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Heroes

von

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Three

Es ging alles ganz schnell. Die letzte Woche, die Karyu sein Dasein im Krankenhaus zu fristen hatte, war wohl auch die intensivste. Tsukasa tauchte jeden Tag bei ihm auf, und nicht zuletzt um zu überprüfen, ob Karyu sein Wort hielt, sich nicht wieder Ärger einzuhandeln. Ganz beiläufig hatte er gemerkt, dass sich die Beziehung zwischen ihnen von einer Art Feindschaft über Akzeptanz bis hin zur Bekanntschaft gearbeitet hatte. Das war wohl den Gesprächen zu verdanken, die sie mehr oder weniger zufällig in bestimmte persönliche Richtungen leitete. Zwar taute Karyu ein wenig auf, doch wenn Tsukasa auf bestimmte Themen traf, dann wurde er wieder zu dem starren Polizist, als den er ihn kennen gelernt hatte. Ehe Tsukasa sich versah, stand Karyus Bett leer. Und er fragte sich, ob es nicht ein wenig sadistisch sei, wenn er das schade fand.

Doch nur weil er nicht mehr das Krankenbett hüten musste, hieß das nicht, dass Karyu von der von ihm wohl meistgehasstesten Einrichtung verschont blieb. Es standen eine Menge Nachuntersuchungen an, und er hatte darauf bestanden, dass diese von Tsukasa durchgeführt werden sollten, da er die anderen Ärzte für senile Zirkusaffen hielt. Tsukasa wusste nicht, ob ihn das ehren sollte.
 

Die Hand auf der verchromten Klinke atmete Tsukasa tief durch und erklärte sich gleich darauf für dämlich. Er tat ja beinahe so, als würde er zu seinem Henker gehen. Augenrollend drückte er die Klinke hinunter und trat in den kleinen Untersuchungsraum.

Als erstes fiel ihm komischerweise die einsame Pflanze auf dem breiten Fensterbrett auf, die dringend gegossen werden musste. Dann wanderte sein Blick zu Karyu, der auf der Liege saß, die Hände im Schoß gefaltet. Er sah sich desinteressiert um, als er die Tür hörte, wandte er sein Gesicht Tsukasa zu. Seine Miene glättete sich, und er streckte Tsukasa schweigend die Hand entgegen um ihn zu begrüßen. Tsukasa nahm diese Gestik entgegen und musterte ihn. Es war eigenartig, diesen Mann schon eine ganze Weile zu kennen, jedoch nie zuvor in Alltagskleidung gesehen zu haben.

Er trug eine schwarze Lederjacke, unter der Tsukasa auf dem weißen Hemd ganz deutlich ‚Fucker’ und ‚Die’ erkennen konnte. Eine kleine Silberkette schlang sich unauffällig um seinen Hals; an seinen Fingern steckten nun Ringe. Karyu vergrub seine Hände in den Taschen seiner Jeans und schien auf Anweisungen zu warten, seine Füße baumelten in Bikerboots hin und her.

Tsukasa erschlug es beinahe, wie sich Karyus Ausstrahlung geändert hatte, und wunderte sich darüber, dass er das ein paar Stoffstücken zu verdanken hatte. Er merkte, dass er Karyu noch immer wie ein Vollidiot anstarrte und schüttelte leicht den Kopf.

„Ausziehen.“

„Was..?“

„Ehm, freimachen... bitte.“ Tsukasa deutete auf Karyus Oberkörper, und während dieser mit gehobenen Augenbrauen brav tat wie ihm geheißen, drehte Tsukasa sich weg und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Still legte er Karyus Akte auf dem kleinen Tisch nehmen der Liege ab und wandte sich wieder zu seinem Besucher um. Der schälte sich gerade aus seinem Hemd und legte es mit seiner Jacke neben sich. Erwartungsvoll blickte Karyu zu Tsukasa auf. Über seinen Schlüsselbeinen und kurz über seiner rechten Hüfte ließ sich jeweils eine dickliche Narbe finden.

Tsukasa wies Karyu an stehen zu bleiben, während er sich selbst einen Stuhl heranzog, sich setzte und nun Karyus Bauch auf Augenhöhe hatte. Er begann sich vorsichtig von der unteren Narbe bis zu den Rippen hervorzutasten, die er hatte brechen müssen, um die Kugeln zu entfernen. Als er sie fand, drückte er fest zu.

„Spüren Sie etwas?“

„Ihre Hand spüre ich.“

Tsukasa kam nicht umhin, zu grinsen. „Also haben Sie keine Schmerzen?“

„Nein.“

Karyu blickte an sich hinab und beobachtete, wie Tsukasas Hände über seinen Körper glitten. Sie gelangten an den Schlüsselbeinen an und Tsukasa erhob sich nun, um besser herangelangen zu können. Er tastete sie ab, und an den Stellen, an denen Karyu vermutete, dass dort der Knochen gesplittert war, drückte Tsukasa fester zu. Karyu fühlte manchmal ein leichtes Ziehen, aber keinen Schmerz.

„Und Ihrer Schulter fehlt auch nichts mehr?“

„Nicht das ich wüsste.“

Er sah zu, wie Tsukasa die Schulter untersuchte, mit der Karyu geradewegs in eine Wand gekracht war. Dabei hatte er sie sich ausgekugelt und seinen Oberarmknochen doppelt gebrochen. Da aber die anderen Verletzungen überwogen hatten, hatte man davon kaum geredet.

Tsukasa ließ seine Hände sinken und hob die Augenbrauen. „Ich kann nur wiederholen, wie erstaunlich schnell Sie sich erholen. Das ist mir bisher noch nie passiert.“

Karyus Mund verzog sich zu einem schiefen Lächeln, während sie sich anblickten.

„Oh, sagen Sie nichts“, meinte Tsukasa. „Ich weiß, Sie wollten so schnell wie möglich von diesem Essen weg.“

Das Lächeln wurde eine Spur breiter, und auch Tsukasas Mundwinkel begannen zu zucken.

„Sie sind ein Idiot“, meinte Karyu und legte seinen Kopf ein wenig zurück.

„Und sogar an dieser Tatsache scheint sich in letzter Zeit nichts geändert zu haben.“

Karyu lehnte sich an die Liege und stützte seine Hände an ihr ab. Das künstliche Leder unter seinen Fingern fühlte sich kühl an.

„Das haben Sie sich selbst zu verdanken.“

„Naja, mir solls recht sein. Solange ich kein seniler Zirkusaffe bin.“

„Treffer versenkt.“

Tsukasa empfand es als eigenartig, dass Karyu so lange grinste. Er fragte sich für einen Augenblick, ob er vielleicht irgendetwas genommen hatte. Diesen Gedanken abschüttelnd wandte er sich zu Karyus Akte um, schlug sie auf und suchte nach einem Stift. Als ihm jedoch keiner unter die Augen kam, seufzte er auf und lief in Richtung Tür.

„Bin gleich wieder da“, nuschelte er und verließ den Raum.

Ein skeptischer Karyu blieb zurück, der zusah, wie sich die schwere Stahltür mit einem leisen Klicken verschloss. Er gähnte, während er sich in diesem Raum umblickte. Logischerweise hatte er sich seit Tsukasas Ankunft nicht gerade verändert. Er hob die Augenbrauen, wippte ein wenig vor und zurück, als sich seine Augen an seine Akte hefteten. Für einen Augenblick schien er nachzudenken, dann sah er suchend um sich, ganz als würde er erwarten, dass ihn jemand beobachtete. Dann stieß er sich von der Liege ab und überbrückte die zwei Meter zu dem kleinen Tisch, auf dem die Papiere lagen. Es folgte ein weiterer Blick zur Tür, dann beugte er sich über die Akte und studierte sie oberflächlich.

Tsukasa hatte eine sehr saubere Schrift, was Karyu von einem Arzt eigentlich nicht erwartet hatte. Hinzu kam jedoch, dass er fast nur in dieser medizinischen Sprache schrieb. Da Karyu das sehr wenig half, und das Meiste – sofern er es verstand – nicht von großem Belang war, begann er ein wenig zu blättern. Er fand Haufen von Notizen über sein Befinden, genauere Erläuterungen zu seinen Verletzungen und schließlich seine persönlichen Daten. Karyu seufzte auf, und wollte wieder zu der Seite zurückblättern, die Tsukasa aufgeschlagen hatte, als ihm ein kleines rotes Kreuz auffiel, das sich auf der aller ersten Seite befand. Er sah noch einmal genauer hin und bemerkte, dass es jemand mit einem schwarzen Stift durchgestrichen hatte. Links neben dem Kreuz stand – klein und doch unheilbringend – ein einziges Wort, das an Karyus Innerem zerrte, als müsse er sich jeden Moment übergeben: Exitus.

Karyu blickte auf seine Hände hinab, und bemerkte wie sie zitterten. Unter dieser unheilvollen Notiz war mit dem gleichen schwarzen Stift etwas vermerkt. Er kniff die Augen zusammen, um diese hektische Schrift besser lesen zu können, die ihm preisgab, dass er wohl im letzten Moment einen Blutspender gefunden haben musste. Als er den Namen daneben las, weiteten sich seine Augen, und er schlug die Seiten wieder um. Im gleichen Moment, in dem er sich von der Akte abwandte und einen großen Schritt zur Liege tat, öffnete sich die Tür und Tsukasa kehrte zurück.

„Oh man, ich sage Ihnen, hier arbeiten Hunderte von Leuten und kein einziger trägt einen Stift bei sich!“

Schwungvoll ließ Tsukasa sich auf dem Stuhl nieder, zog ihn zum Tisch heran und begann irgendetwas in die Akte zu schreiben.

„Immerhin habe ich doch einen gefunden...“

Karyu nickte stumm und beobachtete Tsukasas Hand, die über das Papier flog. Sie war länglich und schmal, und während Karyu auf sie herabstarrte, dachte er an das Blut, das durch sie hindurchfloss. Seine Finger krallten sich in das Kunstleder und er konnte fühlen, wie sein Körper zitterte. Er wollte etwas sagen, doch irgendetwas Imaginäres hielt ihn zurück.

Tsukasa klappte die Akte zu, legte den Stift beiseite und drehte sich mit dem Stuhl zu ihm um.

„Nun, das wars für heute, Sie können- Herr Matsumura?“

Karyu sah im gleichen Moment auf, in dem Tsukasa sich von seinem Stuhl erhob, und die Wucht des Blickes hätte ihn beinahe wieder zurückgeschleudert. Tsukasa hatte noch nie erlebt, dass man ihn derartig vorwurfsvoll und dankbar zugleich angeblickt hatte. Karyus Augen flogen über sein Gesicht, als wollten sie es sich genau einprägen. Es war noch nie vorgekommen, dass er Tsukasa derartig offen und unverblümt angestarrt hatte, und so musste er dem Blick nachgeben; er senkte seinen Kopf und fühlte, wie er errötete.

Karyu regte sich indes nicht. Nur seine Hände krampften sich für einen Moment fester an das Polster.

„Stimmt irgendetwas nicht mit Ihnen?“, fragte Tsukasa beinahe tonlos, hob seinen Kopf und blickte an Karyu vorbei, geradewegs auf die weiße Wand. Er nahm aus den Augenwinkeln wahr, wie Karyu langsam den Kopf schüttelte.

„Alles bestens“, sagte er genauso dumpf.

Schweigen füllte den Raum aus, dann nickte Tsukasa, wandte sich ab und schob den Stuhl an den Tisch, um nicht einfach dumm herumzustehen.

„Sie können sich wieder anziehen, Herr Matsumura.“

Er konnte hören, wie Karyu nach seinen Sachen griff und das Angebot entgegennahm. Als er meinte, dass Karyu fertig war, wandte er sich wieder zu ihm um.

Karyu zupfte seine Jacke zurecht, und auch als er bemerkte, wie Tsukasa sich wieder umwandte, sah er nicht auf. Seine Augen lagen auf seinen Schuhspitzen, während es in seinen Hirn arbeitete. Egal an was er dachte, inständig schob sich immer wieder die Frage vor sein inneres Auge, wieso Tsukasa ihm nicht von diesen Dingen erzählt hatte. Irgendjemand hatte ihn sterben lassen wollen – und dem Mann, der Karyu gerettet hatte, hatte er mit Nichtachtung und flacher Zurkenntnisnahme gedankt. Tsukasa hätte sich dieses Verhalten nicht gefallen lassen müssen, ein Hinweis darauf, dass er Karyu Blut gespendet hatte hätte vielleicht genügt, um ihn von seinem hohen Ross zu holen.

Seine Mundwinkel verzogen sich, er blickte auf und streckte Tsukasa die Hand entgegen.

„Yoshitaka“, sagte er. „Nennen Sie mich... Yoshitaka.“

Etwas perplex nahm Tsukasa die Hand entgegen und nickte langsam, dann löste Karyu den Griff und verließ den Raum.
 

Tsukasa starrte in die Leere, auch wenn direkt vor ihm eine Sekretärin saß und ihm irgendwelche belanglosen Sachen erklärte. Seine Hände stützten sich auf dem Tresen ab, und er nickte hin und wieder, um vorzutäuschen, dass er der Frau zuhörte.

Seine eigentlichen Gedanken kreisten um Karyu, und das war ihm irgendwie unangenehm. Seit der ersten Nachuntersuchung hatte er nur noch knappe Worte für Tsukasa übrig gehabt, wenn er denn überhaupt sprach. Während er ihn untersucht hatte, konnte er immer diesen Blick auf sich liegen fühlen, der seine Hände zittern ließ. Wenn sich ihre Augen getroffen hatten, dann konnte Tsukasa nie so recht sagen, was genau ihn denn so erschaudern ließ, und es kam ihm immer so vor, als wartete Karyu darauf, dass Tsukasa in seinen Augen las, was mit ihm los war. Denn das etwas nicht stimmte, wurde mehr als offensichtlich. Mit der Zeit kam Tsukasa sogar ein Verdacht, doch er schwieg darüber, und ließ weiterhin diese intensiven Blicke über sich ergehen, die ihn Herzschlag für Herzschlag durchbohrten und sich in sein Inneres gruben. Tsukasa erschauderte und schloss die Augen.

„Alles in Ordnung, Doktor?“

„Was...? Oh, natürlich.“

Tsukasa lächelte entschuldigend und stemmte sich vom Tresen ab. Gerade als er zum Wort ansetzen wollte, lenkte ihn jähes Getuschel ab. Die Sekretärin und auch er wandten sich um und erblickten eine kleine Traube von Schwestern, die sich um einen Mann mit einem überdimensionalen Rosenstrauß tummelten. Er rollte mit den Augen, schüttelte den Kopf, und beobachtete, wie nun auch die Sekretärin hinüberlief. Gerade als er seufzend seine sieben Sachen zusammensuchte, wurde der kleine Haufen wieder still, und er meinte zu fühlen, wie sämtliche Augenpaare auf seinem Rücken ruhten.

„Entschuldigung, sind Sie Kenji Oota?“

Verwirrt drehte Tsukasa sich wieder um. Der Mann mit dem Strauß sah fragend zu ihm hinüber.

„Ehm... ja.“

„Dann sind die hier für Sie.“

Tsukasa blinzelte und blickte dann in die Runde der Schwestern, die ihn allesamt mit großen Augen anstarrten. Eine von ihnen hielt eine kleine Karte in der Hand. Mit zögernden Schritten ging Tsukasa zu ihnen hinüber, entledigte den Mann noch zögerlicher der Blumen und starrte sie erst einmal bloß an. Die Schwester, die offensichtlich die Absenderkarte gelesen hatte, reichte sie ihm und trat zurück. Tsukasa öffnete sie und entdeckte in geschnörkelter Romaji-Schrift: Yoshitaka Matsumura. Eine äußerst peinliche Stille trat ein, in welcher sich der Mann trollte.

Tsukasas Augen wanderten wieder ungläubig zu den Rosen, in denen er jetzt einen Brief entdeckte, den jemand kaum sichtbar zwischen die Stängel gesteckt hatte. Um ihn herum begann man zu tuscheln. Er hörte, wie eine Schwester leise fragte, ob dieser Yoshitaka Matsumura nicht der Mann sei, der gegen die Drehtür gerannt ist. Erneut lagen alle Augen auf ihm, und er fühlte wie ihm die Röte in den Kopf schoss, was in dieser unangenehmen Situation durchaus berechtig war.

„Was stehen Sie hier so rum?“, fragte er leicht gereizt. „Gehen Sie wieder an die Arbeit.“

Die Frauen verschwanden kichernd und Tsukasa fuhr sich mit der freien Hand über sein Gesicht. Während sich die kleine Gruppe auflöste, blieb er noch immer stehen, und beschloss schließlich, dieses Monster von Strauß in sein Büro zu befördern.
 

Er kickte die Tür auf, trat ein, und hörte sie wieder zufallen. Halb blind von den Rosen sah er sich um, fand jedoch nichts Nützliches, um sie aufzubewahren. Er seufzte resignierend und ließ das Bündel auf seinen Schreibtisch fallen. Beinahe fahrig grub er zwischen den Stängeln nach dem Brief; als er ihn herauszog, rissen ihm ein paar Dornen die Fingerrücken auf. Er ließ sich auf seinen Stuhl fallen, öffnete das Couvert und ließ es achtlos zu Boden sinken, während er den Brief auffaltete. Ein eigenartiges Gefühl befiel ihn, während er zu lesen begann.
 

Sehr geehrter Kenji Oota,
 

Da Sie mich wohl sehr wahrscheinlich nicht mehr auf gewisse Vermerkungen in meiner Akte ansprechen werden, werde ich das wohl tun. Ich bin mir nicht sicher, ob Sie sich einiges an Ärger mit mir hätten ersparen können, hätten sie das getan. Aber Sie hätten mir damit viel früher klarmachen können, dass es noch Gutes auf der Welt gibt. Aus Ihrem Schweigen schließe ich, dass es für Sie keine besonders große Tat gewesen sein muss, mir unter Aufopferung Ihrer eigenen Gesundheit das Leben zu retten. Ich scheine Unrecht gehabt zu haben, in sehr vielen Hinsichten. Ich habe Sie verachtet, obwohl Sie meine tiefgründige Dankbarkeit verdienen, und Sie haben es einfach hingenommen.

Ohne Sie wäre ich tot, und man hätte sich nicht einmal die Mühe gemacht, mir zu helfen. Dafür danke ich Ihnen mehr, als man vielleicht aus diesen Worten lesen kann.

Menschenleben retten, sich selbst aufopfern, mit Nichtachtung gestraft werden – dafür sind wohl Helden da.

Wenn jeder Arzt wäre wie Sie, dann könnte diese Welt wieder lachen.
 

Mit ehrerbietigen Grüßen,
 

Yoshitaka Matsumura
 

Tsukasas Blick verschwamm, während er auf den Brief in seinen Händen starrte. Etwas fiel von seinen Schultern, und erst jetzt bemerkte er, wie sehr ihn Karyus Ignoranz, die nie ganz verflogen war, belastet hatte. Bis zu diesem Moment, in dem alle Sorgen in der Luft verpufften und Platz für neue machten. Es machte ihm in gewisser Weise Angst, dass Karyu diesem Brief nach zu urteilen sehr viel von ihm hielt – und das musste man erst einmal schaffen, soviel wusste Tsukasa. Er fragte sich, ob er das tatsächlich verdient hatte, und wieso er sich so ungemein über diese Nachricht freute so wie er sich vor ihr fürchtete. Und letztendlich auch, wieso er ihm gerade rote Rosen schicken musste. Aber die Antworten schienen nicht mehr weit entfernt. Dieser Tag war der letzte, an dem Karyu zur Nachuntersuchung zu kommen hatte, und bei dem Gedanken, diesem Mann gleich unter die Augen treten zu müssen, überkam Tsukasa ein klammes Gefühl.
 

Karyu hatte sich bereits seiner Oberbekleidung entledigt, als Tsukasa den Raum betrat. Er blickte ihm entgegen, so wie er es das erste Mal auch getan hatte. In seinem Gesicht konnte Tsukasa nichts sehen.

Mit gesenktem Blick schritt Tsukasa auf ihn zu, legte die Akte ab und nickte grüßend. Karyu erwiderte und stemmte sich von der Liege ab.

Tsukasa begann mit den Untersuchungen, die für ihn schon beinahe zur Routine geworden waren. Karyus Haut unter seinen Fingern war warm, und es fühlte sich gut an sie zu berühren. Als er merkte, was er da dachte, schüttelte er energisch den Kopf und widmete sich den Schlüsselbeinen. Karyu atmete einmal schwer aus, und der Luftzug schlug gegen Tsukasas Gesicht. Er war angenehm frisch, und kühlte Tsukasas Haut, unter der sich das Blut bündelte. Er fuhr mit seinen Fingern unbeirrt die Konturen der Narbe nach, die schon bald nicht mehr zu sehen war. Ihm wurde bewusst wie er abschweifte, und zog ruckartig seine Finger zurück. Ein Schaudern überkam ihn.

„Sie zittern“, flüsterte Karyu. „Ist Ihnen kalt?“

Tsukasa blickte kurz zu ihm auf und gleich darauf beschloss er, dass es klüger gewesen wäre, das nicht zu tun. Karyu war ihm unangenehm nahe, in seinem Gesicht konnte er noch immer nichts erkennen.

„Nein.“ Er senkte seinen Blick wieder, schien zu überlegen und wandte sich langsam von Karyu ab. Sein Herz setzte für zwei Schläge aus, als er die Hand spürte, die fest seinen Unterarm umgriff. Tsukasa drehte sich wieder um; Karyu musterte ihn mit gerunzelter Stirn und drückte etwas fester.

„Selbst jetzt sagen Sie nichts.“

Es klang nicht, als würde er Tsukasa einen Vorwurf machen. Doch irgendetwas in seiner Stimme erfüllte Tsukasa mit dem Verlangen, sich vor ihm in den Staub zu werfen und sich zu entschuldigen. Aber er blickte Karyu nur hilflos an.

„Ich hatte es vor“, brachte er dann zustande.

„Das hatten Sie nicht.“

Dass Tsukasa so plötzlich der Wind aus den Segeln genommen wurde, ließ ihn empört nach Luft schnappen. Er riss sich von Karyu los.

„Ich wüsste auch nicht, was es jetzt noch groß zu sagen gäbe. Sie wissen es doch jetzt.“

„Aber es wäre um einiges besser gewesen, es aus Ihrem Mund zu hören.“

Tsukasa musterte ihn nachdenklich, dann schüttelte er den Kopf. „Ich bin kein arrogantes Arschloch.“

Es folgte ein Schweigen, aus dem nicht ganz zu deuten war, ob diese Bemerkung Karyu irgendwie berührt hätte.

„Hätten Sie es denn so sehr gewollt“, fuhr Tsukasa fort und blickte seinem Gegenüber starr in die Augen, „dass ich vor Ihnen auf und abhüpfe und ‚Sieh mich an, sieh mich an, ich bin ein Held, ich habe dir deinen Arsch gerettet!’ rufe? Das bezweifle ich nämlich sehr.“

„Ich bezweifle, dass Sie mir das auf diese Art und Weise vermittelt hätten.“

Tsukasa setzte zur Antwort an, schloss seinen Mund jedoch wieder.

„Wer ist dieser Arzt? Der, der dieses Kreuz gemacht hat.“

„Yagasumo.“

Karyu nickte und wandte den Blick ab. Tsukasa beobachtete ihn. „Er ist kein schlechter Mensch, aber vielleicht ein verkehrter.“

„Versuchen Sie mir nicht, ein Bild von ihm einzupflanzen.“

Tsukasa stutzte und sah zu wie Karyu sich auf die Liege setzte. Die Sonne, die durch das Fenster hineindrang beschien seinen bloßen Oberkörper. Tsukasa blinzelte und riss sich von dem Anblick los.

„Ich verstehe Sie nicht. Sie schreiben, dass Sie mir dankbar sind. Aber davon sehe ich nichts.“

Karyu reagierte nicht und blickte aus dem Fenster. Sein Gesicht war entspannt, und Tsukasa meinte sogar fast ein Lächeln zu sehen. Ihm gefiel sein Profil, und er bemerkte das erste Mal bewusst, dass Karyu generell ein hübsches Gesicht hatte. Durch die Scheiben konnte man Vögel zwitschern hören.

„Es tut gut zu wissen, dass Sie mich nicht verabscheuen. Sehr gut sogar. Und was diese Nichtachtung betrifft...“ Tsukasa stützte sich mit den Händen auf die Stuhllehne, folgte für einem Moment Karyus Blick, und sah anschließend wieder zu ihm. „Es wäre nicht das erste Mal, dass man meine Arbeit nicht respektiert. Man schuftet und schuftet, und bekommt nicht einmal ein Danke.“

Karyu riss sich vom Fenster los und erwiderte Tsukasas Blick forschend. Als er sich sicher zu sein schien, dass er keinen schlechten Scherz mit ihm trieb, begann er tatsächlich zu lächeln, und Tsukasa meinte dass es die gleiche Wirkung wie eine plötzliche Umarmung gehabt hätte.

„Dafür sind wir Helden da.“

Tsukasa runzelte für einen Moment die Stirn, während die Worte in seinem Kopf widerhallten. Er forschte in Karyus Gesicht, und mit einem Mal war er sich bewusst darüber, dass nichts mehr zwischen ihnen stand.

„Ja“, antwortete er und lächelte ebenfalls. „Dafür sind wir Helden da.“

Schweigen legte sich über sie, doch beide empfanden es als angenehm. Nach einer Weile machte Karyu sich daran, sich wieder anzuziehen. Tsukasa beobachtete ihn dabei, und als ihm einfiel, dass es ihm vielleicht unangenehm war, blickte er aus dem Fenster.

„Yoshitaka?“, sagte er.

„Ja?“

„Wieso mussten Sie mir ausgerechnet Rosen schenken?“

„Mögen Sie keine Rosen?“

„Sie waren rot und ich habe sie vor versammelter Mannschaft bekommen!“

„Tatsächlich? Ich habe dem Kerl extra gesagt, er soll es unauffällig erledigen.“

Sie starrten einander für einen Moment an, dann brachen beide in Gelächter aus.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Micawber
2009-04-24T20:51:34+00:00 24.04.2009 22:51
Sie sehen in meinem gesicht ein absolut grenzdebiles Grinsen *lach*
Nach langem endlich wieder eine richtig, richtig schön geschrieben D'espairsRay-FF~
Ich bin von den Socken und muss unbedingt wissen wie es weitergeht.
Echt super....;_; ich werd melancholisch~
Die Sache mit den Rosen...war zu geil
und mein kommentar wird unzusammenhängend, tut mir leid ich bin geflasht von dem letzten kapitel


Von: abgemeldet
2009-04-23T15:10:49+00:00 23.04.2009 17:10
Wie vorher auch ein sehr herrliches Kapitel <3

dein Schreibstil ist so wunderherrlich <3 ich mag auch das Ende vom letzten Kapitel *Kekse reich*

LG Sollie
Von: abgemeldet
2009-04-23T14:27:35+00:00 23.04.2009 16:27
Dein Schreibstil gefällt mir sehr gut :D
Es handelt sich nicht zu schnell ab, wie in anderen FFs und trotzdem ist es nicht langweilig.

Ich möchte unbedingt weiterlesen :'D



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