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The Mirror Of The Ancients

Miragia-Trilogie 2
von

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Witness Of Truth

Aeris wollte ihren Augen nicht trauen. Was sich da langsam vor ihren Augen aus den grünlichen Nebelschwaden schälte, das war ... ein richtiger Spiegel, wie man ihn in alten Häusern an Wänden vorfand. Er schwebte einfach mitten in der Luft.

Stolz zeigte Ifalna auf den ehrfurchteinflößend aussehenden Gegenstand. „Das ist er, der Südpol unserer kleinen Welt. Ob es der Spiegel ist, den ihr sucht, das weiß ich nicht.“

Aeris betrachtete den Spiegel, dann schüttelte sie den Kopf. „Hm, nein ... was wir suchen, darf nicht wirklich ein richtiger Spiegel sein.“ Sie erinnerte sich an Ronvens Bericht, in welchem stand, dass das Wort Spiegel eigentlich unpassend sei.

„Das ist ja kein gewöhnlicher! Schau mal hier.“ Ifalna deutete auf den Rahmen des Spiegels, wo ein kleiner Splitter fehlte. „Den hat ...“

„Cloud“, sagte Aeris sofort. „Ich weiß. Sephiroth hat ihm den mitgegeben.“

„Das stimmt.“

„Und das hat einen Grund gehabt“, fügte Sephiroth hinzu. „Schau mal hin.“

Er streckte seine Hand nach der kleinen Lücke aus, wo das Stück fehlte. Sogleich begann das Bild des Spiegels, das zuvor nur verwaschenes Grau gezeigt hatte, feinere Konturen und Farbkontraste auszubilden. Ein kleines Haus war zu sehen, auf der rechten Seite davon das Heck der Highwind. Eben sah man Cloud und Tifa gemeinsam in Richtung Haustür gehen.

„Das ist ... überwältigend!“, sagte Aeris hingerissen. „Du konntest ihn also beobachten, wann immer du wolltest, weil er den Splitter mit sich getragen hat?“

„Ja, genau. Und ich konnte ihm sofort Gesellschaft leisten ... denn der Spiegel ist unsere Abreisezentrale, wenn man es so nennen kann. Siehst du?“ Mit der schwarzbehandschuhten Fingerspitze tippte Sephiroth sacht gegen das Spiegelglas, und die Oberfläche kräuselte sich wie die einer Pfütze. „Man nimmt Anlauf und stürzt sich kopfüber hinein – schon ist man direkt am Ort des Geschehens. Gleichzeitig wird dabei die Metamorphose zur Gestalt einer Taube ausgeführt. Fühlt sich merkwürdig an, aber man gewöhnt sich irgendwie daran.“

Aeris zog die Stirn kraus. „Und was würde passieren ... wenn ich mich durch den Spiegel stürzen würde?“

Sephiroth schüttelte wie zur Warnung den Kopf. „Ich kann’s dir nicht sagen, aber du solltest es nicht ausprobieren. Ich weiß nicht, was dann passiert. Ob du anschließend noch zurückkehren kannst ... oder ob dein Körper in der Außenwelt stirbt und für immer im SPECULUM eingesperrt bleibt ... ich weiß es nicht.“

„Hm.“ Nachdenklich betrachtete sie den Spiegel, ging einmal um ihn herum. „Also, Cloud konnte einen Splitter davon mit in die Außenwelt nehmen ...“

„Ja“, antwortete Sephiroth. „Ich könnte natürlich auch dir einen geben ... aber ich glaube eigentlich nicht, dass du ihn brauchst.“

„Glaube ich auch nicht. Aber wenn ich etwas mit nach draußen nehmen kann – lässt sich dann auch etwas aus der Außenwelt mit nach Miragia nehmen?“

„Tja, ich weiß nicht. Cloud hat es nicht ausprobiert.“

„Ich schon.“ Sie griff in eine der weiten Taschen ihres Umstandskleides. „Ich habe vorsorglich daran gedacht, etwas bei mir zu tragen.“ Aus dem Inneren der Stoffhöhle förderte sie eine kleine Panflöte aus Bambusrohr zutage. „Sieh an, das hat funktioniert.“

Ifalna hinter ihr stieß einen Laut des Entzückens aus. „Du hast sie noch, Aeris?“

„Na klar habe ich sie noch.“ Ihre Tochter lächelte. „Meine Mutter hat sie mir geschenkt, als ich noch ganz klein war“, erklärte sie an Sephiroth gewandt.

„Ich verstehe.“

Mit einem Mal zog Ifalna die Stirn kraus, als sei ihr der Gedanke gekommen, fehl am Platz zu sein. „Wisst ihr was? Ich lasse euch noch eine Weile unter vier Augen reden. Wenn du zurück nach draußen willst, Aeris, dann komm einfach zur Wiese zurück, okay?“

„Oh – ja.“

„Na schön, dann bis nachher.“ Mit einem sanften Lächeln entfernte sich Ifalna aus dem grünlichen Materiestrom, bis sie durch das weit entfernt scheinende Tor verschwunden war.

Sobald sie nicht mehr zu sehen war, streckte Aeris Sephiroth die Panflöte entgegen. „Hier.“

Er schaute fragend drein. „Ich ...?“

„Du bist immer noch musikalischer als ich. Vielleicht kannst du das Lied, das du in der Gold Saucer gesungen hast, ja auch auf einer Panflöte spielen.“

„Ach, das ... dieses alte Lied ... hm. Ich hatte das noch nie vorher gehört, keine Ahnung, woher ich es überhaupt kenne.“

„Es ist ein Lied des Alten Volkes. Und jetzt nimm, bevor mein Arm erlahmt.“

„Schon gut.“ Sephiroth nahm ihr die Panflöte aus der Hand, setzte sie an und entlockte ihr einen Laut, der mehr nach Luft als nach Ton klang. „Oh ... nun ja.“

„Du wirst schon eine Weile üben müssen.“

„Fürchte ich auch. Ifalna wird aber bestimmt nicht erfreut sein.“

„Sie muss es ja nicht erfahren.“

„Äh, na gut ... danke ... oh, und bevor ich zu fragen vergesse ...“ Sein Blick glitt an ihr herab und blieb an ihrem Bauch haften. „Wie ... läuft es denn bisher ...?“

„Gut, komplikationslos ... danke der Nachfrage.“

Sephiroth holte tief Luft. „Aeris ... du weißt aber sicherlich, dass ... dass Cloud ...“

„Hm, was?“ Neugierig wartete sie darauf, dass er den angefangenen Satz beendete.

„... dass Cloud ...“

„Dass er was?“

„... zeugungsunfähig ist.“

Was?!“ Sie schnappte nach Luft.

„Er ist ein Klon, ein JENOVA-Klon.“

„Ja – aber – ...“

„Klone sind unfruchtbar. Ich habe die Berichte damals in der Bibliothek alle gelesen ... Cloud ist genauso ein Klon wie Zack und ich, das weißt du ja ...“

„Ja ... aber ... was bedeutet denn das jetzt?“, fragte Aeris verwirrt, sich gegen eine offensichtliche Erkenntnis zur Wehr setzend.

„Das bedeutet im Klartext“, sagte Sephiroth schonungslos, „dass er keine lebensfähigen Spermazellen produziert. Er ist infertil. Verstehst du?“

Aeris öffnete den Mund und schloss ihn wieder, dann wanderte ihr Blick an ihrem Bauch herunter. „Aber – das kann nicht ...“

„Irgendwann hättest du das sowieso herausgefunden, oder ein Arzt hätte es dir gesagt.“

Sie wollte es nicht glauben. Das war nicht möglich. Mühsam zwang sie die aufwallenden Emotionen, die Hilflosigkeit zurück, bemühte sich, alle Festigkeit in ihre Stimme zurückzubringen. „Also ... ist das Kind nicht von Cloud. Na gut. Schön. Wenn du das sagst. Aber da stellt sich mir spontan die Frage: Von wem ist es dann? Ich habe schließlich nicht –“

„Ich weiß“, sagte er rasch. „Und ich kann dir darauf eine Antwort geben. Hör zu: Die Berichte in der Bibliothek haben auch darüber Auskunft geliefert – du warst für lange Zeit Hojos Versuchsobjekt.“

Bei der Erwähnung des Namens erstarrte Aeris’ Gesicht wie zu einer leblosen Maske. „Ah, ich verstehe ... er hat mir irgendwas eingepflanzt.“

„Ja. Eine ruhende Zygote, die sich dann in die Gebärmutter einnisten sollte, wenn du dich innerhalb deines dreißigsten Lebensjahres befindest.“

„Und du wusstest das? Die ganze Zeit? Warum hast du nie ... warum hast du, als wir später ... als du von JENOVA befreit warst ... warum hast du nie ein Wort gesagt? Warum nicht?“

Er seufzte. „Das war ein Fehler von mir. Ich dachte, dadurch, dass du eine Zeitlang tot warst, wäre der Prozess gestoppt worden. Ich hatte doch damals keine Ahnung, dass du hier in Miragia im Wald der Toten weiterexistiert hattest! Verdammt, ich wollte es euch ja sagen, euch beiden! Aber irgendwie ...“ Er hob zaghaft den Kopf.

Sie schwieg.

„Verzeihst du mir?“

Anstatt eine Antwort zu geben, fragte sie: „Weißt du, was das für ein Ding wird, das ich da austrage? Wird es ein Kind? Ein Monster? Womit ist die Eizelle befruchtet worden?“

„Ich ... weiß es nicht.“

Aeris ließ die Schultern hängen. „Dann müssen wir also einfach abwarten.“

„Vielleicht, ja ... aber habt ihr denn keine Ultraschallbilder oder Ähnliches gesehen ...?“

„Doch, aber auf denen lässt sich jetzt noch nicht viel erkennen. Man könnte zwar schon feststellen, welchen Geschlechts das Kind sein wird und ob es Behinderungen haben wird, aber wir haben darauf verzichtet.“

„Hm. Na gut.“ Auf Distanz bleibend, warf Sephiroth einen vorsichtigen Blick zu ihr hinüber.

„Ja, schon gut“, seufzte sie. „Ich verzeihe dir.“
 

Irgendwie machte Helen Clancy einen merkwürdigen Eindruck. Sicher, sie hatte Freude gezeigt, ihre Freundin Tifa und deren Begleiter wiederzutreffen – nicht zuletzt, weil Cid und Barret ihren Zaun wieder aufgestellt hatten –, aber sie wirkte irgendwie zerstreut und nervös, nicht mehr so ruhig und selbstsicher wie bei ihrer ersten Begegnung.

Cloud und Yuffie saßen am Wohnzimmertisch und tranken Pfefferminztee, mitten in der Nacht, während Helen, scheinbar überhaupt nicht aus dem Schlaf gerissen oder Ähnliches, um sie herumwuselte und Zucker und Zitronensaft brachte. Reeve half Barret und Cid dabei, das SPECULUM samt Aeris in eine Ecke des Frachtraumes der Highwind zu rücken, damit noch etwas Anderes dort Platz finden konnte, das Cloud unbedingt noch aus dem nahen Kalm holen und mitnehmen wollte: das Daytona-Motorrad. Wie er so plötzlich auf diese Idee gekommen war, blieb fraglich.

Tifa ihrerseits nutzte die Zeit, um Vincents Umhang angemessen und effizient zu besserer Benutzbarkeit umzuändern. Cloud sah ihr über den Rand seiner Teetasse hinweg dabei zu.

„Hehe, so, ist schon fertig. Komm her, Cloud, stell dich hin!“

Cloud gab einen leisen Seufzer von sich, dann erhob er sich wie in Zeitlupe von seinem Stuhl.

Tifa zog ihm den ausgeweiteten und umgenähten Kragen über den Kopf, was problemlos ging. Der Rest des Umhangs hing hinter Cloud wie ein Schweif herab.

Wider Erwarten schien sich Cloud gar nicht so besonders unwohl zu fühlen. „Hey, cool – ich kann mein Gesicht bis zur Nase dahinter verstecken“, stellte er fest und senkte den Kopf, um es zu demonstrieren.

„Du siehst aus wie ein Gangster“, kommentierte Yuffie fröhlich. „Aber irgendwie steht dir das Ding richtig gut. Verdammt beeindruckend sogar. Du solltest das anlassen. Deine Schüler werden sich in die hintersten Bankreihen verkrümeln, wenn du in den Klassenraum kommst.“

Cloud rang sich ein Lächeln ab, das erst zu sehen war, als er weit genug den Kopf hob. „Wenn ihr meint, na gut.“

„Führ das wenigstens mal vor! Jetzt will ich sehen, was der Fetzen kann, also zeig!“

„Das hast du doch bei Vincent schon oft genug gesehen.“

„Trotzdem!“

Cloud zuckte die Schultern und machte dann einen kleinen Satz, der ihn fast bis unter die Decke beförderte, wo er wie schwerelos in der Luft stehen blieb. „Hoppla, das ist auch ganz schön gewöhnungsbedürftig.“

Tifa verschränkte die Arme. „Cloud, komm da wieder runter. In Häusern anderer Leute wird nicht geflogen!“

„Herrje, du versuchst schon wieder, mich zu dominieren.“

„Du gehörst zu den Leuten, die es manchmal nötig haben! Und jetzt lande gefälligst!“

Helen warf einige neugierige Blicke durch den Spalt der Küchentür, ehe sie sich wieder ihren selbstkreierten Blätterteig-Kirschtaschen zuwandte.
 

Nie im Leben hätte Helen damit gerechnet, dass Tifa und ihre merkwürdigen Reisebegleiter so schnell zu ihr zurückkommen würden. Sie versuchte, sich ihre Aufregung nicht anmerken zu lassen, während sie dem Blätterteig mit den Fingern eine Form zu verleihen versuchte. Dann, mit einem Mal, klingelte hinter ihrem Rücken auch noch das Telefon.

Sie biss sich so fest auf die Lippe, dass ein Blutstropfen ihr Kinn herunterrann.

Ihr Hand verharrte direkt über dem Telefonhörer, ehe sie doch noch zupackte.

„Clancy ...?“

„Helen, ich bin’s noch mal. Warum hast du letztens so plötzlich aufgelegt? Du verschweigst mir doch irgendwas.“

Sie schmeckte das Blut umso deutlicher, als Henry Fawkes’ Stimme an ihrem Ohr einen misstrauischen Unterton annahm. Sie musste sich jetzt entscheiden, wen sie auf ihrer Seite wissen wollte ...

„Nicht jetzt. Später. Ich erzähl’s dir später ...“

„Meine Güte, du klingst furchtbar aufgewühlt. Was ist denn passiert?“

„Ich kann’s dir nicht sagen!“, zischte sie, während sie es vermied, seinen Namen auszusprechen, und fragte sich, ob sie es ihm je würde sagen können. „Verstehst du?“

Er schwieg einen Augenblick.

Aus dem Wohnzimmer drang fröhliches Gelächter heran, und Yuffies Stimme quiekte: „Cool, wenn du fleißig übst, schaffst du vielleicht auch noch ’nen doppelten!“, woraufhin Tifa ein tadelndes „Ihr seid wirklich wie Kleinkinder!“ vernehmen ließ.

„Was sind denn das für komische Stimmen im Hintergrund?“, fragte Henry neugierig. „Hast du Besuch?“

„Ich ... ja ... mein Bruder und seine Familie sind zu Besuch ...“

„Bruder? Seit wann hast du einen Bruder? Helen! Nicht auf–“

Fast schon hatte sie den Hörer wieder in seine Halterung gedrückt, hielt dann jedoch Inne. „Ich werde jetzt auflegen ...“

Im Wohnzimmer erhob sich wieder Tifas Stimme: „Cloud, jetzt hör auf der Stelle mit diesen Kindereien auf!!“

Helen seufzte.

„Cloud?“, echote Henry wie ein Papagei. „Cloud?! Was, zum Teufel, die sind doch nicht alle –“

Helen hielt den Hörer hoch in die Luft und rief in Richtung Wohnzimmer: „Leute, kommt mal bitte aller her, jetzt gleich! Wir müssen was klären. Auf der Stelle!“
 

„Kann uns dieser Spiegel auch noch andere Dinge zeigen? Also nicht nur jemanden, der einen Splitter hat, sondern auch ...?“

„Der Spiegel ist immerhin ein Pol des Planeten. Es ist wahrscheinlich, dass er alles sehen kann“, antwortete Sephiroth, „uns aber nicht alles zeigt. Was weiß ich. Warum fragst du?“

„Vielleicht kann er mir vorhersagen, was das in meinem Bauch für ein Wesen sein wird.“ Aeris beugte sich zögernd über den Spiegel. „Wie ... wie gibt man ihm einen Befehl?“

„Einen Befehl?“, wiederholte Sephiroth mit sichtlicher Überraschung. „Keine Ahnung. Ihm was zu befehlen habe ich noch nie versucht. Werde ich auch nicht.“

„So, ich muss ihn um Auskunft bitten, oder was?“

„Glaubst du? Ist er ein lebendiges Wesen?“

Du bist derjenige, der darüber Bescheid wissen sollte!“, gab ihm Aeris ärgerlich zur Antwort.

„Hm, na schön. Dann mach ihm wenigstens klar, was du von ihm willst.“

„Wie denn? Meinen Bauch an die Spiegeloberfläche halten, oder was?“

„Ja, zum Beispiel.“

Sie verdrehte die Augen, aber schlussendlich schien ihr die Idee doch gar nicht ganz so abwegig. Je näher sie dem Spiegel kam, desto mehr war auf seiner Oberfläche zu erkennen ...

„Siehst du was? Mir ist mein Bauch im Weg.“

Sephiroth versuchte, seitlich an ihrem Körper vorbeizuschielen. „Also, was man da sieht, das ... nun.“

„Was?“

„Geh noch ein Stück dichter ran, bitte.“

Aeris tat wie ihr geheißen und drehte sich ratlos nach Sephiroth um. „Was denn nun?“

„Ich sehe zwar keine Zukunftsvision von deinem Kind, aber dafür kann ich direkt in dich hineinsehen.“

„Oooh ... und? Ich meine, siehst du zufällig auch das Kind?“

„Ich denke schon ... leider ist von ihm noch nicht viel zu erkennen. Es sieht eben aus wie ein fünf Monate alter Embryo ....“

„Ein menschlicher?“

„Ja. Ziemlich eindeutig.“

Aeris atmete auf und trat von dem Spiegel zurück. „Gut, okay. Wenn es zumindest aussieht wie ein Mensch, dann werde ich es lieben wie mein eigenes Fleisch und Blut ...“

„Es ist dein eigenes Fleisch und Blut. Hojo hat die Zygote, die er dir eingepflanzt hat, ehemals auch aus deinem Körper entnommen. Ich weiß nur nicht, womit er sie befruchtet hat.“

„Verstehe. Na gut ... danke, dass du es mir überhaupt gesagt hast.“

Er nickte still. Wahrscheinlich wusste er selbst nur zu genau, dass er zumindest Cloud davon hätte erzählen müssen.

Aeris überließ ihn seinen reumütigen Gedankengängen und beäugte ein weiteres Mal den Spiegel. „Ein Problem hätten wir da immer noch“, sagte sie direkt an den unwirklich anmutenden Gegenstand gewandt, „nämlich Lukretia. Wir müssen wissen, womit wir sie uns vom Hals halten, also womit wir sie Unschuldigen vom Hals halten.“ Als sie das sagte, weilten ihre Gedanken hintergründig bei Vincent und all den blutüberströmten Wächtern im Kellergeheimschacht. Sie tippte gegen die Oberfläche des Spiegels; diese fühlte sich warm und trocken an, aber eher wie Sand denn wie Glas. Das Bild, das er zeigte, blieb dunkel, nicht einmal eine kleine Lichtreflexion war zu erkennen. „Ach, verdammt, wisst ihr denn nichts darüber? Du, der Spiegel, der alles sieht, was sich in der Außenwelt abspielt? Weißt du denn nichts, aber auch gar nichts über Lukretia, die das SPECULUM gebaut hat? Lukretia, jetzt erinnere dich mal!“

Mit einem Mal färbte sich die Spiegeloberfläche. Ein gestochen scharfes Bild zeigte sich, als stünde man selbst direkt an dem Ort, den es projizierte. Zu sehen war ein kleines, weiß gekacheltes Zimmer mit einem merkwürdig aussehenden Tisch und einem Sideboard, auf welchem Dutzende argwohnerweckender Geräte und Apparaturen scheinbar willkürlich aufgereiht standen. Eine junge bildschöne Frau, die Aeris noch nie in ihrem Leben gesehen hatte – von der sie aber vermutete, dass es sich um Lukretia handelte –, stand inmitten dieses Szenarios, ihr Blick zuckte unruhig durch den ganzen Raum, als befände sie sich auf der Flucht und hoffte auf ein sicheres Versteck. Auffallend an ihr war der dicke Bauch, der sie als hochschwanger kennzeichnete. Von der anderen Seite des Raumes erklang eine drängende, flüsternde Stimme: „Psssst, komm hier rüber! Hier raus!“ Lukretia drehte sich um und folgte der Stimme, und das Spiegelbild ließ zu keiner Zeit von ihr ab. Hinter einigen Regalen zwängte sich die Schwangere einer schmalen, kaum erkennbaren Tür entgegen, und eine andere Frau, der die helfende Stimme zu gehören schien, half ihr dabei.

Aeris wollte ihren Augen nicht trauen. Schon die Stimme war ihr bekannt vorgekommen, und nun, da sie diese zweite Frau erblickte, bestand kein Zweifel mehr: Lukretias Begleiterin, das war Ifalna. Meine Mutter kannte Lukretia? Warum kannte ich sie nicht? Schließlich kam Aeris zu dem Schluss, dass es sie selbst zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gegeben haben konnte. Lukretia war schwanger mit Sephiroth. Da hat an mich doch noch gar keiner gedacht.

Seite an Seite flohen Lukretia und Ifalna einen dunklen betonierten Tunnel hinunter, scheinbar eine Art Geheimgang. Der Ort des Geschehens musste Hojos Laboratorium im damaligen Shin-Ra-HQ sein. „Komm, wir sind gleich durch“, sagte Ifalna mit aufmunternder Stimme und legte beide Hände um Lukretias Handgelenk. „Er kann dich doch nicht ewig verfolgen.“ Lukretia schniefte hysterisch. „Er wird mich ewig verfolgen“, schluchzte sie. Dann hielt sie inne und stieß einen Schrei aus. „Was? Was ist los?“ Ifalna schlang beide Arme um die Schultern der Freundin. „Beruhige dich doch! Was hast du?“ Lukretia schrie und jammerte nur noch etwas lauter, lehnte den Kopf gegen Ifalna und starrte auf ihren Bauch. „Das – das macht nur die Aufregung“, brachte sie schließlich hervor. „Aber jetzt ...“ Ifalna furchte die Stirn. „Will er raus?“ „Jiiii-jiaaaah ...“ „Jetzt sofort? Oh, verflucht! Junge, kannst du nicht wenigstens noch vierundzwanzig Stunden da drin bleiben?“, zischte die Cetra und klopfte mit dem Zeigefinger gegen die Wölbung von Lukretias Bauch. „Das wird doch unmöglich, eine Geburt auf der Flucht vor dem Erzeuger! Was machen wir denn jetzt?“

Aeris sah fasziniert hin, griff dann mit einer Hand geistesabwesend nach Sephiroths Ärmel. „He, schau dir das an! Der Spiegel zeigt uns, wie du geboren wirst! Lukretia wollte dich nicht Hojo überlassen, wie es scheint. Und meine Mutter war auch noch an der Sache beteiligt ...“

Sephiroth blieb neben ihr stehen und beugte sich zu dem Spiegel hinunter. „So ... war das also? Warum soll das jetzt für den Kampf gegen Lukretias Restexistenz irgendwie von Interesse sein?“

„Pscht, das werden wir ja noch sehen. Lass uns erst mal sehen, wie’s weitergeht.“

„Ehrlich gesagt will ich das nicht sehen. Schlimm genug, was meine Mutter für mein Leben auf sich genommen hat. So genau muss ich das nicht wissen ...“

Ich will’s aber sehen.“ Endlich schaffte es Aeris, ihre Aufmerksamkeit wieder dem Geschehen innerhalb des Spiegelbilds zuzuwenden.

Lukretia wand sich unter Wehenschmerz auf dem kalten grauen Boden und wimmerte vor sich hin. Ifalna stand über sie gebeugt und wischte ihr die schweißfeuchten Strähnen aus dem Gesicht. „Nun sei mal ganz ruhig, Liebes. Weißt du, wenn er jetzt auf der Stelle raus will, kannst du ihn sowieso nicht aufhalten. Lass ihn raus, das erspart uns Hektik und dir große Schmerzen.“ „Spinnst du denn?!“, fuhr Lukretia auf. „Ich kann ihn nicht mitten in so einem schmutzigen Tunnel zur Welt bringen ...!“ „Dir wird nichts Anderes übrig bleiben! Aber mach dir keine Sorgen, weil ich dir helfen werde. Ich kann das nämlich. Hörst du, wenn du darauf bestehst, ihn an einem sterilen Ort zu gebären, dann wird als erstes Hojo auftauchen und ihn dir wegnehmen. Und Lukretia, du kennst das Theater. Du hast schon einmal ein Kind auf die Welt gebracht.“ „Er wollte Ronven nicht haben“, jammerte die Schwangere. „Er will nur ihn. Aber er darf ihn nicht kriegen ...“ „Ganz meine Meinung, deswegen solltest du deinem Kleinen jetzt schnell das Leben schenken, damit wir weiterkönnen. Alles klar?“ Ein erneuter Schrei Lukretias ging in einer schrillen Folge von Schluchzern unter, aber sie schien sich nunmehr mit der Tatsache abzufinden, dass sie hier und jetzt auf der Stelle ihr Kind bekommen musste. Und es war erstaunlich, wie rasch das vonstatten ging.

Die anschließenden Szenen erschütterten Aeris ziemlich. Selten hatte sie eine Frau solche Qualen erleiden gesehen, und sie hätte auch nicht für möglich gehalten, dass bei einer Geburt solche Unmengen von Blut fließen könnten. Als sie den Kopf zur Seite wandte, stellte sie überrascht fest, dass Sephiroth, ziemlich blass, sich mit einer Hand die Augen zuhielt.

„Kannst du kein Blut sehen?“, wollte sie wissen.

„Doch, kann ich. Du weißt, ich habe schon eine Menge Blut gesehen.“ Trotzdem ließ er seine Hand, wo sie war.

Nachdem sich innerhalb des Spiegelbildes schon fast der ganze sichtbare Betonboden rot gefärbt hatte und Lukretias Schmerzensschreie immer matter und erschöpfter wurden, rief Ifalna endlich freudig aus: „Jetzt nur noch ein bisschen, und wir haben’s hinter uns! Na komm!“ Sie förderte aus einer Manteltasche ein zusammengefaltetes Trockentuch zutage, das sie – so ließ sich vermuten – vorausahnend bei sich trug. Nun gebrauchte sie es dazu, das blutüberströmte Geschöpf in Empfang zu nehmen, es bestmöglich abzuwischen und es dann der wie leblos daliegenden Lukretia in die Arme zu legen. Diese war zu entkräftet, sich zu rühren. „Ifalna ... muss ein Neugeborenes ... nicht schreien?“ Die Cetra zuckte zusammen. „Oh Himmel, du hast Recht! Wir wissen ja gar nicht, ob er atmet!“ „Und du kannst so was ... man sieht’s.“ Mit einem letzten Rest Kraft setzte Lukretia sich auf und schlug das Tuch über dem Kopf des Kindes zurück. „Oh Gott ...“ „Es ist ein sehr hübscher Junge, und er sieht aus wie ein Mensch“, sagte Ifalna fest. „Also nimm ihn, er braucht dich. Er ist kein Monster.“ Als Betrachter sah man das Kind nun sehr deutlich. Es war ziemlich klein und bewegte sich nicht, hatte strahlend helle türkisfarbene Augen, die weit geöffnet in die schmutzige Welt ringsherum blickten, und ein wenig hellgrauen Flaum auf dem Kopf.

„Oh ja“, kommentierte Aeris vor dem Spiegel in Sephiroths Richtung. „Das bist du, unverwechselbar.“

Sephiroth, der immer noch versuchte, sich Augen und Ohren gleichzeitig zuzuhalten, murmelte etwas Unverständliches.

„Hey!“ Aeris packte ihn am Arm. „Jetzt schau nicht weg! Stell dich! Die schlimmen Szenen sind sowieso vorbei. Guck doch mal, wie niedlich du bist.“

Vorsichtig nahm Sephiroth die Hand zur Seite, und Aeris sah deutlich eine Träne auf seiner Wange, ehe er sie rasch fortwischte. „Warum hasst meine Mutter mich nicht dafür, dass ich ihr das angetan habe?“

„O-ho, da haben wir also wieder die Selbtsmitleidsnummer. Also, du glaubst, du hattest damals eine Wahl, hm? Erinnerst du dich noch direkt daran, die Entscheidung getroffen zu haben, sofort geboren werden zu wollen? Oder besser, hast du aus reiner Bosheit dafür gesorgt, dass die Geburt so schmerzhaft wird?“

„Hör auf.“

„Was du schon wieder redest, ist der größte Käse seit Yuffies Gorgonzola-Selbstversuch. Ich weiß, dass du traumatisiert bist. Aber wenn du bei jeder Konfrontation damit so ein Theater machst – und man bedenke, du bist ein erwachsener Mann und der stärkste Krieger der Welt –, dann wird sich vermutlich auch nie was daran ändern.“

Sephiroth gab keine Antwort, starrte nur weiter auf das Spiegelbild, wo Lukretia das Neugeborene liebevoll, wenn auch immer noch weinend, an ihr Herz drückte.

Ifalna blickte neugierig zu Mutter und Sohn herüber. „Und?“ „Es scheint ihm gut zu gehen“, antwortete Lukretia mit schwacher Stimme. Das Kind schmiegte sich an sie. „Weißt du, ich nenne ihn Sephiroth.“ „Warum denn?“, erkundigte sich Ifalna neugierig. „Weil ich das von Anfang an vorhatte, deswegen.“ „Und Hojo soll sich da wohl ja nicht einmischen, wie?“ „Er wird ihn nicht bekommen. Sephiroth ist mein Kind, ganz allein meins, und wenn er es haben will, dann muss er mich töten. Verdammt ... ich wusste doch nicht, dass in ihm so ein Ungeheuer steckt ... dass er nur seine Experimente im Kopf hat ... er ich dachte, er liebt mich ... aber er liebt mich nur als sein Forschungssubjekt.“ Ifalna streichelte ihr über den Kopf. „Du wirst schon durchkommen, Liebes. Nun lass Sephiroth erst mal leben und die Welt schnuppern. Versuch jetzt, ihn zu stillen.“ „Jetzt sofort?“ „Je eher, desto besser.“ Lukretia wickelte das Tuch von ihrem Kind und legte es sich an die Brust. Eine Zeitlang sahen beide Frauen angespannt hin. „Ifalna, er tut es nicht!“, stellte Lukretia schließlich mit erneut wachsender Hysterie fest. „Er trinkt nicht! Was mach’ ich jetzt, was mach’ ich jetzt?!“ „Nur die Ruhe! Jede Hektik überträgt sich auf ihn! Wenn du denkst, etwas ist nicht in Ordnung, dann denkt er das auch. Entspann dich!“ Lukretia holte tief Atem, dann fuhr sie damit fort, Sephiroth sanft anzustupsen. „Komm – komm – komm“, sang sie leise. „Trink Milch, für Mami, ja?“ Glücklich schmiegte das Kind seine kleine Wange an die Brustwarze, aus der es trinken sollte. Ifalna machte ein ratloses Gesicht. „Ehrlich, das versteh’ ich nicht. Er scheint gar keinen Saugreflex zu haben, der alle Kleinkinder normalerweise sofort dazu bringt, alles in den Mund zu nehmen, was ihre Wange berührt, und daran zu nuckeln. Der Kleine ist nicht im Geringsten interessiert.“ „Aber wenn er nicht trinkt“, setzte Lukretia unheilvoll an, „dann ... stirbt er doch ... oder?“ Ifalna schüttelte entschieden den Kopf. „Quatsch, nicht sofort. Es ist zwar so, dass die erste Milch die wichtigste ist, aber wenn es jetzt noch nicht geht, dann versuch es einfach später noch mal. Und jetzt ..... oh – hörst du das ...?“ Alle Drei spitzten die Ohren, selbst der kleine Sephiroth erstarrte mitten in einer Bewegung. „Oh, bitte nicht ... er hat uns ... aufgespürt ...“ Lukretia umklammerte mit einem Arm Ifalna und mit dem anderen Sephiroth. „Ich höre seine Stimme ... wir müssen ...“ „Pscht! Komm mit, komm, wir hängen ihn schon ab ...“ „Nicht diese Richtung!“, wisperte Lukretia. „Die andere ...“ Plötzlich erstrahlten von beiden Seiten des Tunnels helle Lichter. Geblendet blinzelten alle Drei in die entsprechenden Richtungen und versuchten sich abzuwenden. „Sie haben uns, mein Kleiner“, flüsterte die Mutter ihrem neugeborenen Sohn ins Ohr. „Aber keine Angst. Sei stark. Was auch immer passiert, ich liebe dich, Sephiroth, mein Kleiner.“

Aeris fuhr damit fort, den Spiegel nachdenklich zu betrachten, auch als er sich längst wieder unscheinbar dunkel gefärbt hatte. „Tja“, sagte sie. „Unglücklicherweise hast du nie einen Tropfen echte Muttermilch getrunken ... das erklärt so einiges ...“

Sephiroth hinter ihr ließ zunächst nichts von sich hören. Erst nach ein paar Minuten des Schweigens sagte er: „Also, was hat das mit deiner Frage zu tun, wie wir Lukretia von dem SPECULUM wegkriegen?“

„Gar nichts.“

„Hm.“

„Vielleicht müssen wir irgendetwas tun, um sie zu erlösen. Du weißt schon. Wie die Geister in Gruselfilmen, die keine Ruhe finden. Irgendetwas muss die Menschen ja auf diese Idee gebracht haben, warum dann nicht eine wahre Begebenheit?“

„Du meinst also, jemand muss diese Last von meiner Mutter nehmen, damit auch der letzte Rest ihres Seins sich in Lebensstrom verflüchtigt?“

„Sie hat selber gesagt, dass JENOVA sie nicht sterben lässt.“

„Vielleicht will sie aber auch gar nicht sterben.“

„Was soll sie stattdessen wollen?“, fragte ihn Aeris.

Sephiroth zuckte die Schultern. „Finden wir’s raus, was bleibt uns Anderes übrig?“

„Ich habe die Befürchtung“, gestand Aeris, „dass du der Einzige gewesen wärst, der etwas hätte tun können. Aber in Gestalt einer Taube wirst du nicht besonders viel ausrichten.“ Sie nahm Haltung an und wandte sich vom Spiegel ab. „Also gut, ich schätze, es wird trotzdem Zeit, zurückzukehren. Danke für diese ... Einblicke.“

„Danke für die Flöte.“

„Nichts zu danken. Lass dir von den Cetra ein paar Lieder beibringen, sie kennen sehr viele.“ Aeris biss sich fast auf die Unterlippe. Ihre größte Furcht nahm bei einem einzigen bestimmten Gedanken wieder klar vor ihr Gestalt an. „Und bitte“, fügte sie fast weinerlich hinzu, „bitte pass auf Cloud auf. Lass nicht zu, dass ihm wieder solche Dinge passieren. Er kommt nicht besonders gut damit zurecht. Ich will nicht, dass er schon wieder verletzt wird.“ Schutzsuchend ging sie zu ihm hin und lehnte sich gegen ihn.

Sephiroth legte geistesabwesend einen Arm um sie, aber sein Gesichtsausdruck verriet, dass er angestrengt über irgendetwas nachdachte. „Ist gut, mach dir keine Sorgen. Er ist stärker als du denkst.“

„Wahrscheinlich.“

Aeris ließ ihn ratlos zurück, fühlte sich aber beruhigter als bei ihrer Ankunft. Vor dem Tor auf dem Weg zur Wiese fand sie ihre Mutter vor.

„Aeris, Liebes, hast du jetzt genügend Antworten für den Anfang?“

„Ich weiß nicht. Vielleicht“, antwortete ihre Tochter vage. „Ich muss jetzt erst mal wieder zurück. Wie geht das?“

„Das ist das Einfachste an der ganzen Sache.“ Lächelnd ergriff Ifalna Aeris’ Hand. „So, und jetzt Augen zu.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Dumm-sentimentales Kapitel, I know. Komplett anzeigen

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