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Die Nebelhexe

Formori-Chroniken I
von

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Earl Grey

Murrend drehte sich Layla in ihrem Bett um. Ein Blick auf den Wecker auf dem kleinen Nachtschränkchen sagte ihr, dass sie die Nacht durchgeschlafen hatte, nachdem sie das letzte Mal aufgewacht war, aber sie fühlte sich immer noch nicht ganz auf dem Damm. Seitdem sie, ihr Vater, Liam und Phobos den Gegenfluch gewirkt hatten, waren schon mehrere Tage vergangen, auch wenn Layla die genaue Anzahl noch ein bisschen schleierhaft war durch das ständige Aufwachen und Wiedereinschlafen. Aber es war ja nicht so, dass Phobos sie nicht davor gewarnt hatte.

Ihr Kissen umarmend, blieb sie noch einen Moment liegen. Die Bettwäsche ihrer Großmutter roch immer nach Blumen.

Als ihr Vater den Blitz in dem Bannkreis gelenkt hatte, hatte sie wirklich geglaubt, dass er Phobos buchstäblich zerrissen hatte. Hölle, nach allem, was sie wusste, hatte er das wahrscheinlich auch. Der letzte Teil des Fluches hatte sich sehr… falsch angefühlt. Allein bei dem Gedanken daran wurde ihr flau im Magen, obwohl sie paradoxer Weise wieder Hunger verspürte.

Die Tage beziehungsweise Ereignisse danach waren in Laylas Erinnerung eher trübe, da sie sich nicht immer ganz sicher war, was sie geträumt hatte, und was tatsächlich passiert war. Sie hatte eine grobe Erinnerung daran, im Flur des Obergeschosses eingeschlafen zu sein, als sie auf die Toilette hatte gehen wollen, aber diese besetzt gewesen war. Außerdem glaubte sie mitbekommen zu haben, dass irgendjemand über Portale geredet hatte. Aber es war auch genauso gut möglich, dass Drachen ein Inferno im Obstgarten ihrer Großeltern entfacht hatten, als sie versucht hatten, Quidditch zu spielen, und Layla hatte alles verschlafen.

Sie versuchte sich wieder umzudrehen und erneut einzuschlafen, aber ihr Magen gab nur protestierende Knurrlaute von sich. Nach einer Weile war sich Layla auch ziemlich sicher, dass sie ihr leerer Magen geweckt hatte, und sie stand grummelnd auf.

Noch im Schlafanzug ging sie schließlich hinunter in die Küche, um sich auf die Suche nach etwas Essbarem zu begeben. (Und um vielleicht zu überprüfen, ob der Obstgarten noch stand.) Obwohl schon zu seiner vollen Länge ausgezogen, war der Küchentisch doch recht überladen mit all den Leuten, die daran saßen und scheinbar frühstückten. Allem Anschein nach hatte es ihre Tante geschafft Liam irgendwann ins Auto zu bugsieren und mit ihm und Hepzibah nach Hause zu fahren, denn am Küchentisch saßen nur ihre Großeltern, ihr Vater, Constantin und seine Tante.

Einen Augenblick lang fragte sich Layla wirklich, wer der schwarzhaarige Kerl war, der da neben ihrem Vater saß und abstoßend glücklich vor sich her summte, bis ihr einfiel, dass er ja Phobos in seiner mehr menschlichen Form war.

„Oh, Kaffee. Gut“, murmelte sie und gesellte sich zu ihrem Vater, der sich gerade eine Tasse des heißen Getränks genehmigte. „Morgen.“ Vielleicht half ihr ja der Kaffee, um wieder auf die Höhe zu kommen.

„Morgen“, kam es von den Anwesenden zurück und ihre Großmutter schob ihr lächelnd den Brotkorb zu.

„Bláthín hat schon um halb sieben angerufen, um uns zu sagen, dass Liam seit gestern Mittag die Speisekammer dreimal leergeräumt hat“, sagte Morana mit einem Zwinkern. „Ich nehme daher einfach mal an, dass du auch Hunger hast.“

„Dreimal?“, hakte Layla nach und griff nach einer Brotscheibe. „Nur einmal mehr als sonst, ist doch gut.“ Sie zuckte mit den Schultern. Ihr Großvater ließ einen Laut vernehmen, den man nur mit viel Übung seiner Sprache als ein Lachen identifizieren konnte, und reichte ihr die Marmelade.

„Ach, bevor ich es vergesse“, ergriff Clancy das Wort und reib sich mit Daumen und Zeigefinger die Augen. „Wer hat eigentlich während des Gegenfluches angerufen?“

Morana runzelte kurz die Stirn, bevor sich doch eine Erkenntnis auf ihrem Gesicht abzeichnete. „Jemand, der Phobos sprechen wollte.“

„Mich?“ Phobos klang ehrlich überrascht. Dann schien ihm jedoch etwas einzufallen und sein Gesicht nahm einen berechnenden Ausdruck an. Layla fand es erstaunlich, wie viel man ihm jetzt wirklich vom Gesicht ablesen konnte. „Was hat er/sie/es denn gesagt, worum es ging?“

„Nicht viel. Kaum hatte ich erwähnt, dass gerade ein ungünstiger Zeitpunkt ist, hat die Frau am anderen Ende etwas davon gemurmelt, dass sie sich wohl verschätzt haben müsste. Allerdings wollte sie wieder anrufen, auch wenn sie ihren Namen nicht hinterlassen hat.“

Wie um diese Aussage zu bestätigen, klingelte genau in diesem Moment das Telefon im Nebenzimmer. Morana blickte kurz äußerst skeptisch in Richtung Telefon und dann noch einmal auf Phobos, bevor sie sich erhob, um den Anruf entgegenzunehmen.

„Ich ahne schon, wer das ist…“, meinte Phobos.

Keine zwei Minuten später kam Morana wieder in die Küche. „Da war ein Inspektor Connelly oder so ähnlich am Telefon; ich hab seinen Namen nicht wirklich verstanden, er hat so genuschelt. Aber er meinte, er würde dich an der üblichen Lokalität treffen wollen, Phobos. Er wollte dich nicht sprechen, ich sollte dir das nur bitte ausrichten.“ Laylas Großmutter sah ihn skeptisch an, so als würde sie sich fragen, wann er es denn geschafft hatte, schon etwas in den wenigen Tagen, in denen er seinen ursprünglichen Körper wiederhatte, zu verbrechen.

Es dauerte etwas, bis die metaphorische Glühbirne in Laylas Hirn ansprang, da der ebenfalls metaphorische Hamster, der sie betreiben sollte, noch schlief, doch dafür leuchtete die Birne nun umso heller. „Inspektor?!“, wandte sie sich ruckartig an Phobos. „Ich will mit!“

„Moment!“, schaltete sich Clancy schnell ein, der auch mit einem Mal hellwach aussah. „Wenn meine Tochter mitkommt, komme ich auch mit!“

Phobos drehte sich zu ihnen um, einen spekulativen, aber amüsierten Ausdruck auf dem Gesicht.

„Ich auch! Will ich mit? Wohin überhaupt?“ Constantin klang ein bisschen verwirrt, bis Layla einfiel, dass sie noch gar keine Gelegenheit gehabt hatte, ihm von der seltsamen Bar und ihren Insassen zu erzählen. Zuerst hatte er durch seine Verletzung das Bett gehütet und dann hatte sie sich außerordentlich ausgiebig mit ihrer Essenz beschäftigt, bevor sie ihn die vergangenen Tage wahrscheinlich nur noch aktiv angeschnarcht hatte.

Allerdings schien sich die Diskussion, ob er sie begleiten würde oder nicht, ohnehin zu erübrigen, als er sich fataler Weise an die Brust griff und seine Tante ihm einen strengen Blick zuwarf. „Vielleicht lieber doch nicht“, fügte er mit einer Grimasse hinzu. Scheinbar war er doch noch nicht wieder ganz auf dem Damm, auch wenn seine Gesichtsfarbe wesentlich gesünder aussah.

Layla warf ihm einen vielsagenden Blick zu, vom dem sie hoffte, dass er ihn verstand. Sie würde ihm alles später ausführlich erklären.

Phobos schien etwas sagen zu wollen, doch Clancy unterbrach ihn.

„Sag jetzt nichts davon, ich wäre müde oder so einen Schmu. Ich bin wach“, meinte er grummelnd. „Nach diesem Kaffee.“

Da Layla genauso wenig kleinbeigeben wollte, musste sich Phobos wohl oder übel seufzend geschlagen geben. „Also gut.“

In Momenten wie diesen war die Verbindung zwischen Layla und ihrem Vater nicht zu leugnen. Beide hatten in Rekordzeit gefrühstückt und Layla wuselte aus der Küche heraus, um sich ebenfalls in Rekordzeit zu duschen, Zähne zu putzen und anzuziehen.

Als sie wieder zu ihrem Vater in der Eingangshalle stieß, konnte sie ein aufgeregtes Funkeln in seinen Augen ausmachen, auch wenn er sich darum bemühte, keine Miene zu verziehen und natürlich äußerst professionell zu erscheinen. Scheinbar wollte er wirklich unbedingt in diese Bar. Layla musste grinsen und auch Sybille hatte einen amüsierten Ausdruck auf dem Gesicht, als sie Phobos aus der Küche schob.

„Geht. Wir machen das hier schon“, wies sie ihn an. Man konnte die freudig aufgeregte Spannung, die sich nach diesem Satz in der Eingangshalle ausbreitete, fast greifen.

Als Phobos seinem besten Freund und dessen Tochter ins Gesicht sah, die mehr oder weniger hibbelig auf ihn warteten, konnte er nur die Augen verdrehen. Aber dennoch bedeutete er ihnen mit einem Winken, ihm zu folgen. Natürlich ließen sich die beiden nicht lange bitten.

Phobos führte sie wieder zum Gartenschuppen und dieses Mal konnte Layla erkennen, dass sich etwas Übernatürliches im Türrahmen befinden musste. Da es jetzt helllichter Tag war, war die undurchdringbare Schwärze, die sich wie ein Vorhang über den Durchgang gelegt hatte, anormal. Ein leichtes Frösteln zog über Laylas Haut und ihr Magen machte einen kleinen Salto, als sie ihrem Vater und Phobos durch das Portal folgte.

Auf der anderen Seite fand sie sich wieder auf derselben Straße in derselben unbekannten Stadt wieder, hinter ihr ein kleiner verlassener Laden, dessen Tür jedoch offen stand und mit einem nachtschwarzen Vorhang bedeckt war. Wie bei ihrem ersten Besuch. Allerdings war die Straße nur unwesentlich heller als zuvor, da eine dichte dunkle Wolkendecke über der Stadt hing. An einer Straßenecke konnte sie ein Schild ausmachen, das zumindest den Namen der Straße preisgab: An Mittern.

Es gibt schon seltsame Straßennamen…

Während sie Phobos die Straße hinunter folgten, fielen Layla vermehrt die Raben auf, die scheinbar überall hockten und ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, als sie daran dachte, dass diese Kreaturen – laut Phobos – keine Raben waren, sondern etwas ganz anderes. Rasch wandte sie den Blick ab.

„Sind das –?“, setzte Clancy stirnrunzelnd an, als sein Blick die Raben streifte.

„Ja“, antwortete Phobos brüsk. „Aber darum kümmert sich schon jemand. Deswegen sind wir nicht hier.“

„Ja, natürlich.“ Dennoch verschwand das Runzeln nicht von seiner Stirn. Was immer diese Raben auch waren, es schien wirklich nichts Gutes zu sein.

Als sie dieses Mal an das Haus mit der Nummer Acht kamen, war der Hund, der das letzte Mal auf der Straße gelegen hatte, nicht zu sehen. Ohne Umschweife oder ein höfliches Klopfen riss Phobos die Holztür zu Thompson’s Bar auf, als würde sie ihm selbst gehören.

Scheinbar musste es draußen heller als gedacht gewesen sein, denn die Bar wirkte dämmrig, als sie eintraten und dem Wrestler-Poster entgegenblickten. Heute standen sogar Dartpfeile neben Mad Bulls Poster bereit und warteten nur darauf geworfen zu werden. Natürlich drückten sie alle drei ihre Loyalität Thompson gegenüber aus und nach drei dumpfen Geräuschen steckten drei weitere Pfeile in der Wand und spießten das Poster auf.

Als sie den eigentlichen Schankraum betraten, war Thompson gerade dabei ein altes, lädiertes Telefon wieder wegzustellen. Es war schwarz - obwohl die Farbe schon an einigen Stellen abblätterte - und kleine Pflaster zierten die Ecken des Gerätes. Selbst der Hörer hatte einen Verband mit säuberlicher Schleife. Als Thompson das regelrecht antike Stück in seine großen Hände nahm, meinte Layla kurz ein Seufzen zu vernehmen, als der Ex-Wrestler-und-nun-Barinhaber den Hörer fürsorglich tätschelte und das Telefon wegstellte.

Im Schankraum selber warteten bereits der Cop, der eine Akte in Händen hielt, und die Autorin auf sie, doch der Maler war nirgends zu sehen. Oder ein Dalek.

„Hey, Inspector Connelly!“, begrüßte Phobos den Cop mit einem waffenscheinpflichtigen Grinsen.

Der Cop runzelte jedoch nur die Stirn. „Ich heiße aber gar nicht Connelly“, brummelte er etwas verwirrt. „Wie du sehr wohl weißt.“ Layla fand es bemerkenswert, dass er dieses Detail bemerkte, aber geflissentlich übersah, dass Phobos kein Kater mehr war, sondern ein mindestens 1,85 Meter großer Mann, der mit einer wehenden Mähne schwarzen Haares auf ihn zu schritt.

„Seit heute Vormittag stellst du dich aber so am Telefon vor“, entgegnete Phobos und nun fing auch die Autorin an zu grinsen. „Warum rufst du überhaupt an und nicht jemand, den man auch akustisch versteht, wie zum Beispiel du.“ Er machte eine Handbewegung in Richtung Autorin.

„Er hat schon wieder bei Schere-Stein-Papier verloren“, antwortete die Autorin und warf dem Cop einen amüsierten Seitenblick verhalten zu. Thompsons Gläser quietschten zustimmend. „Allerdings habe ich beim ersten Mal angerufen. Blöderweise warst du da mit dem Gegenfluch ein bisschen indisponiert. Schlechtes Timing. Also mussten wir erneut losen.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Oh, Sie sind Laylas Vater, ehemaliger Generalleutnant Clancy McCambridge. Freut mich, Sie kennen zu lernen“, sagte sie freudig und hielt ihm ihre Hand hin.

Nachdem er Phobos einen perplexen Blick geschenkt hatte, schüttelte Clancy jedoch ihre ausgestreckte Hand und danach die des Cops. „Die Freude ist ganz meinerseits“, entgegnete er höflich.

„Wo ist eigentlich…“ Phobos unterbrach sich kurz, als hätte er eigentlich etwas anderes sagen wollen. „…der Maler?“

„Oh, er hat eben eine SMS bekommen. Einer seiner Kontakte hat Lugia gesichtet und er musste natürlich gleich los“, antwortete die Autorin.

„Lugia? Das… Pokémon?!“, platzte es aus Layla heraus.

„Natürlich“, sagte der Cop. „Was denn sonst?“

„Er arbeitet gerade an einer seltenen Monster-Serie“, fügte die Autorin hinzu.

Selbst Thompson nickte hinter der Bar, als wäre die ganze Angelegenheit das Logischste der Welt.

„Ähm, okay“, sagte Layla.

Wie auch immer…

Erst jetzt fiel Layla auf, dass die zu erwartende Klaviermusik ausblieb. Als sie in die Richtung des leicht gruseligen Klavierspielers sah, musste sie feststellen, dass der alte Mann gerade dabei war sich einen Tee zu machen und den Teebeutel hoch konzentriert in eine Tasse heißen Wasser tunkte. Auf dem kleinen Schildchen des Teebeutels konnte sie gerade so Earl Grey ausmachen. Irgendwie hatte Layla gerade das unbestimmte Gefühl, als hätte sie Phobos beim letzten Mal veräppelt, als er ihr eine Milch bestellt hatte.

„Ich dachte, es gibt nur drei Getränke hier?“, fragte sie. „Warum trinkt der Klavierspieler dann Tee?“

Augenblicklich wurde ihr von der Autorin, dem Cop und Phobos eindringlich zugeflüstert: „Nicht fragen!“

Doch dann wurde es totenstill in der Bar.

Niemand machte auch nur einen Ton. Noch nicht einmal Thompsons Gläser.

Aber alle sahen sie an. Ihr Vater sah verwundert aus, aber Phobos, die Autorin und der Cop hatten betont neutrale Ausdrücke aufgesetzt und sahen sich tunlichst nicht an. Das Gesicht des Klavierspielers konnte sie nicht sehen, doch saß er sehr steif an seinem Klavier, aber Thompson sah sie äußerst finster an, sodass ihr das Herz in die Hose rutschte. Thompsons finsterer Blick war etwas, das man besser nicht erlebte. Die Stille, die sich ausbreitete, war wirklich unheimlich und Layla hatte das Gefühl, dass die Temperatur eben um ein paar Grad gesunken war.

Sie wollte sich gerade stammelnd entschuldigen, als der Klavierspieler wieder zu einem Stück ansetzte und Thompson sich erneut seinen Gläsern zuwandte.

Innerlich atmete Layla wieder aus. Auch wenn sie absolut keine Ahnung hatte, was gerade passiert war, war sie äußerst froh, dass es scheinbar vorbei war.

Mit einem krächzenden Geräusch wurde Laylas Aufmerksamkeit (und glücklicherweise auch die aller anderen Anwesenden) wieder auf den Cop gelenkt. Mit einem lauten Grummeln drückte er der Autorin seine Akte in die Hand und begann in den Tiefen seiner Manteltaschen nach der Quelle des Geräusches zu suchen. Nach einigen Sekunden wilden Wühlens holte er ein uraltes Walkie-Talkie heraus, das scheinbar an den Ecken mit Metall verstärkt worden war. Er zog eine kupferne Antenne aus und hielt sich die Apparatur vor den Mund.

„Ja?“, grummelte er laut in das Mikrofon.

„Boss?“, ertönte die rauschende Stimme eines jungen Mannes. Er klang ein wenig miserabel. „Es ist wieder passiert. Sie ist wieder passiert.“

Der Cop fluchte herzhaft, während sich sein Gesicht verfinsterte. „Ich bin auf dem Weg“, meinte er düster.

Er schaltete sein Uralt-Walkie-Talkie aus, verfrachtete es wieder in eine seiner Manteltaschen und drehte sich zum Tresen um, um in einem Zug seinen Rest an Whiskey zu leeren und seinen Hut wiederaufzusetzen. Er nahm der Autorin die Akte wieder ab und drückte sie dieses Mal Phobos in die Hände.

„Hier steht alles drin, was ich herausfinden konnte“, sagte er ernst. „Aber ich fürchte, es wird dir nicht gefallen.“

Er gab Phobos noch einen Klaps auf die Schulter und verabschiedete sich mit einem brummelnden Laut von allen anderen, ehe er stapfend und fluchend die Bar verließ. Thompsons Gläser gaben einen Abschiedsgruß von sich.

„Er hat zugegebener Maßen Recht“, meldete sich die Autorin wieder zu Wort. „Der Maler und ich haben auch nicht so viel gefunden, wie wir gerne gehabt hätten. Meine Hoffnungen liegen derzeit noch in einem meiner besten Informanten, der jetzt auch jeden Augenblick hier eintreffen müsste.“

Sie wandte sich zum Tresen um und holte einen schwarzen Ordner hervor. Als ihr Handy klingelte, reichte sie Phobos den Ordner. „Hier. Ich muss mal gerade rangehen.“ Sie holte eine Art Klapphandy aus ihrer Hosentasche und musterte das Gerät hochkonzentriert, als sie versuchte den Anruf anzunehmen. „Das Ding ist neu; ich komme noch nicht so ganz damit klar“, gab sie zur Erklärung preis.

„Yo“, meldete sie sich und hielt sich das Handy ans Ohr.

„Yohoo!“, ertönte eine bekannte Stimme laut aus dem Handy, welches die Autorin schnell wieder von ihrem Ohr entfernte. „Wieso brauchst du so lange zum Abnehmen?“

„Weil das Scheißteil neu ist! Ich gehe nie wieder mit dir auf eine Messe!“, fluchte sie. „Außerdem bist du grade auf Lautsprecher.“

„Vergiss das jetzt einfach und hör mir zu!“, wies der Maler sie aufgeregt an. „Du verpasst grade wirklich was!“

Die Autorin blickte düster zu Phobos auf. „Du schuldest mir was, Kumpel.“

„Was?“, fragte der Maler perplex.

„Nicht du! Ich meinte die Katze, welche übrigens wirklich männlich ist.“

„Ach, so. Aber jetzt hör gefälligst zu“, meinte er aufgeregt und ungeduldig zugleich. „Ich bin ja hergekommen, um Lugia zu zeichnen. In meinem Hyper-Stealth-Sneak-Mode habe ich das natürlich in 3,7 Sekunden geschafft – meine persönliche Bestzeit übrigens, die wahrscheinlich noch nicht einmal von Snake selber getoppt werden kann – aber dann ist alles in die Luft geflogen. Cr- ich meine natürlich des Cops Arch-Nemesis ist aufgetaucht und es ist wie üblich alles in die Brüche gegangen. Live ist das echt ein Erlebnis! Ich musste das Ergebnis erst einmal zeichnen. Der Stiefel, der an der Laterne hängt, ist mir echt gut gelungen, finde ich; auch vom Schattenwurf her. Aber das ist noch nicht das Beste! Gerade ist der Cop angekommen!“

Im Hintergrund konnte Layla wirklich das Fluchen des Cops hören. „LUCIA!“, brüllte er gerade und es hörte sich so an, als wäre etwas Schweres zu Bruch gegangen.

Es heißt ‚Lugia‘…

„Oh, gerade ist die letzte stehende Hauswand eingefallen!“, sagte der Maler überglücklich. „Ich lege auf; ich muss das zeichnen!“

Missmutig schaute die Autorin auf das tutende Telefon in ihrer Hand und dann zu Phobos. „Du schuldest mir wirklich was“, meinte sie finster.

„Wenn es dich beruhigt: ich sehe es ja auch nicht live“, versuchte Phobos die Situation zu retten.

„Hmpf. Schwacher Trost.“ Sie wirkte wirklich ein bisschen geknickt. Auch Thompsons Gläser quietschten ein bisschen trauriger.

Das dumpfe Geräusch von einem einschlagenden Dartpfeil in eine Posterwand unterband jedoch den potentiell aufkommenden Streit zwischen der Autorin und Phobos. Der kollektive Blick richtete sich auf den Eingangsbereich, in dem gerade ein großer, breitschultriger Mann erschien.

Er trug eine Brille und war komplett in schwarz gekleidet, doch die Ausbeulungen unter seiner Lederjacke ließen vermuten, dass der mindestens zwei Waffen darunter trug. Als er näher kam, revidierte sie ihre anfängliche Annahme bezüglich des Alters des Mannes. Er war wesentlich jünger, als sie anfangs gedacht hatte. Älter als sie selbst, aber nicht viel; er schien etwa im selben Alter, wie die Autorin zu sein, welche Layla auf unter dreißig schätzte.

Als er zur Autorin gesellte, welche ihm vielleicht bis zur Schulter reichte, bemerkte sie erst die versteinerte Miene ihres Vaters, der den jungen Mann anstarrte und noch nicht einmal blinzelte. Allerdings zog er Layla näher zu sich, weg von dem Mann.

„Clancy“, sagte Phobos leise und griff nach seinem Arm. „Denk dran, das hier ist neutraler Boden.“

„Gut“, meinte Clancy zwischen knirschenden Zähnen hindurch. „Meinetwegen.“

Der junge Mann sah ihn mit einem berechnenden Blick in den Augen an, aber er brach den Blickkontakt zuerst. Seine Augen sahen denen der Autorin sehr ähnlich. Layla hatte dennoch ein ungutes Gefühl bei ihm. Er öffnete den Reißverschluss seiner Jacke und holte einen großen beigen Umschlag heraus.

„Was?“, fragte er auf den skeptischen Blick der Autorin hin. Seine Stimme war zwar tief, doch bestätigte Laylas zweite Annahme seines Alters.

„Ich glaube, du bekommst eine Glatze“, sinnierte sie.

„Das ist das Gel!“, meinte er aufgebracht und schob sich verteidigend eine Hand über die dunklen Haare.

Die Autorin grinste.

„Wie auch immer… Das ist alles, was ich herausfinden konnte“, erklärte er irritiert und reichte den Umschlag der Autorin.

Die Autorin öffnete den Umschlag und holte ein paar Dokumente heraus. Während sie sie durchblätterte, wurde ihr Gesichtsausdruck auch nicht glücklicher. Schließlich steckte sie die Dokumente wieder in den Umschlag und reichte ihn ebenfalls Phobos.

„Das ist alles, was wir herausgefunden haben, aber im Prinzip steht überall dasselbe drin“, sagte sie, offensichtlich unzufrieden.

„Ich bin mir nicht sicher“, ergriff der junge Mann das Wort, „aber ich glaube irgendwer hat versucht seine Spuren zu verwischen.“

„Ja, den Verdacht hatten wir auch schon“, nickte die Autorin; ein zustimmendes Quietschen hinter der Bar; ein dunkles ‚dödödödöööm!‘ vom Klavierspieler.

„Inwiefern?“, fragte Phobos nach und fing an die Akte des Cops durchzugehen. Abwesend reichte der Clancy den Ordner und den Umschlag.

„Naja, wir haben alle unsere Quellen angezapft, selbst Thompson, aber keiner von uns hat eine offizielle Sichtung eines Dullahans nach Beginn des Siebenjährigen Krieges gefunden“, erklärte sie. „Schaut selbst nach.“

Stirnrunzelnd reichte Clancy Layla den schwarzen Ordner, um selbst den Inhalt des ominösen Umschlags zu untersuchen. Scheinbar wollte er wirklich nicht, dass sie in Kontakt mit irgendetwas kam, was vorher in Kontakt mit dem noch immer namenlosen Mann war.

Dennoch war ihre eigene Neugier geweckt und sie setzte sich an einen der Tische, um den Ordner aufzuschlagen. Sein Inhalt war grob unterteilt in drei Teile, die mit ‚A‘, ‚M‘ und ‚T‘ gekennzeichnet waren.

Steht wahrscheinlich für ‚Autorin‘, ‚Maler‘ und ‚Thompson‘.

Sie widmete sich dem ersten Teil und überflog eine Liste aller offiziellen Sichtungen, die von einer ihr unbekannten Regierung herausgegeben wurde. Layla wusste zwar nicht mehr, wann genau der Siebenjährige Krieg gewesen war, aber die letzte offizielle Sichtung auf der Liste fand im Jahre 1756 statt.

„Du hast Recht“, sagte Phobos langsam. „Der Cop hat auch nichts Offizielles nach 1756 gefunden.“

„Eben“, entgegnete die Autorin. „Nur durch Glück wusste ich von einem Vampir, der einmal einen Dullahan gesehen hat. Er meinte, er hätte in der Nacht, in der er zum Vampir geworden ist, einen Dullahan gesehen, aber der gute Clifford ist erst 1784 geboren und erst 1803 zum Vampir geworden. Daraufhin habe ich ihn hier“ – sie deutete mit dem Daumen auf den namenlosen Mann – „losgeschickt, um zu überprüfen, ob es vielleicht noch andere Fälle von inoffiziellen Sichtungen gab.“

„Die Ergebnisse sind in dem Umschlag“, fügte der Mann hinzu. „Die wenigen Sichtungen, die es gab, sind oft Leuten wiederfahren, die dann später in Irrenhäusern gelandet sind. In Orten wie dem Blackthorne Institute .“

Der Name klang in Laylas Ohren schon unheilverkündend.

„Was quasi gleichbedeutend mit ‚keine Quellen‘ ist“, setzte Clancy nach.

„Richtig. Aber wir haben vorgestern erst auf dem Schwarzmarkt das Tagebuch einer französischen Maitresse gefunden, die nicht in die Klapse eingeliefert wurde“, erwiderte die Autorin. „Die vollständige Kopie ist in dem schwarzen Ordner. Thompson und der Maler haben eine Liste der inoffiziellen Sichtungen erstellt, die alle außer denen in dem Umschlag enthält.“

Als Layla den Ordner auf der Suche nach eben dieser Liste oder dem französischen Tagebuch durchblätterte, stieß sie auf eine Liste der offiziellen Vertragspartner des Dullahan. Eine Reihe von Namen war auf der Liste aufgeführt, alle aus der Familie Ravensworth. Als letztes wurde Neith Ravensworth genannt. Die Liste war wieder von derselben unbekannten Regierung ausgestellt worden; erst jetzt bemerkte sie, dass sich der Sitz dieser Regierung in Limbus City befand.

Das hier sind offizielle Bewahrer-Dokumente! Was für Quellen haben diese Leute?!

„Habt ihr was zu inoffiziellen Vertragspartnern gefunden?“, wollte Phobos wissen.

Die Autorin schüttelte missmutig den Kopf und Thompsons Gläser gaben ein dumpfes Quietschen von sich.

„Nein. Neith Ravensworth scheint die Letzte gewesen zu sein, die mit dem Dullahan einen Vertrag geschlossen hat. Es gab ein paar Beschwörungen, aber der Geist ist nie lange geblieben. Allerdings hat der Dullahan, dem ihr begegnet seid und der in Beschwörungen erschienen ist, auch ein Pferd mit Kopf. Es könnte also auch ein neuer Dullahan sein, was ich aber persönlich nicht glaube.“

Thompson brummte seine Zustimmung.

„Denke ich auch nicht“, stimmte Phobos ebenfalls zu. „Als der Dullahan noch in Sir Williams Diensten stand, hatte sein Pferd auch einen Kopf, erst bei Neith selber hatte das Pferd keinen mehr.“

„Also gibt es nur drei Möglichkeiten: Entweder der Dullahan agiert von sich heraus und unabhängig von einem Vertrag“, nannte Clancy die erste Möglichkeit.

„Oder es gibt einen neuen Vertragspartner, der es geschafft hat, all die Jahre unentdeckt zu bleiben“, zählte Phobos Nummer zwei auf. „Was auch potentiell bislang unbekannte Nachfahren der Ravensworths beinhaltet.“

„Oder Neith Ravensworth ist widererwarten noch am Leben“, schloss die Autorin.

Phobos ließ einen Brummlaut vernehmen, der Lochan stolz gemacht hätte. „Irgendwie gefallen mir alle drei Möglichkeiten nicht“, meinte er zerknirscht. „Vor allem nicht, wenn du solche Dinge sagst, wie ‚sie könnte noch am Leben sein‘.“

Die Autorin lächelte entschuldigend. „Es ist nur eine Vermutung. Aber vielleicht findest du mehr raus, wenn du andere Kontraktgeister fragst. Wir sind alle nur sehr begrenzt magisch begabt und bekommen nur mit Mühe und Not eine Beschwörung hin. Vielleicht hast du mehr Glück.“

„Einen Versuch ist es wert“, nickte Phobos. „Aber danke für eure Hilfe, ich schulde euch wirklich was.“

„Ein explodierendes Gebäude?“, schlug die Autorin mit einer hochgezogenen Braue vor. Das Piercing darin glänzte verschwörerisch.

Phobos lachte auf. „Ich werde sehen, was ich tun kann.“

„Das ist aber auch das Mindeste“, meinte sie grinsend.

„Bitte nicht mein Haus“, warf Clancy trocken ein und legte die Dokumente wieder in den Umschlag zurück. „Das habe ich gerade erst gekauft.“

Layla hatte das unbestimmte Gefühl, dass sie bald aufbrechen würden, also schloss sie ebenfalls den Ordner und stand auf, um sich wieder zu ihrem Vater zu gesellen.

Während sie sich verabschieden wollten, trat Phobos vor und umarmte die Autorin, die sichtlich überrascht darüber war. Selbst der namenlose Mann schien überrascht. „Danke“, meinte Phobos ein letztes Mal und Layla war sich nicht sicher, ob er vielleicht nicht auch Thompson umarmt hätte, wenn er nicht auf der anderen Seite des Tresens gestanden hätte. Stattdessen reichte er ihm und dem jungen Mann die Hand und beide schüttelten sie. Der Einzige, dem er nicht die Hand schüttelte, war der Klavierspieler. Allerdings war dieser auch auf eine imposante Weise damit beschäftigt, ein trauriges Abschiedsstück zu spielen und hatte somit keine Hand zum Schütteln frei.

Als sie die Tür erreicht hatten, hörte Layla den jungen Mann fragen: „Was zauberst du uns denn heute Schönes zum Mittagessen?“

„Ach, mach dir doch ‘n Mettigel“, antwortete die Autorin entnervt und die Tür fiel ins Schloss, sodass Layla die Erwiderung des Unbekannten nicht mehr hören konnte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: Futuhiro
2011-09-03T16:08:39+00:00 03.09.2011 18:08
Gott, Phobos ist so Zucker, ich liebe ihn einfach ^^
Das Kapitel war wieder erfrischend witzig. Schade, daß Liam nicht mehr groß mitspielen durfte. Der Kommentar "Er hat 3x die Vorratskammer leergeräumt, nur 1x mehr als sonst." fand ich einsame Spitze. Liam taucht doch aber in der Story irgendwann nochmal auf, oder?
Wo es hieß "Sein Kontaktmann hat Lugia gesichtet" dachte ich erst "Hä? Ist das nicht ein Pokemon? Was hat das denn hier zu suchen?" - Und dann dachte Layla genau das gleiche. Fand ich gut. ^^

Ach ja, und tausend Dank für die Widmung und die Werbung für mein Fanart. Ich freu mich riesig ^^


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