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Wenn du bei mir bist

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Der Brief und andere Großzügigkeiten

Die kommenden Tage verbrachte Farin größtenteils damit, seinen geschundenen Körper zu schonen und dabei seine neue Bleibe zu erkunden. Leider verzweifelte er immer wieder, denn das Anwesen der Familie von Felsenheimer war doch recht groß. Relativ schnell jedoch hatte er die geräumige Küche gefunden, in der die Köchin Magdalena, deren Gehilfe Tobias und bei Bedarf auch Marie die köstlichen Mahlzeiten zubereiteten. Sein Gastgeber hatte ihm erklärt, dass er sich ruhig etwas holen durfte, sollte er einmal Hunger verspüren. Es war nicht so wie auf dem Hof des Fürsten, wo er mit einer äußerst kleinen Portion zufrieden sein musste, oder den Bediensteten manchmal als Bestrafung gar das Essen verwehrt wurde. Farin dachte oft an seine Freunde, die noch immer auf dem Hof unter diesen unwürdigen Bedienungen arbeiten mussten und bedauerte, dass er ihnen nicht helfen konnte. Denn so wütend der Graf auch sein mochte, gegen den Fürsten konnte er nichts ausrichten, denn es war jedem freigestellt, seine Angestellte so zu behandeln, wie er wollte.

Sein neu gewonnener Freund hatte ihm auch noch den Pferdestall gezeigt, wo neben den zwei Rappen, die Farin schon gesehen hatte, als sie zum Arzt gebracht wurden, noch drei Schimmel und eine zutrauliche Fuchsstute mit ihrem Fohlen untergebracht waren. Die meiste Zeit verbrachte der große Blonde jedoch in der großen Bibliothek, sodass es bald den Anschein hatte, als würde er dort leben.
 

An diesem sonnigen Sommermorgen besuchte der ehemalige Kammerdiener des Erbprinzen von Hohenwalde die Stallungen. Er grüßte den etwas in die Jahre gekommenen Friedrich, der sich um die Pferde kümmerte und ging dann zu seiner neuen Freundin, der englischen Vollblut-Stute Morning Star. Sie war ein Geschenk des nunmaligen Schwagers von Bela gewesen, sozusagen als Dankeschön, dass er dessen Schwester heiraten durfte. Liebevoll streichelte Farin ihr über den Kopf, besonders über die weiße Schnippe zwischen den Nüstern. Mit flacher Hand hielt er ihr eine Karotte entgegen, die sie sich mit ihren weichen Lippen schnappte. Wie gerne würde er jetzt seine Familie besuchen! Noch immer wartete der Hüne auf eine Antwort, musste sich aber gedulden, da der Postweg bekanntlich sehr lange dauerte. Dennoch wollte er so schnell wie möglich etwas von seinen nächsten Verwandten erfahren. Schon oft hatte er in den letzten Tagen überlegt, wie er seine Bitte an Bela herantragen könnte und immer wieder hielten ihn die Bedenken zurück. Er wollte die Gastfreundschaft des Grafen keinesfalls ausnützen.
 

Gemeinsam mit Friedrich brachte Farin die insgesamt neun Pferde auf die Weide und nachdem er dem Fohlen noch etwas beim Spielen zugesehen hatte, wandte er sich zum Gehen ab. Er ließ seinen Blick über das weitläufige Anwesen der Familie von Felsenheimer schweifen und wäre so fast mit Marie zusammengestoßen.

„Du hast Post bekommen, Farin“, schnaufte die Brünette, deren Wangen vor Aufregung rot gefärbt waren. Da sie gleich alt waren, hatten sich die beiden schnell angefreundet und so wusste die Bedienstete, was der Brief, den sie noch in der Hand hielt, für den Blonden bedeutete.

„Danke Marie. Das ging aber schnell!“ Entzückt nahm dieser das einfache Kuvert an sich, wartete mit dem Öffnen aber noch, bis er für sich alleine war. Er wollte beim Lesen ungestört sein, damit er sich gänzlich auf die Zeilen seiner Familie, was auch immer sie ihm erzählen wollten, konzentrieren konnte.

Gemeinsam gingen die beiden nun den bekiesten Weg entlang, der von den Stallungen zum Schloss führte. Voller Euphorie erzählte Marie dem Blonden von ihren Plänen für das kommende Wochenende, an dem sie vom Grafen frei bekommen hatte. Sie wollte ihren Freund, der in der Stadt als Schmied arbeitete, abholen und mit ihm die Tage an einem nahe gelegenen See verbringen.
 

Am Hintereingang des Gebäudes angekommen verabschiedeten sich die beiden, da sich die Brünette nun daran machte, den großen Tisch im Speisesaal für das Frühstück zu decken. Seufzend ließ sich Farin auf einen der weißen Korbsessel nieder, die auf der, vor der weißen Doppeltür gelegenen, Terrasse eine Sitzgruppe bildeten. Aufgeregt riss er nun das weiße Kuvert auf und faltete den Brief auseinander. Auf der Unterlippe kauend verschlang er die Worte, die durchwegs Gutes verkündeten. So bemerkte er auch nicht, wie sich ein schwarzhaariger Mann auf den Stuhl neben ihm niederließ. Umso mehr zuckte er dann zusammen, als dieser ihn plötzlich ansprach.

„Na? Was schreiben sie denn?“

„Bela! Musst du mich so erschrecken?“, fragte der Hüne daraufhin entrüstet. Nach den anfänglichen Schwierigkeiten fiel es ihm nun leicht, den Standeshöheren mit dem Vornamen anzusprechen und auch das angebotene Du zu verwenden.

„Tut mir Leid, mein Freund. Das hatte ich nicht beabsichtigt“, entschuldigte sich dieser lächelnd. „Aber sag, wie geht es deiner Familie?“

„Es geht ihnen gut und sie haben sich sehr gefreut, von mir zu lesen“, erwiderte Farin glücklich. „Meine Schwester Julia lernt gerade bei einer Schneiderin. Sie schreiben auch, dass sie schon früher versucht hätten, mir Briefe zu schreiben, aber nachdem ich nie geantwortet habe… nun, diese Briefe habe ich nie bekommen.“

„Es tut mir Leid, das zu hören! Aber sieh’s von der positiven Seite – deiner Familie geht es gut, sie haben dich vermisst“, versuchte der junge Graf ihn zu besänftigen.

Kurz darauf trat Marie durch die Doppeltür und servierte mit einem Tablett das Frühstück.
 

Am frühen Nachmittag fand Bela seinen neuen Freund wie fast immer in der Bibliothek. Seit dieser am vorigen Tag Jule Vernes ‚Reise um die Erde in 80 Tagen‘ entdeckt hatte, war er kaum noch ohne es anzufinden. Der Graf konnte sehen, dass dem Blonden etwas bedrückte, auch wenn dieser sich bemühte, ein fröhliches Gemüt an den Tag zu legen. Er konnte sich schon denken, was es war. Nach so vielen Jahren von der Familie getrennt würde er auch darauf brennen, sie endlich wieder zu sehen. Warum äußerte er dann keinen derartigen Wunsch? Er hatte ihm doch mehrmals versichert, dass er, was immer er haben wollte, bekommen könnte. Nun, dann lag es also an dem Älteren, den Stein ins Rollen zu bringen.

„Sag Farin, woher kommt deine Familie noch gleich?“, fragte er seinen Gast deshalb, als er sich in den Sessel neben ihn niederließ.

„Aus Berlin. Warum fragst du?“

„Nun, mein Schwager Jethro bat mich, ihn auf seine Reise nach Preußen zu begleiten. Scheinbar wurde er, als Vertreter Britanniens, von Bismarck um ein Gespräch gebeten. Jedenfalls dachte ich mir, du könntest uns begleiten und so deine Familie besuchen.“

„Bela, ich…ich weiß nicht, was ich sagen soll“, erwiderte der Jüngere, sichtlich überrumpelt von diesem unerwarteten Angebot.

„Sag einfach ja.“

„Ich…das kann ich doch nicht von dir verlangen“, lenkte Farin ein. Wieder fragte er sich, womit er diese Großzügigkeit verdient hatte.

„Oh doch, das kannst du. In der Kutsche ist genug Platz, da macht es nichts aus, wenn eine Person mehr mitfährt. Und ich sehe doch, wie sehr es dich bedrückt, deine Familie nicht sehen zu können“, erklärte der junge Adelige.

„Also…ich…also…wann fahren wir?“, wollte der Blonde wissen. Die Unsicherheit, aber auch die Vorfreude konnte man ihm deutlich in den grünbraunen Augen ablesen.

„In sieben Tagen“, antwortete Bela und tätschelte seinen Freund auf den Oberschenkel. „Ich freue mich!“

„Wie kann ich mich jemals für deine Güte revanchieren?“

„Nun denn“, begann der Schwarzhaarige und blickte auf das Buch, welches in Farins rechter Hand ruhte. Es war geschlossen, doch sein Zeigefinger teilte die Seiten an der Stelle, an der er aufgehört hatte, zu lesen. „erzähl mir doch, worum es darin geht. Oder, noch besser: Ließ mir vor!“

„Bitte?“

„Ja, man hat mir schon lange nicht mehr vorgelesen. Und ich finde es sehr entspannend, einer Stimme zuzuhören, die das geschriebene Wort vertont.“

„Nun denn.“ Der Blonde schlug das Buch auf Seite eins auf und begann, seinem Freund vorzulesen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Krachgarten
2011-10-12T19:03:16+00:00 12.10.2011 21:03
Ich finds toll dass es hier weiter geht gefällt mir gut
hoffentlich kommt der nächste teil bald ich bin gespannt ;-)


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