Verschüttet
Hallöchen,
mal wieder habe ich es nicht rechtzeitig geschafft. Aber nun geht es weiter.
Viel Spaß beim Lesen....
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Verschüttet
Es herrschte eine bedrückende Stille. Der Gesteinsstaub legte sich wie
erstickende Decke auf alles. Er war einfach überall. Haftete auf der Haut,
kroch in die Nase, ja, man schmeckte ihn sogar im Mund und er reizte zum Husten.
Halb benommen richtete sich Hiroki langsam auf. Der schwache Schein der Lampe
glühte in der Dunkelheit. Wie durch ein Wunder war sie nicht erloschen.
Vorsichtig bewegte Hiroki die Arme und Beine. Anscheinend war nichts gebrochen.
Im Schein der Lampe sah er einen Körper unmittelbar neben sich liegen. Die
dunkle Kleidung und die Rüstung ließen ihn den Youkai erkennen.
Mit einem leisen Stöhnen richtete sich Keisuke in diesen Sekunden ebenfalls
auf. Seine dunklen Augen glühten in der Dunkelheit, wie zwei Kohlestücke.
~Wie bei einem Raubtie ~, schoss es Hiroki durch den Sinn.
"Alles in Ordnung?", fragte er. Der Youkai schnaubte abfällig. "Ich bin kein
schwächlicher Mensch."
Innerlich schüttelte Hiroki nur den Kopf. Es war ihm ein Rätsel, wie Rin die
Nähe dieses Kerls aushalten konnte.
RIN!
Der Gedanke an die junge Frau ließ ihn erschaudern.
"Rin! Rin wo bist du?", schrie er in die Dunkelheit.
Angewidert verzog Keisuke das Gesicht. Noch immer klingelten ihm die Ohren von
dem Knall der Explosion und nun schrie dieser Kerl hier auch noch herum.
"Still!", knurrte er Hiroki ärgerlich an. "So kann ich nichts hören."
Augenblicklich verstummte Hiroki. Für den Youkai würde es mit Sicherheit keine
große Mühe machen Rin zu finden, wenn sie noch lebte. Dafür verzieh er ihm
sogar die mehr als respektlose Ansprache.
Keisuke konzentrierte sich. Der Staub behinderte die Witterung, doch konnte er
nach wenigen Minuten Rin‘s Geruch wahrnehmen. Unterstützt wurde er durch die
Tatsache, dass die junge Frau offenbar verletzt war, denn ihr Blutgeruch
verstärkte seine Wahrnehmung
Das schwache Licht reichte für seine scharfen Augen aus die Umgebung zu
erkennen. Ein leises Schleifen erregte seine Aufmerksamkeit.
Es war anders, als das Rieseln eines Felsbrockens. In den feinen Staubschleiern
erkannte er einen Körper, der nahe der Stelle lag, wo sich der Gang durch den
Felssturz verschlossen hatte.
Mit wenigen Schritten war er an Rin’s Seite. Sie lag halb auf ihrer rechten
Körperhälfte.
Vorsichtig packte Keisuke sie an den Schultern und drehte sie herum.
An ihrer linken Schläfe befand sich eine Platzwunde, aus der Blut über ihre
Wange gelaufen war.
Trotz der Staubschicht, die ihr Gesicht bedeckte, wirkte ihre Haut fürchterlich
bleich.
~Rin!~, durchfuhr es Keisuke mit Schrecken. Ohne es zu bewusst zu bemerken,
legte er seine Handfläche an ihre Wange und fuhr mit seinem Daumen sanft über
ihre halb geöffneten Lippen.
Voller Erleichterung spürte er ihren warmen Atem über seine Haut streifen.
Im gleichen Moment begannen ihre Augenlider zu flattern.
Mit einer geschmeidigen Bewegung erhob sich Keisuke und trat zur Seite.
"Sie lebt!", teilte er Hiroki ohne hörbare Regung mit und beobachtete, wie der
Fürstensohn sich ohne große Umstände neben Rin kniete und über die junge Frau
beugte.
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Rin‘s Kopf dröhnte und auch in ihrem rechten Oberarm pochte es schmerzhaft. Sie
hatte nicht die Kraft sich zu bewegen.
Noch nicht.
Dafür hörte sie Stimmen und erkannte die raue ihres Leibwächters und die
weichere des Fürstensohnes.
Ob sie wussten, dass sie auch hier war?
Sie wollte rufen, sich irgendwie bemerkbar machen, doch versagte ihre Stimme.
Im nächsten Moment fühlte sie sich von kräftigen Händen gepackt und auf den
Rücken gedreht. Eine Hand legte sich ihr sanft auf die Wange und zärtlich
spürte sie den Daumen davon über ihre Lippen streifen.
Voller innerem Staunen bemerkte sie die Härte und die Schwielen in der
Handfläche. Schwielen, wie sie nur durch die tägliche Übung mit dem Schwert
entstanden.
Das war mit absoluter Sicherheit nicht der Fürstensohn Hiroki, sondern der
Inuyoukai.
Die Hand verschwand und Rin fühlte sich, als ob sie mit einem Mal den einzigen
Halt in dieser dunklen, bedrohlichen Welt verloren hatte.
Sie wollte ihn sehen. Mit aller Macht öffnete sie die Augen, doch über ihr
befand sich nicht Keisuke, sondern Hiroki, der sie besorgt musterte.
Behutsam half er ihr sich aufzurichten.
"Alles in Ordnung?", fragte er, als er sah, wie sich Rin an den Kopf griff und
gleich darauf schmerzerfüllt das Gesicht verzog.
"Mein Kopf dröhnt, doch das wird sicher bald wieder", sie verschwieg, dass ihr
rechter Arm ebenfalls schmerzte und sie das Gefühl hatte irgendwie ihre
Kleidung auf der Haut kleben zu spüren. Sie sah sich anstatt dessen um. "Was
ist passiert?"
"So wie es aussieht, haben wir noch mal großes Glück gehabt. Der Mineneingang
ist offensichtlich eingestürzt…", begann Hiroki und wurde mit einem abfälligen
Schnauben von Seiten des Youkai unterbrochen.
"Falsch. Er ist nicht von selbst eingebrochen, sondern jemand hat da kräftig
nachgeholfen."
Rin stemmte sich auf die Beine und nahm dankbar die Hilfe von Hirokis’s
dargereichter Hand an.
"Schießpulver?", fragte Rin kurz nach. Keisuke nickte und wandte sich wieder
den beiden Menschen zu. Er hatte die Felsen untersucht, die herabgestürzt waren.
Hier gab es kein Durchkommen.
"Das ist Hochverrat.", sagte Hiroki und seine Stimme bebte vor unterdrückter
Wut. "Wer ist so vermessen und plant so etwas?"
"Ist das nicht offensichtlich, Lord Nakazato?", kam die Frage mit einem
deutlich spöttischen Unterton von Keisuke. "Der einzige, der hier nicht zu
sehen ist, ist Euer so hochgeschätzter Verwalter. Er ist zufälliger Weise kurz
vor der Explosion aus der Mine gegangen, um noch mehr Lichter zu holen. Ein
mehr als merkwürdiger Zufall. Wäre noch eine weitere Person hier gewesen, dann
seid versichert, dass ich ihre Anwesenheit bemerkt hätte."
Hiroki hatte den Youkai bis jetzt schweigend zugehört. Doch in seinem Gesicht
arbeitete es. "Das heißt, er hat uns absichtlich in diese Mine geführt und uns
dann versucht durch diese Explosion zu töten. Dafür wird er mit seinem Leben
bezahlen."
"Dafür müssen wir jedoch erst mal hier heraus, sonst geht sein Plan noch
auf", erwiderte Keisuke sarkastisch.
Er musterte Rin kurz. Die Wunde an ihrer Schläfe bildete schon eine Kruste.
Rin bemerkte seinen abschätzenden Blick. "Mir geht es gut", erwiderte sie.
"Lasst uns versuchen einen zweiten Ausgang zu finden."
Hiroki bückte sich und nahm die Laterne auf, die wie durch ein Wunder immer
noch brannte.
Er leuchtete. Wie ein dunkler Schlund ging der Gang tiefer in den Berg. Er sah
seine Begleiter an. "Dann los!"
Gemeinsam machten sie sich auf den Weg.
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Dicke, weiße Schweißflocken bedeckten den Hals des Pferdes. Die Nüstern waren
weit aufgerissen, dass man das rote sehen konnte.
Ohne sein Tier zu schonen, war Makoto in Rekordzeit wieder zum Schloss
zurückgekehrt. Er ritt in den Hof ein.
Schon kam ein Diener heran und nahm ihm das heftig atmende Tier ab.
Während des Höllenrittes zurück, hatte er sich schon einen Plan ausgedacht. Die
Zeit drängte, nun musste alles schnell über die Bühne gehen.
Seine Machenschaften waren aufgeflogen. Die Besichtigung der Mine hätte zu
Tage gefördert, dass sie durchaus noch ertragreich war.
Er hatte sie für wertlos erklärt und jede heimlich geförderte Unze in die
eigenen Taschen gewirtschaftet.
Er hatte sich sicher gewähnt, bis dieses verdammt Weibsstück mit den Youkai
aufgetaucht war und sein schönes Leben entzweibrach.
Doch er hatte genug, um bis an sein Lebensende ohne Sorgen Leben zu können.
Wenn er es nur schaffte unbeschadet aus dem Schloss zu kommen, dann war alles
gut.
"Hilfe!", schrie er laut. Der Diener, der sein Pferd genommen hatte, zuckte
erschreckt zusammen.
Makoto rannte in das Schloss und geradewegs in die Gemächer des Fürsten.
Es musste echt wirken. Vorbei an den Schreibern, die aufschreckten, als er an
ihnen vorbei rannte, stürmte er in das Arbeitszimmer des Fürsten und warf sich
ihm zu Füßen.
Der persönliche Assistent zuckte genauso zusammen, wie der Fürst selbst.
"Herr!", stieß Makoto keuchend aus. "Herr… etwas Fürchterliches ist passiert.
Es gab einen Erdrutsch und die Hime und ihr Leibwächter wurden in der Mine
verschüttet." Makoto hörte, das Aufstöhnen des Fürsten und über sein tief auf
den Boden gesenktes Gesicht glitt ein heimtückisches Grinsen.
"Mein Sohn?", stieß der Fürst aus und trotz das er ruhig sprach, konnte Makoto
das Beben in der Stimme deutlich hören.
"Verzeiht, Herr. Auch Euer Sohn konnte sich nicht mehr rechtzeitig retten."
"Takumi, sorge sofort dafür, dass unverzüglich ein Rettungstrupp zusammengestellt
wird", befahl der Fürst.
"Sofort, Herr!" Der Assistent erhob sich eilig und verließ schnellen Schrittes
das Arbeitszimmer.
"Makoto-san… seid Ihr verletzt?", fragte der Fürst nach.
"Nein, mein Herr", schüttelte der Verwalter den Kopf "Nein, Herr. Ich wollte
gerade mehr Lichter holen und befand mich am Eingang der Mine, als ich das
Brechen der Felsen hörte. Mir gelang es buchstäblich in letzter Sekunde zu
fliehen."
"Ich danke Euch, dass ihr so schnell hierhergekommen seid. Ruht Euch aus. Ihr
habt alles Menschenmögliche getan."
"Zu gütig Herr", mit einer geschmeidigen Bewegung erhob sich Makoto und mit
einer tiefen Verbeugung, verließ er das Zimmer.
Behutsam schloss er die Tür.
Er musste sich beherrschen, dass er nicht laut jubelte. Es hatte geklappt. Die
meisten Wachen würden jetzt zu einer hoffnungslosen Rettungsmission aufbrechen. Und er bekam die Zeit, die er benötigte um seine wichtigen Unterlagen zusammenzusuchen und sich in sein Versteck zurückzuziehen.
Wenn dann sich die Aufregung gelegt hatte, konnte er unbemerkt aus dem Schloss
fliehen in die Freiheit.
Die Wachen würden eine halbe Ewigkeit brauchen, bis sie Mine erreicht und die
Steinbrocken zur Seite geräumt hatten. Die Zeit würde voll für ihn ausreichen. In ein paar Stunden war alles überstanden und er war auf dem Weg mit den Taschen voller Geld.
Eilig lief er zu seinem Zimmer. Dort angekommen, streckte er schon die Hand
aus, um die Tür zu Seite zu schieben, als er stutzte.
Sie war nicht vollständig geschlossen, ein winziger Spalt stand offen. Ein
Eisschauder rann über seinen Rücken.
Er ließ die Türen niemals offen.
Vorsichtig beugte Makoto sich vor und lugte durch den Spalt. Im ersten Moment
konnte er nichts erkennen, dann sah er auf einmal eine kleine Gestalt in sein
Blickfeld treten.
Eine kleine grüne Gestalt.
Es war dieser schleimige kleine Youkai Bastrad.
Lautlos schob Makoto die Tür auf und schlich sich von hinten an das Geschöpf
heran. Beim Vorbeigehen an seinem Schreibpult, griff er sich eine Bambusrolle.
Lautlos schlich er sich näher. Hoch hob er den Arm. Noch immer ahnte der Youkai
nichts von der drohenden Gefahr.
Jaken legte das Dokument wieder an seinem Platz zurück, das er eben gerade in
Augeschein genommen hatte. Es war absolut nichts Verdächtiges zu finden.
Seine Hand streckte sich nach dem Nintojo-Stab, den er zum Suchen abgelegte
hatte, und nahm ihn wieder auf.
Ein leises Knirschen drang an sein Ohr und er erstarrte inmitten der Bewegung.
Er war nicht mehr allein.
Alle seine Sinne schlugen Alarm. Mit einer schnellen Drehung wandte Jaken sich
um. Ein leiser Schrei der Überraschung entfuhr ihm, als er hoch über sich den
Verwalter aufragen sah. Dessen Gesicht in Wut verzerrt. Jaken riss den
Nintojo-Stab hoch. Das hölzerne Gesicht des Mannes zielte auf den Angreifer.
Makoto spürte, die Gefahr in der er sich von einem zur anderen Moment befand
und duckte sich. Buchstäblich in letzter Sekunde, denn eine Feuerlohe fuhr
aus dem Gesicht auf dem Ende des Stabes. Raste nur knapp über seinen Kopf
hinweg und prallte oben an die Holzdecke.
Zum Glück war es nur ein kurzer Feuerstoß, der den schweren Holzbalken nicht
in Flammen setzte.
Mit einer schnellen Bewegung ließ Makoto das Bambusrohr niederfahren. Ein
hohles Geräusch erklang, als es krachend den Kopf des Youkai traf.
Die gelben hervorstehenden Augen der Kröte wurden ausdruckslos und mit einem
Stöhnen klappte er zusammen, wie eine Marionette, deren Fäden durchtrennt
worden waren. Keuchend ließ Makoto das Rohr sinken.
Hastig kniete er nieder und untersuchte den Youkai. Er war nicht tot, nur
bewusstlos.
Schnell stand er auf und ging an die linke Wand des Raumes hinüber, wo eine
schwere Truhe stand. Er schob sie zur Seite und legte den Fußboden frei. Dann
kniete er nieder. Seine Finger glitten über die Holzdielen und fanden
zielsicher das Astloch.
Mit einem Ruck entfernte Makoto die Diele und zog dann noch einige weitere aus
der Verankerung.
Ein Lächeln glitt über seine Lippen, als er der Inhalt des verborgenen
Verstecks frei vor ihm lag. Beutel voller Silber und Edelsteinen. Dokumente
die bewiesen, dass sich noch mehrere wertvolle Waren in Lagerhäusern in dem
nächsten Hafen auf ihn warteten.
Er würde ein sehr, sehr reicher Mann sein und er musste nie wieder irgendjemand
dienen.
Hastig packte er alle Sachen zusammen und stopfte sie in einem großen Beutel.
Dann brachte er alles wieder in die ursprüngliche Lage zurück und schob zum
Schluss sogar die Truhe wieder auf ihren Platz.
Er wuchtete sich den Sack auf die Schultern und machte sich daran, den Raum
zu verlassen.
Kurz vor der Tür hielt er inne und drehte sich um. Der Youkai lag noch immer
bewusstlos auf den Dielen. Doch das konnte sich sicher schnell ändern.
Wenn er aufwachte, würde er mit Sicherheit das gesamte Schloss alarmieren. Das
konnte er nicht zu lassen. Er brauchte nur noch wenige Stunden, bis er alles
zusammen hatte und dann würde er einfach verschwinden.
Makoto ließ den Sack zu Boden gleiten. Dann trat er wieder an die Truhe und
öffnet nun den Deckel. Er griff hinein und zog einen Umhang hervor.
Mit diesem kehrte er zu der Kröte zurück und wickelte den leblosen Körper darin
ein. Dann wuchtete er erneut den Sack auf den Rücken, klemmte sich zusätzlich
Jaken unter den Arm und verließ seinen Raum.
Mit dem Fuß schob er die Türe zu.
Leise schlich er die Gänge entlang.
Er hatte schon vor Monaten den besten Weg ausgekundschaftet, den er gehen
musste um möglichst ungesehen in sein Versteck zu kommen.
Auch diesmal war ihm das Glück holt. Ungesehen erreichte er den Schuppen und
schloss aufatmend die Tür hinter sich.
Jetzt konnte Makoto in Ruhe alles für seine Flucht vorbereiten.
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Rin lehnte sich für einen Moment an die kühle Tunnelwand und schloss die Augen.
Nur für einige Sekunden ausruhen… nur ein wenig. Die Kopfschmerzen waren immer
noch da. Sie waren so stark geworden, dass es ihr inzwischen Mühe machte nicht
darüber zu stöhnen. Zusätzlich hatte sich das Pochen in ihrem Arm verstärkt.
Sie biss sich entschlossen auf die Unterlippe. Sie durfte die anderen nicht
aufhalten. Wenn sie sich auch noch Sorgen um sie machen mussten, dann schwanden
ihre Chancen hier herauszukommen.
~Du musst weiter. Du hast versprochen ihm nicht zu Last zu fallen~, feuerte sie
sich selbst an und öffnete wieder die Augen.
Erschrocken entwich Rin ein leiser Schrei, als sie unmittelbar vor sich die
große Gestalt von Keisuke sah. Wie ein Schatten hatte er sich ihr geräuschlos
genähert. Der Dämon musterte sie mit leicht zusammengekniffenen Augen.
"Warum hast du nichts gesagt?", zischte er leise. Deutlich konnte Rin hören,
dass er verärgert war.
Er vergaß sogar, dass er sie gerade mehr als vertraulich angeredet hatte.
Rin zuckte leicht mit der unverletzten Schulter. "Ich hätte uns aufgehalten
und wir müssen doch hier heraus", antwortete sie ebenso leise.
Mit einem ärgerlichen Knurren packte er sie am rechten Arm. "Halt still!"
Mit den Krallen seiner Hand zerteilte er ohne große Umstände den Stoff des
Ärmels und legte somit Rin’s Oberarm frei. Obwohl sie das Schlimmste
befürchtete, schielte Rin neugierig auf ihren Arm.
Eine in der Tat hässliche Wunde war durch den Steinschlag entstanden. Fast
eine Hand lang und gut zwei Finger breit. Sie hatte ziemlich stark geblutet
und die Blutspur zog sich ihren gesamten Arm herunter. Noch immer sickerte
frisches Blut durch den Riss.
Das war auch der Grund, weshalb Keisuke es schließlich auch bemerkt hatte.
Ihre Platzwunde an ihrer Schläfe hatte schon eine Kruste gebildet.
Doch er hatte immer noch den frischen Blutgeruch in der Nase gehabt.
Schließlich war er misstrauisch geworden und Rin’s Verhalten hatte seinen
Verdacht nur bestätigt.
Mit wenigen Handgriffen riss er die Stoffstreifen, die er abgetrennt hatte,
auseinander und verband ihren Arm. Als er den provisorischen Verband anzog,
konnte Rin ein Stöhnen nicht mehr unterdrücken. Doch sie hielt mit aller Macht
still, damit ihr Leibwächter seine Arbeit vollenden konnte.
Schließlich zierte ihren Oberarm ein provisorischer Verband.
"Bleib ab jetzt direkt hinter mir", knurrte er leise und Rin konnte noch immer
den Ärger in seiner Stimme hören.
Ohne ein weiteres Wort drehte er sich rum und ging los.
Rin folgte ihm schweigend.
Nur wenige Schritte entfernt hatte Hiroki gewartet. Er hob die Lampe hoch.
"War irgendetwas?", fragte er.
Keisuke schüttelte den Kopf und ging an ihm vorbei um wieder die Spitze zu
übernehmen.
"Nein", war alles, was er von sich gab.
Mit einem Blick musterte Hiroki Rin kurz, die Keisuke folgte und setzte sich
dann neben sie. Er hob die Lampe an und leuchtete den Weg.
Staub und kleine Gesteinsbrocken durchzogen den gesamten Gang. Das spärliche
Licht reichte dem Youkai aus. Immer wieder hob er witternd den Kopf. Langsam
wurde der Geruch von frischer Luft intensiver.
Es konnte nicht mehr weit sein. Er lauschte kurz nach hinten, doch Rin folgte
ihm so nah wie möglich.
Genauso wie er es befohlen hatte.
~Eigensinniges Weib~, dachte Keisuke sich
Wie konnte man nur so eine Verletzung einfach ignorieren, nur um den anderen
nicht zur Last fallen zu wollen. Gerade dadurch hatte sie die Lage für sich
nicht verbessert.
Er hatte nur zu genau den Anfang des Fiebers gespürt, das sich begann in Rin’s
Körper auszubreiten.
Sie musste so schnell wie möglich hier heraus und zu einem Arzt. Der Gedanke
an ihre Verletzung machte ihm zu seiner eigenen Überraschung tiefe Sorge.
Unmerklich beschleunigte seine Schritte in dem Bestreben so schnell wie
möglich einen Ausgang zu finden.
Der Schein der Lampe begleitete ihre Schritte und war für die beiden Menschen
das einzige, was sie in dieser Dunkelheit sehen konnten. Der flackernde Schein
warf unheimliche Schatten an die steinernen Wände und formte Ungeheuer, die
ihnen auf Schritt und Tritt zu folgen schienen.
Mit einem Mal blieb Hiroki stehen und trat näher an die linke Tunnelwand. Er
hob die Lampe etwas höher und im nächsten Moment hörte man ihn kräftig fluchen.
Keisuke hielt inne und drehte sich um.
Rin trat an die Seite Fürstensohns. Im ersten Moment wusste sie nicht, was
ihn offenbar so aufregte, doch dann erkannte sie im flackernden Lichterschein
glitzernde Streifen im grauen Gestein. Vorsichtig fuhr sie mit dem Fingern
über eine der Adern.
"Ist es das, was ich vermute?", fragte sie.
"Oh ja", brummte Hiroki. "Das hier ist der Beweis, dass diese Mine durchaus
nicht erloschen ist. Das hier ist der unwiderlegbare Beweis, das Makoto
wirklich unsere Familie und damit auch den Inu no Taishou bestohlen hat.
Rin… ich möchte mich in aller Form bei Euch und Eurem Vater entschuldigen."
"Dafür ist glaube ich kaum hier und jetzt der passende Zeitpunkt", knurrte
Keisuke. "Wir müssen erst mal hier heraus und dann könnt ihr alles andere so
lange und ausführlich besprechen, wie ihr wollt. Kommt…" Er drehte sich um und
ging los.
Augenblicklich folgte Rin und Hiroki blieb nichts anders übrig als ihrem
Beispiel zu folgen. Er hastete an ihre Seite und fasste sie fürsorglich an
ihren linken Ellenbogen. "Ich musste es unbedingt sagen. Es war mir ein
dringendes Bedürfnis, die Dinge zwischen unseren Häusern klarzustellen und
jegliche Verdächtigungen zu entkräften."
Rin nickte kurz. "Ich verstehe und ich habe auch nie wirklich daran gedacht,
dass Ihr oder Euer Vater in diesen Betrug verwickelt waren. Die Unterlagen
ließen zuerst diesen Verdacht entstehen, doch um es endgültig zu klären, haben
wir bestanden hierher zu kommen. "Mit grimmigem Gesicht fuhr sie fort.
"Und hier haben wir ja auch die Bestätigung erhalten, wie es sich wirklich
verhält."
Sie unterbrach sich und hob den Kopf. War es eine Täuschung, oder strich ein
leichter Hauch frische reine Luft über ihr Gesicht?
"Keisuke?", rief sie hoffnungsvoll.
"Es ist nicht mehr weit. Dort vorne muss ein Ausgang sein", bestätigte der
Youkai ihre Vermutung.
"Den Göttern sei Dank. Ich dachte, wir müssten hier unten unser Leben
beschließen", sagte Hiroki und die Erleichterung klang deutlich in seiner
Stimme mit.
Es dauerte in der Tat nicht mehr sehr lange, bis sie in einen Quergang
einbogen, der in einer Sackgasse mündete.
Als sie ihre Köpfe hoben, öffnete sich vor ihnen ein langer Schacht an dessen
Ende der Himmel schimmerte. An der Schachtwand lehnte sich ein langer
Holzstamm in den in regelmäßigen Abständen tiefe Kerben eingehauen waren.
Eine primitive Leiter.
"Wartet hier. Ich werde vorgehen und sehen, ob die Luft rein ist", sagte Keisuke
und kletterte mit einer Geschicklichkeit und Geschwindigkeit in die Höhe, die
Hiroki neidisch werden ließ.
Dann verschwand der Youkai aus ihrem Sichtfeld.
Rin und Hiroki warteten.
Nervös ballten sich die Hände des jungen Mannes immer wieder zu Fäusten. Er
hasste es untätig hier unten rum stehen zu müssen. Nur die Tatsache, dass in
diesen Moment Rin seinem Schutz anvertraut war, hielt ihn zurück.
Rin hatte sich unterdessen and die raue Steinwand gelehnt und die Augen
geschlossen. Der kühle Stein in ihrem Rücken tat ihr gut. Es war ihr immer
wärmer geworden.
Herrschte hier unten so eine Hitze, oder hatte sie Fieber?
Unwillkürlich hob sie die Hand und legte sie sich an ihre Stirn. Sie fühlte
den Schweißfilm, der ihre Haut bedeckte und die Bewegung ließ Schmerz durch
ihren Arm und den Kopf schießen.
Leise stöhnte sie auf und biss sich im nächsten Moment auf die Lippen.
Nein, sie wollte nicht schwach sein. Sie würde stark sein. Sie würde diesem
ewig schlecht gelaunten Youkai zeigen, das es Menschen gab, die anders waren,
Das nicht alle schwächliche und jämmerliche Kreaturen waren. Dabei wusste
Rin gar nicht so genau, warum sie es ihm so dringend beweisen wollte.
"Alles in Ordnung. Ihr könnt kommen. Rin… du als erstes", klang die Stimme
von oben herab und das Gesicht des Youkai tauchte über den Rand des Schachtes auf.
Mit einem Ruck löste sich Rin erleichtert von der Wand und trat an den
Baumstamm.
Sie legte ihre Finger in die ersten Mulden und zog sich dann hoch.
Es war ungewohnt, doch mit ein wenig Übung ging es eigentlich ganz leicht.
Sie musste nur darauf achten, dass sie ihren rechten Arm nicht allzu sehr
benutzte, sondern sich hauptsächlich mit dem Linken hochzog. Trotz ihrer
Vorsicht brach ihr am gesamten Körper der Schweiß aus und ihre Lippen wurden
wund vom drauf beißen um das Stöhnen zu unterdrücken.
Je höher Rin kletterte, desto besser wurde die Luft. Schließlich erreichte
sie den Ausgang. Eine Hand mit langen Krallen streckte sich ihr entgegen. Sie
ergriff sie und ließ sich von Keisuke aus dem Schatten helfen.
"Danke", sagte sie leise. Er nickte nur kurz und ließ sie sofort wieder los.
Hinter ihnen befreite sich nun auch Hiroki aus der Mine, die ihnen fast das
Leben gekostet hatte. Tief atmete er durch.
"Den Göttern sei Dank. Wir haben es geschafft." Er drehte den Kopf, um
festzustellen, wo sie sich befanden. Dann zeigte er in nördliche Richtung.
"Dort liegt das Schloss meines Vaters. Ich glaube zwar nicht, dass wir die
Pferde noch finden, doch einen Versuch ist es wert. Ansonsten werden wir gut
einen Tagesmarsch brauchen."
Gemeinsam machten sie sich daran, den Hügel herab zu steigen. Fast automatisch
hatte sich wieder dieselbe Reihenfolge eingestellt, wie in der Mine.
Keisuke ging voran, dann kam Rin und den Abschluss bildete Hiroki.
Es dauert nicht lange und sie erreichten wieder den Tal Grund. Der Eingang
der Mine befand sich nun direkt vor ihnen.
Rin lief im nach hinein, noch ein Schauder über den Rücken, als sie die
Verwüstung sah, die die Explosion angerichtet hatte.
Der gesamte Mineneingang war komplett durch schwere Gesteinsbrocken versperrt.
Es war wirklich ein Wunder, das sie es ohne großartige Verletzungen geschafft
hatten.
Doch dafür würde dieser Kerl bezahlen.
Da brauchte sie nur einen kurzen Blick in die Gesichter ihres Leibwächters
und des Fürstensohnes zu werfen. Hiroki würde nicht eher ruhen, bis dieser
Verräter mit seinem Leben bezahlt hatte. Ganz zu schweigen davon, wenn ihn
Keisuke zwischen die Krallen bekommen sollte.
Natürlich waren die Pferde nicht mehr da. Das hieß, dass ein anstrengender
Weg vor ihnen lag.
Sie hob den Kopf und sah in den Himmel. Im Osten waren schon leichte
Veränderungen zu erkennen. Dort verblassten allmählich die Sterne. Sie
waren die gesamte Nacht unterwegs gewesen.
Sie fühlte sich wie zerschlagen. Die Kopfschmerzen hatten sich bei dem
Heraufklettern des Schachtes und dem Abstieg wieder verschlimmert. Sie trieben
ihr fast die Tränen in die Augen.
Ihrem Arm ging es auch nicht gerade besser. Zwar hatte die Blutung aufgehört,
doch das schmerzhafte Ziehen, machte es ihr fast unmöglich ihn in irgendeiner
Weise zu bewegen. Doch was half es sie mussten so schnell wie möglich zum
Schloss zurück, oder Makoto würde sich auf nimmer wieder sehen aus dem
Staub gemacht haben. So machten sich die drei auf den Weg.
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Ende Kapitel 8
Die Drei haben es geschafft aus der Unglücksmine zu entkommen. In der
Zwischenzeit steckt Jaken in großen Schwierigkeiten.
Doch leider liegt vor Hiroki, Rin und Keisuke "ein langer Weg" zurück ins Schloss.
Die Situation wird für Jaken dadruch nicht besser.
Liebe Grüße
chaska