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Grandia II: Der Pfad zur Seele

Eine Tragödie in 5 Akten
von

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3. Akt: Eine Reise ans Ende der Welt

Wir blieben den Tag noch in St. Heim, ohne dass etwas geschah. Ich hatte überlegt, dass so ein Ruhetag sicher nicht verkehrt wäre. Elena waren in letzter Zeit zu viele Dinge um die Ohren geflogen, da brauchte sie eine Pause und ich musste den weiteren Weg vorbereiten. Wenn wir über das Meer ziehen wollten, so brauchten wir einen Hafen, und da es nicht nur die Küste entlanggehen sollte, kamen wir um Kyrnberg nicht herum. Damit stand uns eine Reise in Schlesiens tiefsten Osten bevor, in ein eigenes Königreich, in dem, wie ich erfuhr, Granas auf Abstand gehalten wurde, aber wenn ich es mir näher überlegte, war das gar nicht so schlecht. Dann müsste Elena wenigstens keine Fanatiker fürchten.

Ich begab mich gerade auf die Suche nach Karten und Wegbeschreibungen, die mir mehr über einen aussichtsreich erscheinenden Pilgerpfad über die Raulberge erzählten, als ich plötzlich spürte, dass ich beobachtet wurde. Ich hatte noch keine Idee, wie ich reagieren sollte, als Millenia plötzlich vor mir stand.

„Hi“, sagte sie und ich hob schwach die Hand. „Hi“

Sie ließ mich nicht aus den Augen, ebenso wenig wie ich den Blick von ihr abwenden konnte, als sie durch das Herbergszimmer strich, mit einem Wisch meine Dokumente beiseite fegte und sich vor mich auf den Tisch setzte. „Hast du Zeit zum Reden?“, fragte sie mich. Ich blickte zu ihr auf. „Du hast mich hintergangen.“ – „Du mich doch auch.“

Ich schüttelte den Kopf und sprang auf. „Du hast Elena sehr wehgetan“, schrie ich, „Und mich reingelegt. Wie konntest du nur…?“ Sie schrie zurück. „Ich musste es. Was wäre denn passiert, wenn ich es nicht getan hätte? Die Priester hätten uns alle umgebracht. Ich weg, sie weg. Wärst du dann zufrieden?“ – „Darum geht es doch nicht.“ – „Doch.“

Sie erwiderte nichts, sondern kam zur Ruhe. Mit ihrem Arm drückte sie mich zurück auf den Stuhl. „Setz dich, Ryudo, sieh doch, ich will auch leben. Diesmal musste ich dafür töten. Bist du mir wirklich böse?“ Ich starrte sie nur an, meine Kehle war wie versteinert. „Was hättest du denn getan? Hättest du nicht auch das Mädchen geopfert, um uns zu retten?“ Schwach schüttelte ich den Kopf. „Ich hätte einen anderen Weg gesucht.“ – „Und wenn es den nicht gab? Elena hört mir nicht zu, du hast keinen Grund, mir zu glauben... was hätte ich denn machen sollen?“ Ich war sprachlos und dachte alles durch, aber mir wollte nichts einfallen. Ich schüttelte nur den Kopf. „Also ist es vergeben?“ Ich konnte nichts sagen. „Es ist vergeben“, nahm sie mir die Antwort ab. „Ich danke dir.“

Wir verharrten so, als keinem von uns etwas zu sagen einfiel. Schließlich kam doch heraus, was sie auf dem Herzen trug. „Du wolltest mich töten, Ryudo, und du willst es immer noch. Auch wenn es mich schmerzt, kann ich verstehen, dass du ein Menschenmädchen einer wie mir vorziehst. Aber vielleicht…“ Sie senkte sich immer weiter herab, bis sie schließlich ganz auf meinem Tisch lag. Ich blickte direkt auf ihr Korsett, auf ihre Beine und auf ihre Brüste, die bei jedem Atemzug bebten. Angebot verstanden.

Nie bereute ich es mehr, mich entschieden zu haben. „Ich finde einen Weg“, stammelte ich, „Einen Weg, der euch beide am Leben hält.“
 

Am nächsten Tag brachen wir in aller Frühe auf. Der Pilgerpfad war leicht zu finden und noch leichter zu begehen, seine Nutzung ersparte uns eine anstrengende Kletterei über die Raulberge. Dann folgten Stunden durch flaches Land, ehe wir auf einen Fluss stießen und uns ein Boot mitnahm. Das gab uns endlich die Gelegenheit, einmal die Beine hochzulegen und zu rasten. Stunden vergingen auf diese Art.

Es war Elena, die Kyrnberg als erstes entdecke. Ihr Blick war so unbewegt, so starr in die Ferne gerichtet, und ich wusste, ich hatte sie zu lange allein gelassen. „Elena“, begann ich, „denkst du noch manchmal an sie?“ Sie drehte sich nicht um, doch sie nickte. „Ich vermisse sie. Ich vermisse Tessa. Ich vermisse die anderen. Vor einem Leben dachte ich, wir würden uns niemals trennen, und vor einer Weile dachte ich noch, ich würde sie nach dem Tod wieder sehen. Siehst du den Kirchturm? Ich habe ihn gesehen und mir gedacht, wie lange ich nicht mehr für sie gebetet habe. Ryudo, ich weiß nicht mehr, wer ich bin.“ – „Du bist Elena, jemandes Tochter und jemandes Freundin. Was Granas angeht, so kann ich dir nicht viel sagen, aber ich glaube, dass er dich immer noch mag.“ Sie blickte mich verwundert an. „Obwohl ich die Tochter des Bösen in mir trage?“ – „Du wolltest sie doch nicht haben. Du bist in dieser Lage, weil dich eine Menge Menschen hintergangen haben und eine Menge Dinge schief gelaufen sind.“ Sie schwieg und ich ließ ihr die Zeit zum Nachdenken. „Ich habe früher oft gehört, dass Granas Pläne undurchschaubar sind. Wenn es nach Carrius geht und den anderen, so besteht an meiner Schuld kein Zweifel. Aber wenn ich nun darüber nachdenke…“ Wir blickten beide auf den bemerkenswert bescheidenen Kirchturm Kyrnbergs. Schließlich fragte ich sie: „Glaubst du eigentlich immer noch an Granas?“ – „Mit jeder Faser meines Herzens.“ – „Dann brauchst du sie doch nicht. Dann brauchst du doch nicht einmal eine Kirche. Wir suchen lieber ihn direkt und dann kannst du ganz alleine mit ihm reden.“ Sie sah mich an, als habe ich einen schlechten Scherz gerissen. „Wenn wir ihn finden“, lachte ich entschuldigend, „warum nicht?“

Die Stadt kam immer näher. Immer weitere Boote bevölkerten den Strom und die Häuser wurden so zahlreich, dass man sie nicht mehr zählen konnte. „Elena“, sagte ich, „möchtest du singen?“ Sie wandte sich mir nicht zu. „Ich weiß nicht. Ich habe zuletzt an dem Tag gesungen, an dem wir uns kennen lernten.“ – „Dann frage dich, ob du jetzt singen möchtest.“ Sie schwieg, ehe sie begann und auf ihre Art Kyrnberg und die Ferne begrüßte. Sie klang wie ein Engel, auch wenn ich kein Wort verstand.
 

In Kyrnberg selbst gab es für mich nur Leerlauf. Elena verschwand, als ihr die Idee kam, in der königlichen Bibliothek vielleicht auf einen Hinweis zu finden – so sie Einlass bekäme, und ich blieb zurück. Schlösser waren einfach nichts für mich, Bücher auch nicht. So blieb uns nichts anderes übrig, als erst einmal getrennte Wege zu gehen. Sollte sie in Bücher wälzen, ich würde erkunden, wie man weiterreisen konnte. Darin war wohl ich besser als sie. Trotzdem kam mir plötzlich ein Gedanke. Ich hatte auf dem Boot so viel Zeit gehabt. Vielleicht hätte ich sie ja fragen können, ob sie noch einmal mit mir ausgeht. In einer Stadt im Mittelpunkt der Handelsströme hätte es wohl sicher auch Eis gegeben oder Schuhe oder wonach ihr sonst der Sinn stand. Hier gab es sicher viele Möglichkeiten, zumindest kurzfristig glücklich zu werden, die uns bald schon fehlen würden. Ich hatte sie jedoch nicht gefragt. Im Augenblick war es wichtiger, dass sie ihr Ziel und die Hoffnung nicht aus den Augen verlor. Um alles weitere konnten wir uns auch im Ödland kümmern.
 

Stunden verstrichen. Ich saß auf einer Parkbank, ließ die Beine schaukeln und wartete, was wohl noch passieren würde. Langsam musste ich geistig Abschied von Schlesien nehmen, was mir aber nicht schwer fiel, ich hatte dieses Land eh nie gemocht. Die Frage lautete nur, wohin wir uns wenden sollten. Hier hoffte ich, dass Elena mir ein Ziel liefern konnte. Dafür war sie immerhin aufgebrochen.

„Hast du Lust mit mir ein Eis zu essen?“ Ich fuhr herum und erschrak. Mit so vielem hatte ich gerechnet, nur nicht mit einer Frau in Rot mit einer Angewohnheit, plötzlich irgendwo aufzutauchen. „Millenia?“, stammelte ich, „Wo kommst du denn auf einmal her?“ – „Elena ist über ihren Büchern eingeschlafen und ich dachte mir, ich nutze die Gelegenheit. Vielleicht willst du ja schon mal kosten.“ Ihrem Lachen nach hatte sie es darauf angelegt, mich zu verwirren, und ich war ganz perplex, als sie sich zu mir auf die Bank setzte und demonstrativ die Beine übereinander schlug. „Du magst mich doch, oder?“ Was sollte ich groß antworten. „Ja“, sagte ich, was nicht gelogen war. „Ich mag dich nämlich auch“, sagte sie und versenkte ihren Kopf in der Beuge meiner Schulter. „Lass uns so viel Zeit miteinander verbringen, wie noch geht.“ – „He, warte mal“, protestierte ich und schob sie auf Abstand, ehe mir etwas auffiel. „Wie noch geht?“ – „Ja“ – „Hmm…“

Etwas lag in ihrem Blick, was ich eben erst bemerkte. Hinter ihrer Fröhlichkeit verbarg sie etwas. Millenia hatte Angst. „Wir werden uns noch oft sehen“, sagte ich, um sie zu beruhigen. „Ich finde einen Weg.“ – „Du Idiot“, schrie sie auf und ich bemerkte, dass sie den Tränen nahe war. „Es geht mir doch nicht um mich. Es geht mir… um dich.“

Ich verstand nicht, noch ich nahm sie in die Arme, damit sie weinen konnte, ehe ich sie flüstern hörte: „Du bist so schön. Weißt du, wie lange ich nach jemandem wie dir geträumt habe? All die Jahrhunderte hinter dem Siegel, all die Zeit davor, in denen Menschen schreiend vor mir davonliefen. Darf ich weinen, Ryudo? Darf ich um dich weinen?“ – „Heyheyhey“, sagte ich, „Ich habe nicht die Absicht, zu sterben.“ Sie richtete sich auf und sah mich mit verweinten Augen an. „Ich weiß.“ – „Und ich bin ein Geronshund, stark und zäh. Ich werde auf mich aufpassen. Versprochen.“ – „Ich weiß.“ Mir lief ein Schauer über den Rücken. Sie meinte es ernst. Wusste sie etwa mehr als ich? Ein furchtbarer Gedanke.

Die Distanz zwischen uns blieb. Schließlich spürte sie, dass sie gehen musste. „Ryudo? Würdest du mir einen Gefallen tun?“, fragte sie mich zum Abschied. „Bitte, frage den Bestienmann, ob er mit euch reisen wird. Er hängt nun schon seit Mirmau an euren Fersen.“ – „Du meinst Mareg?“ Sie nickte. „Aber er…“ – „… ist stark und kann kämpfen. Du kennst sein Ziel. Du kannst ihn gebrauchen.“

Ich spürte es wie einen Schlag in die Magengegend, als ich verstand, worauf ihre Bitte hinauslief. Schwach versprach ich es ihr:. „Ja, das kann ich machen. Wenn es dich beruhigt.“ Es entlockte ihr ein Lächeln.

Millenia verschwand und ich blickte ihr nach. Trotzdem konnte ich nicht sagen, ob sie ging oder flog.



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