Zum Inhalt der Seite

[24/7] Zwischen den Zeilen

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Persona

Persona

 

Obwohl Light derjenige war, den der Blick aus den durchdringend schwarzen Augen derart schmerzte, dass seine Kehle zu brennen schien, war es L, der sich zuerst abwandte. In Windeseile hatte er seine Blöße bedeckt, seine Jeanshose wieder hinaufgezogen und die von den Metallfesseln zerschundene Hand in dem weißen Shirt vergraben. Er sprang vom Bett und schien davoneilen zu wollen, als hätte er vergessen, dass er selbstverschuldet mit dem anderen Mann verbunden war und gar nicht fliehen konnte. Doch sobald er einen Fuß auf den Boden setzte, verließ ihn sämtliche Kraft und er knickte ein. Die verkrampfte Lage auf dem Bett, das zuvor auf ihn ausgeübte Gewicht hatte die Blutzufuhr in seinen Beinen gehemmt, sodass er sie nun kaum zu spüren und erst recht nicht zu belasten vermochte. Seine Gliedmaßen kamen ihm bleiern und taub vor. Nicht zuletzt klang jenes unerträgliche Gefühl in seinem Körper nach.

L keuchte wütend. Seine Haltung verkörperte die Möglichkeit, jeden Moment hochschnellen und davonlaufen zu können, doch rührte er sich nicht. Die Möglichkeit war nur eine Illusion. Er konnte nicht mehr davonlaufen.

Mit einem Knie auf dem Boden, das andere Bein dagegen zum nächsten Schritt bereit, ließ L die Stirn auf sein angewinkeltes Bein sinken, während er neben dem Bett hockte und seinen schweren Atem zu beruhigen versuchte. Den Kontrollverlust spürte er bis in die Fingerspitzen. Er klammerte sich fester in den Stoff seines Shirts und merkte, wie es darunter unangenehm an seinem Bauch klebte. Das schwarze Haar verdeckte seine Augen.

Light konnte den Gesichtsausdruck seines Freundes lediglich erahnen. Wahrscheinlich hielt dieser den Kopf absichtlich gesenkt und versteckte sich hinter dem Vorhang seiner wirren Haare, um nicht zeigen zu müssen, wie gedemütigt er sich fühlte.

Wie erstarrt öffnete Light den Mund, sprach jedoch kein Wort, weil es nichts gab, was er hätte sagen, was sein Verhalten hätte rechtfertigen können. Seine geöffnete Handinnenfläche war feucht. Der Schock über sein unrechtes Handeln saß tief in seiner Brust, als hätte er sich in einen Fremden verwandelt, vielleicht in denjenigen, den L unentwegt aus ihm heraus ans Licht zerren wollte. Bereute Light seine Tat? Er konnte es nicht.

Endlich regte sich L. Er umklammerte sein linkes Bein und hob den Kopf, um Light direkt in die Augen zu starren. Es lag kein offensichtlicher Zorn mehr in seinem Blick, welcher so unergründlich war, dass es Light schwerfiel, Ls momentanen emotionalen Zustand zu erraten. Wenigstens war es keine Gleichgültigkeit.

Vorsichtig erhob sich L und verlagerte probeweise sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, als wollte er Zeit gewinnen. Dann überwand er ruhig die kurze Distanz, die durch die Kette zwischen ihm und Light festgelegt war, und schlug dem Jüngeren präzise mit dem Handrücken ins Gesicht. Light war nicht überrascht und ließ es geschehen, doch die Art und Weise dieser Zurechtweisung schmerzte ihn sichtlich. Normalerweise benutzte L seine Füße zum Kämpfen, selten schlug er mit der Faust zu, und normalerweise handelte er bei körperlichen Auseinandersetzungen auch ähnlich wie Light im Affekt. Da er diesmal absichtsvoll und zielgerichtet mit dem Handrücken zugeschlagen hatte, wollte er Light offenbar degradieren und ihn gleichfalls demütigen.

„Erwarte nicht von mir, dass ich mich entschuldige“, sagte Light leise, aber mit Bestimmtheit. Was er getan hatte, konnte er mit Worten ohnehin nicht wieder auslöschen. L packte ihn an den Schultern und schaute ihm eindringlich in die Augen.

„Ich gebe nichts auf Entschuldigungen“, antwortete er mit ungewohnt rauer Stimme. „Sie können nichts rückgängig machen und nichts erklären.“

Nachdenklich musterte Light seinen Partner. Er überdachte dessen festen, jedoch nicht aggressiven Griff und die weiten Pupillen, die stumm nach Antworten suchten. Wenn L den Jüngeren von sich fernhalten wollte, dann war sein jetziges Verhalten eher kontraproduktiv. Innerlich wehrte sich Light gegen die körperliche Reaktion auf Ls Nähe, denn sobald er aus dessen Mimik las, was soeben zwischen ihnen geschehen war, schweiften seine Gedanken ab und die Kontrolle drohte ihm erneut zu entweichen. Mit trockener Kehle fragte Light, wobei er den Kopf zur Seite wandte:

„Du willst es also ungeschehen machen?“

„Das habe ich nicht gesagt, Light-kun. Ich will es nur verstehen.“ Ls Hände glitten herab. Er drückte mit der Geste einer merkwürdig sanften Entschiedenheit Light von sich, sodass dieser schwankend ein paar Schritte bis zur Wand zurückwich und tonlos sagte:

„Das will ich auch.“

Hoffentlich ging es bald vorüber. Light registrierte seine eigenen Aussagen nur flüchtig und schenkte ihnen kaum Aufmerksamkeit, weil er dafür keine Konzentration aufbringen konnte. Er spürte das Prickeln von der Ohrfeige auf seiner Wange und spürte es doch nicht, weil sein Schmerzempfinden im Augenblick gedämpft war. Und obwohl sich das Herz in seiner Brust verkrampfte, konnte Light das dumpf nachhallende Gefühl der Erregung nicht ignorieren.

„Kannst du die Handschellen bitte öffnen?“, fragte er aufschauend.

L schüttelte den Kopf.

„Ich bitte dich.“

„Nein“, antwortete der Meisterdetektiv entschieden.

„Verflucht!“ Light atmete schwer ein und wieder aus, stützte sich mit dem linken Arm an der Wand ab und wandte dem Anderen den Rücken zu. Als er plötzlich Ls Hand auf seiner Schulter fühlte, senkte er resignierend den Kopf.

„L...“, sagte er mit schwacher Stimme. Mehr musste er nicht erklären. Ihm war bewusst, dass der Detektiv seine Lage längst erkannt hatte. Als L beobachtete, wie Light mit sich rang, lächelte er leicht und sagte:

„Warum nennst du mich so? Du hast gesagt, jeder Name, den ich für dich verwende, entspräche der Rolle, die ich dir im jeweiligen Moment gerade zuschreibe, oder? Das ist soweit nichts Außergewöhnliches, schließlich macht das jeder Mensch. Darum frage ich dich nun meinerseits, wen siehst du in mir, wenn du mich, was selten genug vorkommt, L nennst?“

„Was weiß ich...“ Unwirsch wollte Light die Frage abtun, doch dann dachte er darüber nach und entschied sich anders. „Wahrscheinlich mache ich das immer dann, wenn es mir so vorkommt, als würdest du dich verhalten, wie du wirklich bist. Aber eigentlich ist das Verstehen zwischen uns nur eine Momentaufnahme. Oft erkenne ich dich gar nicht. Ich meine damit, dass ich dich nicht greifen kann. Es ist, als wärst du mir völlig fremd.“

„Wie ich wirklich bin, Light-kun? Du weißt, dass es das nicht gibt, dieses wirkliche Selbst. Allenfalls in absoluter Einsamkeit auf einer Art Hinterbühne, doch selbst dort wird es so etwas vermutlich nicht geben. Jedem Menschen gegenüber nimmt man eine bestimmte Rolle ein und verhält sich dementsprechend. Diese Rollen und Masken gehören genauso zum eigenen Ich wie der ganze Rest der Persönlichkeit.“

„Willst du damit sagen, du erscheinst mir nicht nur wegen deiner vielen Lügen so diffus und schwer greifbar, sondern auch deshalb, weil du mir gegenüber gleich mehrere Rollen abwechselnd spielst? Als Ankläger und Rivale, aber auch als Partner und Freund?“

„Wer weiß...“, meinte L leichthin. Seine Stimme klang dumpf, seine Worte erschienen wie abwesend gesprochen. „Vielleicht ist das die Antwort, vielleicht aber auch nicht.“

Light seufzte bitter und sagte:

„Mit dir sind manche Sachen viel komplizierter als mit anderen Menschen. Aber gleichzeitig sind andere Dinge so viel einfacher. Du machst es mir leicht und du machst es mir auch unglaublich schwer.“

„Lass uns ins Bad gehen.“ L nahm die Hand von Lights Schulter. „Ich muss mich sauber machen. Glaub nicht, dass du der Einzige bist, der sich der Demütigung aussetzen muss, wenn ich die Handschellen nicht öffne. Vergiss das nicht, Light-kun.“

Warum hörte es nicht auf? Nervös folgte ihm Light in das Badezimmer und ärgerte sich darüber, dass er die Kontrolle nicht zurückerlangen konnte. Lag es an der langen Zeit der Abstinenz? An ihm selbst, seiner mangelnden Selbstdisziplin? An L und einem emotional falsch interpretierten Verlangen nach Anerkennung?

Der Detektiv stellte sich vor das Waschbecken, entledigte sich des weißen Shirts und warf es verächtlich in eine Ecke des Badezimmers, wo bereits die Handschellen lagen, die er kurz zuvor geöffnet hatte. Light wandte sich ab und versuchte so rasch wie möglich, und doch mit linkischen Bewegungen, sich zu entkleiden. Danach stieg er in die Duschkabine, unentwegt darauf bedacht, L den Rücken zuzukehren.

Er starrte auf die hellen Fliesen an der Wand und sah wieder die mangels Schlaf dunkel umschatteten, geschlossenen Augen. Wollte er die Kontrolle überhaupt behalten?

„Tu dir keinen Zwang an“, sagte L hinter ihm und berührte Light scheinbar flüchtig an den Lenden. Sofort griff dieser nach vorn, um das kalte Wasser aufzudrehen, sodass der Andere von ihm abließ.

„Du findest das wohl amüsant?“, fragte er dann.

L antwortete nur:

„Auge um Auge.“

 

Im nüchternen und wachen Zustand gab es nur eine einzige Welt. Trotz verschiedener Gefühle, trotz des Anspruchs jedes Einzelnen, allein um die eigenen Emotionen zu wissen, mussten Individuen für den Erhalt der Gesellschaft das Zugeständnis machen, dass sie einander verstehen konnten. Wie konnte man von jemandem verlangen, Rücksicht zu nehmen, wenn man ihm nicht zubilligte, dass er alle Gefühle aus eigener Erfahrung kannte?

Die Hinterbühne lag in Einsamkeit. Der Traum war vielleicht der einzige Ort für diese Hinterbühne.

Light suchte vergeblich nach Schlaf, während er reglos im Bett lag. Wenn wir wachen, so haben wir eine gemeinschaftliche Welt, dachte er und starrte hinauf in die Dunkelheit. Schlafen wir aber, so hat ein jeder seine eigene. Er wusste, dass ihm dieser Ort längst genommen worden war.

Es war schwer, jede Sekunde des Tages mit einer anderen Person teilen zu müssen, ohne Privatsphäre, ohne einen Moment des Innehaltens und Luftholens. Was es so schwer machte, war die permanente Konfrontation mit sich selbst.

 

Der nächste Tag brach an. Light warf einen Blick auf seine Armbanduhr, die ihm sein Vater zur bestandenen Aufnahmeprüfung an der Universität geschenkt hatte. Dann schaute er auf die Datumsanzeige seines Computers. Morgen war der achtundzwanzigste Oktober. Der Tag, an dem ihr Plan in die Tat umgesetzt werden würde.

Derweil saß L in seiner üblichen Haltung auf dem Sofa. Vor ihm auf dem Glastisch war ein Teegedeck ausgebreitet. Verteilt auf mehreren Tellern waren zur Jahreszeit passende Nerikiri angerichtet, ein marzipanähnlicher Teig, der zierlich zu kleinen Kunstwerken geformt worden war. Die Süßigkeiten sahen aus wie buntes Herbstlaub. L nippte an seinem weißen Tee und warf noch ein weiteres Stück Zucker hinein.

Ihm gegenüber saß Herr Yagami im Sessel, trank seinen Kaffee mit etwas Milch und ohne Zucker, während er ernst in den Seiten der aktuellen Zeitung blätterte.

Selten war Light so sehr wie in diesem Moment bewusst, dass sich die öffentlichen Situationen stark von denen im Privaten unterschieden. Weder L noch ihm war anzumerken, dass sich etwas verändert hatte oder dass die beiden Ermittler sich anders zueinander verhalten würden. Es war, als wäre nie etwas geschehen, als würde sich nie etwas zwischen ihnen im Auge eines Außenstehenden verändern. Waren ihnen die Rollen, die sie im Team spielten, schon in Fleisch und Blut übergegangen? Light kam es eher so vor, als würde es ihn mehr Anstrengung kosten, sich nicht zu verstellen. War es denn überhaupt Verstellung oder Lüge, wenn jede seiner Masken zu ihm gehörte und ein Abbild seiner wahren Persönlichkeit darstellte?

„Das ist unfassbar!“, rief Herr Yagami empört aus. „Jetzt werden in der Zeitung schon statistische Erhebungen zu den vermutlichen Kira-Morden abgedruckt, um, wie es heißt, eine prozentuale Verteilung herauszustellen.“

Interessiert stand Light auf und ging zu seinem Vater hinüber. Dieser fuhr fort:

„Dabei wird noch nicht einmal berücksichtigt, wie stark zum Beispiel die Verbrecher aus den jeweiligen Milieus überhaupt im Gefängnis vertreten sind. Man stellt sich offenbar die Frage, ob Kira rassistische Tendenzen aufweist oder ähnliches.“

„Wie gerecht sind seine Urteile wirklich?“, las Light ungläubig vor, während er seinem Vater über die Schulter schaute.

„Wie kann man da überhaupt von Gerechtigkeit sprechen?“, fügte der ehemalige Polizeiinspektor hinzu. „Die Menschheit brauchte Jahrhunderte, um ein funktionierendes Rechtssystem aufzubauen, nur damit irgendjemand ohne jede Justizgewalt dahergelaufen kommt und mit seinen vermeintlichen Idealen alles über den Haufen wirft.“

„Es wäre zumindest nicht das erste Mal“, kommentierte L leise. „Jeder dumme Junge kann einen Käfer zertreten, aber alle Professoren der Welt können keinen erschaffen.“

„Ich glaube nicht, dass Kira alles über den Haufen wirft“, meinte Light nachdenklich. „Die Polizei mag uns im Stich gelassen haben, aber die Instanz an sich wurde deshalb nicht abgeschafft. Sie wird zwar gerade unter Druck gesetzt, aber die Vergangenheit hat oft genug gezeigt, dass sich ständig ein gesellschaftlicher Wandel vollzieht, der nach Extremsituationen trotzdem zu den Wurzeln zurückfindet. Es ist nahezu lächerlich, zu behaupten, die Demokratie zöge sich wie eine roter Faden von der griechischen Antike durch die Geschichte bis zur heutigen Zeit, weil jeder Staat sein einzigartiges System mit sich bringt. Kira führt momentan ein tyrannisches Regiment über die ganze Welt, doch Staaten werden sich in Unabhängigkeit immer an ihre Traditionen halten, die sie lediglich im System institutionalisiert haben, um ihnen den Anschein eines durchdachten Komplexes zu geben.“

„Aber wenn Kira nun seine Herrschaft behält...?“ Herr Yagami stellte diese Spekulation nur ungern in den Raum. Er würde alles Erdenkliche tun, um das zu verhindern.

„Früher oder später wird diese Schreckensherrschaft zusammenbrechen.“ L sprach seine Mutmaßung derart selbstsicher aus, als hätte er sie zuvor hinreichend belegt. „Kiras Weltanschauung ist zu melioristisch, um Bestand zu haben. Die Erschaffung einer Utopie ist das Eine. Jeder ist sich darüber im Klaren, dass es sich nur um eine Illusion handelt. Doch der Irrglaube, dass wir in der Zukunft einen vollständig guten Zustand erreichen, wird im Sande verlaufen. Es scheitert schon daran, einen genügend charismatischen Führer zu finden, der die Ideologie auf angebrachte Weise fortsetzt. Außerdem wird es, genauso wie es Menschen gibt, die Kira beipflichten, auch immer Menschen geben, die sich von ihm unterdrückt fühlen werden. Der Schrei nach Freiheit führt irgendwann fast immer zu Reformation oder Revolution.“

„Aber werden die Bürger nicht zu große Angst haben, sich jemals aufzulehnen?“, fragte Herr Yagami stirnrunzelnd. „Gewaltsam getötet zu werden hat die Menschen in den vorigen Epochen nicht davon abgehalten, die Machtinhaber anzugreifen. Schließlich geschah das für die Ehre. An die Namen derjenigen kann man sich noch heute erinnern. Aber Kira tötet auf unentdeckte Weise. Man würde sang- und klanglos untergehen, ohne etwas erreicht zu haben oder einen Märtyrertod gestorben zu sein, dem die Nachfolger gedenken.“

„Macht durch Furcht aufzubauen ist keine Neuheit, Vater.“ Light stützte seine Arme auf die Rückenlehne des Sessels. „Natürlich nutzen viele Staaten, besonders diktatorische, das Streben nach einem Ziel, um das Gemeinschaftsgefüge zu stärken. Doch das Fürchten steht vor dem Wünschen. Man wird schneller aktiv, wenn man befürchtet, es könnte noch schlechter werden, als dass man sich erhebt, damit ein bereits akzeptabler Zustand noch besser wird. Meistens gewöhnen sich die Bürger nach und nach an ihre Situation. Sie lehnen sich erst dann auf, wenn es nicht mehr anders möglich ist, wenn sie nichts mehr zu verlieren haben, weil jede Konsequenz ihres Aufstands besser wäre als das Leben, das sie führen müssen.“

„Darüber hinaus“, schloss sich L der Aussage seines Partners an, „folgt das Volk nur seinem vorbestimmten Weg, denn selbst ein Aufstand wird meist von einem Anführer angezettelt, der nicht weniger charismatisch ist als das Oberhaupt selbst. Überhaupt unterscheidet sich der Bürger vom Sklaven nur in der Art der ihn antreibenden Stimuli. Ein Sklave wird bestraft, wenn er etwas falsch macht, Bürger dagegen werden belohnt, wenn ihre Handlungen Erfolg mit sich bringen. Eine Lenkung funktioniert aber von beiden Seiten gut. Die Strafe kann weit effektiver sein als der Lohn, aber sie ist auch ungleich gefährlicher. Zu harte Strafen können sich ins Gegenteil verkehren und zum Aufstand führen. Darum muss man die Einflussnahme sehr bedacht setzen, Zuckerbrot und Peitsche in dezenter Ausprägung, mit Sanktionen, die positiv wie negativ sind, aber stets sehr mild und vorsichtig, damit die Masse von der Lenkung nichts merkt.“

„Das klingt, als sei das Volk nur eine Herde aus dummen Schafen“, kritisierte Herr Yagami die Darstellung des Meisterdetektivs. Der ältere Mann wusste, dass die Masse leicht zu beeinflussen war, aber dennoch wollte er an das Gute in ihnen glauben, an ihre Aufrichtigkeit und Selbstbehauptung. Sein Sohn, der hinter ihm stand, pflichtete ihm bei.

„Nur weil sich die Bürger lenken lassen, geben sie deshalb nicht gleich vollständig ihr Denken und ihre Verantwortung ab. Freier Wille bedeutet nicht die Freiheit des Willens, sondern die Freiheit des Wollenden, denn frei ist in diesem Fall niemand und doch jeder gezwungenermaßen.“

L zuckte mit den Schultern und meinte:

„Dann besteht ihre Freiheit wohl nur noch darin, sich auszusuchen, wovon sie sich lenken lassen. Früher war Unwissen ein gefährlicher Faktor, doch heutzutage sind die Menschen weltweit miteinander vernetzt, sodass die ungezähmte Preisgabe von allem zur neuen Hydra geworden ist, ein Netzwerk, das um sich greift, egal wie viele Köpfe man ihm abzuschlagen versucht. Ein ständiger Informationsaustausch findet statt, der ein Segen, aber auch ein Fluch sein kann. Öffentlichkeit ist global und unkontrollierbar geworden.“

„Ob Flugblatt oder Weblog, ein öffentlicher Aufruhr der Masse war noch nie leicht unter Kontrolle zu bringen“, gab Light zu bedenken, „und es hat meistens dazu geführt, dass neue Ideen sich einen Weg bahnten, neue Ausdrucksformen der Meinungsäußerung oder Kunst und Kultur. Jeder ausgeübte Druck findet irgendwo auch ein Ventil.“

„Ist Fortschritt und Kultur dann nur das krankhafte Resultat unserer eigenen Unterdrückung?“, fragte L rhetorisch und hielt zwischen Daumen und Zeigefinger ein Nerikiri hoch, das geformt war wie ein roter Apfel. „Die Motivation unserer technisch weiten Entwicklung hieße demnach Kapitalismus und somit oftmals auch Krieg.“

„Das ist doch nur eine Behauptung!“, widersprach Herr Yagami und faltete die Zeitung zusammen.

„Stimmt“, gab L scheinbar bereitwillig zu, „nur eine Behauptung, die sich schwer belegen lässt.“

Alles weitere, was es noch zu sagen gab, hob sich der Detektiv für später auf, wenn er mit Light allein sein würde. Es ergab schließlich mehr Sinn, mit jemandem darüber zu sprechen, der in realistischeren Bahnen dachte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
1. Persona stammt aus dem Altgriechisch und bedeutet „Maske“. Erste Inspiration für diesen Titel war der japanische Film „Persona“.
2. Was Light über die eigene Welt des Schlafes denkt, ist ein Zitat, das Immanuel Kant in seiner „Anthropologie“ verwendet, dessen Urheber aber nicht, wie Kant meint, Aristoteles ist, sondern Heraklit.
3. Dass jeder dumme Junge einen Käfer zertreten, aber die klügsten Wissenschaftler keinen erschaffen könnten, ist ein Zitat von Arthur Schopenhauer.
4. Das Gespräch über das Funktionieren von Staaten und den Willen des Volkes basiert teils auf Anschauungen von Avishai Margalit und Thomas Hobbes. Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Kaylee
2014-04-26T11:08:30+00:00 26.04.2014 13:08
Hm.. die Beziehung zwischen den Beiden spitzt sich ja langsam zu. Endlich mal eine Handlung die sich Beide nicht erklären können. Mir hat Ls Reaktion darauf und wie Light sie auffasst von der Beschreibung her ziemlich gut gefallen. Wobei eine Ohrfeige ja fast schon typisch ist? Und ohne Scherz bei Ls letzter Aussage "Auge um Auge" könnte ich nicht mehr. Ich habe mich so weggelacht :D
Zu Kira Regentschaft wird ja gesagt, dass sie kein Bestand hat und dem stimmte ich auch zu. Dennoch habe so leichte Zweifel an Ls Begründung, wenn er sagt, dass der Schrei nach Freiheit irgendwann fast immer zu Reformation oder Revolution führt. Unabhängig davon das es an sich schwierig ist Kira zu stürzen durch die Macht, die er durch das Death Note erhalt, sind die meisten Menschen nicht eher passive Gewohnheitstiere? Um es mal drastisch auszudrücken. Hat Light nicht soweit Recht, dass erst wenn die Menschen glauben nichts mehr verlieren zu können, sie bereit sind sich den Konsequenzen eines Aufstandes zu stellen? Ist der vorherrschen Grund nicht mehr Unzufriedenheit der eigenen Lebenslage (durch z.B. finanzielle und soziale Missstände) als der Wunsch nach Freiheit? Dabei stellt man sich auch die Frage: Was ist wichtiger Sicherheit oder Freiheit?
Das bringt mich zu einem Punkt, den ich mich schon immer gestellt habe, wenn ich DN gelesen habe. Nehmen wir an L schafft es nicht Kira aufzuhalten und Kira gelingt es in soweit alle Mörder in Gefängnissen zu töten und schreckt durch die Angst weitgehend alle weiteren Verbrechen dieser Art ab. Wie geht es dann weiter? Als nächstes Folgen die Vergewaltiger? Und danach Diebe/Betrüger? Schließlich alle die nicht zum Wohle der Gemeinschaft handeln?
Ich meine natürlich, hat Light schon immer Tendenzen zu Kira gezeigt durch seinen extremen Gerechtigkeitssinn. Aber das Death Note hat nicht grade bei seinem Größenwahnsinn geholfen. Also würde es nicht immer schlimmer werde je länger er das Death Note nutzt? Und natürlich könnte er so oder so niemals sein Ziel erreichen? Aber wenn müsste er sich dann nicht reintheoretisch selber umbringen, weil er zum Mörder geworden ist? Und wenn wahrlich Gerechtigkeit herrscht, muss es doch Niemanden mehr geben, der die Ungerechtigkeit bestraft?




Inwieweit schränkt Kira


Wenn Kira sein fast

Antwort von:  halfJack
03.06.2014 18:54
Am merkwürdigsten an diesem Kapitel fand und finde ich wohl, dass die beiden eine komplizierte Diskussion weiterführen, obwohl sich Light in einem prekären "Zustand" befindet. Ich weiß nicht, ob ich das nun noch nachvollziehbar, realistisch oder logisch finde, denn eigentlich müsste bei Light in der Zwischenzeit ja alles wieder in sich zusammenfallen, um es mal so zu formulieren. Es entbehrt allerdings nicht einer gewissen Komik. Im Nachhinein ist mir aufgefallen, dass ich manch intime Situation oft mit Analytik in Gesprächen oder Gedanken unterbreche, vielleicht um die Distanz wiederherzustellen? Ich glaube, dadurch werden die Situationen in ihrer Intensität gehemmt oder wieder beruhigt und ich bin mir noch nicht sicher, ob das gut oder schlecht ist.

Ich kann es nur vermuten, aber deine Einstellung zu Ls Aussage in Bezug auf den Schrei nach Revolution und Freiheit, entnehme ich, dass du womöglich kein Kira-Befürworter bist, oder? Man könnte es nämlich auch andersherum verstehen, indem der Aufschrei der Menschheit überhaupt erst zu Kiras Machtübernahme führte, immerhin waren die Medien, viele Staaten und fast die gesamte Öffentlichkeit am Ende auf seiner Seite. Geschah das durch seine Diktatur? Light hat zu Beginn lediglich Verbrecher ermordet, ohne seine Identität zur Schau zu stellen, ohne jemanden zu erpressen oder auf seine Taten hinzuweisen. Erst im Internet kursierten Gerüchte über jemanden, der gerechte Urteile fällt, niemand sprach von einem Übeltäter, und sie gaben ihrem "Erretter" sogar einen Namen. Im Prinzip hat sich die Welt, wie ich es in 24/7 sogar einmal formulierte, Kira also selbst erschaffen und ihn in der Masse weiter unterstützt.
Light sagte am Ende der Serie zu Near, wenn dieser Kira nun aufhalten bzw. auslöschen würde, wäre seine Tat Unrecht, weil die Mehrheit sich bereits für Kira entschieden habe. Kira war die neue, von Staat und Volk befürwortete Gerechtigkeit, wenn man so will.
Ich möchte damit nicht festlegen, dass Kira das Gute sei. Es ist mir nur wichtig, zu zeigen, dass man Gut und Böse in dieser Hinsicht unterschiedlich auslegen kann. Diese ganze Debatte bewegt sich quasi jenseits von Gut und Böse.

Deinen restlichen Ausführungen und aufgeworfenen Fragen stimme ich voll und ganz zu. Auch der Vermutung, dass Light irgendwann außer Kontrolle geraten würde. Man kann dahingehend nur Vermutungen anstellen. Als er Mikami das Heft überließ, ging dieser schnell zu weit, indem er beispielsweise Verbrecher bestrafen wollte, die ihre Taten bereits gesühnt hatten. Light dachte selbst, das dürfe nicht geschehen, das wäre keine Gerechtigkeit, sondern Rache. Oder zumindest... sei es noch zu früh. Ich glaube, dass sich Light sehr gut beherrschen konnte, dass er seinen Verstand sehr viel länger im Griff hatte oder haben konnte als Mikami, der dem Druck relativ zügig erlag. Es ist nur eine Vermutung, aber ich glaube daher wie du, dass niemand eine solche Aufgabe dauerhaft tragen kann. Nach außen war es vielleicht nicht sichtbar, aber Lights Geist wurde meines Erachtens über die Jahre Stück für Stück zerrüttet. All das offenbart sich erst ganz zum Schluss, in seinen letzten Minuten. Ich halte Kiras Idee für richtig, aber kein Mensch ist stark genug, um diese Aufgabe zu übernehmen. Dafür müsste man ein Gott sein. Das allerdings ist Light nicht.
Außerdem müsste er sich in letzter Konsequenz tatsächlich selbst töten.
Antwort von:  Kaylee
21.06.2014 14:09
Um ehrlich zu sein, bezog ich mich bei meiner Kritik von Ls Ausführungen gar nicht auf die Machtübernahme von Kira. Zumindest nicht auf seine Ursachen. Soweit habe ich gar nicht gedacht :(
Eigentlich habe ich mich in ein Gedankenexperiment zu der Frage: "Was wäre wenn...?" verstrickt. Was wäre wenn Kiras Regentschaft bestehen würde? Falls es so wäre, zweifele ich nämlich, dass der Grund zur Revolution/Reformation die unterdrückte Freiheit ist. Denn ist nicht der vorherrschende Grund- der den Schrei zur Veränderung bewegt, die „eigene Unzufriedenheit“?

Nehmen zum Bespiel die allzeit gern aufgeführte „Französische Revolution“. Jahrhunderte lang herrschte Monarchie im Land. Natürlich kam es zu Demonstrationen, aber bis dahin existierten nie genug Anhänger der Aufklärung. Warum also dann im Jahre 1789? Sowohl der Absolutismus als auch die Privilegien des Adels bestanden zuvor schon. Das Einzige was sich veränderte, war die 100% Verschuldung des Staates. Das zur Folge hätte, dass das Volk hungern musste („eigene Unzufriedenheit“). Waren nicht die Forderungen nach Freiheit, nur Mittel zu Zweck? Um die sozialen Missstände einzudämmern? Ist nicht heute wie damals so, dass jeder denkt, er könnte es besser. Auch wenn er nicht weißt, was es bedeutet, die Verantwortung zu tragen? Nicht das die politische, finanzielle und auch soziale Gleichheit erreicht worden wäre bzw. lange Bestand hatte -bei der „Französischen Revolution“. Aber der Gedanke würde gesät. Ich möchte diesen auch nicht schlecht reden. Ich glaube nur, dass er nicht ausschlaggebend war für die Revolution, sondern eine Konsequenz dessen. Wenn wir das nun auf Kiras Regentschaft beziehen, so besteht für Kira das Ideal der vollkommende Gerechtigkeit.
Daraus schließe ich nimmt auch die Sicherheit einen Faktor ein, der aus dieser Regentschaft resultiert. Darauf bezog sich meine Frage nach, was ist wichtiger Sicherheit oder Freiheit?

(Unabhängig von dem Aspekt, dass Kiras Gerechtigkeit von der Gesellschaft schon größtenteils legitimiert würde. Dann wäre es ja theoretisch an sich ein Verbrechen, dagegen vorzugehen? Dabei existiert zu diesem Moment ja noch die Ermittlung gegen Kira. Dabei entsteht natürlich die Frage: Wenn die Mehrheit einer Gesellschaft das Verhalten von Kira befürwortet, ist dann nicht auch Recht? Ups…schon sind wir bei der Debatte von Recht und Unrecht/ Gut und Böse, die ich eigentlich auch gar nicht diskutieren wollt XD)

Denn wie kommt es ansonsten das inzwischen die immer weiter Gated Community verbreitet. Das Menschen bereit sind einen großen Teil Ihrer Privatsphäre aufzugeben, nur um dann in Security-Zone-Communitys zu leben?
Unter gewissen Bedingungen nimmt der Schrei nach Freiheit natürlich einen Stellenwert ein. (Alles andere wäre doch eine sehr pessimistische Sichtweise meinerseits :D)
Wie sonst kommt es das der Kommunismus, welcher auch immer sukzessive Züge einer Diktatur annimmt, keinen Bestand hat. In einer Gesellschaft in der keine „Arbeitslosigkeit“ herrscht, in der alle Güter gleichermäßen gerecht verteilt werden, ist es in moralischer Hinsicht schwer dem etwas abzusprechen. Und wenn wir einmal die pekuniären Dimensionen außer Acht lassen, war der wichtigste Faktor doch die fehlende Darstellung der Individualität. War es nun der Verzicht auf bestimmte Güter für die Allgemeinheit, die damit einhergehende eigene Unzufriedenheit oder der Wunsch seine Persönlichkeit frei zu entfalten? Kann man das überhaupt trennen? Wahrscheinlich nicht. Aber auch das Gegenteil, also ein Laissez-faire Kapitalismus ist (wie die Geschichte zeigt) nicht die wahre Lösung. Letztendlich sollte man wahrscheinlich immer einen Mittelweg zwischen Freiheit, Gerechtigkeit und Sicherheit finden.

Noch kurz zu den Ursachen Kiras Idealismus. Ich würde niemals soweit gehen zu behaupten, dass die Gesellschaft keinerlei Einfluss auf die Taten von Kira hat. Schließlich ist es unbestritten, wie sehr das soziale Umfeld einen prägt - insbesondere auch die Erziehung. Es ist natürlich auffallend das auch Lights Vater als Polizist einen ausgeprägten Gerechtigkeitsinn besitzt. Dabei handelt es sich wohl kaum um einen Zufall :D
Eigentlich ist es sogar erschreckend, wie talentiert die Allgemeinheit ist, sich ihre „Probleme“ selbst zu erschaffen. Wenn man sich einmal die Statischen zwischen Täter-und Opfer-Zirkel anschaut. Zu deren Ursachen es ja die verschiedensten Theorie der Bindung gibt, ist doch auffällig, dass in der Mehrheit männliche Opfer, die in ihrem Leben Gewalt erlebt haben, ein höheres Aggressionspotenzial aufweisen und dieses auch ausleben. Wobei weibliche Opfer nicht minder weniger Gewalt erleiden- im Bereich sexueller Gewalt sogar deutlich mehr -, reagieren sie zum großen Teil nicht mit eigener Gewalt gegen andere, sondern richten Aggressionen eher gegen sich selbst und bleiben Opfer. So stimme ich zu, dass die Gesellschaft in gewisser Weise Kira selber erschaffen hat und unterstützt.

Nun bin ich nach diesen Aufführungen ein Kira Befürworter oder nicht?
Ich bin selber nicht imstande diese Frage gänzlich zu beantworten. Für mich Stand immer fest das Kira sein Ideal niemals verwirklichen werden könnte. Andererseits ist das auch nicht die Hauptfunktion eines Ideals. Ich fühlte mich immer mehr zu Lights und somit auch Kiras Charakter hingezogen. Wobei Ls Charakter auch seine Vorzüge hat (Süßigkeitstick :D) . Am Ende bin ich einfach ein Befürworter der Beziehung/Positionen zwischen den Beiden.
Antwort von:  halfJack
02.08.2014 15:36
Die Gespräche zwischen L und Light stellen für mich Ausschnitte dar. Sie setzen nicht dort an, wo sie eigentlich beginnen, und sie werden auch nicht in einer einzigen Unterhaltung zu einem Ende gebracht, weil das bei Diskussionen oder Überlegungen niemals so ist und niemals so funktioniert. Wir denken über eine Sache nach, teilen uns mit, erhalten neue Perspektiven durch fremde Anschauungen, argumentieren und lassen uns den Stand der Erkenntnis in der Zeit bis zur nächsten Auseinandersetzung durch den Kopf gehen, bis wir neue Argumente, neue Erkenntnisse finden. Logischerweise kann man nicht in einem einzigen Satz alle Aspekte der eigenen Meinung vermitteln. L sagt zwar, dass die Menschheit irgendwann nach Freiheit schreit, aber was dazu gehört, erwähnte er an einer ganz anderen Stelle, als er Thomas Jefferson und seine Meinung über die Wahrheit zitierte. Darauf nimmt er hier Bezug. In einem späteren Kapitel sprechen sie zudem darüber, dass sich Menschen einem Zustand fügen, solange er gerade noch erträglich ist. Erst wenn der Druck zu groß wird, der bestehende Zustand schlimmer ist als das, was man als Konsequenz aus der eigenen Auflehnung erleiden könnte und sei es auch Folter oder Tod, erst dann brechen die Menschen ihre aus Gewohnheit aufrecht erhaltene Untätigkeit. Deiner Erklärung der Kritik, die du an Ls Aussage übst, entnehme ich genau diesen Sachverhalt. Es ist also keineswegs so, dass L die Menschen und vor allem ihren Wunsch nach Freiheit derart überinterpretiert. Ich denke, er fasst die Welt und seine Aussage zu solchen Veränderungsprozessen viel simpler auf, nämlich dass sich ein Zustand immer irgendwann ändert. Wie sicher und gefestigt uns die Staatskonstruktionen auch erscheinen, irgendwann geht jede Zivilisation zugrunde und wird durch etwas anderes ersetzt oder zumindest vollziehen sich unentwegt und unaufhaltsam Veränderungen, die nicht zwangsläufig etwas damit zu tun haben müssen, dass der Zustand nicht tragbar wäre. Diese Veränderungen hängen häufig nicht von einem leicht durchschaubaren Wollen der Menschen ab. Das Problem an Kiras Welt ist in Ls Augen der Meliorismus. Kira will eine ideale Welt erschaffen, die gar nicht existieren kann, von Anfang an nicht. Du erwähnst den Kommunismus, das ist ein gutes Beispiel dafür. Zu keiner Zeit kann ein solches Ideal in der Realität bestehen. Es dient lediglich als Orientierungspunkt. Meines Erachtens glaubt L nicht an Verbesserungen. Ich interpretiere ihn fast schon anarchistisch, schließlich ist er weltweit unterwegs und mit verschiedenen Staatssystemen vertraut, integriert sich allerdings in keines davon. Es gibt für ihn nicht den perfekten Staat, Menschen oder die perfekte Welt, daher sind alle Bemühungen dahingehend für ihn von vornherein zum Scheitern verurteilt. Das soll keine Festlegung sein, die behauptet, es gäbe das nicht. Viele glauben daran, dass die Menschheit Stück für Stück besser wird. Einige Historiker glauben an teleologische Konzeptionen, die Geschichte würde zeigen, dass wir auf irgendein Ziel zu steuern. Religiöse glauben oft an Eschatologie. Man kann dem Kind unterschiedliche Namen geben, doch im Grunde ist es immer die Hoffnung auf das Gute, auf Vollkommenheit, selbst wenn man diese niemals erreicht. Für L allerdings ist der letzte Punkt, dass man ihn eben niemals erreichen kann, diesen vollkommenen Zustand, Grund für die generelle Haltlosigkeit der Theorie. Es ist nur meine Interpretation von L. Das macht für mich jedoch den grundlegenden Unterschied zwischen L und Light aus. Light glaubt, die Menschen könnten sich durch Kontrolle wandeln und die Welt könnte in den richtigen Händen besser werden. Für L hingegen wird die Welt nicht mit der Zeit besser, sondern bloß anders.

Wie man es auch dreht und wendet, ich mag sowohl L als auch Light, genauso wie du. Beide "Ideen" haben ihre Berechtigung. Man kann beim gründlichen Überlegen nicht eine von beiden Denkweisen einfach befürworten und die andere von der Hand weisen. Und ja, deswegen mag ich gerade die Beziehung/Positionen zwischen ihnen. ^_^


Zurück