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Die Nacht trug deinen Namen

von

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Z W E I

Ich hatte einen merkwürdigen Traum. Ich tanzte in Jimmy’s Bar während aus jeder Ritze des Clubs Nebelschwaden aufzogen und die Gäste – alle ganz in Schwarz gekleidet – sich nach und nach in Fledermäuse verwandelten. Der Nebel formte Lisas Umrisse und sie legte wie jede Nacht meinen Hals frei um unser kleines Spiel zu beginnen. Mein Blick wanderte in Richtung Bar, dort wo Jimmy immer zu finden war. Doch es waren nicht seine Augen die meinem Blick begegneten, sondern kalte, dunkle Pupillen. Der durchdringende Blick bohrte sich in mein Innerstes, schien mich verschlingen zu wollen. Irgendwann hatte ich das Gefühl in Flammen zu stehen und wollte schreien. Doch ich schrie erst als Lisas nebelumwobene Gestalt ihre Zähne in meinen Hals schlug.

Zeitgleich mit dem Klingeln meines alten Weckers schreckte ich auf meiner Couch empor. Ich zwang mich dazu, gleich aufzustehen. Ich hatte nur zwei Stunden Schlaf gehabt und wenn ich mich nicht gleich in Bewegung setzen würde, dann würde ich meinen Hintern heute überhaupt nicht mehr hochbekommen.

Es war sechs Uhr morgens und der Traum den ich gehabt hatte war augenblicklich nur noch eine blasse Erinnerung. Ich gähnte und wunderte mich weshalb ich in Jeans und T-Shirt geschlafen hatte. Dann erinnerte ich mich an dunkle Gassen und eine noch dunklere Gestalt. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus. Und doch kam es mir vor, als würde diese Begegnung bereits Jahre zurückliegen und nicht erst zwei Stunden.

Ich sah auf die Uhr und stellte entsetzt fest, dass schon in einer viertel Stunde meine Schicht als Kellnerin begann. Ich stürmte ins Bad und sprang unter die kalte Dusche. Ich wusch mir in Windeseile das verwischte Make-up aus dem Gesicht und befreite meinen Körper von Body-Glitter den ich ab und an auflegte. Beim aus der Dusche treten wäre ich mit meinen nassen Füßen beinahe noch ausgerutscht und hätte mir am Waschbecken den Schädel zertrümmert. Das wäre der perfekte Anfang für einen perfekten Tag gewesen, dachte ich seufzend.

Aufatmend zwang ich meine Haare in einen schlichten Zopf und zog mich auf den Weg in die Küche, auf einem Bein hüpfend an. In geübten Bewegungen kochte ich mir schnell einen „Krümel-Kaffee“, wie ich ihn gern nannte, und schlüpfte währenddessen in meine Arbeitsuniform. Ich hasste den rosafarbenen Petticoat und die dazu passende Bluse. Ganz zu schweigen von der albernen Haube die ich dazu tragen musste. Als einziger Vorteil war anzumerken, dass mein Name auf der Bluse falsch geschrieben war. Vielleicht half mir das irgendwann einmal… wenn ich polizeilich gesucht werden sollte oder so.

Ich kippte den schwarzen Kaffee in meinen Rachen, und merkte erst als die kalte Brühe bereits zur Hälfte in meinem Magen war, dass mein Wasserkocher kaputt sein musste. Der war ja noch furzlauh.

Egal, sagte ich mir und stürmte zur Tür. Ich wusste, dass ich zu spät kommen würde, aber vielleicht geschahen ja doch noch Zeichen und Wunder. Ein Fehler in der Matrix, ein Loch im Raum-Zeit-Kontinuum… oder etwas Ähnliches.

Tom’s Diner – ja, hier wurden alle Klischees erfüllt – lag nur zwei Häuserblocks weiter nördlich. Wenn ich mich beeilte war ich in fünf Minuten da. Strumpffüßig rannte ich das Treppenhaus hinunter und betete, dass die Hausbesitzerin – der alte Drachen – mich heute Morgen noch nicht abfangen würde. Der würde ich noch früh genug über den Weg laufen. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass sie den ganzen Tag nichts anderes zu tun hatte, als hinter ihrer Haustür auf der Lauer zu liegen, um sich dann bei dem kleinsten Anzeichen von Bewegung im Treppenhaus den Bewohnern in den Weg zu schmeißen. Im Erdgeschoss angekommen schlüpfte ich in meine Rollschuhe, die gut und gerne aus den Sechzigern hätten stammen können und rollte los. Manchmal kam ich mir vor wie Pearl aus ‚Starlight Express’. Es hatte eine Zeit gedauert, aber jetzt konnte ich mich relativ gut auf den Dingern fortbewegen. Es sei denn, ein Taxi kreuzte meinen Weg und brannte darauf mich ein paar Meter auf seiner Motorhaube mitzunehmen. Jetzt schaut nicht so, ist alles schon passiert. Aber mich gabs noch immer und ich konnte mich nun durch die Fußgängerscharen schlängeln und die geschäftigen Passanten mit meinen „Achtung“-Rufen zur Weißglut bringen.

„Starlight Express, ich brauche dich jetzt“, trällerte ich auf meinem Weg vor mich hin und machte ein Medley aus meinem Gesang als ich noch ein „Ne Lok mit Locomotion brauchen wir, denn ohne Lok kommen wir nie weg von hier“ hinzufügte.

Atemlos stieß ich gegen die Glastür des Diners und keuchte auf, als diese nicht nachgab. Na super, jetzt hatte jeder mitbekommen, dass ich die falsche Seite der Tür hatte öffnen wollen. Mit gesenktem Blick rollte ich über das schwarz-weiß karierte Linoleum, vorbei an den rot gepolsterten Sitzgelegenheiten und hinter die Theke. Dort band ich mir meine Schürze und die Geldbörse um die Hüfte.

Eine massige Gestalt drängte sich neben mich. Ich musste den Blick nicht heben um zu wissen, dass es Mary war. Die Besitzerin des Diners hatte die Lippen immer zu einem schmalen Strich verzogen und wenn sie wütend war, und man nicht einmal mehr diesen Strich sah, sah sie aus wie Cruella de Vil. Wie eine zweihundert Pfund Ausgabe von Cruella de Vil.

„Hier“, schnauzte sie mich an und drückte mir die Kanne mit frischem heißem Kaffee in die Hand. „Dein Stammkunde wartet schon ganz ungeduldig auf dich, Schätzchen.“

Ich setzte mich in Bewegung ohne sie eines Blickes zu würdigen und wunderte mich bereits, ob ich dieses eine Mal ohne Standpauke davon kam. Sollte ich wirklich einmal Glück gehabt haben?

Eine fleischige Hand hielt mich am Oberarm zurück und Mary drückte sich so nah an mich, dass ich das Frittenfett quasi schmecken konnte welches ihrer Kleidung innewohnte.

„Und wenn du das nächste Mal zu spät kommst“, zischte sie mir entgegen und ich merkte, dass sie sich nur mit Mühe beherrschen konnte ihre Stimme in Zaum zu halten. „Dann nimmst du gefälligst die Hintertür, sonst wische ich mit deinem kleinen, knochigen Arsch den Boden, ist das klar?“

„Ja Ma’am“, erwiderte ich brav und in dem unterwürfigen Tonfall den sie so sehr mochte. Man musste sich ja nicht noch zusätzlich das Leben schwer machen, oder?

Sie schien zufrieden und entließ mich um sich dann wieder den Gästen zu widmen. Ich fuhr, mit der Kaffeekanne fest im Griff, hinter der Theke hervor und durchquerte das Diner um ans andere Ende zu gelangen. Betty, die andere Bedienung, warf mir einen missbilligenden Blick zu. Gott, sie hatte auch schon so schmale Lippen wie Mary. Sie schob mir einen Donut und zwei Scheiben gebratenen Toast mit Butter und Setzei über die Theke hinweg zu und verschwand wieder in der Küche. Ich seufzte, als ich das Essen an mich nahm, doch dann lächelte ich, als ich den alten Mann auf der letzten Bank des Diners erblickte. Seine Augen erhellten sich, als er mich erkannte.

„Guten Morgen Mr. Sanders“, begrüßte ich ihn, als ich seinen Tisch erreichte, sein Essen vor ihm abstellte und seinen ersten Kaffee einschenkte. „Wie geht’s Ihnen denn heue? Was macht die Arthritis?“

Mr. Sanders war um die neunzig Jahre alt und ein komischer Kauz der jeden Morgen pünktlich zur Ladenöffnung bereitstand und sich nur von mir bedienen lassen wollte. Er aß seinen Donut und seinen Toast, trank seinen Kaffee, wechselte ein paar Worte mit mir und verschwand anschließend. Ich mochte ihn, doch Mary duldete ihn nur, weil sie zu geizig war um sich die sechs Dollar und zehn Cent jeden Morgen entgehen zu lassen.

„Ach, es schleicht so hin“, antwortete mir Mr. Sanders. „Und außerdem geht es schlechten Menschen immer gut.“ Ich lächelte und dachte an Mary. „Du siehst müde aus, Kindchen. Wieder die ganze Nacht gearbeitet?“

Ich nickte und verzog das Gesicht als Mary mich rief und das ganze Diner mitbekam um was es ging.

„Die Herrentoilette ist verstopft. Bring das in Ordnung!“

Ich füllte Mr. Sanders’ bereits leere Kaffeetasse erneut und fügte mich meinem Schicksal. Ich war hier Mädchen für alles. Mary hätte mich beinahe mal gefeuert, nachdem ich den halben Herd auseinander genommen hatte, nur um dann festzustellen, dass ich ihn doch nicht reparieren konnte. Zu meiner Genugtuung hatte sie einen heftigen Stromschlag erhalten, als sie mir zeigen wollte, dass es doch ganz einfach ging und ich nur mal wieder zu dämlich war. Leider hatte sie den Schlag unbeschadet überstanden. Die Frau musste in ihrem früheren Leben eine Kakerlake gewesen sein… unkaputtbar. Die würde vermutlich auch eine Zombie-Apokalypse überstehen.

Ich rollte zurück an den Tresen und stellte die Kaffeekanne auf die Herdplatte um den Kaffee warm zu halten. Dann machte ich mich auf den Weg in die Besenkammer. Bewaffnet mit allerlei Klempnerkram suchte ich die Herrentoilette auf und machte mich an die Arbeit. Es hätte vielleicht etwas Entwürdigendes gehabt, stellte man sich vor, wie eine junge Frau im rosa Kostüm und mit Rollschuhen an den Füßen vor einer verstopften Herrentoilette kniete und Klopapier, Fäkalien und andere unaussprechlichere Dinge zum Vorschein brachte. Aber Leute wie ich haben so etwas wie Würde noch nie besessen. Und was man nicht besaß, konnte man demnach nicht verlieren. So einfach war das.

Als ich mit der Hausmeisterarbeit fertig war, alles – mich eingeschlossen – gereinigt und desinfiziert hatte, widmete ich mich wieder meiner eigentlichen Tätigkeit, dem Bedienen.

Der Laden füllte sich langsam und die Küche hatte alle Hände voll zu tun um den hungrigen Kunden ihr Frühstück vorzubereiten. Mr. Sanders winkte mich zu sich und gab mir wie jeden Morgen sechs Dollar und zehn Cent in die eine und neunzig Cent in die andere Hand. Ich steckte mir die neunzig Cent in meine Tasche und den Rest in meine Kassierer-Geldbörse. Mr. Sanders bedachte mich einerseits mit einem Lächeln, andererseits strafte er mich mit Blicken die zu fragen schienen weshalb ich mir dies antat. Er hatte einmal gesagt, dass ich so viel mehr sein konnte, wenn ich nur wollte. Ich hatte geantwortet, dass ich daran arbeitete. Heute verabschiedete er sich wortlos, griff nach seinem Gehstock und verließ das Diner.

„Bis morgen, Mr. Sanders“, sagte ich und winkte ihm, als er an den Fenstern vorbei lief und sein Schatten durch die Ritzen der halb heruntergelassenen Jalousien fiel.

„ABBY!“ drang plötzlich Mary’s Stimme an mein Ohr und ich biss die Zähne zusammen. Ich hasste es, wenn sie mich absichtlich beim falschen Namen nannte. Und sie wusste, dass ich es hasste. „Ich bezahle dich nicht fürs Rumstehen. An die Arbeit!“

Ich knickste und setzte mich in Bewegung um hinter der Theke ein paar Bagel mit Frischkäse zu schmieren und Salatblätter zu schneiden. Dabei überhörte ich eine Unterhaltung von zwei Polizisten ganz in meiner Nähe, doch der Schallplattenspieler – ja, auch so was besaß Tom’s Diner – war zu laut und ich bekam nur die Hälfte mit.

Ein Kunde verlangte nach mehr Kaffee und ich schnappte mir die Kanne um sein Bedürfnis nach Koffein zu befriedigen. Wie es der Zufall wollte, saß der Bauarbeiter auf der Sitzbank direkt neben den Polizisten und ich verstand nun ganz deutlich über was diese sich beim Frühstück, nun im Flüsterton, unterhielten.

„Nein Bob, es war am Manoa Drive, direkt dort wo er in die Hudson Road übergeht. Ich habe die arme Frau doch gesehen. Total entstellt, die halben Eingeweide rausgerissen und die Kehle aufgeschlitzt. Schrecklich. Und so jung, so blutjung. Ich habe eine Tochter in dem Alter, ich werde dafür sorgen dass-“

Die Kaffeekanne rutschte aus meinen Händen, fiel wie ein gläserner Schmetterling zu Boden und zerbrach in tausend Stücke. Schwarzer Kaffee verteilte ich auf dem Linoleum und ich konnte mir vorstellen, wie Mary ihre Lippen aufeinander presste. Doch ich starrte nur unfokussiert ins Leere und Entsetzen breitete sich in mir aus. Ich hatte es mir nicht eingebildet. Ich war nicht einfach nur übermüdet gewesen. Ich war heute Nacht verfolgt worden. Ich war einem Mörder entkommen, doch er hatte sich ein anderes Opfer gesucht. Mir wurde übel und ich wollte nach Hause und in mein Kissen weinen. Dann riss ich mich zusammen und sah zu Mary. Ihre Blicke warfen Blitze und sagten mir, dass sie die zerbrochene Kanne von meinem Lohn abziehen würde.
 

~ Ende des 2. Kapitels ~



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