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Seelensplitter

von

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Ägypten XII: Fieber

Der Rammbock, getragen von einem guten Dutzend kräftiger Soldaten, krachte wiederholt mit lautem Getöse gegen das Tor des alten Apophis-Tempels, der drei Meilen westlich Thebens lag. Das Gemäuer war vor Urzeiten aufgegeben worden, als das Gerücht aufkam, das Fundament sei instabil und nicht mehr zu reparieren.

Atem dachte voller Ingrimm, daß das entweder eine Fehleinschätzung oder eine glatte Lüge gewesen sein mußte. Ungeduldig trieb er die Soldaten mit harschen Befehlen an. Sie durften keine Zeit verlieren. Isis’ Vision hatte sie hierher geleitet, denn heute Nacht sollte hier etwas Grauenerregendes geschehen.

Endlich zerbarst das alte Holz und Atem und die Erwählten Priester, gefolgt von einem großen Schwarm Soldaten, betraten die Vorhalle.
 

„Durchsucht alles! Nehmt Gefangene, wenn möglich. Befreit jeden Gefangenen des Apophis-Kultes“, befahl Atem kurz und bündig. Er wartete nicht ab, um zu überprüfen, ob seine Befehle ausgeführt wurden, sondern folgte dem Gang vor sich zur Opferhalle, die sich in der Mitte des Gebäudes befand.

Sie hatten so wenig Zeit gehabt...
 

„Pharao, bleibt in unserer Nähe!“ Set holte zu Atem auf. „Wir können Euch nicht schützen, wenn Ihr...“
 

„Ich kann für meinen eigenen Schutz sorgen“, unterbrach Atem ihn kalt. „Andere brauchen unseren Schutz gerade viel dringender.“ Er sah sich um und faßte sein Schwertheft fester. „Es ist viel zu ruhig...“
 

„Das ist wohl wahr“, stimmte Akunadin zu. „Ich mißtraue dieser Ruhe.“
 

„Kommen wir zu spät?“ überlegte Schada.
 

„Beten wir, daß es nicht so ist“, erwiderte Atem. Wenn er daran dachte, daß Nefertitis Leben auf dem Spiel stand, dann gab es keine andere Option. Mit weiten Schritten eilte er zu den Toren der Opferhalle und mit der unbezwingbaren Vorahnung, daß alles zu spät war, stieß er sie auf.

Der Geruch verbrannten Fleisches schlug ihnen allen entgegen und Atem zog ohne nachzudenken seinen Umhang vor seine Nase. Schwarz verkohlte Körper übersäten den Boden, einige hielten halbverbrannte Papyri in ihren jetzt klauenartigen Händen.
 

„Ra vertreibe die Dunkelheit“, wisperte Set entsetzt neben Atem.
 

„Bei allen Göttern... Was ist hier geschehen?“ Schada trat ein und sah sich um. „Dort hinten auf den Opfertischen liegen Menschen“, stellte er fest, nachdem er sich etwas gefaßt hatte.
 

Atems Beine rannten ohne sein Zutun los. Ausgetrocknete Knochen zerbarsten unter seinen hastigen Tritten. Dann sah er Nefertiti auf einem der Tische. Mondlicht strömte über sie und eine rußige Statue des Apophis hatte sich aufgerichtet als würde sie jeden Moment die Zähne in das Mädchen schlagen. Nefertiti selbst sah aus, als schliefe sie friedlich.
 

„Kleine Schwester!“ Atem lief zu ihr und nahm ihre schlaffe Hand. „Wach...“ Das „auf“ verließ seinen Mund nicht mehr. Sie würde nie wieder aufwachen. Ein Sklavenhalsband lag um ihren Hals und jemand hatte einen Dolch bis zum Heft in ihr Herz gestoßen. Atem wurde schwindelig und er stützte sich auf dem schweren Steintisch ab.
 

„Pharao! Sie sind alle...“ Isis kam neben ihm zum Stehen und ihre Augen weiteten sich. „Nein...“, wisperte sie.
 

„Tot“, würgte Atem hervor. Er drückte Nefertitis Hand. Sehnige Hände umspannten seine Schultern und zogen ihn von dem Tisch fort. Atem wehrte sich nicht, sondern sah nur stumm auf. Über ihm glitzerte Akunadins Millenniumsauge.
 

„Ganz ruhig, mein Pharao“, wisperte er, so daß es niemand außer Atem hören konnte. Bevor er noch etwas sagen konnte, stieß Set zu ihnen.
 

„Die Mädchen, die als Opfer mißbraucht wurden, sind nicht verbrannt. Dafür aber, wie es scheint, jeder Priester oder Apophis-Kultist, der sich im Raum befunden hat.“
 

„Das heißt, der Zauber ist fehlgeschlagen“, erkannte Atem müde und streifte Akunadins Hände ab. Er schloß die Augen. „Sorgt dafür, daß alle Leichen der Mädchen zur Untersuchung in den Palast gebracht werden.“
 

„Natürlich, mein Pharao“, erwiderte Akunadin, dann nickte er Set zu. „Komm!“
 

Atem spürte Akunadins besorgten Blick weiterhin in seinem Nacken, doch darum konnte er sich nicht kümmern. Der Schmerz zerriß ihm das Herz und nahm ihm den Atem. Nefertiti war tot. Sie würde nicht wieder zurückkommen, ihn nie mehr anlachen oder aufziehen oder...
 

„Majestät! Wir haben einen der Kultisten gefunden und festgenommen. Er war in einer der Zellen eingeschlossen.“
 

Atems Kopf fuhr hoch und er fixierte den Soldaten vor sich. „Wo ist er?“
 

„In der Vorhalle“, erwiderte der Soldat und wich erstaunt beiseite, als Atem an ihm vorbeistürmte.
 

Ein Kultist... Atem wollte nichts sehnlicher als irgendjemand für dieses Gemetzel leiden sehen. In der Vorhalle blieb er keuchend stehen und sah sich um. Drei Soldaten standen um einen gefesselten Mann, der am Boden kniete. Als Atem sich näherte, hob der Gefangene den Kopf.
 

„Halicon!“ zischte Atem und heiße Rachsucht flutete wie Lava seine schmerzenden Adern.
 

***
 

Das Befragungszimmer stank überwältigend nach Schweiß. Der kleine, dunkle Raum, der sich tief im Palast versteckte, war kein Ort, an dem man sich gerne aufhielt. Zumindest wenn man nicht gerade wie Atem darauf aus war, den größten gefangenen Verbrecher seiner bisherigen Regierungszeit bis auf die letzte Information auszuquetschen.

Halicon war mit Ketten an den einzigen Stuhl in der Mitte des Raumes gefesselt worden und trug ein Sklavenhalsband.

Er sah lädiert aus wie Atem nicht ohne Befriedigung feststellte. Offenbar hatten die Soldaten Halicon ein paar mal versehentlich gegen Mauern laufen lassen oder er war ungeschickterweise gestolpert und hingefallen.
 

Atem duldete eine solche Behandlung der Gefangenen normalerweise nicht, aber dieses Mal konnte er den Soldaten keinen Vorwurf machen. Einundzwanzig ermordete Mädchen, einige davon vielleicht gerade mal elf Jahre alt und eine davon die Große Königsgemahlin, würden wohl selbst den kontrolliertesten Menschen an die Grenzen seiner Nervenstärke bringen.

Im Moment lehnte Atem an der Tür, die Arme vor der Brust verschränkt, und hörte der Befragung Halicons durch die Erwählten Priester zu. Nur Isis fehlte, da sie mit der Untersuchung der toten Mädchen beschäftigt war. Vorerst sollten die Priester ihr Möglichstes tun, aber wenn es nicht ausreichte, würde er wohl selbst eingreifen müssen. Die Befragung dauerte sicher schon ein paar Stunden und Atems Augen fühlten sich wegen des Schlafmangels an, als würden bei jedem Wimpernschlag Sandkörner gegen sie scheuern. Er hatte Mühe, nicht zu weinen.
 

„Wie oft soll ich es noch sagen?“ Halicons Nacken spannte sich an, als er brüllte. „Ich habe ihr nicht gesagt, daß sie ihren Mann oder ihre Kinder ermorden soll! Das hat sie auf eigene Faust getan. Haltet Ihr mich für so blöd, daß ich nützliche Quellen umbringen lasse?“
 

„Als wir Tenghe und dich damals in deinem Hause auffanden, behauptete Tenghe, von dir erleuchtet worden zu sein und du hast ihr zugestimmt.“ Akunadin umschritt Halicon wie ein Löwe das Lamm.
 

„Ich wollte sie beschützen. Ich... ich mochte sie.“ Halicon schnaubte verächtlich. „Dann habe ich gemerkt, wie sie langsam immer mehr Macht und Einfluß unter meinen Anhängern gewann. Sie untergrub meine Autorität und schließlich ließ sie mich von ihrer eigenen Schwester bewußtlos schlagen und einsperren. Sie mag wahnsinnig sein, aber sie ist klug.“
 

„Und das sollen wir glauben?“ Sets Stimme durchbohrte das nachfolgende Schweigen wie eine Klinge. „Lügst du nicht einfach, um deine eigene Haut zu retten?“
 

Halicon antwortete, aber sah dabei direkt Atem und nicht Set an. „Meine Haut gehört bereits dem Pharao. Ich bin realistisch genug, das zu erkennen.“
 

„Du willst uns also erzählen, daß das Opfer von gestern abend nicht deine Idee war?“ Atem stieß sich von der Tür ab und stellte sich direkt vor Halicon. Haßerfüllt musterte er diesen erneut.
 

„Doch, aber Tenghe bestand darauf, daß die Jungfrau von königlichem Geblüt ihre eigene Schwester sein sollte. Dieser Teil des Planes war nicht meine Idee.“
 

„Du windest dich wie eine Schlange, der man den Schädel zerdrückt“, knurrte Atem. „Wozu das alles? Wollt ihr, daß Apophis alles vernichtet?“
 

Halicon brach daraufhin in schallendes Gelächter aus.
 

Atem, durch eine schlaflose, emotional anstrengende Nacht völlig gereizt, konnte sich nur mit Mühe davon abhalten, Halicon den Kiefer einzuschlagen.
 

Karim trat dazu, seine Stimme ein zorniges Flüstern. „Erkläre dich!“ Er sah kurz zu Atem und bat diesen stumm, zurückzutreten.
 

Atem warf einen letzten Blick auf Halicon, dann kehrte er zu seiner Position vor der Tür zurück. Jetzt die Beherrschung zu verlieren wäre alles andere als klug.
 

Halicon beruhigte sich mit einem Keuchen, dann schüttelte er den Kopf. „Es wird nicht alles zerstört werden. Die Welt wird unter den treuesten Apophis-Anhängern aufgeteilt und wir werden herrschen, solange der große Schlangengott nur genug zu fressen hat. Wir tilgen Ra und Horus aus und geben der Menschheit das, wonach sie bereits seit Jahrhunderten verlangt: Die absolute Finsternis! Tenghe hat überlebt, das weiß ich. Sie wird dieses hehre Ziel erreichen.“
 

„Das sind die Worte eines Wahnsinnigen!“ erklärte Akunadin abfällig. „Schada?“
 

„Hmmm... Er hat das gestrige Opfer initiiert, aber Tenghe hat die Mädchen ausgesucht. Auch wußte er nicht, daß sie die Brände als Kulisse für den Mord ihrer Familie benutzt hat. Es stimmt wohl: Sie hat ihm die Macht immer mehr entrissen und die Kultisten auf ihre Seite gezogen.“ Schada sah auf seinen Millenniumsschlüssel und rieb mit einem Daumen über das glänzende Gold. „Natürlich ändert das nichts daran, daß er schuldig ist“, schloß Schada ab. „Tenghes Beweggründe kennt wohl nur sie allein.“
 

„Falls sie in ihrem Wahnsinn überhaupt so etwas wie ein Motiv hatte“, fügte Karim hinzu und fuhr sich mit einer Hand müde über das Gesicht.
 

Atem mußte Karim leider im Stillen recht geben. Noch immer ergab nichts, was Tenghe getan hatte, einen Sinn. Sie hatte sich dem Kult laut Halicon eine Weile nach dem Tod ihres Vaters angeschlossen und zuerst war sie nur eine von vielen Anhängern gewesen, bis sie an Halicon herantrat und sich erbot, ihm militärische Informationen zu beschaffen, indem sie Minnefers Arbeitszimmer durchsuchte oder ihn belauschte. Dann bot sie Halicon auch sexuelle Gefälligkeiten an, worauf er ebenfalls einging. So erreichte sie eine immer höhere Stellung, bis die Anhänger sich ihr mehr zuwandten als Halicon, da sie, wenn auch inoffiziell, die meiste Macht im Kult besaß. Immer mehr ergab sich das Bild, daß nicht Halicon Tenghe, sondern sie ihn benutzt hatte.

Dieses Bild gefiel Atem überhaupt nicht und er mußte zugeben, daß ihn weder Halicons noch Tenghes Beweggründe inzwischen noch interessierten. Er wollte sie einfach nur vernichtet sehen, Bakuras Leiche obendrauf, und dann endlich Frieden finden. „War das alles?“ erkundigte er sich bei Schada; der nickte.
 

„Wir haben alles, was wir brauchen“, erwiderte Akunadin und deutete auf seine Schriftrolle voller Notizen.
 

„Sehr gut.“ Atem sah Halicon direkt an und er spürte wieder diesen unbändig mächtigen Wunsch in sich, diesem Schmerzen zuzufügen und so Halicon zu zeigen, wie Atem sich fühlte. Atem dachte, wenn er dem flammenden Verlangen nach Rache in seinen Eingeweiden nicht nachgeben würde, er müßte selbst den Verstand verlieren. „Ihr könnt jetzt gehen. Es war eine lange, harte Nacht.“
 

„Majestät? Wollt Ihr Euch nicht auch hinlegen?“ fragte Set, aber Atem schüttelte nur stumm den Kopf und trat von der Tür weg. Wenig später war er mit Halicon allein.
 

„Nun, Pharao, vollzieht Ihr nun an mir Eure Rache?“ Halicon sah Atem gerade in die Augen.
 

„Und wenn dem so wäre?“ Atems Gedanken drehten sich nur darum, wie er Halicon so gründlich wie nur möglich zerstören konnte. Nicht weniger würde Halicon für all seine grausamen Taten verdienen. Vor Atems geistigem Auge kreiste noch immer Nefertitis seltsam ruhiges Gesicht, das im krassen Gegensatz zu ihrem gewaltsamen Ende stand.
 

„Dann seid Ihr nur der Beweis, daß ich recht habe. Daß alle Menschen sich nach Finsternis sehnen“, erwiderte Halicon.
 

„Irrtum! Die Menschen sehnen sich nach dem Licht, aber Mörder wie du sind es, die uns alle mit ihrer Finsternis bedecken. Euch macht das Töten Spaß.“ Atems kalte Augen bohrten sich in Halicons, als könne er allein so die finstere Seele des anderen zerschmettern.
 

„Euch auch. Jetzt in diesem Moment könnt Ihr doch nur genüßlich daran denken, wie Ihr mich möglichst schmerzhaft zu Ammit schicken könnt, nicht wahr?“ Halicon lächelte boshaft. „Ihr seid auch ein Mörder, Pharao. Ihr habt Todesurteile gefällt und unterschrieben und Männer im Namen des Friedens in den Tod geschickt. Behauptet nicht, daß Eure Hände nicht mit Blut befleckt seien.“
 

Atem zauderte für einen Moment, doch dann verhärtete sich sein Blick erneut. „Jemand hat mir mal gesagt, daß es auf dem Schlachtfeld keinen Ruhm und keine Ehre gibt, nur den Tod. Und doch haben wir keine Wahl: Wir versinken in Finsternis, damit der Großteil der Menschen im Licht leben kann. Ja, an meinen Händen klebt Blut, aber nicht das Blut Unschuldiger wie an den deinen. Schlußendlich muß aber auch ich eines Tages vor die Götter treten und wenn Ammit mich verschlingt, dann muß es wohl so sein. Du weißt gar nicht, wie sehr ich mich nach Frieden sehne, aber Leute wie du, Tenghe, Antes und Bakura haben nichts besseres zu tun als diesen Frieden für Macht und aus Gier zu stören.“
 

„Erzählt dir das dein Liebhaber spät nachts?“ spöttelte Halicon. „Oder bist du auf diesen Selbstbetrug von ganz alleine gekommen?“
 

Atem biß die Zähne zusammen. „Laß Heba aus dem Spiel!“ zischte er und auf seiner Stirn erglühte in goldenem Feuer das Auge des Horus.
 

„Tenghe wirst du nicht los, Bakura auch nicht und sie sind noch lange nicht alle, die ein Interesse daran haben, dich zu vernichten.“
 

Atem interessierte es nicht. Er hatte viel zu viel Zeit mit Reden verbracht, nur um nichts zu erfahren, was ihm nützen könnte, Tenghe auszuschalten. Er hob nur eine Hand und genoß es, zu spüren wie Halicons Seele zerbarst und sich verstreute. Der leblose Körper des Kultführers sackte nach vorne. „Da hast du deine Finsternis! Aus dem Reich der Schatten gibt es kein Entkommen.“ Er öffnete die Tür und befahl der nächsten Wache, Halicons Körper an die heiligen Nilkrokodile zu verfüttern.
 

Atem schlug danach den Weg zu den Zimmern der Heiler ein. Er mußte unbedingt wissen, was Isis bis jetzt herausgefunden hatte, bevor er auch nur im Ansatz an so etwas wie Schlaf denken konnte. Wenn er nach dieser Nacht überhaupt schlafen konnte...
 

In der Halle, in der die Toten aufgebahrt worden waren, fiel das erste Sonnenlicht des neuen Tages durch die Fenster und malte spielerische Kringel auf den Fußboden. Draußen zwitscherten die Vögel und eine angenehme Brise wehte in den Saal. Es war eine fast friedliche Atmosphäre, wären da nicht einundzwanzig mit Leinentüchern bedeckte Körper. Neben einem davon stand Isis, eine Hand auf die entblößte Stirn der Toten gelegt, und konzentrierte sich mit geschlossenen Augen auf ihre Magie.
 

Atem trat leise zu Isis und sah auf die Tote. Sein Herz krampfte sich zusammen als er sah, daß es Nefertiti war. Mit Gewalt preßte er seine Augen zusammen. Später... wenn er allein mit Heba war... Aber nicht jetzt und hier vor Isis! Er keuchte schwer.
 

„Mein Pharao?“ Isis überraschte Stimme schreckte Atem auf.
 

Er holte kurz Luft und öffnete die Augen, dann nickte er. „Guten Morgen, Isis. Was gibt es Neues?“
 

„Guten Morgen, Majestät.“ Sie musterte ihn besorgt. „Ihr solltet Euch hinlegen.“
 

„Sobald ich weiß, was du herausgefunden hast“, erwiderte Atem und legte eine Hand auf Nefertitis Stirn und schauderte. So kalt...
 

„Gut. Ich denke, ich weiß, was das Ritual fehlschlagen ließ.“ Isis zögerte, dann fuhr sie fort: „Wir kennen nicht alle Bedingungen des Zaubers, aber eine davon war offensichtlich, daß alle Opfer noch jungfräulich sein mußten.“
 

„Eines war es nicht“, erwiderte Atem und streichelte abwesend Nefertitis Wange als könne er sie so wärmen.
 

„Richtig.“ Erneut zögerte Isis und Atem wurde ungeduldig.
 

„Was ist los?“ fragte er verärgert nach.
 

Isis seufzte leise und biß sich auf die Lippen. „Pharao, es war... Ihre Hoheit. Sie war nicht mehr Jungfrau.“
 

Atem sah verwundert auf Nefertitis Gesicht. „Sicher?“
 

„Ja, ganz sicher. Sie... sie trägt ein Kind unter dem Herzen.“ Isis senkte ihr Haupt in Trauer.
 

Atem hingegen fühlte gar nichts. Er hielt inne damit, Nefertiti zu streicheln. „Ein Kind“, wisperte er. Er dachte an gestern. War es das gewesen, was Nefertiti ihm hatte mitteilen wollen? „Hat sie es gewußt?“ Er strich Nefertiti eine Strähne aus dem Gesicht. Ein Kind...
 

„Das bezweifle ich“, erwiderte Isis leise. „Die Schwangerschaft war dafür nicht fortgeschritten genug. Sie hätte schon einen Heiler fragen müssen und zu mir ist sie nicht gekommen.“
 

„Was soll dein merkwürdiges Verhalten dann?“ Atem sah Isis in die Augen, obwohl es ihm schwerfiel, überhaupt noch zu stehen. Wie konnte es am frühen Morgen nur schon so heiß sein?
 

„Nun ja... Ihr... Ihr wart wohl nicht der Kindsvater, Pharao.“
 

„Das ist richtig.“ Atem grinste trotz allem schief. „Aber das wäre für mich unerheblich gewesen. Dennoch... Das bleibt unter uns! Es reicht, wenn du mitteilst, daß ein Mädchen die Anforderungen nicht erfüllt hat.“ Hinter dieser so beiläufigen Anordnung versteckte sich durchaus eine Drohung.
 

Sex vor der Ehe war kein Verbrechen, wegen Ehebruchs konnte man aber durchaus vor Gericht ziehen, vor allem wenn, wie in diesem Fall, ein Kind aus der außerehelichen Verbindung hervorging. Nefertiti hatte genug gelitten. Sie mußte nicht auch noch durch den Dreck gezogen werden. Blieb nur die Frage nach Nefertitis Liebhaber. Atem blinzelte und verkniff sich ein Stöhnen. Jetzt bekam er auch noch Kopfweh! Der Liebhaber konnte warten.
 

„Natürlich, Pharao. Kein Wort darüber wird diese Räumlichkeiten verlassen.“ Isis verbeugte sich, als Atem sich mit einem Nicken umdrehte und die Halle verließ. Draußen erwarteten ihn Siamun und Heba, die ihn ebenso besorgt und mitleidig ansahen wie Isis.
 

„Gibt es weitere Neuigkeiten?“ Atem lehnte sich erschöpft gegen den Türrahmen. Siamun und Heba verschwammen vor seinen Augen und er blinzelte mehrmals.
 

„Pharao, Ihr seid ganz rot im Gesicht“, erwiderte Siamun und ignorierte die Frage.
 

„Ich bin nur müde“, winkte Atem ab. Dann sah er zu Heba und lächelte. „So...hübsch...“ Dann kam der Boden direkt auf ihn zugerast und schlug ihn bewußtlos.
 

***
 

„So...hübsch...“
 

Die Worte waren so seltsam und dann hörte Heba, wie jemand dumpf zu Boden fiel, gefolgt von einem lauten Klirren. Er zuckte zusammen und sein Körper verkrampfte sich.
 

„Pharao!“ Siamuns eilige Schritte hallten von den Wänden wieder.
 

„Atem!“ Heba, aus seiner Schreckstarre gerissen, ließ besorgt seinen Stock fallen und sank auf die Knie, um zu eben dem zu kriechen. Dabei stieß er mit seinem Knie gegen warmes Metall. Verwundert streckte er eine Hand aus und ertastete Atems Krone, die neben ihm auf dem Boden lag. Er ließ die Krone Krone sein und rutschte neben Atem.
 

„Er ist ganz heiß“, sagte Siamun, der sich links von Heba befand. „Bleib bei ihm, Heba, ich hole Isis.“ Er ächzte und öffnete gleich darauf eine Tür.
 

Heba zog Atems Kopf auf seinen Schoß und spürte nun selbst, daß Atem am ganzen Körper zu glühen schien. „Atem? Hörst du mich?“ Die einzige Antwort war Atems schweres Atmen.

Heba streichelte über Atems spröde Wange. „Bitte! Du mußt aufwachen“, flehte er. Sein Herz klopfte vor Angst. Was war geschehen? Heba erinnerte sich nicht, daß Atem seit er hier war je krank gewesen wäre. Tränen liefen über seine Wangen. Das war alles zuviel! Zuerst wurde Nefertiti ermordet und dann wurde auch noch Atem krank. „Bitte, ihr Götter, laßt es nichts Schlimmes sein“, bat er leise.
 

„Prinz, bitte laßt mir etwas Platz.“ Isis' kühle Hand legte sich auf seine Schulter.
 

Heba hatte sich gar nicht bemerkt. Er nickte zitternd und rutschte auf den Knien ein Stück zurück. Er hörte, daß Isis etwas murmelte und seine Hände krampften sich in seine Tunika.
 

„Wir müssen ihn hier wegbringen“, erklärte Isis schließlich laut und rief ihre Diener.
 

Heba tastete über den Boden und fand seinen Stock und auch die Krone. Er stand auf und folgte den Dienern, die Atem in Atems und sein Schlafgemach brachten. Dort legte Heba die Krone vorsichtig auf den Nachttisch bevor er sich auf dem unteren Ende des Bettes niederließ, um den Heilern genug Raum zu lassen. „W-was hat er, Isis?“
 

Isis antwortete für eine Weile nicht, dafür drang das Rascheln von Kleidung an sein Ohr. Heba glaubte, er würde verrückt, wenn sie ihm nicht bald antwortete. Er hatte ein sehr schlechtes Gefühl.
 

Siamun, der neben Isis stehen mußte, gab einen Schreckenslaut von sich. „Diese roten Male...“
 

„Es ist wie ich befürchtet habe. Er hat das Nervenfieber“, sagte Isis mit zitternder Stimme. Sie befahl ihren Dienern, Wasser und irgendwelche Tränke, die Heba sich nicht merken konnte, zu holen.
 

„Was heißt das?“ hakte Heba leise nach. „Heißt das, daß er...“ Plötzlich wurde ihm die Brust zu eng und er glaubte, ersticken zu müssen. Kälte umklammerte sein heftig schlagendes Herz.
 

„Ich weiß es nicht“, erwiderte Isis hilflos. „Diese Krankheit ist völlig unberechenbar. Er könnte wieder völlig genesen, aber sie könnte ihn auch töten. Ich kann nur mein Möglichstes tun, um ihm zu helfen, aber wenn er nicht kämpft, dann...“
 

Heba nickte. Seine Kehle war ihm wie zugeschnürt und hätte er nicht gesessen, er wäre wohl zu Boden gefallen, so sehr zitterten seine Knie.
 

„Ist der Pharao so schwach? Er ist doch kein kleines Kind“, wandte Siamun ein. „Ach, ihr Götter! Habt ihr uns damals mit dieser Krankheit nicht schon genug gestraft?“
 

„Wesir, Ihr solltet Euch hinsetzen.“ Isis klang so streng, daß es mehr ein Befehl als ein Rat war. „Ja, er ist schwach. Er muß in letzter Zeit nur wenig Ruhe bekommen haben.“
 

„Er hatte wieder Alpträume“, erwiderte Heba leise. „Und jetzt das mit Nefertiti...“
 

„Ja, das ergibt Sinn“, erwiderte Isis.
 

„Diese Krankheit hat Ägypten schon einmal geplagt?“
 

„Ja, vor Jahren, noch vor der Geburt Atems.“ Siamun klang bitter. „Sie hat vor niemandem Halt gemacht. Ich habe meine Frau und meine Kinder verloren und Pharao Aknamkanon seine beiden ältesten Söhne.“
 

„Ich erinnere mich an die kleinen Prinzen“, fügte Isis hinzu. „Ich war damals noch in der Ausbildung. Die beiden waren sehr liebe Jungen, sie hingen sehr einander. Sie sind am selben Tag krank geworden und auch am selben Tag... sind sie zu den Göttern gegangen. Sie haben dem Fieber nur wenige Tage widerstehen können.“
 

„Das ist furchtbar“, wisperte Heba. „Siamun, es tut mir leid.“
 

„Ach, Junge, seit damals Echnaton die Götter gegen sich und ganz Ägypten aufbrachte, müssen wir bis zum heutigen Tage für seine Sünden büßen. Ich hoffe, der Ketzer hat Ammit gut geschmeckt“, sagte Siamun. „Isis, ich werde dafür sorgen, daß die Staatsgeschäfte weiterlaufen. Vorerst wollen wir keine unnötige Aufregung verursachen.“
 

„Gut, aber wartet noch einen Augenblick. Ich denke, ich habe eine Möglichkeit gefunden, die Kräfte des Pharaos zu stärken.“ Isis machte eine bedeutungsvolle Pause. „Ich müßte einen Teil von jemandes Lebensenergie auf den Pharao übertragen.“
 

Heba horchte auf. „Wie meinst du das?“
 

„Isis, das ist sehr riskant! Wenn sein Körper die Energie zurückstößt...“ Siamun klang jetzt noch besorgter.
 

„Dann müssen wir einen geeigneten Energiespender finden. Viele Möglichkeiten haben wir nicht“, erwiderte Isis. „Prinz, durch Magie wird zwischen dem Spender und dem Patienten eine Verbindung geschaffen, durch die ein Teil der Energie des Spenders in den Kranken fließen kann. Dadurch wird, wenn alles gut verläuft, der Körper des Kranken gestärkt und er kann sich besser gegen die Krankheit zur Wehr setzen. Je kränker der Körper, desto mehr Energieübertragungen sind nötig.“
 

„Und wenn es nicht gutgeht?“ fragte Heba, angetrieben durch Siamuns Einwand.
 

„Dann könnte er sterben“, beantwortete Siamun die Frage. „Es ist aber nicht leicht, einen geeigneten Spender zu finden. Die Seelen beider, des Spenders und des Patienten, müssen dafür nämlich im Einklang sein und das ist nicht oft der Fall. Aber ich fürchte, daß Isis recht hat und wir keine Wahl haben.“
 

„Es gefällt mir auch nicht, Siamun, wirklich nicht, aber seine Überlebenschancen können wir mit dieser Behandlung nur verbessern und wir müssen alles tun, um den Pharao am Leben zu erhalten.“ Isis raschelte erneut mit Stoff. „Zuerst muß ich den Pharao kühlen, dann suche ich nach einem Spender.“
 

Heba blieb ruhig sitzen, unberührt von der emsigen Geschäftigkeit um das Bett herum, und lauschte auf das leise Plätschern von Wasser und Isis’ geflüsterte Befehle, die ihre Diener wortlos ausführten. Ein Spender... Zwei Seelen im Einklang... Vielleicht... Wenn sie einander so sehr liebten, bedeutete das nicht, daß ihre Seelen im Einklang sein mußten? „Isis? Ich würde Atem gerne meine Energie geben. Ich meine, wenn ich dafür in Frage komme“, sagte er schließlich als er merkte, daß die Heiler vorerst fertig waren.
 

„Prinz Heba! Das würde der Pharao sicher nicht gutheißen!“ Isis klang überrascht und verwirrt.
 

„Darum geht es nicht, Isis. Bitte? Bin ich dafür geeignet?“ Er spürte, daß sie noch immer zögerte und er konnte ihr keinen Vorwurf machen. Atem hatte nur zu deutlich gemacht, daß Heba unter gar keinen Umständen etwas zustoßen dürfte. „Atem hat sich immer um mich gekümmert und sich um mich gesorgt. Ich kann nicht zulassen, daß er... Ich liebe ihn, Isis! Wenn der Preis, daß er gesund und glücklich wäre, mein Leben wäre, ich würde es ihm mit Freuden schenken.“
 

„Isis, untersuch den Jungen.“
 

„Siamun!“
 

„Er gibt doch nur etwas Energie ab und wird sich eine Weile müde fühlen. Schließ ihn nicht von vornherein aus“, redete Siamun Isis ins Gewissen.
 

„Na gut“, gab Isis schließlich nach. „Aber auf Eure Verantwortung.“ Sie kam zu Heba und legte ihm eine Hand auf die Stirn. „Hmmm...“
 

„Ist das gut oder schlecht?“ Heba rutschte nervös hin und her, während seine Stirn seltsam kribbelte.
 

„Schlecht für mich, also gut für Euch“, erwiderte Isis, aber sie konnte den leisen Humor in ihrer Stimme nicht verstecken. „Legt Euch neben den Pharao, Prinz, ich muß nur kurz ein Messer holen.“
 

Heba fragte lieber nicht nach, wozu das Messer dienen sollte. Er hatte auch so eine gute Vorstellung, denn Blut spielte bei genug Zaubern eine wichtige Rolle. Soweit er wußte, konnten Atem und die Priester durch die Macht der Millenniumsartefakte bei vielen Zaubern auf Blut verzichten, aber einige ließen sich dennoch nicht ohne diese Zutat wirken.
 

Heba streifte seine Sandalen ab und legte sich neben Atem auf das Bett. Instinktiv suchte seine Hand die von Atem, um sie zu nehmen und leicht zu drücken. „Ich helfe dir“, wisperte Heba. „Halte aus.“
 

Siamun mußte indessen unbemerkt ans Bett getreten sein, denn als er sprach, kam seine Stimme von einem Punkt nahe bei Heba. „Du bist ein guter Junge, Heba“, sagte er leise. „Weißt du, du erinnerst mich an meine jüngste Tochter. Sie hatte auch ein Herz aus Gold und konnte niemanden leiden sehen.“
 

Bevor Heba darauf etwas antworten konnte, war Isis bereits wieder zurückgekommen und scheuchte Siamun und die Diener aus dem Raum. Aber dann gab es nicht viel, was man auf so ein Gefühlsgeständnis antworten konnte, fand Heba. Statt dessen hielt er Atems heiße Hand in seiner linken und wartete bis Isis soweit war.
 

„Es tut mir leid, aber das wird etwas wehtun“, erklärte Isis leise, dann machte sie schnell einen kleinen Schnitt in Hebas linken Unterarm.
 

Heba biß sich auf die Lippen, als der Schmerz durch seinen Körper zuckte, aber er machte keinen Laut.
 

Kurz darauf gab Atem ein gequältes Stöhnen von sich. Isis trennte die verschränkten Hände der beiden Männer und preßte die Wunden aufeinander, während sie den Zauberspruch wirkte. „Der Zauber sei“, endete sie schließlich und ließ die beiden Arme los.
 

Heba bemerkte sofort, daß etwas anders war. Erneut faßte er Atems Hand und er spürte ein Prickeln, so als wäre sein Arm eingeschlafen, nur viel angenehmer und wärmer. Gleichzeitig wurde ihm schwindelig und er fühlte sich erschöpft. Es mochte nur seine Einbildung sein, aber er glaubte, er könnte Atem spüren. Nicht nur Atems Haut oder das verschmierte Blut, sondern das, was Atem ausmachte: Seine Seele. Es war ein berauschendes Gefühl, zu wissen, daß er Atem so nah war, daß er dessen Seele mit der Energie seiner eigenen nährte. ‚Du wirst wieder ganz gesund, Atem,’ dachte Heba. ‚Du mußt mich doch auch fühlen, also komm zu mir zurück, mein Liebster.’
 

Als Heba wieder zu sich kam, lag er in eine warme Decke gehüllt auf einer Liege, wie er nach kurzem Tasten feststellte. Vorsichtig setzte er sich auf, denn er fühlte sich, als hätte er einen Lauf von Marathon nach Athen gemacht. „Atem?“ fragte er leise.
 

Zuerst war es still, dann hörte er leise Schritte. „Heba, du bist wach?“
 

Heba erkannte Manas besorgte Stimme und erwiderte: „Ja. Wie geht es Atem? Ich möchte bei ihm sein.“
 

„Du bist ja noch im Schlafzimmer“, erklärte Mana. „Atem geht es noch unverändert, aber solange sein Zustand sich nicht verschlechtert, ist das ein gutes Zeichen. Wir haben dich auf die Liege gelegt, weil...“ Sie verstummte.
 

„Weil was?“
 

Mana klang peinlich berührt und rückte näher zu ihm, um es ihm direkt ins Ohr zu flüstern. „Er hat Durchfall gekriegt.“
 

Heba atmete einmal ein und aus und kräuselte seine Nase. „Erklärt den Geruch. Was ist mit dem Fieber?“
 

„Es ist nicht gestiegen, aber auch nicht runtergegangen. Im Moment kann ich noch nicht sagen, wie es weitergeht.“ Mana streichelte kurz über Hebas Rücken. „Ruh dich noch etwas aus. Falls noch eine Energieübertragung nötig ist...“
 

„Du hast recht.“ Heba legte sich wieder hin. Er war noch immer besorgt, aber offenbar hatte seine Energie Atem nicht geschadet. Wenn er nur mehr tun könnte... Aber Heba hatte das untrügliche Gefühl, daß Atem diesen Kampf alleine austragen mußte.
 

Drei Stunden später wurde er von Isis geweckt. Nachdem sie ihm praktisch Essen und Trinken aufgezwungen hatte, übertrug sie erneut einen Teil seiner Energie auf Atem. Danach hatte Heba das Gefühl, drei Tage lang bequem durchschlafen zu können. Das war aber nicht möglich, denn die nächsten fünf Tage wurde er regelmäßig geweckt, um zu essen, zu trinken und für die Energieübertragungen.

Isis war mehrmals nahe daran, Heba nicht mehr als Spender einzusetzen, aber er überzeugte sie jedes Mal stur davon, ihn weitermachen zu lassen. Schließlich konnte es ihm kaum schlechter gehen als Atem.

Dennoch blieb Isis besorgt und flößte Heba bei jeder sich bietenden Gelegenheit einen ihrer Stärkungstränke ein und meckerte, daß Heba mehr essen solle, er würde viel zu dünn werden.

Heba glaubte ihr anfangs nicht, aber am sechsten Tag mußte er feststellen, daß sie nicht unrecht hatte. Er konnte seine Rippen viel deutlicher fühlen als vor Atems Krankheit, seine sonst runden Wangen waren eingefallen und er lag nur noch ständig auf der Liege und lauschte auf Atems gequältes Atemgeräusch, da ihn jede Bewegung nur noch mehr zu erschöpfen schien. Dennoch konnte er nicht aufhören. Mit jedem Tag ging es Atem ein kleines bißchen besser und das war es ihm wert. Außerdem hatte er das Gefühl, daß nach jeder Energieübertragung nicht nur Atem einen Teil von ihm bekam, sondern daß auch er einen Teil Atems erhielt.
 

Atem derweil kämpfte um sein Leben. Er fantasierte wirres Zeug zusammen und erkannte in seinem Delirium niemanden, noch nicht einmal Heba. Seine Haut trocknete durch den Flüssigkeitsverlust bedenklich aus und Diener mußten ihn regelmäßig säubern und einölen.

Nachts weckten Atems Schreie Heba und dem zerriß es jedes Mal das Herz, wenn er hörte, wie Atem nach seinen Eltern und Nefertiti rief.

Am achten Tag erklärte Isis, daß der Pharao das Schlimmste überstanden hatte. Der Durchfall war abgeklungen und das Fieber war ein gutes Stück gesunken. Die roten Male begannen zu verblassen und wo sie gewesen waren, schälte sich die zerstörte Haut.
 

Heba mußte jetzt keine Energie mehr übertragen, da laut Isis Atem den Rest von nun an alleine schaffen konnte. Sie hatte Heba danach auch untersucht und gesagt: „Der Pharao wird mich hinrichten lassen, wenn er Euch in so schlechtem Zustand sieht.“
 

„Das wird er nicht“, hatte Heba geantwortet und gelächelt. „Ich verspreche, ich tue alles, was du sagst, um schnell wieder zu Kräften zu kommen und wieder zuzunehmen.“
 

Inzwischen war es der elfte Tag. Heba konnte hören wie draußen die Vögel zu zwitschern begannen, was bedeutete, daß die Sonne bald aufgehen würde. Er war allein mit Atem im Schlafgemach, jetzt, wo Atem keine Daueraufsicht durch einen Heiler mehr brauchte. Immer wieder kontrollierte Heba das nasse Tuch, das auf Atems Stirn lag und befeuchtete es regelmäßig neu.

Heba fühlte sich inzwischen wieder etwas kräftiger. Er hatte fast einen ganzen Tag geschlafen und jetzt konnte er es keine vier Stunden aushalten, ohne daß ihm der Magen knurrte. Isis hatte erleichtert erklärt, Heba würde bald wieder zu alter Kraft und sicher auch altem Gewicht zurückgefunden haben.

Mit einem Finger streichelte er über Atems Brustkorb und bemerkte, daß Atem noch mehr abgenommen hatte als er selbst. „Mein armer Liebster“, wisperte Heba. Er lächelte dennoch, denn Atem würde leben.
 

Der Mann, mit dem Heba drei Jahre lang zusammen gewesen war, würde leben. Waren es wirklich schon drei Jahre? Es war nichts im Vergleich zu dreißig Jahren, aber trotzdem war es für Heba viel Zeit. Nachdenklich streichelte er durch Atems wirres, warmes Haar. So viele Dinge hatten sie in den drei Jahren nicht angesprochen oder hatten sie aus irgendwelchen Gründen aufgeschoben. Heba bereute, über viele Dinge geschwiegen zu haben oder sie erst so spät gesagt zu haben. Atem ging es sicher nicht anders.

Heba nahm sich vor, während er auf Atems gleichmäßiges Atemgeräusch lauschte, in Zukunft nicht mehr soviel zu schweigen. Es gab noch so vieles, das er Atem sagen und so vieles, was er aus Atems Mund hören wollte.
 

Heba liebte Atems Stimme, das hatte er schon immer gewußt, und nach den langen Tagen, in denen Atem kaum etwas gesagt hatte, vermißte er den vertrauten Klang und die Wärme, die sie in seinem Bauch auslöste. Er wußte nicht, ob andere Menschen ähnlich fühlten wie er, aber für ihn lag alles, was Atem ausmachte, in dessen Stimme. Augen, sagten manche, seien die Spiegel der Seele. Heba wußte nicht, ob das stimmte. Für ihn lag die Seele eines Menschen in dessen Stimme.

Und Atem hatte eine Stimme, derer Heba niemals müde wurde, der er ständig zuhören könnte. Atem hatte damals, als Heba gerade aus Harda gekommen war, einmal gesagt, daß er sich vor Heba nicht verstecken könne.

Wahrscheinlich, dachte Heba, weil er nicht durch eine falsche Mimik oder Lügen abgelenkt wurde. Er konzentrierte sich auf den reinen Klang einer Stimme, nicht nur auf die gesprochenen Worte, und so hatte er im Laufe der Jahre gelernt, die wahren Gefühle der Menschen aus ihren Stimmen zu filtern. Dennoch ließ er es sich nur selten anmerken, daß er sie recht gut durchschaute.

Damals... Sie waren weit gekommen seit jenem Tag in Hebas früherem Schlafzimmer. Manchmal konnte Heba selbst nicht glauben, daß er sich verliebt hatte und doch mußte er nur jedes Mal an Atem denken und ihm wurde ganz warm ums Herz und er mußte einfach lächeln. Trotzdem war es anfangs schwer gewesen. Heba war hin- und hergerissen gewesen, ob er diesen Gefühlen nachgeben sollte. Zum einen hatte er es mehr als alles andere auf der Welt gewollt, zum anderen hatte er gefürchtet, daß er nicht gut genug sein könnte. Inzwischen kamen ihm seine damaligen Gefühle etwas albern vor.

Heba hatte sich weiterentwickelt und hier und jetzt konnte er die immense Scheu, die er am Anfang ihrer Beziehung gefühlt hatte, nicht mehr spüren. Nicht bei Atem, nicht, wenn Atem ihm Dinge ins Ohr flüsterte, die Heba zwar erröten ließen, aber ihm gleichzeitig so sehr gefielen.

Heba seufzte. Eine Sache aber gefiel ihm schon seit einer Weile nicht, aber er wußte einfach nicht, wie er es ansprechen sollte...
 

Heba wurde plötzlich bewußt, daß ihn jemand ansah und das sicher schon eine Weile. Er war so in seine Gedanken versunken gewesen, daß er das gar nicht gemerkt hatte. Er wandte das Gesicht zu Atem und streckte vorsichtig eine Hand nach diesem aus.
 

„Heba...“ Atems Stimme klang rauh, nachdem er sie so lange kaum benutzt hatte. Er hustete.
 

„Ich bin hier, Atem“, erwiderte Heba. „Warte, ich gebe dir etwas Wasser.“ Er drehte sich zu seinem Nachttisch und tauchte einen Becher in die dort stehende Wasserschüssel. Den tropfnassen Becher hielt er dann vor Atems Gesicht.
 

Atem nahm ihm den Becher ab und leerte ihn in wenigen Zügen, um ihn dann auf den eigenen Nachttisch zu stellen. „Danke“, sagte er. Er nahm mit einer Hand Hebas und zog leicht daran. „Komm näher, mein Kleiner. Was ist passiert?“
 

Heba rutschte nahe an Atem und drückte dessen Hand. „Du hattest das Nervenfieber“, erklärte er. „Wie fühlst du dich?“
 

„Wie nach einer langanhaltenden Dürre.“
 

„Willst du noch mehr Wasser?“
 

„Gleich.“ Atem streichelte über Hebas Wangen. „Warst du auch krank? Du bist ja so abgemagert.“
 

Heba konnte das Stirnrunzeln praktisch hören. „Nein. Ich bin nur noch etwas ausgelaugt wegen der Energieübertrag...“ Weiter kam er nicht, denn Atem unterbrach ihn mit hartem Ton.
 

„Wer hat das veranlaßt?“ Atem setzte sich auf und Heba konnte fühlen, wie Atem ihn genau begutachtete.
 

„Ich wollte es“, antwortete Heba beinahe trotzig. „Ich war besorgt. Es stand nicht gut um dich und...“
 

„Isis“, zischte Atem. „Sie wußte ganz genau, daß ich ihr so etwas verboten habe und sie hat es trotzdem getan.“ Er schien Heba in seiner Wut überhaupt nicht gehört zu haben.
 

Heba setzte sich auch auf und ergriff Atems zitternde Schultern. „Ich war geeignet und ich habe sie überzeugt, mich als Spender zu benutzen. Bitte beruhige dich wieder, du bist noch nicht wieder völlig gesund“, erklärte er ernst.
 

„Sie hätte das nicht tun sollen...“ Atem ließ sich von Heba wieder zurück aufs Bett ziehen, wo er plötzlich beide Arme um Hebas Nacken schlang und sich nahe an diesen preßte. „Sie hätte nicht... Nicht auch noch dich... Bitte... bleib hier.“
 

Heba brach es das Herz als er die Verzweiflung und Trauer in Atems Stimme hörte und er umarmte Atem fest. „Ich bleibe bei dir, versprochen“, flüsterte er. Seine Lippen glitten über Atems fiebrige Stirn und er begann ein Lied zu summen, das ihm seine Mutter immer früher vorgesungen hatte, wenn er traurig gewesen war. Er wußte nicht, was er sonst tun sollte. Er summte, bis er ebenso sehr weinte wie Atem und er nicht mehr weitermachen konnte.

Atem wurde schließlich ruhiger in Hebas Armen und sein Schluchzen ließ nach. Fahrig streichelte er über Hebas Rücken bis seine heißen Hände Hebas Po sanft massierten.
 

Heba lächelte unter Tränen und entspannte sich. „Du bleibst auch hier.“ Er küßte Atem sanft auf die Lippen. Als er sich aber zurückziehen wollte, küßte ihn Atem und es war kein sanfter Kuß, sondern ein fast schon grober, so voller Leidenschaft war er.
 

Atem riß an Hebas Schendit und wisperte: „Mach das ab!“
 

Heba wich erschrocken ein Stück zurück und schüttelte vehement den Kopf. „Nein! Du brauchst Ruhe!“ mahnte er streng. „Du bist gerade erst aufgewacht und mußt jede Anstrengung vermeiden.“
 

„Was ich im Sinne habe, ist nicht anstrengend. Ich will dich nur fühlen und schmecken. Mein Kleiner, ich will dich verwöhnen und dann gehe ich brav wieder schlafen, versprochen!“ Atems Stimme war verführerisch und ließ Schmetterlinge in Hebas Bauch tanzen.
 

Dennoch wußte Heba, daß er hart bleiben mußte und... Er stöhnte. Ganz falsche Ausdrucksweise! „Atem, bitte! Du kannst nach elf Tagen nicht so dermaßen ausgehungert sein, daß du mich gleich nach dem Aufwachen aus deinem Delirium unbedingt gleich wieder verführen mußt.“
 

„Elf Tage?“ Atem klang überrascht. „Kein Wunder, daß ich mich so fühle, als hätte mich ein Esel überrannt.“ Dann schmiegte er sich wieder nah an Heba. „Elf Tage sind doch sehr lang, mein Kleiner, sollte ich mich da nicht gut um dich kümmern? Als Belohnung, für das, was du getan hast für mich?“
 

„Ich glaube, du fantasierst noch immer.“ Heba schob Atem sanft, aber bestimmt ein Stück von sich fort.
 

„Mein süßer Heba, mein wunderschöner Kleiner...“, bettelte Atem weinerlich.
 

Heba war sich jetzt völlig sicher, daß das Fieber aus Atem sprach. „Du kannst mir noch soviel Honig ums Maul schmieren, das ändert meine Meinung nicht. Ich bleibe standhaft.“ Und schon wieder war ihm eine völlig mißglückte Formulierung in dieser Situation entschlüpft!
 

„Ack!“ Atems Frustration kam nun deutlich zum Vorschein. „Ich lebe, verdammt! Du lebst auch. Warum sollen wir nicht wenigstens ein bißchen Spaß haben? Ich werde jetzt kaum mehr sterben, ich werde nur etwas müde sein...“
 

Irgendwie kam das Heba doch sehr bekannt vor und er dachte daran, wie lange er platt und erschöpft auf der Liege gelegen hatte. „Mein Liebster, bitte sei...“
 

„Ich bin vernünftig“, fauchte Atem. „Vernünftig genug zu sehen, daß wir beide leben. Begreifst du nicht, was das heißt?“
 

Heba tat Atem den Gefallen und dachte über dessen Worte nach. „Ich begreife, daß wir noch viel Zeit haben.“
 

„Vielleicht“, antwortete Atem ruhiger. „Vielleicht auch nicht.“ Er küßte Hebas Lippen sanfter als zuvor und streichelte mit einer Hand über dessen Oberschenkel. „Die Wahrheit ist, daß wir das nicht wissen, Heba. Wir können fünfzig Jahre haben, aber auch viel weniger. Wir könnten genauso gut unsere Zeit auch nur verschwenden, während wir auf morgen warten, also will ich dich jetzt.“
 

Heba zögerte noch einen Moment, aber dann gab er mit einem Nicken nach. Wenn es Atem so wichtig war, dann würde er ihn nicht hindern. Es konnte Atem nur guttun und seine Alpträume lindern. Heba dachte daran, daß noch lange nicht alles in Ordnung war, nur weil Atem den schlimmsten Teil der Krankheit überstanden hatte. Bald genug würde Atem sich erneut der furchtbaren Wahrheit stellen müssen, Nefertiti verloren zu haben. Oder stellte er sich dieser Wahrheit gerade?

Hebas Gedanken zerstreuten sich wie Sandkörner im Wind, als Atem sich über ihn rollte. Atems Lippen bewegten sich sanft gegen Hebas. Der Kuß war lang und Atem nahm sich alle Zeit, um sich wieder mit Hebas Mund vertraut zu machen.

Heba stöhnte unwillkürlich auf als Atems Finger Spuren wie aus Feuer über seine Haut zogen. Zuerst über Hebas Rücken, dann über Po und Schenkel. Heba preßte sich mit einem leisen Wimmern gegen Atem, der beide Hände auf Hebas brennende Wangen legte und ihn erneut leidenschaftlich küßte.

Hebas Hände streichelten, unruhig geworden, über Atems Rücken, spürten die Muskeln, die sich unter der teilweise noch rissigen Haut bewegten. Sie glitten tiefer, suchten nach der kleinen Stelle über Atems rechter Hüfte, die Atem nur durch eine Berührung vor Lust vergehen lassen konnte. Besser war es aber, wenn Heba darüber leckte. Heba liebte die Geräusche, die Atem dann machte, über alles.
 

Atem schien Hebas Absicht zu erkennen, denn er fing Hebas Hand ab, der daraufhin leise protestierte. „Nicht jetzt“, sagte er sanft. „Ich will dich verwöhnen, schon vergessen?“
 

„Ich will aber!“ Heba wußte, er klang kindisch.
 

Atem gab Heba einen tröstenden Kuß. „Später“, versprach er verheißungsvoll. „Ich habe ein paar Ideen.“ Damit glitten Atems Lippen und Zunge über Hebas Hals und hinterließen ein warmes Gefühl, das Hebas Herzschlag beschleunigte. Atems Zunge malte kleine Kreise auf salzige Haut und weiche Lippen wanderten zu einem Ohrläppchen.
 

Heba glaubte, Sterne zu sehen als sein Ohrläppchen in die feuchte Hitze von Atems Mund gesogen wurde, nur um dann sanft beknabbert zu werden. Er wand sich und klammerte sich wie ein Ertrinkender an Atem fest. Er genoß das Gefühl ihrer aneinanderreibenden Haut und fühlte, wie sein Schwanz unter dem Schendit sich langsam verhärtete. Ein langes, kräftiges Bein glitt zwischen Hebas Schenkel und Heba wurde von Hitze überflutet. „Atem“, keuchte er in seiner Lust.

Atem lachte leise, erregt, und ließ von Hebas erhitzten Ohren ab, um seine Erkundung von Hebas Körper fortzusetzen. Seine Hände fuhren über Hebas Seiten, kitzelten und streichelten, bis Heba atemlos war und nicht mehr wußte, wo oben oder unten war.

Heba tastete nach Atems Wangen, fuhr die hohen Wangenknochen nach und hauchte einen Kuß auf Atems Lippen, nur um dann mit seiner Zunge deren Konturen nachzufahren. Er merkte, wie Atems Hände kurz innehielten, bevor sie nach oben streichelten.

Atem öffnete seinen Mund und stupste mit seiner Zunge Hebas an, streichelte sie so, bis beide Münder in einem leidenschaftlichen Kuß aufeinandertrafen. Atem nahm eine von Hebas Knospen zwischen Daumen und Zeigefinger, um sie leicht dazwischen zu rollen.

Heba stöhnte erstickt. Sein prickelndes Bein rieb sich an Atems bis der vor Verlangen knurrte und Hebas Schendit aufknotete, um ihn von Hebas Hüften zu streifen. Er selbst war, wie Heba wußte, nackt.
 

Beide Männer gaben Laute des Wohlgefallens von sich als sie einander endlich wieder ganz fühlen konnten. Atem legte für einen Moment seinen Kopf auf Hebas Schulter und streichelte zärtlich über Hebas Gänsehaut. „Du hast mich auch vermisst“, wisperte er zufrieden, liebevoll, und bewegte seinen Unterleib leicht bis Heba, dessen Schaft auf diese Weise an Atems Bauch rieb, zustimmend stöhnte.

Atem küßte Hebas Hals und Brust, umkreiste mit seiner Zunge jede Knospe einmal, und verteilte dann lauter Küsse auf Hebas Bauch.

Heba spannte sich unwillkürlich an und seine Muskeln zuckten unter Atems Lippen. Dann schrie er, als sich feuchte Hitze um seinen vor Verlangen schmerzenden Schwanz schloß und etwas langes, gelenkiges an diesem rieb. Bunte Lichter durchdrangen Hebas Finsternis und tanzten vor seinem inneren Auge, während sein Körper vor Hitze und Prickeln und Wundervoll bebte.

„Mmm, das gefällt dir“, flüsterte Atem mit warmer, tiefer Stimme, die Heba vor Anspannung dazu brachte, die Hände in die Laken zu krallen.
 

Warme Luft liebkoste Hebas Schwanz, dann glitt Atems Zunge fast schon zu sacht über das harte Fleisch. Heba gab ein jammerndes Stöhnen von sich und er kniff die Augen zu. Die Hitze in seinem Bauch vervielfältigte sich, um sich zu einem wunderbar schmerzenden Ball unter dem Bauchnabel zusammenzuziehen.

Atem kreiste mit seiner Zunge mehrmals um Hebas Spitze und murmelte leise Worte, die sein Wohlgefallen ausdrückten. Langsam, fast schon lässig, verwöhnte er Heba, bis der vor Vergnügen kaum noch ein und aus wußte. Atems Zunge fuhr kurz unter die Vorhaut, dann schlossen sich erneut heiße Lippen um Hebas Schaft und ein kräftiges Saugen ließ den Ball unter Hebas Bauchnabel platzen.

Keuchend und kraftlos genoß Heba, wie alle Spannung aus seinem Körper floß, während die Lichter vor seinem geistigen Auge umso heller strahlten. Wellen des absoluten Vergnügens durchliefen ihn, noch verstärkt dadurch, daß Atem nicht aufhörte zu saugen.

Heba brauchte einen Moment, um sich soweit zu sammeln, daß er trotz der Behaglichkeit, die sein Gehirn einlullte, wieder etwas sagen konnte. „Wundervoll“, murmelte er geschafft.
 

„Das ist gut.“ Atem leckte genüßlich über Hebas erschlaffenden Penis und küßte zart die Spitze.
 

Heba wand sich und versuchte, Atems weiteren Liebkosungen zu entkommen. „N-nicht. Zu... viel...“ So sanft sie auch waren, nach einem Höhepunkt konnte er keine weiteren Berührungen an seinem Glied ertragen. Es war ihm unangenehm und machte ihn verrückt und... „Oh!“ Heba warf den Kopf zurück als Atems Zunge über die bloße Haut der Hoden glitt.
 

„Ich habe doch gesagt, ich habe noch Ideen“, wisperte Atem und eine Hand streichelte nach oben, um Hebas Knospen zu liebkosen. Dann rutschte er nach oben und nahm Hebas linke Knospe zwischen den Lippen, um sacht daran zu saugen.
 

„Was... hast du vor?“ keuchte Heba. Wie konnte Atem in seinem Zustand nur soviel Energie aufbringen? Er hätte fast gelacht. Natürlich! Seine eigene Energie war es, die Atem antrieb. Außerdem war Atem bis jetzt noch nicht gekommen. Dennoch kamen ihm Zweifel, ob sie das Richtige taten. Atem schien an nichts anderes denken zu wollen als an sie beide. Heba glaubte nicht, daß das gesund war, aber aufhalten konnte er Atem nicht. Nein, viel passender war, daß er Atem nicht aufhalten wollte, weil er selbst auch nicht darüber nachdenken wollte, denn es tat einfach zu weh. War es so falsch, vor der Welt für ein paar Minuten fliehen zu wollen?
 

„Mein Wunsch ist gerade erfüllt worden“, wisperte Atem, bevor er aufreizend über Hebas Knospen leckte. „Jetzt erfülle ich dir deinen.“
 

Heißes Verlangen zuckte durch Hebas Leib. Er begriff sofort, was Atem meinte. Die eine Sache, für die sich Heba noch etwas Zeit erbeten hatte. „B-bist du dir sicher?“ wisperte Heba. „Ich will dir nicht wehtun...“
 

„Ich bin mir sicher.“ Atem streichelte zärtlich durch Hebas Haar. „Ich wollte das nie zuvor so sehr wie mit dir erleben.“
 

Heba lächelte und zog Atem näher, bis er ihm ins Ohr flüstern konnte: „Dann... In Ordnung!“ Er küßte Atem, als er laute Stimmen vor der Tür hörte.
 

„Mist!“ Atem, der sie auch gehört hatte, löste sich von Heba.
 

„Das ist sicher Isis! Wo ist die Decke?“ Aufgeregt tastete Heba nach ihr, um ihrer beider Zustand zu verhüllen. Dann fühlte er einen Luftzug und wie sich das feine Gewebe angenehm über ihn legte.
 

„Hier“, wisperte Atem kurz und küßte Hebas Schläfe.
 

Heba drückte Atems Hand dankbar, da ging auch schon geräuschvoll die Tür auf.
 

„Isis, ich würde es wirklich schätzen, wenn du Hebas und meine Privatsphäre nicht unangemeldet stören würdest“, knurrte Atem und verschränkte unter der Decke seine Finger mit Hebas.
 

„Ich schließe mich an“, erklärte Heba peinlich berührt.
 

„Den Göttern sei Dank, Ihr seid aufgewacht, Pharao! Verzeiht mein ungebührliches Benehmen, Hoheiten, aber die Diener hatten besorgniserregende Geräusche gehört und...“
 

Heba spürte wie Atem von stillem Lachen geschüttelt wurde. Er hob eine Hand vors Gesicht, um seine Röte zu kaschieren. Die Diener hatten gehört, wie er... Am liebsten wäre er in das nächste Mauseloch gekrochen.
 

„Pharao?“ Isis klang besorgt. „Habt Ihr Schmerzen?“
 

„Nein“, erwiderte Atem wieder ernst. „Es geht mir... nicht perfekt, aber gut genug. Dafür wünsche ich von dir eine Erklärung darüber.“ Ein Finger stach zwischen Hebas hervorstechende Rippen.
 

„Pharao, ich mußte Euch am Leben und ihn gesund erhalten. Ein gewisser Gewichtsverlust ist bei euch beiden normal. Prinz Heba erholt sich bereits gut und wenn Ihr genügend eßt, werdet Ihr auch in Bälde wieder völlig hergestellt sein“, versuchte Isis mit ruhiger Stimme Atems aufgewühlte Emotionen zu beruhigen.
 

„Es war nicht deine Entscheidung, Isis!“ ermahnte Atem sie mit kalter Stimme.
 

„Das stimmt. Es war meine“, mischte Heba sich, plötzlich frustriert, ein. Er konnte spüren wie zwei verwunderte Augenpaare ihn ansahen. Er löste seine Hand von Atems und verschränkte die Arme vor der Brust.
 

„Heba...“
 

„Nein, Atem!“
 

„Ich... sollte jetzt besser gehen“, war Isis' peinlich berührte Antwort, bevor sie das Zimmer hastig verließ.
 

Heba war ihr dankbar dafür. Er mußte diese Dinge einmal aussprechen, aber sie waren für Atem allein bestimmt. „Aber vielleicht bin ich ja auch zu dumm und zu unwissend und viel zu unreif, um zu wissen, was ich will oder welche Risiken ich auf mich nehmen kann“, fuhr er fort, sobald Isis die Tür hinter sich geschlossen hatte.
 

„Was bitte meinst du damit?“ erkundigte Atem sich ehrlich verwirrt.
 

„Genau das, was ich gesagt habe. Du hast einmal gesagt, du würdest mich nie behandeln, als wäre ich blöd, aber genau das tust du.“ Heba hatte Mühe nicht in Tränen auszubrechen, aber er blieb stark. Auch sein Gewissen, das ihm zuflüsterte, daß er das Atem nicht ausgerechnet jetzt sagen sollte, ignorierte er. Sie mußten reden oder Heba würde, so glaubte er, vor Wut aus allen Nähten platzen.

„Du gibst mir eine Stelle als dein Berater, erzählst mir, daß ich ein guter König sein würde, aber du traust mir nicht mal zu, eine Entscheidung zu treffen, die nur uns beide betrifft. Du konntest keine treffen, Atem, du warst schwer krank und bewußtlos und wenn du doch einmal die Augen geöffnet hast, hast du niemanden erkannt. Du warst nicht in der Lage, etwas zu sagen, also mußte ich handeln.“ Heba krallte seine Finger in die Decke. „Vertraust du mir nicht, Atem? Vertraust du mir nicht, daß ich die richtige Entscheidung treffen kann, wenn du einmal nicht da bist? Oder bin ich für dich doch nur ein blinder Idiot, den du dauernd an der Hand führen mußt?“
 

„Heba, du...“
 

Heba schnitt dem in die Ecke gedrängten Atem das Wort ab. „Ich bin noch nicht fertig! Ich kann verstehen, daß du dich um meine Sicherheit sorgst, aber du hättest auch mal meine Gefühle bedenken sollen, als du mir gegen meinen Willen einen Leibwächter aufgezwungen hast. Und jetzt argumentiere bitte nicht, daß es schließlich Marilita sei, denn du konntest nicht wissen, daß sie zu den Bewerbern gehören würde. Ich bin kein Kind mehr und ich kann mich verteidigen, auch wenn ich es nur sehr ungern tue. Aber ich habe von dir gelernt, daß es wichtig ist, für sich selbst einzustehen, weil man nur dann erst auch für andere einstehen kann. Ich bin nicht zu stolz, um Hilfe zu bitten, wenn ich sie brauche, Atem, aber du denkst, ich bräuchte deine Hilfe immer und das ist einfach nicht wahr. Ich will nicht hilflos sein, aber durch dein Verhalten fühle ich mich genau so.“

Heba schluchzte. „Ich hasse es, dir all das zu diesem Zeitpunkt zu sagen, aber ich... ich kann nicht mehr! Ich liebe dich, aber ich... ich mußte es einfach sagen!“
 

„Ich liebe dich auch, Heba“, war Atems geschockte Antwort.
 

Heba konnte sich direkt vorstellen, wie verwirrt Atem aussehen mußte. Nicht, daß er es Atem verdenken konnte. Er hätte bereits viel früher etwas sagen sollen. Unschuldig war er an der aktuellen Situation nicht.
 

Atem holte mehrmals vernehmlich Luft, als er wohl versuchte, Hebas Ansprache zu ordnen und vor allem zu begreifen. „Und was ist mit meinen Gefühlen?“
 

Heba entging weder der beleidigte Unterton noch der Schmerz, den Atem so zu kaschieren suchte. Er machte eine auffordernde Geste, um Atem zu sagen, daß er jetzt am Zug war.
 

„Kannst du dir vorstellen wie es ist, wenn du jemanden liebst und dann findest du diese Person schwer verwundet vor? Samaya hätte dich töten können! Kannst du nicht verstehen, daß ich dich schützen wollte?“ Atems Stimme klang, als würde sie gleich brechen.
 

Heba schloß die Augen. Das war hart und es tat weh, aber sie mußten da durch. „Kein Leibwächter konnte meine Eltern schützen“, preßte er hervor und leckte über seine kalten Lippen. „Ganz im Gegenteil! Es war einer von ihnen, der sie... Es gibt keinen absoluten Garant für Sicherheit, Atem. Niemals! Du glaubst, du müßtest mich beschützen, aber damit machst du mich nur klein und das will ich nicht sein. Willst du mich als deinen Partner, Atem, oder dein Kind?“
 

Langes Schweigen war die Antwort und Heba wurde nervös. Hatte er etwas Falsches gesagt oder sich im Ton vergriffen? Er zitterte und ihm wurde schrecklich kalt. Er wollte nicht mit Atem streiten! Dann spürte Heba, wie die Matratze sich bewegte und ein unglaublich warmes Paar Arme schlang sich um seinen Oberkörper.
 

„Ich will dich als meinen Partner. Ich vertraue dir, Heba, aus tiefster Seele, aber... ich kann diese schreckliche Angst nicht bezwingen, daß ich dich verlieren könnte, wenn ich nicht gut auf dich aufpassen.“ Atem vergrub sein Gesicht in Hebas Haar. „Ich bin dir so dankbar.“
 

„Du wirst mich nicht verlieren, niemals!“ Heba hob eine zittrige Hand und streichelte Atems Nacken. „Hab keine Angst, mein Liebster.“
 

„Aber wie soll ich sie besiegen?“ Atems Stimme vibrierte angenehm in Hebas Schädel.
 

„Laß sie einfach los.“
 

„Loslassen?“ Atem konnte seinen Unglauben nicht verbergen.
 

„Ja, loslassen“, wiederholte Heba sanft und lächelte. „Wenn du sie losläßt, hat sie keine Macht mehr über dich. Sie wird nur deshalb nicht vom Wind fortgeweht, weil du sie festhältst.“
 

„Das klappt wirklich?“ Es war jetzt nicht mehr Unglaube, sondern Hoffnung, was in Atems Stimme mitschwang.
 

„Ich habe viele Dinge in den letzten Jahren losgelassen. Nur deshalb konnte ich die Zeit mit dir auch genießen. Meinst du, ich hätte mich dir damals in unserer ersten Nacht hingeben können, wenn ich nicht wenigstens einen Teil meiner Angst losgelassen hätte?“ Heba lächelte versonnen, als er an damals zurückdachte. Er konnte sich noch genau an ihre erste Liebesnacht erinnern. Er war nervös gewesen, ja, aber er hatte keine Angst gehabt. Er hatte gewollt, was Atem ihm so freundlich angeboten hatte.
 

Ein warmer Kuß streifte Hebas Schulter. „Dann will ich lernen loszulassen“, versprach Atem leise.
 

Heba drehte sich um und zog nun seinerseits Atem in eine liebevolle Umarmung. „Du hast dein Bestes gegeben. Es ist nicht deine Schuld.“
 

Atem fragte nicht, was Heba meinte, sondern zog Heba nur um so enger an sich. Seine Tränen tropften auf Hebas Gesicht und so blieben sie noch lange sitzen ohne das Bedürfnis, sich zu rühren.
 

***
 

Vier Stunden später erhielt Atem die Nachricht, daß man Tenghe und mehr als ein Dutzend Apophis-Anhänger nahe Harda aufgegriffen hatte als sie versuchten, nach Hatti zu fliehen.

Alle Inhaftierten wurden zurück nach Theben gebracht und in den Kerkern tief unter dem Palast eingeschlossen. Magier mußten rund um die Uhr Teil der Wachmannschaften sein, da die Gefangenen die Kontrolle ihre Sklavenhalsbänder zu brechen versuchten. Tenghe allein mußte jede halbe Stunde überprüft werden, da sie versuchte, ihre Türwächter mit schönen Worten und großzügigen Versprechungen zumindest abzulenken, wenn sie sie so schon nicht auf ihre Seite ziehen konnte.
 

Sobald Atem wieder gesund genug war, begannen die langwierigen Verhöre und Untersuchungen. Die Kultisten waren schnell dabei, weitere ihrer Mitanhänger zu verraten, in der Hoffnung, wenigstens ihr Leben zu retten. Tenghe hingegen saß auf dem Stuhl, an den man sie gekettet hatte, wie eine Königin und spielte Katz’ und Maus mit den Erwählten Priestern. Mal sagte sie die Wahrheit, mal log sie, aber mit den Gründen, warum sie sich dem Apophis-Kult angeschlossen, die Macht in diesem an sich gerissen und Verrat und Mord in ihre eigene Familie gebracht hatte, rückte sie nicht heraus. Dafür konnte sie sich lange und ausgiebig über die ungewaschene Bauernhure auslassen, die die Beine nicht hatte zusammenkneifen können.

Atem, der die Befragungen durch ein Guckloch in einem Nebenzimmer verfolgte, hätte Tenghe mehr als einmal am liebsten an die Wand geklatscht. Siamun hatte ihn in weiser Voraussicht dazu überredet, lieber nicht an Tenghes Verhören teilzunehmen, da sie ihn zu gut kannte und seine Schwächen gnadenlos für sich nutzen würde. Wenn Atem sie so reden hörte, war er froh, daß dicker Stein sie trennte oder er hätte mit Sicherheit etwas getan, das er bereute.

Daß es sich bei dem Mädchen, wegen dem das Ritual gescheitert war, um Nefertiti handelte, wußten nur Isis, Heba und Atem selbst und so sollte es auch bleiben.
 

Natürlich gab es noch einen Mitwisser, eine Tatsache, über die Atem nachts mit vor Salz brennenden Augen endlos nachgrübelte. Den Mann, mit dem Nefertiti das Bett wenigstens einmal geteilt haben mußte und von dem sie ein Kind erwartet hatte. Aber die Untersuchung der Verbrechen und der anstehende Gerichtsprozeß wirbelten bereits soviel Staub auf, daß er nicht wagte, diskrete Nachforschungen über Nefertitis Privatleben anzustellen. Nichts durfte offiziell die Ehre der Königsfamilie beschmutzen und niemand sollte Nefertiti durch den Dreck ziehen.

Derweil zogen sich Tenghes Verhörtage dahin. Mit jedem anstrengenden, ergebnislosen Tag fühlte Atem sich immer entkräfteter, während Tenghe hingegen aufzublühen schien. Schließlich platzte Atem der Kragen. Er beauftragte Set, Tenghe mit dem Millenniumsstab seiner Gedankenkontrolle zu unterwerfen und so an die Informationen zu kommen, die Tenghe ihnen vorenthielt.

Tenghes Schmerzensschreie berührten den letzten Teil in Atems Herz, der noch brüderliche Gefühle für die Kindsmörderin hegte, doch eisern ignorierte Atem sein Innenleben. Mit unbewegter Miene lauschte er dem fast einstündigen Kampf bis Set Tenghes Geist endlich unter Kontrolle gebracht hatte. Erschöpft hing sie, den Kopf gesenkt, in ihren Fesseln.
 

„Wozu hast du dich dem Apophis-Kult angeschlossen?“ fragte Karim streng nach.
 

„Um... um... Zuerst zum Trost wegen Vaters Tod, aber dann...“ Tenghe kämpfte noch immer darum, Set zu entgleiten, aber es gelang ihr nicht. „So viele Möglichkeiten! So viel Macht! Ich war es so leid, zuhause zu sitzen... Kein Teil von mir gehörte noch mir, da waren immer Minnefer oder die Kinder, die ein Stück von mir wollten, bis nichts mehr von mir übrig war. Ich mußte mich befreien.“ Tränen liefen über Tenghes Wangen. „Frei sein, etwas tun! Alles ist so furchtbar, so furchtbar dunkel und... und... das Geschrei geht nicht weg.“ Sie starrte eine Minute schweigend in die Luft. „Nicht weg...“, fügte sie leiser hinzu.
 

Atem war schlecht und er zitterte am ganzen Körper.
 

„Wessen Geschrei?“ Akunadins Stimme verriet seine Anspannung und seine Erschöpfung.
 

„Der Toten! Das Geschrei der Toten!“ Tenghes Kopf schoß hoch und sie sah Akunadin mit einem grausamen Lächeln an. „Du, du hörst es auch! Die Götter werden unsere Familie strafen, für immer und für alle Zeiten. Atem könnte etwas tun, aber er bleibt untätig. Er ist viel zu schwach und versteckt sich hinter seinem kleinen hübschen Prinzen. Geschlagen sind wir mit dem Fluch der Götter! Gebt mir die Macht und ich werde sie nutzen und uns alle retten!“
 

Akunadin erblaßte.
 

Atem hingegen versuchte nicht einmal mehr, diesen Haufen irrsinnigen Geschwätzes zu verstehen. Hinter der klugen, berechnenden Tenghe steckte eine Kreatur des Wahnsinns und der Finsternis, die keiner je bemerkt hatte.
 

„Wie willst du uns retten?“ fragte Set schneidend. Die Schweißperlen auf seiner Stirn verrieten, wie sehr es ihn anstrengte, Tenghes Geist zu unterwerfen.
 

„Die Toten müssen schweigen! Sie werden schweigen, wenn alles in Finsternis getaucht ist, so wie sie es wünschen. Wie es Apophis wünscht.“ Tenghe keuchte und schließlich sackte sie nach vorne.
 

Atem lehnte sich gegen die Mauer und preßte seine Stirn gegen den kühlen Stein. Er verharrte lange dort. Wachen kamen und brachten Tenghe fort und die Erwählten Priester verließen den Raum. Akunadin und Set waren die letzten. Offenbar ging es um Sets Angebetete, die Atem bis jetzt nicht zu Gesicht bekommen hatte, aber ihr Disput war unerheblich für Atem.

Endlich hatte Atem das Gefühl, seine Gedanken geordnet zu haben. Er mußte das Urteil verfassen und diese Geschichte ein für alle mal beenden. Nur welche Strafe sollte er Tenghe auferlegen? Die Unterhaltung mit Heba über Todesstrafen kam ihm in den Sinn. War es richtig, eine geistig gestörte Frau zum Tode zu verurteilen? Aber trotz ihres Wahnsinns konnte er ihr nicht vergeben. Er wußte, sie würde weiterhin versuchen, zu lügen und nach Macht zu gieren, solange sie lebte. Sie hatte eine Zunge wie eine Schlange.
 

Atem brauchte drei Tage, bis er endlich das Urteil bekannt geben konnte. Alles war im Thronsaal versammelt. Heba kam vor der Urteilsverkündung noch zu Atem und drückte stillschweigend dessen Hand. Mehr mußte er nicht tun. Sie hatten lange genug über das Urteil gesprochen. Heba war nicht völlig mit Atems Urteil einverstanden, dennoch wußte Atem, daß Heba ihn nicht im Stich lassen würde.

Zuerst wurden die gefangenen Kultisten abgeurteilt. Todesstrafe oder Zwangsarbeit erwartete sie. Erst am Ende wurde Tenghe mit Sklavenhalsband und in ein einfaches Kleid gehüllt in den Thronsaal geführt. Ihre Bewacher stießen sie zu Boden und sie landete mit schmerzverzerrtem Gesicht auf den Knien vor dem Horusthron.
 

„Der Angeklagten Tenghe wird Mord in mindestens fünfundzwanzig Fällen zur Last gelegt“, verkündete Siamun. „Dazu noch Hochverrat an der Krone Ägyptens und Konspiration mit Feinden des ägyptischen Reiches. Mein Pharao, wie lautet Euer Urteil?“
 

Atem spürte nichts, als er aufstand und die Stufen hinunterschritt, bevor er vor der niedergeworfenen Tenghe stand. Er war wie betäubt. Er nickte den Wachen zu und sie zerrten Tenghe auf die Füße. „Die Angeklagte Tenghe ist schuldig in allen Punkten. Dennoch will ich ihre geistige Krankheit als Milderung ansehen und die Angeklagte nicht zum Tode verurteilen.“
 

Tenghe sah erleichtert aus, aber nicht lange.
 

„Aufgrund ihrer manipulativen, lügenden Art wird die Zunge der Angeklagten gespalten, ihre Ka-Bestie in Stein gebannt und sie selbst lebenslänglich zu Zwangsarbeit verurteilt“, führte Atem kühl aus. „Öffnet ihren Mund.“
 

Tenghe tobte und biß trotz des Halsbandes, aber der Kraft zweier ausgewachsener Männer und eines Magiers konnte sie nichts entgegen setzen und schließlich stemmten große Männerhände Tenghes Kiefer mit aller Kraft auseinander.

Atem hob eine Hand und berührte Tenghes Zunge. Heiße, goldene Energie pulste durch seinen Körper und er vernahm Tenghes kehligen Schmerzensschrei nur noch am Rande. Kalt zog er seine Hand zurück, betrachtete die bis zum Gaumen gespaltene Zunge, deren Wundränder bereits verheilt waren, und winkte schließlich Set herbei.

Tenghe schrie auch während der Bannung ihrer Seelenkreatur, aber auch dabei fühlte Atem noch immer nichts. Er würde Tenghe nie vergeben und sie sollte bis ans Ende ihres Lebens leiden. Nur daran konnte er die ganze Zeit denken.

Erst als Tenghe, wieder unter der Kontrolle des Halsbandes, aus dem Thronsaal geschleift wurde, hatte Atem das Gefühl, diesen Teil seines Lebens endlich hinter sich lassen zu können.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Leuchtender_Mond
2012-07-03T08:37:48+00:00 03.07.2012 10:37
Wow, was für ein langes Kapitel - alleine das gefällt mir ja schon, aber natürlich mag ich auch den Inhalt =)
Natürlich ging es erst einmal sehr traurig los - nach dem Ende des letzten Kapitels war das ja leider zu erwarten - und ich finde, du hast Atems Gefühle an dieser Stelle ganz wunderbar rübergebracht! Ich mochte diese Mischung aus Trauer und Wut - sehr authentisch! Und Halicon bekommt alles ab! Ich fand, es passte so gut zu Tenghe, ihn zurück zu lassen und sich selbst aus dem Staub zu machen, so war ich dann sehr überrascht, als sie dann auf einmal gefangen wurde und alles recht schnell ging - irgendwie hatte ich mit einem großen Show-down gerechnet. Dafür mochte ich irgendwie ihre Beweggründe - klar, die sind schlimm, aber irgendwie auch so menschlich, dass sie einfach mal - um es auf gut deutsch zu sagen - die Schanuze voll hatte. Das macht sie ziemlich realistisch und das mochte ich.
Typisch fand ich ja auch, dass Heba sich um Atem kümmert, als dieser krank wird und Atem das gar nicht gefällt. Das Gespräch, das du dann folgen lässt, erschien mir allerdings ein wenig erzwungen - im einen Augenblick denkt Heba sich noch, wie glücklich er mit Atem ist und dann macht er ihm Vorwürfe, er werde nicht ernst genommen. Das hättest du vielleicht vorher schon mal irgendwie einbauen müssen, denn so kommt das etwas plötzlich - ebenso plötzlich, wie Atem sich überzeugen lässt, er gibt da so schnell nach (aber vielleicht erscheint mir das nur so, wo ich doch selbst so ein Sturkopf bin ^^°). Generell mag ich die Szene aber, weil sie so schön zeigt, wie ihre Beziehung wächst und immer inniger und besser wird.
Ich mochte das Kapitel wirklich gerne und freue mich nun auf das nächste =)


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