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Die "Zeit der Liebe"

Von Zeit, Einsamkeit, Sinnlosigkeit, Vergangenheit, Loslassen... und so was wie Liebe [NejiTenten]
von

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Wenn die Welt schon ein Dorf ist, was ist dann eine Stadt?

~Where are my hopes, where are my dreams, where is my Cinderella story szene?
 

Gelangweilt sah er aus dem Fenster des Zuges. Weiß, weiß und nochmal weiß. Er mochte keinen Schnee. Und Weihnachten schon gar nicht. Dieses alberne Brimborium um die 'Zeit der Liebe', die in Wahrheit doch nur eine weitere Möglichkeit der Großkonzerne war, sich zu bereichern, ging ihm auf die Nerven. Und trotzdem saß er in diesem Zug, zusammengepfercht in ein Wagenabteil mit grob geschätzt fünfzig anderen und warteten darauf sich endlich hier raus quetschen zu können. Eigentlich waren öffentliche Verkehrsmittel ja nicht so sein Ding - dann schon lieber sein Auto, doch das war ja in der Reparatur - aber man sollte die Umwelt ja nicht zu sehr belasten. Hieß es zumindest immer in diesen (pseudo-)wissenschaftlichen Dokumentationen und so. Na gut im Prinzip wäre es ihm egal, wenn die Menschen in hundert Jahren ertrinken und erfrieren würden, da würde er eh nicht mehr leben und Kinder hatte er auch keine, geschweige denn vor jemals welche zu bekommen.

Der Zug war zum Bersten voll, doch er hatte einen Platz am Fenster und neben ihm saß auch niemand, keiner schien es zu wagen sich neben den dunkelhaarigen Fremden zu setzen, warum auch immer. Vielleicht verschüchterte sie sein teilnahmsloser Blick, sein gutes Aussehen, vielleicht war es auch der Verband um seine Stirn, der ihn meist wie einen Gangster aussehen ließ oder seine ungewöhnlich hellen Augen. Außerdem fuhr er in letzter Zeit ab und zu mit diesem Zug, dies war so sein Stammplatz. Auf jeden Fall störte ihn die Distanz nicht, die er irgendwie zwischen sich und den Rest der Menschen brachte, im Gegenteil, er empfand zu viel Gesellschaft und Gequatsche eher als unangenehm.
 

Mit einem Ruck blieb der Zug bei der nächste Haltestelle stehen. Der junge Mann hob kurz seinen Blick, und grummelte, als er sah wo sie waren, und wie weit er damit noch zu fahren hatte. Genervt senkte er den Blick wieder und starrte mit seinen außergewöhnlichen Augen aufmerksam ins Nichts, wie auch immer er das bewerkstelligte. Da spürte er einen Luftzug, hörte etwas, unmittelbar neben sich, und drehte den Kopf.

Eine Frau, wahrscheinlich ungefähr in seinem Alter, braune Haare zu zwei Dutts an ihren Kopf gebunden, in einem dunkelgrünen, taillierten Mantel, hatte sich neben ihn gesetzt. All diese oberflächlichen Informationen registrierte seine Gehirn im Bruchteil einer Sekunde bevor sie sich zu ihm umdrehte und ihn ansah. Ihre Augen waren ein Mischmasch aus den verschiedensten dunkleren Brauntönen, es verlieh ihr etwas wildes, ungezügeltes, und doch schienen die Augen sanft und freundlich; ihr Blick war eindringlich und offen, sie schien nichts zu verbergen, er konnte von ihren Augen tief auf den Grund ihrer Seele sehen, so glaubte er in diesem Moment. Sie sahen sich an, kurz, aber intensiver als jeder normale Blickwechsel zwischen zwei völlig fremden Menschen war, dann nickte sie ihm kurz zu und wandte sich ab.

Der Mann schaute sie noch einige Sekunden an bevor auch er sich umdrehte und wieder aus dem Fenster sah...
 

Je weiter sie sich der Stadt näherten, desto mehr Leute verließen den, nun nicht mehr ganz so überfüllten Bus.

Die Frau neben ihm blieb sitzen.

Er beobachtete sie immer wieder aus dem Augenwinkel - dafür hatte er schon immer ein Talent gehabt, Dinge zu sehen ohne sie anzusehen - wie sie gedankenverloren aus dem Fenster sah, gelegentlich auf die Uhr blickte, sich hin und wieder fahrig durch die Haare fuhr und ab und zu auch mal einen Blick auf ihn wagte, ihn jedoch immer schnell wieder abwandte.

Irgendwas störte ihn an der jungen Frau, irgendwas passte nicht ins Bild, war nicht so wie es seien sollte, er kam nur nicht dahinter was es war.

Aber was machte er sich auch so viele Gedanken über eine Fremde, sie kannten sich nicht einmal, und sie würden sich sicher auch nie wieder sehen, wie auch, in einer Millionenstadt wie New Sali; und selbst wenn, wäre sie es sicher nicht wert sich so mit ihr zu beschäftigen.

Er mochte keine Großstädte - im Grunde genommen hasste er Großstädte, und insbesondere New Sali. Nicht nur diese vielen Menschen, die wie Tiere Leute beiseite drängelten um zu den vielen Geschäfte zu gelangen, von denen sie sich einbildeten etwas aus ihrem Angebots zu brauchen, die wenige Natur, die Umweltzerstörung, die Ausbeutung und all das fand er so abschreckend, nein, es war vielmehr etwas aus seiner Vergangenheit, ein Ereignis, welches er mit diesem Ort verband, etwas, das ihn an ihn kettete, und doch immer wieder innerlich schreien ließ, dass er hier weg wolle. Es zerriss ihn die Menschen zu sehen, wie sie umher wimmelten, glücklich in ihrer, ach so tollen, Großstadt, oder auch nicht, immer in Aufregung, immer in Eile, zu ignorant und egoistisch um etwas außer ihrer eigenen Welt zu sehen, gar als wichtig zu empfinden. Sie waren so gefangen in dieser Welt, dass sie es gar nicht merkten. Aber wer war schon frei? Nicht einmal, wenn man sich all dessen bewusst wurde, konnte man irgendwas tun. Ja, so war das mit der Welt.

Aber es interessierte ihn nicht, es war unwichtig. Irgendwann würden sie sich alle selbst umbringen, das war halt Schicksal. Er hoffte bloß, dass er dann nicht mehr leben würde.

Irgendwas, ein lang vergrabener, versteckter, verdrängter Teil seiner selbst stutzte bei diesem Worten, wunderte sich über seinen Pessimismus, seinen Welthass, sein Misstrauen gegenüber allem und jedem, wunderte sich wer er geworden war. Was aus ihm geworden war. Aber er bemerkte es nicht, schenkte ihm keine Beachtung oder er verdrängte es schlicht und ergreifend. Weil die Gedanken schmerzhaft waren, weil er nie so hatte werden wollen, nicht immer so gewesen war, und vor allem, weil diese schmerzhaften Gedanken mit noch schmerzlicheren Erinnerungen verbunden waren, die ihn wieder einmal zu überrollen drohten. Eigentlich hatten sie das lang nicht mehr getan, seine Mauer hatte gut gehalten. Früher hatte er sich oft gefragt warum er nicht einfach vergessen, vergeben, sein Leben weiterleben, loslassen... darüber hinweg kommen konnte. Aber es war einfach ein Teil von ihm, so war es, er war nie mit der Sache ins Reine gekommen, würde es auch nicht mehr werden, niemals. Es war in Ordnung, mittlerweile hatte er diese Umstände akzeptiert, und tobte deswegen nicht mehr. Akzeptiert?, verspottete er sich selbst, du meinst wohl du hast aufgegeben. Manchmal fragte er sich, ob er langsam verrückt wurde, oder ob alle Menschen sich manchmal so gespalten fühlten. Er hatte niemanden, den er hätte fragen können, und zu einem Therapeuten würde er sicher nicht gehen, das wäre doch gelacht, wenn er nicht allein mit seinen albernen Kindheitstraumata fertig wurde.

Er hatte Kopfschmerzen.

Ein weiterer, kurzer Blick nach draußen bestätigte ihn wieder einmal in seiner Abscheu gegenüber Bussen - es war immer noch ein sehr gutes Stück, bis er hier herauskam. Gedankenverloren besah er die vorbeiziehenden Felder, er konnte sogar die einzelnen Pflanzen erkennen, nicht nur den gelben Mischmasch den er mit seinem Auto ab und an erkennen konnte. Sonnenblumen. Seinen apathischen Blick merkte niemand, in seinen hellen Augen war unmöglich zu lesen. Er fragte sich, ob seine Augen eigentlich so eine Art Genfehler waren, hatte dann aber keine Lust weiter darüber nachzudenken, als Bilder anderer Gesichter mit ebenso hellen Augen vor seinem inneren auftauchten.

Plötzlich spürte er ein ungewohntes Gewicht auf seiner Schulter und erblickte darauf, kaum merklich, aber doch ziemlich verdutzt, den Kopf seiner - friedlich schlummernden – Sitznachbarin. Er hob eine Augenbraue. Na toll... Sollte er sie wecken? Sie musste ja auch sicher irgendwann aussteigen... das war natürlich ihr Problem, aber trotzdem... Na ja, wenn sie gleich aussteigen müsste hätte sie es sich wohl nicht so gemütlich gemacht, dass sie einschlief, also erst mal in Ruhe lassen.
 

Okay... sie schien wirklich an ziemlich akutem Schlafmangel zu leiden. Außerdem musste sie sicher bald raus. Er seufzte und machte es jetzt doch. Er weckte die Frau. Er rüttelte sie an der Schulter und sagte: „Vielleicht müssen Sie auch mal aussteigen, Sie könnten ja mal schauen.“

Er war nicht besonders höflich, aber na und? Immerhin wurde er hier als Kopfkissen missbraucht. Sie sah ihn konfus an, bevor die die Situation realisierte, und sich peinlich berührt bei ihm entschuldigte. Dann blieb der Bus an einer Station stehen die Frau sprang überrascht auf. Das war ja schon ihre Station. Mit einem schnellen „Auf Wiedersehen, und Verzeihung, noch mal“ verabschiedete sie sich von ihrem zweckentfremdeten Sitznachbarn und eilte aus dem Bus. Neji sah ihr nach und auf das Stationsschild. Er stöhnte. 5 Stationen. Er würde nächste aussteigen, das wäre ihm jetzt zu bescheuert ihr quasi zu folgen. Schlimmsten Falls würde sie Fragen stellen. Pah, er war zu nett. Und zu stolz.
 

...~auf den ersten Blick...
 

~~
 

In den Straßen New Salis herrschte reges Treiben, gestresste Menschen hetzten aneinander vorbei, ohne sich eines Blickes zu würdigen (und das in der 'Zeit der Liebe', obwohl es für die meisten Leute - zumindest Erwachsene - eher die 'Zeit des Stresses' heißen sollte).

Genervt fuhr eine braunhaarige, junge Frau sich durch die Haare. In drei Monaten war ihre Deadline und ihr fiel einfach kein guter Schluss für ihr Buch ein, sie hatte zwar schon eine ungefähre Vorstellung, aber bei der Umsetzung haperte es, sie wusste einfach nicht wie sie das angehen sollte.

Sie seufzte. Generell schien in ihrem Leben gerade gar nichts so zu laufen, wie es sollte und sie sah schon die nächsten Winterdepressionen auf sich zu kommen.,, Sie hasste den Winter... abgrundtief. Seit damals. Sei nicht so undankbar, schalt sie sich selbst, dir geht es doch gut! Sie zog den Mantel enger um sich, als ein kalter Windstoß durch die Straßen fuhr. Ein wimmerndes Geräusch veranlasste sie dazu, ihr Gesicht zur Seite zu drehen und einem Menschen in die Augen zu sehen. Er schien noch sehr jung, kaum älter als sie selbst, auch wenn das Leid schnell altern lässt, hatte nur noch ein Bein, und nur halb zerfetzten Lumpen an. Sie erzitterte am ganzen Körper. Der Mann warf ihr einen flehenden Blick zu.

Immer noch zitternd kramte sie nach ihrer Geldbörse und gab ihm etwas. Es war nicht viel, aber sie brauchte auch Geld zum Leben. Sie warf ihm einen mitleidigen, entschuldigenden Blick zu, doch er sah sie nur dankbar an. Sie wünschte so sehr sie könnte mehr für ihn tun, ihm sein Bein zurück und alles Geld der Welt geben, für das, was er durch machte, damit es ihm besser ging. Sie flehte ihn noch stumm an das Geld nicht für Alkohol auszugeben und ging dann schnellen Schrittes weiter durch die überfüllten Straßen, der Blick des Obdachlosen verfolgte sie. Warum mussten manche Menschen so leiden, warum starben so viele unschuldige, warum gab es Armut und Hungersnöte, warum hatten wenige andere so viel, wovon viele gar nichts hatten, warum, ja warum... ?

Sie hatte ihre Antwort nie gefunden.

Das warum kannte wohl niemand. Sie war eigentlich christlich erzogen worden, hielt aber nicht mehr wirklich an dem Glauben ihrer Kindheit fest... sie wollte etwas, das erklärte, rechtfertigte, verstand, nicht immer dieses Gefasel von wegen "die Wege des Herren sind unergründlich." Unergründlich... und vor allem grausam, falls es ihn wirklich gab. Sie kannte viele Buddhisten und sie hatte viel von ihrem Glauben, ihren Gebräuchen und Traditionen mitbekommen, doch auch das war nichts was sie glauben konnte... eines Tages würde auch sie vielleicht einen derartigen Halt im Leben finden, ob in einer Religion, oder endlich wieder in sich selbst wusste sie nicht... Und auch alle Götter dieser Welt könnten nicht die unschuldigen Opfer von Kriegen, Naturkatastrophen oder Unfällen zurück holen, oder die Verbliebenen trösten... oder sie konnten es, und taten es einfach nicht. Sie wusste es nicht.
 

Sie wusste gar nichts mehr.
 

Allein in New Sali gab es so viele Arbeits- und Obdachlose... sie konnte ihnen nicht allen helfen, sie war allein. Auf einmal fühlte sie sich schrecklich einsam und im Stich gelassen von alles und jedem, zurück gelassen, in dieser grausamen Welt, ohne Licht, ohne Wärme. Sie schlang die Arme um ihren Körper, wie um sich selbst Halt zu geben, zu umarmen, Liebe und Wärme zu spenden, wo es doch sonst niemand mehr tat...

Sie kam an einer Bushaltestelle vorbei und dachte unwillkürlich an ihren gestrigen Busnachbarn, ein merkwürdiger Geselle, zweifellos, doch irgendwie hatte sie tief in sich gespürt, dass er das Herz eigentlich am rechten Fleck trug, auch, wenn er ein bisschen wie ein kalter Fisch gewirkt hatte...

An der Haltestelle saß eine, offensichtlich behinderte Frau und redete mit einem jungen Mädchen. Das Mädchen lachte fröhlich und erzählte der lieben Tante was es heute alles erlebt hatte, und wie böse seine Mama geschimpft hatte und wie gern es einen Jungen in ihrer Klasse mochte, und es erzählte und erzählte... Bis es plötzlich aufhörte. Die Eltern wirkten erleichtert, sie wollten das Mädchen schon die ganze Zeit zum Gehen bewegen, ohne allzu unhöflich zu wirken, und dachten schon, jetzt würde es auch nach Hause wollen, doch das Kind sah die ältere Frau nur stirnrunzelnd an.

"Magst du gar nichts erzählen?", fragte es, naiv verwundert über das Stillschweigen, wo es doch so viel geredet hatte.

Die Frau nickte und wollte etwas sagen, doch es kam nur kaum verständliches Gebrabbel über ihre Lippen. Sie stoppt, schien sich zu sammeln und sagte schließlich:

„Dein´s viel ´t´ressanter. Dankeschön, aber du solltest jetzt mit Mama gehen.“

Die Kleine wirkte enttäuscht.

„Na gut... Tschüss!“

Die Frau lächelte etwas verzerrt und hob ebenfalls die Hand zum Abschiedsgruß. Dann verdrehte sie die Augen nach oben und keuchte. Tenten runzelte die Stirn und fragte sich ob sie vielleicht Hilfe holen sollte. Sie trat auf die Frau zu.

„Alles in Ordnung mit Ihnen?“, fragte sie vorsichtig. Die Frau schüttelte den Kopf sagte aber gleichzeitig „Ja“.

Tenten fragte sich etwas hilflos, was sie jetzt tun sollte, als plötzlich ein Mann auftauchte und die Frau ansprach.

„Misses Nahinali! Da sind Sie ja! Kommen Sie, ich bringe Sie nach Hause“, sagte er, scheinbar erleichtert die Frau gefunden zu haben.

Tenten war sich ziemlich sicher einen anderen Begriff von zu Hause zu haben, als den Ort, an den er die Frau wahrscheinlich bringen würde, aber sie sagte nichts. Was auch?
 

Merkwürdig frustriert lief Tenten durch die Straßen, quetschte sich durch Massen an drängelnden Menschen. Sie hatte heute ein Treffen mit ihrem Redakteur, der einfach nicht verstehen wollte, dass sie nicht einfach so schreiben konnte, ohne Inspiration, Ansporn, Idee, Muse... was sollte dabei denn raus kommen?

Sie achtete nicht auf die Umgebung – ein Fehler, wie sich herausstellte, als sie plötzlich gegen etwas krachte und auf den Boden fiel. Um sie herum gingen die Menschen weiter, es war merkwürdig das mal aus dieser Perspektive zu sehen...

Dann hob sie den Kopf. Und erblickte... den Mann aus dem Bus von neulich! Perplex starrte sie ihn an. Was für ein Zufall, unglaublich. Er streckte ihr die Hand hin, um sie hochzuziehen und kurz begegneten sich ihre Blicke. Sie sahen sich stumm in die Augen, irgendwie fasziniert von ihrem Gegenüber taten sie nichts, außer sich schweigend zu fixieren, bis jemand sie von der Seite stupste und sie noch mal kurz taumelte, sich aber glücklicherweise wieder fing. Sie musste sich ja nicht gleich zweimal vor ihm auf den Boden legen, die Aktion im Bus war schon peinlich genug gewesen.

„Ist Alles in Ordnung?“, riss er sie aus ihren Gedanken. Sie nickte.

„Ja, alles noch dran, Dankeschön für´s aufhelfen. Ich muss dann weiter“, sie hob die Hand zum Abschiedsgruß, „auf Wiedersehen.“

„Wiedersehen“, erwiderte er. Sie war schon los gelaufen. Er sah ihr noch kurz hinterher und ging dann ebenfalls seines Weges. Manchmal geschahen seltsame Dinge.
 

Die Zeit läuft immer gleich schnell, auch wenn man kurz vor dem Tod stehen oder man einem außergewöhnlichen Menschen begegnet... manchmal braucht das Gehirn nur länger um alles zu verstehen was geschieht.

~Wir werden langsamer, nicht die Zeit... und sie wartet nicht, auf niemanden...
 

~~~
 

Und hier saß sie, wie jedes Jahr an Weihnachten, auf einem Friedhof mitten in New Sali. Der letzte, der so weit in der Stadt lag, früher als New Sali noch kleiner gewesen war, fast ein Dorf, stand hier die Kirche und mit ihr, wie es so üblich war, der Friedhof. Mit leerem Blick sah sie auf den Grabstein vor ihr.
 

Kichiro und Hanami Ama,

zu früh von uns gegangene, liebende Eltern.
 

1968/1971 - 1998
 

Weihnachten feierte man nun mal mit der Familie, nicht? Sie holte ein rotes Päckchen hervor und lächelte traurig.

„Ich pack´s dann wohl für euch aus, wie jedes Jahr, was?“, hauchte sie, natürlich ohne eine Antwort zu erwarten. Langsam, fast andächtig löste sie die Geschenkbandschleife und wickelte etwas aus. Es war ein silbernes Glöckchen, und als die Braunhaarige es leicht schüttelte ertönte ein hauchzarter, wunderschöner Klang. Ein melancholischer Seufzer entglitt der jungen Frau. Schweigend legte sie das Glöckchen zu der Blume auf das Grab und gab sich, wie immer, einmal im Jahr ihrer Trauer, den Schatten in ihrem Herzen hin.
 

Sie hob den Kopf erst wieder, als sie ein merkwürdiges Geräusch in dem, bis auf ihren eigenen Atem, sonst so stillen Ort vernahm. Und ihr stockte kurz das Herz, vor Überraschung, als sie erkannte wer ihr hier, an diesem einsamen Ort, Gesellschaft zu leisten schien.

Ihr Gegenüber war nicht minder verblüfft sie hier anzutreffen. Unglaublich, das gab es doch nicht, dass sie sich schon wieder zufällig irgendwo trafen, an Orten, die nicht einmal nah genug beieinander lagen, um es auf nahe Wohnsitze schieben zu können. Ihre Blick trafen sich. Eine ganze Weile sahen sie sich schweigend ihn die Augen, die so unterschiedlich waren, seine so hell - nahe zu weiß - und ihre so dunkel, bis er sich still neben sie hockte und den Grabstein inspizierte.

Neji Hyuga“, waren schließlich seine ersten Worte.

Tenten“, erwiderte sie bloß.

„Ama?“, hakte er nach.

Sie zuckte mit den Schultern. Ja, dieser Name stand in den meisten ihrer Dokumente, aber...

Neji nahm ihre uninformative Antwort schweigend zur Kenntnis - wenn sie nicht reden wollte, wäre er sicher der Letzte, der sie dazu drängen.
 

„Was tust du hier, an Weihnachten?“, wagte sie, nach einer Ewigkeit, wie es ihr vorkam, zu fragen. Es kam ihr albern vor jetzt 'Sie' zu sagen.

„Das könnte ich dich genauso gut fragen“, erwiderte er emotionslos.

„Hast du aber nicht.“

Er zögerte.

„Ich wollte... das Grab meiner Eltern besuchen...“

„Ah“, war ihr geistreicher Kommentar dazu, „da sind wir wohl aus nicht unähnlichen Gründen hier...“

„Hm...“

Und wieder verstummten beide.
 

„Ich war... elf, glaube ich. Das ganze Haus brannte, aber ich bin rein... es war zu spät, viel zu spät. Ich hatte einen Schock, nur durch eine Menge Glück – und dem Heldenmut von zwei Feuerwehrmännern - habe ich damals überlebt.“ Ihre Sätze waren etwas unzusammenhängend, sie hatte schon so lange nicht mehr darüber gesprochen, aber er verstand. Und er hörte tiefen Schmerz in ihrer Stimme.

„Das tut mir Leid“, sagte er schließlich. Er war sich nicht ganz sicher, ob sie das jetzt hören wollte, aber er hatte nichts besseres zu sagen gewusst.

„Es ist lange her, es ist vorbei.“

Sie schwiegen lange, jeder überall, nur nicht hier, auf diesem verlassenen Friedhof.

„Vier Jahre sind wohl auch lange...“

Seine Stimmer war leise, zögerlich kamen die Worte über seine Lippen, mühsam gestand er sich seine Schwäche ein.

Sie lächelte kaum merklich.

„Ich meinte doch nicht so, nicht so... technisch zeitlich... - obwohl das natürlich auch stimmt, und wahrscheinlich nötig war - die Zeit ist schon komisch, nicht wahr? Sie vergeht, niemand kann sie aufhalten... sie hilft niemandem, seine Wunden muss man selbst heilen, die Zeit begleitet einen nur dabei, sie ist... halt einfach immer da, aber sie... ist unparteiisch, sozusagen, verstehst du? ... Okay, das klingt jetzt alles komisch, ich weiß auch nicht...“

Sie verstummte, und auch ihr Gegenüber wusste nichts zu sagen. Die Stille zwischen ihnen hatte etwas merkwürdig Vertrautes, aber es lag auch ein bitterer Geschmack in der Luft, von Leben und Tod, Schmerz und Vergänglichkeit, Erinnerungen.

„Auch, wenn die Wunden verheilen, man weiß, dass sie da gewesen sind und, wenn man zu viel daran denkt kommen die Schmerze zurück, wie eine zu echte Erinnerung, als wäre die Wunde durch den bloßen Gedanken wieder da, blutend wie eh und je...“

Irgendwie war er über sich selbst verwundert, was er da redete, noch dazu mit einer fast völlig fremdem Frau. Aber er fühlte sie mit ihr verbunden, wie schon lange mit niemandem mehr, er fühlte sich als könnte er reden. Ein unangenehmes Kribbeln, das ihm erst jetzt richtig bewusst wurde, zog sich durch seine Beine. "Eingeschlafen". Kurzerhand setzte er sich neben die Frau, die schon die ganze Zeit einfach auf dem kalten Boden gesessen hatte.

„Weihnachten ist eine gute Zeit zum nachdenken, hm?“, machte er leise, bezog sich auf ihre letzte Aussage. Bei dem bitteren Ton in seiner Stimme blickte sie unwillkürlich auf. Aber irgendwie hatte sie keine Lust zu antworten, also schwieg sie. Der Dunkelhaarige hatte keine erwartet.
 

„Ich hätte Galway aussteigen müssen“, machte er irgendwann leise, und grinste kaum merklich; sie fuhr herum.

„Was?! I... ich glaub´s nicht, das ist fünf Stationen zuvor - wieso... ?“ Ihr Blick war ungläubig, fassungslos. „T...Tut mir Leid, aber du... bist noch weiter...“

Er grinste nur wieder leicht und richtete seinen Blick gen Himmel, der mittlerweile pechschwarz war, nur unterbrochen von vereinzelten Sternen. Sie folgte seinen Blick.

„Tja, am Land sieht man mehr von den Sternen...“

„... aber auch der Großstadtnachthimmel hat auch was, findest du nicht?“

Er warf ihr einen unergründlichen Blick zu, während sie still in sich hinein lächelte.

„Erzähl mir was über dich.“

„Warum?“

Sie zuckte mit den Schultern

„Nur so. Aus Neugier. Ich hab auch schon erzählt.“

Er überlegte, sprach nicht, schloss die Augen... und öffnete schließlich den Mund.

„Mein Onkel, er... war Schuld am Tod meines Vaters. Er... - sie waren Zwillinge; ein wahnsinniger Chef einer konkurrierende Firma erpresste ihn mit seiner Tochter, er solle sich ihnen ausliefern, aber auf ihn, den Leiter, konnte man ja nicht verzichten... auf meinen Vater schon. Sie sehen sich so ähnlich... ich muss immer an meinen Vater denken, wenn ich ihn sehe...“´Eine unglaubliche Bitterkeit lag in seiner Stimme. „Ich habe das erst ein Jahr später erfahren, man hat behauptet es war ein Unfall... Ich... war so wütend, ich... ich hätte beinahe... meinen Onkel getötet...“, er schluckte, „aber meine Cousine... ich wollte ihr nicht auch noch den Vater nehmen, auch, wenn er nicht der liebevollste Vater der Welt war, sie musste schon ohne Mutter aufwachsen... ich wollte ihr mein Schicksal ersparen. Sie war immer die einzige in dieser verdammten Familie, die mich respektiert hat, in gewissem Sinne schuldete ich ihr etwas, sie hat mir damals sehr geholfen es mit ihnen auszuhalten...“
 

Sie sagte nicht, "es tut mir Leid".
 

„Die Amas waren... meine Adoptiveltern“, begann sie irgendwann ohne Aufforderung zu sprechen, „meine leiblichen Eltern zogen mich bis zu meinem vierten Lebensjahr auf, dann... gaben sie mich an ein Waisenhaus ab, sie wollten mich nicht mehr, hatten sich zerstritten wegen mir - ich glaube es wurde besser als ich weg war, sie waren noch sehr jung... zugegeben, was ich mich erinnere, war es nicht sehr schade um sie, und doch... ich... Ich wurde bald adoptiert. Die Amas waren sehr nett, obwohl ich ein etwas... na ja, seltsames Kind war“, sie kicherte kurz. „Naja, irgendwie... haftete mir dieses Gefühl immer an... abgelehnt, nicht gewollt zu sein, ich war sehr sensibel, verletzlich. Und als sie starben... ich weiß nicht, meine Welt ist zerbrochen als sie mich aus dem brennenden Haus holten. Irgendwann... habe ich neuen Lebensmut gefasst, bin in gewissen Sinne darüber weg gekommen. Damals habe ich mit dem Schreiben angefangen.“ Sie holte tief Luft.

„Und weißt du was? Ich - ich habe ihre Adresse. Sie haben mich nicht mal anonym abgegeben, ich könnte sie jederzeit besuchen. Ich wollte sogar... wollte sie fragen, wieso... aber, ich hab´s nicht über mich gebracht, ich hatte einfach... Angst. Vor der Ablehnung, dem was sie von mir denken würden, den Dingen die ich in ihren Augen sehen würde, den Antworten, die ich mir andererseits ersehnte...“

Das hatte sie niemals jemandem erzählt, niemals nie, niemandem. Und jetzt, hier, einem Fremden... ? Sie fragte sich, ob sie verrückt war.

„Dann mach´s doch.“

„Das sagst du so leicht...“

„Klar sag ich das leicht, ich muss ja nicht“, er grinste als sie ihn verdutzt anstarrte, „aber manchmal muss man sich halt überwinden. Zu was auch immer, in deinem Fall ein kleiner Anstandsbesuch.“

„Schöne Umschreibung“, schnaubte sie.
 

Er nahm etwas aus seinem Rucksack und sie zog die Augenbrauen hoch.

„Wein?“ Amüsement lag in ihrer Stimme.

„Es ist Weihnachten, oder?“, erwiderte er unbeeindruckt, holte zwei Gläser aus besagtem Rucksack und schenkte ein. Ein drittes stellte er einfach, wie anstatt einer Blume, auf das Grab.

Ihr müsst euch wohl mit einem gemeinsamen Glas begnügen...

Dann hob er sein Glas.

„Auf... unsere Familien“, meinte er mit leicht ironischem Unterton, stupste mit seinem Glas das auf dem Grab um, woraufhin der Alkohol in der Erde versank, und hielt das Glas schließlich Tenten hin.

„Prost“, grinste sie auf seinen Trinkspruch.

Langsam trank Tenten den schweren Wein. Sie war nicht besonders trinkfest. Neji dagegen leerte das Glas beinahe in einem Zug und schenkte sich auch gleich nach.

„Frustsaufen?“, fragte sie verdutzt. Er grinste sie an.

„Das hab ich nicht nötig. Außerdem würde ich dann was ordentliches trinken, hiervon bekomme ich doch nicht einmal einen Schwips.“

„Also ich vertrag´ kaum etwas, nach drei Gläsern bin ich meist schon total betüddelt...“

"Na dann", meinte er neutral und schenkte ihr nach, doch als er ihr ein drittes Mal nach schenken wollte protestierte sie vehement, woraufhin er nur mit den Schultern zuckte und es sein ließ.

„Früher hab ich oft gedacht, irgendwelche höheren Mächten hätten sich gegen mich verschworen, aber... eigentlich glaubte ich es nicht wirklich, ich brauchte nur jemandem dem ich die Schuld zuweisen konnte... ob es Religionsanhängern wohl ähnlich geht?“ Sie nickte nachdenklich.

„Wahrscheinlich.“
 

Noch immer saßen die beiden vor den Gräbern. Es war tief in der Nacht, aber keinem war danach zumute nach Hause zu gehen, wo sie allein waren.

Unvermittelt brach Tenten in Tränen aus. Neji sah sie etwas überfordert an, ob ihres Gefühlsausbruchs.

„Hey, was ist denn jetzt... ?“

Sie antwortete nicht, schluchzte nur leise. Irgendwie war ihr das peinlich, so vor einem… Fremden?, zu weinen – Gott, wie lange hatte sie nicht mehr geweint? - sich ihren Gefühlen hinzugeben. Aber irgendwie konnte sie gar nicht aufhören, ihre Tränen nicht zurück halten... der verdammte Alkohol... von wegen der machte glücklich...

Der Braunhaarige legte ihr schließlich etwas zögerlich ein Hand auf die Schulter. Er fühlte sich auch so. Traurig. Frustriert. Enttäuscht. Verbittert. Müde.

Langsam verklang das Schluchzen der jungen Frau, bis es schließlich ganz aufhörte. Neji saß still daneben, und hatte auch noch immer eine Hand auf ihrer Schulter.

Sie war ihm dankbar, dass er nichts sagte. Und, dass er da war, auch, wenn sie sich gar nicht kannten. Sie fühlte sich sicherer. Geborgen. Sie warf ihm einen kurzen dankbaren Blick zu und er erwiderte den Blick aus, wie immer unergründlichen, weißen Augen.
 

~~~
 

Der Bus bog um die Ecke; schicksalhafterweise war es die gleiche Linie, wie damals, als sie Neji kennen gelernt hatte. Sie nieste. Die Erkältung, die sie sich Weihnachten eingefangen hatte war noch nicht ganz durchgestanden.

"Dadimesalgasse", erklang die Aussage. Sie sah auf; hier musste sie aussteigen. Nervös knetete sie den Zettel den sie in der Hand hielt und verließ den Bus. Dieser fuhr weiter, sie blieb stehen. Sie drehte den Kopf zu einer Seitengasse. "Fliesigengasse". Ein Blick auf das Papierkneul in ihren Händen bestätigte ihre Hoffnungen und gleichzeitig ihre Befürchtungen.

Susanne & Hokuto Taranes

Fliesigengasse 15/3, New Sali

Der Zettel hatte schon bessere Zeiten gesehen, aber die Schrift war noch lesbar. Die braunhaarige Frau holte tief Luft und bog in die Seitengasse. Es war ein sehr klein Gasse, die Häuser waren schmal, hoch und ein klein wenig herunter gekommen. Sie sah auf die erste Tür. 1. Sie war also am Anfang der Gasse. Schweigend und immer nervöser werdend ging sie die Gasse entlang. Wieso hatte sie bloß das Gefühl, dass die Wände immer näher kamen? Hastig beschleunigte sie ihre Schritte, während sie sich selbst gut zuredete.

Komm schon Tenten, das ist doch albern, du hast doch keine Angst vor deinen Eltern!

Leider war genau dies der Fall, aber diese Ängste versuchte sie, so gut wie es eben ging, wenn man gerade auf dem Weg direkt auf sie zu war, zu verdrängen. Wie würden sie wohl reagieren? Was sollte sie sagen? Alle Gedanken, die sie sich zuvor sorgsam zurecht gelegt hatte, waren wie weggeblasen. Ihre Gedankengänge wurden immer konfuser, bis ihr schließlich einfiel wieder zu schauen wo sie sich befand. 17. War sie jetzt tatsächlich vorbei gelaufen? Sie machte einige Schritte rückwärts ohne sich um zu drehen und schloss ein Moment die Augen. Okay, Augen auf und durch. Tapfer trat sie auf die Haustür zu und läutete bei 3.

„Hallo?“, meldete sich eine weibliche Stimme durch den Lautsprecher und Tentens Herz schlug schneller. Sie schlucke den Kloß in ihrem Hals hinunter und kämpfte gegen die Aufregung.

„Ähm, ja, hallo, hier ist Tenten...“, sie wusste nicht was sie hinzufügen sollte, aber um irgendwelche Missverständnisse vorzubeugen, setzte sie schließlich ein leises „Taranes“, dazu.

„Aha?“, die Frau klang verwirrt, „Taranes? Tut mir Leid, aber haben Sie sich vielleicht bei der Tür geirrt...?“

„N-Nein, eigentlich nicht...“, hauchte Tenten ebenfalls verwirrt.

„Oh, ähm, na ja, wir sind erst vor einigen Monaten hier eingezogen, suchen Sie vielleicht die Vormieter? Wenn ich mich nicht recht irre hießen die auch irgendwas mit 'T'...“

„Oh“, machte Tenten. Zu mehr war sie momentan nicht in der Lage, „...

Na ja... dann, äh, Dankeschön.“

„Gern geschehen.“

Und es knackte in der Leitung als der Hörer in der Wohnung aufgelegt wurde.

Tenten hätte beinahe gelacht. Beinahe. Da traute sie sich jahrelang nicht hierher, und als sie sich endlich ein Herz gefasst hatte, waren sie vor kurzem ausgezogen. Das nannte man wohl Ironie des Schicksals... Unglaublich.

Sie könnte sich natürlich bei der Hausverwaltung erkundigen wo die Vormieter hingezogen waren, aber für´s Erste war ihr Mut aufgebraucht. Vielleicht morgen.
 

...~Der Gedanke zählt, nicht wahr... ?
 

„...Ja... Nuramistraße sagen sie? ... Ja... Ja... Ja, danke vielmals... sie waren mir ein große Hilfe... in Ordnung... auf Wiederhören.“

Bei der Erklärung, warum sie die Vormieter suchte, war sie sich ziemlich albern vorgekommen und halb auf Notlügen zurückgekommen, aber was sollte es, sie hatte die Adresse. Mittlerweile war sie fest entschlossen ihren Eltern auch bis ans Ende der Welt zu folgen, sollte dies nötig sein. Sie hoffte natürlich nicht. Der kleine Rückschlag mit der Adresse hatte sie erstaunlicherweise ziemlich motiviert, jetzt war wohl so eine Art Kampfgeist in ihr erwacht. Das wäre doch gelacht, wenn sie ihre Eltern nicht finden würde. Eltern. Sie dachte das die ganze Zeit, um sich irgendwie daran zu gewöhnen, aber das wollte nicht so recht klappen... auch egal.

Auf leisen Füßen tapste sie durch ihr Wohnzimmer, zu ihrem Schreibtisch und kramte sich durch den Ramsch. Die halben Sachen flogen dabei zu Boden, doch das merkte sie kaum. Es herrschte ohnehin so ein Chaos, da war das auch schon egal. Nach einer winzig kleinen Ewigkeit hatte sie gefunden was sie gesucht hatte und zog einen Taschenbuchstadtplan hervor. Wusste sie doch, dass der hier irgendwo herum lag...

Eifrig suchte sie im Inhaltsverzeichnis 'N' auf und wurde auf seit 12/B5 verwiesen.

Die gesuchte Adresse war schnell gefunden, deren Anschluss ausfindig gemacht und schon konnte es losgehen...
 

Diesmal war es nicht so schlimm. Oder schlimmer, je nach dem. Zu der Nervosität mischte sich ein merkwürdige Aufgeregtheit. Sie war sich nicht sicher ob sie sich auf das Treffen freute(freuen sollte) oder nicht, aber sie hielt daran fest, dass sie das jetzt durch ziehen würde. Eigentlich wusste sie nicht woher sie diese Entschlossenheit nahm, immerhin hatte sie es jahrelang(fast ihr ganzes Leben, im Prinzip) nicht geschafft, und jetzt, auf einmal...? Sie konnte sich die, an sich selbst gestellte, Frage nicht beantworten. Aber irgendwie war ihr auf einmal alles klar, als hätte sie lange nur durch einen Schleier gesehen, ohne es überhaupt zu merken, und jetzt war er plötzlich weg. Es war... ungewohnt, komisch, befreiend, hell.

Die Vormittagssonne kribbelte sie an der Nase, während leichte Dampfwölkchen aus ihrem Mund stiegen. Tenten fand das immer faszinierend und konnte sich selbst ewig beim atmen zuschauen. Während sie so gedankenverlorenen die Straße entlang ging, übersah sie fast die Seitengasse und gluckste über sich selbst. Schon wieder... Das war jedenfalls eine völlig andere Gegend, als in der Fliesingengasse, die Nuramistraße bestand nämlich aus vielen, kleinen Reihenhäusern, manche hatten sogar kleine Vorgärten. Tenten fand die Häuser schön. Hier hätte sie auch gern mal gewohnt. Als sie bei 35. angekommen war fragte sie sich wo ihr ganzer Mut geblieben war. Der war nämlich verschwunden. Von einer Sekunde auf die andere, und jetzt war da nur noch Nervosität. Und ihr pochendes Herz. Aber irgendwie hatte dieses Pochen etwas tröstliches, beruhigendes, wie dieses kleine Ding tapfer ihren ganzen Körper am Leben erhielt gab ihr Kraft. Sie trat näher. An dem Zaun war ein Busch gepflanzt, um sich vor der Straße ein wenig Privatsphäre zu schaffen, aber natürlich konnte man durchsehen, wenn man es darauf anlegte. Und genau das tat Tenten.

Genau als sie, neugierig wie ihre Eltern inzwischen so lebten, vorsichtig in den Garten lugte ging die Tür zum Haus auf. Eine blonde Frau trat heraus, hinter ihr ein dunkelhaariger Mann, der etwas am Arm trug. Tenten traf fast der Schlag als sie erkannte was der Mann da am Arm trug und was da gerade heraus gerannt kam und sich aufregte, dass es den Ball hatte holen müssen.

Natürlich, warum hätten sie nicht wieder Kinder bekommen sollen? Irgendwie versetzte ihr das nur gerade einen Stich. Wieso war sie abgegeben worden? Wieso nur sie? Unbemerkt wurden ihre Augen wässrig. Die blonde Frau beugte sich zu dem meckernden Kind runter und wuschelte ihm durch die langen Haare.

„Das hast du toll gemacht, so ganz allein. Aber sei doch bitte ein bisschen leiser, dein Bruder schläft gerade“, sagte sie sanft und Tenten rann jetzt tatsächlich eine Träne über die Wange. Sie war gerührt und verletzt gleichzeitig, wollte schreien und ihre Eltern beschimpfen, weg rennen und ihnen um den Halsfallen, weinen und lachen. Schreien. Erzählen wie sie sich dabei gefühlt hatte, fragen was sie sich dabei gedacht hatten. Aber sie rührte sich nicht von der Stelle.

Der kleine Junge erwachte jetzt wirklich und sein Vater schaukelte ihn sanft und flüsterte ihm beruhigende Worte zu. Der Junge plärrte noch ein bisschen, begann dann aber lieber seinen Vater zu pieksen. Die Frau lachte und das Mädchen murrte, weil die Aufmerksamkeit nicht auf ihr lag.

„Komm, wirf mir den Ball zu“, lächelte die Frau das Mädchen an.

„Ja.“ Die Augen funkelten voller Begeisterung, über diese eigentliche Nichtigkeit, als sie etwas unbeholfen der Blonden den Ball zu warf.

Auf einmal verspürte Tenten keinerlei Lust mehr mit ihren Eltern zu reden. Es schien als hätten sie tatsächlich ihr Glück gefunden. Es schmerzte, dass sie nicht zu diesem Glück gehörte, aber so war es. Als ihr Mutter mit ihr schwanger geworden war, war sie 15 Jahre jung gewesen. Unvorbereitet, hilflos, mit einem nicht minder jungen Vater und keinerlei Unterstützung der Eltern. Es war hart gewesen. Sie hatte es nicht geschafft. Aufgegeben. Aber wie es schien hatten sie einen Neuanfang gewagt und waren glücklich damit. Und es wurde Zeit, dass sie es ihnen nachmachte. Sie stand auf, streckte sich und drehte sich um. Warf noch einen letzten Blick auf das Haus. Es wurde Zeit abzuschließen, nach vorne zu sehen. Sie hatte nie gemerkt wie sehr sie eigentlich an der Vergangenheit festgehalten hatte, unterbewusst. Sie hatte nicht mit ihren Eltern geredet. Aber sie fühlte sich leicht, frei, beflügelt. Sie hätten ihr nichts erzählen können, was sie zufrieden stimmen hätte können. Sie kannte die Gründe, die Umstände. Und doch konnte sie es nicht verstehen. Nicht wirklich. Aber vielleicht war sie jetzt bereit zu vergeben. Mit diesem Wissen weiter zu leben, und vielleicht eine eigene Familie zu gründen. Und wenn ihre Kinder sie nach ihren Großeltern fragen würden, dann würde sie erzählen. Von zwei Menschen die es nicht leicht gehabt hatten, die Fehler gemacht hatten, aber die eigentlich gute Menschen waren. Denn das glaubte Tenten wirklich. Auch, wenn es ihre Vergangenheit nicht ändern würde, nichts an dem Schmerz den sie durchlebt hatte.

Aber es war gut. Einfach so.
 

~~~
 

Sie hatte Lust auf etwas Gesellschaft und einen Kaffee also steuerte Tenten, die gerade gemütlich durch die Innenstadt schlenderte ein kleines, ihr unbekanntes, Kaffeehaus an das ihr sympathisch vorkam. Kaffeekränzchen nannte es sich. Na ja, immerhin konnten sie 'Kaffee' schreiben, das war doch schon mal was. Sie trat durch die Tür und ein angenehm dezenter Kaffeegeruch umfing sie. Zufrieden mit ihrer Wahl, bezüglich des Kaffeehauses, setzte sie sich an einen kleinen Tisch am Fenster, entledigte sich ihres Mantels und bestellte bei dem freundlichen Kellner einen Kaffee und ein Tiramisu dazu. Sie streckte sich und wollte gerade unverschämt ihre Füße auf dem zweiten Stuhl platzieren, als eine Stimme sie davon abhielt.

„Wenn du lieber allein sitzen willst leiste ich dir natürlich keine Gesellschaft, falls nicht... ich weiß nicht, ich würde mich ungern auf deine Füße setzen.“

Sie schlug die Augen auf und blickte in die weißen Neji Hyugas.

„Ich – Das glaube ich jetzt nicht! Sag mal, kann es sein, dass du mich irgendwie verfolgst... ?“

„Das gleiche könnte ich von dir behaupten“, meinte er leichthin.

„Ich war zuerst da“, protestierte sie und er grinste über ihren trotzigen Tonfall.

„Wie alt sind wir noch mal?“

„Keine Ahnung wie alt du bist. Aber, wenn du schon so fragst: 14. Oder jünger.“

„Das hab ich mir fast gedacht... und du schwänzt also ganz unverschämt die Schule?“ Er legte seine Jacke über die Stuhllehne und setzte sich.

Tenten brauchte eine Sekunde bevor sie verstand.

„Aber nein! Ich hab Weihnachtsferien, oder so.“

„>Oder so<? Sehr überzeugend, wirklich.“ Sie lachte.
 

„Neji?“

„Hm?“

„Wie unterscheidet sich der Mensch vom Tier?“

„Was ist das denn für eine Frage?“

„Warum antwortest du mit einer Gegenfrage?“

„Warum stellst du so komische Fragen?“

„Weißt du keine Antwort?“

„Sollte ich eine wissen?“

„Würde es irgendwas ändern, wenn du eine wüsstest?“

„Glaubst du das?“

„Reicht es, wenn ich das glaube? Muss ich es nicht wissen?“

„Glaubst du die Tiere wissen die Antwort?“

„Bin ich Bio-/Psychologe?“

„Weiß ich das? Aber würde es ihnen etwas nützen, wenn sie es wüssten? Könnten sie werden wie wir?“

„Ist es nicht eher die Frage, ob sie wie wir sein wollten?

Sie sahen sich an.

„Was denkst du, wie lange könnten wir so weiter machen?“

„Bis ich meinen Kaffee bekomme“, machte er, diesmal ganz ohne Frage, als der Kellner kam und ihm eine Tasse vor die Nase stellte.

Sie lachte und nahm ihren eigenen Kaffee entgegen. Dann kritzele sie etwas auf ihren Block und klappte ihn wieder zu.

„Was schreibst du?“, fragte er.

„Geheimnis“, kicherte sie. Er hob eine Augenbraue.

Genau genommen hatte sie jetzt endlich eine Idee für die Umsetzung ihres Happy Ends. Einfach so hatte es sie überkommen. Ihre Gespräche waren inspirierend.

Sie stellte ihre Tasse ab.

„Weißt du, ich glaube, das, was den Menschen vom Tier unterscheidet ist die Fantasiebegabtheit. Der Mensch kann sich etwas vorstellen, was gar nicht existiert, und dann versuchen es umzusetzen, es anstreben.“

Er blickte sie überrascht an.

„Eigentlich ist es etwas Schönes... natürlich konnten Menschen sich so Atombomben und Raketen ausdenken, und das auch noch umsetzen, aber... es ist ja nicht nur Schlechtes entstanden. Ich fand das schon immer faszinierend. Deshalb schreibe ich.“

Ihr schien ihr Job ja ziemlichen Spaß zu machen... das war ihm fremd, er hatte seit er die Schule abgeschlossen hatte im Familienunternehmen gearbeitet...

Und das, nun ja, Spaß war auf jeden Fall nicht das, was er verspürte, wenn er in seinem Büro saß, in seinen Computer starrte oder irgendwelche Befehle gab. Ja, so was konnte er, er hatte in seiner Position nämlich einiges zu sagen... Das Ding war so eine Art Vetternwirtschaft... nicht, dass irgendein Hyuga(Hinata zählte nicht) sich jemals um ihn geschert hätte, aber eine gute Stelle hatte er trotzdem bekommen. Sei´s drum, er brauchte nicht viel Geld, er lebte recht sparsam, demnach taten sie ihm damit auch keinen besonderen gefallen, oder so was...

Neji fragte sich gerade was er eigentlich wollte. Gab es etwas, was ihm so viel Freude bereitete wie Tenten ihre Schreiberei? Ihm viel nichts ein. Vielleicht sollte er sich auf die Suche nach so etwas machen.
 

„Sag mal...“, machte die Braunhaarige, nachdem sie gezahlt hatten.

„Hm?“, bekundete ihr Gegenüber seine Aufmerksamkeit.

„Nächstes mal lassen wie es aber nicht darauf ankommen, dass das Schicksal uns wieder zusammen führt, oder?“

Ein Grinsen huschte über sein Gesicht.

„Glaubst du an das Schicksal?“

„Nein. Sonst müsste ich mir ja keine Sorgen machen, dann würde ich sicher glauben, dass wir uns übermorgen wiedersehen“, sie kicherte kurz und holte dann einen Zettel aus ihrer Handtasche. „Gut, dass ich so was immer dabei hab, was?“

Dann riss sie eine Ecke ab und schrieb fein säuberlich eine Zahlenreihe darauf.

„Ruf mal an“, sagte sie und musste über den klischeehaften Satz lachen. Amüsiert hob er eine Augenbraue und zuckte dann mit den Schultern.

„Klar.“
 

~So geringe Dinge können Leben verändern... Solange es die richtigen sind...
 

~*~*~
 

So, es ist vollbracht. Muahaha.

Also eigentlich habe ich keine Ahnung was ich hier fabriziert habe, das hat kaum was mit meinen eigentlichen Plänen zu tun... oô

Ich bin unzufrieden v.v (zumindest mit einigen Szenen) ... aber naja, meine erste schreiberische Herannäherung an das Pairing NejiTenten... (ich glaub ich bleib bei SasuSaku. xD)

Egal, ist für dich, Moony, die du, mit deiner tollen FF, erst so richtig meine Begeisterung für dieses Pairing geweckt hat, und die du mir auch eine liebe Unterhaltungspartnerin geworden bist. ^^ Happy Birthday to you!
 

Lgaaddl Harfe



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: abgemeldet
2010-01-03T22:53:00+00:00 03.01.2010 23:53
so toll:D dass sich neji und tenten immer wieder begegnen ist toll^^
es war traurig zu lesen, dass sie beide ihre familien verloren haben...aber ich fand die szene am friedhof richtig schön^^ dass sich zwei 'fremde' so unterhalten hätte ich nicht gedacht xD
und als tenten ihre richtigen eltern gefunden hatte, aber sie nicht angesprochen hatte fand ich auch voll traurig!! aber irgendwie war es acuh schön...
und der schluss war sowieso das beste^^ dass tenten ihm ihre nummer gegeben hat fand ich richtig toll^^ zwar wäre ein bischen romantik auch noch toll geworden, aber auch so ist das einer meiner lieblings-os geworden^^

total schön geschrieben!
lg Neji_Ten
Von: abgemeldet
2009-09-29T19:19:35+00:00 29.09.2009 21:19
Love it. ^^
Aber ich stimme meiner Vorkommentatorin(was für ein Wort) zu, dass es ein ziemlich apruptes Ende war. oO
Von:  moonlight_005
2009-09-28T19:49:40+00:00 28.09.2009 21:49
Hey Harfe,

hier der versprochene Kommentar ^-^ Aber bevor ich anfange möchte ich mich noch mal ganz doll bei dir bedanken. Es ist einfach total lieb von dir, dass du das für mich geschrieben hast. Und so lang... und du hast es geheimgehalten XDD (Ich hätte meine Klappe sicher nicht halten können ^^")

Gut, zuerst die Kritik ^^ Am Anfang und teilweise auch noch zwischendurch waren deine Sätze ein bisschen ungeordnet und verschachtelt. Ich glaube für einen Anfang ist es immer noch besser einfache bzw. kurze Sätze zu wählen, als es gleich so kompliziert zu machen. Manchmal waren dann auch noch sehr unschöne Rechtschreibfehler dadrin, die eigentlich nicht sein müssten. Den Schluss fand ich ein wenig abrupt. Deine Beschreibungen (vor allem im Bus) waren sehr schön, haben eine gewisse Ruhe ausgestrahlt, aber gegen Ende fehlte mir das. Neji und Tenten hatten sich gerade unterhalten und dann trennen sie sich schon wieder. Das war entschieden zu schnell. Da hätte eine Beschreibung hingehört. Von einem der beiden, der Umgebung, oder den Gedanken von Neji oder Tenten.

Was ich sehr gut fand, war die Atmosspähre. Damit hast du wirklich meinen Nerv getroffen. Ich liebe diese Melancholie und Selbstfindung. Ich muss gestehen, das gleiche Gefühl hatte ich beim Schreiben von *Herbstmelodie* und das ist ziemlich gut, weil ich das nur sehr selten habe. Die Handlung an sich gefiel mir auch ganz gut, obwohl ich es wahrscheinlich noch etwas länger gemacht hätte. ^^ Was ich noch gut fand, waren die Fragen, die Neji oder Tenten sich selbst gestellt haben. Das hat dem Ganzen eine gewisse Tiefe gegeben und war gerade deshalb ausdrucksstark, weil sie nicht beantwortet wurden.

Vielen vielen Dank für dieses wunderbare Geburtstagsgeschenk *knuddel* Ich freue mich wirklich ^^ Vielleicht kriegst du dann ja meinen Beitrag für unseren Adventskalender XDD Wird auch eher ruhig und nachdenklich ^^

hdl
moony
Von: abgemeldet
2009-09-26T18:11:45+00:00 26.09.2009 20:11
Ach...
Was soll ich groß dazu sagen, ich hab ihn schließlich als erste zum Lesen gekriegt^^
Ich hab dir damals ja schon lang und breit gesagt wie super ich diesen One-Shot finde!
Ich mag vor allem die Darstellung der beiden Hauptcharaktere, ich find du hast die beiden sehr gut getroffen und allgemein mag ich die Story einfach ^^
IHDGDMSL
Deine Sherry
P.S.: Wie läufts eigentlich so mit " Der Wille des Feuers"?
Ach ja darf ich Beta-Leserin werden?


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