er versuchte sich von dem Anblick der beiden loszueisen und warf Malik, der neben Ryou stand, einen Blick zu. Als Malik seinen Blick bemerkte, wandte er demonstrativ den seinen ab. Gut, im Grunde war es scheiße, was er da abgezogen hatte, aber jetzt konnte er es auch nicht mehr ändern.

Vielleicht sollte er irgendwann mal mit dem Ägypter darüber reden. Irgendwie war das eine Scheißsituation zwischen ihnen dreien momentan und dann hatte er auch noch diese Schuldgefühle, wegen Ryous erneutem Kranksein.
 

Während Ryou ein paar Worte mit Otogi wechselte, ließ Bakura die beiden nicht aus den Augen. Ihm war nur zu klar in Erinnerung, was für Andeutungen Otogi damals in der Bar in Richtung Ryou gemacht hatte und er wusste ja, dass Jungs wie Ryou genau sein Typ waren. Dieses leicht Androgyne schien der Schwarzhaarige aber nur bei Jungs zu mögen, bei Frauen - denn er war nämlich bi - stand er auf große Titten und wohlproportionierte Körper.

Wie auch immer.

Ryou warf ihm einen Blick über die Schulter zu und sah dann schnell wieder weg, wie als fühle er sich ertappt und Bakura runzelte die Stirn.

Er nahm sich vor, nach der Schule mal mit seinem Brüderchen zu reden, irgendwas war da doch im Busch, das war ja zum wahnsinnig werden.
 

Ryous Herz hatte zu rasen begonnen, als er dem Blick seines Bruders begegnet war und er hatte Otogi nur noch mit halbem Ohr zugehört.

"Hey, hast du grad gehört, was ich gesagt hab?"

Ryou blinzelte verwirrt. "Entschuldige bitte, ich hab nicht so ganz zugehört", antwortete er kleinlaut und warf Otogi einen entschuldigenden Blick zu, welcher ihm daraufhin durch die Haare wuschelte.
 

Bakura knurrte. Er hasste es wie die Pest, wenn jemand Ryou anfasste. Unwillig knirschte er mit den Zähnen.
 

"Hey, ihr, lasst sofort meinen Bruder in Ruhe!"

Die vier Jungs, die grinsend vor einem kleinen Jungen gestanden hatten, drehten sich in seine Richtung.

Ryous große Kulleraugen hellten sich auf, als er seinen großen Bruder entdeckte und dieser Blick war es, der den Neunjährigen in seinem Vorhaben bestärkte. Das und der feine, blutende Riss an Ryous linker Augenbraue.

Auch wenn ihm innerlich die Knie schlotterten, hier ging es um Ryou!

Die Jungs, die mindestens schon in der sechsten Klasse waren, kamen langsam auf ihn zu.

"Sieh mal an, noch so ein Windelscheißer."

Bakuras Hände ballten sich zu Fäusten. "Ihr seid ganz schön erbärmlich, zu viert auf einen kleinen Jungen loszugehen!", sagte er herausfordernd.

Was er machen wollte, wenn die tatsächlich auch auf ihn losgingen, wollte er sich lieber nicht ausmalen.

Er schluckte.

"Hey, er hat uns erbärmlich genannt", knurrte einer der Jungs und zwei von ihnen kamen auf Bakura zu, während die anderen bei Ryou blieben, der auf dem Boden kauerte und vor Angst an dem Ohr seines Stoffhasen nuckelte. Tränchen standen ihm in den Augen.

Einer der Jungs packte ihn plötzlich am Kragen und mit einem Schnaufen spürte der Junge, wie er in die Höhe gerissen wurde, doch nahezu im selben Moment zog er mit seinem Knie nach und rammte es ihm direkt zwischen die Beine. Der Junge ließ ihn los und sackte zusammen, während die anderen das als Herausforderung sahen und nun zu dritt auf ihn losgingen.

Bakura wehrte sich, aber er hatte keine Chance.

Als sie sich wenig später lachend zurückzogen, blieb Bakura eine Weile benommen auf dem Boden liegen - bis sich der Kopf seines Bruders in sein Gesichtsfeld schob.

Tränen standen diesem in den Augen und obwohl Bakura der Schädel dröhnte, fuhr er mit einem Ruck in die Aufrechte.

"Hey, kein Grund zum Heulen, mir gehts gut, Krümel!"

"A-aber..."

"Nix aber - was wollten die eigentlich von dir?"

"Die wollten mir meinen Hasi wegnehmen", nuschelte der Junge und nuckelte wieder an einem Schlappohr des schmutzigweißen Frotteestofftieres herum.

Bakura rollte mit den Augen. "Du bist eh viel zu alt für das Scheißstofftier."

Ryous Unterlippe begann zu zittern. Im nächsten Moment fühlte Bakura, wie sich zwei dünne Ärmchen um seinen Bauch schlangen und hörte das Schluchzen und schwor, in Zukunft jedem, der auch nur daran denken sollte, Ryou etwas anzutun, die Hölle auf Erden zu bereiten.
 

"Hast du Lust, nach der Schule noch was zu machen?", riss Otogis an Ryou gerichtete Frage ihn wieder aus seinen Gedanken. Ok, das reichte. Ehe Ryou antworten konnte, war Bakura mit schnellen Schritten bei den beiden und hatte Otogi mit Nachdruck einen Arm um die Schulter gelegt. "Hey, Mann, hast du schon vergessen, dass wir heute feiern gehen wollten?"

Otogi blickte seinen Freund verwirrt an. "Eh? Heute ist Montag..."

"Ja, genau deswegen - komm mit, wir haben was zu besprechen - du entschuldigst uns, Ryou?"

Ein scharfer Blick fiel auf Ryou, sodass dieser zusammenzuckte und Bakura entfernte sich mit Otogi.

"Ok, hör mir zu", knurrte er leise, "wir sind Freunde, aber setz das nicht aufs Spiel, indem du dich an Ryou ranmachst, das hab ich dir schon mal gesagt."

Otogi schnaubte und schubste Bakuras Arm von seinen Schultern. "Meine Güte, soll ich dich jetzt erst um seine Hand bitten, oder was? Keine Sorge, ich tu ihm schon nichts, aber ich find ihn halt ziemlich süß."

"Kannst du nicht jemand anderen süß finden?"

Jetzt musste der Schwarzhaarige lachen. "Kura, ich bitte dich, ist doch nichts dabei, wenn ich mal was mit ihm unternehme, dir scheint er ja eh am Arsch vorbei zu gehen..."

Bakuras Augen verengten sich und mit einem Ruck packte er Otogi am Revers und schubste ihn gegen die nächste Wand.

"Was zum Teufel faselst du da bitte?"

Otogi verzog das Gesicht, "Wow, sachte, Alter, so wie du dich aufführst, könnte man ja glatt meinen, dass du selbst was von ihm willst."
 

Das saß. Genauso plötzlich, wie er ihn gepackt hatte, ließ er ihn wieder los.

"Wie meinst du das, er geht mir am Arsch vorbei? Wenn er das täte, dann würde ich mich nicht dauernd um ihn kümmern."

Otogi glättete sich demonstrativ seine Klamotten, dann antwortete er, nach seinen Zigaretten kramend: "Naja, sagen wir so, als Ryou bei mir war, hat er mir ein bisschen sein Herz ausgeschüttet und ich finde, du hast eine sehr paradoxe Art von Bruderliebe für ihn übrig. Also ich hab keine Geschwister, aber wenn ich welche hätte, dann ... naja, is dein Bier, Alter, aber ich würde mir trotzdem mal überlegen, wie du mit ihm umgehst."

Bakuras Blick verdüsterte sich und er kickte gegen einen Stein. "Ich hab zwar keine Ahnung, was er dir angeblich erzählt hat, aber ich finde es wirklich ziemlich merkwürdig, dass du dich so vehement auf seine Seite schlägst - und dass obwohl du ja eigentlich mein Freund bist."

Jetzt grinste Otogi.

"Alter, du musst nicht eifersüchtig sein, auch wenn ich mich für einen anderen interessiere, das zwischen uns wird immer etwas Besonderes sein."

Dafür kassierte er einen Schlag mit der flachen Hand auf den Hinterkopf, kurz darauf klaute sich Bakura eine von Otogis Zigaretten und dessen Feuerzeug.

Sagen tat er allerdings nichts.
 

Otogis Worte hatten ihn sehr nachdenklich gestimmt, wenn er ehrlich war. Das Verhältnis zwischen Ryou und ihm war irgendwie seltsam. Einerseits ging ihm der kleine Quälgeist unheimlich auf die Nerven und er hatte am liebsten seine Ruhe vor ihm, aber andererseits konnte er den Gedanken, dass er sich von ihm entfernte, nicht ertragen.

Früher oder später würde Ryou sicherlich mal einen Freund haben und Sex vor allem, aber Bakura hatte das immer ausgeblendet. Ryou hatte so was einfach nicht zu tun, Ryou war sein kleiner Bruder und sollte das gefälligst auch bleiben.

Der Gedanke daran, dass jemand ihn anfasste, erfüllte ihn mit Ekel und er hielt bis heute an seinem damaligen Schwur fest, jedem den Arsch aufzureißen, der ihm zu nahe kam.

Um seine Gedanken zusammenzufassen, im Grunde wusste er selbst nicht, was er eigentlich wollte.
 

Zwei Tage später überwand sich der Ältere der Brüder endlich, Malik auf diese Sache anzusprechen, die da zwischen ihnen war. Denn, ob er es wahrhaben wollte oder nicht, es machte ihm schon ein leicht schlechtes Gewissen, wie er ihn behandelt hatte - so etwas hatte er tatsächlich noch nie gebracht, jemanden halb angevögelt einfach aus dem Haus zu schmeißen.

Da Malik ihm in der Schule auswich, hatte er irgendwann einfach beschlossen, bei ihm zuhause vorbeizuschauen.
 

Dessen ältere Schwester Isis öffnete die Tür und schien ganz erfreut, ihn zu sehen, da sie offenbar Sorge gehabt hatte, Malik würde hier keinen Anschluss finden. Offenbar schien sie nicht zu ahnen um welche Art von Anschluss es sich da handelte.

Die beiden lebten hier nicht schlecht - Isis schien offensichtlich gut zu verdienen und dann war da ja noch das Geld, das Rishid, der Älteste der Geschwister, der aber nicht mit ihnen hier zusammenlebte, gelegentlich schickte.
 

Bakura lief durch einen kleinen Gang und klopfte dann an eine Tür, die leicht angelehnt war, um sie kurz darauf aufzudrücken.

Malik hatte wohl gerade etwas für die Schule gemacht und als er von seinem Philosophiebuch aufsah und in seine Richtung blickte, wirkte sein Blick gleichzeitig überrascht und düster.

"Was willst du denn hier?"

"Hi erstmal", murmelte Bakura und drückte zögerlich die Tür hinter sich zu.

Malik drehte sich mit seinem Schreibtischstuhl herum und sah Bakura abwartend an.

Bakura lehnte mit verschränkten Armen an der geschlossenen Tür und schien nicht so recht zu wissen, wo er hinschauen sollte.
 

"Das wegen letztens...", begann er schließlich. Fuck. Irgendwie wusste er gar nicht so recht, was er sagen sollte. Mit dem Entschuldigen hatte er es nicht wirklich, dazu war er viel zu stolz. Und Malik, der ihn abwartend ansah, machte es damit auch nicht besser.

"Du hast dich aufgeführt wie das letzte Arschloch."

Bakura zuckte zusammen. Ins Schwarze getroffen.

Dann sah er auf und zuckte hilflos mit den Schultern. "Ich weiß auch nicht, was mich geritten hat. Es war einfach nur so ... ich weiß auch nicht. Ich weiß nur, dass ich nicht will, dass du glaubst, dass ich finde, du wärst schlecht im Bett oder sowas ..."

Malik runzelte die Stirn, presste dann die Lippen aufeinander und sah ihn schief an.

"Sollte das jetzt eine Entschuldigung sein?"

"Sowas in der Art, ja ..."

Malik stöhnte genervt auf, dann stand er auf und trat vor Bakura hin. "Das mit dem Entschuldigen solltest du dringend noch üben", murmelte er und dann packte er ihn grob im Nacken und küsste ihn.

Und Bakura erwiderte, denn es war ihm lieber als herum zu diskutieren und er ignorierte das Gefühl, dass sich hier irgendetwas einfach vollkommen falsch anfühlte ...
 

Als Bakura nachhause kam, bemerkte er, dass seine Mutter für vier Personen gedeckt hatte. Hieß das etwa, dass sein Vater mal wieder mit ihnen aß? Seine Laune sank in den Keller. Darauf hatte er ja so gar keine Lust. Es war kein Geheimnis, dass Bakura und sein Vater kein gutes Verhältnis miteinander hatten - schon allein wegen Bakuras Lebensstil gerieten die beiden immer wieder aneinander. Er hoffte nur, der Alte hätte heute Abend mal gute Laune, ansonsten würde er in seinem Zimmer essen.
 

"Wie macht ihr euch in der Schule?", drang auch schon bald die unliebsame Frage an sein Ohr. Bakura stopfte sich den Mund voll, um nicht antworten zu müssen, während Ryou schon wieder von seinen Bestleistungen erzählte.
 

"... Und ich habe für meine Präsentation über die 'Boston Tea Party' 15 Punkte bekommen. Und das, wo unser Geschichtslehrer dafür berüchtigt ist, total streng zu benoten", schloss Ryou begeistert seine Erzählungen und schob sich eine Gabel mit Lachs in den Mund.

Sein Vater nickte anerkennend. "So gehört sich das."

Dann wandte sich sein Blick auf Bakura. "Was ist eigentlich aus deiner Matheklausur geworden?"

"09 Punkte", murmelte Bakura, in sein Essen starrend, wobei er regelrecht spürte, wie missbilligend die Miene seines Vater in diesem Moment war.

"Du könntest dich ruhig mal ein bisschen mehr anstrengen. Es ist schon traurig, wenn man bedenkt, dass das die höchste Punktzahl in deiner bisherigen schulischen Laufbahn ist."
 

Ryou blickte vorsichtig von seinem Vater zu seinem Bruder. Bakura tat ihm leid. 09 Punkte war zwar keine Bestnote, aber es war auch nicht gerade eine Note, mit der man sich verstecken musste. Vor allem bei dem schweren Stoff, den Bakura gerade in seiner Klasse durchnahm und dafür, dass er so gut wie nie den Unterricht besuchte, war das schon eine ziemliche Leistung.

Wenn auch kein wirkliches Argument.
 

"Mama, das Essen ist wirklich lecker", sagte er dann laut, nur um den sich anbahnenden Streit zwischen Bakura und seinem Vater im Keim zu ersticken. Doch zu spät.

"Ich denke, ich strenge mich schon genug an, überhaupt zu diesem Puff hinzugehen und unseren Arsch von Mathelehrer zu ertragen!", murrte Bakura, sichtlich verstimmt und warf seinem Vater einen finsteren Blick zu.

Dieser sah aus, als könne er nicht so wirklich glauben, was sein Sohn da soeben von sich gegeben hatte. "Wie bitte?", sagte er drohend und das war eigentlich dieser Tonfall, bei dem seine Söhne früher immer rechtzeitig gemerkt hatten, dass sie lieber sofort still waren, um nicht ein großes Unheil heraufzubeschwören.

Doch Bakura dachte gar nicht daran, kleinbei zu geben.

"Du hast mich schon richtig verstanden, Alter", sagte er herausfordernd und Kagerou erwiderte in scharfem und deutlich lauterem Tonfall, den Zeigefinger erhoben: "Ich erwarte von dir, dass du sofort dein loses Mundwerk zügelst, sonst setzt es was!"

"Pass auf, dass du beim Schreien nicht in dein Essen spuckst!", fauchte Bakura und sprang auf, was sein Vater ihm kurz zuvor gleichgetan hatte.

"Jetzt reicht es mir aber!" Kagerou knallte die Faust auf den Tisch. "Geh mir sofort aus den Augen, ich will dich, solange ich hier bin, nicht mehr sehen, du missratenes Drecksbalg!!!"

"Kagerou...", versuchte seine Frau sich einzuschalten, doch sie ging gnadenlos in dem Streit der beiden unter.

Bakura sah einen Moment so aus, als könne er nicht wirklich fassen, was er da gerade entgegengeschleudert bekommen hatte, dann meinte er: "Schön! Mit so einem Tyrannen wie dir hält es ohnehin kein normaler Mensch aus!"

Das war zu viel. Noch ehe Bakura zur Küchentür heraus war, hatte ihm sein Vater hinterher gesetzt und ihn grob am Oberarm gepackt. "Los, sofort raus hier!"

"Lass mich los!"

Bakura kassierte einen kräftigen Stoß, dann wurde er losgelassen und im nächsten Moment riss sein Vater die Tür auf, nur um mit wutverzerrter Miene zu zetern: "Verschwinde bloß und komm erst wieder, wenn du etwas Anstand gelernt hast!" Dann gab er ihm einen weiteren Stoß, sodass er zur Tür hinaus stolperte und knallte die Tür hinter ihm so laut zu, dass es in den Ohren wehtat.
 

Bakura starrte auf die Tür. Sein Oberarm schmerzte noch an der Stelle, an der Kagerou ihn so grob angefasst hatte.

Jetzt stand er hier in Strümpfen, Jogginghose und T-Shirt und ärgerte sich maßlos darüber, dass er seinem Vater nicht einfach mächtig eine verpasst hatte.

Langsam ging er die Treppe des Hausflures hinunter. Warum zum Teufel hatte er sich nicht gewehrt? Sonst hatte er ja auch keine Probleme damit, Leute zu verprügeln, warum also ausgerechnet bei dem Typen, der es am meisten auf der Welt verdient hatte?

Und jetzt hatte er nicht mal Zigaretten, um sich abzureagieren.
 

"Scheiße!", fluchte er und schlug wütend gegen die nächste Mauer, nur um daraufhin erneut zu fluchen, da das verdammt wehgetan hatte.

"So eine verfickte Drecksscheiße!"

Und Ryou ... hoffentlich ließ sein Vater seine Aggressionen nicht an ihm aus. Es war zwar eher unwahrscheinlich, aber mittlerweile traute er diesem Menschen alles zu.
 

Als die Tür zugeschlagen war und Kagerou sich wieder an den Tisch setzte, herrschte drückendes Schweigen. Schließlich fasste Sharon sich ein Herz und sagte leise: "Liebling, du hättest ihn nicht gleich rausschmeißen müssen. Wir hätten doch später über alles in Ruhe reden können. Glaubst du nicht, dass du etwas grob warst?"

Kagerou schnaubte nur. "Sharon, wenn du dir mit der Erziehung bei ihm etwas mehr Mühe gegeben hättest und deine Zeit nicht nur darauf verwendet hättest, Ryou zu verhätscheln, dann wäre es gar nicht erst so weit gekommen! Und jetzt möchte ich in Ruhe mein Abendessen genießen."
 

Sharon zuckte zusammen, sagte aber sonst nichts mehr und Ryou fühlte sich unbehaglicher denn je in seiner Haut. Der Abend hatte so schön angefangen und so furchtbar geendet.

Seine Gedanken waren bei Bakura. Das war doch nicht fair.

Trüb blickte er auf seinen Teller. Der Appetit war ihm irgendwie vergangen, doch er zwang sich aufzuessen, um seinem Vater keinen weiteren Grund für irgendwelche Anschuldigungen zu liefern.

Der Rest des Essens wurde mit eisigem Schweigen verbracht.

Und später am Abend, als sein Vater es sich vor dem Fernseher mit einer Flasche Bier gemütlich gemacht hatte, hörte Ryou seine Mutter in der Küche weinen.
 

Doch Ryou ließ es keine Ruhe. Er machte sich Sorgen um Bakura. Nicht etwa aus dem Grund heraus, dass ihm etwas zustoßen sein konnte, aber der Ältere neigte manchmal wirklich dazu, irgendeine Scheiße anzustellen, nur um sich abzureagieren und ein Ventil zu finden. Er lauschte; im Wohnzimmer dudelte noch der Fernseher und seine Mutter war offenbar zu Bett gegangen. Auf leisen Sohlen schlich er hinaus und schloss die Haustür hinter sich. Dann lauschte er ein weiteres Mal, um festzustellen, ob jemand etwas bemerkt hatte und schlich sich dann mit klopfendem Herzen das Treppenhaus hinunter.

Er hatte so etwas noch nie gemacht. Etwas, das seinen Eltern vielleicht missfallen könnte. Aber gerade im Moment war es ihm herzlich egal.

Wenn man es so bedachte, dann hatte ihm Bakura schon immer näher gestanden, als seine Eltern. Seine Eltern waren seine Eltern, aber Bakura ...

Wieder dieses elende Gefühl, als er an neulich dachte.
 

Er hatte so eine vage Vermutung, wo Bakura stecken könnte. Wenn er so aufgebracht war wie jetzt, dann war er nicht gerne unter Leuten, also konnte er seine Freunde schon mal knicken und da gab es einen Ort, der ziemlich wahrscheinlich war: Der verfallene Spielplatz in ihrer alten Wohngegend.

Er wusste nicht, wieso, aber aus einem unerfindlichen Grund zog es Bakura in solchen Momenten dorthin.

Jetzt blieb noch zu hoffen, dass er Glück hatte - und dass seine Eltern in der Zwischenzeit nicht merkten, dass er verschwunden war, das würde nämlich mächtig Ärger geben.

Es war ihm verboten, nach 20 Uhr noch nach draußen zu gehen. Das hatte zwar weniger den Grund, dass seine Eltern ihn übermäßig behüten wollten, auch wenn das vielleicht auch ein kleiner Faktor war, sondern mehr, dass er sich nicht irgendwo herumtrieb, wenn er genauso gut für die Schule lernen konnte.
 

Ryou hatte beschlossen, zu laufen, da der Bus erst in einer halben Ewigkeit fuhr und da hätte er mit Sicherheit schon die halbe Strecke hinter sich gebracht.
 

Es war inzwischen dunkel, als er an dem verlassenen Ort anlangte. Ein Schild war aufgestellt worden: "Betreten auf eigene Gefahr", welches an einem rostigen Zaun halb herunter hing.

Ryou drückte das lose Tor vorsichtig zur Seite. Es quietschte leise. Ein bisschen mulmig war ihm schon - was, wenn Bakura gar nicht hier war?

Ryou lief ein paar Schritte - doch dann hellte sich seine Miene plötzlich auf. Auf einer der Schaukeln konnte er schwach eine Gestalt erkennen und das Glühen einer Zigarette.

"Bakura!", rief er, freudig darüber, dass er ihn gefunden hatte und lief zu ihm hin und der Angesprochene hob überrascht den Kopf.
 

"Was zur Hölle hast du hier zu suchen?", herrschte er Ryou an, welcher ihm um den Hals fiel und sich durch den groben Tonfall seines Bruders nicht ins Boxhorn jagen ließ.

"Na was wohl, dich suchen", ertönte es vorwurfsvoll, während Ryou ihn langsam wieder los ließ. "Ich hab mir Sorgen gemacht."

"Beschwer dich beim Alten, ich bin ja nicht freiwillig gegangen."

Ryou wirkte betrübt und nahm auf der Schaukel neben Bakura Platz.
 

"Ist lange her, dass wir zusammen hier waren", sagte Ryou schließlich wenig später in die Stille hinein.

Bakura brummte und wandte verstohlen den Blick zur Seite, um Ryous Profil zu betrachten. Das Licht des Mondes wurde leider durch die Lichter der Stadt verschluckt, aber das fahle Licht der Straßenlaternen ließ die makellose Haut gespenstisch weiß schimmern.

Er schluckte und bekam plötzlich kein Wort mehr heraus.

"Ryou ..."

Der Jüngere sah ihn aufmerksam an.

"Wie zum Teufel hältst du das alles aus?"

"Was meinst du?", fragte selbiger verwirrt.

Bakura stieß sich ab, schaukelte ein-, zweimal vor und zurück und ließ sich dann von der Sitzfläche zu gleiten, um auf den Füßen zu landen. Dann warf er seine Kippe weg und drehte sich um.

"Ich meine diese ganze Scharade. Immer das tun, was andere von einem erwarten. Den Stereotypen des braven Vorzeigesohnes erfüllen. Diese ganze Lernerei, diese ganze Schufterei, wozu das alles?"

Ryou hatte die Lippen einen Spalt geöffnet, wusste aber nichts zu sagen.

"Wir könnten ... alles haben, nein, alles sein, was wir wollten, wenn wir uns nicht immer wieder unterdrücken lassen müssten. Wenn man uns nur die Chance geben würde, wenn ..."

Er stockte, wusste nicht weiter.

"Manchmal find ich diese Welt hier wirklich zum Kotzen. Als würd ich wo anders hingehören, in ein anderes Leben..."
 

Bakura versteifte sich kurz, als er plötzlich spürte, wie sich Ryous Arme von hinten um ihn wanden.

Ryous Stimme klang gedämpft, denn er hatte das Gesicht gegen Bakuras Rücken gepresst.

"Ich bin nicht wie du, Kura. Ich hab viel zu viel Angst, dass etwas schief gehen könnte, wenn ich das tue, was ich mir wirklich wünsche. Das ich etwas kaputt machen könnte und das wäre nie wieder zu reparieren. Ich fürchte mich zu sehr vor den Konsequenzen, wenn ich versuchen sollte, aus dem auszubrechen, was ich bin, ich-"
 

Bakura drehte sich mit einem Ruck um und wollte energisch etwas erwidern, doch dann trafen sich ihre Blicke.

Auf eine Art, wie sie sich noch nie getroffen hatten und wie sie sich niemals hätten treffen dürfen.
 

Bakuras rechte Hand wand sich um Ryous Nacken, um ihn zu sich zu dirigieren. Und dann küssten sie sich. Einfach so.
 

Als sich ihre Lippen trennten, sah Ryou seinen Bruder mit großen Augen an und brachte kein Wort über die Lippen und jetzt, wo er ihn so ansah, wurde ihm erst klar, was sie da gerade getan hatten.

Was er getan hatte. Mit seinem Bruder.
 

"Bakura...", flüsterte Ryou, nicht wissend, was er sagen sollte, sagen wollte. Nicht wissend, was er nun tun sollte.

Bakura wandte sich ab. Er wirkte plötzlich, als sei er ganz wo anders. "Wir sollten nachhause gehen, Ryou. Es ist spät. Die machen sich sonst Sorgen um dich."
 

Schweigend gingen sie nebeneinander her, in Richtung der Wohnung.

"Bakura...", versuchte es Ryou noch einmal, als sie bereits kurz vor ihrem Ziel waren.

Bakura hielt einen Moment inne, dann sagte er: "Das was eben passiert ist ... ist niemals passiert. Es ist besser so."

Dann schloss er die Wohnungstür auf.



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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Von:  jyorie
2012-07-23T19:10:16+00:00 23.07.2012 21:10
Hi^^

so viel zucker, so süß, *schmelz* man konnte den kleinen Ryou direkt
sehen, wie er immer an dem Hasenohr genuckelt hat, *schmacht* so
niedlich mit den großen treuen Augen :D

Ja, kann ich nur bestätigen, auf die Süßen kleinen muss man irgentwie
aufpassen und kann nicht glauben das die auch mal groß werden XD

Interessant wie Otogi reagiert hat, Treffer :)

LG Jyorie
Von:  NaruKura
2012-01-18T13:40:22+00:00 18.01.2012 14:40
Schönes Kap und wieder im altbekannten Stil xD
Gefiel mir sehr gut, vorallem die Szene zwischen Kura und Otogi und ihrer kleinen "Auseinandersetzung"
Die Szene mit Malik fand ich aus meienr Sicht unpassend, aber wiederum völlig passend zu Kura xD
Brachte so den Eindruck, das er eh mit allen schlief, was mit ihm schlafen wollte oder auch nicht wollte, wird alles genommen .. eben ohne Gefühle dahinter.
Das er dann wiederum so liebevoll, ja gar zärtlich zu Ryou ist, ist zum schmunzeln und dahin schmelzen xD
Und diese Kuss-szene auf dem alten Spielplatz *_* Kitschig, aber sowas von niedlich xD

lg NaruKura
Von:  Mimmy-chan
2011-11-26T22:17:06+00:00 26.11.2011 23:17
Gottchen war das niedlich - kann man es überhaupt so nennen? Egal - ich mache es einfach mal. XP

Also mir hat total gut gefallen wie Bakura eifersüchtig geworden ist und Otogie einfach zur Seite genommen hat. *hach* Die Szene, in der der Schwarzhaarige dann fragt ob Bakura etwas von Ryou wolle schloss sich ja direkt daran an. *.* Erst packt Bakura ihn - dann hört er das - und schwups lässt er ihn wieder los!!! *kyaaaa* Die Szene hätte ich gerne als Film gesehen oder zumindest als Doujinshi. *schwärm*

Und die Kinder Szene erst!!! Zucker süß wie sich der Ältere für Ryou eingesetzt hat. <3<3<3 ... Zu geil. Und dabei waren die anderen Jungs so viel älter und überlegen. >.<
Warum können Kinder eigentlich so bösartig sein? ich verstehe es nicht!

Coole Sache, dass Bakura sich bei Malik entschuldigt hat. Da soll nochmal wer sagen, Bakura hate kein gewissen! - Das er danach mit Malik ins Bett hüpft war allerdings erstaunlich - aber auch stark, weil ich es nicht erwartet hätte. *gg*

Hayeeeeee Bakura versteht sich ja überhaupt nicht gut mit seinem Vater. Ich könnte mir gar nicht vorstellen bei so einem furchtbaren Gespräch zwischen den Stühle zu sitzen - einfach zu schrecklich!!! >.<

Und es wird wieder niedlich - als Ryou Bakura zu dem alten Spielplatz folgt. *hihihihi* UND ES GIBT EINEN KUSS!! (*;;*)v genial!

Bitte schreib schnell weiter!!! o(>//<)o

chuchu Mimmy-chan
Von:  SakuraxChazz
2011-11-26T16:35:24+00:00 26.11.2011 17:35
Wieder ein klasse Kapitel. Ich konnten icht aufhören das zu lesen.
Besonders gefallen hat mir der kleine Rückblick auf die Kindheit der beiden, wo Kura Ryou hilft und Prügel bezieht.
Die Szene auf dem alten Spielplatz ist auch sehr schön geworden.
Das der Vater so überreagiert ist heftig. Und dann die Schuld seiner Frau zu geben ist einfach nur gemein. Er sollte die Schuld mal bei sich suchen. Schließlich ist er kaum da. Das könnte irgendwie auch damit zusammenhängen. Und bei Ryou hat es doch gut geklappt. Also bitte. Er sollte sich mal mehr um seine Familie kümmern.
Von:  DivaLila
2011-11-25T21:35:39+00:00 25.11.2011 22:35
juhee, ich hab meinen Laptop wieder und was seh ich da: ein neues Kapitel!
als ich den Kapiteltitel gelesen habe, dachte ich, "Oho, Ryou und Kura kommen sich wohl schnell näher..."
finde es echt genial, dass du dann die Szene mit Malik und Kura eingebaut hast... so, dass ich keinen weiteren Kuss mehr erwartet habe ^_^
die Kussszene der beiden Weisshaarigen war so süss... ich wünschte, ich hätte sie beobachten können XP
Ich mag an deinem Ryou sehr gerne, dass er über sich selbst anscheinend sehr gut Bescheid weiss....

Was ich noch sagen wollte: ich finde es irgendwie lustig, aber ich habe seit längerem eine Ryou/Bakura - Brüder FF im Kopf... hab aber noch nicht angefangen, sie zu tippen... ich bin daher doppelt so gespannt, was du aus dem Stoff machst ^.-

Von:  Moonprincess
2011-11-24T21:18:00+00:00 24.11.2011 22:18
Sehr schön geschrieben.
Kuras Eifersucht, der Wunsch, Ryou immer zu beschützen... Das macht ihn sympathisch, auch wenn es tatsächlich danach aussieht, als würde Kura noch Malik als Alibi-Freund mißbrauchen. Vertrackte Geschichte...
Der Vater ist ja mal wieder... Also ne! Und dann angebliche/tatsächliche Erziehungsfehler allein auf seine Frau abwälzen. Ja, so kann man sich auch fein hinstellen.
Ich fand es süß, wie Ryou Kura dann nach ist, zur Abwechslung mal gegen alle Regeln. Das war schön, auch die Szene auf dem Spielplatz mit dem Kuß... Es war so einfach beschrieben und doch so fesselnd und lieb.
Ob Unglück oder nicht, ich schätze, die beiden werden auf Dauer nicht voneinander lassen können. Ich bin gespannt, wie sich das entwickelt.


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