Zum Inhalt der Seite

Orthogonalität am Beispel des virilen Objekts

Herr Branner und ich
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Verschollene Lehrkörper im neuem Jahr

Es war kalt und es war nass, alle umherstehenden grummelten böse und verkrochen sich so gut, wie es ging, in ihre Parker und Schals.

Nur der obercoole Ray stand abseits, seine Jacke geöffnet, und rauchte gemütlich.

Ein Wesen für sich.

Ich stellte mich neben ihn und erzitterte, als die Kälte unter meinen Pullover fuhr.

Ich hasste den Januar.

Es war kalt, es war nass und es gab nichts, auf was man sich freuen konnte.

Die Welt war grau und erholte sich von den Festtagen, die doch immer soviel Heiterkeit und Liebe in die Welt transportierten.

Danach war es immer düster und trist.

Ich wollte März.

Da fing es wieder an, wärmer und heller zu werden und die ersten Blümchen blühten.
 

„Hey“, machte er, nahm den letzten Zug und ließ den Stummel dann auf den Boden fallen. Es zischte, es dampfte und das Glühen war verschwunden.

„Hm“, entgegnete ich müde.

Ich beobachtete die Sechstklässler, die sich mit kaltem Matsch eine Schneeballschlacht lieferten.

Um sieben Uhr morgens, ätzend.

„Dachte, du wärst tot oder sowas“, meinte Ray „hab ewig nichts mehr von dir gehört.“

Er klang so, wie immer, monoton, gelangweilt; und konnte das ohne jeden Vorwurf oder komischen Unterton sagen.

Ich liebte Ray für seine Gleichgültigkeit gegenüber anderen.

Ich zuckte die Schultern: „Brauchte etwas Ruhe.“

„Von Silvester?“ Ray grinste.

„Hm.“

„Lilly war bei dir?“ fragte er dann. Er drehte sich zu mich um und starrte mich an. Aber nicht vorwurfsvoll.

Ich seufzte und nickte.

„Ich hab gesagt, sie soll's lassen.“ meinte Ray.

„Du wusstest davon?“

Ray nickte „schon...“
 

Ich drehte mich zu ihm um. Musterte ihn. Seine Haut war einige Nuancen dunkler als meine, seine Haare lockten sich lustig über seine Stirn und seine Augen waren so dunkel braun, dass sie manchmal wie schwarz wirkten.

Jetzt zum Beispiel, im kargen Licht der Straßenlaterne über uns.
 

Dann drehte ich mich wieder weg. Und ich war mich nicht sicher, ob ich es gut oder schlecht finden sollte, dass Ray das von Marc gewusst hatte. Wieso hatte er mir nichts gesagt?

Wahrscheinlich hatte Ray gewusst, wie ich reagieren würde, ich hätte ihn angeschrien, geschlagen oder ausgelacht und geglaubt, dass er es mir nicht gönnen würde, und im Hinterkopf hätte ich gewusst, dass alles wahr war.
 

Ich hatte Angst davor, in die Schule zu gehen.

Ich wollte nicht Lilly begegnen, die mich vorwurfsvoll anstarren würde, ich wollte nicht Steve begegnen, weil ich ihn in Joshs Nähe nicht vertragen konnte und ich wollte Joe nicht begegnen.

Ich hatte Angst davor, dass er sauer sein würde, weil ich auf ihn nicht eingegangen war, oder weil ich in seine Küche gekotzt hatte, oder weil ich mich betrunken an ihn ran gemacht hatte, obwohl ich einen Freund hatte.

Und natürlich hatte ich wahnsinnigen Schiss davor, Marc zu begegnen. Deshalb hatte ich auch bis zum letzten Moment mit der Kontaktaufnahme gewartet und ihn nicht mehr angerufen oder war zu ihm gefahren.

Ich wollte einfach nicht, dass es stimmte, was Lilly mir bewiesen hatte.

Ich wollte nicht, dass ich ihn ansah und nicht mehr meinen perfekten Helden sah, sondern tatsächlich den Betrüger, der hinter der Heldenmaske stand.
 

Doch früher oder später hätte es sowieso sein müssen. Nicht nur, weil er sich sicher auch Gedanken um mich gemacht hätte, immerhin war er immer noch mein Lehrer, der an meinem keinem logischen Verständnis für die komplexe Oberstufenmathematik total verzweifelte.
 

Vielleicht, hoffentlich, war das der Grund dafür, dass wir nach dem Kunstunterricht – Joe kam zu spät und benahm sich total normal, als wenn absolut nichts passiert wäre und Lilly lächelte nur lieb, vielleicht entschuldigend – im Klassenraum saßen und nur das Getummel und Gerede der Mitschüler hörten.

Mein Herz raste zunehmend schneller, je mehr Zeit verstrich.

Ich wollte keinen Perversen in den Raum kommen sehen. Ich wollte Marcs wunderschönes Lächeln sehen, wenn er rein kam; das, welches mich vergessen ließ, was ich über ihn gehört und gelesen hatte und nur die schöne Zeit in den Ferien wissen ließ.

Doch er kam nicht.

Zuerst fünf Minuten, dann zehn Minuten, dann Fünfzehn.

Der Kurssprecher machte sich nicht die Mühe, zum Sekreteriat zu gehen und fragen, was los sei und nach zwanzig Minuten fingen die ersten Schüler an, ihre Taschen zu packen.

Marcs Nichtauftauchen machte mich nervös und gleichzeitig erleichterte es mich. So musste ich nicht befürchten, dass ich ihn nicht mehr so sehen konnte, wie ich ihn sehen wollte, so musste ich ihn nicht auf all die Sachen ansprechen und auf ein irres Missverständnis hoffen.

So hatte ich noch mehr Zeit, um mich auf das Wiedersehen vorzubereiten.
 

Nach dreißig Minuten hatte sich immer noch kein Schüler getraut, zu gehen, und dann kam auch endlich jemand.

Es war nicht Marc.

Die Tür wurde geöffnet und man spürte quasi, wie alle die Luft anhielten und gespannt zum Eingang starrten, und erleichtert ausatmeten, als nicht Herr Branner, aber Herr Pieper den Raum betrat.

Er war unser Stufenkoordinator, und wenn er kam, hatte es etwas wesentliches zu bedeuten.
 

„Entschuldigt die Verspätung“, murmelte er und sah zu uns auf.

„Jungs, Mädels, aus Kurs drei, ich habe gute oder schlechte Nachrichten für euch.“

Er lächelte komisch und sah mich dann an.

Ich schluckte und hatte unter diesem stechenden Blick das Gefühl, nackt vor ihm zu stehen. Und bei Herrn Pieper war das kein schönes Gefühl.
 

„Herr Branner fällt aus“ sagte er, ohne seinen Blick von mir zu nehmen „und so kurzfristig haben wir leider keine Vertrerung, die habt ihr erst ab nächste Woche. Heute und Morgen fällt der Unterricht daher aus.“
 

Mitschüler brummten und beschwerten sich über die Verspätung dieser Information; ich war nur verwirrt.

Wieso kam er nicht?

Wieso wusste ich nicht, warum er nicht kam?

Wieso hatte er mir nichts gesagt?
 

Was hatte er, wieso musste er ausfallen, wieso brauchten wir eine Vertretung?
 

Auch ich nahm meinen Rucksack, ignorierte Ray und meine Freunde und verließ den Raum. Ich lief die Treppe runter, durch den Flur auf den Schulhof und verfluchte kurz die Kälte.

Graue, dicke Wolken verdeckten die eben aufgegangene Sonne und ich lief quer über den Schulhof, um zu den Treppen zu kommen, die auf die untere Ebene führten, wo sich um diese Jahreszeit keine Sau aufhielt.

Dort war es vom nassen Laub matschig, es roch moderig und der Wind, der vom Fluss hoch kam, war eisig.
 

Ich wählte Marcs Nummer und als ich das Telefon zum Ohr führte, schaute ich mich um, um sicher zu gehen, dass ich wirklich allein war.

Ein geschmolzener Schneemann starrte mich mit seinen Steinaugen an.

Er wirkte nicht bedrohlich, erinnerte mich aber an Joshs komische Torte und verursachte mir so ein komisches, warmes Gefühl im Bauch, welches mir schnell in die Knie glitt.

Marc ging nicht an sein Telefon. Tatsächlich war es ausgeschaltet, denn ohne Piepen meldete sich sofort seine Mailbox.

Vielleicht war er wirklich nur richtig krank, und weil ich mich so lange nicht gemeldet hatte, dachte er, ich wolle echt nur eine Weile meine Ruhe haben.

Ich seufzte.

Trotzdem machte ich mir Sorgen.
 

Auch Lilly fragte sich, was war und als ich Marc auch am vierten Tag nicht über das Telefon erreichen konnte, beschlossen sie und ich, zu seiner Wohnung zu fahren.

Sie würde, sobald sie ihn sehen würde, total wütend auf ihn werden und ihn anschnauzen, völlig missachtend, dass sie unser Lehrer war; und ich würde ihn sehen, alles vergessen, mich in seinen Augen verlieren und auch vergessen, dass er mein Lehrer war.

Lilly und ich schwiegen, als wir mit der Straßenbahn zu Marc fuhren.

Wieso ich sie mitgenommen hatte, wusste ich so genau nicht.

Vielleicht, weil ich jemanden zum halten brauchte, wenn ich ihn sah und er nicht mehr mein toller Lehrer war, sondern dieser perverse Typ.

Vielleicht, weil ich jemanden brauchte, der mich auf die Erde zurück holte, wenn ich drohte, in Marcs Augen zu versinken.
 

Schon, als wir am kleinen Blumenladen ankamen, wurde mir mulmig.

Hinter den Fenstern seiner Wohnung war es dunkel.

Er war vielleicht gar nicht da?

Ich hätte mich angemeldet, aber sein Handy war ja aus.
 

Ich drückte auf den kleinen Knopf neben dem Schild an der Türklinkgel.

Ein Surren ertönte, und nichts geschah.

Ich drückte nochmal.

Wieder nichts.

Verunsichert drehte ich mich zu Lilly um, auch sie war ratlos, zuckte nur die Schulten und trat einige Schritte zurück, um noch mal hoch zu sehen.

Dabei wusste Lilly nicht, welche Fenster zu seiner Wohnung gehörte.

„Er ist nicht da?“ nuschelte sie und ich ging zu Lilly, um auch hoch zu sehen.

„Vielleicht ist er im Krankenhaus?“ spekulierte sie.

„Aber hätte er mich nicht informiert?“ sagte ich leise, ohne sie anzusehen.

„Wenn er im Koma liegt?“

„Und woher weiß Herr Pieper es dann?“

„Na ja“, Lilly zuckte die Schultern, sie trat vor mich und sah mich eindringlich an.

„Ich glaube ja nicht, dass er seinen Eltern von seinem minderjährigen Liebhaber erzählt hat.“

Ich lachte leise auf, natürlich hatte er das nicht „Marc hat gar kein Kontakt zu den Eltern, er hat nur seinen...“
 

Dann überkam es mich wie eine Erleuchtung. Ich hielt beim Sprechen inne, kramte noch mal in meiner Hosentasche nach meinem Handy und suchte schnell im Telefonbuch nach der Nummer, die ich mir Weihnachten heimlich eingespeichert hatte.

„Nils!“ sagte ich euphorisch, als ich sie gefunden hatte.

„Nils?“ fragte Lilly verwirrt, ich wandte mich jedoch nur ab und rief diese Nummer an.

„Tim, wer ist Nils?“ hörte ich ihre Stimme hinter mir, doch ich deutete, mich nicht zu stören und sie seufzte nur genervt.
 

Es ertönten einige Piepen, ehe es klackte und diese unverkennbare Stimme sagte: „Ja?“

Ich zog scharf die Luft ein, mein Herz raste und meine Finger begannen, zu zittern.

„Nils“, krächzte ich.

„Äh, ja, wer ist da?“ er klang überrascht.

„Tim!“ sagte meine Stimme und klang erstaunlich stark und kraftvoll.

„Äh“, machte es „Tim? Was, wieso, woher... oh man!“

„Ja!“ entgegnete ich und spürte, wie mich eine leichte Wut überkam „wo ist er?“

„Marc?“

Ich brummte.

„Hm“, machte Nils „es ist gerade ungünstig, Tim, ich bin in einer Vorlesung.“

Dann klackte es wieder und ein monotones Piepen sagte mir, dass die Verbindung beendet war.
 

„Er weiß, was los ist.“ nuschelte ich, umklammerte das Telefon fester und drehte mich zu Lilly um.

„Wer weiß es? Mit wem hast du geredet?“

„Marcs Bruder hat es von Anfang an gewusst“, erklärte ich „deshalb war er so wütend gewesen, natürlich. 'Du hast mir versprochen, aufzuhören', hat er zu Marc gesagt. Bah!“

Wütend stapfte ich durch den Matschschnee zurück zur Bahnhaltestelle.

Das konnte einfach nicht wahr sein.
 

Und die Sorge um Marc in mir verschwand, und die grenzenlose Zuneigung verkleinerte sich zunehmend, als ich wirklich wahrnahm und begriff, dass es stimmte, was mir Lilly gezeigt hatte.

Und ich war auf ihn reingefallen.

So dumm konnte wirklich nur ich sein.

Ich seufzte genervt auf, als die Straßenbahn hielt und mich und Lilly einstiegen ließ.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Angie_Cortez
2009-09-23T14:47:39+00:00 23.09.2009 16:47
Ja ja ... das ist ganz schön bitter. Wenigstens hat er jetzt aber einen guten Draht zu Josh, das ist doch schon mal was wert :) Bin gespannt was noch wird.

lg
Von: abgemeldet
2009-09-20T16:56:30+00:00 20.09.2009 18:56
Also, das erste Wort was mir gerade für Marc einfällt lautet: Feigling!
Was ist das denn für eine Art und Weise, also mal ehrlich. Fiesling!
Aber vielleicht ist es garnicht so verkehrt, wenn er einfach verschwunden bleiben würde, denn im Grunde bringts ja nur Probleme mit sich...
Dann... also holla, was geht denn da mit Tim und seinem Halbbruder he? Bekommt weiche Knie wenn er an ihn denkt? na na na...^^
Das wird ja immer bunter...

Und es macht soooo viel Spaß diese FF zu lesen^^ Spannend Spannend =)

LG Rhiska


Zurück