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Lower Instinct

von

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Schwarz wie ihre Seelen

Kapitel 3 - Schwarz wie ihre Seelen
 

Sie starrte auf das dunkle, matte Massivholz ihres Schreibtisches, während sie einen filigranen Stift in der Hand hielt. Ihre Finger krampften sich so fest um das Schreibutensil, dass ihre Fingerknöchel hell hervor traten. Der Füllfederhalter war ein Geschenk gewesen, das mindestens ebenso langweilig wie nützlich war. Es ähnelte seinem Schenker, einem teigigen, farblosen Mann mit braunem Seitenscheitel und Schnurrbart, der genauso war, wie dieser Füller. Langweilig, aber nützlich. Sie versuchte sich an seinen Namen zu erinnern. Irgendwas mit „B“ – Baltwin, nein das hörte sich nach einer englischen Polomannschaft an. „Balto?“, nuschelte sie fragend. Ihr Kopf begann zu hämmern. Auch nicht, das war nur ein alberner Trickfilm. Wieso fiel er ihr gerade jetzt ein? „Barnaby.“ Nein, nicht ganz. … „Banani?“ … „Oder Bananas?“ Schwachsinn! „Batman!“ Jetzt wurde es langsam absurd. „B… B…? B… wie … Blöder Mist!“ Sie warf den Füllfederhalter entnervt auf die Mappe und starrte ihn verächtlich an, bevor sie sich frustriert in ihrem Stuhl zurück warf. Sie fixierte die Decke und fragte sich, was mit ihr nicht stimmte. Sie war seit Tagen gereizt und verdrossen. Doch als sie tiefer in ihre Gefühle vorzudringen suchte, setzte sie sich blitzschnell wieder auf. Wollte sie das überhaupt wissen?
 

In ihrem Arbeitszimmer herrschte Stille. Die einzigen Geräusche erzeugte der Kamin. Er spuckte knackende Funken und prasselnde Wärme aus, wofür Lady Hellsing mehr als dankbar war. Ihr war kalt und sie fühlte sich erschöpft und müde. Ihre Augen brannten. Sie schloss die Lider und strich sanft mit Daumen und Zeigefinger der Linken von außen nach innen über ihren Lidrand. Ihre Fingerglieder zogen die immer schwerer werdenden Brille hinab, die mit einem leisen Geräusch auf der Tischplatte landete. Der Laut ließ sie zusammen fahren. Er durchquerte ihren Kopf als greller, weißer Blitz und sie riss die Augen schnell wieder auf. Einen Moment lang spürte sie, wie ihr Herz aufgeregt gegen ihre Rippen stieß, bis sie realisierte, dass es dafür keinen Grund gab. Ihre Miene, die finster und ernst gewesen war, wurde nun beinahe ausdruckslos. Wieso war sie so erschöpft und schreckhaft? Das passte überhaupt nicht zu ihr. Und ständig spürte sie diesen Druck in ihrem Gesicht, der von der breiten Sorgenfalte herrührte, die ihre Stirn unablässig durchfurchte. Sie konnte die Gedankenkreise in ihrem Kopf einfach nicht durchbrechen. Inzwischen hatten sie sich zu einem sonoren Mantra zusammen getan, das unaufhörlich in ihrem Kopf zirkulierte. Es war wie ein Jucken in ihrem Hinterkopf. Ein ekelhaft penetrantes Empfinden, das sie nicht befriedigen konnte, also juckte es immer und immer weiter, bis sie fast wahnsinnig davon wurde. Sie hatte versucht ernst zu sein, mürrisch, böse, aufgebracht, kalt, ignorant, herrisch, abweisend … aber keine Gemütslage hatte sie ablenken können oder die Gedanken in ihr zum Schweigen gebracht. Im Gegenteil. Es erschöpfte sie so sehr, sich gegen diese destruktive Schleife zu stemmen, dass sie inzwischen müde und schreckhaft war, während sie die Spirale in ihrem Kopf ins Unendliche schraubte.
 

Integra öffnete die Lippen. Die sich immer und immer wieder gleich erneuernden Worte wollten aus ihr heraus, wollten ihren Mund verlassen, damit ihr Kopf leichter wurde. Die Frau stützte die Ellenbogen auf den Tisch und vergrub ihre Stirn in ihren Händen. Ihre Haut war fiebrig heiß und bevor sie zu flüstern begann, spürte sie, dass die kleinen Wolken ihres Atems ebenfalls drückend warm waren. Stimmenlos hauchte sie die Worte, die sie umliefen, während sich hinter ihren geschlossenen Augen Bilder aufdrängten, die sie nicht zur Seite schob, weil ihr so simpel die Kraft dazu fehlte:
 

„Ein unheimliches Märchen.“ wisperte sie. Ihre Finger umfassten ihre Stirn fester.

„Rot wie Blut. Weiß wie Schnee. Schwarz wie Ebenholz.“

Integra senkte den Kopf, ließ ihn weit in Richtung ihrer Brust sacken und presste die Hände auf die Ohren. Sie wollte ihre eigene Stimme nicht hören. Sie wollte die Worte nur endlich loswerden.

„Ganz fern, ganz nah, ganz kalt und heiß.“ flüsterte sie.

„Rot wie Blut. Weiß wie Schnee. Schwarz wie Ebenholz.“

Der Knoten in ihrer Brust zog sich so eng zusammen, dass sie kaum mehr atmen konnte.

„Und dann sterben sie alle.“ hauchte sie und spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen.

„Das Märchen ist aus. … Rot wie Blut. … Weiß wie Schnee. ...“
 

„Und schwarz … wie die Nacht.“ raunte etwas, nicht in ihr Ohr, sondern in ihren Kopf.
 

Integra sprang auf, wie vom Donner gerührt. Die Stimme war ihr vom Schädeldach bis in die Fußsohle gefahren und hinterließ ein elektrisches Prickeln in ihrem Körper. Zwischen Sehnen und Muskeln glaubte sie, die Enden ihrer überreizten Nervenfäden deutlich und brennend mit jeder Faser ihres Leibes wahrzunehmen. Der Stuhl krachte zu Boden und hektisch drehte sich die junge Frau um. Sie stierte mit glänzenden Augen in das knisternd warm erleuchtete Zimmer. Alles wirkte normal. Schatten tanzten auf den Buchrücken, die träumend in den hohen Regalen verharrten, sonst nahm sie keine Bewegung wahr. Gar nichts, bis sich plötzlich seine Arme um sie schlossen.
 

Erst jetzt spürte sie, dass er hinter ihr stand, als sei er aus dem Nichts gewachsen.

Er umschloss sie, so fest und unnachgiebig, dass sie sich nicht zu rühren wagte. Ihr Herz schlug so wild. Ihr Blut schoss durch ihre Venen, als sei es plötzlich entzündet worden. Seine breite Brust war deutlich in ihrem Rücken zu fühlen. Ganz kalt, ganz nah, kein Atmen, kein Geräusch. Ihr Gesicht war heiß, so fiebrig heiß. Seine Arme hatten sich in einer gefährlichen Falle um ihren Oberkörper geschlossen, pressten sie an ihn. Sie bekam kaum Luft.

Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, um ihn zurück zu weisen, zu schreien oder wenigstens, um Luft zu holen. Doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen wand sich eine geradezu riesige Hand wie ein bleierner Verschluss um Mund und Nase der Frau. Ihre Augen weiteten sich. Nackte Angst kroch in ihrer Kehle empor, wie eine dicke Schlange. Sie war machtlos, schutzlos …

Eine kalte Berührung streifte ihre Wange.

Sein Atem geriet in ihr Ohr. Das leise Raunen tropfte zäh in ihre Gedanken.
 

„Und schwarz wie ihre Seelen.“ Das Raunen wurde zu einem Flüstern. Integra bekam keine Luft mehr, sie wollte um sich schlagen, aber sie konnte sich nicht bewegen. Ihre Glieder waren taub und leblos, während der Druck, der sie umgab immer stärker zu werden schien. Ihr war heiß, so heiß … und sie erstickte langsam.

„Meine…Herrin. Alles, was du bist.“ hauchte er und sie spürte die ertränkende Schwere auf ihren Schultern. Er war so nahe, so dicht, umschloss sie, wurde tonnenschwer. Die Farben verblassten und lösten sich in immer matter werdenden Konturen auf. Alles wurde dunkler. Ihr Bewusstsein flackerte, wie das Feuer des Kamins. Es brannte unaufhaltsam herunter. Bald würde es wie der müde Docht einer Kerze ein letztes Mal schwach glimmen, bevor es in einer dünnen Rauchfahne erlosch. Nein, das durfte nicht passieren.

„Gib. Dich. Mir. Hin. …“ drang es stimmlos in ihren Kopf, bevor das Bild ihr endgültig entglitt.

„Für immer…“


 

Integra riss die Augen auf, als sie etwas an der Stirn berührte.

Sie packte blindlings zu und realisierte erst viel zu spät, dass sie ein Handgelenk so fest umklammerte, dass sich ihre Fingernägel in fremdes Fleisch gruben. Sie schnappte nach Luft und warf den Kopf herum, wie eine Ertrinkende, wirr vor Panik und Desorientierung. Walters Gesicht starrte zurück. Er sah blass aus und nicht weniger erschrocken als sie, während er ergeben sein Handgelenk still hielt. Etwas tropfte auf das Gesicht der verwirrten Frau und sie sah ein weißes, dickes Tuch über sich schweben. Der Butler hielt es in der Hand.

Langsam ließ sie Walters Arm los, doch ihre Brust hob und senkte sich noch immer angsterfüllt, während sie den Bediensteten und Freund mit runden Augen taxierte. Er räusperte sich.

„Lady Hellsing, Sie sind wach. Sehr gut. Wie fühlen Sie sich?“ fragte Walter in seinem gewohnt höflichen Tonfall, aber eine Spur sanfter und besorgter, als es ihr geläufig war. Er ignorierte geflissentlich, dass sie ihm beinahe das Handgelenk gebrochen hätte.

„Ich… Walter, wo bin ich? Was ist hier los?“ fragte sie und konnte nicht verhindern, dass sich ihre Stimme am Ende der letzten Frage überschlug. Sie schluckte, um die in ihr aufsteigende Panikattacke nieder zu kämpfen.

„Lady Integra…“ setzte er an und schien zu überlegen, wie er am besten antworten sollte.

„Sie waren beinahe einen Tag lang bewusstlos.“ sagte er und ließ das weiße Tuch in eine Wasserschüssel gleiten, das am Kopfende des Bettes auf einem Nachttisch stand. „Sie befinden sich auf der Krankenstation Ihres Anwesens. Wir waren der Meinung, dass es besser sei, Sie hierher zu bringen. Sie hatten hohes Fieber.“

„Fieber?“ flüsterte Integra ungläubig und ließ sich endlich zurück in ihr Kissen sinken. „Ja…“ murmelte sie schließlich, während sie sich langsam im Zimmer umsah. Sie hatte sich nicht orientieren können, weil weiße Sichtschutzwände sie umgaben. Durch einen Spalt konnte sie hindurch spähen und erkannte das soeben von Walter erwähnte Krankenzimmer augenblicklich. Sie wandte den Kopf erneut zu dem Mann, der sie mit einem fürsorglichen Lächeln betrachtete und seine Hände abwartend im Schoß gefaltet hatte. „Walter, berichte mir bitte, was passiert ist.“
 

Der Butler tat wie ihm geheißen, blickte kurz an die Decke und begann dann nüchtern zu berichten.

„Sie hatten in Ihrem Arbeitszimmer das Bewusstsein verloren. Scheinbar durch einen heftigen Fieberschub, wie ich vermute. Jedenfalls lagen Sie auf dem Boden und zitterten am ganzen Leib, als Herr Alucard Sie fand.“ Integra sog scharf die Luft zwischen ihren Lippen ein, unterbrach den ältlichen Butler jedoch nicht. Alucard. Der Vampir hatte sie gefunden? „Er informierte mich umgehend und wir verbrachten Sie auf die Krankenstation. Bis der Morgen anbrach, hielt Meister Alucard an Ihrem Bett Wache, zum Morgengrauen löste ich ihn ab. Es ist inzwischen“ Er zückte seine Armbanduhr und schaute unter dem Rand seiner Brille hinweg auf das Ziffernblatt. Walter wirkte dabei stets wie ein aufgeblasener Aristokrat, aber Integra hatte es noch nie übers Herz gebracht, ihm das zu beichten. „4Uhr nachmittags. Ich bin sehr froh, dass Sie wieder zu sich gekommen sind. In ein paar Stunden hätte ich einen Arzt verständigt, wenn Sie nicht aufgewacht wären. Das Fieber ist inzwischen auch gesunken. Aber Sie sollten dennoch weiterhin das Bett hüten. Nur zur Sicherheit.“

Walter stand auf und verneigte sich. Lady Hellsing konnte sehen, wie steifbeinig er aufgestanden war. Er musste keinen Augenblick von ihrer Seite gewichen sein. Guter, treuer Walter.

„Benötigen Sie noch etwas Lady Integra? Ansonsten würde ich mich gern kurz zurück ziehen.“

„Nein. Nein Walter, geh ruhig. Du hast genug getan. Mir geht es recht gut. Zieh dich zurück und ruh dich aus. Das ist ein Befehl.“ Sie brachte ein schmales Lächeln zustande, obwohl sich ihre Lippen wund anfühlten. Der Mann nickte, ging aber nicht, ohne ihr noch einmal glaubhaft zu versichern, dass sie nur nach ihm klingeln brauchte, wenn sie etwas benötigte. Dann war sie alleine mit sich und ihren Gedanken.
 

Ihr wurde siedend heiß bewusst, dass sich das, was sie erlebt hatte, nicht wirklich zugetragen haben konnte. Es war ein Fiebertraum gewesen, eine beklemmende Halluzination ausgelöst durch ihr kochendes Blut und das damit einher gehende Delirium. So war es gewesen. Ganz sicher. Alles passte zusammen. Sein urplötzliches Auftauchen. Die Hitze. Die Beklemmung, als er sie so aggressiv umfasste, dass sie keine Luft mehr bekam. Fieberwahn. Die hellblonde Frau schloss die Augen und atmete hörbar aus. Erleichterung überflutete sie. Obwohl Integra so lange geschlafen hatte, drückten ihre Augenlider bleischwer. Sie war in Sicherheit. Alles war nur ein böser Traum gewesen und wenn sie wieder gesund war, war alles vorbei.
 

Integra döste davon und bemerkte nicht, wie ein dunkler, hoher Schatten an ihr Bett trat. Eine große Hand strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn, während sich die Gestalt tief über die schlafende Frau beugte. Sein großer Mund schwebte über ihren leicht geöffneten Lippen. Er witterte ihren Atem und mischte ihn mit seinem, als er flüsterte. „Und schwarz wie ihre Seelen. Für immer.“ Dann grinste er.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Zeku
2016-02-09T20:38:33+00:00 09.02.2016 21:38
Danke für deinen Kommentar. Ich habe gerade wieder angefangen zu schreiben, nette Ermutigung. :) Thanks. ^^
Von:  fahnm
2016-02-09T20:14:35+00:00 09.02.2016 21:14
Hammer Kapitel
Mach weiter so


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