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Emanzipation

Darüber, was genau Emanzipation ist, haben Männer und besonders Frauen seit dem Mittelalter nachgedacht und diskutiert, ohne jedoch zu einem Konsens zu gelangen. Das mag naturgemäß daran liegen, dass sowohl die Beginen, als auch die Suffragetten oder Alice Schwarzer in unterschiedlicher Ausprägung einen Wandel im bestehenden System anstrebten und damit die traditionell leitende Männerriege verunsicherten, doch allein das reicht als Lösungsmodell nicht aus. Die Streitigkeiten zwischen den Frauen selbst, das Diskussionspotential innerhalb der weiblichen Bevölkerung wird damit nicht erklärt und auch ein Griff in die „historisch-verankert“ - Schiene löst diese Problematik nicht auf.

Selbstverständlich hat es immer Frauen gegeben, die sich von der Auflösung des existierenden Frauenbildes bedroht fühlten, gerade weil sie ihre Kraft und ihr Leben darauf verwendet hatten, ihm zu entsprechen, und sich nun der Frage gegenübergestellt sahen, ob denn tatsächlich das, was ihren Stolz begründete, ein Fehler gewesen war. Doch in einer Zeit, in der Alice Schwarzer als eine „Männerhassende Pseudo-Emanze“ oder aber „schlicht denkende Übermutter“ bezeichnet wird, und das von Frauen, die die Emanzipation an sich begrüßen, muss nach anderen Ansätzen geforscht werden.

Die Frage, an der sich die Geister heutzutage scheiden, ist in der Regel nicht jene, ob denn die Selbstbestimmtheit der Frau erstrebenswert sei, sondern die, wie sie sich äußere.

Was ist Emanzipation?

Ist Emanzipation die Freiheit der Frau, vormals frauenverachtendes, pornographisches Material geil zu finden und die Erniedrigung dadurch zu neutralisieren?

Ist sie das Recht der Frau, sich mit Minirock und Ausschnitte selbst zum Objekt zu machen und dabei ein Gefühl der Freiheit zu empfinden?

Ist sie die Macht der Frau, sich frei für ein Leben als Schmuckstück eines wohlhabenden Mannes zu entscheiden?

Ist sie die Lust der Frau am Masochismus?

Oder ist sie die Pflicht der Frau, sich vom herrschenden, kichernden Frauenbild ewiger Jugend und Schönheit zu befreien, auch wenn sie sich nach Anerkennung und den neuesten Trends der „Vogue“ sehnt?

All diese überspitzten, polemischen Fragen, wiewohl aus der Realität gegriffen, können höchstens ein Anstoß zur Diskussion sein, geben aber keine Antwort auf die Überfrage.
 

Im Grunde gibt es nur eine Sicherheit:

Solange es Unterschiede gibt, wie die bei „karrieregeilen Frauen“ und „ehrgeizigen Männern“, wie die zwischen „Dorfmatratzen“ und „Stechern“, solange eine Frau ungeachtet ihres Intellekts und ihrer Leistungen mit der Feststellung, sie sei nicht attraktiv genug, deklassiert werden kann, solange die Bezahlung je nach Geschlecht, nicht nach Leistung variiert und niemand sich daran groß zu stören scheint, solange der Begriff „Emanze“ eher einer Beleidigung als einer Auszeichnung gleichkommt, solange Mädchen ihr Potenzial nicht offen nutzen, sondern eine „niedliche Schusseligkeit“ vorspielen müssen, um begehrenswert zu bleiben, solange mir spontan drei erfolgreiche Sitcoms einfallen, die eine schöne, intelligente Frau mit einem fetten Idioten zeigen, aber keine einzige, in der die Rollenverteilung andersherum ist, solange vorlaute Schüler cool, aber coole Schülerinnen unangenehm sind, solange erwachsene Frauen in TV-Formaten als Mädchen bezeichnet werden, solange das Idealbild eine mäßig erfolgreiche, nicht ehrgeizige, unbelastbare, aber niedlich hilflose Frau ist, deren Naivität an Dummheit grenzt, solange „Biss zum Morgengrauen“ als eine der größten Liebesgeschichten aller Zeiten und nicht als Darstellung einer kranken, unterdrückenden Beziehung wahrgenommen wird, solange Schönheitsoperationen einem Mann zuliebe gemacht werden, solange in Quizshows halbnackte Frauen und stattliche Mannsbilder vorkommen, solange man sich als Frau mit ironischen, kritischen Bemerkungen in einer Unterhaltung automatisch ins Aus schießt und bei politischem Hintergrundwissen die Weiblichkeit abgesprochen bekommt, solange geheucheltes Interesse und falsche Bewunderung die besten Waffen einer Frau sind, um einen Mann auf sich aufmerksam zu machen, solange man sich als Frau wider besseres Wissen an die falschen Bilder der Modeindustrie anzupassen versucht und beim Scheitern in Selbstzweifel gerät, solange man dann auch noch andere Frauen nach ihrer Kompatibilität mit dem herrschenden Ideal bewertet und das Fehlen von gewolltem „Sexappeal“ negativ notiert, solange hat die Emanzipation der Frau ihren Endpunkt noch nicht erreicht.
 

Denn egal, was Emanzipation ist; das ist es nicht.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Veroko
2010-11-03T21:09:00+00:00 03.11.2010 22:09
Wie die vorangegangene Religionskriegs-Geschichte, habe ich auch hier gezweifelt, ob ich überhaupt was dazu schrieben kann.
Absolut abgeschossen hat es dann aber der Part "solange „Biss zum Morgengrauen“ als eine der größten Liebesgeschichten aller Zeiten und nicht als Darstellung einer kranken, unterdrückenden Beziehung wahrgenommen wird". Ich für meinen Teil finde es klasse, dass du genau das mit reingebracht hast *jubel*

Den Anfang fand ich etwas... lang. Das ist so typisch: eigentlich kenne ich mich nicht 100%ig aus, aber das was ich weiß, reicht mir und deswegen interessiert mich das eigentlich nicht. Aber dann kommt der Satz-Absatz und da sind einige sehr gute Beispiele drin, die einen überlegen und schmunzeln lassen. Obwohl du deinen Schreibstil (der übrigens sehr passend ist) am Ende nicht geändert hast, wird man doch plötzlich aufmerksamer und liest mit wachsendem Interesse.

Aber das ging mir bis jetzt fast mit jeder deiner Geschichten so, du tarnst sie ganz hinterhältig als belehrende Wissenschaft und machst sie dann von Absatz zu Absatz interessanter.

Liebe Schreibziehergrüße
Laurel
Von: abgemeldet
2010-09-20T14:53:41+00:00 20.09.2010 16:53
Hallo,
Habe ich dir eigentlich schon gesagt, wie sehr ich es mag, dass du alle Geschichten in der Kapitel- beziehungsweise Charakterübersicht grob anreißt, sodass man einen Kurzüberblick hat und sich vorwarnen lassen kann?
Nicht? Dann lass es mich jetzt tun: Das finde ich super!

Moment, warte. Ist der untere Absatz wirklich nur ein einziger Satz? Das ist mir beim Lesen gar nicht aufgefallen - wie machst du das? Ich stolpere in meinen Bandwurmsätzen immer wieder, aber hier konnte sich der Leser flüssig in einem Stück durchlesen, ohne auch nur eine einzige unangenehme Unterbrechung hinnehmen zu müssen. Yeah!

Mit deinem Kapitel sprichst du mir aus der Seele. (Ach ja, handwerklich habe ich nichts zu meckern, das wäre schon längst gekommen - nicht, dass ich den Punkt ganz unterschlage. Darf ich fragen, wie dein Rechtschreibprogramm heißt? Es arbeitet besser als Word. Zumindest als meines.)

Was ist Emanzipation? Ist es nicht die Freiheit, auch als Frau tun zu dürfen, was man will? Heißt es nicht, dass alle vorrangig als Mensch behandelt werden sollten, anstatt in zwei verschiedene Schachteln gestopft zu werden?

Ich finde es sehr gelungen, wie du diese Fragen aufstellst, zugibst die Antwort nicht zu kennen, aber im gleichen Atemzug nennst, was sie keineswegs ist.
Vor allem sind mir beim Lesen dutzende Beispiele aus meiner Umgebung eingefallen, die sich mit deinen Worten deckten, und ich habe in Gedanken jeden einzelnen Punkt abgehakt und mit einem großen "JA!" versehen.

Ein Spitzenkapitel, und wenn ich nicht aufpasse, fange ich nach dem Lesen glatt an, mit irgendwem zu diskutieren. Sowas hätten wir in unserem PP (Praktische Philosophie) Buch gebraucht, anstatt einer bloßen Sammlung Stichworte.
Obwohl wir uns an denen auch gut warmgeredet hätten, wenn dieses Thema jemals zur Sprache gekommen wäre.

Liebe Schreibziehergrüße
Polaris


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