Zum Inhalt der Seite

Via Inquisitoris

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Rom, Brüssel, London

Lady Sarah hat ihre ersten beiden Fälle als Kadash gelöst - und einen neuen Verdacht. Ob er berechtigt ist, wird sich zeigen.
 

12. Rom, Brüssel, London
 

Sarah ließ sich mit einem erleichterten Seufzer auf das Bett sinken. Sie hatte den Bericht an den Hohen Rat abgegeben und Donna Innana hatte ihr liebenswürdigerweise angeboten, noch einen Tag bei ihr zu verbringen, ehe sie zurück nach London fliegen würde. Die Meistervampirin wohnte in einem Landhaus aus dem vierzehnten Jahrhundert nahe bei Rom, das eigentlich dem vorherigen Kadash gehörte. Dieser wollte es nun offenbar verkaufen und daher Donna Innana in das Zweistromland zurückkehren, vielleicht, um sich wieder um die archäologischen Belange dort kümmern.

Nach dem langen Flug zurück von Mexiko war ein wenig Anpassung an die europäische Zeit sicher nicht schlecht.
 

Sie verschränkte die Hände hinter dem Kopf und sah zu der Decke auf.

Der Einfall, der ihr schon in Mexiko gekommen war, hatte sie während des gesamten Fluges nicht losgelassen. Waren diese Zwischenfälle mit Gebissenen kein Zufall?

Jahrelang passierte nichts, jeder Vampir wusste, dass der Inquisitor nur selten etwas zu tun bekam – und sie hatte schon zwei Aufträge erhalten. Und der alte Kadash hatte sich nach Jahrtausenden zurückgezogen. Hing das irgendwie zusammen?

Wieso?

Thomas, in Edinburgh, hatte nur einen, wenn auch sehr tiefen, Groll gegen Adelige gehegt und er war in den kritischen Jahren gewesen – das klang nach einem Vorfall, wie er bedauerlicherweise immer wieder ab und an vorkam, der Grund, warum das Amt des Inquisitors geschaffen worden war.

Aber Don Fernando und der so genannte Meister – das hatte sich so angehört, als ob es jemanden im Hintergrund geben würde. Aber wen und warum? Ein Mensch war fast auszuschließen. Kein Vampir würde sich auf Dauer von einem Menschen beauftragen lassen, überdies war die unterschiedliche Lebenserwartung ein sicheres Hindernis. Also ein Vampir, der Menschen und andere Vampire beeinflussen konnte, ja, benutzte? Dann müsste es sich um einen älteren Vampir handeln, gar einen Meistervampir. Aber was wollte der mit Gebissenen?

Oder besser: mit Menschen?

Der so genannte Meister in Mexiko hatte sich die Menschen ja nur zum Geldverdienen besorgt – und als Blutkonserve für den verbündeten Vampir…

.

Hu.

Sarah stand auf. Wohin verirrten sich ihre Gedanken? Nein. Ein Meistervampir mit Schülern wäre fast undenkbar. Warum kam sie nicht gleich auf ein Mitglied des Hohen Rates?

Überdies: was sollte er mit Menschen, wiederholte sie sich. War sie schon so in ihrer neuen Arbeit versenkt, dass sie Verschwörungen sah, wo gar keine existierten?

Sie sollte wohl nicht direkt nach London fliegen, sondern einen kleinen Umweg machen. Zum Glück kannte sie jemanden, den sie, wenn auch unter einem Vorwand fragen konnte.
 

Sie griff zum Haustelefon. Sofort meldete sich die Hausangestellte.

„Pronto, Maria. Mi dica?“

Italienisch war nicht gerade Sarahs Sprache, wenn sie auch wusste, was Maria meinte. So erwiderte sie auf Englisch: „Wäre es Ihnen möglich, Maria, meinen Flug umzubuchen? Ich möchte morgen lieber nach Brüssel fliegen. Und suchen Sie mir die Telefonnummer von Europol…nein, Interpol heraus. Danke.“

„Si, Lady Sarah.“

Sarah legte auf. Hoffentlich hatte Inspektor Cuillin schon in Brüssel zu arbeiten begonnen. Nun, sonst müsste sie ihn wohl in Edinburgh anrufen. Ein Handy wäre wohl wirklich keine schlechte Idee. Da wäre sie unabhängig – und konnte auch verhindern, dass jemand zuhörte.

Sie zwang sich, die düsteren Gedanken abzuschütteln.
 

Als sie zum Abendtrunk in das Speisezimmer trat, lächelte die Gastgeberin: „Ihr Becher steht schon bereit, Sarah. Ein wenig ausgeruht?“

„Ja, danke. Der Zeitunterschied ist doch enorm.“ Sie setzte sich. Noch vor hundert Jahren hatte eine derartige Gelegenheit bedeutet, dass der Hausherr einen Bauern „eingeladen“ hatte, der gemeinsam als Trank benutzt worden wäre. Heutzutage hatten Menschen Blutbanken erfunden. So manch Blutspender kam nicht auf die Idee nachzufragen, wer da eigentlich wofür das Blut einsammelte. Natürlich musste das Serum verdünnt werden, aber das war eine doch deutlich unauffälligere Art. „Dieses Haus wird verkauft?“

„Ja. Der…nun, Ihr Vorgänger benötigt es ja nicht mehr hier. Da er aber aus Australien stammte, hielt er es für besser, an einigen der Versammlungsorte Häuser zu besitzen. Das könnten Sie auch in Erwägung ziehen, wobei diese Flugzeuge ja heutzutage ein rascheres Reisen ermöglichen. Gute Jagd!“ Sie nahm ihren Becher.

„Gute Jagd, Donna Innana.“ Sarah trank ebenfalls: „Ich werde jetzt erst einmal nach London zurückkehren. Hoffentlich passiert nichts mehr, einstweilen.“ Sie wollte nicht einmal ihrer Lehrerin gegenüber etwas von ihren unausgegorenen Ideen erzählen. Zum einen, weil sie sich eine Blamage ersparen wollte, zum anderen aus einem Grund, der ihr selbst kaum bewusst war: durch die Höflichkeit, die Maestro Cacau gegenüber gezeigt hatte, war ihr in Wahrheit klar geworden, in welches Amt sie hineinwachsen sollte und musste – und selbst ein Mitglied des Hohen Rates schuldete dem Kadash Höflichkeit. Dessen sollte sie sich würdig zeigen.

Die Meistervampirin stellte ihren Becher ab und zuckte ein wenig nachlässig die Schultern: „Zwei derartige Aufträge nacheinander sind doch recht ungewöhnlich. Aber das kann passieren.“

„Ja, vermutlich.“ Es wäre wohl besser und auch höflicher, sich den Interessen der Gastgeberin zuzuwenden: „Sie kehren in den Irak zurück, nein, Mesopotamien.“ Es war sicher angebracht, den alten Namen zu benutzen, zumal das ja ein größeres Gebiet umfasste.

„Ja, mein Zweistromland.“ Donna Innana lehnte sich zurück und schloss die Augen, ehe sie ein wenig träumerisch meinte: „Ich liebe dieses Land. Seit Tausenden von Jahren durchfließen die beiden Ströme das Land. Wir drei sahen große Reiche kommen und gehen, mächtige Herrscher und großartige Städte. Aber die Namen der Menschen und Könige sind zum Großteil verschwunden, die Mauern zu Staub zerfallen, die Kanäle verdorrt.“ Sie blickte lächelnd auf: „Schwärme ich schon wieder? Ich war sehr froh, dass vor über hundert Jahren die Menschen begannen, das Erbe der Vergangenheit auszugraben, und bereits einiges davon zum Leben erwecken konnten.“

„Ich weiß. - Haben Sie schon eine Ahnung, wo Sie leben wollen?“

„Wollen Sie mich einmal besuchen, Sarah? Das wäre nett. Ich werde mich sicher in der Gegend des Grabungsfeldes Niffur niederlassen, dort wird schließlich mein liebes Nippur ausgegraben. Ah, der Zikkurat des Enlil… Genaueres werde ich allerdings erst vor Ort sehen können, “ brach sie ab. Sie wusste selbst, dass sie stundenlang über Mesopotamien reden konnte.

„Natürlich. Ich würde mir gern einmal Ihre Heimat ansehen. Sie haben davon soviel erzählt.“ Sarah lächelte. Für sie waren es schöne Märchen gewesen, für ihre Lehrerin allerdings Erinnerungen, die sie mit niemandem teilte.

„Ach ja, früher…“ Die Meistervampirin seufzte etwas: „Es war schwer zu sehen, dass sich dort, wo Gärten und Felder angelegt wurden, die Wüste ausbreitete. Aber ich hoffe auf die Zukunft. Und Sie warten auf den nächsten Auftrag?“

„Oh, ich werde erst einmal einiges lernen. Ich habe festgestellt, dass ich doch recht wenig weiß. Ich hoffe, Lord John wird mir seine Büchersammlung zur Verfügung stellen.“ Das war die Wahrheit. Selbst, wenn Inspektor Cuillin ihre Theorie als lachhaft verwerfen würde, müsste sie sich viel mehr Wissen über die Vampirwelt zulegen. Und da ihr Adoptivvater diesbezüglich viel Material gesammelt hatte, war dies eine nahe liegende Möglichkeit.

„Aber sicher. Stimmt, er hat eine recht umfangreiche Sammlung. Ein Bücherwurm ist Ihr Vater. Er hat darum ja auch die Berufung in den Hohen Rat abgelehnt, was zugegeben Seltenheitswert hat. Ich mag ihn.“ Donna Innana zwinkerte etwas: „Und er hat damit ganz schön Aufsehen erregt.“

Lord John hatte einen Ruf in den Hohen Rat abgelehnt? Das war Sarah neu, aber sie beschloss, wenn, dann ihren Adoptivvater dazu selbst zu fragen. So trank sie einen weiteren Schluck: „Ich fliege morgen, mit einem kleinen Umweg, nach London. Ich will noch einen Bekannten besuchen.“

„Ja. Grüssen Sie Lord John von mir. Er wird stolz auf Sie sein.“

„Ich hoffe.“ Sarah wusste, dass ihr Vater unter Umständen mehr Wert auf das Wie ihrer Auftragserfüllung legen würde – und da waren die menschlichen Toten.

Donna Innana bemerkte die unwillkürlich Besorgnis und wollte ihre ehemalige Schülerin trösten: „Er hat nicht gerade viele Kinder, um das mal so auszudrücken. Er war schon immer äußerst wählerisch. Darum waren wir ja auch alle so überrascht, als er….Verzeihung, ich will Sie nicht kränken, Sarah.“ Das war wohl eher unklug gewesen.

Die junge Inquisitorin lächelte ein wenig traurig: „Schon gut. Es entspricht ja den Tatsachen.“

„Sie fühlen sich manchmal immer noch einsam, nicht wahr? Weder Lord John noch ich können die Lücke eines wahren Meisters schließen.“

„Die Einsamkeit des Jäger der Jäger….“ murmelte Sarah in plötzlicher Erinnerung an die Worte Maestro Cacaus.

Donna Innana erstarrte etwas: „Wer hat Ihnen diesen Ausdruck gesagt?“

Ihr Gast wollte den netten mexikanischen Meistervampir nicht verraten: „Ist es nicht so? Vampire sind die Jäger der Nacht. Und der Einzige, nun, die Einzige, die sie ihrerseits jagen darf, bin ich.“

„Ja.“ Ein tiefes Durchatmen: „Ich gelange immer mehr zu der Überzeugung, dass der…der ehemalige Kadash recht hatte, Sie vorzuschlagen. – Dieser Ausdruck ist die alte Form des Inquisitors. Das Wort „Kadash“ wird von den meisten Vampiren ungern verwendet. So sprach man bis in das 14. Jahrhundert vom „Jäger der Jäger“, ehe der Begriff „Inquisitor“ üblich wurde. – Nun, wie Sie wissen, macht es mir oder auch den andere Ratsmitgliedern nichts aus, „Kadash“ zu sagen. Es ist etwas anderes, ob man eine….doch recht unheimliche Person kennt oder nur Gerüchte darüber hört.“

Sarah hob lächelnd ihren Becher: „Ich bin kaum als unheimlich zu bezeichnen, Donna Innana. Gute Jagd!“

„Gute Jagd, Inquisitor.“ Und „unheimlich“ war schließlich ein äußerst dehnbarer Begriff.
 

Lady Sarah traf Kenneth Cuillin in einem Cafe am Boulevard Anspach oder Anspaachlaan, nahe am Stadtzentrum der belgischen Hauptstadt. Sie war ein wenig verwundert gewesen, alles zweisprachig zu sehen, ehe ihr eingefallen war, dass ganz Belgien aus dem französischsprachigen Wallonien und dem niederländisch sprechenden Flandern zusammengesetzt war – was schon oft zu Problemen geführt hatte.

Der schottische Polizeiinspektor betrachtete sie freundlich:

„Sie sehen gut aus, Lady Sarah, direkt braun Waren Sie in Urlaub? Bitte, setzen Sie sich. Ich habe mir erlaubt, für Sie einen Tee zu bestellen. Ah, da kommt er ja auch schon mit meinem Kaffee.“

„Ich war in Mexiko, ja.“ Sie lächelte ein wenig. Sah man den leichten Sonnenbrand noch immer? Aber sie nahm Platz und nickte der Bedienung dankend zu: „Danke, für den Tee und für das Kompliment, Mr. Cuillin. Haben Sie sich schon eingewöhnt?“

„Das ist kaum möglich. Ich arbeite erst seit zwei Tagen hier. Darum war ich über Ihren Anruf sehr überrascht.“

„Das war dann Glück. Ich...ich wollte mit Ihnen sprechen. Sie haben auf mich in Edinburgh einen sehr sachlichen, logischen Eindruck gemacht, und ich bräuchte jemanden, der mein…nennen wir es Szenario einer Geschichte durchdenkt.“

„Eine Geschichte.“ Cuillin lächelte ein wenig. Er kannte sie als Journalistin und nahm an, dass sie an einer Story dran war.

„Angenommen…“ Sie hatte sich auf dem Flug überlegt, wie sie das sagen sollte: „Nehmen wir eine Stadt wie das alte Rom. Ein Senat regiert. Aus welchem Grund sollte einer der Senatoren versuchen, sich….Anhänger zu verschaffen?“ Zu viele „offizielle“ Schüler würden auffallen, aber sie hatte war auf die Idee gekommen, dass die Menschen, die der mexikanische „Meister“ zusammengesucht hatte, womöglich als potentielle Vampire ausgesucht werden sollten, unter Umgehung der offiziellen Begrenzung der Schülerzahl auf drei, maximal fünf.

„Nun, um Macht zu erhalten, “ erwiderte der Inspektor sofort.

„Die hat er doch als Mitglied des Senates.“ Oder als Meistervampir über seine genehmigten Schüler.

„Aber nur gemeinsam mit den anderen. Das ist dann begrenzt.“

„Hm. Und wie bekommt man mehr Anhänger?“ murmelte sie. Sie konnte ihm ja schlecht erzählen, dass sie „Blutspender“ meinte. So war sie ein wenig verwundert, eine prompte Antwort zu bekommen:

„Mit Geld.“ Er lächelte: „Lady Sarah, da ich nicht annehme, dass Sie einen Roman schreiben wollen - wollen Sie mir nicht sagen, was wirklich los ist?“

Er hatte Recht. Mit nur halben Andeutungen würde er ihr kaum weiter helfen können. Allerdings musste sie aufpassen, was sie ihm wie mitteilte. „Ich war in Mexiko.“ Sie atmete durch: „Ich traf dort eine junge Frau, die für eine…Sekte arbeitete. Um was es bei dieser Sekte genau ging, sei dahingestellt. Jedenfalls war alles darauf ausgelegt, dass die Mitglieder dieser Sekte ihr gesamtes Geld dem „Meister“ gaben.“

„Das ist so üblich bei denen.“ Aber Kenneth Cuillin lehnte sich unwillkürlich ein wenig vor, um aufmerksamer zuzuhören.

„Mag sein. – Und am Schluss sollte keiner der Menschen überleben. Das.…das wurde zum Glück verhindert. Aber etwas, das da jemand sagte, ließ in mir den Verdacht aufsteigen, dass das schon öfter so durchgezogen wurde – mit Erfolg.“

„Also gab es schon öfter Tote bei Sekten? Ja, ich habe schon von gemeinsamen Selbstmorden gehört. Aber was hat das mit Ihrer Theorie zum römischen Senat zu tun?“

„Angenommen, diese Sektentode hängen zusammen….“ Nun ja, das klang jetzt auch für sie in Beziehung mit dem alten Rom ziemlich albern. Aber immerhin schien er sie ernst zu nehmen – und ihren etwas missglückten Beginn zu entschuldigen.

Kenneth Cuillin nickte. Er glaubte nicht, dass sie ihm schon alles erzählt hatte, aber anscheinend hielt sie die Sache für wichtig genug, ihn in Brüssel aufzusuchen: „Dann fragt sich, wer dahinter steckt, genauer, wer auf diese Idee kam. Eine interessante Theorie, Lady Sarah. Wie sollten die Menschen in Mexiko sterben?“

„Sie…“ Wie sollte sie das umschreiben: „Sie sollten den alten mexikanischen Göttern geopfert werden, Blutopfer, sozusagen.“

Der Inspektor trank einen Schluck Kaffee, ehe er meinte: „Dann werde ich mal nachsehen, ob es mehrere Sektenopfer in den letzten Jahren gab, die Göttern geopfert wurden, ja?“

Sie starrte ihn ehrlich verblüfft an: „Oh, das geht?“

Er musste lächeln: „Aber ja. Ich habe doch Zugriff auf den Interpol-Computer.“

„Ich werde mich wohl doch einmal mit Computern anfreunden müssen…“ Das klang praktisch. Und sie hatte durchaus nicht vergessen, dass Frances in Edinburgh von einer riesigen Bibliothek gesprochen hatte.

Jetzt lag die sichtbare Überraschung auf Seiten des Polizisten: „Sagen Sie nicht, Sie haben keinen.“

„Nein, bislang konnte ich …“ Na ja. Sie bevorzugte das Schreiben mit Feder und Tinte und hatte sich nur mit den praktischen Füllfederhaltern anfreunden können. Kugelschreiber, fand sie, ruinierten ihre Schrift. So zuckte sie nur die Schultern.

Cuillin lachte: „Das nenne ich mal eine Seltenheit. – Gut. Ich werde nachsehen. Wie lange sind Sie in Brüssel?“

„Geben Sie mir Ihre Handynummer? Ich fliege in zwei Stunden nach London.“

„Geben Sie mir Ihre, dann rufe ich Sie an, sobald ich etwas habe.“

„Ich...ich kaufe mir ein neues, da habe ich die Nummer noch nicht. Dann gebe ich sie Ihnen gern.“ Sie hatte das Gefühl, sich gerade genug blamiert zu haben, nach der Sache mit dem Computer. Sie sollte wohl wirklich einmal mit der Zeit gehen. Hatte das etwa der alte Kadash nicht getan oder nicht tun können? Und hoffte, sein Nachfolger käme auf die richtige Idee? Unsinn, rief sie sich zur Ordnung. Noch war ja nicht einmal gesagt, ob da wirklich eine Gemeinsamkeit bestand, geschweige denn, eine Verschwörung lief.
 

Als sie das viktorianische Haus in London betrat, das ihr „Vater“, Lord John Buxton, besaß, eilte ihr in der Halle der Butler entgegen, in der Kleidung, die vor über hundert Jahren für diesen Berufsstand üblich gewesen war: „Oh, Mylady, warum haben Sie nicht angerufen, wann Sie kommen? Oder nein, ich sollte ja nun Inquisitor sagen.“

„Lassen Sie es nur bei Mylady, Thomas. Ist mein Vater da?“

„Ja, Mylady. Er ist im Arbeitszimmer.“ Er nahm ihr die Tasche ab: „Hatten Sie gute Jagd oder soll ich Ihnen etwas aus dem Vorrat besorgen?“ Er war der einzige wahre Schüler Lord Johns, aber für ihn war Sarah, wie auch sein Meister, jemand, den er umsorgen konnte.

„Danke, ich jagte auf dem Flughafen.“ Sie wandte sich ab, um in das Arbeitszimmer des Hausherrn zu gelangen.

Wie eigentlich immer lehnte Lord John in einem breiten Sessel an seinem Schreibtisch und las, blickte aber auf: „Sarah, willkommen zu Hause. Hattest du Erfolg, mein Kind? Ich meine, Kadash?“ Er trug eine schwarze Hose und ein blütenweißes Hemd, darüber allerdings seinen dunklen Hausmantel, den er nur ablegte, falls er Gäste erwartete.

„Ja.“ Sie setzte sich ihm gegenüber.

Er betrachtete sie: „Die Nacht ist noch nicht weit fortgeschritten, du scheinst getrunken zu haben…und doch wirkst du müde. Machst du dir so viele Gedanken um deine Berufung?“

Sie lächelte, eigentlich nicht überrascht: „Auch. Du kennst mich gut. – Sag, wärst du dagegen, wenn ich mir einen Computer zulege? Ich sah bei dem Auftrag in Edinburgh, wie nützlich das sein kann.“

„Nein, tu nur, was du meinst. Du bist nun der Inquisitor.“

„Ja. Dazu wollte ich dich auch etwas fragen.“ Sie wies auf die Papiere: „Du beschäftigst dich seit Jahrhunderten mit den Sitten der Vampire. Deine Bibliothek dürfte umfassend sein.“

„Du schmeichelst mir. Ich weiß, dass die Bibliothek des Hohen Rates weit größer ist. Aber ich komme nur sehr selten dorthin. Sie liegt, wie du sicher weißt, im afrikanischen Rift Valley. Ich denke, im Augenblick hütet Mahabarati die Sammlung. Auch ein Ratsmitglied.“

„Ja, ich habe sie kennen gelernt.“ Das war also die Bibliothek, die Meister Cacau erwähnt hatte. Nun, da hatte die Inderin sicher viel zu lesen und zu betreuen. „Was ich dich fragen wollte: ich bin der Inquisitor. Der Rat erteilt mir Aufträge und ich ermittele und entscheide selbstständig.“

„Ja.“ Aber das klang abwartend. Er wusste, dass der zweite Teil der Frage sie eher betreffen würde.

Sarah zögerte auch kaum merklich, ehe sie herausplatzte: „Wie sieht es aus, wenn ich selbst etwas eigenartig finde?“

Lord John verschränkte die Hände und musterte seine Adoptivtochter: „Willst du eine sachliche Antwort oder die deines Vaters?“

„Macht das einen Unterschied?“ fragte sie verblüfft zurück.

„Leider. - Nun, der Kadash hat das Recht, selbst zu entscheiden, wann er gegen wen ermitteln will. Allerdings bleibt die Verantwortung gegenüber dem Rat bestehen. Ich denke, es wäre in solch einem Fall korrekt, dem Rat die Beweise vorzulegen und diesen entscheiden zu lassen. Und meine Meinung: Sarah, wenn du nach so kurzer Zeit als Inquisitor schon anfängst, Gespenster zu sehen, ist das nicht gut. Überlege dir, ob du die Belastung weiter tragen kannst. Ich denke nicht, dass ein Rücktritt nicht angenommen werden würde.“

„Nein. Das ist es nicht.“ Sie musste sich zwingen, sachlich zu bleiben. Er meinte es aber gut mit ihr, hatte es schon immer getan: „Ich…ich habe in Mexiko eine Spur gefunden, der ich folgen will. Und es mag sein, dass mich diese Spur sehr weit führt.“

„Sehr weit.“ Der Londoner Meistervampir erhob sich: „Das klingt so, als ob ich mir Sorgen machen sollte. Du weißt, dass deine Stellung nicht unumstritten ist. Du hast nie einen Meister gehabt, in dem Sinn. Gut, ich habe dich gelehrt, Donna Innana hat es getan, aber das ist etwas anderes als das Verhältnis eines Schülers zu seinem Meister, der ihn verwandelt hat. Es gibt sicher nach wie vor Vampire, die dich gern fallen sehen würden.“

„Ja, dessen bin ich mir bewusst.“

„Sarah….“ Er ging um seinen Schreibtisch herum und blieb vor ihr stehen: „Ich weiß, man soll den Inquisitor nicht fragen, was er ausforscht, aber….kannst du mir sagen, dass deine Ermittlungen für das Volk der Vampire nützlich sind?“

Sie sah zu ihm auf, berührt über die sichtbare Besorgnis in seinem Gesicht: „Wenn meine Befürchtung stimmt: unbedingt. Sollte sich jedoch herausstellen, dass ich mir das nur eingebildet habe, werde ich unverzüglich mit den Nachforschungen aufhören.“

Lord John musterte sie: „So schüchtern du oft bist – in dieser Sache klingst du deiner selbst äußerst sicher. In diesem Fall werde ich dir helfen. Wenn du Fragen hast, frage. Oh. Und versuche jemanden zu finden, der dir diesen Computer erklären kann. Ich habe davon keine Ahnung und ich fürchte, Thomas auch nicht, so vielseitig er auch sonst ist. – Er hat jetzt Fernsehen im Kaminzimmer installiert.“ Nun, genauer gesagt, hatte sein „Kind“ ihn gefragt, ob er etwas dagegen hätte, dort einen Fernseher installiert zu bekommen. Lord John hatte zugestimmt, in dunkler Erinnerung an einen großen schwarzen Kasten – und war über das Ergebnis eine Art Kinoleinwand an die Wand geschraubt zu sehen, sehr überrascht gewesen.

„Das ist sicher nicht schlecht.“ Sie musste lachen. Thomas neigte dazu, alles im Haus selbst erledigen zu wollen. Offiziell, damit kein Mensch merkte, dass hier drei Vampire wohnten, aber sowohl John als auch Sarah wussten, dass er der felsenfesten Überzeugung war, niemand könne es besser als er selbst. Er war seit dem großen Brand von London 1666 Vampir und er liebte die Rolle des Butlers seines Meisters. Vielleicht ein Widerschein der Tatsache, dass er einst am Hofe Charles des Zweiten gedient hatte. „Oh… ich werde mir auch noch ein Handy zulegen.“

Lord John seufzte: „Und ich war stolz auf mich, dass ich lernte, mit einem gewöhnlichen Telefon umzugehen. Aber mach, was du für richtig hältst. Wann immer ich dich mit Geld oder Wissen unterstützen kann, werde ich es tun, mein Kind.“

Sarah spürte wieder dieses warme Gefühl, das sie immer umfing, wenn er diese Anrede verwendete. Er hatte sie aufgenommen, ausgebildet, alles getan, was ein Meister für seinen Schüler tun würde –und das, obwohl sie nicht durch ihn zu einem Vampir geworden war. Zuerst hatte sie es doch immer gehofft, aber das war schon Jahrzehnte her. Inzwischen wusste sie, dass sie wohl nie erfahren würde, was damals geschehen war. „Danke, Vater. – Ich möchte mich zurückziehen. Der Zeitunterschied zu Mexiko macht mir noch immer ein wenig zu schaffen.“

„Natürlich. Erhole dich gut.“

Sie stand auf: „Fernsehen, also?“

„Im Kaminzimmer. Ich fürchte nur, nach einem ersten Blick, wir haben nichts versäumt, das nicht zu besitzen.“

„Hauptsache, Thomas ist glücklich.“

„Da hast du Recht.“

Sarah verließ das Arbeitzimmer und ging empor in die beiden Zimmer, die sie im ersten Stock bewohnte. Ehe sie sich in ihr Schlafzimmer zurückzog, setzte sie sich allerdings an ihren eigenen Schreibtisch im so genannten Morgenzimmer und suchte eine Nummer in Edinburgh, wählte.

„Lady Sarah Buxton. Gute Jagd, Frances. Ich habe eine Frage an Sie zum Thema Computer. Wäre es möglich, dass Sie so freundlich wären, mit mir einen kaufen zu gehen, oder ihn mit gar zu erklären? – Ja, natürlich, Fragen Sie Sir Angus.“ Sie wartete fast fünf Minuten lang, ehe ihre Gesprächspartnerin wieder am Telefon war. „Oh, das freut mich. Ich werde Sie dann vom Zug abholen. Vielen Dank.“
 

*********************************
 

Im nächsten Kapitel geht es um Computer- und Handyeinkäufe, einen Zornesausbruch Inspektor Cuillins und unerwarteten Besuch
 

bye
 

hotep



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (10)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2009-07-09T07:58:16+00:00 09.07.2009 09:58
Der Kadash rüstet sich für neue Zeiten auf!^^
Ein Handy und ein Computer.....für mich Dinge die ich benötige....für Sarah etwas unbekanntes und bestimmt kompliziertes.
Bin auf das nächste Kapitel gespannt^^

lg moongirl
Von:  Krylia
2009-07-06T12:54:09+00:00 06.07.2009 14:54
Hm, nächstes Mal geht es wohl eher gemütlich zu.
Von:  Tigerin
2009-07-02T16:29:01+00:00 02.07.2009 18:29
Huh.. interessant, interessant. Was da wohl los ist? Und wer steckt dahinter?
Lord John hat mir sehr gefallen. Diese ehrliche Besorgnis. Toll. Er hat sie gern, das hat man bemerkt..^^ Und auch Thomas. Anfangs dachte ich wirklich an einen Butler.. *g* aber dass er ein Schüler ist. Sarahs Ausspruch „Hauptsache, Thomas ist glücklich.“ hat mir auch sehr gefallen. Das klang nach glücklicher Familie.^^
Cuillin könnte wütend werden, da Sarah in den Berichten bestimmt namentlich erwähnt wird. Und da sie sich ín Gefahr begeben hat.. hm.. er ist wirklich nicht auf den Kopf gefallen. Irgendwann sollte ihm auffallen, dass immer irgendwelche Morde passieren und sie ist dabei..

LG,
Tigerin
Von:  Teilchenzoo
2009-06-26T11:52:32+00:00 26.06.2009 13:52
Wutausbruch? Weil Sarah seiner Meinung für eine zarte Frau zu weit geht?

Handy und Pc^^ ... Laptop? wäre schön, dann könnte sie auch .. .naja, Vampire haben es ja nicht so mit draußen. Aber auf der Veranda oder dem Balkon *selbst immer macht*

Da kommt sicher noch ne ganz böse Verschwörung ... gut, dass sie Hilfe erhält von unserem Inspektor. Der sehr Gentlemen ist. auch, wenn ich als seine Ehefrau eifersüchtig wäre^^.

Lord John ist sehr nett ... und Thomas hatte ich vom ersten Augenblick an in mein Herz geschlossen^^. Was für ein genialer Charakter.

Tja ... dann sind wir auf den Besuch in Mesopotamien gespannt (der hoffentlich noch kommt ... wenigstens am Ende;)), und wie der Einkauf verläuft.

Ach ja ... hat Lady Sarah vergessen, die Grüße auszurichten? Bitte bitte, sag ja! Dann bin ich nicht die Einzige, der das immer passiert^^.

Lg neko =^.^=
Von:  ayakoshino
2009-06-25T17:18:47+00:00 25.06.2009 19:18
Das wird immer spannender! Auf jedenfall bekommt sie Hilfe von Inspektor Cuillin, das ist gut. Aber wieso bekommt der einen Wutausbruch?
Lord John kommt mir sehr nett rüber, ich mag ihn!^^ Aber diese Ermittlungen können gefährlich werden wenn es sich wirklich um ein Ratsmitglied handelt, hoffentlich passiert ihnen nichts!
Ich freu mich auf das nächste Kap und bin sehr gespannt wie der Einkauf ablaufen wird!^^
Lg ayako
Von:  angel-sama
2009-06-24T13:58:51+00:00 24.06.2009 15:58
Na da bin ich aber neugierig, wie sich Sarah so mit Handy und Computer anfreundet. Aber eine Journalistin ohne Handy, geschweige den PC ist schon sehr merkwürdig, vor allem in der Zeit^^

Inspektor Cuillin bekommt einen Wutausbruch? Kann ich mir kaum vorstellen, er wirkte so nett.

Freu mich wenns weitergeht:)
Von:  kiji-chan
2009-06-21T14:29:09+00:00 21.06.2009 16:29
Wenn zwei oder mehrere Frauen shoppen gehen, geht es nie gut, aber wenn zwei Vampirinnen Elektronik einkaufen gehen, kann es nur schief gehen. XD

Ich bin gespannt, wann Kenneth drauf kommt das Lady S keine Journalistin ist. Denn das könnte den Zornesausbruch erklären. Ich bin froh, dass er weiter dabei ist. Ist seine Frau + Kids auch in Brüssel?

Ich mag Thomas und Lord John sehr. Sollte Thomas nich auch einen Adelstitel haben?
Wieso ist eigentlich Lord Johns Geld nicht alle? Investiert er?

Auf jeden Fall freu ich mich auf das nächste Kapi <3


ncha!
Kiji
Von:  dice70391
2009-06-20T20:37:04+00:00 20.06.2009 22:37
...ich mag Lord John...
das wollte ich nur mal sagen...
und ich bin schon gespannt wie dieser "Wutausbruch" von dem guten Inspektor wohl aussehen wird...

dice
Von: abgemeldet
2009-06-20T09:21:45+00:00 20.06.2009 11:21
Mir gefällt Lord John und das, was über Thomas erzählt wird, gefällt mir auch. Dafür fang ich jetzt an, mir Sorgen zu machen, dass Sarah und ihrer Familie nichts passiert bei den Ermittlungen.

Gibt es bei Vampiren eigentlich so etwas wie Lebenspartnerschaften oder existiert ausschließlich die Meistervampir-Schüler-/Eltern-Kind-Beziehung?

Bin neugierig wie Computer- und Handykauf verlaufen werden und warum Cuillin wütend wird.

LG

Zwiebel
Von:  don-kun
2009-06-19T22:29:22+00:00 20.06.2009 00:29
Jetzt hab ich beide Kapitel zusammen gelesen :)

Es entwickelt sich ja immer noch weiter, nimmt das denn kein Ende? ^_^

Wirklich mysteriös, was da unter den Vampiren vorgeht. Und eine tolle Stimmung hast du wieder erzeugt, auch mit vielen Details in der Handlung.


Zurück