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Fog

von

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Concatenated

Way~, ein druckfrisches neues Chapter ist da! :'D Ich hoffe, ihr freut euch ...
 

Vielen Dank an vampgirly89 für den Kommi ;))
 

Bussi auch noch an dubby für die tolle Beta-Arbeit :D THX honey c~ ...
 

So, und euch jetzt viel Spass!
 

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Concatenated
 


 

Warm …
 

Das Gefühl schien mich zu umhüllen. Aber die Quelle … Sie befand sich in meiner Handfläche …Es war angenehm, entspannend. Ich fühlte mich leicht. Dort, wo die Wärme lag, fing es an zu kribbeln. Ganz fein. Meine Finger zuckten kurz, ich vermochte aber nicht, sie noch mehr zu bewegen, aus Angst, das Gefühl würde dann verschwinden. Ich wollte es länger genießen.
 

Die Wärme begann sich fortzubewegen. Doch sie verließ mich nicht. Ihr Ursprung blieb in meiner Hand, während sie sich über die Innenfläche meines Unterarms ausbreitete und die kitzelnde Empfindung mit sich zog. Strafend langsam, als wollte es meine Geduld testen. Ich unterdrückte den Drang, meinen Arm zurück zu ziehen.
 

Ich wollte es weiterhin spüren; die schwebende Berührung, die im Sekundentakt meinen Arm empor kroch und mich einen bittersüßen Schauer nach dem anderen erfahren ließ.
 

Ein Schmunzeln, so fern und doch so nah, als würde es direkt neben meinem Ohr passieren, ließ mich wohlig erschaudern.
 

Das warme Kribbeln erreichte meine Schultern, meine Halsbeuge, mein Schlüsselbein. Es fuhr dermaßen behutsam den Knochen auf und ab, dass ich mir fast nicht sicher war, überhaupt eine Berührung wahrzunehmen. Sekunden später setzte sie ihren Weg fort, streichelte über meinen Hals, meinen Kehlkopf, stoppte unter meinem Kinn und bewegte sich dann entlang meinem Kiefer.
 

Mein eigener Seufzer klang meilenweit entfernt. Gekicher. Wunderschön. ‚Bella …‘

Die Stimme, die meinen Namen aussprach, war klar und angenehm … Und kräftig. Eigentlich. Das sollte sie meiner Erinnerung zufolge sein, aber so klang sie dieses Mal nicht. Eher als wäre sie direkt neben mir und doch so, als würde sie durch einen dicken Schleier reden. Als würde sie in der Luft schweben. Ihr fehlte die gewohnte Festigkeit.
 

Aber sie war dennoch friedlich, unbefangen. Sie ließ mich zur Ruhe kommen.
 

Die Vision vor meinen Augen war undeutlich, verschwommen. Ich konnte nur Schemen erkennen – und Farben. Etwas schimmerte kupfern, rötlich durch das gleißende Licht dahinter. Konturen wurden kräftiger, ein Gesicht zeichnete sich ab. Aber es war noch zu trüb, als dass ich es richtig hätte identifizieren können.
 

Die Wärme war bis zu meiner Wange vorgedrungen und ruhte nun dort. Kurz schien sie sogar über meine Lippen zu zeichnen, ausgehend von meinem Mundwinkel, um ebendort wieder zurückzukehren. Unter meiner Haut pulsierte das Blut. Mein Herzschlag stieg rasant an, je mehr ich mich bemühte, präzisere Linien zu erfassen.
 

Ich wollte das Gesicht berühren, ich wollte es ertasten. Meine Hand hob sich wie von selbst.
 

Wieder dieses Giggeln. ‚Bells … Wach auf …‘
 

Meine Hand hatte ihr Ziel fast erreicht und hielt dann inne, als mich etwas Nasses traf. Tropfen auf meiner Wange, meinen Lippen, meinen Lidern. Ich musste blinzeln. Regnete es?
 

Es schmeckte salzig und warm. Es war kein Regen … Tränen? Weinte die Person über mir? Aber warum? Sie lachte doch.
 

Meine Hand nahm die Bewegung wieder auf. Ich wollte das Gesicht sehen, ich wollte den Ausdruck darin betrachten. Ich wollte den Grund für die Trauer verstehen.
 

Je mehr sich meine Fingerspitzen dem Ziel entgegenstreckten, desto klarer schien der Nebel zu werden. ‚A …‘, formten meine Lippen stumm.
 

„Bella, wach auf!“
 

Alice?
 

Ich blinzelte erneut und der Schleier schien nun endgültig seine Wirkung zu verlieren. Ihre Miene wurde von Sekunde zu Sekunde deutlicher. Ebenso ihr Schluchzen. In ihren Augen glänzten die Tränen.
 

Mein Arm hing verloren in der Luft. Mein Blick verweilte kurz auf ihm, dann wieder auf dem schwarzhaarigen Mädchen. „Alice …“
 

„Gott sei Dank, Bella“, wischte sie sich die Augen trocken. Die Szene kam mir seltsam bekannt vor.
 

„Was-“, begann ich, wurde aber von dem Klingeln an der Tür unterbrochen. Alice sprang auf die Füße und eilte zum Eingang. Ich fühlte mich noch immer leicht benommen, als ich mich auf meine Ellenbogen stützte und mich umsah. Ich lag mitten im Wohnzimmer auf dem Fußboden. Unter meinen Fingerkuppen spürte ich die vertraute Weichheit des dunkelroten Teppichbodens.
 

„Miss Swan?“

Alice kam mit zwei fremden Männern zurück – einer in weiß-rot, der andere in hellblau gekleidet –, während ich etwas umständlich versuchte, mich zu erheben. Das Schwindelgefühl kam zurück und ließ mich mitten in der Bewegung schwanken, als mich Hände von beiden Seiten packten und mich vorsichtig zur Couch bugsierten. „Ganz langsam“, sprach einer der Männer in Sanitäterkleidung. Der andere setzte sich neben mich. „Ich bin Dr. Wright. Was genau ist passiert?“
 

Einen Moment lang starrte ich mein Gegenüber, das sich in den späten Dreißigern befinden musste, nur an und betrachtete die schwarzen Pupillen mit der graugrün schimmernden Iris, die sich nur minimal hin und her bewegten und mich aufmerksam musterten. Als Alice anfing, aufgeregt zu erzählen, senkte ich meinen Blick und versuchte mich an die letzten Minuten – wie lange war ich bewusstlos gewesen? – zu erinnern. Während ich ihr lauschte und versuchte, das Geschehen mit meinen eigenen Erinnerungen zu rekonstruieren, kontrollierte der Arzt mit einer kleinen Taschenlampe meine Augen und betastete meinen Kopf. „Wie fühlen Sie sich? Tut Ihnen irgendetwas weh? Haben Sie Schmerzen?“
 

Ich dachte kurz nach; die plötzlichen Kopfschmerzen vor meiner Ohnmacht waren verschwunden. Ich schüttelte langsam meinen Kopf. „Es pocht nur noch ein bisschen hinter meiner Stirn und …“, ich befühlte die Seite meines Schädels, „hier bekomme ich wohl eine Beule.“

Dr. Wright tastete ebenfalls nach der Stelle und nickte mit einem kleinen Lächeln. „Sonst nichts?“

„Ein bisschen schwindelig?“

Er nickte abermals, während der Sanitäter ihm wortlos ein Pulsmessgerät überreichte.
 

„Ist das schon häufiger passiert?“, fragte er, doch dieses Mal nicht mich, sondern Alice, die sich entschlossen hatte, sich an meine freie Seite zu setzen. „In letzter Zeit scheint sie wohl öfter Kopfschmerzen zu haben.“
 

„Aber die sind genauso schnell vorbei, wie sie gekommen sind“, lenkte ich ein. Alice zuckte mit den Schultern und nahm meine Hand fest in ihre. „Ich hab nur Angst, dass es Nachwirkungen von deinem Unfall sind.“
 

„Was für ein Unfall?“, fragte Dr. Wright mit ruhiger Stimme, während er meinen Puls kontrollierte.

„Der ist schon eine ganze Weile her“, erklärte ich schnell, aber Alice‘ Antwort übertönte meine. „Ein Autounfall, nach dem sie drei Monate im Koma lag.“
 

„Ja, und mittlerweile ist schon wieder ein halbes Jahr vergangen.“
 

Der Arzt sah mich verständnisvoll an. „Leider lässt sich nicht vorhersehen, ob und wenn ja, wie und wann diverse Folgen auftreten. Es gibt Fälle, bei denen erst Jahre später Erkrankungen ausbrechen, bei anderen tritt nie etwas auf. Man sollte bei diversen Anzeichen lieber auf Nummer sicher gehen.“
 

Alice schenkte mir einen Ich-hab’s-dir-ja-gesagt-Blick, woraufhin ich nur die Augen verdrehen konnte. Dr. Wright derweil hatte seine Untersuchungen beendet. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich Sie gern für weitere Untersuchungen mitnehmen.“
 

„Was?“, rief ich erschrocken aus. Ärzte hatten ständig diese Angewohnheit, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen. „Muss das sein? Mir geht’s wirklich schon viel besser. Ich glaube nicht, dass die Kopfschmerzen so schnell wieder auftauchen werden. Und außerdem: Es sind nur Kopfschmerzen, mehr nicht“, lächelte ich ihn zuversichtlich an.
 

„Ja, von denen du eben umgekippt bist“, mischte sich Alice ein. Manchmal kam sie mir wirklich wie eine Glucke vor.
 

„Ehrlich gesagt wäre mir wirklich wohler dabei“, stärkte ihr Dr. Wright den Rücken, doch ich ließ mich nicht beirren. „Wirklich, das ist nicht nötig. Alice ist sowieso bei mir, und sollte wieder etwas passieren, werde ich sofort die nächste Klinik aufsuchen.“
 

„Bella!“, mahnte mich meine beste Freundin.
 

Der Arzt sah mich eine lange Zeit nachdenklich an, als wollte er versuchen, mir allein mit seinem Blick ins Gewissen zu reden. Letztendlich gab er es aber auf und seufzte. „Na, schön. Wir wäre es damit? Ich werde Sie heute nicht mitnehmen. Dafür versprechen Sie mir aber, dass Sie in den nächsten Tagen auf jeden Fall einen Arzt aufsuchen werden. Am besten wäre natürlich der zuständige Arzt, der Sie bei Ihrem Unfall behandelt hat.“
 

„Aber der arbeitet in Detroit.“
 

Alice schüttelte halb grinsend den Kopf. „Kein Problem. Du kommt dann einfach zu mir und wir können gemeinsam zu Dr. Cullen gehen.“
 

Der Arzt schien damit ebenfalls einverstanden; er nickte, als er sich von seinem Kollegen eine Plastikdose überreichen ließ, um sie anschließend mir zu geben. „In der Zwischenzeit nehmen Sie diese Tabletten, falls sich erneut Kopfschmerzen bemerkbar machen sollten. Und wenn wieder etwas passier-“
 

„Dann werde ich sofort in das nächste Krankenhaus laufen“, schnitt ich ihm das Wort ab. Also wirklich, ich war doch keine drei mehr.
 

„Bella, du könntest das wirklich ein bisschen ernster nehmen.“
 

Ich klopfte Alice beruhigend auf die Schulter, während ich mich zu einem halben Lächeln zwang. „Tu‘ ich doch.“
 

„Na, gut. Ich denke, in diesem Fall werden wir uns wieder auf den Weg machen.“ Dr. Wright erhob sich, sein Assistent hatte die Utensilien bereits wieder in dem großen roten Plastikkoffer verstaut. Meine Freundin stand ebenfalls auf und begleitete sie zur Tür, während sie mir bedeutete, sitzenzubleiben.
 

„Danke, dass Sie so schnell gekommen sind“, sagte sie noch zu den beiden Männern, ehe sie diese verabschiedete und die Tür wieder verschloss.
 

Als sie zurückkam, senkte sie den Kopf, stützte die Arme in die Seite und atmete tief aus, nur um im nächsten Moment die Hände aufs Gesicht zu legen und den Kopf zu schütteln. „Du bringst mich noch mal um“, nuschelte sie und schaute mich dann resigniert an.
 


 

Hätte ich geahnt, dass ich mich vierundzwanzig Stunden später auf dem Beifahrersitz einer kleinen gelben Nussschale befinden würde, hätte ich mich genauso gut von den Sanitätern mitnehmen lassen können. Lange Reisen im Auto bekamen meinem Magen nicht sonderlich gut. Vielleicht hätte ich Alice aber auch zusammen mit den beiden rausschmeißen sollen. Dann wäre mir diese Tortur erspart geblieben. Der kleine Teufel war ja nicht gerade die rücksichtsvollste Fahrerin; Gott sei Dank besaß sie nur dieses winzige Auto, mehr PS wären nicht verkraftbar gewesen.
 

Aber was tat man nicht alles für seine beste Freundin? Und so sehr, wie sie mich gestern und heute bemuttert hatte, war es unausweichlich gewesen, dass ich irgendwann nachgeben würde. Selbst als ich ins Bett gegangen war, hatte ich ihr mindestens zehnmal versichern müssen, dass es mir auch wirklich gut ging. Solche Situationen gehörten zu denen, bei welchen man Alice lieber nicht die Stirn bot, sofern man zu wenig Durchhaltevermögen besaß.
 

Vielleicht gab es auch einen klitzekleinen Teil in mir, der selbst gern wissen wollte, was los war.
 

Und außerdem … war da noch Detroit. Es hatte etwas Nostalgisches, meine alte Heimatstadt zu besuchen, auch wenn gemischte Gefühle dabei eine Rolle spielten.
 

„Alice, nicht so schnell“, bat ich sie versucht ruhig. „Wir haben Zeit.“ Oh ja, die hatten wir. Denn ohne mein Wissen hatte sie einfach Mr. McCarty angerufen und ihn um ein paar freie Tage für mich gebeten. Oder sollte ich eher ‚informiert‘ sagen? Alice fragte nicht, Alice legte fest. Mein Boss hatte ja ohnehin nichts dagegen.
 

Aber im Augenblick hatte ich keine Zeit, mich darüber aufzuregen, ich musste mich vielmehr darauf konzentrieren, die nächsten fünf Stunden mein Essen im Körper zu behalten. Auch wenn Alice die Geschwindigkeit bereits gedrosselt hatte.
 

„Du weißt schon noch, dass der Arzt in den nächsten Tagen gesagt hat, oder?“, erinnerte ich sie.
 

„Und ich hoffe, du weißt noch, dass er auch meinte, dass man so was nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte.“
 

Meine Antwort wurde im Keim erstickt, als Alice‘ Auto kurz ruckelte. Ich riss die Augen auf. „Hast du gerade ein Tier …? War das eben …“
 

„Das war nur ein kleiner Ast, okay? Alles gut“, grinste sie. „Aber mal ernsthaft, noch langsamer kann ich wirklich nicht fahren. Mit dreißig Meilen pro Stunde würde sich die Fahrt nur unnötig hinauszögern.“
 

Unnötig hinauszögern war wohl untertrieben, aber Alice hatte Recht. Ich sollte mich zusammenreißen. Auch wenn ich mein Einverständnis zu dieser Fahrt fast schon wieder bereute. „Nächstes Mal fliege ich.“
 

„Ich wusste gar nicht, dass du so viel verdienst.“
 

„Mein Boss ist dein Bekannter. Du kannst ihn ja mal nett fragen. Bei dir sagt er ja sowieso nie Nein“, erwiderte ich vorwurfsvoll.
 


 

Als wir endlich bei Alice angekommen waren, senkte sich langsam die Sonne gen Horizont und ließ den Himmel orange leuchten. Es war nicht das Orange, das man meistens am Himmel erblicken konnte, es hatte heute ganz eigene Farbnuancen, die ich in dieser Art und Weise bisher nur selten gesehen hatte. Der Himmel war zum größten Teil mit Cumuluswolken bedeckt, sodass sich das Licht der Sonne nicht nur in einem schmalen Bogen über dem Horizont erstreckte, sondern die ganze ehemalige weiße Pracht in ein Meer aus Rot- und Gelbtönen tauchte. Eine Wolke schöner als die andere. Allein der Anblick bescherte mir ein warmes Gefühl, und in meinem Innern hegte sich der Wunsch, mich trotz der Jahreszeit in die flauschige Watte zu legen.
 

Ich blieb einige Augenblicke vor der Eingangstür stehen, um den Anblick ein bisschen länger zu genießen. Ich nahm nur am Rande wahr, wie Alice meine Sachen aus dem Auto holte und hineintrug.
 

Wunderschön, oder?
 

„Ja …“, seufzte ich und konnte meinen Blick nicht abwenden.
 

Fühlt sich bestimmt ganz weich an.
 

Ich musste grinsen. „Bestimmt. Wenn man kurz vergisst, dass sich da oben eigentlich nur Luft befindet … Was gäbe ich nicht dafür, einmal dem Wunsch nachgeben zu können.“
 

Wünsche sind da, um erfüllt zu werden.
 

Ein warmer Lufthauch streifte meinen Nacken und ließ mich angenehm frösteln; für ein paar Sekunden war ich der Meinung, etwas würde über meine Arme streicheln. Ich rieb sie mir und blieb noch einen Moment stehen, ehe ich mich umdrehte und überrascht die Stirn runzelte. Alice musste sich ziemlich schnell still und heimlich nach drinnen geschlichen haben.
 

Ich betrat das Gebäude, das im Gegensatz zu vielen anderen in der Stadt nur aus zwei Stockwerken bestand, dafür aber dennoch ziemlich groß war. Mir war es schleierhaft, wie Alice und Jasper die Miete hierfür aufbringen konnten. Im Erdgeschoss befand sich das Atelier, in dem Alice ihr meiste Zeit verbrachte – wenn ich mich recht erinnerte, gab es hier irgendwo sogar noch einen Raum, in dem ihr Freund seinem Hobby nachgehen konnte, wenn er denn mal Zeit hatte. Er hatte einen Hang für alte Schlachten aus der Vergangenheit und baute diese als Miniaturlandschaften mit allem drum und dran nach. In den paar Malen, in denen ich seine Werke bewundern dufte, war ich immer wieder fasziniert gewesen von der detailgetreuen Nachbildung jedes einzelnen Objekts oder Figur.
 

Alice‘ Atelier war ein einziger, großflächiger Raum, der nur durch ein paar Wände kreuz und quer getrennt wurde, aber keine schließenden Türen besaß. Die meisten gelben Flächen waren mit ihren Werken behangen; Interessierte konnten sich hier umsehen und bei Gefallen einzelne Stücke kaufen.

Die Bilder, die meine schwarzhaarige Freundin zeichnete, waren … nun ja, was genau sie darstellten, konnte ich auch nicht wirklich sagen. Es war nicht so, dass man überhaupt nichts erkannte, mit ein bisschen Fantasie ließen sich durchaus gewisse Formen erkennen. Ich hatte Alice einmal gefragt, wie sie bei jedem neuen Kunstwerk auf die jeweilige Idee kam, und sie hatte gemeint, dass sie die Bilder einfach plötzlich im Kopf hätte. Sie nannte sie immer ihre kleinen Visionen, weil sie so unklar waren. Doch bisher konnte sie mir nicht sagen, welche Vision was bedeutete. Sie redete sich dann immer damit heraus, dass es auf den Betrachter ankäme.
 

Eine Ecke des großen Raumes ließ ganz deutlich erkennen, dass genau dort all diese Visionen entstanden. Schemel, Tisch, Hocker, Staffelei, Boden … Alles war kunterbunt mit Farben bedeckt. Hier und dort standen Töpfe mit Wasser, jede Menge Pinsel in den unterschiedlichsten Farben, Abdeckfolie hing irgendwo, Farbtuben und -eimer, Mischpaletten, Tischtücher … Das Genie beherrscht das Chaos.
 

Um in Alice‘ Apartment zu gelangen, musste man das Atelier durchqueren, bis man am Ende im hinteren Flur auf eine Treppe traf, die in den ersten Stock führte. Als ich oben ankam, saß die besagte Person bereits mit einer Decke auf der Couch; vor sich auf dem Tisch zwei Tassen mit einer dampfenden Flüssigkeit.
 

Die Wohnung hatte genau wie meine eigene einen offenen Wohnbereich, nur Schlafzimmer und Bad waren extra gehalten. Dass hier jemand Kreatives hauste, war nicht zu übersehen, und trotzdem wirkte es nur halb so durcheinander wie unten in der Kunstecke. Alles in allem also ein Ort zum Wohlfühlen. Manchmal fühlte ich mich hier sogar wohler als bei mir selbst in Chicago. Aber vielleicht lag das auch daran, dass ich zuhause allein war. Fernab von meinen Freunden.
 

„Da bist du ja endlich. Ich dachte schon, du würdest die Nacht draußen verbringen“, grinste Alice mich an, nahm sich ihr Getränk und pustete kurz, bevor sie einen kleinen Schluck trank. „Ich hab‘ uns Tee gemacht.“ War ja klar, lächelte ich innerlich.
 

„Soso, sich heimlich hineinstehlen und sich dann auch noch den besten Platz auf dem Sofa ergattern.“
 

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich hab‘ dir gesagt, dass ich schon reingehe. Du wolltest dir ja unbedingt noch den Sonnenuntergang ansehen, während ich mich mit deinen Sachen abmühe.“
 

„Wann soll das denn gewesen sein? Du bist doch nur kurz vor mir rein“, fragte ich verwundert nach. Ich konnte mich beim besten Willen nicht daran erinnern, etwas in der Richtung von ihr gehört zu haben. Allerdings konnte ich mir gut vorstellen, es überhört zu haben. Sie hatte ja vorher schon geflüstert gehabt.
 

„Bella, ich bin schon seit zehn Minuten in der Wohnung“, erklärte Alice dann und jagte mir ungewollt einen Schauer über den Rücken. Ich starrte sie an. „Bist du dir sicher?“
 

„Mindestens“, nickte sie. „Was ist los? Warst du so vertieft, dass du die Zeit vergessen hast?“
 

Der Gedanke, dass ich mich eben nicht mit Alice unterhalten hatte, machte mir Angst. Wenn nicht sie hinter mir gestanden hatte, wer denn dann?
 

„Bella?“
 

„Hm?“, schoss mein Kopf in ihre Richtung. Schnell besann ich mich und winkte ab. „Schon gut. Kann schon sein, dass ich ein bisschen abgelenkt war. Lass uns fernsehen.“ Damit schmiss ich mich auf die freie Stelle auf der Couch, schnappte mir ein Stück von Alice‘ Decke und schaltete den TV ein, während ich versuchte, meine momentanen Gedanken in die hinterste Ecke meines Gehirns zu verdrängen. Alice‘ Seitenblick entging mir nicht.
 


 

Die Nacht über schlief ich ziemlich unruhig. Immer wieder tauchte der Sonnenuntergang auf, eine Stimme hinter mir wisperte Dinge in mein Ohr, die ich nicht verstand, die orange Farbe der Wattewolken verwischte, wurde dunkler, leuchtete dann wieder kurz auf, nur um im darauffolgenden Moment schwarz zu werden. Ich sah eine Hand nach mir greifen und immer wieder versuchte ich, mich ihr zu entziehen. Panik kroch meinen Nacken empor, jedes Mal, wenn es mir nicht gelang und ich stattdessen ein Stückchen näher herangezogen wurde. Wie von einem unsichtbaren Band oder einem Magneten. Und dann ganz plötzlich setzte ein Platzregen ein, so stark, dass er alles um mich herum verwischte oder eher auflöste, bis nichts weiter als die kräftigen Linien der Tropfen zu sehen waren. Regen, der sich um meine Füße sammelte, das Wasser um mich herum ansteigen ließ, während ich mich keinen Millimeter von der Stelle bewegen konnte. Als hätte jemand meine Füße in Beton gegossen. Schon nach Sekunden hatte das Wasser mein Kinn erreicht. Ich wollte schreien, aber kein Laut wich aus meiner Kehle und ehe ich noch etwas hätte tun können, war ich auch schon voll und ganz unter der Wassermasse verschwunden.
 

Schweißgebadet schrak ich im Bett hoch und atmete tief durch. Erst, als ich mir sicher war, auch wirklich atmen zu können und mich davon überzeugt hatte, dass es wirklich nur ein Traum gewesen war, beruhigte ich mich. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es halb vier morgens sein musste. Ich drehte mich zur anderen Seite, um zu sehen, ob ich Alice wohlmöglich geweckt hatte, doch sie schlummerte seelenruhig vor sich hin.
 

Da Jasper nicht zuhause war, durfte ich seine Seite des Bettes nutzen. Ich glaubte auch nicht daran, dass Alice etwas anderes zugelassen hätte, selbst wenn er dagewesen wäre.
 

In meinem Kopf pochte es schon wieder, bis jetzt hielt es sich aber noch im Rahmen. Ich massierte kurz meine Schläfen und die Stirn, bis ich mich dazu entschloss, eine der Tabletten zu nehmen, die mir der Notarzt gegeben hatte. Sicher war sicher, und bevor die Schmerzen schlimmer wurden und Alice wieder die 911 wählen würde, entschied ich mich lieber für diese Variante.
 

Vorsichtig stieg ich aus dem Bett und verließ auf Zehenspitzen das Schlafzimmer. Im Wohnbereich schaltete ich nur eine der Seitenlampen ein, um nicht die gesamte Wohnung zu erleuchten. Das schwache Licht würde mir reichen, um in meiner Handtasche nach der Dose zu kramen. Doch schon nach ein paar Minuten musste ich feststellen, dass sie sich nicht dort befanden. „Verdammt!“, fluchte ich leise vor mich hin, überlegte, wo ich sie seit gestern gelassen hatte, und kam frustriert zu der Erkenntnis, dass sie in Alice‘ Auto lagen. Auf der Hinfahrt hatte ich nämlich schon eine der Tabletten geschluckt gehabt.
 

So leise wie möglich zog ich mir eine Jacke über, schlüpfte in meine Schuhe und schnappte mir den Schlüssel, der in einer Schale auf dem Garderobenschrank lag. Unten im Atelier machte ich ebenfalls nur schwach gedimmtes Licht an. Was sich aber als Fehler herausstellte, denn anderenfalls wäre ich nicht auf den großen Pinsel getreten, der auf dem Boden lag. Ich hob ihn auf und fragte mich, wie er wohl hierher gekommen war. Mir fielen ein paar Farbkleckse auf dem Boden auf, die aber schon älter sein mussten. Ich sah mich kurz um, ehe die Kunstecke in mein Sichtfeld geriet. Da er ganz offensichtlich von dort stammte, ging ich darauf zu. Vorsichtig legte ich ihn auf dem überfüllten Tisch ab und ließ meinen Blick kurz über das farbenprächtige Chaos schweifen. Ein angefangenes Bild lag in der Staffelei, weitere standen ringsum. In diesem Moment fiel mir ein abgedecktes Bild auf, das an der Wand lehnte. Als wäre es unwillkommen. Mit Bedacht versuchte ich es herauszuziehen, musste dabei aber ziemlich aufpassen, nicht irgendwo gegen zu rempeln. Hier war fast jeder Zentimeter Boden mit irgendeinem Gegenstand bedeckt. Mich wunderte, dass Alice hier überhaupt stehen konnte, während sie zeichnete.
 

Als ich das Bild ohne viele Umstände endlich aus der Ecke geholt hatte, lehnte ich es vorsichtig gegen eines der Holzbeine der Staffelei. Zaghaft, als würde ich ein rohes Ei anfassen, hob ich das schmutzige Tuch empor. Meine Augen weiteten sich vor Verblüffung, als ich sah, was sich auf dem Bild befand. Das hieß nicht, dass ich sonderlich viel ausmachen konnte. Allerdings fühlte sich der Ausdruck der Farben ganz anders an als beim Rest von Alice‘ Kunstwerken. Bei diesem hier waren vor allem viele dunkle Rottöne und Schwarz vorhanden, hin und wieder vielleicht ein Schimmer blau oder grau. Die Formen waren nicht klar zu erkennen, obwohl ich meinte, in einem der Flecken ein Paar Augen zu entdecken. Was aber definitiv deutlich wurde, war der aggressive Pinselstrich, der sich durch das gesamte Gemälde zog. Unruhig, fiebrig und irgendwie … zerrüttet.
 

Ganz unten in einer Ecke waren Alice‘ Initialen zu lesen, sowie das Datum. März 2010.
 

„FINGER WEG!“
 

Bei ihrem Schrei gefror mir das Blut in den Adern. Vor Schreck drehte ich mich viel zu schnell um meine eigene Achse und stieß gegen das Bild, sodass es mit lautem Poltern zu Boden ging und dabei ein paar Pinselbecher mit sich riss.
 

Als ich in das schwach erleuchtete Antlitz meiner besten Freundin blickte, wich jegliche Farbe aus meinem Gesicht. So hatte ich sie noch nie gesehen.
 

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Auf eure Meinungen freu ich mich natürlich wie immer ;)



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  DavidStarr
2010-11-01T23:15:52+00:00 02.11.2010 00:15
Cooles Kapitel, schreib schnell weiter!!
Von: abgemeldet
2010-10-26T20:41:11+00:00 26.10.2010 22:41
Super Spannung, lad schnell mehr hoch!









Von:  vamgirly89
2010-10-24T13:02:48+00:00 24.10.2010 15:02
Tolles Kapitel. Freue mich schon auf das nächste. Was ist los mit Alice?


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