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Fog

von

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Crackpot

Beta: dubby ♥ Sänk ju~
 

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Crackpot
 

Ich hätte nie gedacht, dass ich mich so sehr dagegen sträuben würde, wieder ein Krankenhaus zu betreten.
 

Bereits auf der Hinfahrt war ich Alice permanent damit auf den Zeiger gegangen, sie zu überreden wieder zurück zu fahren. Den Termin auf einen anderen Tag zu verschieben, weil es mir doch eigentlich wirklich gut ging. Weil ich seit unserem nächtlichen Gespräch keine weiteren Anfälle mehr gehabt hatte. Jedenfalls keine, von denen sie wusste.
 

Ob es an der Nervosität lag? Oder einfach daran, dass es dieses Krankenhaus war; das Gebäude, in dem ich nach meinem Unfall aufgewacht war und feststellen musste, dass ich mein Gedächtnis verloren hatte? Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, seit ich das letzte Mal zu einer Untersuchung nach meiner Entlassung gegangen war. Ich hatte gehofft, damit niemals mehr in Kontakt treten zu müssen – hatte gehofft, dass meine Erinnerungen wieder von allein zurückkehren würden.
 

Aber leider funktionierte so was nicht im echten Leben.
 

Es war merkwürdig, nach so langer Zeit wieder vor der großen Glasschiebetür zu stehen. Ich haderte mit mir, überlegte hin und her, dachte krampfhaft über ein letztes überzeugendes Argument nach, Alice von diesem Besuch abzuraten, aber natürlich fiel mir nichts Sinnvolles ein.
 

„Na, komm schon, Bella. Dr. Cullen erwartet uns bereits, wir sollten nicht so viel Zeit vorm Eingang verschwenden“, redete mir meine Freundin aufmunternd zu. „Du wirst schon sehen, alles wird gut.“ Trotz der Worte klang sie selbst nicht mal wirklich überzeugt davon.
 

„Dein Wort in Gottes Ohr.“ Mit einem Seufzen gab ich nach und ließ mich von ihr in das große Gebäude ziehen.
 

Im Inneren schlug uns gleich diese allzu typische sterile Atmosphäre entgegen. Es roch nach Desinfektionsmitteln, Chlor und Medikamenten. Menschen kamen uns entgegen, verließen gerade das Krankenhaus oder betraten es. Einige ruhiger, die anderen aufgeregter, je nach Art des Notfalls. Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger gingen hastig von einem Ort zum anderen, standen in einer kleinen Gruppe und redeten oder betreuten Patienten und Angehörige. Am Ende des großen Foyers befand sich ein langer Tresen, hinter welchem drei Schwestern in blassrosa Kleidung saßen.
 

„Bella, nicht langsamer werden“, mahnte mich Alice. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass ich mich ihrer ziehenden Hand leicht widersetzte und mein Körpergewicht in die andere Richtung lehnte. Erst als sie etwas kräftiger zerrte, beschleunigte ich meine Schritte ein wenig.
 

„Alice Brandon und Isabella Swan“, meldete sie uns dann am Empfang an. „Wir haben einen Termin bei Dr. Cullen.“ Die junge Frau sah kurz auf, musterte uns streng, ehe sie in ihren Computer blickte, und deutete dann auf die Sitzecke rechts im Foyer. „Nehmen Sie doch bitte noch einen Augenblick Platz. Wir holen Sie dann, wenn der Doktor soweit ist.“
 

Ohne hinsehen zu müssen, wusste ich, dass Alice mit den Augen rollte. Sie hasste es zu warten. Vor allem, wenn sie einen Termin hatte.
 

Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich froh darüber sein sollte, dass es nur fünf Minuten dauerte, oder nicht. Ich hatte die Auswahl zwischen einer grummeligen Alice und einem ohnehin eintretenden Untersuchungsgespräch. Als die Schwester uns Bescheid gesagt hatte, war ihr meine Freundin mit einem zynischen Lächeln gefolgt, hatte aber sofort ein freundliches aufgesetzt, als wir das Büro betraten.
 

„Guten Tag, Miss Brandon, Miss Swan!“, begrüßte uns der Arzt freudig, was mich im ersten Moment doch beinahe zurückweichen ließ.
 

„Hallo, Dr. Cullen“, entgegneten wir ebenfalls, Alice fröhlich, ich eher zurückhaltend, was er aber offenbar nicht zur Kenntnis nahm. Er bot uns die beiden Plätze vor seinem Schreibtisch an. Ich spürte, dass er mich konzentrierter musterte, als mir anfangs bewusst gewesen war. Was hatte Alice ihm eigentlich alles am Telefon erzählt, als sie dieses Treffen vereinbart hatte?
 

„Miss Brandon hat mir ja bereits im Groben geschildert, warum Sie hier sind. Wie geht es Ihnen denn im Augenblick, Miss Swan?“ Er lächelte höflich, sodass ich nicht anders konnte, als es zu erwidern. Trotzdem rutschte ich unruhig auf meinem Stuhl umher. „Mir geht es wunderbar“, brachte ich in einer etwas erhöhten Tonlage hervor, räusperte mich und korrigierte meine Antwort gleich darauf. „Gut, meine ich. Mir geht es gut.“
 

„Das freut mich zu hören. Miss Brandon sagte, Sie hätten in letzter Zeit des Öfteren Kopfschmerzen gehabt.“
 

Ich nickte. „Das stimmt. Aber das sind eben nur Kopfschmerzen, die kommen und gehen. Die hat jeder Mal. Außerdem hat mir der Arzt vor kurzem bereits Tabletten dagegen verschrieben.“
 

„Nachdem du ohnmächtig geworden bist, wenn ich das hinzufügen darf“, ergänzte Alice auf der Stelle. Ich rollte mit den Augen und Dr. Cullen ergriff wieder das Wort. „Nun, Miss Swan, Kopfschmerzen sind nicht gleich Kopfschmerzen. Auch dort gibt es unterschiedliche Einstufungen mit unterschiedlichen Ursachen.“
 

Meine Freundin nickte eifrig. „Genau. Außerdem hat Dr. Wright gemeint, wir sollten Sie so bald wie möglich aufsuchen. Immerhin könnte es etwas mit dem Unfall zu tun haben.“
 

„Du kannst dich noch an den Namen dieses Arztes erinnern?“, warf ich ein, wurde aber von beiden übergangen, als Dr. Cullen sofort auf Alice‘ Kommentar einging. „Das war auf jeden Fall die vernünftigere Entscheidung. Miss Swan, wenn ich Sie kurz bitten dürfte, sich auf die Liege dort drüben zu setzen, damit ich Sie mir etwas genauer ansehen kann?“ Er deutete auf eine weiße Barre aus Metall, dessen weicher Lederbezug mit hauchdünnen großen Papiertüchern abgedeckt war. Nervös befolgte ich seine Anweisungen, während er um den Schreibtisch herumkam und das Stethoskop ergriff. „Machen Sie sich doch bitte oben rum frei, damit ich Sie abhören kann“, wies er höflich an. Er wartete kurz, bis ich mein Oberteil abgestreift hatte, dann spürte ich auch schon das kalte Metall des Instruments auf meinem Dekolleté, das so unglaublich deutlich die kühle Distanz der Wissenschaft symbolisierte.
 

„Bitte tief ein und ausatmen.“ Ein. Aus. Ein. Aus. „Haben Sie Schwierigkeiten beim Atmen?“ Ich schüttelte den Kopf, in welchem sich vom vielen Luftholen bereits Schwindel breitmachte. „Irgendwelche anderen Schmerzen?“ Wieder verneinte ich, dabei hätte ich genauso gut die harten Klopfer erwähnen können, die er mir nun mit seinen Fingern auf meinem Rücken verpasste.
 

Er legte das Stethoskop weg, nahm sich eine kleine, schmale Taschenlampe und leuchtete mir in die Augen. Ich versuchte nicht zu blinzeln. Meine Pupillen folgten seinem Zeigefinger, wie er von links nach rechts und wieder zurück schwenkte.
 

Zum Schluss maß er noch meinen Blutdruck und Puls, ehe ich mich wieder anziehen und auf den Stuhl setzen konnte. „Atmung, Reflexe, Blutdruck und Puls sind soweit in Ordnung. Natürlich müssten wir noch genauere Untersuchungen durchführen, um ein umfangreicheres und aussagekräftigeres Bild zu erhalten.“ Ich atmete tief ein, ich wusste, was das bedeuten würde. Die Tage, an denen ich wieder ununterbrochen zu irgendwelchen Experten rennen musste, nur um mir letztendlich gesagt bekommen zu lassen, dass sie entweder nichts entdeckt haben oder … dass sie etwas entdeckt haben. Und das meine Lage nur verschlimmern konnte. Stumm bereitete ich mich schon darauf vor, ihn von weiteren Untersuchungen abzubringen.
 

„Was wir aber vor allem anderen tun sollten, ist ein CT, um abklären zu können, ob Ihre Kopfschmerzen physische oder psychische Ursachen haben. Seit wann genau haben Sie diese Beschwerden? Waren sie schon länger da und sind in letzter Zeit nur häufiger vorgekommen?“
 

Ich überlegte und schüttelte wieder den Kopf. „Nein, erst seit kurzem. Nachdem ich damals aus dem Koma aufgewacht bin und mein Leben wieder in Angriff genommen habe, ging es mir den Umständen entsprechend recht gut.“
 

Dr. Cullen nickte und notierte sich etwas auf einem Block. „Hatten Sie in letzter Zeit einen Unfall, sind sie gestürzt und haben sich dabei eventuell den Kopf angestoßen?“
 

„Nein, nicht dass ich wüsste“, antwortete ich und wusste im gleichen Moment, dass sich Alice dazwischen schalten würde. „Natürlich bist du das! Vorgestern, wenn ich dich daran erinnern darf.“ Ich legte ihr meine Hand aufs Knie, um sie zu beruhigen. Sie war schon wieder aufgeregter als eine Herde Ochsen im Rotlichtwahn. „Al, das war gar nichts. Ich bin auf dem Boden gelandet. Und hätte ich mich irgendwo verletzt, hätte ich das gespürt und mindestens eine Beule davon getragen. Außerdem hatte ich die Kopfschmerzen schon davor.“ Ich wandte mich wieder an Dr. Cullen. „Hören Sie, ich weiß, Sie wollen mir nur helfen. Und ich will nicht abstreiten, dass es auch Fälle gibt, in denen man unbedingt medizinische Maßnahmen ergreifen muss. Aber das hier … Das ist Zeitverschwendung. Es sind nur ein paar Kopfschmerzen. Vielleicht hab ich mal zu wenig getrunken oder mir bekam der Wetterumschwung nicht. Aber das ist doch kein Grund, gleich mit der Kavallerie ins Haus zu fallen.“ Verzweifelt sah ich mein Gegenüber an, in der Hoffnung, er würde mich verstehen, mir zustimmen. Doch die Falten in seiner Stirn ließen keinen Zweifel, dass er anderer Meinung war.
 

„Miss Swan, ich kann nachvollziehen, dass Sie aus einer Mücke keinen Elefanten machen wollen. Und in manche Dinge sollte man auch tatsächlich nicht zu viel hinein interpretieren. Aber in Ihrem Fall würde ich sehr dafür raten, sich wenigstens dieser neurologischen Untersuchung zu unterziehen, um Klarheit zu haben und diverse Vermutungen zu klären.“
 

„Aber-“
 

„Was haben Sie denn zu verlieren?“, unterbrach er mich mit einem kleinen Lächeln. „Geben Sie sich einen Ruck. Das CT dauert nur ein paar Minuten und danach müssen Sie sich nicht mehr mit wilden Spekulationen herumschlagen.“ Alice griff nach meiner Hand, die immer noch auf ihrem Bein ruhte, und ihre Augen flehten mich stumm an. „Vielleicht“, begann sie und flüsterte dann weiter, „vielleicht kehren ja deine Erinnerungen zurück.“ Etwas flackerte in ihren Augen, etwas, das ich nicht deuten konnte. Unsicherheit, Hoffnung? Oder war es doch etwas ganz anderes? Sie wandte ihren Blick ab.
 

„Nun, ob die Kopfschmerzen verantwortlich dafür sind, dass Ihre Erinnerungen zurückkehren oder nicht, lässt sich mit der Computertomographie natürlich nicht sagen“, wandte der Arzt ein. „Aber damit könnten wir auf jeden Fall einen eventuellen physischen Schaden am Nervensystem oder dem Schädel ausschließen. Sollte es letztendlich wirklich eine psychologische Ursache haben, würde ich Ihnen auf jeden Fall zu einem Kollegen auf dem entsprechenden Gebiet raten. Viele Amnesiefälle kann man beispielsweise durch Hypnose therapieren.“ Ich sah zwischen ihr und dem Arzt unschlüssig hin und her, bis eines der Fotos an der Rückwand des Mediziners meine Aufmerksamkeit kurz in Anspruch nahm. Darauf abgebildet waren der Doktor sowie ein zweiter Mann im selben Alter. Freundschaftlich hatten sie die Arme auf die Schulter des jeweils anderen gelegt und grinsten in die Kamera. Ich hatte diese Person noch niemals in meinem Leben gesehen, da war ich mir sicher. Und dennoch, etwas an seiner Ausdrucksweise, an seinen Zügen, seinem Lachen, seinem Blick … Auf einmal war mir, als würde ich keine Luft mehr bekommen. Meine Kehle fühlte sich trocken und kratzig an und ich spürte, wie mir die Hitze hochkroch. Ich schluckte. „Ich muss mir kurz was zu trinken besorgen. Entschuldigung.“ Ohne die beiden weiter anzusehen stand ich auf und verließ das Zimmer. Draußen im Flur blieb ich kurz stehen und atmete tief ein. Mir schwirrte der Kopf. Um mich abzulenken, erkundigte ich die Gänge nach einem Wasserspender, aber dieses gottverdammte Gebäude schien einfach keine zu besitzen.
 

Also suchte ich die Damentoiletten auf. Glücklicherweise war gerade niemand anwesend. Ich spritzte mir ein bisschen Wasser ins Gesicht und ließ meine Hände dann darauf ruhen. Noch einmal dachte ich über Dr. Cullen’s Vorschlag nach. Seine Argumentation hatte mich haushoch geschlagen, meine Gründe gegen diese Untersuchung waren geradezu nichtig und konnten seine in keinster Weise überbieten. Er hatte ja Recht. Es würde mir nicht wehtun und hinterher hätte ich Gewissheit. Aber Gewissheit worauf? Was wollte ich denn eigentlich? Was genau war meine Angst? Die natürliche Angst eines Menschen, der plötzlich wusste, dass Veränderungen auf ihn zukommen würden? Vielleicht. Und ich hatte plötzlich eine Ahnung, dass genau das geschehen würde. Weibliche Intuition, sechster Sinn, wie auch immer man sowas beschrieb.
 

Und eventuell am Ende … eventuell konnte ich mich dann wieder erinnern. Nur wusste ich nicht, warum mir diese Vorstellung ein solches Unbehagen verursachte.
 

Ich benetzte mein Gesicht mit einer weiteren Ladung Wasser und betrachtete für einen Moment mein Spiegelbild. Was passiert nur mit dir? Schweigend wartete ich auf die Antwort meiner selbst, auch wenn ich wusste, dass sie nie kommen würde. Seufzend stützte ich mich auf dem Beckenrand ab und schloss meine Augen.
 

„Manchmal muss man die Dinge einfach auf sich zukommen lassen. Denk nicht darüber nach, was passieren kann, lass dich einfach treiben.“
 

Ein Lufthauch streifte meine Schulter und erschrocken riss ich die Augen auf. Erst starrte ich mir selbst entgegen, dann sah ich mich im Rest des Raumes um. Ich wagte nicht, etwas zu sagen, hörte nur auf meinen schneller werdenden Puls. Bevor ich mich aber in eine Hysterie steigern konnte, entdeckte ich das kleine, schmale Fenster etwas weiter oben über den Wandfliesen, einen Spalt breit geöffnet. Doch dann machte mein Herz noch mal einen kleinen Hüpfer, als sich eine der Kabinentüren geräuschvoll öffnete und eine zierliche Blondine an die Waschbecken trat. Augenblicklich atmete ich tief durch und verließ die Toilette.
 

Ich machte mich auf den Weg zurück zu Dr. Cullen’s Büro, um ihm meine Entscheidung mitzuteilen, Alice zu schnappen und dann sofort wieder nach Hause zu fahren. Dabei fiel mir ein, dass ich bei all der Aufregung noch immer nichts getrunken hatte.
 

Als ich das Büro fast erreicht hatte, fiel mir auf, dass die Tür ein Stück weit offen stand. Ich konnte nicht genau sagen, was mich dazu bewogen hatte, stehenzubleiben anstatt einfach einzutreten. Fakt war aber, dass ich es tat – und dass ich lauschte.
 

„Dr. Cullen, bitte“, flehte der schwarze Zwerg. „Ich kann das nicht. Ich weiß, ich klinge egoistisch, wenn ich so etwas sage, aber wenn Bella …“ Sie seufzte. „Bitte sagen Sie ihr nichts. Egal, wie das Ergebnis des CT aussieht, versprechen Sie mir, dass Sie über diese eine Sache schweigen werden. Ich will mehr als jeder andere, dass es ihr wieder besser geht, dass sie sich erholt und dass sie wieder glücklich wird. Aber wenn sie sich erinnert, dann-“
 

„Alice, Sie haben ihr vorhin selbst die Hoffnung gegeben, dass das passieren könnte“, wandte Dr. Cullen ein. Meine Freundin ließ die Schultern hängen. „Ich weiß. Aber irgendwie musste ich sie doch davon überzeugen, sich richtig untersuchen zu lassen. Mir geht es doch nur darum, dass sie keine nachhaltigen, körperlichen Schäden vom Unfall und dem Koma trägt. Wenn sie gesund ist, dann fügt sich doch auch der Rest.“
 

Der Doktor schüttelte den Kopf. „Wenn der Geist nicht heilt, nützt auch ein gesunder Körper nicht viel.“
 

Für ein paar Sekunden herrschte drückende Stille, dann vernahm ich Alice‘ Stimme nur ganz leise. „Vielleicht will sie sich ja selbst gar nicht erinnern. Wenn sie erfährt, was passiert ist, wird ihr Geist das niemals überstehen.“ Zorn flackerte in ihren Worten auf, ich konnte sehen, wie sie am ganzen Leib bebte – allerdings war sie da nicht die einzige. Ich war zu einer Salzsäule erstarrt, unfähig mich zu regen. Langsam stolperte ich zurück, fiel beinahe über meine eigenen Füße und rannte den Flur entlang. Als ich durch die große Glastür trat und die frische Luft im Gesicht spürte, hielt ich an und rang nach Atem. Ich stützte mich auf meine Knie und fuhr mir durch die Haare.
 

Der Betrug meiner besten Freundin saß tief. Zu tief, als dass ich ihr jetzt entgegentreten, geschweige denn in die Augen schauen konnte. Ich wollte nicht darüber nachdenken, was ich eben mit angehört hatte. Ich wollte abschalten, alles um mich herum ausblenden. Ich wollte einfach nur weg von hier.
 

„… lass dich treiben.“
 

Meine Beine setzten sich wie von allein in Bewegung. Nicht in Eile, aber auch nicht zu gemächlich. Ich achtete nicht auf meine Umgebung und bekam nur am Rande mit, wie ich den Parkplatz passierte, an Alice‘ Auto vorbei; wie ich das Grundstück verließ und dem Bürgersteg folgte. Schaufenster, Backsteine, Terrassentische zogen an mir vorbei. Passanten streiften meine Schultern, gefolgt von Flüchen und Beschimpfungen, die jedoch ebenso schnell verhallten, wie sie gekommen waren. Ein Meer an bunten Farben, schrillen Geräuschen und wechselnden Gerüchen schwappte über mich hinweg, ohne von mir in irgendeiner Weise beachtet zu werden. Als würde mich eine Blase umgeben.
 

http://www.youtube.com/watch?v=pgUzWrTk1KI
 

Irgendwann fühlten sich meine Beine wie Gummi an. Hin und wieder stolperte ich, fing mich gerade noch oder stützte mich an einer Hauswand ab, wo ich kurz Luft holte, ehe ich meinen Weg fortsetzte. Erst als ich keinen Schritt mehr tun konnte und gezwungen war, gänzlich stehen zu bleiben, nahm meine Umgebung wieder klarere Umrisse an. Je deutlicher das Bild wurde, desto ahnungsloser kam ich mir vor. Ich hatte nicht die leiseste Theorie, in welchem Teil der Stadt ich mich befand. Ich stand inmitten eines alten Innenhofs, dessen vier heruntergekommene Wände weit in den Himmel ragten. Die Mauern waren übersät mit Ranken und Dreck. Immer wieder tauchten ausgebrochene Stellen auf, Fenster waren eingeschlagen oder fehlten völlig. Kaputte Türen hingen aus ihren Angeln und in jeder Ecke sammelte sich Schutt. Der Boden bestand aus großen, ehemals gleichförmigen Pflastersteinen. Etwas altmodisch, fügte man es mit den unverputzten Häuserwänden und dem Rest dieses kleinen Ortes zusammen. Ich drehte mich einmal um die eigene Achse und blickte gen Himmel. Ein paar weiße Wolken glitten sanft am blauen Himmel dahin.
 

„Hier lang …“
 

Erschrocken drehte ich mich um und starrte auf einen der türlosen Eingänge. Hatte sich gerade etwas in den Schatten des Gebäudes bewegt? „Hallo?“ Vorsichtig trat ich einen Schritt vor den anderen und näherte mich der Hausöffnung. Ich schaute nach rechts und links, obwohl mir eine Bewegung auch ohne den Seitenblick nicht entgangen wäre. Am Türrahmen stützte ich mich einen Moment ab und spähte in den Raum hinein. Besonders viel Licht kam nicht durch die Fenster. Es war schwer, etwas Genaues zu erkennen.
 

War da eben ein Knirschen zu hören gewesen? Als wäre jemand auf Kies getreten. Entschlossen, dem Spuk ein Ende zu bereiten, betrat ich das Gebäude. Und dennoch, eine seltsame Anspannung hatte Besitz von mir ergriffen. Ich zitterte. Nur konnte ich nicht sagen, ob vor Angst oder Aufregung.
 

„Folg‘ meiner Stimme.“
 

Hastig wandte ich meinen Kopf, doch nichts war zu sehen. Nichts außer alten, umgekippten Möbeln, vergilbten Papierfetzen, staubigen Teppichen. Zerbrochenes Porzellan lag auf dem schmutzigen Boden, ramponiertes Spielzeug, Glas. Wie ein Soldat auf einem Minenfeld tastete ich mich in dem Raum voran. Müsste ich raten, hätte ich vermutet, dass es eine Art Wohnzimmer war, doch das Innenleben war so verwüstet, dass es sich nur schwer sagen ließ. Vor einem kleinen Sofa in der Nähe der Fenster blieb ich stehen. Der Stoff war zerrissen und fleckig.
 

„Willst du dich ausruhen?, kicherte jemand.
 

Mein Herz klopfte. Dieses Mal sah ich mich nicht um. Stattdessen blieb ich reglos stehen, wartete. Wartete, dass die Stimme wieder etwas sagte. Mir war, als hörte ich noch ein zweites Atmen. Oder schallte mein eigenes Luftholen nur zu laut in meinen Ohren wieder?
 

Ein Schmunzeln. Sag‘ noch mal was.
 

Voller Anspannung verharrte ich.
 

„Komm weiter.“
 

Mein Herz machte einen kleinen Hüpfer, ich drehte mich um. Ein Rascheln. Und ich rannte durchs Zimmer.
 

„Vorsichtig, nicht zu schnell.“ Die Worte begleitet von Amüsement.
 

Ich fiel beinahe über das Gerümpel vor meinen Beinen, hielt mich an einem Stuhl fest, hastete weiter, schob Dinge beiseite. Jemand lachte. Ich beschleunigte meinen Lauf. Wo bist du? Wer bist du?
 

„Bella, komm.“
 

Warum kennst du meinen Namen?
 

Mein Atem rasselte, der aufgewirbelte Staub legte sich auf meine Kehle, ließ mich husten. Mein Fuß verfing sich in etwas und ich fiel bäuchlings auf alle Viere. Etwas bohrte sich in meine Hand. Stöhnend hockte ich mich hin und betrachtete den fremden Gegenstand. Eine alte Spieluhr hatte einen schmerzhaften Abdruck in meiner Haut hinterlassen. Das dunkle Holz war schon runzelig und abgeschabt, der Verschluss rostig, ebenso die goldene Verzierung auf dem Deckel. Neugierig öffnete ich sie. Die Figur, die einstmals das Innere zierte, war bereits verschwunden, nur das Podest gab es noch. Und die Melodie. Wenn auch nicht mehr in ihrer vollen Klangbreite. Abgehackt versuchte sie einen Ton nach dem anderen aus dem alten Kästchen zu quetschen. Das Zusammenspiel klang so trostlos, dass ich den Deckel wieder schloss.
 

„Beeil dich, sonst ist es zu spät.“
 

Ich ließ die Spieluhr auf den Boden sinken und stand auf. Es schien dunkler geworden zu sein. Die Schatten waren länger und das Zimmer noch schlechter einzusehen. Die letzten Sonnenstrahlen erhellten den Hof auf der anderen Seite des Eingangs.
 

„Schnell!“
 

Ruhelos lief ich der Stimme nach. Das glaubte ich zumindest, die genaue Richtung konnte ich jedoch nicht erkennen. Wie ein Flüstern tauchte sie immer öfter auf, wisperte mir etwas zu. Mal verstand ich es, ein andermal nicht. Ich bewegte mich erst nach Norden, dann Westen, Süden, Osten. Und wieder von vorn. Die Abstände zwischen den Wörtern wurden kürzer.
 

„Bella …“
 

Im Zickzack wechselte ich meine Laufrichtung, dabei bedacht, nicht wieder zu stürzen.
 

„Komm zu mir.“
 

Mir wurde schwindelig. Vor mir drehte sich alles und die Welt verschwamm. Wie in Trance suchte ich mir meinen Weg nach vorn. Meine Finger betasteten kaltes Gestein und meine Schulter schabte an etwas entlang – immer und immer wieder prallte ich gegen Widerstände. Wo lief ich lang, wo befand ich mich? War ich noch immer in dem Gebäude? War ich bereits wieder im Innenhof oder ganz woanders? Die letzten Sonnenstrahlen blendeten mich und nahmen mir den Rest meiner kläglichen Sicht.
 

Und dann gaben meine Beine nach. Ich sank zu Boden und spürte nur noch den kalten, feuchten Untergrund.
 

Wer bist du …
 


 

Eine kühle Brise streifte meine Wange, ich fror. Irgendwo in der Ferne ertönte ein Laut wie aus einem Horn, einem Signalruf gleich. Ich lauschte. Außer meiner eigenen Atmung war nichts zu hören. Doch! Wasser. Wellen, die gegen noch mehr Wellen schwappten. Während ich dem Klang zuhörte, konnte ich mir vorstellen, wie die schäumenden Wasserkronen sich erhoben und dann wieder ins dunkle Blau versanken. Oder wie sie gegen einen Widerstand, eine Mauer, knallten.
 

Wieder ertönte das Hornsignal und langsam öffnete ich meine Lider. Es war Nacht. Über mir breitete sich der fast schwarze Himmel aus, hier und dort verdeckt mit Wolken, anderorts schimmerten die vielen kleinen Sterne durch. Der Mond war halb verborgen. Zwischen Himmel und meiner selbst schoben sich Blätter dazwischen. Eine beachtliche Menge, die sich über mir erhob und mich bei genauerem Betrachten zu allen Seiten umgaben. Mein Rücken war kalt und nun nahm ich auch das feuchte Gras unter mir wahr. Ich stützte mich auf meine Ellenbogen. Mein Versuch, mich zu erinnern, wie ich hierhergekommen war, schlug fehl. Ich wusste noch, dass ich gerannt war und dass ich mich vorher in einem kleinen Innenhof aufgehalten hatte. Aber wie ich an diesen seltsamen Ort gelangt war, blieb meiner Erinnerung verborgen. Mein Umfeld glich einem Versteck aus dichten Sträuchern und Büschen. Zu meinen Füßen konnte ich mehr oder weniger einen groben, schmalen Pfad aus den Pflanzen heraus erahnen. Ich drehte mich auf meinen Bauch und schob ein paar Äste aus meinem Sichtfeld.
 

Ich war am Hafen.
 

Vor mir etwas weiter unten breitete sich das steinige Ufer aus und eine ebenso grobe Nase aus großen Steinen reichte ins Wasser hinein. An ihrer Spitze in einiger Entfernung erblickte ich das immer wieder aufblinkende Licht des Leuchtturms. Nebel hatte sich auf dem Wasser gesammelt. Sehr dichter Nebel und bei noch angestrengterem Hinsehen erkannte ich ganz schwach die Umrisse eines großen Frachters.
 

Das Bild hätte vielleicht einschüchternd sein müssen – ein verlassenes Steinufer in einer kalten Herbstnacht, bedeckt mit dicken Nebelschwaden –, aber das war es nicht. Ich fand es … beruhigend. Jedes Mal, wenn das Licht des Leuchtturms seine Runde erreicht hatte, erleuchtete es für einen kurzen Moment mein kleines Versteck. Fast war es so, als würde die Umgebung mein Innerstes reflektieren.
 

„Was denkst du?“
 

Ich machte mir nicht die Mühe, nach der Stimme zu suchen. Ich wusste mittlerweile, dass ich den Ursprung nicht finden würde. Weil ich verrückt werde.
 

„Ich denke, dass mir dieser Ort gefällt“, antwortete ich und bettete mein Kinn auf meine Unterarme. Ich hatte mich schon eine ganze Weile nicht mehr so ausgeglichen gefühlt wie in diesem Augenblick.
 

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Hello there? Anyone still here?
 

Ja, ich weiß, es hat fast ein Jahr gedauert, bis ich das neue Chapter endlich fertig bekommen habe. Angefangen hatte ich schon vor einer Ewigkeit, aber dann bin ich über diese Krankenhausszene nicht hinaus gekommen, weil die wegen der Authenzität irgendwie schwierig war zu schreiben (und Informationen über diese Art von Untersuchung einzuholen, ist etwas schwierig. Kann ich mich glücklich schätzen, dass ich vor kurzem erst im Krankenhaus war und mich bei einem Arzt darüber informieren konnte?). Jedenfalls war ich mir dann nicht mehr sicher, ob ich noch richtig in die Geschichte finde, aber meine Beta (allerliebste dubby ♥) meinte, es ist noch immer wie am Anfang. Mindfuck, Spannung und man weiß immer noch nicht, was Sache ist :'D HA! Hehe ...
 

Okay, genug der Worte. Ich hoffe, irgendjemand konnte sich noch an die Story erinnern, hat das Chap gelesen und es hat ihm/ihr gefallen? ^^
 

See ya~



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  vamgirly89
2011-11-11T11:35:49+00:00 11.11.2011 12:35
Wow. Endlich haste weiter geschrieben. Freue mich schon, wenn es weiter geht. Ich bin schon so gespannt, was für Bella einen Unfall hatte warum sie Amnesie hat und was Alice und Doktor Cullen ihr verschweigen. Bitte schreib schnell weiter.


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