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Lebensschuld

von

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5. Kapitel

„Mann, das ist wie ein Traum.“

Lynn konnte bei Nathans Worten nur bestätigend nicken. Hatte die Villa von außen schon beeindruckend ausgesehen, so hatte ihr das Innere schlichtweg die Sprache verschlagen. Hohe Wände, Marmorböden, teuer aussehende Wandbehänge und Gemälde sowie einige typische mittelalterliche Rüstungen, die wohl in keinem exquisiten Gemäuer fehlen durften. Allein das Foyer war fast so groß wie Lynns gesamte Wohnung.

Während sie Morris durch die langen Flure folgte, fragte sie sich unweigerlich, wie groß wohl McCallans Putzkolonne war. Wahrscheinlich riesig, betrachtete man die zahllosen Staubfänger in diesem Haus.

Morris führte sie schließlich in einen Raum, der wohl ein Arbeitszimmer darstellen sollte. Während Lynn den gigantischen Schreibtisch, die langen Regalreihen, die hohe Fensterfront und die luxuriösen Polstermöbel bestaunte, dachte sie automatisch an ihr eigenes Arbeitszimmer. Sie hatte es bisher immer als auszureichend und ansprechend empfunden, nun aber kam es ihr plötzlich nicht viel besser vor als eine kleine Besenkammer.

„Warten Sie kurz“, meinte Morris. „Ich hole Mr. McCallan.“ Und bereits im nächsten Augenblick war er verschwunden.

Während Lynn immer noch beeindruckt die ganzen Eindrücke des Zimmers aufsaugte, ging Quinn gelassen auf einen gepolsterten Stuhl zu und ließ sich darauf nieder. Nicht im Geringsten ließ er erkennen, dass ihn der ganze Luxus ansprach. Stattdessen gähnte er bloß herzhaft, ehe er seine Sonnenbrille abnahm und sie in seine Jackentasche packte.

„Das imponiert dir wohl nicht allzu sehr, was?“, erkundigte sich Lynn, während sie sich auf einen Stuhl direkt neben ihm setzte. Nathan sprang daraufhin aus dem Beutel und kletterte auf ihre Schulter.

„Das sind doch alles bloß materielle Dinge, Prinzessin“, sagte Quinn abwertend. „Vielleicht ganz nett anzusehen, aber letztlich bedeutungslos. Man wird nur von ihnen geblendet und erkennt irgendwann nicht mehr, was wirklich zählt im Leben. Was wirklich wertvoll ist.“

Lynn hob eine Augenbraue. „Solch tiefgründigen Gedanken am frühen Mittag?“, fragte sie schief grinsend.

Tatsache war jedoch, dass Quinn sie in den letzten zwanzig Jahren immer wieder zum Nachdenken angeregt hatte. Dinge, die sie als selbstverständlich oder auch als besonders betrachtet hatte, hatte er aus einem völlig anderen Blickwinkel gesehen. Aus einem recht interessanten Blickwinkel, wie Lynn fand, sodass Quinn sie schon öfters dazu animiert hatte, ihre Ansichten zu überdenken.

Auch diesmal brachten sie seine Worte wieder zum Grübeln. Unrecht hatte er sicher nicht. Luxus hin oder her, irgendwann wurde es zu etwas Alltäglichem. Und würde man dann noch die großen und kleinen Gesten zu schätzen wissen?
 

„Wir bekommen Besuch“, meinte Quinn unvermittelt. Bereits im nächsten Moment tauchte Morris in Begleitung eines weiteren Mannes auf.

Lynn stand auf, als McCallan den Raum betrat, und gab Quinn mit einem warnenden Blick zu verstehen, es ihr nachzutun. Die Sitten und Manieren dieser Welt waren ihm nicht besonders geläufig, sodass man ihn immer wieder darauf aufmerksam machen musste.

Lynn musterte McCallan intensiv, während er sich ihnen näherte. Schon anhand der Fotos im Internet hatte sie sich einen ersten Eindruck machen können und musste nun feststellen, dass er in natura sogar noch deutlich mehr hermachte. Er war nicht sehr viel größer als sie und als Muskelpaket hätte man ihn auch nicht bezeichnen können, aber dennoch schien er etwas auszustrahlen, dass sofort auf den ersten Blick deutlich machte, dass er hier das Sagen hatte und nicht der neben dem Türrahmen stehengebliebene, mindestens einen Kopf größere Morris. McCallan hatte markante Gesichtszüge, feines dunkles Haar und einen stoppeligen Drei-Tage-Bart. Entweder hatte er in der letzten Zeit zu viel Stress gehabt, um sich zu rasieren, oder aber dieses leicht verwegene Aussehen war Absicht. Lynn tippte glatt auf Letzteres. McCallan schien einfach ein Mann zu sein, der nichts dem Zufall überließ.

Äußerlich wirkte er wie Anfang dreißig, aber das hatte bei einem Hexer nicht sehr viel Aussagekraft. Da die Lebenserwartung von Hexen bei knapp tausend Jahren lag – viele hatten es auch mithilfe der Magie geschafft, deutlich älter zu werden –, durfte man sie niemals nach dem Äußeren beurteilen. McCallan mochte tatsächlich erst dreißig Jahre alt sein, aber ebenso gut war es möglich, dass er bereits dreihundert oder sechshundert Jahre alt war. Wenn man aber bedachte, dass er erst vor wenigen Jahren das Geschäft seines Vaters übernommen hatte, erschien es wahrscheinlicher, dass er noch nicht allzu viele Jahrhunderte auf dem Buckel hatte.

Er trug eine dunkle Hose und ein weißes Hemd, das er am Kragen aufgeknöpft und dessen Ärmel er hochgekrempelt hatte. Ein zwangloser Kleidungsstil, der ihm wirklich gut stand, den er aber sicherlich nicht vor einem Kamerateam zur Schau gestellt hätte.
 

„Es freut mich sehr, Sie endlich kennen zu lernen“, meinte McCallan, an Lynn und Nathan gerichtet, und streckte ihr die Hand entgegen. Völlig unverhohlen begann er, sie von oben bis unten zu mustern. „Entschuldigen Sie, dass ich Sie habe warten lassen.“

„Kein Problem“, sagte Lynn lächelnd, während sie versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie unangenehm ihr seine Durchleuchtung war. Er war zwar leger angezogen, dennoch wirkte er trotzdem noch elegant und kultiviert. Lynn hatte sich hingegen bloß in eine enge Jeans gequetscht und sich einen schwarzen Pullover übergezogen, der geradezu nach Ausverkauf und Rabattaktion schrie. Gerne hätte sie sich etwas geschmackvoller angezogen, aber in der letzten Zeit war sie kaum zum Wäsche waschen gekommen. Etwas, was sie unbedingt nachholen musste, wie sie nun unbehaglich bemerkte.

Lynns unpassende Garderobe schien McCallan jedoch ebenso wenig zu stören wie Nathans Affenkörper. Offenbar hatte ihn Morris bereits über den verfluchten Bruder in Kenntnis gesetzt.

„Und ebenso freut es mich, Sie kennen zu lernen.“ McCallan wandte sich an Quinn und streckte ihm ebenfalls die Hand hin. Sein Lächeln wirkte ungezwungen und ehrlich, dennoch blieb der Dämon im ersten Augenblick skeptisch. Es geschah ausgesprochen selten, dass man ihn direkt ansprach und sogar begrüßte, sodass er dem Ganzen selbstredend zunächst misstrauisch gegenüberstand. Schließlich aber ergriff er McCallans Hand.

„Ganz meinerseits“, meinte Quinn zögernd. Aus den Augenwinkeln beobachtete er Morris, der sich bei dem Händedruck sichtlich angespannt hatte.

McCallan jedoch nahm dies gar nicht wahr. Als wäre es das Selbstverständlichste, einen Dämon im Haus zu haben, ging er zu seinem Schreibtisch und lehnte sich daran. Einen Moment zögerte Lynn noch, aber nach einem erwartungsvollen Blick seitens McCallans nahm sie wieder Platz. Quinn folgte ihrem Beispiel augenblicklich.
 

„Sie wundern sich sicher, wieso ich Sie hierher bestellt habe“, begann McCallan, nun mit einem deutlich ernsteren Gesichtsausdruck. „Glauben Sie mir, es ist normalerweise nicht meine Art, Kopfgeldjäger zu engagieren, aber diese besondere Situation erfordert besondere Maßnahmen.“ Er zögerte kurz und verbesserte sich rasch: „Ich meine natürlich, Reyshar.“

Im ersten Moment dachte Lynn, er hätte ihre leicht missbilligende Miene bemerkt, aber dann kam ihr das Gespräch mit Morris während der Autofahrt wieder in den Sinn. Möglicherweise hatte McCallan als mutmaßlicher Empath ihre negative Schwingung registriert.

Mit einem Mal wurde ihr wieder bewusst, wie wenig ihr die Gesellschaft von Empathen zusagte. Vor diesen Kerlen konnte man absolut nichts verbergen, nicht mal die kleinste Gefühlsschwankung. Und in ihrer Gegenwart zu lügen war sowieso völlige Zeitverschwendung.

Lynn ließ sich ihr Unbehagen jedoch nicht anmerken, legte ihren Kopf schief und betrachtete ihn eingehend. „Um was geht es denn nun genau, Mr. McCallan?“

„Um Fragen der Sicherheit“, erklärte er. „Es sind in letzter Zeit Dinge geschehen, die mich beunruhigen. Ich fühle mich … einfach nicht mehr sicher.“ Mit seiner Hand strich er unbewusst über das Holz seines Schreibtisches, während er fortfuhr: „Erst waren es nur seltsame Anrufe. Kleine Briefchen. Aber dann …“

„Anrufe? Briefe?“, hakte Lynn nach. Bereits im nächsten Augenblick hielt McCallan ihr ein Stück Papier hin, auf dem in großen Buchstaben „ICH SEHE DICH!“ geschrieben stand.

„Die Anrufe hatten in etwa denselben Inhalt“, berichtete McCallan. „‚Ich weiß, wo du bist’, ‚Ich sehe dich deutlich’ – so etwas in der Art. Ich hab mir erst gedacht, da würde sich jemand bloß einen dummen Scherz erlauben, und habe es dementsprechend nicht ernst genommen. Wenn man so angesehen und mächtig ist wie ich, gibt es immer wieder einige Neider. Deswegen habe ich auch viel Geld in mein Sicherheitssystem gesteckt. Sowohl die neusten, technologischen Errungenschaften als auch magische Zauber schützen mich und dieses Anwesen.“

Dies war Lynn bereits beim Passieren des Tores aufgefallen. Eine hohe Konzentration von Magie schien sich an diesem Ort zu sammeln. Eine Vorsichtsmaßnahme, die Lynn ebenfalls ergriffen hatte, wenn auch nicht in solchen Dimensionen wie McCallan. Dennoch hatte sie in und um ihre Wohnung einige Schutzzauber gesprochen, um sich vor ungebetenen Eindringlingen zu schützen.

„Mein Sicherheitspersonal besteht größtenteils aus ausgebildeten Hexen und Hexern“, erklärte McCallan. „Sogar einige Vampire, Kobolde und selbst ein Werwolf arbeiten für mich. Aber all dies hat nichts genützt.“
 

Lynn musterte ihn gespannt, während Quinn völlig unbeteiligt erschien und sich stattdessen im Zimmer umsah. Man hätte ihn für unhöflich halten können, aber Lynn war bewusst, dass er ihre Umgebung intensiv untersuchte. Offenbar schien er sich selbst von McCallans Sicherheitssystem überzeugen zu wollen.

„Auf einer öffentlichen Veranstaltung vor einer Woche wurden meine beiden Bodyguards ausgeschaltet.“ In McCallans Stimme schwang eher Ärger als Beunruhigung mit. „Ich weiß nicht, was passiert ist. Man fand sie ohnmächtig in einem Hinterraum. Dort hineingeworfen, als wären sie Abfall. Und ich kann Ihnen versichern, dass es zwei ausgezeichnete Sicherheitsleute gewesen waren, die ich immer als überaus kompetent eingeschätzt habe. Sie gehörten zu meinen besten Männern und irgendwer oder auch irgendwas scheint sie offenbar ohne große Probleme außer Gefecht gesetzt zu haben.“

„Und jetzt sollen wir herausfinden, wer oder was dahintersteckt?“, hakte Lynn nach. „Bei allem Respekt, Mr. McCallan, aber wenn Sie sogar Vampire und Werwölfe in Ihrem Team haben, verstehe ich nicht so recht, was Sie eigentlich von uns wollen. Ihre Spürnasen sind legendär.“

McCallan nickte. „Ganz recht. Aber ich will nicht weitere meiner Leute in Gefahr bringen. Irgendwann muss noch jemand mit dem Leben bezahlen.“ Er schwieg einen Moment, schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Schließlich warf er einen kurzen Seitenblick auf Quinn. „Die Männer, die angegriffen wurden … meine Experten haben festgestellt, dass Dämonenmagie im Spiel war.“
 

Lynn wechselte einen kurzen Blick mit Quinn. Nun war klar, wieso er darauf bestanden hatte, den Dämon mitzubringen. Wahrscheinlich war nur ein Dämon dazu imstande, herauszufinden, was tatsächlich geschehen war.

„Verstehen Sie nun?“, fragte McCallan. „Meine Leute sind mit dieser Sache überfordert. Hexer, Vampire, Werwölfe – alle für sich genommen stark und mächtig, aber vollkommen unerfahren, wenn es um den Umgang mit Dämonen geht. Die meisten von ihnen haben sogar noch nie in ihrem Leben einen Dämon gesehen und dementsprechend keine Ahnung, wie sie mit der Situation umzugehen haben.“

Lynn nickte verstehend. Wenn man seinen Feind nicht kannte, war man eindeutig im Nachteil.

Wobei sie sich eingestehen musste, dass sie sich selbst auch noch nie mit einem Dämon angelegt hatte. Quinn war im Grunde bisher der einzige gewesen, dem sie begegnet war.

„Nur weil Dämonenmagie im Spiel war, heißt das noch lange nicht, dass ein Dämon involviert ist“, wandte Quinn ein. „Sollte dies aber tatsächlich der Fall sein, muss mehr dahinterstecken. Ein Dämon interessiert sich nicht für Geld und Reichtum. Rache hingegen wäre ein starkes Motiv …“

Erwartungsvoll sah er den Hexer an und wartete auf eine entsprechende Reaktion. McCallan jedoch gab sich ruhig und ließ sich nicht anmerken, ob ihn Quinns leicht vorwurfsvoller Unterton kümmerte oder nicht.

„Ich selbst bin bis jetzt auch nie in größeren Kontakt zu Dämonen getreten“, antwortete er. „Ich habe vielleicht einige beim Hohen Gericht getroffen, aber bis auf einige kurze Gespräche hat sich nichts weiteres dabei ergeben. Ich kann mir nicht mal im Entferntesten vorstellen, wieso ein Dämon an mir Interesse haben könnte.“

Quinn wirkte weiterhin misstrauisch, aber Lynn gab ihm mit einem Blick zu verstehen, dass er seinen Argwohn nicht dermaßen offen zur Schau stellen sollte. Der Dämon bemühte sich daraufhin um eine einigermaßen neutrale Miene.
 

„Vielleicht geht es ja um etwas, das Sie unbewusst getan haben“, schaltete sich Nathan ein. Er sprang von Lynns Schulter und machte es sich auf der Lehne ihres Sessels gemütlich. „Vielleicht haben Sie einen Dämon beleidigt, ohne es zu wissen. Was für uns selbstverständlich ist, kann einen Dämon fürchterlich aufregen.“ Er warf Quinn einen gehässigen Blick zu. „Glauben Sie mir, ich spreche aus Erfahrung.“

Dies stimmte tatsächlich. Während ihres Zusammenlebens mit Quinn hatte Lynn festgestellt, dass Dämonen zum Teil ganz andere Vorstellungen von völlig alltäglichen Dingen hatten. Allein am Beispiel des Händeschüttelns war dies zu erkennen. Während es bei den Menschen und allen anderen ein Ausdruck von Verbundenheit darstellte, kam es bei Dämonen glatt einer tödlichen Beleidigung gleich. Wen man mochte und respektierte, wurde umarmt, schüttelte man jemanden dagegen bloß die Hand, machte man für jedermann deutlich, wie wenig Respekt und Hochachtung man seinem Gegenüber entgegenbrachte. Für die Menschen bedeutete ein einfacher Händedruck Freundlichkeit und Zusammengehörigkeit, für die Dämonen war es ein Ausdruck von Distanz und Ablehnung.

Im Grunde alles nur kleine Dinge, die jedoch schnell zu einem interkulturellem Missverständnis führen konnten. Quinn zumindest hatte lange gebraucht, um sich an die Sitten zu gewöhnen, und die meisten davon verstand er immer noch nicht. Sicherlich gab es aber auch genügend Dämonen, die sich dieser Unterschiede gar nicht bewusst waren und die es dementsprechend im höchsten Grade als kränkend empfanden, wenn ihnen ein Hexer die Hand reichte.
 

„Was auch immer der Grund dafür ist, dass ein Dämon hinter mir her ist – falls es überhaupt ein Dämon ist –, ich möchte, dass Sie die Sache aufklären.“ McCallan setzte sich halb auf seinen Schreibtisch und verschränkte die Arme vor seiner Brust. „Ich werde Sie auch großzügig entlohnen.“

Nathan horchte sofort gespannt auf, während sein Schwanz vor Aufregung zu zittern begann. Lynn konnte hierauf nur seufzend den Kopf schütteln. Ihr Bruder war wirklich viel zu geldgierig.

„50.000 Dollar im Voraus und nochmal 100.000, wenn der Auftrag erledigt ist“, bot McCallan an.

Nathan keuchte entsetzt auf und wäre vor Schreck fast von der Lehne geplumpst, konnte sich aber noch im letzten Augenblick festhalten. Wahrscheinlich war ihm für eine Millisekunde das Herz stehen geblieben. Lynn erging es nicht anders, sie konnte ebenfalls nur vor Schock die Augen aufreißen. Für einen Augenblick war sie felsenfest davon überzeugt, dass sie dies alles nur träumte.

Quinn hingegen blieb völlig unbekümmert. Ihn interessierte Geld nicht im Geringsten und für ihn waren 10 Dollar dasselbe wie 50.000 Dollar.

„Das ist …“ Lynn fand keine richtigen Worte. Die Sache mit Pseudo-Cleary hatte ihr gerade mal einen Bruchteil von dem eingebracht, was McCallan ihr gerade anbot, und diese Summe war schon ausgesprochen großzügig gewesen.

„Das Geld soll nur als Anreiz dienen“, sagte McCallan, während sich auf seinen Lippen ein siegessicheres Lächeln bildete. Ihm war absolut bewusst, dass er derjenige war, der die Fäden in der Hand hielt. „Ich habe mehr als genug davon, also wird es mir nicht fehlen. Sie können es von mir aus auch gerne als Spende für die Reyshar ansehen. Ihre Arbeit ist wirklich wichtig und mitentscheidend dafür, dass das System funktioniert.“ Er musterte sie intensiv. „Also, wie sieht es aus? Helfen Sie mir?“

Lynn wusste nicht, wie sie darauf zu reagieren hatte. Ihr war schon früh eingebläut worden, dass, wenn jemand dermaßen viel Geld bot, meistens irgendwo ein Haken versteckt war. Dass irgendwas nicht mit rechten Dingen zugehen konnte.

Aber andererseits war McCallan ein einflussreicher und unsagbar wohlhabender Mann, für den 150.000 Dollar wahrscheinlich bloß lächerliches Taschengeld war. Er würde das Geld sicherlich innerhalb weniger Tage wieder eingefahren haben und konnte es sich demnach leisten, großzügig zu sein. Sicherlich auch zum Teil, um Lynn von vornherein zu überzeugen, sich mit einem Dämon anzulegen. Es gab außer ihr bestimmt nicht allzu viele, die für diesen Job qualifiziert gewesen wären.

Hätte Lynn nun überhaupt noch ablehnen können? Mit dem Geld hätte sie glatt nach Erledigung des Auftrages ein Sabbatjahr einlegen können. Ein langer Urlaub, der längst überfällige Besuch bei ihren Eltern und ihrer Cousine in Wisconsin, die sie schon seit Jahren geradezu anflehte, endlich mal vorbeizukommen – all dies hätte sie dann ohne Zeitdruck und Stress erleidigen können.
 

„Aber selbstverständlich helfen wir Ihnen!“ Es war schließlich Nathan, der voller Begeisterung diese Entscheidung fällte. Für solch einen Haufen Geld war ihm jedes Risiko recht.

Und Lynn hatte im Grunde keine Lust, großartig mit ihm zu diskutieren. Zumal sie diese riesige Summe auch ziemlich reizte, wie sie sich selbst eingestehen musste. Somit nickte sie zustimmend.

McCallan schien mit sich zufrieden. Er war es wahrscheinlich gewöhnt, andere mit Geld und Einfluss zu kontrollieren, und für einen Moment kam sich Lynn plötzlich ziemlich schäbig vor. Als hätte sie sich selbst irgendwie verkauft.

„Wunderbar“, meinte McCallan. „Dann werden wir Ihnen alle Informationen zukommen lassen, die wir bis jetzt gesammelt haben. Und ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mich außerhalb dieses Anwesens zur meiner Sicherheit begleiten würden. Ich werde sicherlich keine größeren Unternehmungen veranstalten, wenn ich weiß, dass jemand hinter mir her ist, aber ab und zu muss ich doch mal raus. Zum Beispiel morgen Abend.“

Lynn, die sich bereits ausgemalt hatte, wie sie Drinks schlürfend am karibischen Strand lag, blickte bei McCallans Worten auf. „Morgen Abend?“

Der Hexer nickte. „Dann findet eine ausgesprochen wichtige Benefizveranstaltung statt, die ich auf keinen Fall verpassen darf.“

Lynn schaute hinüber zu Quinn, der bei diesen Neuigkeiten sein Gesicht verzog. In einer solch heiklen Lage sein sicheres Heim zu verlassen, war wahrscheinlich nicht gerade die beste Idee.

„Bei allem Respekt“, entgegnete Lynn, „ich denke nicht –“

„Ich kann nicht absagen“, unterbrach sie McCallan. „Einzig eine Notoperation oder der Tod wären eine Entschuldigung, bei dieser Veranstaltung nicht zu erscheinen. Ich habe entscheidend am den Projekt mitgewirkt und darf nicht einfach fehlen.“

Quinn lachte bitter auf. „Wenn es sich wirklich um einen wütenden Dämon handelt, liegen eine Notoperation oder der Tod durchaus im Bereich des Möglichen.“
 

McCallan machte den Eindruck, als wäre ihm dieser Umstand absolut bewusst. Und dennoch wollte er sich der Gefahr stellen. Lynn bewunderte ihn ein wenig für seine Courage. Man sah sofort, dass er kein ausgebildeter Kämpfer war, der sich oft und ausgiebig der Magie bediente. Sogar sehr gut möglich, dass er sich noch nie mit jemanden körperlich hatte anlegen müssen. Er wirkte zwar durchaus durchtrainiert, aber nicht gerade wie der geborene Krieger, der sich furchtlos in jeden Kampf stürzte. Lynn zumindest hätte ihn bestimmt auf die Bretter schicken können.

Und trotzdem ließ sich McCallan von dieser Tatsache nicht aufhalten. Entweder war er wirklich überaus wagemutig oder auch einfach nur tollkühn und schlichtweg verrückt.

„Ich weiß, dass es ein Risiko bedeutet“, meinte er, nun etwas versöhnlicher lächelnd. „Und darum möchte ich auch, dass Sie mitkommen. Als meine Begleitung.“

Im ersten Moment begriff Lynn gar nicht, dass er mit ihr sprach. Schließlich aber musterte sie ihn verwundert. „Als Ihre Begleitung? So was wie … ein Date?“

McCallan lachte auf und Lynn musste sich eingestehen, dass ihr dieser Klang ziemlich gefiel. „Zumindest werden alle Anwesenden denken, Sie wären mein Date. Sie können es von mir aus auch gerne so betrachten, wenn Sie wollen. Aber in erster Linie sind Sie zu meiner Sicherheit anwesend. Wie könnten Sie mich auch besser beschützen, als wenn Sie den ganzen Abend direkt neben mir stehen? Außerdem ist dadurch gewährleistet, dass Ihr Dämon auf diese Weise ein besonderes Auge auf uns beide hat.“

Lynn lächelte leicht. McCallan hatte offenbar schon alles bis in kleinste Detail durchdacht und geplant. Er schien ein Mann zu sein, den man besser nicht unterschätzte.

„Und Sie hatten bisher noch kein Date, obwohl diese Gala-Dingsbums schon morgen Abend ist?“, erkundigte sich Nathan überrascht.

McCallan zuckte gleichgültig mit den Schultern und wirkte dabei jünger, als er eigentlich war. „Ich lege auf so etwas keinen besonderen Wert. Ich wollte ursprünglich meine Sekretärin mitnehmen und das auch einfach nur deshalb, weil man bei solchen Veranstaltungen am besten immer mit Begleitung auftaucht. Aber als ich gerade Ms. Bennett gesehen habe, habe ich spontan meine Pläne etwas umdisponiert.“

Er lächelte sie an, während sich Lynn nicht ganz sicher war, ob sie dies als Kompliment aufzufassen hatte. Zumindest schien er sie als hübsch genug anzusehen, um mit ihm zusammen in der Öffentlichkeit gesehen zu werden.

„Morgen um sechs Uhr werden Sie abgeholt“, meinte McCallan und stellte Lynn somit vor vollendete Tatsachen. Aber großartig protestieren können hätte sie eh nicht, da sie sich bereits von ihm hatte engagieren lassen.

Somit fügte sie sich ihrem Schicksal. Was war auch groß dabei, das nette Liebchen an McCallans Seite zu spielen, während sie in Wahrheit nach Dämonen oder anderen Kreaturen Ausschau hielt? Im Grunde war es wirklich die beste Tarnung, um alles in Ruhe zu beobachten.

Vielleicht hatten sie wirklich Glück und sie würden den Übeltäter noch am selben Abend dingfest machen können. Schnell verdientes Geld.

Allerdings gab sich Lynn keinen Illusionen hin. Wenn dieser Unbekannte es geschafft hatte, zwei ausgebildete Hexer auszuschalten, war er sicherlich kein einfacher Gegner. Auch mit Quinn an ihrer Seite war sie nicht automatisch vor allen Gefahren geschützt.

Das würde sich noch zu einem komplizierten Fall entwickeln können.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  DoctorMcCoy
2009-08-20T06:40:54+00:00 20.08.2009 08:40
So, ich habe auch endlich mal weitergelesen und ich verstehe nicht, warum ich das nicht schon viel früher getan habe. Das Kapitel hat mir sehr gut gefallen, nur mir kam Nathan ein bisschen zu kurz. Aber immerhin hat man Quinn jetzt ein bisschen näher kennen gelernt. Der scheint diesen McCallan ja nicht besonders zu mögen. Kein Wunder, er hat ihm ja auch nur die Hand geschüttelt. =)
Ich glaube kaum, dass McCallan überhaupt keine Ahnung hat, wer oder was hinter ihm her ist. Dazu scheint er mir zu viel Kontrolle über alles zu haben. Er hat bestimmt nicht alles gesagt, was er weiß. Und irgendwie klingt das alles nach einem sehr abgekakerterten (wie wird das geschrieben?) Spiel. Ich meine, bisher haben sie nur einen Zettel gesehen, wo drauf steht: Ich sehe dich. Das hätte er auch selbst schreiben können.
Naja, ich lese jetzt einfach mal weiter.
LG Lady_Sharif
Von:  SamAzo
2009-06-04T21:27:48+00:00 04.06.2009 23:27
Hübsches Häuschen hat der da..
Ich hab irgendwie noch kein richtiges Bild von McCallan. (Da schwankt meine Vorstellung derzeit) Aber ich denke das wird noch kommen.

Nett, das er nicht einmal weiß wer genau hinter ihm her ist. Und das er scheinbar keine große Angst davor hat.. interessant.. wirklich.

...

Irgendwie kann ich mich nicht auf was anständiges konzentrieren.. -.-
Egal.. schick einfach das nächste Kapitel in die Röhre.


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