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Tschaikowsky mit Krawatte und Stil

Fortsetzung von "Vom Schnee berührt"
von

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Hallo meine lieben,

endlich ist das neue Kapitel endlich fertig. Ich habe ewig gebraucht. Den ersten Teil hatte ich schon ewig geschrieben, doch ich war mir nie sicher, wie es weiter gehen sollte.
 

Ich hoffe aber, dass das Kapitel gut ankommt, und dass auch die wenigen Momente zwischen Edward und Bella gut rüberkommen.
 

Ab diesen Kapitel wird man wohl merken, dass Edward und Bells gewachsen sind, mit jedem Kapitel und vor allem mit dem zweiten Teil meiner Story. Sie haben Verantwortung und ein Leben außerhalb ihrer Wohnung...
 


 

Zur Info: dieses Kapitel wurde noch nicht korrektur gelesen, überseht deswegen die einzelnen Fehler. ich wollte euch aber einfach nicht noch länger warten lassen.
 

Eure Apollon-klio
 


 


 

"Kiss Me" - SIXPENCE NONE THE RICHER

http://www.youtube.com/watch?v=xYsH6zrw7Bw

Oh, kiss me beneath the milky twilight

Lead me out on the moonlit floor

Lift your open hand

Strike up the band and make the fireflies dance

Silver moon's sparkling

So kiss me
 

Ich beobachtete fasziniert, wie sie ihre Füße bewegte.

Ich liebte ihre Füße. Ich liebte sie in Sneekers, in Chucks, in Sandalen, in High Heels, barfuss wie sie durch unsere Wohnung tapste und ja sogar in diesen verdammten Ballettschuhen.

Sie dehnte gerade die Muskeln, stand mit dem linken Fuß flach auf dem Boden, während sie mit dem rechten Fuß auf der geraden Spitze des Schuhs stand, den Knöchel nach vorne streckte. Sie streckte ihn richtig nach vorne aus, so dass ihre Fußsohle fast einen Kreis ergab. Sie ließ denn Fuß nach einer Weile nach hinten abrollen. Langsam und mit Ruhe, als hätte sie beim Tanzen alle Zeit der Welt. Sie tat es ein paar Mal, drückte ihr Gewicht immer auf den rechten Fuß, stützte ihre Hände auf ihrem Knie ab, um ihr Bein nach vorne zu drücken. Dann wechselte sie das Bein und wiederholte das ganze Spiel.

Ihre eleganten Beine steckten in schwarzen Leggins, darüber trug sie einen graufarbenen Sport-Body und ein kurzes schwarzes T-Shirt. Wenn sie keinen Body tragen würde, würde man ab ihrer Brust alles von ihrem Bauch sehen. Gott, ich liebte ihren Bauch. Ich liebte es, wenn wir zusammen im Bett lagen und ich meine Arme um sie schlingen konnten. Ich liebte die Wärme, die von ihrem Bauch aus ging. Und ja, ich mochte es sogar, wenn wir zusammen fern sahen, ich meinen Kopf auf ihrem Schoss gebettet hatte und ihr Magen mit mir sprach. Meistens schämte sie sich für die Geräusche, die aus ihrer Bauchdecke kamen, doch ich konnte nur lächeln, drehte mich dann auf ihrem Schoss um, schob ihr Shirt hoch und küsste ihren nackten Bauch.

Ich liebte die Reaktion ihrer Haut, wenn ich sie küsste, meine Lippen mit meiner Zunge auf eine Wanderung gingen. Eine Wanderung die jedes Mal wie ein Abenteuer ins Ungewisse war.

Himmel, ich musste jedes Mal selber grinsen, wenn ich ihren Bauchnabel küsste und sie ihren Bauch einzog, weil sie dort verdammt kitzelig war. Wer war denn bitte schön am Bauchnabel kitzelig? Sie war es. Ich glaube, meine Vater hatte irgendwann mal erzählt gehabt, dass man am Bauchnabel verdammt viele Nerven hatte. Vielleicht war sie ja deshalb so kitzelig an dieser Stelle.

Ich lehnte mich auf meinen Stuhl zurück und beobachtete sie weiter. Ballett war ihr Leben. Wir beide wussten das. Mal kamen wir damit klar und manchmal nicht. Hin und Wieder war es einfach schwierig. Vor allem an den Tagen, wenn sie nach Hause kam und eigentlich keinen Schritt mehr gehen konnte, da ihre Füße zu sehr schmerzten. Dann hielt ich sie für verrückt. Ich war sauer auf sie und wollte sie am liebsten zwingen, mit dem Ballett aufzuhören. Doch das konnte ich nicht. Auch wenn ich es das eine oder andere Mal sagte, wussten wir beide, dass ich es nicht so meinte. Sie sah so verletzlich aus, litt unter Schmerzen, wenn sie heim kam. Ich sah ihr schon am Gesicht an, dass sie wieder einen anstrengenden Tag hinter sich hatte.

Und dann fühlte ich mich so unsagbar hilflos. Dabei hasste ich es, hilflos zu sein. Wenn man jemand helfen wollte, es aber nicht konnte, dann war das schrecklich. Ich war ihr Freund, ich liebte sie und ich wollte sie auch beschützen. Auch vor Schmerzen. Doch für sie war das Tanzen nicht mit Schmerzen verbunden und wenn ich sie so tanzen sah, dann wusste ich auch, warum. Sie hatte dieses Strahlen auf dem Gesicht, ihre Augen glitzerten und man konnte ihr sofort ansehen, dass sie liebte, was sie machte. Sie liebte das Tanzen, wie nichts anderes. In Bellas Herz gab es nicht nur mich. Ich musste ihr Herz mit ihrer Leidenschaft zum Tanzen teilen. Es war schwierig und ja, manchmal war ich sogar eifersüchtig. Doch sie zu sehen, wie sie sich zur Musik bewegte, in dem Moment war alle Eifersucht wie weggeblasen. Dann bewunderte ich sie nur. Ich war stolz auf sie, weil sie meine Freundin war. Stolz darauf, dass sie einfach diese Gabe besaß, Menschen zu bezaubern. Wenn sie sich bewegte, hatte sie eine unglaubliche Ausstrahlung an sich, als würde sie ein leuchtender Stern in völliger Dunkelheit sein.

„Isabella, wollen wir anfangen?“, wurde sie gefragt von einer weiteren Tänzerin und meine Bella lächelte ihr zu, während sie nickte.

Als die Musik einspielte, widmete ich mich wieder der Mappe, die ich auf meinem Schoss hielt. Ich versuchte es zumindest. Eigentlich hatte ich gerade frei, doch da ich Morgen wieder einer Verhandlung beiwohnen würde, wollte ich mir die Akte des Angeklagten durchgehen. Ich kam oft zur Juilliard und sah mir Bellas Training an, der Pförtner kannte mich inzwischen schon so gut, dass wir uns immer eine Weile unterhielten, bevor ich von ihm erfuhr ob Bella auf der Bühne trainierte oder im Ballettsaal übte. Sie hatte nur vormittags theoretischen Unterricht und es erstaunte mich doch immer wieder, was sie alles können musste. In Seattle hatte sie nie wirklich lernen müssen, weil sie es einfach im Blut hatte und wohl auch deswegen, dass es sie einfach nicht sehr gefordert hatte.

Doch auf der Juilliard, war es was anderes. Hier bekam jede Tänzerin und jeder Tänzer sein eigenes Trainingsprogramm zugeschnitten und Bella war eigentlich nur noch am trainieren. Sogar samstags. Wir hatten meistens nur den Sonntag ganz für uns. Unter der Woche sahen wir uns meistens nur zum Frühstück und zum Abendessen. Es war komisch, dass unsere Beziehung so schnell vom Alltag eingeholt wurde, doch es klappte ziemlich gut. Ich hatte uns beiden für New York noch das IPhone4 besorgt, weil ich einfach ein Apple-Fan war und diese Teile liebte. Bella war von diesem Geschenk am Anfang nicht sehr angetan gewesen, doch inzwischen schätzen wir beide die kleinen Botschaften, die wir uns den Tag über schickten. Ob nun normale SMS oder kleine Videobotschaften.

Bella liebte es auf der Juilliard zu sein und ich wusste, dass aus ihr noch eine verdammt große Tänzerin werden würde. Manchmal hasste ich sie dafür, dass sie nicht einfach etwas Normales machen konnte. So etwas wie Lehrerin oder Erzieherin, von mir aus auch Anwältin oder Sekretärin. Warum musste sie ihren Körper so kaputt machen, nur weil sie das Tanzen so sehr liebte?

Doch wenn ich sie dann in solchen Momenten wie jetzt erlebte oder bei einer Aufführung, dann wusste ich warum. Sie liebte das Tanzen und das sah man ihr auch an. Für sie gab es auf der Welt nichts Wichtigeres und ich konnte mich vermutlich glücklich schätzen, dass sie überhaupt mit mir zusammen war.

Es war wundervoll sie zu beobachten. So oft ich die Zeit fand, setzte ich mich zu ihr und beobachtete sie einfach. Es ließ mich irgendwie entspannen, es beruhigte mich, sie tanzen zu sehen und ich vergaß für einen Moment einfach, was ich mal wieder im Gerichtsgebäude erlebt hatte. Das Jugendstrafrecht war keine einfache Sache. Vermutlich alles, nur das nicht. Doch ich wollte Kindern und Jugendlichen helfen, ich wollte ihnen einen Plan B zeigen, zeigen, dass es nicht immer aussichtslos war. Doch am schwersten war es einfach, ihnen zu erklären, dass sie Hilfe annehmen durften. Manche von ihnen kamen aus ziemlich ärmlichen Verhältnissen, lernten auf der Straße zu überleben, hielten nicht viel von der Schule und in manchen Fällen, konnte ich es ihnen nicht mal verübeln. Wenn man seine Geschwister ernähren muss, weil die Mutter sich in ihrem Frust betrank oder sich irgendetwas spritzte, oder sie vielleicht sogar mit ansehen mussten, wie ihre eigene Mutter sich prostituierte, dann konnte einem die Schule nichts beibringen. Diesen Kindern die keine Kinder mehr waren, musste gezeigt werden, dass sie sich an jemand wenden könnten. Dass es auch Erwachsene gab, die für sie da sein wollten, an die sie sich wenden konnten. Doch diese Kinder vertrauten niemand, außer sich selber. Sie waren Überlebenskünstler, die wussten, dass man auf der Straße weder Mathe noch Geographie brauchte. Es interessierte auch keinen beim Feilschen, was John F. Kennedy oder George Washington erreicht hatte. Oft dachte ich, wenn ich eine Geschichte vor mir hatte, schlimmer geht’s nicht, doch dann wurde ich ein paar Tage später, eines Besseren belehrt. Allerdings war Vertrauen etwas, mit dem man auf der Straße nicht überleben konnte. Vertrauen füllte keine Teller oder brachte Geld nach Hause. Wenn Kinder mit ansehen mussten, wie Männer ihre Mütter schlugen, dann verloren sie das Vertrauen in die Erwachsenen. Erwachsene sollten Kindern immer das Gefühl geben, dass sie das Richtige tun, dass sie richtige Entscheidungen treffen können. Zumindest haben mir das meine Eltern immer eingeprägt.

„Hallo, kann ich mich zu Ihnen setzen?“

Ich sah von meiner Akte auf und blickte in das Gesicht eines jungen Mannes. Er hatte braune, lockige Haare und strahlendblaue Augen, vermutlich war er auch nicht viel älter als ich. „Klar warum nicht“, meinte ich nur, allerdings war ich etwas überrascht, denn bisher hatte ich bei meinen Beobachtungen hier noch nie einen direkten Sitznachbar gehabt. Es kam nicht selten vor, dass sich mehrere das Training ansahen. Ob nun Schüler der Juilliard, Freunde der Tänzer oder Lehrer, aber es gab hier so viele freie Reihen und freie Stühle, dass man sich nicht zu einem Fremden setzten musste.

„Ich bin Patrick und du bist wohl der Freund einer der Mädels dort oben“, meinte er und hielt mir seine Hand hin.

„Ja, hey, ich bin Edward. Mist ich hatte gedacht, ich gehe als Schüler der Juilliard durch.“

„Tut mir Leid, dich enttäuschen zu müssen, aber die meisten Typen die auf der Juilliard sind, können sich keinen Armani-Anzug leisten oder beschäftigten sich mit etwas anderen außer dem Tanzen.“

„Ja, ich sollte mir das nächste Mal ein besseres Kostüm suchen. Und du? Tänzer oder Freund?“

„Ähm… ich bin an der Juilliard.“, meinte er und sah zur Bühne. „Und wer von denen ist deine?“

„Isabella, die mit den braunen Haaren.“

„Ah Isabella Swan. Habe schon viel von ihr gehört.“

„Ja?“, fragte ich interessiert. Offensichtlich war sie nicht nur in Seattle eine kleine Berühmtheit, sondern auch schon hier an der Juilliard, dabei meinte sie ja immer, dass sie hier nichts Besonderes war.

„Ja, sie hat einen Lehrer, der ganz begeistert von ihr ist. Sie soll ein richtiges Naturtalent sein“, meinte Patrick neben mir.

„Ich habe ehrlich gesagt, keine Ahnung vom Tanzen oder von Ballett. Das ist absolut Bellas Welt“, erklärte ich ihm und sah ihn Lächeln.

„Aber wenn man einmal mit Ballett in Berührung gekommen ist und die Schönheit darin erkannt hat, lässt es einen nicht mehr los, richtig?“

Ich sah ihn einen Moment von der Seite an. Er blickte starr nach vorne, beobachtete die Tänzerinnen auf der Bühne und ich fragte mich wieder ein Mal, ob er selber ein Tänzer war. Ich wusste auch nicht, was er hier arbeitete. Bella hatte mir vor kurzem erst erklärt, dass es an der Juilliard nicht nur Tänzer gab. Viele Musiker schrieben sich an der Schule ein und hofften dort ihren Sprung in das Musikbuisness zu schaffen oder einfach nur um dort zu studieren. Die Juilliard war offensichtlich eine der besten Einrichtungen wenn es ums Tanzen, die Schauspielerei oder um die Musik ging. „Wenn ich ehrlich bin, hasse ich es manchmal.“ Ich hatte keine Ahnung warum ich das einem Wildfremden erzählte. Ich kannte ihn doch gar nicht, wusste nur seinen Vornamen.

„Das Ballett?“, fragte Patrick und sah mich fragend an.

„Ja. Manchmal zumindest. Es gibt einfach diese Tage, wo sie mit blutigen Blasen nach Hause kommt und ihr jeder Muskel so sehr weh tut, dass sie sich nicht mehr bewegen kann.“

Patrick lächelte. „Na ja, aber ich glaube, Isabella Swan macht das sehr wenig aus. Ich denke, das macht einen guten Tänzer wirklich aus.“

Wieder sah ich ihn interessiert an und fragte mich noch mal, wer dieser Mann überhaupt war. Was tat er hier an der Juilliard und was hatte er mit meiner Bella zu tun. Doch bevor ich ihm diese Frage stellen konnte, vibrierte das Handy in meiner Hosentasche. Ich zog es aus meiner Tasche heraus und blickte auf das Display. Es war Mira Kinsella, sie war so etwas wie meine Mentorin. Sie hatte mich eingearbeitet und war für mich verantwortlich.

„Entschuldigung, da muss ich ran gehen“, sagte ich zu Patrick und stand auf, ging durch die Sitzreihe, bis ich am Mittelgang angekommen war und nahm erst dann den Anruf entgegen. „Hallo Mira.“

„Edward, warum brauchst du so lange um den Anruf entgegen zu nehmen? Ich hoffe ich habe dich nicht bei irgendetwas gestört.“

Ich drehte mich um und sah zur Bühne. „Nein, ich bin ganz Ohr. Was gibt’s denn?“

„Ich glaube, ich hätte da eine Arbeit für dich, die dir sehr gefallen würde.“ Mira vermittelte mir Fälle, um die ich mich zu kümmern hatte. Am Anfang hatte sie mir nur leichte Fälle gegeben, doch sie merkte schnell, dass ich mich um jeden Fall kümmerte, egal ob nun schwierig oder einfach. Ich versuchte immer eine Lösung für das Kind zu finden. Das war es, was ich tun wollte.

„Was hältst du von der Jugendrechtshilfe?“
 


 

Ich packte schnell meine Sachen und war auf den Weg zum Treffpunkt mit Mira Kinsella. Ich hatte von der Jugendgerichtshilfe schon gehört und ein paar von diesen Anwälten kennen gelernt, die dort mit Herz und Seele arbeiteten. Sie kümmerten sich um Kinder, holten diese aus kaputten Familien heraus, suchten Unterkunft und Betreuung für diese. Sie waren der Beistand der Kinder vor Gericht und klagten auch im Namen von diesen.

Alice hatte mir mal von einer Frau erzählt, die sie kannte, welche dort arbeitete und sie meinte, sie würde ihren Bruder auf jeden Fall weiter empfehlen. Doch bisher wollte ich noch nicht über einen Wechsel nachdenken. Die Arbeit am Jugendgericht beschäftigte mich schon genug, da wäre ein ehrenamtlicher Zweitjob wirklich nicht mehr drin, vor allem, wenn ich irgendwann auch noch mal etwas mit meiner Freundin unternehmen wollte – was jetzt eh schon zu kurz kam. Aber für die Jugendrechtshilfe zu arbeiten, wirklich Kinder betreuen, klang schon reizvoll für mich und ich fragte mich, welchen Job Mira nun für mich hatte.

Vor dem Gebäude wartete Mira schon auf mich. Mal wieder trug sie einen hübschen dunkelblauen Zweiteiler aus Rock und Jackett. Ihr hellbrauner Wintelmantel war offen und um ihren Hals schlackerte ein Schal im Wind. Ihre schwarzen Haare wehten um ihr Gesicht herum, es wurde von Tag zu Tag kälter. Dieses Jahr würde ich das erste Mal Winter nicht in Forks verbringen. Dieses Jahr würden wir hier in New York sein, während mein bester Freund und seine Ehefrau immer noch quer durch die Welt reisten. Seit der letzten Postkarte waren schon 2 Wochen vergangen – sie waren gerade in Australien und reisten durchs Outback.

Sie lächelte mich erfreut an, als ich zu ihr kam. „Obwohl du heute deinen freien Tag hast, läufst du mit deiner Aktentasche rum. Edward du wirst noch ein Workaholic.“

„Auch schön dich zu sehen, Mira.“

„Komm mit“, sagte sie und zog mich in das Innere des Hauses. „Draußen ist es einfach zu kalt.“ Wir gingen zum Fahrstuhl, welcher genauso wie der Hausflur schon ziemlich mitgenommen aussieht. „Der Eindruck täuscht“, sagte sie und drückte den Knopf, damit der Fahrstuhl in unserem Stockwerk hielt.

„Also was machen wir hier?“

„Na ja, du stehst ja so darauf, Kindern wirklich zu helfen, sie auch weiterhin zu betreuen. Also dachte ich mir ich ruf mal meinen alten Freund in der Jugendrechtshilfe an. Sie brauchen hier immer Anwälte, Edward und er meinte, dass er sich sehr freuen würde, wenn sie Unterstützung bekommen.“

„Hast du nicht eben etwas noch von einem freien Tag erzählt?“ Ich grinste sie an. Der Aufzug hielt mit einem Pling auf unserem Stockwerk und wir stiegen ein. Mira drückte auf die Taste mit der „2“ und schon schlossen sich die Türen. „Ich sage dir gleich, die Arbeit hier ist anders als du es dir vorstellst. Aber es ist auch sehr interessant.“

„Du warnst mich also vor?“, fragte ich und zuckte nur mit den Schultern. Ich hatte keine Ahnung wie ich mir die Arbeit bei der Jugendrechtshilfe vorstellte. Vermutlich würde es anders sein, als meine Praktikas in den renommiertesten und besten Anwaltskanzleien von Seattle.

Die Aufzugstüren gingen wieder auf und heiße, trockene Luft begrüßte uns um zweiten Stockwerk. Wir traten heraus und so konnte ich alles genauer sehen. Die Jugendrechtshilfe bestand offensichtlich aus vielen, aber auf dem ersten Blick, sah es wie ein Chaos aus. Überall liefen Leute herum, in einem Warteraum für Kinder saßen ein paar und spielten mit einander. Ein Baby schrie, weil die Mutter, die vermutlich gerade mal 16 Jahre alt war, es nicht beruhigen konnte. Sie wippte es auf ihrem Arm, doch das schien dem Kind nicht zu gefallen. Eine andere Mutter versuchte gerade ihrem störrischen Kind die Jacke auszuziehen, doch dieser weigerte sich. Akten von Papieren stapelten sich auf allen Tischen und Schränken. Es war ein riesiges Gewusel von Menschen.

„Mira, schön dass ihr da seid“, sagte ein Mann zu uns, der ungefähr Anfang 50 zu sein schien. In seinem dunklen Haar hatten sich schon graue Strähnen gezogen, doch seine warmen Augen und der warme Händedruck zeigte mir, dass er ein ehrlicher und offener Mensch zu sein schien. „Ich bin Nicolas Baker. Nennen Sie mich ruhig Nick und Sie müssen Edward Cullen sein? Mira hat mir nur gutes über Sie erzählt. Es wäre uns wirklich eine große Hilfe, wenn sie hier arbeiten wollen. Wir brauchen immer jemand. Sie sehen ja, was für ein Chaos das hier ist.“

Ich wusste nicht, ob ich nicken oder mich erst mal vorstellen sollte, denn Nick redete offensichtlich ohne Punkt und Komma. „Also ihre Kollegen können Sie später immer noch kennen lernen. Ich hätte da direkt einen Fall“, meinte Nick und reichte mir eine Akte, die er gezielt aus der Mitte eines Stapels zog. „Der Junge hat bei seinem Bruder gelebt. Doch diesen hat man nun verhaftet, weil er gedealt hat. Vielleicht können Sie sich um ihn kümmern? Sie können sich mit ihm dort drüben ins Büro setzen.“ Dann wandte sich Nick Mira zu. „Mira, ich habe da noch etwas für sie“, sagte er und Mira folgte ihm in ein Büro. Sie drehte sich noch mal zu mir um und zeigte mir mit einer Geste, dass sie mir die Daumen drückte.

Ich nickte nur und sah wieder auf die Akte in meinen Händen. Mein erster Fall in der Jugendrechtshilfe also. Die Akte war dünn und vermutlich war der Junge selber noch nie straffällig gewesen. Nun arbeitete ich also in der Jugendrechtshilfe, auch wenn ich sicher war, dass das hier erst mal so etwas wie mein Probefall war. Nick schien sehr nett zu sein, doch irgendwie warf man mich wohl direkt ins kalte Wasser. Aber ich konnte schwimmen, das konnte ich schon immer. Einen Moment, dachte ich an Bella und mir fiel ein, dass sie noch gar nicht wusste, wo ich mich gerade befand. Sonst teilte ich ihr immer mit, wenn es etwas Neues gab. Doch dazu hatte ich keine Zeit, ich musste nun erst mal André Greenwood kennenlernen.“

Ich öffnete und sah auf die erste Seite. Dort standen nur die allgemeinen Angaben. Vorname. Zuname. Geburtsdatum. Geburtsort. Namen der Eltern. Wohnort. Es haftete kein Foto an der Akte, als ging ich in das Wartezimmer und sah mir die möglichen Kandidaten an. Ein paar sahen mich nicht mal an, lasen, waren in ihr Spiel konzentriert und sahen nach draußen. Nur zwei Mädchen sahen mich an. Ich blätterte weiter und sah, dass es auch ein paar kleine Anzeigen gegen den Jungen gab.

„André Greenwood?“, fragte ich also einfach.

Ein schwarzer Junge, mit kurzgeschorenem Haar, drehte sich auf seinem Stuhl um. Seine Jacke war eindeutig zu dünn, für diese Jahreszeit und Mütze und Handschuhe schien er auch nicht zu haben. „Bist du ein Bulle?“, fragte er mich sofort.

„Ehm, nein. Ich bin Anwalt“, sagte ich ihm. „Komm mit.“

Der Junge stand von seinem Stuhl auf, genervt, wie es bei Jungs in seinem Alter eben der Fall war und trottete mir in das Büro hinterher, das Nick mir zu gewiesen hatte.

„Ich habe nichts getan.“

„Ich weiß“, sagte ich ihm und sah ihn an. Er hatte große, ehrliche Augen. Große Kinderaugen, die in eine Welt sahen, die sie nicht kannten, mit der sie nicht umgehen konnten, die ihnen gefährlich sein konnte. Deswegen brauchten Kinder Eltern, Verwandte, einfach jemand, der für sie da war. Der sie leitete, sie auffing und sich einfach um sie kümmerte. „Du hast auch nichts zu befürchten. Ich werde dir nur helfen.“ Ich öffnete meinen Mantel und hängte diesen über den Stuhl. Als ich sah, dass André noch in der Tür stand, wies ich auf den Stuhl. „Setz dich.“ Lässig ließ der Kleine, der vermutlich nicht mal 12 Jahre alt war auf den Stuhl fallen und sah mich gelangweilt an.

Ich setzte mich ebenfalls hin und öffnete seine Akte. Da sein Bruder nun in Untersuchungshaft war, brauchte André also eine neue Unterkunft. Wenn er keine anderen Verwandten hatte, würde er in einem Heim unterkommen müssen.

„Wie lange wohnst du schon bei deinem Bruder?“

André senkte den Kopf und starrte seine Schuhe an. Er zuckte mit den Schultern, versuchte desinteressiert zu klingen, doch ich sah ihm an, dass er genau das nicht war. „Seit meine Mutter im Knast ist.“

„Und seit wann ist das?“

„Steht doch da drin“, meinte André und sah die Akte an, die auf dem Tisch lag. Seine Akte. Seine Lebensgeschichte. Ich nickte und biss mir auf die Unterlippe. Ich wollte einen Draht zu dem Jungen bekommen, ihm zeigen, dass er sich auf mich verlassen konnte. „Also, ihr beide habt alleine gelebt und er hat für dich gesorgt?“

„Aha“, sagte der Junge vor mir, sah mich dabei aber nicht an.

„Du gehst zur Schule?“

„Wofür? Was soll ich da?“ Es war diese eine Antwort, die ich schon so oft gehört hatte. Eine Antwort, die vermutlich so viele Menschen nicht versehen würden. Eine Antwort, die ich inzwischen aber verstand.

„Was tust du so, den ganzen Tag?“

„Helfe meinem Bruder. Sitze vor der Glotze. Und Marcus schafft die Kohle ran.“

„Als Crack-Dealer“, stellte ich klar.

André sah mich zum ersten Mal wirklich an, als er sagte: „Ist ja nicht so wie bei ‚Party of Five‘, verstehen Sie?“ Dann senkte er wieder den Blick und sah den Boden an. Wieder starrte er seine Schuhe an und alles was ich ihm sagte, schien ihn nicht zu interessieren. Offensichtlich meinte der Junge, dass ihn das alles gar nichts anging und das machte mich ein wenig sauer. Nicht auf den Jungen, der konnte nichts dafür.

Ich stand auf, ging um den Schreibtisch herum und schloss die Türe, die bis eben offen gestanden hatte. Den Griff hielt ich fest und blickte André an. „Die nächsten paar Tage werden entscheidend sein für dein… ganzes weiteres Leben.“ Ich seufzte, denn es schien ihm immer noch egal zu sein, was ich sagte. „Also hör endlich auf deine Schuhe anzustarren und mach hier nicht auf cool.“ Er richtete sich auf und sah mich an, als ich mich etwas zu ihm herunter beugte. „Hör mir zu: Keine Familie wird dich adoptieren, keine Pflegefamilie nimmt einen Elfjährigen auf, der im Sozialbau gehaust hat“, erklärte ich ihm und kniete mich inzwischen vor ihm um auf Augenhöhe mit ihm zu sein. „Einen Jungen, der bereits eine Strafakte hat.“ André sah mich an, hielt meinen Augenkontakt stand, zuckte dann aber mit der Schulter.

„Wenn du deine Karten jetzt nicht richtig ausspielst, wanderst du von einem miesen Heim in das nächste.“ Und ich konnte mir nicht vorstellen, dass er das wollte. Er wollte es nicht und ich wollte es nicht. „Und am Ende in den Knast.“

„Da wo mein Bruder ist?“, fragte er sofort.

Ich zögerte mit meiner Antwort, denn ich konnte in den Augen des Jungen sehen, dass er genau das wollte. Er wollte kein besseres Leben. Keine richtige Familie. „Ja.“

„Dann sollen die mich da hinbringen.“
 


 

Es war schon spät, die Sonne war schon lange untergangen, als ich zu Hause in meinem Büro saß und Andrés Akte vor mir liegen hatte. Ich musste eine Lösung für den Jungen finden. Mir war klar, dass wenn ich ihn in ein Heim unterbrachte, er dort ausbrechen würde. Er gehörte nun mal zu diesen Jungen, die man nicht festhalten konnte. André wollte zu seinem großen Bruder Marcus und offensichtlich war es ihm egal, dass genau dieser im Gefängnis saß und gerade nicht mal sein eigenes Leben auf die Reihe kriegte.

„Hey“, sagte Bella sanft und legte ihre Arme um mich. Sie küsste mich auf den Kopf und hielt mich fest.

„Hey du. Wie war dein Tag?“, fragte ich sie und zog sie mir. Ich zog sie auf meinen Schoss und umarmte sie, küsste sie auf die Wange.

„Gut.“ Sie sah auf den Schreibtisch, sah die Akte und blickte mich fragend an. „Ein neuer Fall?“

„Ja. Mira hat mir einen Job in der Jugendrechtshilfe beschaffen.“

„Wirklich?“, fragte Bella mit einem Lächeln. Sie wusste ganz genau, dass ich das wollte. Ich hatte ihr davon erzählt, dass ich mich mehr um die Kinder kümmern würde. Im Gericht kam ich an die Kinder nicht wirklich ran, ich konnte keine Bindung zu ihnen aufbauen, da ich sie nur vertrat. Doch ich wollte sie näher kennen lernen, ihre Geschichten hören.

„Ja. Weißt du, da ist dieser Junge. Er heißt André und bis her bei seinem Bruder gelebt. Offensichtlich war sein Bruder sein einziger Beschützer. André geht nicht zu Schule und sie lebten im Sozialbau. Marcus dealte und wurde heute Morgen festgenommen. Nun geht es darum eine Unterkunft für ihn zu finden.“

„Was ist mit seiner Mutter?“

„Die ist selber im Knast. Prostitution und Diebstahl. Aber vermutlich wegen noch mehr Sachen. Sie wird wohl erst in 2 Jahren raus kommen“, erzählte ich ihr und streichelte ihr über den Rücken. Es war schön mit ihr zu reden und mir wurde gerade bewusst, dass ich sie den ganzen Tag vermisst hatte.

„Was ist mit dem Vater?“

„Keine Ahnung. Die Mutter hat auf der Geburtsurkunde des Jungen keinen angegeben und André kennt die Person auch nicht. Ich nehme mal an, dass es wirklich keinen Vater gibt. Und wen dann war es wohl nur eine einfach Bekanntschaft und der Typ – falls man ihn ausfindig machen sollte – wäre garantiert nicht bereit, sich um den Jungen zu kümmern.“

Bella nickte und sah mich fragend an. „Und was willst du nun tun?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Wenn ich ehrlich bin, habe ich keine Ahnung, wie ich André helfen soll. Er will nur zu seinem Bruder. Keine Pflegefamilie will ihn haben, wenn er weiterhin mit einem Drogendealer zusammen wohnen will und ich hoffe, dass er nicht schon heute aus dem Heim ausreist. Denn auf Dauer wird er dort nicht bleiben wollen.“

Sie sah mich immer noch an und strich mir dann über die Haare. „Auch wenn es aussichtslos zu sein scheint, gibt es immer eine Möglichkeit. Und ich glaube an dich.“

„Danke, Liebes.“

Sie rutschte von meinem Schoss und küsste mich noch mal. „Ich mache uns mal Abendessen.“

„Ja, mach das.“ Sie lächelte und verschwand aus dem Zimmer, ließ mich mit der Akte alleine sitzen.
 


 


 

André hatte die Nacht wirklich im Heim verbracht und war nicht abgehauen. Er saß nun neben mir im Gericht. Andrés Fall wurde nun vor Gericht geklärt. Ich hatte mir Notizen gemacht und hoffte, dass mir diese vor dem Richter weiter helfen würden.

„In Hinsicht auf seine Vergangenheit und seine Kontakte zur Drogenszene halten wir es für angemessen André in einem geschlossenen staatlichen Heim unterzubringen“, erklärte die Seite vom Staat.

Der Richter sah von seinem Blatt Papier mit einem Nicken auf und sah dann schließlich mich an. „Mr. Cullen, was sind die Wünsche ihres Mandanten?“

„Ich ersuche um eine Verlängerung, vielleicht finde ich lebende Verwandte“, erklärte ich dem Gericht.

„Ich will zu meinem Bruder“, sagte André neben mir. Ich drehte mich um und sah André an, dieser war von seinem Platz aufgestanden. Ich seufzte, hatte ich dem Jungen denn nicht deutlich gemacht, dass es für ihn das Beste war, wenn er nicht mehr zu seinem Bruder kam? Offensichtlich interessiert das André nicht wirklich. Für ihn gab es nur seinen Bruder.

„Wo ist der?“, fragte der Richter

„Im Knast“, antwortete André.

„Du musst verstehen, dass wir dich nicht bestrafen wollen“, sagte der Richter. „Wir suchen nur, nach einem Platz für dich.“

„Ich will zu meinem Bruder“, beharrte André weiterhin auf seiner Forderung.

„Euer Ehren, darf ich vortreten?“, fragte ich.

Der Richter nickte und winkte mich zu sich. „Der Grund unseres Hierseins ist, dass der Bruder meines Mandanten gestern wegen Dealens mit Crack verhaftet wurde. Er ist der einzige Beschützer den er je hatte.“ Der Richter sah André über seine Brille hinweg an. „Und ich hätte gerne noch einige Tage Zeit um nach anderen Familienmitgliedern zu suchen.“

„Ich gebe Ihnen 72 Stunden.“

Ich nickte dankend und war erleichtert. Fürs Erste war es gut, dass ich noch mehr Zeit bekam. Ich sah André an, welcher mich wieder gelangweilt und vollkommen cool ansah. Ihm war es egal, dass ich diese Zeit bekommen hatte. Für ihn hieß es nur, dass er noch länger im Heim blieb. Vielleicht hoffte er auch, dass ich es schaffte, ihn zu seinem Bruder zu bringen.
 

Ich saß im Starbucks und trank meine tägliche Dosis Kaffee. Alice würde gleich vorbei kommen, wollte sich mal wieder mit ihrem Bruder treffen und ein bisschen quatschen. Eigentlich wollte Bella auch kommen, doch ihr Training fing heute früher an, so dass sie absagen musste.

Ich starrte auf mein Handy, das auf dem runden Tisch vor mir lag und fragte mich was ich nun tun konnte. André war vom Heim abgehauen. Die Heimleiterin hatte mich eben angerufen und mir gesagt, dass er die Nacht dort nicht geschlafen hatte. Auf meine Vorwürfe wollte sie nicht eingehen, als ich fragte, warum dass nicht schon gestern Abend aufgefallen war. Sie entschuldigte sich nicht, sondern sagte mir nur, dass sie überfordert waren und nicht auf jedes einzelne Kind achten konnten, wenn 60 Kinder in einem Heim unterkommen mussten, wo es eigentlich nur Betten für 45 Kinder gab.

Ich hatte ihn gestern nach der Verhandlung dort direkt abgegeben, weil ich direkt wieder ins Gericht musste. Obwohl ich nun auch ehrenamtlich bei der Jugendrechtshilfe arbeiten wollte, hatte ich noch einen anderen Job und der wartete nicht auf mich.

Außerdem stand ich immer noch am Anfang der Suche nach einem Verwandten von André. Das Bürgeramt wollte sich noch bei mir melden und mir hoffentlich eine gute Nachricht mitteilen.

Dieser Fall war echt anstrengend und André machte es mir wirklich nicht leicht. Doch aufgeben würde ich garantiert nicht. Es würde schon einen Weg für André geben. Ich hatte den Glauben, an unseren Rechtsstaat noch nicht verloren.

„Wenn du weiterhin so grimmig kriegst, wirst du irgendwann wirklich ein Griesgram“, hörte ich die glockenhelle Stimme meiner Schwester, welche mich kurz darauf auch schon umarmte. Sie grinste, nein, strahlte regelrecht und irgendwie tat es mir gut, sie so zu sehen. Alice hatte mich mit ihren Launen schon immer anstecken können. Das war schon als so, als wir noch kleine Kinder gewesen waren.

„Also was ist los?“

„Nein, dass musst du nicht wissen. Was möchtest du trinken?“

„Kommt schon“, sagte sie und dankte dem Starbucks-Angestellten, als er ihr eine Tasse hinstellte. „Danke sehr.“ Er lächelte ihr flirtend zu und verschwand dann wieder hinter der Theke.

„Was wird denn Jasper dazu sagen, dass du hier Starbucks-Angestellte verführst?“

„Wer redet denn hier von verführen? Meine Hände behalte ich ja bei mir“, erklärte sie mir und nippte an ihrem Cappuccino. „Wo ist denn unsere Ballerina?“

„Ach, ihr Training fing heute früher an, deswegen kann sie nicht kommen.“

Alice schüttelte nur mit einem Grinsen den Kopf. „Du kannst ihr übrigens sagen, dass ich sauer auf meine beste Freundin bin, dass sie keine Zeit mehr für mich hat.“

„Ich glaube, das weiß sie. Sie hat auch gesagt, dass ich mich hundertmal bei dir dafür entschuldigen soll“, erklärte ich meiner Schwester, was sie nur noch mehr grinsen ließ. „Also was gibt’s so wichtiges?“

„Das du auch immer gleich auf den Punkt kommen musst. Wo ist denn bitte schön der altbekannte Small Talk geblieben. Wie geht’s dir Schwester? – Danke es geht mir gut. Was macht die Arbeit? – Oh, danke der Nachfrage, es läuft alles sehr gut. Und wie geht es Jasper? – Er ist sehr beschäftigt, aber er wird sich bestimmt freuen, wenn ich ihn von dir grüße.“ Sie lächelte mich an, als ich mit den Augen rollte. Dann zog sie ihre Handtasche auf den Schoss und holte eine Mappe hervor. „Könntest du dir das mal ansehen?“, fragte sie und schob die Mappe über den Tisch zu mir.

„Was ist das?“

„Das sind die Unterlagen von ein paar Adoptionsbehörden. Ich will, dass das alles rechtlich und legal ist, weißt du. Ich will nicht, dass ich da in irgendetwas Falsches gerate, also könntest du dir das mal durchlesen?“

„Mache ich. Also Jasper und du wollt also wirklich ein Baby adoptieren?“

„Ja, der Wunsch steht nun wirklich fest. Ich habe es auch schon unseren Eltern und Rosalie gesagt. Sie war ganz aus dem Häuschen. Das glaube ich zumindest. Weißt du, so langsam geht es mir auf den Keks mit den Beiden nur Mails schreiben zu können oder mal eine Nachricht per Postkarte zu bekommen. Wie lange sind die denn noch weg? Ich will wieder Emmett und Rosalie in meiner Umgebung.“

Ich wusste was sie meinte. Ich vermisste meinen besten Freund und Cousin Emmett auch sehr. Wir spielten nicht mehr Baseball oder Fußball. Wir saßen nicht mehr zusammen in einer Bar und tranken einen. Wir unterhielten uns auch nicht mehr, weil er einfach nicht da war. Ich vermisste ihn und unsere Gespräche. „Ja, ich vermisse sie auch.“ In dem Moment klingelte auch schon mein Handy. Schnell griff ich danach und sah, dass Nicolas Baker mich anrief. Entschuldigend sah ich Alice an, welche nur mit den Schultern zuckte, nahm den Anruf dann entgegen.

„Hallo Edward. Wir haben André gefunden.“
 


 

„Wir wissen auch nicht, wie er hier reingekommen ist“, sagte eine der Wärterinnen der Simmons Jugendstrafanstalt, als sie mich durch die Gänge führte. „Gestern Abend beim Abschließen haben wir ihn entdeckt. Er lag schlafend unter der Pritsche seines Bruders.“ Sie öffnete die Tür zu einem Besprechungszimmer und ließ mich eintreten. André saß am Tisch und starrte mich mit großen Augen an.

Ich seufzte, war aber durchaus erleichtert, dass man ihn gefunden hatte und es ihm gut ging. „Hier will man doch nicht sein“, sagte er zu ihm.

„Woher weißt du, wo ich sein will?“

Wieder seufzte ich und wollte eigentlich nur noch den Kopf schütteln. „Ich werde die Türe abschließen, wenn ich gehe, weil ich dir nicht über den Weg traue.“ Ich wollte nicht bestimmend mit ihm reden. Aber wenn ich ehrlich war, hatte ich die Geduld mit ihm verloren. Ich wollte dem Jungen helfen, doch dieser machte es nur noch schlimmer. „Aber ich komme wieder.“ Ich zog die Türe zu und ließ André darin sitzen.

„Bringen Sie mich zu seinem Bruder.“
 

Ein paar Minuten später saß ich Marcus Greenwood gegenüber. Man hatte ihn ebenfalls in einen kleinen Besprechungsraum geführt. Marcus war ein großer junger Mann, normal gebaut und hatte seine schwarzen Haare nach hinten geflochten.

„Dein Bruder liebt dich“, fing ich an.

„Und ich liebe meinen Bruder“, sagte Marcus und sah mich an.

Ich stand im Raum, wirkte mit meinem Anzug vollkommen fehl am Platz und blickte durch die Scheibe in den Flur nach draußen. „Eins kapiert er nicht.“

„Was?“, fragte Marcus.

„Du wirst 18 in vier Monaten“, sagte ich ihm.

„Und?“, fragte Marcus cool. Er saß breitbeinig am Tisch, lässig und cool. Es war klar, dass André zu seinem großen Bruder aufsah.

„Dann kommst du hier raus und bist frei.“ Ich fuhr mir durchs Haar. „Er kommt rein. Mit 12 und wird 6 lange Jahre vor sich haben.“

„Unser Rechtssystem wirklich cool“, meinte Marcus und ich musste ihm zustimmen. Manchmal wünsche ich mir, dass unser Rechtssystem anders aufgebaut war. Aber so war es nun mal. Wenn man einmal hier drin war, kam man hier erst raus wenn man 18 Jahre alt war.

„Aber er hat eine Chance.“

Marcus schüttelte den Kopf. „Nein. Er… er hatte doch nie eine Chance.“ Er schüttelte weiterhin den Kopf, weil er es einfach besser wusste als ich.

Und vermutlich stimmte das sogar. Vermutlich hatte André nie eine Chance. Aber nun konnte ich ihm vielleicht eine geben. Man musste mich aber machen lassen. „Mag sein.“

„Warum kann ich nicht für ihn sorgen?“, fragte Marcus und sah mich fragend an. „Wenn ich hier heraus komme, kann ich ihn adoptieren.“ Nun sah er mich erwartungsvoll an, wollte mir sagen, dass das seine Idee war, wie er seinen Bruder retten konnte.

Ich sagte nichts, sondern setzte mich Marcus gegenüber, nahm Platz an dem Tisch und sah ihn an. „Wenn ich dich so ansehe, dann denke ich, du kannst nicht mal für dich alleine sorgen.“ Marcus biss sich auf die Unterlippe und lehnte sich wieder zurück in seinen Stuhl. „Wenn ich dich so ansehe, dann denke ich, du sitzt schon in 6 Monaten im Hochsicherheitstrakt in irgendeinem Gefängnis“, sagte ich ernst zu ihm, ob er das nun höre wollte oder nicht. „Und ich denke, dass dein Bruder dich entweder begleitet oder tot ist.“

„Was willst du eigentlich von mir“, schrie er mich mit einem Mal an. „Was?“

„Hilf mir jemanden zu finden, der ihn aufnimmt. Egal wen.“

Er winkte ab, als wüsste er, dass sich niemand André annehmen würde.

„Einen Verwandten, einen Freund“, sagte ich weiter. „Jemanden, den das Gericht möglicherweise akzeptiert.“

„Ist doch Bullshit, Mann“, meinte er und schüttelte nur den Kopf. „Alles Bullshit.“

„Aha“, meinte ich nur und seufzte innerlich auf. Ich hatte gehofft, dass Marcus mir helfen konnte. Ich hatte gehofft, dass er wenigstens erkennen würde, dass André ein zu Hause brauchte. Ein richtiges zu Hause. Ich hatte gehofft, dass er erkennen würde, dass er nicht der Richtige für diesen Job war.

Doch offensichtlich lag ich mit meiner Hoffnung falsch.

Ich stand auf, weil Marcus nicht so wirkte, als wolle er noch weiterhin mit mir reden oder mir irgendwie helfen und drehte mich um, um zur Tür zu gehen.

„Ich habe einen Onkel“, sagte er schließlich und ich blieb stehen. „Oben in Albany.“ Ich drehte mich wieder um und sah Marcus an. Er starrte auf den Tisch, doch offensichtlich erkannte er doch, dass er derjenige war, der André die Chance geben konnte. „Er hat versucht unserer Familie zu helfen. Meine Mutter hat die Knete genommen und… und verbraucht und Drogen. Einer ihrer Macker hat ihn mal verprügelt, danach hat er sich nicht mehr blicken lassen.“

Ich nickte und war dankbar, vielleicht endlich jemand gefunden zu haben, zu dem André konnte. „Wie heißt er?“

Marcus zögerte und sah mich genervt an. Auch wenn er wusste, dass er somit seinem kleinen Bruder helfen konnte, fiel es ihm dennoch nicht leicht. Denn so gab er schließlich auch zu, dass ich mit meinen Worten von eben Recht hatte. „Johnson Greenwood.“
 


 


 

Ich fuhr sofort nach Albany hoch, nachdem ich rausgefunden hatte wo Johnson Greenwood wohnte und arbeitete. Bella schrieb ich eine SMS, weil ich noch nicht wusste, wann ich wieder zu Hause sein würde. Sie sollte sich keine Sorgen machen, nur weil ich mal nicht vor ihr zu Hause war. Ich hatte Mr. Greenwood angerufen und dessen Frau hatte mir seine Handynummer gegeben. Also hatte ich Mr. Greenwood auf die Mailbox gesprochen, dass ich auf dem Weg zu ihm war.

Da es noch mitten Am Tag war fuhr ich zu seiner Arbeitsstelle, es war eine Holzfabrik. Sie stellten Möbel und Häuserfassaden her.

Der Pförtner brachte mich zu einer der Arbeitshallen, in den gesägt und gehämmert wurde und deutete auf einen Mann, welcher gerade ein paar Dokumente durchging und diese dann einer Frau reichte. „Das ist er.“

Ich nickte ihm dankend zu und ging an den Werkbänken vorbei, direkt auf Mr. Greenwood zu.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte der Mann, von dem ich glaubte, dass er Johnson Greenwood war.

„Sind Sie Johnson Greenwood?“

„Ja“, er nickte.

„Ich bin Edward Cullen, von der Jugendrechtshilfe New York City. Ich hatte angerufen, wegen ihres Neffen André.“

Johnson Greenwood seufzte, nickte aber. „Gut, gehen wir in mein Büro.“

Ich folgte ihm in das Büro, von dem man aus in die Halle sehen konnte. Johnson Greenwood war der Vorarbeiter dieser Fabrik. Er setzte sich an den Rand des Schreibtisches und seufzte noch mal. Es fiel ihm offensichtlich nicht leicht über seinen Neffen zu reden. Ich ließ ihm Zeit, wollte ihn nicht drängen.

„Meine Schwester hatte fünf Kinder, Mr. Cullen. Drei von ihnen mussten sterben, bevor sie 18 waren.“

„Ebenso wird es André ergehen.“

Er atmete aus. „Ja, vermutlich.“ Er ging an mir vorbei zu einem anderen Schreibtisch wo Zeichnungen und Skizzen von Häusern und Möbeln zu sehen waren. Er wirkte wie jemand, der aufgegeben hatte. Er hatte seine Schwester und ihre Kinder aufgegeben. Vermutlich hatte er damals gekämpft, immer und immer wieder und musste mit ansehen, wie seine Schwester ihr Leben und das ihrer Kinder zerstörte.

„Hören Sie, André braucht ein zu Hause und das gleich.“

„Wissen Sie, dass er vor 12 Jahren schon nötig“, meinte Mr. Greenwood zu mir.

„Ich kann verstehen, warum Sie ihn nicht aufnehmen wollen.“ Er senkte den Kopf und sah wieder auf die Skizzen. Ich wollte ihn nicht verurteilen, doch er war meine letzte Chance. Er war die letzte Chance für André. „Sie haben ein schönes Heim. Ihre Kinder sind gut erzogen…“

„Ich mache mir weniger Sorgen darum, dass er einen schlechten Einfluss auf meine Kinder haben könnte“, sagte er ernst und bestimmt. „Sondern mehr darum, was mit dem Jungen passiert, wenn meine Schwester wieder frei ist.“

„Und da wäre er besser in der Jugendstrafanstalt aufgehoben?“

„Nein“, sagte er und stimmte mir zu. „Das wollte ich nicht sagen.“

Ich biss mir auf die Unterlippe, um mir jegliche weiteren Kommentare zu sparen, als Mr. Greenwood sich wieder seinen Bestellungen widmete und zog stattdessen meine Visitenkarte aus der Innentasche meines Jacketts hervor. „Schlafen Sie drüber. Mir bleibt nur noch einen Tat um etwas für ihn zu finden.“ Er nahm sie entgegen und sah sie an.

Ich konnte ihn nicht zwingen, seinen Neffen aufzunehmen. Eigentlich konnte ich nur darauf hoffen, dass er sich für André entscheiden würde.

„Wie geht die Sache vor sich?“, fragte er schließlich und hielt mich auf, zur Tür zu gehen.

„Ich erledige alle Formalitäten und rufe Sie morgen früh an“, sagte ich ihm. Er sah mich ernst an, kam dann um den Tisch herum und reichte mir die Hand. So als würden wir uns für einen gelungenen Deal die Hände reichen. Oder weil er mir dankbar war, dass ich mich um seinen Neffen kümmerte.

„Warum tun Sie das?“

Ich hätte ihm sagen können, dass es mein Job ist, aber das war nicht die Antwort die man in so einem Fall sagen sollte. Es ging hier um mehr. Es ging um das Leben eines Jungen. Um dessen Zukunft. Um eine Chance.

„Für ihn heißt es, jetzt oder nie und noch kann man ihm helfen.“
 


 

„Hey. Alles klar bei dir?“, fragte Bella als ich sie anrief. Ich war gerade auf den Weg zurück nach New York City und wollte sie einfach mal anrufen, um ihre Stimme zu hören. „Hast du den Onkel gefunden?“

„Ja, ich habe den Onkel gefunden und er ist bereit André bei sich aufzunehmen.“

„Wow, das ist doch klasse. Ich wusste, dass du für den Jungen ein zu Hause finden würdest.“

„Danke. Und bei dir? Wie läuft es so?“

„Super, Edward, einfach nur super. Ich habe dir doch mal von Mr. Darcy erzählt… Du weißt schon, einen der besten Choreographen an der Juilliard und er will mich für sein Stück.“

Ich dachte darüber nach, was Bella mir über ihn erzählt hatte. Doch ich erinnerte mich nicht mehr daran. Klar, erinnerte ich mich an das Gespräch, als sie mir begeistert von den einzelnen Lehrern und Trainern erzählt hatte, doch an die einzelnen Personen erinnerte ich mich nicht mehr. Ein paar Namen kannte ich noch, von den Trainern und auch von ein paar Studenten, aber an einen Mr. Darcy erinnerte ich mich jetzt nicht. „Ja? Das ist doch super.“

„Ja, das ist es wirklich. Ich soll nun für die Frühjahrsvorführung die Hauptrolle bekommen. Das wird ein hartes Training, vor allem, da die Winteraufführung noch nicht vorbei ist. Aber ich kriege das hin. Ich glaube, du kannst wirklich stolz auf mich sein.“

„Baby, du weißt, dass ich stolz auf dich bin. Das bin ich doch immer. Ich liebe dich.“

„Ich liebe dich auch“, sagte sie und ich lächelte als ich ihre Stimme hörte, wie sie diese Worte sagte. Es waren die schönsten Worte, die man an einen anderen Menschen richten konnte. „Oh, ich muss auflegen. Wir sehen uns dann heute Abend.“

„Ja, bis heute Abend.“ Sie legte auf und ich blickte weiterhin auf die Straße vor mich. Es war Nachmittag und ich musste noch einiges klären, bevor ich wirklich sagen konnte, dass André bei seinem Onkel wohnen konnte. Und der Papierkram würde das kleinste Problem sein. Aber ich hatte Unterstützung. Bella war immer an meiner Seite und stand mir bei. Sie half mir da, wo sie nur konnte, stärkte mich mit ihrem Glauben an mich. Genauso, wie ich an sie glaubte.
 


 

Did you ever loved somebody - Jessica Simpson

http://www.youtube.com/watch?v=Hryg0oJ5zp0

Did you ever love somebody?

So much that the earth moved

Did you ever love somebody?

Even though it hurt to

Did you ever love somebody?

Nothing else your heart could do

Did you ever love somebody?

Who never knew



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von: abgemeldet
2010-10-30T10:35:18+00:00 30.10.2010 12:35
ohh wiee süßßßß dasap war !!
freue mich schon aufs neste !!
LG Bella_Edrwar_
Von:  vamgirly89
2010-10-26T21:02:52+00:00 26.10.2010 23:02
Tolles Kapitel. Freue mich schon auf das nächste. Schreib ganz schnell weiter.
Von:  bella-swan1
2010-10-26T05:28:57+00:00 26.10.2010 07:28
Hi super Kapi.
Hoffentlich bleibt der Junge auch bei seinem Onkel.
Freu mich schon drauf wie es weiter geht.
lg.^^
Danke für die ENS.^^
Von: abgemeldet
2010-10-24T11:49:46+00:00 24.10.2010 13:49
Juhu, endlich mal wieder ein Kapitel von dieser Geschichte.
Die beiden haben ja wirklich nicht viel Zeit füreinanderund jetzt wo Edward noch ehrenamtlich tätig geworden ist, haben sie noch wenier Zeit.
Hmmm, ich freue mich schon darauf wie es weiter geht.:)))
Von:  Yuki_Salvatore
2010-10-24T01:36:16+00:00 24.10.2010 03:36
Oha da haben die beiden ja wirklich reichlich zutun O.o
hoffen wir ma das sich das nicht mal wirklich negativ auf die beziehung auswirkt...

Bin gespannt wies weiter geht <3


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