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Zero Percent, maybe less

That's enough, I guess
von

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Pushing me softly - oder - Der Deal

Und da versuchte ich es wieder.

Ich versuchte es zum wahrscheinlich zwanzigsten Mal, Aufbruchsstimmung zu erzeugen, die darin resultieren sollte, dass ich mit meinem Sohn - ob mit oder ohne Gackt war mir egal - aus diesem Garten flüchten konnte, ohne meine Schwiegereltern allzu sehr zu kränken. Doch es war erfolglos. Immer wieder sagte meine Schwiegermutter oder Gackt oder sogar mein Schwiegervater etwas, um diesen verzweifelten Versuch zu vereiteln. Dass mein eigener Sohn mir nicht noch in den Rücken fiel, war alles.

Doch ich gab nicht auf: „Ich muss mal auf die Toilette, und dann müssen wir auch wirklich langsam mal gehen. Es ist schon spät und der kleine Racker hier muss bald ins Bett.“

„Es ist gerade mal sieben Uhr“, meinte meine Schwiegermutter irritiert, fast so, als machte sie sich Sorgen, dass ich meinen Sohn immer schon viel zu früh ins Bett brachte, damit ich meine Pornos schauen konnte. Selbst wenn es so wäre - und das war es nicht; was gibt es für einen Grund, das am frühen Abend zu tun, statt mitten in der Nacht, wenn man sich unbeobachteter fühlt? -, seit ich Gackt näher kannte, war dafür wohl kein Bedarf mehr. Alleine die Erinnerungen würden mir ausreichen. Einen besseren Porno gab es auf dieser Welt sicher nicht. Und einen besseren Schauspieler auch nicht.

„Man muss auch bedenken, dass wir ja auch noch eine Weile brauchen, bis wir nach Hause gefahren sind“, verteidigte ich mich schnell und das schien ihr einzuleuchten. Sie schaute traurig zu Gackt.

„Oh…“, machte sie bekümmert, doch es war nicht zu vermeiden. Sie wäre auch traurig gewesen, wenn wir erst in einer Woche wieder gegangen wären.

Ich stand auf und ging in Richtung Haus, als ich Gackt hinter mir sagen hörte: „Ich würde auch gerne ihre Gästetoilette benutzen, wenn ich das darf.“

„Aber natürlich!“, meinte meine Schwiegermutter sofort. „Folgen Sie einfach Haido-san und fühlen Sie sich ganz wie zu Hause!“

Ich schnaubte. Wenn er das tun würde, dann hätte dieses Haus wohl bald keine Fenster mehr, dafür aber eine Menge Aquarien, mindestens ein Love-Hotel-Raum und eine Kleiderordnung, die Seepferdchenkostüme und das „Nacktheitskleid“ vorschrieb.

„Haido-chan, warte auf mich!“, trällerte Gackt hinter mir. Ich beachtete ihn nicht und ging weiter durchs Haus zum Badezimmer. „Deine Schwiegereltern sind wirklich nett. Vor allem deine Schwiegermutter. Sie hat einen guten Musikgeschmack.“

„Nur weil sie DEINE Musik hört“, schnaubte ich.

„Ja, eben“, meinte er glücklich.

„Hier, da ist das Gästeklo“, sagte ich genervt und ging weiter ins Badezimmer.

Ich blieb stehen, als ich bemerkte, dass er mir weiterhin folgte. „Ich sagte: Da ist das Gästeklo.“

„Aber ich will dahin, wohin du gehst“, meinte er heiter.

„Bitte, dann geh du ins Bad und ich nehme das Gästeklo“, meinte ich seufzend und machte kehrt. Als ich vor der Toilette ankam, drehte ich mich um und wieder stand Gackt vor mir. „Warum bist du jetzt so eine Klette?“

„Du bist am Tisch so weit weg von mir gesessen…“, meinte er traurig und machte dabei einen perfekten Schmollmund. Was war bei ihm nicht perfekt?

„Verschwinde jetzt, ich will aufs Klo“, meinte ich unberührt und ging in den relativ kleinen Raum, doch bevor ich die Tür hinter mir schließen konnte, verschloss Gackt sie bereits.

„Ich habe gesagt, du sollst verschwinden!“, fauchte ich ihn an. Ich versuchte, meine Stimme möglichst leise zu halten, damit meine Schwiegereltern nichts davon mitbekamen. „Du hast für heute schon genug Schaden angerichtet! Es reicht jetzt, verstehst du? Lass mich jetzt einfach mal für eine Weile in Ruhe, okay?“

„Aber…“, begann Gackt traurig, als würde er jeden Moment zu weinen anfangen. Was er natürlich nicht tun würde. Schließlich war er immer noch Gackt. Ein Star. Ein Cyborg. Ein Mann, dessen Stolz stärker war als jede atomare Waffe.

„Nichts aber!“, zischte ich zurück und schob ihn zur Tür. Oder besser: gegen die Tür. Sie war ja schließlich zu.

„Hai-chan, doch nicht hier…“, schnurrte Gackt. „Was sollen deine Schwiegereltern von uns denken?“

Ich ließ ihn augenblicklich los, als ich mir bewusst wurde, wie er das meinte. „Raus.“

„Nicht bevor du mir nicht einen Beruhigungskuss gegeben hast.“

„Wieso einen Beruhigungskuss? Ich wüsste nicht, wer ruhiger ist als du!“

„Ich meinte ja auch für dich. Damit du dich wieder beruhigst“, erklärte er.

„Mit einem Kuss oder auch irgendetwas anderem von dir geht das aber nicht!“, stellte ich klar.

„Bist du sicher?“

„Ja, verdammt! Jetzt raus!“

Schneller als ich reagieren konnte, schoss seine Hand vor, hielt mich sanft am Hals fest und dann küsste er mich.

Auf die Lippen.

Einfach so.

Mit Vorwarnung.

Zu seinem Vergnügen.

Offensichtlich einmal wieder SEHR zu seinem Vergnügen.

„Ga-chan!“, protestierte ich und schob ihn von mir.

„Siehst du, du bist schon viel ruhiger. Vorher hast du mich gegen die Tür geworfen, jetzt schiebst du mich nur sanft von dir.“

„Sanft? Das war alles andere als sanft!“, behauptete ich.

„Zeig mir, wie es sanft geht“, bat er mit unschuldigen Augen.

„Einen Teufel werd ich tun“, sagte ich lediglich.

„Bitte…“, flehten Gackt und vor allem seine Augen.

„Gehst du dann raus und lässt mich für den restlichen Tag in Ruhe?“, fragte ich.

„Okay“, nahm er den Deal an, doch ich traute ihm nicht. Hatte er jemals ein Versprechen gehalten? Doch was blieb mir anderes übrig, als es zumindest zu versuchen. Außerdem musste ich von dem vielen Kaffee echt dringend aufs Klo und dass Gackt mir dabei über die Schulter schaute, war das Letzte, das ich wollte.

„Gut, dann…“, sagte ich, nur damit ich die seltsame Stille übertönte. „Du musst schon herkommen, damit ich dich wegschieben kann.“

„Du willst, dass ich herkomme? So?“, fragte er, als er sich an mich drückte. „Oder näher?“

„Das reicht!“, fuhr ich ihn an. „Das reicht völlig.“ Ich schob ihn von mir.

„Das war aber nicht sanft“, meinte Gackt enttäuscht.

Ich schnaubte wütend, zog ihn noch einmal an mich heran, um ihn dann langsam von mir zu schieben.

„Das war aber auch nicht besonders sanft. Einfach nur in Slowmotion“, meinte Gackt unzufrieden.

Ich schnaubte noch einmal, sammelte mich und meine letzten Nerven, zog ihn noch einmal an mich heran, um ihn dann langsam und unendlich sanft von mir zu schieben.

„So. Zufrieden?“

„Relativ. Aber das war schon viel besser. So machst du das in Zukunft immer, okay?“

„Das gehört nicht zum Deal. Jetzt raus“, sagte ich kalt.

„Ach, Hai-chan, sei doch nicht immer so gemein“, jammerte er, während ich ihn zur Tür hinaus schob - und das nicht besonders sanft.
 

Als ich es dann endlich geschafft hatte, meine Schwiegereltern dazu zu bringen, uns gehen zu lassen, ging ich, mit dem Gepäck meines Sohnes beladen, zum Auto, warf es in den Kofferraum, stieg ein, und brach über dem Lenkrad zusammen.

„Papi, was ist denn?“, kam sofort eine besorgte Frage. Es war Gackt.

„Ich bin total fertig, aber ich kann dich nicht fahren lassen, weil in diesem Auto zwei Menschenleben wichtig für mich sind, die ich wahrscheinlich verlieren würde, wenn ich dich fahren lassen würde; deshalb muss ich die Heimfahrt jetzt noch durchstehen.“

„Papi?“, fragte nun mein Sohn.

„Ja, mein Schatz.“ Das Ganze wie eine Frage klingen zu lassen, war zu anstrengend für mich.

„Warum fährt Onkel Gakuto mit uns mit?“, fragte die zarte Kinderstimme. Ich hatte am Tisch schon die ganze Zeit bemerkt, dass er nicht besonders glücklich über Gackts Anwesenheit war. Das war allerdings auch kein Wunder nach seinem Überraschungsauftritt durch das Gebüsch. Und außerdem waren Kinder ja sehr feinfühlig, was Gefahr betraf.

„Weil das hier sein Auto ist. Wir fahren jetzt zu uns nach Hause und Onkel Gakuto fährt dann zu sich nach Hause“, erklärte ich ihm und setzte noch hinzu: „Oder er versucht es zumindest. Aber die Straßen sind ja relativ unbefahren um diese Zeit.“

Mein Sohn sagte darauf nichts, wahrscheinlich weil er nicht viel von meiner Erklärung verstanden hatte.

„Ach, Hai-chan, das tut mir leid, dass ich dich nicht mit Fahren ablösen kann“, entschuldigte sich Gackt. „Weißt du, nachts fahre ich nicht besonders gut.“

Ich sagte darauf nichts. Es war zu anstrengend. Und nützen würde es ja doch nichts.

„Och, du bist ja ganz erschöpft…“, meinte Gackt sanft und streichelte mir über die Haare, als wäre ich ein krankes Haustier oder etwas Ähnliches. „Wir müssen heute nicht mehr heimfahren. Wir können auch hier übernachten.“

„Im Auto?“, fragte ich abfällig nach.

„Ich dachte eigentlich eher an das Gästezimmer, das deine Schwiegermutter uns angeboten hat“, erläuterte Gackt.

„Hat sie das?“, fragte ich schwach zurück und blinzelte zu ihm auf.

„Ja, das hat sie“, bestätigte er und ich fühlte seine Hände, wie sie sanft meinen Nacken kraulten. Meine Augen fielen wieder zu.

„Hai-chan…“, hörte ich Gackts Stimme flüstern. „Hai-chan…“

Ich drehte meinen Kopf auf die andere Seite und murrte nur.

„Hai-chan, aufwachen…“

„Was? Bin ich eingeschlafen?“, fragte ich müde und zwang mich, die Augen zu öffnen. Als ich das tat, wurde ich geblendet. Es war hell. ~Hell?~ Es war tatsächlich hell im Raum. ~Im Raum?

Ich öffnete langsam die Augen und fand mich in einem Schlafzimmer wieder. Es war das Gästezimmer meiner Schwiegereltern.

„Du hast jetzt lange genug geschlafen“, meinte Gackt brummig.

„Was?! Wie spät ist es?!“, schreckte ich auf und suchte den Raum nach einer Uhr ab. „Das Meeting! Das Meeting! Das Meeting! Tetsu wird mich umbringen!“

„Ganz ruhig, es ist zehn Uhr morgens“, klärte mich Gackt auf.

Ich ließ mich erleichtert zurück aufs Bett fallen. „Gott sei Dank.“

Gackt strahlte mich von oben herab an. „Wie bin ich eigentlich hier ins Bett gekommen? Ich bin doch im Auto eingeschlafen, oder nicht?“

„Ja, ich hab dich hergetragen“, meinte Gackt stolz.

Anstatt ihm dafür in irgendeiner Weise zu danken, fragte ich: „Und dann?“

„Und dann? Was ‚und dann’?“, wollte er wissen.

„Hast du dann…noch irgendetwas gemacht?“, war meine zaghafte Frage.

„Ähm, nein. Ich glaube nicht“, antwortete er. „Eigentlich wollte ich dich ausziehen, aber deine Schwiegermutter meinte, du könntest die Nacht auch mit deinen Kleidern schlafen; dich umzuziehen, würde dich nur aufwecken.“

Ich atmete erleichtert aus, wurde dann allerdings misstrauisch, als ich Gackts glückliches Lächeln sah. „Dann hast du…wirklich gar nichts gemacht?“, versicherte ich mich.

„Nein, wir hatten doch einen Deal“, erinnerte mich Gackt.

Ich runzelte die Stirn. ~Ach ja, der Wenn-ich-dich-sanft-von-mir-schiebe-dann-musst-du-mich-für-den-Rest-des-Tages-in-Ruhe-lassen-Deal... Ich erinnere mich...~

„Also, außer dass ich mich an dich herangekuschelt habe, habe ich nichts gemacht.“

„Gut, das wollte ich gar nicht wissen“, sagte ich nur und stand auf.

„Dass ich nackt geschlafen habe, hat dich dann auch nicht gestört, wie es scheint.“

„DAS wollte ich AUCH nicht wissen, okay?!“, fauchte ich ihn an und ging ins Badezimmer. Als ich den Frühstückstisch erreichte, was wiederum der Tisch im Garten war, an dem wir auch schon gestern nachmittag saßen - und am Abend immer noch -, da saßen bereits alle am Tisch und warteten nur auf mich.

„Na endlich“, meinte mein Schwiegervater. „Ich habe Hunger.“

„Ihr hättet ruhig ohne mich anfangen können“, murmelte ich kleinlaut und setzte mich auf den einzig freien Stuhl, der direkt neben dem von Gackt stand. Die Sitzordnung war am Tag zuvor aber etwas anders gewesen. Gackt musste etwas daran gedreht haben. Und als hätte er gesehen, worüber ich mir gerade Gedanken machte, sagte er: „Ich habe dir extra einen Platz neben mir reserviert. Ist das nicht toll?“

„Ja, großartig“, murmelte ich unbegeistert und lächelte dann meinen Schwiegereltern zu. „Ist er nicht fürsorglich?“

„Ja, wirklich fürsorglich!“, meinte meine Schwiegermutter und fragte an Gackt gewandt: „Haben Sie Kinder?“

„Nein, leider nicht“, antwortete Gackt bedauernd. „Ich hätte wahnsinnig gerne welche, aber man hat mir einfach noch keine geschenkt.“

Meine Schwiegermutter schaute ihn mitfühlend an, doch meiner Meinung nach hatte er das mit dem „Schenken“ nicht metaphorisch gemeint.

„Aber ich werde heute das Vergnügen haben, etwas Zeit mit Hydes Sohn zu verbringen“, verkündete Gackt stolz.

„Ach ja, wirklich?“, fragte meine Schwiegermutter begeistert. „Das ist ja schön!“

Mein Sohn sah alles andere als begeistert aus.

„Er wird auf mich aufpassen?“, fragte er leise, ängstlich zu mir aufblickend.

„Ja“, musste ich zugeben, auch wenn ich es sehr ungern tat. „Onkel Gakuto wird heute Mittag ein paar Stunden auf dich aufpassen, weil Papi einen wichtigen Termin hat.“

„Aber…“, machte er ängstlich.

„Es dauert wirklich nicht lange. Und ich werde ihm alles verbieten, was er Schlimmes anstellen könnte.“ Jetzt hörte es sich eher so an, als würde mein Sohn heute Nachmittag auf Gackt aufpassen statt andersherum.

„Das Frühstück schmeckt ausgezeichnet“, schleimte Gackt sich weiter bei meiner Schwiegermutter ein, auch wenn das längst nicht mehr - nein, eigentlich gar nie - nötig war.

„Es ist schade, dass ich Ihnen heute kein Mittagessen anbieten kann, denn wir müssen schon in einer Stunde los, aber Sie können jederzeit vorbeikommen, wann immer Sie wollen.“

„Das ist ein sehr nettes Angebot von Ihnen, danke“, antwortete Gackt freundlich und fügte zu meinem Grauen noch hinzu: „Ich werde darauf zurückkommen.“
 

Als wir, Gackt, mein Sohn und ich, endlich - und das eigentlich nur weil meine Schwiegereltern sich auf den Weg zu diesem Geburtstagsfest, oder was auch immer es war, machen mussten - alle im Auto saßen, fragte ich an Gackt gewandt: „Hast du nicht gesagt, er könnte sich dann schon einmal an dich gewöhnen, auf der Fahrt zurück?“

„Ja, warum?“, fragte Gackt zurück.

„Wie soll er sich an dich gewöhnen, wenn du hier vorne sitzt und er da hinten?“, fragte ich betont ruhig.

Er blickte mich entschuldigend an. „Ich kann nicht nach hinten sitzen, weißt du, sonst wird mir schlecht.“ Ich verdrehte die Augen und fuhr los.

Ich hatte in den letzten Tagen oft gedacht, dass der jeweilige Tag der schlimmste Tag meines Lebens sein müsste, doch jetzt, mit der Aussicht auf einen Single-Aufnahme-Termin, während dem ich mir die ganze Zeit Sorgen um das Wohlergehen meines Sohnes machen musste, mit der Hoffnung auf ein Wiedersehen mit den beiden in gesundem Zustand - ich fürchtete nämlich auch, dass mein Sohn zu einem Küchenmesser greifen würde, wenn Gackt ihn wieder erschreckte, und ich wollte meinen Sohn nicht zum Mörder machen, nur weil ich den falschen Babysitter ausgesucht hatte -, jetzt war ich mir sicher, dass der heutige Tag der schlimmste in meinem ganzen Leben werden würde. Vielleicht sogar mit Abstand.

„Hey“, meinte Gackt plötzlich, als wir auf der Landstraße fuhren. „Ich glaube, das war die Tankstelle, an der wir auf der Herfahrt angehalten haben, damit du deinen Höhep-“ Mein Ellenbogen traf auf Gackts Oberarm. Ein Blitz wäre mir lieber gewesen.

„Na, mein Schatz, wie waren deine Ferien bei Oma und Opa?“, wechselte ich schnell das Thema.

„Na, na, na“, meinte Gackt daraufhin nur. „Wie heißt er richtig?“

Ich seufzte. „Nicht auch das noch. Warum bist du nicht einen Tick vergesslicher?“

Er schaute mich selbstzufrieden an. Ich warf kurz einen Blick auf die Rückbank zu meinem Sohn und meinte dann, wieder geradeaus und ab und zu in den Rückspiegel blickend: „Schatz, ich werde dich für einen Tag oder zwei ‚Jo’ nennen, okay?“

„Warum, Papi?“, fragte er verwirrt und auch ein bisschen ängstlich.

„Einfach nur so zum Spaß“, lächelte ich, doch es war kein echtes Lächeln und das konnte mein Sohn wohl sehen. Oder hören. Oder beides.

„Aber wenn es mir keinen Spaß macht?“, wollte er verunsichert wissen.

„Das wird es bestimmt, das wird es“, versicherte ich ihm und fühlte mich grauenvoll. Was war ich im Begriff, meinem Sohn anzutun? Wozu hatte ich ihn bereits verurteilt?

Die Fahrt verlief ab da - abgesehen davon, dass Gackt mich immer wieder daran erinnerte, meinen Sohn „Joseph“ zu nennen - relativ ereignislos. Das beruhigte mich wieder etwas. Doch ich wusste, dass das kein gutes Zeichen war. Die Ruhe vor dem Sturm.

Als wir Zuhause ankamen, war das Erste, an das ich endlich einmal dachte, den Abschleppdienst anzurufen, der mein Auto in die nächste Werkstatt bringen sollte, damit ich mir einen neuen Motor einbauen lassen konnte. Ich war froh, dass ich scheinbar wieder etwas klarer denken konnte. Vielleicht lag das an der Anwesenheit meines Sohnes. Hoffentlich war es so, denn dann würde ich komplette nächste Woche zusammen mit ihm verbringen, bis Megumi wieder zurück war. ~Was? Es ist schon eine ganze megumifreie Woche vergangen?

Wow. Das ging schnell. Das bedeutete aber auch, dass ich nur noch eine Woche Zeit hatte, um mein Leben wieder in Ordnung zu bringen. Ich hoffte, dass ich das schaffen konnte.

Plötzlich zupfte etwas an meinem Hemd. Ich drehte mich mit gesenktem Blick um, in Erwartung, das verwirrte und ängstliche Gesicht meines Sohnes zu mir aufblicken zu sehen; er kam noch nicht wirklich mit Gackt zurecht, was ich ihm nicht verübeln konnte, und er hatte wohl auch Angst vor ihm, was ich ihm genauso wenig verübeln konnte. Denn da war er nicht allein. Ich hoffte nur, dass er mir das Ganze irgendwann verzeihen konnte.

Ich lächelte leicht, als ich mich umdrehte, einerseits, weil ich ihm einreden wollte, dass alles in Ordnung war und ihm nichts Schlimmes passieren würde, während ich weg war, auch wenn ich wusste, dass ich uns da beiden etwas vormachte, und andererseits, weil es mich freute, dass mindestens mein Sohn zu mir aufsehen konnte. Er war der Einzige, den ich kannte, der das konnte, denn alle anderen waren größer als ich.

Allerdings erblickte ich nicht das erwartete Gesicht meines Sohnes, sondern eine unglaublich eng anliegende Lederhose. Mein Blick schoss hinauf gen Zimmerdecke und traf trotzdem auf ein verwirrtes und ängstliches Gesicht - unerwarteterweise Gackts.

„Was ist denn los?“, fragte ich ebenso verwirrt und auch etwas panisch. Gackt und so aus der Fassung? Was war passiert? Wo war Joseph???

~Verdammt...~ Das war das erste Mal, dass ich mich dabei ertappte, dass ich meinen Sohn selbst in Gedanken so nannte. Und es würde nicht das letzte Mal bleiben.

„Joseph weint“, sagte Gackt nur.

Meine Augen weiteten sich. „Was hast du gemacht?!“

„Gar nichts. Ich habe ihn nur gefragt, ob er Vampire mag, weil ich einer bin“, sagte er, als wäre das das Normalste auf der Welt.

„Och, Ga-chan! Kannst du dich nicht einmal für ein paar Minuten normal verhalten? Ich wollte nur kurz telefonieren und schon bringst du Joseph zum Weinen!“

~Verdammt…~ Schon wieder. Und dieses Mal auch noch laut.

Frustriert wandte ich mich ab, schenkte Gackt keinen Blick mehr und ging in das Kinderzimmer, in dem ich meinen Sohn vermutete. Und dort saß er auf seinem Bett und schaute mich mit verweinten Augen an. Es brach mir das Herz.

Ich legte meine Arme um ihn und drückte ihn an mich, flüsterte beruhigende Worte in sein Ohr und wartete darauf, dass er sich wieder beruhigte. Als Gackt ins Zimmer kam, scheuchte ich ihn mit einem Arm lautlos wieder hinaus und strafte ihn, so gut ich konnte, mit Blicken.

~Das fängt wirklich großartig an...~ In drei Stunden musste ich im Studio sein und Joseph weinte schon.

~Verdammt…~ Schon wieder.

Ich überlegte, was die einfachste Lösung war, die rettende Idee, die es vereinte, dass Gackt hier war, um aufzupassen, dass meinem Sohn nichts passierte - auch wenn ich bezweifelte, dass er dazu fähig war - und mein Sohn abgelenkt genug war, um Gackt nicht wahrzunehmen.

~Was lenkt Kinder und zugleich auch Erwachsene - also große Kinder - ziemlich gut ab?~ Da ich entschied, dass es schwieriger war, Gackt abzulenken als meinen Sohn, überlegte ich also, ob ich Gackt schon einmal abgelenkt gesehen hatte, vielleicht sogar von mir abgelenkt. Und plötzlich sah ich in meinen noch so klaren Erinnerungen der letzten Tage Gackt, vollkommen vertieft, vor dem Fernseher sitzen.

Anime... Der Schlüssel...

Mein Sohn hatte schon fast zu schluchzen aufgehört, da fragte ich ihn mit soeben entflammtem Enthusiasmus in der Stimme: „Willst du einen Film schauen, mein Schatz?“

„Joseph“, korrigierte Gackt, doch ich irgnorierte ihn.

„Was für einen Film?“, fragte mein Sohn, während er sich über die Augen rieb, scheinbar aber nicht mehr ängstlich und sogar schon ziemlich neugierig.

„Jeden Film, den du willst“, versprach ich ihm. „Wenn wir ihn nicht da haben, dann leihen wir ihn eben aus. Na? Was sagst du?“

„Ich will meinen Lieblingsfilm sehen!“, meinte er begeistert.

Ich lächelte. „Dann schauen wir jetzt deinen Lieblingsfilm.“

„Yuhu!“, rief er munter und rannte schon ins Wohnzimmer. Ich schaute ihm nach und schüttelte nur den Kopf. Wenn man Kindern sagte, sie dürften sich jeden Film wünschen, den es gibt, dann wählen sie einen, den sie schon hundertmal gesehen haben. Vielleicht war das aber sogar vernünftig. Dann konnten sie schon nicht enttäuscht werden. Vielleicht konnte man von Kindern noch etwas lernen.

Gackt räusperte sich. „Das ist aber eine nicht sehr einfallsreiche Erziehungsmethode: einfach vor den Fernseher setzen.“

„Solange es funktioniert“, meinte ich schulterzuckend und folgte meinem Sohn ins Wohnzimmer, Gackt im Schlepptau.

Joseph - argh - hatte gerade die DVD im Schrank gefunden, als ich mich zu ihm hinunterkniete, um sie einzulegen. Gackt kam von der anderen Seite und nahm Joseph - argh - die leere DVD aus der Hand, wahrscheinlich, um zu sehen, was für einen Film er sich jetzt mitanschauen musste. Ich hoffte, dass er mindestens nicht zu quengeln anfangen würde, wenn ihm der Film nicht gefiel.

Joseph erschrak, als ihm seine Lieblings-DVD ohne jegliche Vorwarnung von dem - in seinen Augen wahrscheinlich riesigen - Riesen Gackt aus den Händen genommen wurde und schaute ängstlich zu ihm auf, um sich dann hinter mir zu verstecken. Ich knirschte mit den Zähnen, doch Gackt bemerkte es gar nicht, was er wieder angerichtet hatte.

Ich drehte mich zu meinem Sohn um: „Jo-“ Und fing noch einmal von vorne an: „Du brauchst keine Angst vor Onkel Gakuto zu haben, mein Schatz. Er ist zwar ungewöhnlich riesig, hat gefärbte Haare und ein paar Schönheits-OPs hinter sich, weshalb er überhaupt nicht mehr wie ein Japaner aussieht, aber er ist ein guter Freund von deinem Papi. Und er ist eigentlich ganz…lieb.“ Ich würgte das Wort regelrecht heraus. Es war absolut unpassend für Gackt.

Mein Sohn warf ein paar ängstliche Blicke zu Gackt, der zum Glück gerade harmlos aussah, wie er die DVD inspizierte, als könnte er kein Japanisch.

„Na? Siehst du?“, fragte ich zuversichtlich, als Gackt plötzlich scharf Luft einsog und „Oh, mein Gott!“ rief. Nicht nur mein Sohn, auch ich, erschrak, als er das tat und der Schein war dahin. Mein Sohn würde es mir nie abkaufen, dass Gackt harmlos war. Wie gesagt: Kindern spüren Gefahr. Es ist, als hätten sie Antennen dafür. Und bei Gackt mussten diese Antennen so außer Kontrolle geraten, dass man es einfach nicht ignorieren konnte.

„Diesen Film kenne ich!“, platzte es aus Gackt heraus und Joseph zuckte zusammen. „Den habe ich vor Ewigkeiten schon einmal gesehen! Der ist richtig klasse!“ Na, immerhin kein Gequengel.

„Siehst du, er mag sogar die gleichen Filme wie du“, versuchte ich die Situation noch zu retten, doch es war zwecklos. Mein Sohn starrte wie gebannt auf Gackt, als erwartete er, dass dieser jeden Moment ein Messer zückte und damit auf uns los ging.

Das befürchtete ich zwar weniger - Gackt konnte viel schlimmere Dinge anrichten, ohne jegliche Hilfsmittel -, aber sicher konnte ich mir da auch nicht sein.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Kimiko02
2009-09-01T22:41:01+00:00 02.09.2009 00:41
*sich mal wieder einen weggelacht hat* XDD~
Wobei ich als Gackt mit ins Klo kam ja schon dachte, er würde jetzt über Hyde herfallen XDD~
Gottseidank hat er sich ja doch benommen, wäre sonst SEHR peinlich für den armen Hyde geworden *lach*
Aber irgendwie könnte ich wetten, dass Gackt es noch schafft, Hyde so richtig vor seinen Schwiegereltern zu blamieren *lol*

Was das Babysitten angeht, kann ich nur sagen, ohje, das kann ja was werden ...
Wenn Hydes Sohn jetzt schon soviel Angst vor Gackt hat, während Hyde noch dabei ist, wie wird das nur wenn sie alleine sind?
Ich fürchte das gibt ne Katastrophe ... das arme Kind tut mir jetzt schon Leid ^^;
Naja, soviel jedenfalls zu Gackts Babysitterqualitäten XDD~~
Braucht keine fünf Minuten, um ein Kind zum weinen zu bringen *drop*
In der Geisterbahn wäre er glaub besser aufgehoben ^^;

Trotzdem bin ich natürlich äußert gespannt, ich meine man kann nie wissen, vor allem bei Gackt nicht XD~
Kann daher das nächste Kapitel kaum erwarten, also schreib bitte bald weiter!! *liebguck*


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