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Der letzte erste Donnerstag

von

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Freitag, 20. Oktober

Zu früh gefreut.

Heute nach dem Unterricht zitierte mich Ramirez zu sich. Meine Gruppe habe ohne mich für die Adventsaktion gearbeitet. Was mir einfalle, mich vor der Arbeit zu drücken, wo ich doch sowieso schon auf der Abschlussliste stehen würde. Ich solle mich bei der Gruppe entschuldigen, die sogar so anständig gewesen sei, mich zu decken. Aber er hätte sich nicht täuschen lassen, und schliesslich hätten sie es ihm gesagt. Wenn das noch mal vorkomme...

Ich stand nur da und nickte. Ich brachte keinen Ton heraus, so sehr musste ich mir das weinen verkneifen. Geglaubt hätte er mir sowieso nicht.

Es ist nicht fair. Nathalie ist so was von scheinheilig. Aber was überrascht mich das. Sie bemüht sich immer um den Eindruck der Musterschülerin. Salome und Milla widersprachen ihr bestimmt nicht, glücklich, eine Ausrede zu haben. Ich musste Ramirez versprechen, sie sofort zu suchen und bei allen weiteren Vorbereitungen zu helfen. Stattdessen eilte ich zur nächsten Toilette und schloss mich ein, bis die Tränen aufhörten zu fliessen. Und noch ein bisschen länger, damit ich die Toilette nicht allzu verheult verlassen musste.
 

Da ich keine Ahnung hatte wo Nathalie und die anderen steckten, rief ich sie an. In der Stadt, lautete die Antwort. Ob sie arbeiteten blieb unklar, aber Nathalie meinte kurzerhand, arbeite an deiner Geschichte. Mit guten Sätzen, die sich zum Erzählen eignen. Dann unterdrücktes Lachen und dann Stille. Sie hatte aufgelegt.

Und wieder einmal sitze ich in der Bibliothek. Ich habe das Gefühl, auf der Stelle zu treten. In jeder Beziehung, dass ich mit der Geschichte nicht wirklich vorankomme, ist bezeichnend dafür. Aber wenn ich jetzt aufgebe, haben sie gewonnen. Und das will ich nicht. Nicht wenn ich verliere, weil sie lügen.
 

Vor langer Zeit lebte hier im Waisenhaus ein Mädchen, das Carla hiess. Sie war ein verträumtes Kind das Geschichten liebte und auch selbst gern welche erfand. Aber nicht in der Geschichte, die ich euch gleich erzählen werde.

Eines Tages wurde Carla in den Keller geschickt, um Samen für den Garten zu holen. Sie ging nicht gern in den Keller, dort war es dunkel. Trotzdem wollte sie ihre Angst nicht zugeben und gehorchte. Stufe um Stufe stieg sie die Treppe hinunter. Und dann trat sie ins Leere, stolperte und fiel.

Aber sie schlug nicht hart auf den Boden, sondern landete ganz weich und ohne sich zu verletzen. Sie blinzelte und sah in ein freundliches Gesicht. Eine Gestalt ganz in weiss half ihr auf. Carla wusste sofort, dass es ein Engel war, weil er wunderschöne weisse Flügel hatte.

„Bin ich gestorben“, fragte sie sich und kniff sich zur Sicherheit in den Arm. Es tat weh.

„Danke“, sagte sie und der Engel lächelte ihr zu. Der Keller schien nicht mehr so unheimlich. Carla eilte zu dem Regal auf dem sich der Korb mit den Samenbiefchen befand. Sie nahm ihn unter den Arm und drehte sich um. Der Engel war verschwunden. Aber Carla spürte seine Gegenwart noch immer. Ohne das kleinste bisschen Angst eilte sie die Treppe wieder hoch. Sie konnte es kaum erwarten, ihren Freunden von der Begegnung zu erzählen.
 

Die anderen warteten bereits, die Nonne begann zu erzählen, wie sie die Samen zu sähen hätten. Aber Carla konnte nicht warten: „Ich habe im Keller einen Engel getroffen“, rief sie, „Ein Schutzengel, er hat mich aufgefangen, als ich die Treppe herunter fiel.“

„Du lügst, Engel gibt es nicht“ entgegnete Giovanni. Aber die anderen Kinder und die Nonne glaubten ihr und wollten alles wissen. Bis zum Abendessen erzählte Carla ihre Geschichte immer und immer wieder.

Aber als sie am Abend am Tisch sassen und auf das Abendessen warteten, unterbrach Francesca Carla.

„Isabella hat einen viel grösseren und schöneren Engel gesehen. Seine Flügel waren bunt und glitzerten.“ Sofort wandten sich alle Francesca zu, Isabella sass an einem anderen Tisch und bis zum Ende des Abendessens durfte niemand aufstehen.
 

Am nächsten Morgen erfuhr Carla, dass nicht nur Isabella den bunten Engel gesehen hatte. Auch andere Kinder hatten ihn gesehen, und bei jedem war er grösser und schöner. Bald hatte er keinen Platz mehr im Haus, er hätte sich bücken und die Flügel fest anziehen müssen.

Carla war neugierig, zu gern hätte sie den bunten Engel auch gesehen. Aber in den folgenden Tagen traf sie nur einmal auf ihren weissen Engel. Er wirkte traurig und durchsichtig. Carla wollte ihn fragen, wieso er so traurig sei. Aber da war er schon verschwunden.
 

Es vergingen drei Wochen bis Carla den Bunten Engel sah. Er war nicht ganz so gross, wie die anderen behauptet hatten. Aber er trug prächtige Kleider und seine Flügel schimmerten in allen Regenbogenfarben. Schüchtern hob Carla den Kopf, um sein Gesicht zu sehen und erstarrte.

Er guckte so böse, dass sich Carla nicht mehr zu rühren wagte. Seine Augen waren eiskalt und Carla hatte schreckliche Angst. Sie wollte weglaufen, aber ihre Beine liessen sich nicht bewegen. Sie konnte nicht mal die Augen schliessen. Für einen Moment glaubte sie, sie müsse sterben.

Da schob sich ein weisser Schleier vor ihre Augen. Sie blinzelte und erkannte den weissen Engel. Er war ganz durchsichtig, aber er schwebt schützend zwischen ihr und dem bösen Engel.

Carla rannte weg. So schnell sie konnte. Weg vor dem unheimlichen geflügelten Wesen. Ein Engel konnte das nicht sein.

Sie bog um eine Ecke und stiess fast mit Isabella und ihren Freundinnen zusammen, die ihr entgegen kamen.

„Ein Dämon!“ rief sie ihnen zu. „Geht nicht weiter, dort ist ein Dämon!“ wiederholte sie. Isabella und ihre Freundinnen blieben kurz stehen. Sie kicherten.

„Erst ein Schutzengel, dann ein Dämon, was kommt als nächstes?“ Fragte Isabella. Carla verstand nicht, was sie meinte.

„Aber, du hast doch den bunten Engel gesehen!“ Warf sie ein. Das Kichern wurde zu Lachen.

„Das habe ich doch bloss erfunden, weil alle von deinem Engel redeten.“ Erklärte Isabella und ging weiter.

Carla war wütend, und für einen Moment dachte sie: „Isabella wird gleich selbst sehen, dass ich recht hatte.“

Aber dann erinnerte sie sich an den bösen Blick. Die Mädchen waren schon um die Ecke verschwunden, Carla rannte ihnen hinterher. „Wartet!“ Rief sie so laut sie konnte.

Der Ruf war überflüssig, sie standen nur ein paar Schritte weiter. Carla hatte sich vorgenommen, nicht aufzusehen, um nicht noch mal dem Blick des Dämons zu begegnen. Aber sie konnte nicht anders.

Zu ihren Glück konzentrierte sich der Dämon gerade auf den Schutzengel. Er schleuderte Feuerkugeln, die der Schutzengel mit einem unsichtbaren Schild daran hinderte, den Gang runter auf die Mädchen zu zu fliegen. Dann erschuf er eine Kugel aus strahlendem Licht, die er auf den Dämon zu schleuderte. Der Dämon verteidigte sich mit einem bunten Licht.

Der Schutzengel wurde durch das bunte Licht des Dämons immer weiter zurückgedrängt. Und auch Carla wich zurück. Der Dämon holte zum Schlag aus und schleuderte ein lila schimmernden Pfeil in ihre Richtung. Schnell brachte sie sich hinter der Ecke in Sicherheit. Beobachtete nur das Wechselspiel der Lichter. Zu ihrem erstaunen war kein einziger Laut zu vernehmen. Auch nicht von Isabella und ihren Freundinnen.

Das Licht wurde rot und Carlas Herz begann vor Angst ganz schnell zu klopfen. Dann erklang ein hoher Schrei. Carla hielt sich die Ohren zu, kniff die Augen zusammen.
 

Nach einer Ewigkeit blinzelte sie vorsichtig. Das rote Licht war verschwunden. Es war still. Schliesslich siegte die Neugier über die Angst. Vorsichtig späte Carla um die Ecke. Die Mädchen lagen reglos am Boden. Der Dämon war weg, nur ein paar schillernde Federn am Boden erinnerten noch an ihn.

Und dann entdeckte Carla auch den Schutzengel. Er war gerade dabei in den Boden zu sinken. Es war schon nur noch sein Kopf zu sehen als er sich Carla zudrehte. Er lächelte sie traurig an und versank dann ganz.
 

Carla sah den Schutzengel nie mehr, aber auch der Dämon war weg. Der Schutzengel hatte ihn mit seiner letzten Kraft besiegt und sich danach schlafen gelegt um sich zu erholen.

Bis heute liegt er tief unter dem Keller und schläft. Aber weil wir alle an ihn glauben, wird er wieder stark. Darum werden wir ihn jetzt wecken damit er euch beschützen kann.
 

Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass Isabella und ihre Freundinnen starben. Das kommt davon, dass sie nicht auf Carla gehört haben. Aber das müsste ich sowieso wieder streichen.

Ich werde die Geschichte Nathalie senden. Ob sie die Ambivalenz drin erkennt? Ob die Kinder sie verstehen werden. Ich hoffe, sie stellen Nathalie unangenehme Fragen.

Das war mein Beitrag für heute. Jetzt werde ich mich noch etwas der Magie widmen, auf Abendessen habe ich sowieso keine Lust.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Nisichan
2011-03-20T16:08:46+00:00 20.03.2011 17:08
Haha, Maria schießt zurück ^_^ die Geschichte ist gut. Ich würde mich sehr freuen, wenn du die Geschichte doch noch weiter schreiben würdest. Mir hat sie sehr gefallen besonders deine kleinen kritischen versteckten Bemerkungen über Marktpolitik und Religionsvermarktung finde ich sehr erfrischend. Schreib bitte weiter, wo sich doch gerade die Wolken in Marias Leben verziehen.
Von:  -Youji-
2010-10-03T17:08:20+00:00 03.10.2010 19:08
Oh wie ich mich über das neue Kapitel freue! :)
Vielen Dank fürs Weiterschreiben, ich verfolge "Der letzte erste Donnerstag" schon seit geraumer Zeit mit großem Interesse^^
Ich hoffe du brichst nicht irgendwann einfach ab, das wäre sehr schade, da ich die Geschichte(n) um Maria äußerst gelungen finde und sie sehr schätze...ich habe ihren Charakter einfach lieb gewonnen und Damien betrifft das genauso^^ Also vielen Dank, ich freue mich schon darauf zu erfahren, wie es weiter geht =)


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