fragwürdig.
Es war nicht das erste Mal, dass Lily Evans alleine war.
Es war nicht das erste Mal, dass Lily Evans Hausaufgaben machte, während die Anderen ausgingen und sich amüsierten.
Es war nicht das erste Mal, dass Lily Evans sich einsam fühlte.
Doch es war das erste Mal, dass Lily Evans an Weihnachten weinte.
Zusammengerollt auf dem großen Sessel saß sie und starrte in das tanzende Feuer, dessen Funken wirbelnde Muster in die Luft zeichneten, die sofort wieder verglühten. Tanzend.
Tanzend wie ihre Freunde unten in der großen Halle.
Tanzend, wie Alle in der großen Halle.
Ein Weihnachtsball fand dieses Jahr, und somit auch dem letzten Jahr für Lily Evans an Hogwarts, statt.
Eigentlich wollte sie nach Hause fahren, wie die üblichen Jahre an Weihnachten. Doch sobald ihre Eltern von dem Ball erfahren hatten, überredeten sie Lily dazu, doch in Hogwarts zu bleiben. Und was konnte Lily schon gegen diese Bitte ihrer Eltern ausrichten? Sie hätte sagen können: Nein Mom, ich möchte nach Hause. Da bin ich wenigstens nicht einsam. Nein Mom, ich bleibe nicht da. Niemand würde mit mir tanzen wollen. Nein Mom, es ist Verschwendung, wenn ich da bleibe.
Verschwendung ihrer Energie. Der Energie, die sie brauchte, um diese Nacht zu überstehen.
Wie hätten ihre Eltern auch wissen sollen, dass ihre Lily, ihre talentierte, eigentlich sehr fröhliche Lily, an jenem Abend allein auf einem viel zu großen Sessel sitzen würde, während ihre Tränen das einzige waren, was sie von der munteren Musik, die von der großen Halle her schallte, ablenkte.
Wie hätten sie wissen können, dass das Feuer, das so unpassend munter im Kamin loderte, das einzige Licht in diesem Moment für Lily war.
Licht, das trotzdem nicht wärmte.
Wie hätten sie wissen können, dass der einzige Junge, mit dem ihre Tochter überhaupt zu diesem Ball hätte gehen wollen, sie nicht gefragt hatte.
Der Junge, den Lily hasste, verabscheute, ignorierte, anschrie, zurecht wies, der sie auf die Palme brachte, der sie nervte, gegen den sie einen Groll hegte,
…..in den sie verliebt war.
Wie hätten sie wissen können, dass diese kleine, nicht gestellte Frage, wo Lily sich doch so sicher war, sie würde kommen, sie so sehr aus der Bahn warf?
Selbst Lily hätte dies nie gedacht.
Doch er hatte sie nicht gefragt. Das war eine Wahrheit. Eine Tatsache. Eine Einsicht.
Dieser Gedanke schwebte schon die ganze Zeit in ihrem Kopf und konnte nur durch einen weiteren, zwar schöneren, aber in diesem Moment auch nicht viel hilfreicheren Gedanken, verdrängt werden:
James Potter.
Wie sie ihn hasste.
Sie hasste es, wie er sie nur mit einem Grinsen aus dem Konzept brachte.
Sie hasste es, dass sie ihm nicht widersprechen konnte, wenn er sich so unglaublich attraktiv fand.
Sie hasste es, dass er sie durch diese nervige Bewegung seiner Hand durch seine schönen Haare vergessen ließ, wo sie gerade war.
Sie hasste es, dass sie so verrückt nach ihm war.
Mit einer schnellen Handbewegung verwischte sie sich eine feuchte Spur an ihrer Wange, die salzige Flüssigkeit, die ihr seltsam unangenehm an ihren Fingerspitzen vorkam, tröpfelte auf ihr Kleid. Es mag lächerlich erscheinen, dass die rationale und sachliche Lily Evans zu so etwas fähig war, doch sie war es tatsächlich. Sie hatte sich mit ihren Freundinnen zusammen angezogen und hübsch gemach. Niemand hatte bemerkt, dass unter ihrer Maske des Frohsinns und der Erheiterung auf den bevorstehenden Tanz, ihre Tränen mehr und mehr gegen ihre Lieder zu drücken schienen.
Die letzte Haarsträhne zu Recht gelegt, die Spitzen des Kleids zu Recht gezupft. Nur um später durch eine gut gewählte Ausrede doch einen Grund zu finden, nicht nach unten zu gehen. Lächerlich. Albern. Traurig.
So saß sie nun da. Ein Häufchen Elend mit einem hübschen Kleid am zitternden Körper, einem Jungen in Gedanken, der ihr Herz zum Rasen brachte und der Tatsache, er würde sie vergessen, in ihrer Lunge, die sie fast zum Ersticken zu bringen schien.
Doch selbst in solch ausweglosen Situationen verließ die Neugierde Lily Evans nicht und sie fragte sich, eigentlich schon das ganze Jahr, schon seit die Neuigkeit eines Weihnachtsballes die Runden machte, schon seit sie sich während ihrer gemeinsamen Stunden als Schülersprecher immer wieder dabei ertappte, beinahe in seinen haselnussbraunen Augen zu versinken, schon seit sie über seine liebevolle Art staunen, über seine Witze lachen und unter seinem Lächeln dahin schmelzen konnte, schon seit diesen vergangenen Momenten fragte sie sich, warum er sie nicht fragte.
Und nun fragte sie sich auch, warum sie nicht schon immer hatte Ja sagen wollen. Ja zu seinen Dates in Hogsmeade, Ja zu seinen Einladungen zu einer nächtlichen Tour zum Astronomieturm, Ja zu seinen Feiern nach gewonnen Quidditschspielen.
Ja zu Allem.
Ja zu ihm.
Egal wie, nur Ja.
Doch er hatte sie nicht gefragt.
Keine Frage, die man hätte mit Ja beantworten können.
Sie sagte Ja, er dachte Nein.
Welch eine Ironie.
So sehr sie auch darüber nachdachte, so sehr Lilys Kopf auch arbeitete, sie kam zu keinem Entschluss. Ob nun wegen der trübenden Gedanken in ihrem Kopf, die nur um ihn kreisten, oder weil sie das Gefühl hatte, ihre restlichen Gedanken durch die immer noch fließenden Tränen verloren zu haben, damit nur noch für den schönsten und schmerzlichsten Gedanken Platz sein würde, dem sie solange den Zutritt verwehrt hatte – sie wusste es nicht.
Manchmal hatte sie geglaubt, er würde sie jeden Moment um das wichtigste Date bitten.
Seine braunen Augen, die wunderschönsten braunen Augen, durchbohrten sie, sogen sie auf, ließen ihr Herz beben, ihre Haut vibrieren, ihren Atem stocken.
Das Braun seiner Augen schien sich unter ihrem Blick zu verflüssigen, zu schmelzen. Sein Blick wurde ganz weich und seine Lippen nahmen dieses unwiderstehliche Lächeln an. Doch im nächsten Moment war sein Gesicht eine Maske. Starr, undurchdringlich.
Er wandte sich ab.
Sie wusste nicht was es bedeuten sollte. Jetzt war es egal.
Einsam, alleine, traurig war sie. Jetzt war es egal.
Mit einem letzten Schluchzen erhob sie sich von dem großen, verschlingenden Sessel und unter dem Knirschen des Stoffes und dem Knistern des Feuers bemerkte sie nicht, dass das Portraitloch sich öffnete.
Ein kurzer Blick genügte und sie wusste, wer da so plötzlich, unerwartet, abgehetzt und doch sanft vor ihr stand.
Sofort versank sie in seinem Blick, der den ihren einfach nur erwiderte.
„Du bist hier.“ Sagte er und seine Stimme klang nach Erleichterung, vergessener Panik, purem Glück.
„Ja.“
„Wieso?“
„Du hast mich nicht gefragt.“
Das Lächeln, welches sie so mochte, legte sich auf seine Lippen. Seine braunen Augen wurden wieder zu diesem flüssigen Samt, der sie lockte, der sie vergessen ließ, wie man atmete, der den Rhythmus ihres Herzens aus dem Gleichgewicht brachte, der sie aus ihrer gewohnten Welt katapultierte. Nein, der sie in seine Welt katapultierte.
Es war nicht das erste Mal, dass in Lily Evans’ Kopf solche Gedanken schwirrten.
Es war nicht das erste Mal, dass Lily Evans solche Gefühle hegte,- für ihn.
Es war nicht das erste Mal, dass Lily Evans die Schmetterlinge in ihrem Bauch kaum zurück halten konnte.
Doch es war das erste Mal, dass sie sich sicher war.
Sie hatte ihr Licht gefunden.