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Abendstern

Und du wirst strahlen, heller als die Sonne.
von

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Kapitel 1 - Hoher Besuch

Die Luft in Shrida schmeckte immer salzig.

Niemand hatte je den Grund dafür finden können, warum hier, tausende Meilen vom Meer entfernt, mitten in der Wüste, Salz in der Luft lag. Nicht, dass es noch irgendjemandem auffiel. Viel mehr hatte man sich daran gewöhnt, an das leichte Kratzen im Hals und den ständigen Belag in der Nase wie an einer alten Narbe, die manchmal Nachts im Bett zu stechen begann. Die Händler, die bereits das Land der Sonne verlassen hatten und auf ihren Reisen weite Teile der Welt erkundeten, waren sich einig, dass es der Geruch war, der die Wüstenstadt so einzigartig machte.

Ich stimmte ihnen da voll und ganz zu.

Nicht, dass ich jemals die alte Sandsteinstadt verlassen hatte, oh nein. Ich hatte schon Mühe damit, mich außerhalb der Mauern meines Zuhauses zurechtzufinden. Tamima die Taube nannte man mich deswegen. Immer bemüht nicht ihr Nest zu verlassen. Und auch heute, an diesem heißen Morgen, als die Sommersonnenwende nicht mehr weit bevorstand, konnte ich mir keinen anderen Ort vorstellen, an dem ich leben könnte. Leben wollte. Nur dass ich damals noch nicht wusste, wie sehr ich mich irren würde.
 

Nicht, dass ich feige wäre. Hamid, mein Ziehvater, mochte da anderer Meinung sein, aber ich war sehr wohl mit einem guten Teil an Mut gesegnet. Zumindest manchmal.

Da schlug etwas gegen die Tür. Erschrocken riss ich die Augen auf, und die letzten Reste des Schlafes verschwanden.

Ich sprang aus dem Bett. Mein erster Gedanke war natürlich bei den Gästen. Ob ein Trunkenbold noch nicht zu Bett gegangen war und sich in der Tür geirrt hatte? Bei den Göttern, es war doch schon kurz vor Sonnenaufgang! Diese Säufer hatten wirklich keinen Sinn für Anstand.

Ich sprang aus dem Bett. Wenn einer der Gäste von unten jetzt noch heraufkam, würde es sicher nicht dienlich sein wenn er mich im Bett vorfände. Innerlich verfluchte ich Hamid dafür, mir kein Schloss an der Tür zuzugestehen.

Noch immer zürnend, zog ich mir meinen alten Kaftan an. Der raue Stoff krazte etwas als ich meinen dünnen Körper hineinzwängte. Mit raschen Schritten durchmaß ich meine kleine Kammer und wollte schon nach der eisernen Schnalle greifen, als das Holz knarrend aufgeworfen wurde.

„Wo bleibst du, Mädchen?“, brüllte mir Umar ins Gesicht. Verunsichert zuckte ich zurück. Der erste Knecht des Wirtes glaubte immer, dass mit purer Lautstärke alles schneller getan werden würde. Meistens hatte er damit auch Recht - aber es war doch praktisch noch Mitternacht! Hilal, der Wüstenmond, war noch nicht einmal untergegangen! Unschlüssig stand ich im Türrahmen.

„Steh nicht hier so dumm! Runter mit dir, Kaseng wird in wenigen Stunden hier sein!“

Ich brauchte ein Weile um den Sinn seiner Worte zu verstehen. Es brauchte einen weiteren bösen Blick des Knechtes bis mir wieder einfiel was denKnecht veranlasste mich um meinen Schlaf zu bringen. Kaseng kam! Wie hatte ich das nur vergessen können? Seit Monaten machte Hamid uns die Hölle heiß, weil der Berater des Sultans hier übernachten würde. Sofort begann mein Puls zu rasen. Der Alte Kaftan hatte seit Jahren keinen so hohen Besuch mehr gehabt – kein Wunder, dass Umar verrückt spielte.

Ich nickte also nur kurz und versuchte mich an Umars breiter Gestalt vorbeizudrängen, um nach unten in die Küche zu kommen. Mir wurde mein Weg jedoch von seinem Arm versperrt.

Ich sha zu ihm auf. „Und beeil dich“, fügte er überflüssigerweise hinzu. Ich konnte seine gelben Zahnstummel zählen, als er zu mir herunter grinste. Abermals nickte ich kurz. Dann duckte ich mich und entwand mich ihm. Der staubige Holzboden knirschte unter meinen bloßen Füßen, als ich mich beeilte nach unten zu kommen.
 

Seit ich denken konnte war der Alte Kaftan mein Zuhause gewesen, trotz meiner ewigen Streitigkeiten mit Hamid, dem Wirt, und seinen Knechten. Das Gasthaus lag im äußersten Teil Shridas, dort wo die Feigenwälder begannen und anständige Leute aus Angst vor Straßenräubern nie einen Fuß hinsetzten. Dennoch ging das Geschäft gut – besonders heute, da der edle Imran Kaseng, der höchste Berater des Sultans, hier nächtigen würde. Er war gerade von einer langen Reise in die Länder der Sonne zurückgekehrt, und hatte seinen Besuch schon Monate im voraus angekündigt. Er hatte den ganzen Hof für dieses Nacht reservieren lassen und sogar Befehl gegeben, 12 der edelsten Zimmer herzurichten. Hamid hatte teure Bauchtänzerinnen und soviel Lampenöl bestellen lassen, dass es reichen würde einen Elefanten zu braten.

Imran würde Geld zu uns bringen, soviel war sicher.
 

Von unten waren bereits die lauten Stimmen der Köchinnen zu hören, die die Küchenmägde anbrüllten, endlich wach zu werden und an die Arbeit zu gehen, und das unwillige Murren der Knechte, die die geschlachteten Ochsen brachten. Der große Gastraum war erfüllt vom Licht der Lampen und dem Lärm der Diener. Noch bevor ich Zeit hatte in die Küche zu huschen, um mir etwas Brot und Feigen für mein Frühstück zu besorgen, rief mir einer der Knechte, Irfan, zu, mitanzupacken, als er und 3 weitere mühsam einen Tisch hochhievten. Ich lief zu ihm, packte die Ecke des Holzes und gemeinsam konnten wir ihn in den kleinen Gastraum transportieren, der allem Anschein nach zu einer Abstellkammer umfunktioniert worden war. Während des Tragens hörte ich den Knecht leise fluchen: „Diese verdammten Tänzerinnen! Erst kommen sie um Stunden zu spät und dann verlangen sie von uns die Bühne zu vergrößern! Als hätten sie vor mit Tigern und Löwen zu tanzen, anstatt mit Ringen! Bei den Göttern, verflucht seien die Frauen!“

Während dieser Schimpftirade musste ich mehrmals schmunzeln. Irfan war ein herzensguter Kerl, vermutlich einer der wenigen liebenswerten Männer die ich je kennengelernt hatte – aber nie war er zufrieden mit irgendetwas. Zum Glück war er genau mit der richtigen Frau gesegnet worden, denn seine Verlobte Amina war ein Engel der Geduld. Ich hatte sie einmal getroffen, als Hadim Irfan hatte ausprügeln lassen, weil er zu spät zur Arbeit erschienen war. Um das Leben ihres Verlobten zu retten war sie bis zum Äußersten gegangen.

Unangenehm berührt schüttelte ich den Kopf um das Spukbild zu vertreiben. Es gab Dinge über die man nicht nachdenken dufte, wenn man bereits 17 Lebensjahre zählte und weder Mann noch Familie hatte.
 

Die Stunden vergingen kriechend. Hadim war zur Hochform aufgelaufen und sein alter, zahnloser Mund schrie Beschimpfungen in alle Richtungen. Niemand entkam heute seinen scharfen Augen. Nicht, wenn alles perfekt für den Berater des Sultans sein sollte. Gerade als ich in der Küche Kohle für den Ofen nachlegte, hörte ich das Klopfen seiner Krücke auf dem Boden.

„Beeilung Mädchen! Für was gebe ich dir denn zu essen, wenn du nicht einmal imstande bist einfachste Arbeiten zu erledigen? Etwas so Undankbares wie dich habe ich in all meinen Jahren noch nicht erlebt!“ Ich hörte auf, ihm Aufmerksamkeit zu schenken. Jedes Mal wenn Gäste kamen, musste ich mir diesen Vortrag von ihm anhören. Natürlich hatte er auf der einen Seite Recht und ich schuldete ihm Dankbarkeit dafür mich aufgezogen zu haben. So habgierig und machtsüchtig Hadim auch war, so hatte er mich doch aufgenommen als meine Eltern mich als Baby in einem der Zimmer des Alten Kaftans zurückgelassen hatten. „Ohne je einen Peso von dir zu verlangen!“, fuhr er seine Litanei wie immer fort. Nein, Geld hatte er von mir nie gewollt, wohl aber vollkommenen Gehorsam, wie von seinen anderen Dienern auch. Wenn Hadim etwas sagte, wurden Himmel und Erde umgekrempelt, bis sein Befehl erfüllt war. Und sollte das nicht schnell genug passieren, war der alte Mann immer rasch mit seiner Peitsche gewesen. Egal ob Köche, Knechte oder leibeigene Diener, keiner war von ihm verschont geblieben. Am allerwenigsten ich.
 

Aber alles schien gut zu laufen, die Tänzerinnen waren zwar noch nicht da, die Bühne jedoch fertig dekoriert und die Öfen liefen auf Hochtouren. Den ganzen Tag verbrachten die Mägde und Knechte des kleinen Gasthofes emsig mit Putzen, Kochen und herrichten des ganzen Hofes, den ich zum Schluss noch nie in größere Pracht erstrahlen hatte sehen.

Jetzt fehlte nur noch Kaseng selbst. Doch der alte Berater des Sultans, der ohnehin für seine Unpünktlichkeit bekannt war, ließ sich nicht blicken.

Als die Sonne langsam schon am Horizont unterging, gab auch ich meine Habachtsstellung auf und setzte mich an eines der Fenster. Gelangweilt ließ ich meinen Blick über die leere Straße gleiten. Der Alte Kaftan war das am weitesten außerhalb der Stadt gelegene Gasthaus Shridas, und so kam selten etwas den alten, ausgepferchten Weg entlang der von den Mangohainen und den Palmenwäldern in die Wüstenstadt führte. Oft schon hatte ich die reichen Händler mit ihren Wächtern und Dienern gesehen, wie sie vollbepackt in die Stadt einzogen.

Noch öfter jedoch hatte ich mir gewünscht mit ihnen zu ziehen.

Ich wusste, dass ich es schaffen könnte. Hadim konnte sagen was er wollte – in mir steckte etwas Großes. Nur hatte ich es bisher noch nicht finden können.

Plötzlich nahm ich eine Bewegung im Dunkeln des Mangohaines war. Verwundert kniff ich die Augen zusammen. Da ertönte aus der Ferne ein Horn.

Alarmiert sprang ich auf. Kaseng war da! Die Angehörigen des Palastes führten immer ein Horn mit sich auf ihren Reisen, so dass sie Shridas Garde, die an den Stadtmauern kampierte, ein Zeichen gaben sie nicht anzugreifen. Hastig betrat ich den Gastraum, der von der stundenlangen Arbeit sehr verändert war. Die Wände aus leicht fleckigem Sandstein waren mit edlen Teppichen bedeckt, goldene Öllampen hingen von der Decke und gut 2 Dutzend dicke Liegekissen bedeckten den Boden. Hadim hatte wirklich keine Kosten gescheut, den Berater zu empfangen.

Wenn man vom Teufel sprach, da stand der alte Wirt auch schon am Fenster und starrte in die aufkommende Dunkelheit hinaus. War es möglich, dass er das Horn überhört hatte? Vorsichtig trat ich neben ihn. Sofort wandte er sich um.

„Was ist los, Mädchen? Du solltest doch die restlichen Lampen anzünden und dich bereithalten wenn der Gast kommt! Was stehst du hier so unnütz herum?“

Ich schüttelte den Kopf und zeigte mit der Hand nach draußen. Kaseng konnte jede Minute hier sein! Hadim jedoch riss nur der heute ohnehin überspannte Geduldsfaden. „Mach gefälligst den Mund auf, Mädchen! Niemand führt Hadim Alkarra an der Nase herum!“ Mit diesen Worte schlug er mich heftig auf den Arm. Es tat nicht wirklich weh, ich hatte härtere Hiebe erhalten, aber ich hasste es dennoch. Es war nicht meine Schuld dass ich nicht. . .

„Das Horn. Der Berater wird bald hier sein“, formten meine Lippen die Worte.

Sofort ließ der alte Mann von mir ab. Trotz seines Alters hatte er gute Ohren. Alarmiert wandte er sich wieder dem Fenster zu. Obwohl nichts zu sehen war, schien er genug zu erkennen und warf sich herum. Seine Stimme hallte von allen Wänden wieder als er zu schreien begann.

„ER IST HIER! WENN ES IRGENDEINER VON EUCH DRECKFRESSENDEN HUNDESÖHNEN WAGT, NICHT AUGENBLICKLICH BEI DER ARBEIT ZU SEIN, WERDE ICH SEINE EINGEWEIDE EIGENHÄNDIG AUF EINEN SCHASCHLICKSPIEß STECKEN UND ÜBER DEM FEUER RÖSTEN!“

Und so weiter. Ich hörte nicht mehr zu, denn ich war schon in die Küche gehuscht und hatte mich mit den anderen Mägden ans Fenster gedrängt, um von Hadim unerkannt einen Blick auf den Zug des Beraters zu erhuschen. Und wir wurden nicht enttäuscht. Bereits wenige Augenblicke, nachdem ich mich zwischen zwei schwitzende Küchengehilfinnen gezwängt hatte, erschien ein Reiter zwischen den Bäumen. Er ritt einen edlen Araber und war in den Farben des Sultans, weiß und gold, gekleidet. Gerade als er erneut sein Horn an den Mund legte, erschienen 10 weitere Reiter aus dem Hain. Ich konnte sofort sehen, dass es die Wachen des Beraters waren, da ihre Rundschwerter lang und gefährlich an ihren Seiten hingen und sie Pfeil und Bogen über den Schultern hingen hatten. Ich hielt den Atem an, als das Signalhorn zum zweiten Mal ertönte.

Endlich trat auch Imran Kaseng persönlich auf die Straße. Er sah genau so aus wie die Händler ihn beschrieben hatten – markante Gesichtszüge, der lange schwarze Bart eines weisen Mannes und die Goldketten eines Reichen. Hoch erhoben saß er auf seinem Ross.

Er ließ einen müden Blick über die Ebene wandern, bis er das Gasthaus erkannte. Ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Gesichtszüge, als er das Signal zum Weiterzug gab. Und schon schossen er und sein schwarzer Hengst voran. Die Wachen hatten Mühe ihn in einem Kreis zu umschließen.

Die Mägde rannten sofort zu den anderen Fenstern, um einen besseren Blick auf ihn zu ergattern, als er die Straße entlang ritt. Ich jedoch folgte einem inneren Impuls und blieb. Und als man das Getrampel der Pferde schon hören konnte, sah ich tatsächlich noch jemanden aus dem Hain heraustreten. Es waren 3 kräftige Kamele, die, müde von Tagesritt nicht mehr mit den Pferden mithalten konnten. Sie waren schwer beladen. Auf ihren Rücken saßen, mehr schlecht als recht, 6 Frauen, die sich mit aller Kraft in den Sätteln halten mussten, um nicht zu fallen.

Verwundert runzelte ich die Stirn. Warum hatte der Berater des Sultans eine Karawane an Frauen im Schlepptau? Ich beugte mich weiter nach vorne, um sie besser sehen zu können, als mich ein harter Schlag gegen den Kopf Sterne sehen ließ. Hinter mir hörte ich Umars schneidende Stimme.

„Gefällt dir das, Mädchen? Den ganzen Tag am Fenster zu sitzen und nichts zu tun? Du bist wirklich dümmer als ich dachte. An die Arbeit, bevor ich dir deine Haare ausreiße.“

Ich sah ihn ausdruckslos an. Seit Jahren hatte Umar keine Gelegenheit ausgelassen mich zu beleidigen, weil er genau wusste, dass ich Hadim nichts erzählen würde.

So würde es auch heute sein. Also nickte ich nur stumm und drehte mich um, um mit den anderen Mägden Essen auf die Teller zu laden. Doch der breite Arm des Knechtes versperrte mir abermals den Weg.

„Nicht in die Küche, Mädchen. Jasira kocht besser als du, und wir haben hier genug Leute – du wirst bedienen. Damit du endlich mal was von dir zeigst.“

Fassungslosigkeit stand in meinem Blick, als ich ihn einen langen Moment anstarrte und dann ein in Leinen gewickeltes Bündel entgegennahm.

Ich hatte von mir geglaubt, über Emotionen wie Wut zu stehen. Ich hatte geglaubt, es gäbe für mich keine Steigerung des verständnislosen Kopfschüttelns und dem emotionslosen Schulterzucken. Aber in diesem Augenblick war ich kurz davor, zum ersten Mal in meinem Leben, zu schreien. Umar starrte mich erwartungsvoll an, sein unrasiertes Gesicht glänzend vor Schweiß.

„Möchtest du etwas sagen, Kleines? Oh, nein, richtig – Reden tust du ja nicht.“ Er lachte sein kehliges Lachen, dass mir immer einen schmerzhaften Schauer über den Rücken jagte. Kopfschüttelnd wandte ich mich um. Nicht hier. Nicht für ihn.

Ich nahm die kleine Hintertreppe zu den oberen Stockwerken. Leise stahl ich mich durch die dunklen Korridore zu meiner Kammer, dabei wohlweislich auf den Zehenspitzen gehend, um ja kein Knartzen der Dielen zu beschwören.

Endlich in meiner Kammer angelangt, hatte ich mich auch schon wieder einigermaßen beruhigt. Hadim hatte noch nie einen Deut auf mich gegeben, außer darauf wie verlässlich ich als Arbeiterin war, warum sollte er sich jetzt darum bemühen mich zu demütigen? Ihm war bestimmt nicht bewusst, wie groß die Schande für ein Mädchen meines Alters war Männer in einem Gelage zu bedienen, während die Tänzerinnen am Werk waren, dachte ich naiv. Für gewöhnlich war das die Aufgabe verheirateter alter Frauen oder Stundenmädchen. Für jeden, der nicht eins von beidem war, bedeutete es Verruf. Nicht, dass die Tochter eines Wirtes – ob jetzt leiblich oder eine Waise – besonders viel Ehre besäße. Dennoch fühlte ich mich wohler mich in der Küche mit den Mägden zu verstecken, wenn im Gastsaal ein Gelage abgehalten wurde. Kindische Furcht vielleicht – oder doch etwas mehr?

Aber welche Alternativen hatte ich? Hadims Befehl zu verweigern wäre Selbstmord. Er war noch nie zimperlich mit irgendjemandem umgegangen - seine erste Frau hatte er sogar tot geprügelt, weil sie sich weigerte auf des Wirtes Befehl die Annäherungsversuche eines reichen Gastes zu erwidern. Damals hatte ich mich hinter einem Vorhang versteckt gehalten, bis das Blut der Frau die Dielen durchnässt hatte.

Und ich wollte nicht sterben.

Also blieb nur noch das Kostüm.
 

Mit zitternden Händen ging ich die Treppe hinab. Das Kleid, das praktisch nur aus einem roten, halbdurchsichtigen Tuch bestand und das ich mir um die Handgelenke und den Körper gewickelt hatte, zeigte mehr als es verdeckte. Mit bedrückender Gewissheit war ich mir jedes Blickes der Mägde, die in Scharen auf und ab liefen, bewusst. Ich hatte nie wirklichen Anschluss unter ihnen gefunden. Nicht, weil ich etwas gegen sie hatte – sie waren mir höchstens vollkommen gleichgültig - eher weil sie nie versucht hatten sich mir zu nähern. Stummfisch nannten sie mich hinter vorgehaltener Hand. Verübeln konnte ich es ihnen ja nicht. Aber vielleicht hätte ich mich in früheren Jahren mehr um sie bemühen sollen, einfach um mehr Standfestigkeit im Haus zu erlangen. Jetzt, da ich schon fast 18 Jahre zählte, hatte ich mir, als die Tochter des Wirtes, noch immer nicht den nötigen Respekt – in erster Linie vor mir selbst – erarbeitet. Wie wenig einen doch an einem Orte hielt . . .

„Tamima! Träumst du schon wieder? Wo hast du denn den Schleier her?“, wurde ich von Irfan aus meinen Gedanken gerissen. Er hatte verwundert die Augenbrauchen hochgezogen und musterte mich von oben bis unten. Ich lächelte ruhig, und formte wortlos mit den Lippen die Silben „Ha – dim.“

Der junge Mann legte den Krug mit schwerem Met, den er soeben noch getragen hatte, ab.

„Lass mich raten. Umar hat sich wieder bei dem Alten schön geredet und dir Ärger gemacht? Wenn ich den in die Finger bekomme...“ Er hob drohend die Hand, was mich zum lachen brachte. Der gute alte Irfan hatte mir schon geholfen, als ich noch in den Tragetüchern der Köche die Tage verbrachte, und stand mir noch immer zur Seite.

Aber heute war es eine schlechte Zeit, um den Helden zu spielen. Ich ergriff seinen Arm und zwang ihn mich anzusehen.

„Bitte nicht. Es würde alles nur . . .“

Ich verstummte und ließ mein unnatürlich langes Flüstern in meinem Kopf abklingen. Er sah mich traurig an. Dann hob er den Krug wieder auf seine Schultern.

„Eines Tages kommst du hier raus, Tami. Da bin ich mir sicher. Kopf hoch. Und nicht schüchtern sein bei den Gästen!“ Rief er mir noch hinterher als er schon die Treppe zum Keller halb hinabgerannt war. Ich stimmte ihm im Geiste zu.
 

Die Küche war so vollgestopft wie ich sie noch nie erlebt hatte. Teller, beladen mit Essen und Fässer voller Met und Wein, stapelten sich überall auf Bänken, Tischen und Platten. Die Öfen liefen auf Hochdruck und gut ein halbes Dutzend Kinder aus der Außenstadt waren damit beschäftigt den schwitzenden Köchen die Zutaten zu reichen. Hadim schien keine Kosten gescheut zu haben um alles zu Kasengs Zufriedenheit auszurichten. Wo man vom Teufel sprach, da stand der alte Mann an einem der Tische und beobachtete seine Diener, wie sie in der Hitze der offenen Feuern halb gegart wurden. Anscheinend war die Begrüßungszeremonie bereits vorüber und die Tänzerinnen hatten ihre Show begonnen.

Als hätte er meine Gedanken gehört, wandte er sich um. Bei meinem Anblick begann er seinen weißen Bart mit seinen Fingern zu zwirbeln, etwas was er immer tat wenn alles zu seiner Zufriedenheit ablief.

„Ah, mein gutes Mädchen. Du bist früh. Die anderen haben sich noch Zeit genommen, um sich herzurichten. Geh schon mal in den Gastraum und halte dich bereit, sollten unsere ehrwürdigen Gäste etwas brauchen. Wir haben hier eine große Gesellschaft heute. Der Berater, seine Wachen, der Fahnenmann und ihre edle Fracht. Da brauchen wir genug Leute, um sie bei Laune zu halten.“

Bei den Worten rieb er sich freudig die Hände. Er machte ein Vermögen heute, keine Frage.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Bells_Poetry
2009-10-31T21:11:46+00:00 31.10.2009 22:11
Guten Abend,

wie versprochen widme ich mich nun endlich deiner Geschichte - was schon viel früher hätte getan werden müssen, ich weiß und es ist mir sehr peinlich. Vor allem, weil du dir offensichtlich sehr viel Mühe mit der Ausarbeitung deiner Geschichte gegeben hast. Sehr mutig, es im fernen Orient spielen zu lassen, doch ich vermute, du hast eine ausführliche Recherche betrieben, jedenfalls den kulturellen Bräuchen und gesellschaftlichen Sitten nach zu schließen, die du eingeflochten hast.

Ein gelungener Einstieg ist es allemal, du hast einen Schreibstil, der sich schnell und flüssig liest, außerdem kannst du Situationen und Handlungen gut und deutlich beschreiben, ohne dass der Leser sich nicht vorstellen kann, was passiert. Besonders gefällt mir der erste Satz, sehr schön, anschließend dann die Erläuterungen, die sanft die Geschichte einleiten.
Leider fehlt mir im ersten Kapitel, das meinem Verständnis nach immer gewisse Funktionen einer Exposition übernimmt, eine kontextuale Einbettung der Geschichte, sprich, wo spielt die Geschichte, um was für eine Stadt handelt es sich, welche Umstände herrschen derzeit im Land? Da du deine Protagonistin als eine an ihrer Umgebung interessierte Person darstellst, darf ich annehmen, dass sie über politische Ereignisse durchaus im Bild ist. Du merkst, mir fehlt die Rahmensetzung der Geschichte, ich hätte mir gewünscht, dass du im ersten Kapitel mehr auf das Wer, Wie, Wo, Was, Warum eingehst. Dazu gehört auch eine Erklärung, warum Tamima sich entschlossen hat, nicht mit den Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung zu sprechen. Es überzeugt einfach nicht, wenn sie dem Leser ihre Situation sehr lebendig schildert, für ihre Mitmenschen aber kaum ein Wort übrig hat. Eine Begründung ist ratsam, ganz einfach, um das Missverhältnis aufzulösen.

So gut du mit der Sptrache umzugehen vermagst, du benutzt immer wieder umgangssprachliche Floskeln oder Wörter, die sich im Text wie Fremdkörper gebärden. Sie passen nicht, sie stören und sie lassen sich recht einfach durch andere, treffendere Wörter ersetzen. Zugleich verstärken sie den Effekt, den ich bereits angesprochen habe: Tamimas Schweigen, aber ihre schillernden Beschreibungen.
Hier zwei besonders auffällige Beispiele:

"Hamid hatte teure Bauchtänzerinnen und soviel Lampenöl bestellen lassen, dass es reichen würde einen Elefanten abzufackeln."
- "Abfackeln", würde sich ein Mädchen wie Tamima so ausdrücken?

"Anscheinend war die Begrüßungszeremonie bereits vorüber und die Tänzerinnen hatten ihre Show begonnen."
- Von "Shows" dürfte damals kaum die Rede gewesen sein. Eher von einem "Spektakel" oder ganz einfach einer "Aufführung" oder "Vorführung".

Noch ein Hinweis:
"Er war noch nie zimperlich mit irgendjemandem umgegangen - seine erste Frau hatte er sogar tot geprügelt, weil sie sich weigerte auf des Wirtes Befehl die Annoncen eines Gastes zu erwidern."
- Du meinst sicherlich "Avancen", "Annoncen" finden sich nämlich ausschließlich in Zeitungen und Zeitschriften.

Eine weitere Stelle, die mir aufgefallen ist:
"Hadim hatte noch nie einen Deut auf mich gegeben, außer darauf wie verlässlich ich als Arbeiterin war, warum sollte er sich jetzt darum bemühen mich zu demütigen? Ihm war bestimmt nicht bewusst, wie groß die Schande für ein Mädchen meines Alters war Männer in einem Gelage zu bedienen, während die Tänzerinnen am Werk waren[...]"
- Warum sollte Hadim, der in diesem Land aufgewachsen ist und von seinen Eltern den Sitten nach erzogen wurde, nicht mit den Traditionen seiner Heimat vertraut sein? Ebenso mit den gesellschaftlichen Normen, denen sowohl Frauen als auch Männer unterliegen? ich kann mir nicht vorstellen, dass ein gestandener Mann nicht weiß, wie er ein Mädchen demütigt. Es klingt unglaubwürdig, dass er sie unwissend bedienen lässt, vor allem, weil er sich so verhält, als wüsste er genau, welche Unannehmlichkeiten er ihr bereitet.

So, das war es erst einmal von mir. Sobald ich Zeit finde, schaue ich mir die nächsten Kapitel an, denn ich bin gespannt, wie du den ehrenwerten Berater darstellst, auf den das gesamte Wirtshauspersonal gewartet hat. Insofern ist dir das erste Kapitel gelungen: man möchte wissen, wie es weitergeht.

Beste Grüße,
Moon


Von:  blacksun2
2009-08-06T12:08:06+00:00 06.08.2009 14:08
Hi

mehr als das erste Kapitel werd ich zwar heute nicht schaffen, aber du kannst dir sicher sein, ob du willst oder nicht *fies lacht*, ich werde bald auch die anderen Kapitel verschlungen haben, vor allen, wenn sie so gut geschrieben sind wie dieses und wenn der Inhalt hält, was er verspricht

freu mich jetzt schon darauf weiterzulesen, denn du hast wirklich einen tollen Schreibstil, der sich sehr flüssig lesen lässt
deine Namenswahl gefällt mir sehr, sie passt gut in die Gegend und die Zeit
ebenso find ich den Titel sehr ansprechend, und dazu dieser wunderschöne Untertitel
gibt also nichts was ich kritisieren kann, zumindest ist mir nichts aufgefallen ^^

verständlich, dass es für Tamima alles andere als angenehm ist in dieser Kleidung rauszugehen,
tja des einen Freud des anderen Leid, denn ich kann mir vorstellen, dass ihre Gäste kein Problem damit haben

aber wie genau der Abend für sie verläuft, werde ich ja bald erfahren

glg
blacksun

Von: abgemeldet
2009-08-02T12:32:17+00:00 02.08.2009 14:32
ich hab jz das erste Kap noch mal gelesen.
Nicht schlecht!!!
Von:  P-Chi
2009-07-29T11:09:47+00:00 29.07.2009 13:09
Wow, ich bin echt begeistert!!
Das war alles total spannend und realistisch beschrieben worden. Die Metaphern und Ortsbeschreibungen haben mir echt gefallen und wie viele unterschiedliche Leute es gibt haben mich echt beeindruckt!! *___*
Ich mag Tamims Vater x33 Er ist lustig wenn er flucht *lach* *schrägen Humor hat*
Tatsächlich hattest du so in der mitte ungefähr einige Fehler gehabt (und einige von den Begriffen kannte ich noch nicht einmal^^') und Anfangs hast du auch manchmal Beistriche vergessen...aber ansonsten war es echt klasse! *applaus* x3
(Elefant hast du übrigens ohne 'E' geschrieben -> Elfant)
Schickst du mir das Kapi per ENS?? Dann kann ich es verbessern~
Hach, ich freue mich so eine originelle Geschichte verbessern zu dürfen x33

lg Angels
Von:  pseudonymous
2009-07-07T22:31:56+00:00 08.07.2009 00:31
Endlich, endlich, ENDLICH!

Ich maaag es nicht, wenn ich keine Zeit habe, um an den Pc zu gehen *schmoll* xD

Also, endlich habe ich es geschafft, dein Kapitel zu lesen und ich muss sagen - es gefällt mir! :D

Ich mag Tamima :D Aber warum spricht sie nicht bzw nur so selten?
Und ich mag Irfan! xD

Der Mann, der da immer rumbrüllt und gemein ist, den find ich dooooof :(
Wie hieß er noch ... Ach ja, Hadim :D
Ich komm mit den Namen noch ein wenig durcheinander ;)

Und wo wir schon dabei sind, ich mag die Idee, das dort spielen zu lassen, total super ... aber wo genau spielt das denn? Ist das an einem bestimmten Ort?^^

Ich würde gerne weiterlesen, also schön weiter so :D

GLG
apostrophee


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