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Kiss, kiss - bang, bang

Zwischen töten und sterben gibt es ein drittes - leben.
von

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Der Tod

Der Tod: Die Karte meint nicht das irdische Ableben, sondern den Übergang von einem Zustand in einen anderen. Doch bevor das Neue beginnt, müssen wir von Altem Abschied nehmen und loslassen.
 

Januar 2008, Dahlem, Nordrhein-Westfalen, Deutschland

„Atemu?“, fragte Yuugi. Sie waren noch keine zwei Meter gegangen. „Der Kuss…“, er sah Atemu an, seine Stimme zitterte. Und diesmal war es Atemu, der den Satz zu Ende brachte:„War nicht professionell.“ „Nein?“, fragte Yuugi, ohne, dass sein Gehirn richtig begriff, was vor sich ging. „Nein.“, sagte Atemu und eine Sekunde sahen die beiden sich in die Augen. Ihr Atem bildete wegen der Kälte kleine Rauchwolken.

Im nächsten Augenblick fielen sie regelrecht übereinander her, wollten sich küssen, verfehlten dabei aber ihre Münder, Yuugi trat Atemu auf den Fuß, aber das alles war nicht wichtig als er ihn endlich, endlich küsste und dieses Mal brannte sich jede Sekunde in Yuugis Gedächtnis ein. Eine Weile standen sie im Schnee, keiner sagte ein Wort, keiner traute sich so recht, denn ausnahmsweise waren sie auf einem Gebiet angelangt, auf dem keiner sich auskannte. Yuugi hatte ohnehin noch nie eine Beziehung gehabt und Atemu nur One-Night-Stands. „Was…was wird jetzt?“, fragte Yuugi leise. Atemu trat langsam einen Schritt zurück um etwas Raum zwischen ihnen beiden zu schaffen. Ein wenig befangen standen sie dann voreinander. „Ich liebe dich…“, wisperte Yuugi, seine Stimme ein Wispern im Wind. Atemu sagte nichts, er zog Yuugi nur in seine Arme, so fest, dass Yuugi kaum noch Luft bekam und Angst hatte, Atemu könnte ihm eine Rippe brechen, aber er beschwerte sich nicht. Er wusste, dass er nicht erwarten konnte, dass Atemu so etwas sagte, dass dies seine Art war, sich auszudrücken und es genügte ihm in diesem Augenblick vollkommen. Er versuchte, sich den Schmerz nicht anmerken zu lassen sondern legte den Kopf an Atemus‘ Brust, obwohl die Jacke eisig kalt war. „Wir… wir versuchen es einfach, oder?“, sagte Atemu dann, fast ebenso leise und ließ Yuugi los. Der nickte, fühlte sich wie betäubt, überrollt von den Ereignissen, die so plötzlich über ihn hereingebrochen waren und ließ sich beinahe willenlos von Atemu zurück in ihr Zimmer führen. Die ganze Zeit über schlug sein Herz Purzelbäume und tat einiges mehr, was anatomisch gesehen nicht möglich sein sollte, aber Yuugis‘ Verstand kam nur langsam hinterher, noch war nicht ganz zu ihm durchgedrungen, was diese neuen Veränderungen bedeuten würden. Ihre wenigen Sachen waren schnell gepackt, sie verabschiedeten sich von ihrer Gastgeberin, froh, die beiden Mädchen nicht mehr zu sehen, und stiegen ins Auto.

Es war bereits dunkel und eigentlich war Yuugi müde, aber er wollte nicht schlafen, er wollte jene kostbaren Augenblicke in dem Wald vor seinem geistigen Auge wieder und wieder erleben. Aufmerksam sah er zu, wie sie den Ort verließen, den Yuugi mit Sicherheit nicht mehr vergessen würde. Atemu fuhr langsam, der Tiere wegen, die des Nachts hier auf der Straße unterwegs waren. Sie waren in der Tat nur eine halbe Stunde gefahren und waren bereits zwei Rehen und einem Fuchs ausgewichen, Atemu befand, dass sie in der vergangenen Woche genügend Tiere getötet hatten und Yuugi war ihm dankbar dafür. Er saß mal wieder auf dem Beifahrersitz und beobachtete Atemu beim Fahren, er wollte so gerne etwas sagen, irgendein Gespräch mit ihm anfangen, aber er wusste nicht, was er sagen sollte, jetzt, wo sein Traum plötzlich wahr geworden war, fühlte sich sein Kopf wie leer gefegt an. „Wohin fahren wir?“, fragte er nach einer Weile, da hatten sie Deutschland schon verlassen. „London.“, antwortete Atemu, räusperte sich und fragte dann:„Wir brauchen noch eine Wohnung – ein oder zwei Schlafzimmer?“ Yuugi schwirrte der Kopf bei der Vorstellung. „Eins.“, flüsterte er und sah Atemu an, als sei der der Weihnachtsmann. Atemu lächelte. „In Ordnung, ich kläre dass dann nachher.“ „Warst du schon mal in London?“, fragte Yuugi neugierig, er war immer noch müde, wollte dem Schlaf aber keineswegs nachgeben. Atemu verzog den Mund:„Einmal, aber nur kurz, im letzten Jahr.“ „Wie ist es da?“, löcherte Yuugi Atemu weiter, doch die Antwort befriedigte ihn nicht sonderlich:„Ich weiß es nicht. Ich war im Juni dort… ein Auftrag – der letzte Auftrag vor dir, im Übrigen.“ Yuugi dachte ein paar Minuten nach, ehe sich sein Gesicht aufhellte:„Der Banker! Es kam sogar in Japan in den Nachrichten! Das warst du?!“ Atemu neigte zustimmend den Kopf. „Wow.“, machte Yuugi. Belustigt registrierte Atemu, dass Yuugi eher bewundernd und nicht erschrocken klang. Das Gespräch verebbte, Atemu musste sich auf die Fahrbahn konzentrieren und Yuugi schlief bald ein.

Als er wieder erwachte, ging die Sonne auf und sie befanden sich auf einer Fähre, Richtung Portsmouth. Atemu schlief. Da Yuugi ihn nicht wecken wollte, sah er sich um, viel, freilich, gab es nicht zu sehen, er fand ein Ticket für die Überfahrt mit der Fähre über den Ärmelkanal – von Cherbourg-Octeville nach Portsmouth. Auf der Rückseite stand etwas, krakelig von Atemu hingeworfen. „Buckingham Road, South Woodford“ stand darauf, aber das sagte Yuugi nichts. Er sah zu Atemu und konnte nichts anders als zu strahlen. Es war so unglaublich…
 

Februar 2008, London Borough of Redbridge, Großbritannien

Sich in London einzuleben, war herrlich leicht gewesen. Das lag nicht nur daran, dass sowohl das Wetter als auch das Essen in England besser waren, als sein Ruf, oder daran, dass sie beide sehr gut Englisch sprachen und daher – sobald sie sich einmal an den niedlichen britischen Akzent gewöhnt hatten – keine Probleme mit der Kommunikation hatten. Nein, es lag hauptsächlich an den Engländern selbst. Diese nämlich waren so unglaublich freundlich und entgegenkommend, dass man gar nicht anders konnte, als sich binnen weniger Tage heimisch zu fühlen. Die Adresse, welche Yuugi vor über einem Monat auf der Fähre gefunden hatte, hatte sich als ihre neue Adresse entpuppt. Die Buckingham Road lag in South Woodford, Teil des übergeordneten Bezirks London Borough of Redbridge, was wiederum ein im Nordosten von London liegender Stadtteil der besagten Stadt war, nur eine Viertelstunde von der nächsten U-Bahn Station entfernt. Ihre Nachbarn hatten anfangs ein wenig neugierig geschaut, aber nach einer Weile ging es, besonders die junge Frau, welche links neben ihnen wohnte hatte sich bald als eine gute Freundin erwiesen. Sie war ursprünglich aus Deutschland, klein und blond – und die wohl beste Köchin der Welt. Ihr Name war Jessica und die verbrachten nicht selten ihre Abende bei ihr.

Dennoch wusste sie selbstverständlich nichts von dem, was die beiden taten, oder wie sie wirklich hießen. Mit Atemus‘ falschen Pässen war es ein Kinderspiel gewesen, englische Staatsbürgerschaft vorzutäuschen und sich somit in aller Ruhe hier niederzulassen. Eigentlich hätten sie also glücklich sein können. Aber Yuugi war es trotzdem nicht. Er hätte sich denken können, dass es nicht leicht sein würde, mit Atemu zusammen zu sein. Ein Auftragsmörder, das brachte zwangsweise Schwierigkeiten mit sich. Aber das machte ihnen erstaunlich wenig Schwierigkeiten, nicht zuletzt, weil Yuugi Atemu auf allen Aufträgen begleitete und mittlerweile den ersten Auftrag selbst ausgeführt hatte – unter Atemus‘ Aufsicht, selbstverständlich. Beruflich hatten sie wirklich keinerlei Schwierigkeiten – oder besser, nur die üblichen. Nein, das eigentliche Problem war, so harsch das auch klang, Atemu selbst. Atemu hatte nie eine Beziehung gehabt, die über bedeutungslosen Sex hinausging. Zwar hatte auch Yuugi niemals eine Beziehung gehabt, aber er hatte davon geträumt, er hatte Ideale – Atemu nicht. Yuugi wusste, dass Atemu in Paris noch One-Night-Stands gehabt hatte und auch, wenn es ihm damals weh getan hatte, so hatte er doch gewusst, dass er sich darüber schwerlich beklagen konnte. Zwar hatte Atemu keine mehr, seit sie nun ein Paar waren, aber das bedeutete nicht, dass er aufgehört hätte, schönen Frauen hinterher zuschauen. Lange hinterher zuschauen und bei jeder Gelegenheit ein wenig zu flirten. Yuugi verbiss es sich, etwas dazu zu sagen, er wollte Atemu nicht mit lästiger Eifersucht vergraulen. Dennoch störte es ihn mit jedem Tag mehr. Einmal hatte er Atemu darauf angesprochen, der jedoch hatte gesagt:„Ich bin liiert, aber nicht blind.“ Er wusste, dass Atemu nicht homosexuell war, nicht einmal bisexuell. Er mochte Frauen – und Yuugi war die eine, große Ausnahme. Er wusste das und er fühlte sich auch gebührend geehrt – aber als Atemu in ihrer ersten Nacht in ihrem neuen Heim das Haus auf eine recht eigenwillige Art mit ihm hatte „einweihen“ wollen, da hatte Yuugi sich ihm verweigert und Atemu hatte seither auch nicht mehr versucht, mit Yuugi zu schlafen, gleichwohl er nicht wusste, worauf Yuugi da warten wollte. Er akzeptierte es. Yuugi seinerseits dachte gar nicht daran, mit Atemu zu schlafen solange dieser ständig mit irgendwelchen Frauen anbandelte. So war die Stimmung beständig gereizt, auch jetzt, während Atemu und Yuugi sich auf einen weiteren Auftrag vorbereiteten – den vierten innerhalb eines Monats, weswegen es fürs erste auch der letzte sein würde. In gewisser Weise freute Yuugi sich darauf, da es bedeuten würde, endlich mehr von London zu sehen, als nur rasch über die Tower Bridge zu laufen und dabei am anderen Ufer kurz den berüchtigten Tower of London zu sehen. Andererseits war er auch besorgt, denn in letzter Zeit war alles, was sie noch zusammenhielt, die Aufträge.

Alle diese Gedanken lasteten schwer auf Yuugis‘ Haupt, während sie mit der „District-Line“ Richtung Wimbledon fuhren. Die Fahrt dauerte anderthalb Stunden, gut die Hälfte davon hatten sie hinter sich und noch immer hatten sie nicht ein Wort gewechselt. Daran sollte sich auch nichts mehr ändern, Atemu schnappte sich eine der Zeitungen, welche in der Tube immer auslagen und verschanzte sich hinter selbiger, während Yuugi entnervt die schäbige Gegend draußen betrachtete. Als die Umgebung begann, nobler zu werden, legte Atemu die Zeitung weg und sie stiegen in Southfields im Stadtteil Wimbledon aus. Es war später Nachmittag und dementsprechend bereits vollkommen dunkel, erst recht hier, in dieser privaten Wohngegend. Rechts von ihnen lag das Gelände des „All England Lawn Tennis and Croquet Club“, Austragungsort des berühmtesten Tennisturniers der Welt. „Glaubst du, wir schaffen es, dort Mitglieder zu werden?“, fragte Yuugi um endlich ein Gespräch in Gang zu bringen. „Wenn du gut Tennis spielst…“, sagte Atemu und sah zu den hohen, grünen Gebäuden hinüber. „Tz.“, machte Yuugi, „Du weißt, dass ich das so nicht meinte!“ Atemu neigte den Kopf:„Natürlich. Aber da bringe selbst ich dich nicht illegal hinein, das musst du schon selbst schaffen – und es wird nur dann zu schaffen sein, wenn du exzellent Tennis spielst.“ Yuugi seufzte:„Schade… dazu bin ich wohl nicht gut genug.“ „London hat noch andere Tennisclubs.“, gluckste Atemu und Yuugi strahlte, weil sie wieder ein so normales Gespräch führen konnten.

Dann aber waren sie vor einem jener typischen Londoner Reihenhäuser angelangt, welches ihr Ziel gewesen war. Eine junge Mutter und ihr kleiner Sohn lebten dort. Prinzipiell hatten sie sich nichts zu Schulden kommen lassen – es handelte sich um eine Sippenvendetta, mit anderen Worten die Frau und ihr Sohn würden sterben müssen, weil ihr Bruder beziehungsweise Onkel sich mit den Yakuza überworfen hatte. Es würde eine Warnung für ihn. Dieser war der erste Auftrag, bei dem Yuugi sich schwer getan hatte, ihn zu akzeptieren, so schwer, dass Atemu ihm angeboten hatte, zu Hause zu bleiben, aber das hatte Yuugi dann auch wieder abgelehnt. Das lag weniger daran, dass der Auftrag Yuugi wichtig gewesen wäre, sondern viel mehr, dass er fürchtete, sich noch mehr von Atemu zu distanzieren, wenn er nicht mitkäme. Dass er aber den erst fünfjährigen Jungen nicht anrühren würde, hatte er von vornerein klar gemacht und Atemu war einverstanden gewesen. Es war das erste Mal, dass Atemus‘ Kaltblütigkeit ihn hatte erschrecken können. Dass er einfach so ein kleines Kind töten konnte… Atemu hatte versucht, ihm das zu erklären, gesagt, dass durch eine Mitgliedschaft bei den Yakuza, jene zum wichtigsten Lebensinhalt wurden und es durchaus ehrenhaft sein konnte, einen Fünfjährigen zu töten – zumindest ehrenhafter, als die Yakuza zu verraten, weswegen es gerechtfertigt war, bei einem Verräter solche Maßnahmen zu ergreifen. Zwar war Atemu kein Mitglied mehr, aber die Denkweisen, mit denen er aufgewachsen war, ließen sich nicht einfach abschalten.

Sie befanden sich jetzt im Inneren des Hauses, Yuugi stand im Flur und versuchte, die Photos zu ignorieren, welche Mutter und Sohn zeigten. Atemu war im Schlafzimmer des Jungen. Die Sehnsucht, mit der Yuugi plötzlich seine Freunde herbeisehnte, kam so plötzlich und unerwartet, dass es ihn beinahe von den Füßen riss. Schmerzhaft spürte er die Leere in sich und Schuldgefühle kamen in ihm auf, als er sich fragte, was sie von ihm halten würden, wenn sie wüssten, was er nun tat. Atemu trat aus dem Schlafzimmer, da war kein Blut an seinen Händen, aber Yuugi konnte ihm trotzdem nicht in die Augen sehen. Er fragte sich, wie er diesen Menschen hatte küssen können. „Willst du gehen?“, wisperte Atemu und seine Stimme erinnerte Yuugi ziemlich genau daran, weswegen er ihn hatte küssen können. Yuugi schüttelte langsam den Kopf – nicht, weil er Angst hatte, Atemu zu verlieren, sondern, weil er sich in den Kopf gesetzt hatte, Atemus‘ Handlungen nachzuvollziehen – wenn er ihn schon nicht verstehen konnte, was das betraf. Während er also seine widerstrebenden Gefühle versuchte niederzukämpfen, folgte er Atemu ins Schlafzimmer der Frau. Sie lag auf dem Bauch, den Kopf in einem Kissenmeer vergraben. Durch die dicke Daunendecke sah man nur ihr dunkles Haar, welches sich über die Kissen ergoss. Yuugi und Atemu sahen sich in die Augen, Yuugi senkte den Blick allerdings schnell wieder um seinem Gegenüber auf diese Art und Weise verständlich zu machen, dass er wollte, dass Atemu es tat. Der nickte, zog sein Messer und schlug die Decke zurück. Die Frau war nackt. Sie war noch recht jung, vielleicht dreiundzwanzig, und hatte die Figur eines Modells. Das Messer lose in der Hand haltend machte Atemu keinerlei Anstalten, sie zu töten, stattdessen glitt sein Blick langsam über den zierlichen Körper. „Atemu!“, rief Yuugi empört. Der blickte auf, sah Yuugi mit einem schiefen Lächeln im Mundwinkel an und mahnte nur leise:„Nicht so laut.“ Doch darauf achtete Yuugi nicht mehr:„Wenn ich leise sein soll, dann gib mir keinen Grund! Bring die Frau um, anstatt sie anzustarren, das ist doch keine verdammte Piepshow!“ „Warum sollte ich nicht schauen?“, fragte Atemu zurück und in seiner Rage bemerkte Yuugi den lauernden Unterton nicht sondern schrie zurück:„Ich dachte, wir wären ein Paar! Sagt dir der Begriff Treue denn gar nichts?!“ „Doch.“, erwiderte Atemu trocken, „Ich habe sie ja auch nicht angerührt.“ Yuugi wollte grade zu einer hitzigen Erwiderung ansetzen, als eine neue Stimme ihren Streit unterbrach:„What’s going on? Who are you people and what are you doing in my bedroom?“ Atemu und Yuugi drehten sich synchron um – ihr Opfer war bei ihrem lauten Streit erwacht, hatte sich aufgesetzt und hielt sich die Decke vor, um ihre Blöße zu bedecken. Gehetzt sah sie von Atemu zu Yuugi und wieder zurück. „Na toll.“, grummelte Atemu, verdrehte genervt die Augen und zog seine neue Walther P99. Er hatte den Schalldämpfer schon vorher aufgeschraubt gehabt, sodass er die Frau erschoss, ohne richtig hinzusehen. Sie hatte nicht einmal mehr die Zeit gehabt, zu erschrecken, da traf sie Atemus‘ Kopfschuss. Ihr Kopf sank auf ihre Brust und die Hände, die die Bettdecke umklammert hatten, erschlafften. Die Decke rutschte ein Stück herunter und entblößte ihre Brüste. Yuugi behielt Atemu scharf im Auge, aber der wusste, dass er jetzt besser nicht hinsah, sodass er Yuugi nur einen auffordernden Blick schenkte. „Gehen wir dann?“, fragte er. Seufzend willigte Yuugi ein, aber er weigerte sich, ein weiteres Wort mit ihm zu wechseln, sondern warf ihm nur böse Blicke zu. Atemu, der seinerseits nicht verstand, was Yuugis‘ Problem war, schwieg gleichfalls. Die einzige Stimme, die zu hören war, als sie die mit Werbeplakaten gesäumte Rolltreppe zur U-Bahn hinunterfuhren, kam somit aus dem Lautsprecher:„There is no service on the Hammersmith and City line. All other lines are offering a good service.“

Das Schweigen hielt auf dem Bahnsteig jedoch nicht lange an. „Wie geht es dir?“, fragte Atemu leise. Yuugi warf ihm einen übelgelaunten Blick zu. „Das kannst du dir denken, oder?“, fragte er zurück. Atemu blickte geradeaus über den Bahnsteig ohne Yuugi anzusehen. „Vermutlich.“, stimmte er zu. Seufzen. Keiner von beiden wusste so recht, was er sagen sollte, Yuugi wusste, dass es in diesem Augenblick enden könnte, er könnte einfach Schluss machen und zu seinen Freunden zurückkehren. Es wäre leicht. Und doch schnürte ihm der Gedanke die Luft ab. Der Zug fuhr ein und die Stimme aus dem Lautsprecher warnte:„Mind the gap!“ Yuugi erschien diese Warnung seltsam auf sich bezogen. Und doch wusste er nicht, was er tun sollte. Atemus‘ Verhalten verletzte ihn zutiefst und auch, wenn seine Gefühle für ihn keineswegs erkaltet waren, so wusste er dennoch nicht, ob er mit einem Menschen, der ihn so sehr verletzte, zusammen sein könnte. Unentschlossen darüber, was er tun sollte, stieg er nach Atemu in die U-Bahn.

Die nächsten Tage – ja, Wochen, änderten nichts daran. Es wurde März, bald würde Atemus‘ einundzwanzigster Geburtstag sein, doch Yuugi wusste weder, was er ihm schenken könnte, noch, ob er ihm überhaupt etwas schenken sollte. Als eine Beziehung konnte man ihr Zusammenleben kaum mehr bezeichnen, eine Zweckgemeinschaft kam dem schon näher. Nicht selten fragte Yuugi sich, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn sie nie ein Paar geworden wären, denn zu diesem Zeitpunkt hatten sie sich noch besser verstanden. Im Grunde genommen hätten sie ihren Streit wohl mit einem Gespräch beilegen können, so schlimm war es eigentlich ja nicht, aber das lange, eisige Schweigen hatte die Situation zugespitzt und aus einer Mücke einen Elefanten gemacht. Selbst Jessica fiel es auf, als sie zum Abendessen mal wieder bei ihr zu Gast waren. Eine Weile blickte sie nur fragend von einem zum anderen, dann lehnte sie sich zurück, verschränkte Arme und Beine und fragte:„In Ordnung, was ist los mit euch beiden?“ Die angesprochenen wechselten einen unbehaglichen Blick, räusperten sich und fühlten sich nicht wirklich verantwortlich, die Frage zu beantworten sondern warteten darauf, dass der jeweilige andere das tat. Aber Jessica mochte die beiden zu sehr um mit anzusehen, wie sich durch ihre Dickköpfigkeit ihre Beziehung aufs Spiel setzten. Unter ihrem bohrenden Blick gaben sie schließlich nach und Yuugi hob den Blick um Atemu trotzig in die Augen zu sehen:„Ich würde mich sehr viel besser fühlen, wenn du nicht ständig anderen Frauen hinterher schaust.“ Atemu seufzte. „Aber ich schaue doch nur, ich tue ja gar nichts!“, hielt er dagegen. „Wartet einen Moment!“, unterbrach Jessica sie, „Das ist der Grund, weshalb ihr euch so benehmt? Wegen ein oder zwei Blicken?“ „Diese Blicke lassen mich mein Vertrauen verlieren!“, begehrte Yuugi auf. „Himmel, Yuugi, wird erwachsen!“, rief Atemu entnervt aus. „Dazu hab ich keine Lust…“, grummelte Yuugi. Jessica hieb mit der Hand so fest auf den Tisch, dass die beiden Streithähne zusammenfuhren und sie ansahen. „Schon besser.“, sagte sie befriedigt. „Also, ihr zwei hört mir jetzt zu. Atemu, du versuchst, Rücksicht auf Yuugis‘ Gefühle zu nehmen und nimmst dich zusammen, wenn Frauen an dir vorbeilaufen. Und du, Yuugi, denkst daran, dass Atemu nie eine Beziehung hatte und deswegen nicht an diese Situation gewöhnt ist – und bedenkst, dass er dir ja immer treu gewesen ist. Und jetzt…“, sie machte eine bedeutungsschwere Pause, „jetzt zieht ihr ein wenig zu zweit um die Häuser und denkt über das nach, was ich gesagt habe.“

Wie zwei begossene Pudel standen die beiden auf und kamen ihrer Aufforderung nach. Am Ende landeten sie in einem Kaiten-Zushi, also einer Sushi-Bar, in welcher das Essen auf dem Fließband serviert wird, vielleicht aus der Sentimentalität heraus, ihre Heimat zu vermissen. Eine Weile saßen sie nur da, nahmen sich ab und zu etwas von dem Band und schwiegen, allerdings war es kein unangenehmes Schweigen, beide dachten über Jessicas Worte und die Konsequenzen, die sie für sich daraus zogen, nach. „Also gut, es tut mir leid.“, sagte Atemu nach einer Weile. Yuugi lächelte. „Mir auch, denke ich… also, weniger Blicke?“ Atemu verzog das Gesicht:„Ich versuch’s.“ Yuugi öffnete den Mund, um zu protestieren, aber Atemu sprach rasch weiter:„Die meisten Blicke für dich.“ Yuugi grinste: Damit konnte er leben. Er nickte. Und Atemu beugte sich vor um ihn zu küssen, mitten in der Bar.
 

Ein paar Tage später hatte sich ihr Verhältnis tatsächlich normalisiert, wofür Atemu und Yuugi sich bei Jessica mit einem Essen bedankt hatten. Yuugis‘ größtes Problem wurde somit Atemus‘ Geburtstag in einer Woche. Verglichen mit all‘ dem, was sie bisher durchgemacht hatten, erschien ihm dieses Problem aber gering und zweitrangig. Immerhin hatte Yuugi nun eigenes Geld, er und Atemu teilten sich die Bezahlung für die Aufträge, welche sie auf gemeinsame Konten in der Schweiz und im Vatikan einzahlten.

Es ging ihnen wirklich gut. Vor allem jetzt, wo sie erst einmal nicht arbeiteten, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen – gleichwohl sie in einer Metropole wie London relativ gut geschützt waren, nicht zuletzt, weil sie immer darauf achteten, nicht die gleiche Vorgehensweise anzuwenden. Hin und wieder gelang es ihnen sogar, den Mord als Selbstmord zu tarnen und einmal war ein Fremder für ihre Tat ins Gefängnis gewandert. Das hatte Yuugi ein schlechtes Gewissen beschert, gleichwohl er mittlerweile drei Menschen getötet hatte. Manchmal hatte er Albträume deswegen, wälzte sich unruhig im Bett hin und her und wachte schreiend auf. Wenn Atemu davon erwachte, dann nahm er ihn sofort in den Arm, wisperte liebe Worte in sein Ohr und hielt ihn solange fest, bis er sich beruhigt hatte. Tagsüber verschwanden die Schatten, grade jetzt, wo er beinahe täglich mit Atemu nach London hineinfuhr, um sich die Stadt anzusehen. Bei einer riesigen Stadt wie London, welche ein derart gewaltiges, kulturelles Erbe besaß, ein Unterfangen, dass Wochen in Anspruch nahm. Vom Millennium Eye aus genossen sie die Skyline Londons‘, bei einer Themserundfahrt sahen sie sich alles aus der Nähe an. Es dauerte nicht lange, bis Yuugi sehr froh war, ausgerechnet in London zu leben.

Heute hatten sie sich den Tower of London vorgenommen – oder, wie er richtig hieß, Her Majesty’s Royal Palace and Fortress. – was von Yuugi als beeindruckend und beängstigend zugleich empfunden wurde. Beeindruckend aufgrund der Größe, denn obwohl es der Tower hieß, gab es nicht einen, sondern so viele, dass Yuugi bald nicht mehr wusste, welcher Turm wo stand und welche Funktion er einst innegehabt hatte. Natürlich blieben ihm die Kronjuwelen und das königliche Salzfass in positiver Erinnerung, er fragte Atemu, ob sie die wohl würden stehlen können. Der wiegte bedächtig den Kopf hin und her, konnte sich aber nicht so recht entscheiden, nur, dass es schwierig würde, da war er sich sicher. Bei den dicken Tresortüren wunderte Yuugi das keineswegs. Als sie allerdings den Bloody Tower und den White Tower besichtigt hatten, wollte Yuugi nur noch raus. Das Schicksal der beiden Prinzen, welche im Bloody Tower – der ihretwegen umbenannt worden war, vorher hatte er Garden Tower geheißen – gefangen gehalten worden waren, ehe man sie im zarten Alter von zehn und zwölf Jahren im White Tower getötet hatte, erschütterte ihn. Dass sie auf dem Weg nach draußen auch noch am ehemaligen Hinrichtungsplatz vorbeikamen, besserte Yuugis‘ Laune keineswegs.

Draußen vor der Tower Bridge jedoch waren die Sorgen schnell vergessen, nicht zuletzt, weil Atemu ihn in die Arme schloss und aufs Haar küsste – Dinge, die er in der Öffentlichkeit eigentlich nie tat. Und es war wohl dieser Augenblick, der Yuugi bewusst machte, dass er nie wieder in sein altes Leben zurück wollte, dass er hier bleiben wollte, bei Atemu. Seine Eltern hatten ihm nie Geborgenheit vermitteln können, Atemu dagegen konnte das. Vielleicht grade weil sie einen Konflikt hinter sich gebracht hatten und somit wussten, dass sie mit so etwas umgehen konnten, fühlte Yuugi sich gestärkt. Ihre Situation mochte außergewöhnlich sein, aber Yuugi wusste, dass er es nicht anders wollte. Eng an Atemu gedrückt, verabschiedete Yuugi sich von seinem alten Leben und ließ sich von Atemu hinter dem Tower Fish and Chips kaufen.

Er grinste, als ihm plötzlich das ideale Geburtstagsgeschenk für Atemu einfiel.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Anuugi
2010-11-16T20:00:14+00:00 16.11.2010 21:00
London
Englisch
ICH?

Was bitte soll ich da XD
Aber heyyyyy ich Hab echt ihre beziehung gerettet *-* FREUUUUU
Und Beste Köchen wurde ich auch noch genannt OO.
Dabei durfte ich doch noch gar nicht für dich kochen thihihi
Was das töten des kindes betrifft... hmm irgendwie machts mir nix aus.. *hust*
deine FF hat mich verdorbööön QQ~
Dabei war ich immer so unschuldig und rein und jetz....
Du bist Böse!!!!

Aber doch.. Vielen vielen dank für dieses Tolle kapitel.

Von:  Merylex
2010-10-21T19:18:55+00:00 21.10.2010 21:18
yatta!
ich will wissen was in den Geschenk ist, echt ein fieser Cilphänger.
ob sich Atemu wirklich in die Beziehung einbringen kann, wen er selbst eines seiner Opfer ansabbert sehe ich da noch einige Probleme auf sie zukommen.
Gut das sich Yugi mal wehrt er sollte das öfter tun.
Jessi ist gut, hat den beiden den Kopf gewaschen, das darf sie ruhig öfter und ausführlicher. XD
Von:  Alienor
2010-10-19T17:06:44+00:00 19.10.2010 19:06
Kommt denn die Idee für Atemus Geburtstagsgeschenk meiner Bitte aus dem letzten Komi nahe?!? *breit grins*
Und du hattest Recht: Ich steh auf den Anfang...mindestens genauso wie auf den letzten Satz...
Hach, bei solch feinem Stoff lassen Entzugserscheinungen bestimmt nicht lange auf sich warten *seuftz*
dann werd ich mich wohl mit Vorlesungen ablenken müssen ._.
Alsoooo bittttteeeeee nimm die die Zeit ein weiteres Kapitel zu schreiben! Ich brauche es!!!!


Liebe Grüße
Alienor

PS: Ich bin ganz Yessicas Meinung, Kommunikation ist alles! Solche Trottel xD
Von: abgemeldet
2010-10-18T20:09:04+00:00 18.10.2010 22:09
Jaha, ich bin mal wieder die erste, die dir zu diesem klasse Kapitel gratulieren darf :)
Es ist soooo schön, Yugi´s Wunsch erfüllt ich und er und Atemu werden endlich ein Paar. Nach 18 Kapiteln wurde das aber auch endlich mal Zeit, oder? :) Dass Atemu aber weiter Frauen hinterher guckt finde ich nicht sooo toll und verstehe da Yugi´s Reaktion darauf auch voll und ganz. Ich würde da nicht anders reagieren^^
Bin mal gespannt, was ihm da für Atemu´s Geburtstag eingefallen ist, aber wenn es das ist was ich denke, dann wird es für Atemu sicher ein sehr schöner Geburtstag.
Mach weiter so, meine Liebe! Es war mal wieder klasse!
Liebe Grüße von deiner Yami-chan


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