Zum Inhalt der Seite

Yeh Zindagi Hai.

Neue Chance, neues Leben?
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Harte Schale

„Jetzt warten Sie doch mal!“, rief Sudhir und lief Shruti mit großen Schritten hinterher. „Das war doch keine Beleidigung. Das war ein Kompliment!“, erklärte er und lachte. „Ein Kompliment?!“, meinte Shruti aufgebracht, während sie ihre Brille wieder aufsetzte und ihre Haare zu einem Zopf zusammenband. „Sie haben mich gerade als graue Maus bezeichnet. Ich sehe nicht, wo das ein Kompliment sein soll!“ Nach einer kurzen Pause fügte sie noch hinzu: „... Wieso rege ich mich darüber eigentlich auf?! Es ist mir egal, was Sie über mich denken. Und jetzt lassen Sie uns diese dumme Dorfführung endlich hinter uns bringen.“

Sudhir konnte sich das Grinsen nicht verkneifen, doch da Shruti es penibel vermied, ihn anzusehen während sie ihm das Dorf zeigte, entging ihr das. Sudhir hätte sie gern noch ein wenig aufgezogen, doch das wollte er sich für ein anderes Mal aufsparen. Für heute war das erst einmal genug.

Die Frage, warum sie nichts aus ihrer offensichtlich natürlichen Schönheit machte, jedoch blieb. Er wollte mehr von ihr sehen. Ihm war vollkommen bewusst, wie oberflächlich das war, doch ihre nächtliche Erscheinung tauchte immer wieder vor seinem inneren Auge auf. Er konnte nicht aufhören, daran zu denken.

Zuerst musste er allerdings ihre offensichtlich steinharte Schale knacken und ihr ihre Vorurteile austreiben. Erst dann würde es möglich sein, ein ernsthaftes Gespräch mit ihr zu führen. Da er den nächsten Monat über sowieso nicht richtig würde arbeiten können, war das eine nette Herausforderung für ihn.
 

Nach einer knappen Stunde war Shruti mit der Dorfführung fertig und die beiden kamen beinahe pünktlich zum Mittagessen wieder am Gasthaus an.
 

„Kavitaji, was ist eigentlich Ihr Verhältnis zu Shruti?“, wollte Sudhir wissen, während er nach dem Essen das Geschirr abtrocknete, das Kavita abgewaschen hatte. Nachdem er darauf bestanden hatte, diese Aufgabe zu erledigen, war Shruti mit abschätzigem Blick aus der Küche verschwunden.

„Ich bin ihre Tante. Wieso fragen Sie?“, erwiderte Kavita. „Ohne besonderen Grund. Ich habe mich das nur schon die ganze Zeit gefragt... Und... wo sind Shrutis Eltern?“ „Meine Schwester und ihr Mann sind leider vor beinahe fünf Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen.“ „Oh! Ah... Das tut mir wirklich leid. Ich hätte nicht gefragt, wenn ich...“, wandte Sudhir etwas verlegen ein. „Ist schon gut, Sudhirji. Das haben Sie schließlich nicht wissen können, hai na? Und machen Sie sich darüber keine Gedanken. Wir kommen zurecht. Shruti ist gut versorgt.“, erwiderte Kavita lächelnd, während sie das Abwaschbecken auswusch. „Sie können ruhig gehen, wenn Sie wollen. Den Rest erledige ich.“, meinte sie und nahm Sudhir das Geschirrtuch ab.
 

In seinem Zimmer setzte sich Sudhir auf sein Bett und starrte aus dem Fenster. Shruti war also eine Waise? Das war die erste Gemeinsamkeit zwischen ihnen.

Sudhir schüttelte den Kopf. Er wollte nicht an den Tod denken. Also stand er auf und lehnte sich an den Rahmen seines geöffneten Fensters. Eine leichte Brise wehte herein und strich durch sein schwarzes Haar. Für einen Moment schloss er die Augen und genoss die friedliche Dorfidylle. Solche Ruhe kannte er aus den hektischen Großstädten Delhi und Chicago nicht und er musste zugeben, dass er das durchaus genoss.

Voller Elan beschloss er spontan, noch einmal einen Dorfspaziergang zu machen und die Gegend hier auf eigene Faust zu erkunden. Eilig wechselte er das Hemd, das er trug, gegen ein T-Shirt und machte sich auf den Weg.
 

Während der Dorfführung von Shruti war Sudhir zu sehr in Gedanken gewesen, um alles um sich herum richtig wahrzunehmen, doch nun öffnete er all seine Sinne und war nahezu überwältigt von der ursprünglichen Belassenheit des Dorfes. Er war sich beinahe sicher, dass sich hier in den letzten 100 Jahren wohl kaum etwas – außer verschiedenen notwendigen Modernisierungen wie Wasserleitungen oder Strommasten – verändert hatte.

Sudhir war selbst überrascht, wie begeistert er plötzlich von dieser dörflichen Umgebung war, wo er doch eigentlich dachte, durch und durch ein Stadtmensch zu sein. Doch diese ungewohnte Ruhe gefiel ihm und er wurde immer sicherer, dass er seine Entscheidung, nach Indien zu kommen, nicht bereuen würde.
 

Als er schließlich das Dorf, die nähere Umgebung und das unfertige Bürogebäude, was sein Arbeitsplatz werden sollte, erkundet hatte, wollte er eigentlich zurück zum Gasthaus gehen. Als er allerdings ein schwaches Rauschen hörte, das nach dem eines Flusses klang, entschied er sich spontan um und machte sich auf den Weg zum Ursprung des Geräusches.

Keine fünf Minuten vom Dorf entfernt fand er ihn schließlich. Ein kleiner, vielleicht zehn Meter breiter Fluss mit klarem Wasser und einer durch leichten Abtrieb und einiger kleiner Stromschnellen raschen Strömung.

Als Sudhir sich umsah, entdeckte er nur wenige Meter von ihm entfernt am Ufer eine Frau, die gerade Wäsche wusch. Als er genauer hinschaute, erkannte er, dass es sich um Shruti handelte. Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er sich an sie heran schlich und sich über sie beugte, um ihr triezenderweise ins Ohr zu flüstern: „Sie sind aber wirklich ein fleißiges Bienchen...“

Ein unterdrückter Aufschrei entrann ihrer Kehle, bevor sie sich erschrocken umdrehte. Da Sudhir sich allerdings nicht bewegt hatte, waren ihre Gesichter nun so nah bei einander, dass er ihren Atem auf seiner Haut und seinen Lippen spüren konnte. Wortlos starrten sie sich für einen kurzen Moment in die Augen bis Sudhir sich aufrichtete und anfing zu lachen. „Und schreckhaft sind Sie also auch noch.“

Shruti schien erst jetzt zu begreifen, was geschehen war. Ihre Wangen zierte plötzlich eine zarte Röte und ihr Blick verfinsterte sich. „Was machen Sie hier?!“, wollte sie wissen. „Verfolgen Sie mich oder wie darf ich das hier verstehen?!“ Sie schenkte ihm noch einen vernichtenden Blick, bevor sie sich wieder ihrer Wäsche widmete.

Sudhir grinste vor sich hin, während er sich hinkniete und neben Shruti setzte. „Ich verfolge Sie nicht. Ich kam zufällig hier vorbei, als ich noch einmal durch das Dorf gelaufen bin. Wie kommt es, dass Sie mir diesen Fluss bei Ihrer kleinen Führung heute Morgen nicht gezeigt haben?“, wollte er wissen und beobachtete, wie sie die eingeseifte Wäsche im Flusswasser sauber spülte. „Wieso hätte ich das tun sollen? Ich wage doch sehr zu bezweifeln, dass Sie vorhaben, hier Ihre Wäsche zu waschen...“, entgegnete sie schnippisch. „Das hat doch damit gar nichts zu tun... Ich verstehe Sie einfach nicht. Wieso sind Sie die ganze Zeit so biestig zu mir?“, wollte Sudhir wissen und ging nicht weiter auf ihren kamplustigen Unterton ein. Für einen Moment hielt sie in ihrer Tätigkeit inne und schaute ihm in die Augen. „Das hab ich Ihnen bereits erklärt. Ich mag Menschen wie Sie nicht. Ich sehe also keinen Grund, nett zu Ihnen zu sein.“ „Menschen wie mich?“, wiederholte Sudhir. „Sie kennen mich doch überhaupt nicht. Wie können Sie da...?“ „Und ich will Sie auch nicht weiter kennenlernen.“, erwiderte sie kurz und knapp. Dann packte sie ihre Sachen zusammen, stand auf und ging.

Perplex schaute Sudhir ihr hinterher. „Das werden wir erst noch sehen, Shruti!“, rief er und stand ebenfalls auf. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und seufzte. Das würde ein größeres Stück Arbeit werden als er gedacht hatte.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück