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Moonrise

Untergang einer fremden Welt
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
So, hier mal das erste Kapitel.
Es ist komplett heute entstanden.
Bin gespannt, was ihr davon haltet. XD

LG, MarySae
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Jaaha! Mich gibts auch noch. XD
Nach einem halben Jahr (*hust*) ist endlich das zweite Kapitel fertig.
Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat...
Vielleicht ist es so wenigstens gut geworden. XD
Aber tut mir leid, wegen der Überschrift... sie ist grausam. >_<

Und jetzt viel Spaß beim Lesen. =3
LG Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Yay, das neue Kpitel ist fertig! =3
Habe zwischen dem Lernen immer wieder ein paar Sätze geschrieben und nun bin ich doch echt fertig geworden.
Eher als gedacht. XDD

Das Kapitel ist so na ja geworden, finde ich O.o
Und beachtet die Rechtschreibfehler nicht. Ich hatte noch eine Zeit sie zu verbessern ._. *das nachholen werd*

Einen großen Dank nochmal an die Leser meiner Fanfic. =3
Und vielen, vielen Dank für die Kommis! <3
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Kaum zu glauben, aber es gibt mal wieder ein neues Kapitel. O.o
Sry, dass es etwas (sehr) lange gedauert hat.
Ich versuche mal etwas schneller zu schreiben. XD

Ohne große Vorrede wünsche ich euch einfach viel Spaß beim Lesen. ^^ Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Und schon ist das neue Kapitel fertig.
Hat nicht mal einen Monat gedauert. XD
Find es eigentlich ganz gut geworden.
Hoffe ihr auch. XD

Viel Spaß beim Lesen!
lg Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
So, eben hab ich das 6. Kapitel fertig gemacht. ^^
Ich glaube, es ist etwas dramalastig O.o
Hoffe aber sehr, dass es nicht überladen wirkt...
Jetzt kommt ein bisschen mehr Hintergrundwissen durch. XD
Aber ich will das langsam angehen lassen ;)

An dieser Stelle: Nochmal vielen dank für die Kommis! :3

Und jetzt, viel Spaß beim Lesen ^^
lg
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr ^^
Ich stell mal das 7. Kapitel rein. ^^
Obwohl es schon seit ein paar Tagen fertig ist. XD
(Ging diesmal etwas schneller ^^)
Das nächste Kapi wird jedoch wieder etwas länger auf sich warten lassen,
da bei mir jetzt erstmal die Prüfungstzeit anfängt ._.

So, dann wünsche ich euch viel Spaß beim Lesen :3
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Yay, das neue Kapitel ist da!
Und das trotz noch zwei anstehender Prüfungen. XD
Egal. Das musste sein. ^^

In diesem Kapitel kommt eine Szene vor, auf die ich schon lange gefreut habe ^^
Es kommen bald noch ein Paar mehr :3
Ich wünsche einfach mal viel Spaß beim Lesen ^^

Und an meine beiden Kommischreiber: Herzlichen Dank ^^
lg, Lina :3
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Yay, das neue Kapitel ist da :3
Habe heute 2500 Wörter geschrieben :3
Hat Spaß gemacht. XD

Es ist mal wieder einiges während des Kapitels geändert worden. XD
Mal sehen, was noch so kommt ;)

Ich muss gestehen, ich mag das Kapi :3
Ich hoffe ihr auch. XD
Viel Spaß beim Lesen!
Lg, Lina
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Hey! ^^
Ich melde mich, etwas später *hust*, mit einem neuen Kapitel zurück!
Nach einigen OnePiece OSs, einigen Hausarbeiten und einer schweren Schreibenskriese hab ich das 10. Kapitel endlich fertig bekommen. XD
Und gleich noch eine 'traurige' (??!) Nachricht.
"Moonrise" geht langsam dem Ende entgegen.
Ich weiß nicht, wie viel noch kommt, (zwei bis drei Kapitel auf jeden Fall noch!) aber dann wird wohl Schluss sein. (Wenn mir ein guter einfällt XD)
Aber so weit ist es noch nicht.
Erstmal werde ich, mit viel Spaß XD, diese OF zuende bringen!

An dieser Stelle nochmal vielen Dank an meine Leser, Favo- nehmer und meine beiden Kommischreiber. ^^
Ohne euch hätte ich bestimmt schon etwas den Mut verloren. ;_;

So, dann mal viel Spaß beim Lesen!
LG, Lina :3
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Vorwort zu diesem Kapitel:
Trali, trala, das 11. Kapitel ist da!
Langsam geht es dem Ende entgegen.
Bin selber gespannt, was ich mir für das große Finale noch so alles einfallen lasse! XD

An meine zwei Kommischreiber an dieser Stelle nochmal ein Dankeschön!
Viel Spaß beim Lesen!.

LG, Linami :3
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Vorwort zu diesem Kapitel:
So, damit wäre diese Geschichte abgeschlossen.
Das letzte Kapitel von 'Moonrise'.

Danke an alle, die sich die Mühe gemacht haben, das zu lesen! ^^
Ich hoffe, wir sehen usn bei meinen anderen OFs und FFs wieder ;)

Liebe Grüße
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Ein Tag, den es nie hätte geben sollen

Kapitel 1 – Ein Tag, den es nie hätte geben sollen
 

Ein Tag nach dem anderen verging. Mein Leben lief ab, wie das eines jeden anderen auch. Nie hatte ich bemerkt, wie besonders ich eigentlich war. Aber wie sollte man auch? Jeder Mensch wäre gern etwas Besonderes. Doch wie vielen von ihnen ist dieses Glück gewährt? Und vor allem: Lohnt es sich, etwas Besonderes zu sein? Diejenigen, die anders sind, würden dies wahrscheinlich verneinen. Die anderen jedoch, würden genau anders darüber denken. Man möchte immer das haben, was man nicht hat.
 

Genau diese Erfahrung musste auch ich machen…
 

„Hannah! Warte mal!“

Diese Stimme war mir mehr als vertraut, weshalb ich natürlich gleich stehen blieb, mich lächelnd umdrehte und der Person ein „Morgen!“ entgegen rief.

Völlig außer puste blieb sie neben mir stehen. Es war meine 17- jährige Freundin Alexandra, die alle immer nur Alex nannten. Ihre langen gold-blonden Haare fielen ihr gelockt über die Schultern. Ihr zierliches Gesicht passte perfekt zu dem Rest ihres schlanken, aber gut trainierten Körpers. Man sah ihr an, dass Alex seit sie klein war immer Sport getrieben hatte. So eine Figur wünschten sich wahrscheinlich auch einige der Models in den Hochglanzmagazinen.

Sie trug eine schwarze Jeans und darüber eine hellrote Bluse. Ihre rote Tragetasche hing ihr locker über die Schultern.

„Morgen!“, grüßte sie mich fröhlich zurück und wir gingen weiter in Richtung Schule.
 

Es war ein Frühlingsmorgen wie jeder andere. Die Luft war mild. So 16 oder 17° und die Bäume bekamen ihre ersten Blätter. Tulpen, Narzissen und Krokusse sprossen in den Gärten an denen wir vorbeischlenderten.

„Hast du die Hausaufgaben in Deutsch hinbekommen? Diese Erörterung?“

„Ich habe es versucht.“, meinte ich ausweichend. Ich hasste es, dass ich viele Sachen konnte, die meine Freunde nicht hinbekamen. Schon seit der Grundschule hatte ich fast immer Einsen auf den Zeugnissen und musste nur halb so viel lernen, wie meine Freunde. Viele meiner Mitschüler konnten mich deshalb nicht leiden, was mich jedes Mal ziemlich getroffen hatte.

Dennoch konnte ich mich nie beklagen. Ich war äußerst beliebt und hatte immer viele Leute um mich herum. Meine Noten waren sehr gut und auch die Lehrer mochten mich. Zuhause hatte ich zwei liebevolle Eltern, die beide sehr gute Jobs hatten, weshalb wir immer mehr Geld hatten, als die anderen aus meiner Klasse. Mit meiner großen Schwester, die 4 Jahre älter war als ich und zurzeit Jura studierte, verstand ich mich prima. Alles in allem hatte ich ein Leben, wovon andere nur träumen konnten. Ich war glücklich.
 

15 Minuten später erreichten wir das Schulgelände eines Gymnasiums in unserer Stadt. Wir wohnten in einer Stadt kurz vor Berlin. Nah genug an einer Großstadt um auch mal was zu unternehmen, aber dennoch so weit entfernt, um auch als „Leute vom Land“ durchgehen zu können. Genau die Richtige Mischung, wie wir fanden.
 

Kurz nachdem Alex und ich den Schulhof betreten hatten, waren wir bereits von ein duzend Freunden umgeben, die uns lächelnd begrüßten. Ich fühlte mich in großen Gruppen besonders wohl, was man mir auch ansah. So sagten es jedenfalls meine Freundinnen.

Ich sah durch die Reihe. Alena, Lynn, Lilly, Mike, Jan, Till, die Geschwister Mona und Dora, Fabio, Felix und noch einige andere, die uns schon von weitem zuriefen.

In der Schule war unsere Gruppe berühmt und berüchtigt. Einmal gehörte ich zu einer der größten Gruppen an der Schule und dann waren unsere Leute auch noch bunt gemischt. Felix und Alena gehörten zu den Goths bzw. Emos. Mona, Dora und Till bezeichneten sich selber als Punks, auch wenn alle anderen sie eher als Soft-Punks bezeichneten und sie damit aufzogen. Lynn und Lilly waren reiche Mädchen, die sehr viel Wert auf ihr Äußeres legten und die man nie ohne Markenklamotten am Leib sah. Fabio und Mike waren sehr sportliche Typen, die zusammen in einer Fußballmannschaft spielten und als Talente gefeiert wurden. Jan, Alex und ich waren eher die Normalos, die dafür aber ziemlich gut in der Schule waren.

Diese bunte Mischung machte den Reiz unserer Gruppe aus. Wie gesagt; ich fühlte mich wohl.

Und es wäre ewig so weitergegangen, wäre da nicht dieser Tag gekommen. Ein Tag, der nie hätte kommen dürfen. Ein Tag der das Leben vieler Menschen einfach auf den Kopf stellte. Der 17. April.
 

Nachdem wir uns alle auf dem Schulhof getroffen hatten, machten wir uns auf den Weg in die Klassenzimmer. Leider ging nur ein Teil meiner Freunde in meine Klasse. Alex, Jan, Mona und Felix. Wir fünf machten immer alles zusammen. Der Rest der Klasse interessierte uns wenig, auch wenn immer wieder wer versuchte in unsere Gruppe zu kommen.

Im Unterricht konnten wir eigentlich machen, was wir wollten. Die Lehrer ließen uns viel Handlungsspielraum, da die drei besten Schüler des Jahrgangs, Alex, Jan und ich, den Klassenschnitt gewaltig anhoben. Dadurch dass Mona und Felix immer bei uns waren, waren auch deren Noten immer besser geworden. Daher störte es die Lehrer auch nicht, wenn wir mal eine Stunde nicht da waren.

„Solange wir gute Noten schreiben, können wir den Lehrern auf den Tischen tanzen!“, hatte es Felix mal passend ausgedrückt.
 

Und so verging der Tag wie jeder andere. Nach der 6. Stunde, die um 13 Uhr endete, trafen wir uns erneut alle auf dem Schulhof und gingen zusammen nach Hause. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass ich nie dort ankommen würde.

Wir gingen gemeinsam die viel befahrene Hauptstraße entlang und redeten über alles Mögliche. Ich ging wie immer mitten im Pulk auf der Straßenseite. Alex und Jan gingen neben mir und unterhielten sich über ein bevorstehendes Konzert ihrer Lieblingsgruppe. Ich musste den Blick abwenden, um mir so ein Lächeln zu verkneifen. Wenn Jan wüsste, dass Alex nur auf die Band steht, weil sie ihn mag… Ja, für mich war sie wie ein offenes Buch. Jedes zweite ihrer Wörter war „Jan“ und ich wusste, wie sehr sie ihn mochte. Nur leider wusste er es nicht.

Ich seufzte und beobachtete eine Gruppe Kindergartenkinder, die auf der anderen Straßenseite entlang gingen. Oder sollte ich besser sagen: sprangen? Ich fragte mich manchmal, wie so kleine Kinder, so viel Energie haben konnten.

Ich ließ mich ganz ablenken. Auf meine Freunde achtete ich gar nicht mehr. Etwas hatte meine Aufmerksamkeit gefesselt, als ich die Kinder beobachtet hatte. Es waren jedoch nicht die Kinder, die mich so interessierten. Eine schwarz gekleidete Person stand mir gegenüber und sah mich an. Sie rührte sich nicht sondern starrte einfach nur zu mir.

Ich ließ mich langsam zurückfallen und merkte wie mein Puls zu rasen begann. Mein Körper sowie auch mein Kopf sagten mir, dass hier etwas nicht stimmte. Das Blut rauschte durch meinen gesamten Körper, als meine Beine mir nicht mehr gehorchten und einfach anhielten.

Die blauen Augen dieser Person schienen mich zu durchbohren. Das Blau war so intensiv, dass es fast wehtat. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Wie war es möglich solche Augen zu haben? Kontaktlinsen?

Doch ich hatte keine Zeit, um lange darüber nachzudenken. Von weit her hörte ich Stimmen, die meinen Namen riefen. Es klang dumpf in meinen Ohren. Dennoch hörte ich eine gewisse Panik heraus. Ich wandte meinen Blick von der Person ab und sah meine Freunde, die wie Statuen auf dem Gehweg standen, einige Meter von mir entfernt. Einige hatten die vor Schock geweiteten Augen auf mich gerichtet, die anderen sahen mit demselben Ausdruck im Gesicht an mir vorbei.

Ich folgte ihrem Blick und sah sofort, was sie so in Angst versetzt hatte. Ein Auto, welches viel zu schnell gewesen sein musste, schien nur knapp einem Zusammenstoß mit einem roten Kleinwagen entgangen zu sein und schlitterte jetzt seitlich auf mich zu.

Das schwarze Metall glänzte in der Mittagssonne. Es blendete meine Augen. Doch ich konnte mich sowieso nicht rühren. Das war es also. Mein perfektes Leben sollte so einfach beendet sein? Vielleicht hatte ich zuviel des Guten abbekommen. Vielleicht stellt das Schicksal das Verhältnis zwischen Glück und Pech wieder her. Und ich war die Person die dafür einstehen musste.

Meine letzten Momente verbrachte ich mit meiner geliebten Familie und meinen Freunden. Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, als mich das Auto mit der Wucht einer Gewehrkugel traf. Ich hörte ein widerliches Knacken und dann wurde alles schwarz.
 

+++++++
 

„Wer ist sie?“…

Stimmen. Sie drangen in mein Bewusstsein. Wo war ich? Was war passiert? Mein Kopf war im ersten Moment wie leer gefegt. Nur ein ständiger Schmerz durchdrang meinen Geist. Meinen Körper spürte ich nicht. Ich spürte gar nichts.

Es war als wäre ich unter Wasser. Stimmen kamen verzerrt oder ganz undeutlich in mein Bewusstsein.

Und in diesem Moment wusste ich nicht, was ich tun sollte. Sollte ich aufwachen? Würden die Schmerzen dann noch schlimmer werden? War ich im Himmel? Der Unfall? Hatte ich den Unfall überlebt? Würde ich meine Eltern und meine Freunde wieder sehen? Oder war das gar nicht mehr möglich?

Eine kalte Hand berührte mein Gesicht. Innerlich zuckte ich zusammen, doch ich wusste, dass man es von Außen nicht sehen konnte.

Was auch immer genau passiert war, ich war am Leben. Ich hatte irgendwie überlebt.

Ich spürte, wie jemand eines meiner Augenlieder anhob. Doch ich konnte trotzdem nichts sehen. „Blaue Augen!“, stieß eine panische Stimme hervor. Sofort hörte ich Schritte auf dem Fußboden, die sich blitzschnell zu entfernen schienen. Warum? Was war so schlimm an blauen Augen?... Blaue Augen? Die Erinnerrungen stürzten wie ein Wasserfall auf mich ein. Der Mann! Diese furchtbaren blauen Augen!

Angst vernebelte meine Gedanken. Ich merkte, wie mein Körper unwillkürlich zuckte. Diese Angst riss mich an die Oberfläche und ich schlug die Augen auf.

Das Erste, was ich sah, war ein blauer Himmel. Ein tiefes hellblau, welches mein gesamtes Blickfeld ausfüllte. Nur an einer Seite war das Licht der Sonne zu erkennen.
 

Ich drehte langsam meinen Kopf auf die rechte Seite und zuckte sofort zurück. Dort standen fünf Männer, die mit Gewehren auf mich zielten. Schnell richtete ich meinen Oberkörper auf und robbte auf meinem Hintern über den Boden, bis ich an etwas stieß. Ich traute mich nicht, meinen Kopf umzudrehen, doch aus den Augenwinkeln erkannte ich, dass ich soeben gegen einen großen Felsblock gestoßen war.

Ich kauerte mich daran zusammen und blickte ängstlich in die Gesichter der Männer, die nur wenige Meter von meinem entfernt waren. Ich spürte den sandigen Boden unter mir, der mich und die anderen voneinander trennte. Der Mann ganz vorne hatte kurze, schwarze Haare, die ihm wild vom Kopf abstanden. Er war größer als die anderen und ziemlich muskulös. Sein kantiges Gesicht ließ ihn bedrohlich aussehen. Er war so um die 20 Jahre alt und seine Haltung deutete darauf hin, dass er eine Art Anführer war oder sich zumindest so fühlte.

Hinter ihm stand ein jünger aussehender Mann mit etwas längeren blonden Haaren. Er war groß und schlaksig und hatte ein freundlicheres Gesicht. Ich schätzte ihn auf ca 15 Jahre.

Rechts neben dem blonden Jungen stand ein etwas kleinerer Mann mit Glatze. Sein muskulöser, freier Oberkörper verriet, dass er sich mit seinen 25 Jahren noch sehr mit Kraftsport beschäftigen musste.

Auf der anderen Seite stand ein ca 30 jähriger Mann mit langen blonden Haaren, die von einem unordentlichen Pferdeschwanz zusammengehalten wurden. Er trug eine kleine Brille auf der Nase. Und neben diesem Mann war ein kleiner, dicklicher Mann mit kurzen, braunen Haaren, der ebenfalls um die 30 sein musste, zu sehen.
 

Ich musterte die Männer mit ihren misstrauischen und wütenden Blicken mehr als einmal, während sie mich nur ansahen. Jedoch machte nach meiner Reaktion keiner Anstalten, die Waffen zu senken.

Sah ich so gefährlich aus? So verzweifelt und ängstlich, wie ich aussehen musste? Immer noch war ich total durch den Wind. Wo war ich? Ich hatte soeben einen Unfall in einer Vorstadt von Berlin und jetzt saß ich mit bewaffneten Männern in einer Art Wüste? Was war nur mit mir passiert? Wo waren meine Freunde? Meine Familie?

Bei dem Gedanken spürte ich die Tränen in mir aufsteigen und ich ließ sie gewähren. Wie es aussah würde ich sowieso nicht lange überleben. Da konnte ich auch meine Trauer offen zeigen. Immerhin war gerade mein Leben mit einem Schlag zerstört worden.

„Was ist mir ihr?“ Der blonde Junge hinter dem Anführer durchbrach als erstes die Stille. Er sah mich schief und auch leicht verwirrt an, als ob ich irgendwas getan hätte, was ihn verwundert hatte.

„Lasst euch nicht täuschen. Ihr habt ihre Augen gesehen!“, meinte der Schwarzhaarige aus der ersten Reihe. Sein grimmiger Blick schien mich zu durchbohren.

„Aber sieh doch!“, protestierte der Junge erneut und deutete unnötigerweise auf mich.

„Ian, hör auf!“, mischte sich nun plötzlich der dickliche Mann ein. Er warf einen finsteren Blick auf den Jungen, welchen dieser erwiderte.

„Kyle, Ian. Hört auf.“, verlangte der große Schwarzhaarige und sofort reagierten die beiden Angesprochenen. Der Junge namens Ian grummelte etwas vor sich hin, wandte aber den Blick von Kyle ab, um mich wieder anzusehen.

Er schien meine Angst zu spüren und brachte ein aufmunterndes Lächeln zustande.

Ich sah ihn nur entgeistert an und versuchte mich noch kleiner zu machen, als ob ich so verschwinden könnte.

Mein Atem ging schnell und stoßweise und der Schweiß stieg mir auf die Stirn. Noch immer spürte ich einen stechenden Schmerz in meinem Bein, welcher durch meinen momentanen Sitz nur noch schlimmer wurde. Doch ich versuchte das Stechen so gut es ging zu verdrängen.
 

„Was machen wir jetzt?“, fragte der Mann mit der Brille. „Wir können nicht ewig hier bleiben. Wir müssen zurück.“

Ein schwaches Nicken der anderen zeigte, dass sie dem Mann zustimmten.

Auch der Anführer schien das zu wissen. „Aber das Mädchen…“, meinte er in Gedanken versunken und deutete auf mich. Ich zog die Beine noch näher heran und schlang die bereits tauben Arme darum. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie sehr ich zitterte. Mein ganzer Körper vibrierte und meine Zähne klapperten jedes Mal leise, wenn sie aufeinander trafen.

„Wieso nehmen wir sie nicht erstmal mit? Ich bin immer noch der Meinung, dass sie ein Mensch ist und deshalb dürfen wir sie nicht töten.“ Es war der blonde Ian, der diesen Vorschlag machte. Beim Wort „töten“ war ich sichtbar zusammengezuckt. Sie würden mich also töten… Wieso dann noch herauszögern?

„Hm. Wir sollten wirklich vorher Jake fragen. Auch wenn ich mir ziemlich sicher bin.“, meinte der kleine Mann mit der Glatze.

Nickend stimmte der Mann vorne zu. „Ok. Aber lasst sie nicht aus den Augen. Und haltet die Waffen bereit. Ian.“ Der Angesprochene reagierte sofort und kam langsam auf mich zu. Ich rührte mich nicht vom Fleck. Es gab sowieso nichts, was ich tun konnte. Und mein Kopf war gar nicht in der Lage sich etwas zu überlegen. Die Angst hatte meinen gesamten Körper gelähmt.
 

Ian kniete sich vor mich hin und sah mich freundlich an. Er schien nicht zu denken, dass ich gefährlich war. Im Gegensatz zu den anderen.

„Kannst du aufstehen?“, fragte er vorsichtig und streckte eine Hand aus. Automatisch wich ich noch ein Stück zurück, was mein Gegenüber mit einem Seufzen kommentierte. Das Seufzen klang aber nicht genervt, wie ich es erwartet hatte. Es klang eher so, als wäre er sauer. Und wie zur Bestätigung für meine Theorie warf er seinen Leuten einen bösen Blick zu. Diese reagierten darauf und entfernten sich langsam von uns. Nach wenigen Schritten waren sie hinter einem nahe liegenden Felsen verschwunden.
 

Augenblicklich fühlte ich mich besser. Jetzt, da die Waffen nicht mehr auf mich gerichtet waren.

Der blonde Junge wandte sich wieder mir zu. „So, sie sind jetzt erstmal weg.“, sagte er mit einem Lächeln. Er schien gemerkt zu haben, dass ich nicht mehr ganz so angespannt war.

Erneut streckte er eine Hand aus und diesmal ergriff ich sie langsam. Mein gesamter Körper protestierte, als ich vorsichtig hochgezogen wurde. Ein schmerzvolles Stöhnen entwich meiner Kehle.

„Bist du verletzt?“ Zu meiner Verwunderung hörte ich echte Sorge aus seiner hellen Stimme heraus.

„Nein.“, log ich und schon bei dem Wort fühlte sich meine Lunge trocken und wund an. Das Wort klang eher wie das Krächzen eines Raben, als wie eine weibliche Stimme.

Ian sah mich erst misstrauisch an, beließ es jedoch dabei.

„Mein Name ist Ian, falls du das nicht schon rausgehört hast.“ Er lachte. „Tut mir Leid, dass wir dich so grob empfangen haben. Und verzeih den anderen, dass sie sehr misstrauisch sind. Wie heißt du?“

Während er geredet hatte, versuchte ich meinen immer noch zitternden Körper wieder unter Kontrolle zu bringen. Mit mäßigem Erfolg. „Hannah.“, krächzte ich und erneut durchzuckte ein Schmerz meine Kehle.

Nun fasste Ian sich an den Gürtel, öffnete ein Band, welches um eine Flasche gebunden war und reichte mir diese. „Hallo, Hannah.“, meinte er freundlich, als ich zögernd die Flasche nahm.

„Wasser.“, meinte er knapp, als er meinen fragenden Blick sah. „Tut mir echt Leid, dass ich das tun muss, aber ich müsste dich bitten uns zu folgen. Wir müssen sofort zurück und können dich nicht einfach hier lassen ohne zu wissen, wer du genau bist.“

Vor Schreck zuckte ich erneut zusammen, und verschüttete etwas von dem Wasser. Ich sollte mitkommen? Wollten sie mich jetzt woanders umbringen? Wieso taten sie es nicht hier und jetzt? Wie lange sollte ich noch leiden? Wollten sie mich erst foltern, bevor sie mich töteten? Die Angst kroch wieder in mir hoch. Mit panischen Augen sah ich Ian ins Gesicht. Seine grünen Augen hatten die Farbe von frischem Gras.

„Hey, hey. Beruhige dich! Du brauchst keine Angst zu haben. Ich werde die Idioten schon nicht übereilt handeln lassen. Ich pass auf dich auf.“ Sein Lächeln in diesem Moment hätte mich fast glauben lassen, was er gesagt hatte, wäre da nicht immer noch die Angst, die mir die Kehle zuschnürte.

Ich nahm einen tiefen Schluck aus der Stoffflasche und gab sie ihm wieder zurück. Die kühle Flüssigkeit fühlte sich wohltuend in meiner geschundenen Kehle an. Der Schmerz verschwand nicht vollständig, jedoch wurde er von dem Wasser gemildert.

„Gehen wir?“ Natürlich würde ich mit ihnen gehen. Ich befand mich an einem seltsamen Ort und wusste nicht, wo ich war. Was sollte ich also sonst tun? Ich nickte zur Antwort und ging neben ihm her.
 

Hinter einem großen Felsen trafen wir wieder auf die anderen Männer. Sie standen in einem kleinen Kreis und diskutierten angeregt. Einige schienen ziemlich wütend zu sein. Ihre Stimmen hallten laut von den Felsbrocken wider und zwei fuchtelten wild mit den Händen in der Luft. Kurz vor ihnen blieb Ian stehen und ich tat es ihm gleich.

Der Anführer bemerkte uns als erstes und sah auf. Als uns der Rest ebenfalls entdeckte, richteten sie ihre Blick ebenfalls auf uns. Der Mann mit der Glatze und der dickliche Mann sahen mich hasserfüllt an und ich wich vor Schreck zurück. Fast ohne eine sichtbare Bewegung ging Ian ein Stück zur Seite, sodass er nun vor mir stand und mich von den beiden Männern auf der rechten Seite abzuschirmen. Mit großen Augen sah ich den blonden Ian von hinten an. Er war um einiges größer als ich mit meinen 165 cm. Auch wenn er scheinbar einige Jahre jünger war als ich. Sein dreckiges, beiges T-Shirt und die braune Stoffhose waren an einigen Stellen von Schweiß getränkt. Nun, da die Sonne direkt auf uns nieder brannte lief auch mir der Schweiß bereits am Körper entlang.

„Kyle, James. Hört auf damit. Es ist noch nichts entschieden.“, griff der schwarzhaarige Anführer ein, um die beiden Parteien davon abzuhalten, aufeinander loszugehen. „Und du auch, Ian.“, fügte er mit einem Blick zu dem Blonden vor mir hinzu.

„Aber Taylor! Du weißt genau wer oder was sie ist! Auch wenn sie tut, als wäre sie keine von denen! Lass dich nicht auch noch täuschen! Unser Jüngling ist dem Mädchen ja schon verfallen!“, meinte der dicke Kyle wütend.

„Du bist blind und stur!“, konterte Ian. Taylor, der Anführer, betrachtete nur ruhig die beiden Streithähne, schritt diesmal aber nicht ein.

„Ach wirklich? Du stellst dich gegen mich für eine von DENEN?“

Ian schnaubte verächtlich. „Du weißt überhaupt nicht, ob sie eine von denen ist! Sieh sie dir doch an! Sie hat eher Angst vor UNS! Ihr mit eurer aggressiven Haltung!“

Eine Ader pochte gefährlich auf Kyles Stirn. „Ich bin etwas älter als du! Ich habe mehr Erfahrung! Und ich habe schon mehr Leute an sie verloren, als du ahnst!“

„Dann zählen meine Eltern und meine drei Geschwister etwa nicht?!“ Nun schrie auch der Junge vor mir. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, hörte jedoch in seiner bebenden Stimme, wie wütend er war.

Darauf konnte Kyle nicht sofort antworten. Für einen Moment entgleisten seine wütenden Züge und zeigten Schmerz und Mitleid. Doch er fing sich sofort wieder. „Natürlich war auch die Sache mit deinen Eltern schlimm… Aber darum geht es hier gar nicht! Dieses Mädchen ist eine Gefahr für uns! Wenn ihre „Freunde“ sie erstmal gefunden haben, sind wir alle tot!“ Ein leises Wimmern entfuhr meinen Lippen, als er die Worte ‚Freunde’ und ‚tot’ benutze. Wen meinte er? Alex, Jan und die anderen? Aber wieso sollten sie Leute töten? Das könnten sie niemals!

Aber noch wichtiger war: Kannten sie sie? Wussten sie wo ich bin und wie ich wieder nach Hause komme? Tränen traten mir erneut in die Augen und ließen mein Sichtfeld verschwimmen.

„Hannah?“ Ians Stimme holte mich wieder aus den Gedanken. Ich sah ihn durch meinen Tränenschleier ins Gesicht. Er hatte sich halb zu mir umgedreht und musterte mich nun. Sein Blick lag voller Sorge. Ich verstand das alles nicht mehr.

Ian ließ ein kleines, leises Knurren hören. Bis heute hatte ich noch nie einen Menschen solch ein Geräusch machen hören. Es klang ziemlich wütend und bedrohlich. Als er sich wieder umdrehte, fasste ich ihn leicht am unteren Rand seines T-Shirts, weil ich Angst hatte, dass er sich gleich auf den kleinen Mann stürzen würde. Und vielleicht würde dieser dann auf ihn schießen…
 

Der blonde Junge beruhigte sich sofort wieder, als er meinen leichten Versuch ihn zu stoppen, bemerkte. Er atmete einmal tief ein und wieder aus um sich zu beruhigen.

„Vielleicht sollten wir das nicht gerade hier besprechen.“, meinte er betont ruhig zu seinem Gegenüber. Dann wandte er sich an Taylor. „Können wir Hannah erstmal mitnehmen und uns dann ihre Geschichte anhören?“

„Ja, das werden wir. Ihr habt mich neugierig gemacht. Vielleicht sollten wir wirklich erst das Mädchen anhören, bevor wir sie verurteilen.“

Ian atmete erleichtert auf. „Ich werde solange auf sie aufpassen. Wehe einer rührt sie an.“, diese Worte richtete er besonders an Kyle und James, die ihn nur noch wütender anstarrten. „Ich übernehme die volle Verantwortung für das Mädchen.“

„Manchmal scheinst du zu vergessen, dass du nächsten Monat erst 16 wirst, Ian.“, kam es ruhig von Taylor.

Ian lachte. „Das habe ich von dir! Du bist auch erst 21 und schon Anführer unserer Truppe! Bitte. Lass mich dieses eine Mal vergessen, dass ich der Jüngste bin. Ich weiß, dass es falsch wäre, Hannah was zu tun.“ Bei den letzten Worten war er völlig ernst gewesen, was die anderen Männer ins Staunen gebracht hatte. Alle bis auf Taylor hatten eine Augenbraue als Zeichen des Staunens hochgezogen.

Nur der Schwarzhaarige schien die Reaktion des Jüngsten nicht zu verwundern. „Du weißt,…“, begann er dann „dass ich dir vertraue. Ich habe dich zu meiner rechten Hand ernannt und dir schon viele Aufträge alleine überlassen. Wenn du meinst, wir sollten das Mädchen nicht töten, dann vertrau ich deiner Menschenkenntnis.“

James und Kyle zogen ungläubig nun auch die zweite Augenbraue hoch.

„Wenn sich aber herausstellt, dass sie eine Gefahr für uns und unsere Familien und Freunde ist, werde ich nicht länger zögern und diese Gefahr verleugnen.“

Ian Schluckte hörbar; nickte jedoch. „Ja, ich verstehe.“

„Gut.“ Nach dem das Gespräch beendet war, machte Taylor auf dem Absatz kehrt und ging weiter durch die von riesigen Felsbrocken übersäte Landschaft.

Der Blonde mit der Brille folgte ihm sofort und auch James und Kyle gingen ihnen grummelnd hinterher.
 

Nachdem sie uns drei Meter voraus waren, setzte auch Ian sich in Bewegung. Ich brauchte zwei Sekunden um das zu registrieren, stolperte dann aber hinter ihm her. Er, Taylor und der Brillenträger hatten ihre Gewehre über die Schultern gehängt. James und Kyle jedoch trugen sie immer noch schussbereit. Ob das nur meinetwegen so war, wusste ich nicht. Einerseits hoffte ich es, da ich gar nicht wissen wollte, wer oder was hier noch unterwegs war, andererseits wäre es mir aber lieber, wenn die Dinger verschwinden würden.

Was war hier eigentlich los? Warum fürchteten fünf große Männer sich vor einem kleinen Mädchen wie mir? Mein Kopf schmerzte, als würde er gleich platzen. Die Sonne brannte auf meine langen, rabenschwarzen Haare, wovon mir einige ins Gesicht hingen. Der Zopf musste sich gelöst haben. Doch mein Aussehen war mir im Moment egal.

Viel mehr kämpfte ich im Moment gegen die Schmerzen in meinem linken Bein an. Woher kamen diese? Von dem Unfall? Aber warum lag ich mit einem schmerzenden Bein mitten in einer Steinwüste? Wie lange war ich bewusstlos gewesen?

Nur eines war mir klar. Etwas war hier ganz und gar nicht richtig.

Hass und Schmerzen

Kapitel 2 – Hass und Schmerzen
 

Ich wusste nicht, wie viel Zeit schon vergangen war, aber es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Die Schmerzen in meinem Bein wurden immer schlimmer und ich hatte Mühe mit den Männern Schritt zu halten. Es half mir aber, dass wir uns oft hinter Steinen und Bäumen versteckten und die Landschaft aufmerksam beobachteten und so nur langsam vorankamen.

In den wenigen Pausen untersuchte ich heimlich mein Bein, fand aber nicht das geringste Anzeichen für eine Verletzung, was das Ganze noch seltsamer machte.

Die Männer redeten kaum ein Wort. Und mit mir schon gar nicht. Bis auf Ian taten alle ihr Möglichstes, mich zu ignorieren. Ich verstand das alles nicht, traute mich aber auch nicht zu fragen. Doch mich interessierte es brennend, warum alle solche Angst vor mir hatten. Was war mit meinen blauen Augen? Hatte das etwas mit dem Mann zu tun, den ich kurz vor meinem Unfall gesehen hatte? Ich konnte mir keinen Reim darauf machen.
 

Als die Sonne hinter dem steinigen Horizont verschwand und der eben noch hellblaue Himmel sich schwarz färbte, schlug unsere Gruppe ihr Nachtlager auf. Ich setzte mich nur still an den Rand und beobachtete das Treiben um mich herum.

Der Mann mit der Brille, den Ian Hugh genannt hatte, machte sich auf den Weg um kleinere Äste und Holzstücke für ein Lagerfeuer zu suchen.

James und Kyle verschwanden in Richtung der untergehenden Sonne. Sie hatten einige Stoffflaschen dabei, in der die Männer ihr Trinken aufbewahrten was mich vermuten ließ, dass irgendwo eine Wasserquelle sein musste.

Taylor und Ian dagegen ließen mich nicht aus den Augen. Es kam mir so vor, als hätten sie Angst, dass ich weglaufen könnte. Doch, wo sollte ich denn hin? Ich wusste ja nicht einmal in welchem Land ich war! Nie hatte ich geahnt, dass ich mal in so eine Situation geraten könnte.

Mama, Papa, Alex, meine Freunde… Wie sehr ich sie doch vermisste… Meine Stadt. Nicht diese komische Steinwüste… Ich wollte zurück. Zurück nach Hause.
 

Ich schlang meine Arme um die angewinkelten Beine und vergrub meinen Kopf dazwischen. Still liefen mir die Tränen über das Gesicht und ich tat nichts, um sie aufzuhalten. Ich dachte an meine Familie und Freunde und fragte mich, was sie wohl machten. Wie viel Zeit war seit dem Unfall vergangen? War ich einfach verschwunden? Hatten sie jemanden geschickt, der nach mir suchen sollte? Doch wie sollte er mich finden? Oder lag ich vielleicht im Krankenhaus und träumte das alles? War das alles nur ein Albtraum?

So viele offene Fragen quälten mich und ich schien keine Antworten zu bekommen.
 

„Geht’s dir nicht gut?“, hörte ich eine Stimme neben mir. Ich zuckte zusammen und schielte durch meine langen schwarzen Haare, welche mir nun frei über die Schultern fielen, hindurch. Ian saß rechts neben mir, im Schatten eines großen Felsbrockens. Sein Gesicht strahlte Besorgnis aus, was mich verwunderte. Doch ich konnte nicht mit ihm reden. Er war immerhin auch einer von den Menschen, vor denen ich Angst hatte und die mir so fremd waren.

Langsam drehte ich meinen Kopf wieder zurück und schwieg. Ich hatte zwar ein schlechtes Gewissen, weil ich Ian ignorierte, da er der einzige war, der mich wie ein Mensch behandelte, aber ich war zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage, zu reden.

Doch der blonde Junge rührte sich nicht vom Fleck. Er saß stumm neben mir, während ich immer noch weinte.
 

Bald darauf kamen die Männer von ihren Beutezügen zurück und weitere paar Minuten später brannte ein wärmendes Feuer und Fische und Früchte brieten über den Flammen. Ein köstlicher Duft verbreitete sich in dem kleinen Lager.

Ian saß immer noch neben mir, während die anderen zwei Meter von uns entfernt um das orangefarbene Feuer saßen und sich flüsternd unterhielten. Meine Tränen waren versiegt, doch ich gab meine Haltung nicht auf. Deshalb schmerzten viele meiner Knochen und Gelenke, sodass mein schmerzendes Bein beinahe darin unterging.

„Hier. Iss was.“ Ich schreckte hoch. Taylor stand direkt vor mir und reichte mir einen Teller auf dem ein gebratener Fisch und etwas Obst lagen. Auch für Ian hatte er einen Teller dabei.

„Danke.“, flüsterte ich mit vom Weinen angekratzter Stimme. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie sehr meine Stimme unter meinem Weinkrampf gelitten hatte. Ich versuchte mich geräuschlos zu räuspern. Trotzdem bemerkte Taylor es und drehte sich kurz um. Wenige Sekunden später tauchte er mit einer der frisch befüllten Wasserflaschen auf. Dankbar nahm ich die Flasche entgegen und trank einen großen Schluck. Das kühle Wasser ließ mich kurz erschaudern, da es einen ziemlichen Kontrast zu der heißen Wüstensonne bildete, selbst wenn diese nicht mehr schien.

Vorsichtig wandte ich mich meinem Essen zu. Wirklichen Hunger hatte ich nicht. Der Appetit war mir vergangen. Doch mein Magen sagte mir was anderes. Ein leichtes Grummeln zeigte mir, dass mein Körper nach Nahrung verlangte. Also nahm ich einen Bissen.

Das Obst war ziemlich frisch. Und das mitten in der Wüste. Wie kamen sie an so frisches Obst?

Der Fisch war ebenfalls noch nicht alt und überraschend lecker gewürzt. Ich konnte mich nicht erinnern so etwas schon mal geschmeckt zu haben.
 

Gleich nachdem ich angefangen hatte, zu essen, drehte Taylor sich um und ging zurück ans Lagerfeuer, welches sich als heller Fleck von der Finsternis abhob.

Ich sah ihm noch eine Weile nach und bemerkte, wie die Männer am Feuer mir immer wieder giftige Blicke zuwarfen und meckernd auf ihre Teller zeigten. Durch mich hatte wohl jeder eine kleinere Portion bekommen. Noch ein Grund mehr, um mich zu hassen. Als ob sie das nicht schon genug täten…
 

„Schmeckt es dir?“ Ians Stimme kam nicht mehr ganz so unerwartet, weshalb ich mich auch nicht erschreckte. Ein kurzes Nicken war meine Antwort und ich griff erneut auf den Teller. Doch Appetit hatte ich immer noch nicht. Wenigstens hatte mein Magen aufgehört zu knurren, sodass ich nicht länger gezwungen war, etwas zu essen. Mir war immer noch schlecht von der ganzen Aufregung.
 

„Ich habe ihnen versucht klar zu machen, dass du keiner bist.“ Sein Satz verdutzte mich.

„Was bin ich nicht?“, meinte ich leise.

„Na… Eine von… denen.“, rang Ian um Worte. Doch ich verstand gar nichts.

„Wie bitte? Eine von denen? Wer sind die denn? Und warum sollte ich eine von diesen Menschen sein?“

Es herrschte Schweigen zwischen uns. Ich schielte zu ihm hinüber und sah, dass er um Worte rang. Wer konnten diese Leute sein, dass alle solche Angst vor ihnen hatten?
 

„Legt euch hin! Wir brechen Morgen noch vor Sonnenaufgang auf!“ Taylors Stimme unterbrach Ians Gedanken. Eine Weile sahen wir beide den anderen zu, wie sie sich um das Feuer drum herum legten und sich für die Nacht vorbereiteten.

„Er hat Recht. Lass uns schlafen. Morgen wird es anstrengend.“, meinte Ian und erhob sich. „Komm mit ans Feuer. Es wird noch kälter.“ Doch darauf hatte ich keine Lust. Die Männer konnten mich sowieso schon nicht leiden und neben solchen Leuten wollte ich nicht schlafen. Ich hatte ein klein wenig Angst.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, danke. Ich bleibe hier hinten.“

Ian zuckte mit den Schultern. „OK, wie du möchtest. Gute Nacht.“

„Nacht.“ Dann ging Ian zu den anderen. Wie ich erkennen konnte, gab es noch einige Proteste, weil ich soweit außerhalb der Gruppe lag.

Doch das war mir in diesem Moment egal. Meine Augenlieder wurden schwer wie Blei und ich schaffte es gerade so noch, mich halbwegs bequem hinzulegen, ehe ich auch schon in eine traumlose Nacht abglitt.
 

++++++
 

Der nächste Morgen kam viel zu früh. Ian weckte mich mit einem freundlichen „Aufstehen. Wir müssen weiter.“ Zum Glück war ich kein Morgenmuffel, weshalb ich schon eine Minute später halbwegs wach aufrecht saß. Der Himmel war noch immer schwarz und nur eine leichte orangefarbene Fläche am Horizont kündete den nahenden Morgen an.

Die Männer hatten bereits ihre Sachen gepackt und verwischten nun alle Spuren unseres Aufenthaltes.

Mühsam rappelte ich mich hoch und knickte gleich wieder wenige Zentimeter ein, als ein stechender Schmerz meinen Körper lähmte. Mein Bein hatte wieder angefangen zu pochen. Beim nächsten Versuch achtete ich darauf, das Bein nicht zu sehr zu belasten. Zwar gab es immer noch ein unangenehmes Ziehen, aber es war um einiges erträglicher.

„Das fängt ja schon super an.“, grummelte ich leise vor mich hin, als ich mich zu den Männern gesellte.

Scheinbar waren sie zum Aufbruch bereit. Ihre Gewehre trugen sie in den Händen, als ob sie damit rechneten, es bald benutzen zu müssen. Allein der Blick auf die metallenen Geschosse machte mich nervös.
 

Ian schien meine Nervosität zu spüren. Oder vielleicht sah ich einfach zu auffällig auf die Waffen. Er kam lächelnd auf mich zu, und ich bemerkte, dass er seine Waffe zwar griffbereit hatte, aber sie bloß auf seinem Rücken trug.

„Guten Morgen, Hannah!“, strahlte er mich an. Seine blonden Haare wurden von einer relativ starken Windböe in sein Gesicht geweht. Doch es schien ihn nicht zu stören. Im Gegensatz zu mir und meinen langen Haaren.

„Morgen.“, kam es leise von mir, während ich versuchte meine Haare wieder in den Griff zu bekommen. Meine Stimme klang noch immer heiser.

„Wollen wir aufbrechen?“ Wollen? Nein, wollen bestimmt nicht. Das einzige, was ich wollte, war wieder nach Hause zu kommen. Man sah mir meine Einstellung wohl an, denn Ians Grinsen wurde breiter, doch seine grünen Augen strahlten eine gewisse Traurigkeit aus.

„Tut mir Leid.“, flüsterte er, fasste mich am Handgelenk meiner rechten Hand und zog mich vorsichtig mit.
 

Meine Gedanken schweiften ab. Hatte sich Ian gerade entschuldigt? Warum? Mir war zwar aufgefallen, dass er mit den anderen nicht übereinstimmte, was diese Geschichte mit den Anderen anging. Aber warum entschuldigte er sich, wenn ich ihnen folgen sollte? Ein kalter Schauer lief meinen Rücken hinunter und bildete eine Gänsehaut auf meinen Armen. Ich hatte ein ungutes Gefühl…
 

++++++
 

Nach einer Stunde sah es endlich so aus als verließen wir die felsige Gegend. Schon von weitem hatte ich bemerkt, dass wir auf einen Wald zusteuerten. Ich war froh, aus dieser Wüste rauszukommen. Endlich Schatten und Schutz vor dieser unglaublich heißen Sonne. Mein Kopf und meine Arme brannten schon wie Feuer. Ich hatte mir garantiert einen Sonnenbrand geholt. Ich sah an mir hinunter. Vielleicht hätte ich keine dreiviertel lange Jeans und ein orangefarbenes T-Shirt mit Reißverschluss anziehen sollen. Es war hier so unglaublich heiß, sodass mir der Schweiß von der Stirn tropfte. Aber wenn ich noch weniger angehabt hätte, wäre wahrscheinlich der Sonnenbrand noch schlimmer geworden.
 

Ich ging mit Ian hinter der Gruppe her und sah so, dass den Männern das Wetter nicht viel auszumachen schien. Hochkonzentriert sahen sie dem Wald entgegen. Auch Ians Hand machte manchmal die Anstalten das Gewehr zu ziehen. Doch er ließ es immer wieder sein. Mit einem Seitenblick auf mich, wie ich einmal bemerkte. Er tat es also für mich. Doch ich wollte nicht der Grund dafür sein, dass ihm etwas passierte. Denn Ian war der Einzige, der mich nicht gleich umbringen wollte.

„Hey. Mach dir keine Sorgen um mich.“, ich versuchte meine Stimme fest und klar klingen zu lassen. Die ganze Nacht weinen hatte dabei aber nicht geholfen. Ich spürte seinen Blick auf mir, doch ich traute mich nicht, ihn anzusehen. Schüchtern betrachtete ich den Boden vor meinen Füßen, welcher sich langsam von sandig und steinig zu erdig wurde.

„Ich weiß zwar nicht, was hier los ist…“, begann ich. „aber ich merke, dass hier was nicht stimmt. Etwas kommt, oder? Dann zieh deine Waffe, bevor noch was passiert.“ Ich musste mich gar nicht selber sehen um zu merken, dass ich rot wurde. Schnell ließ ich meine langen schwarzen Haare über die Schultern fallen, und hoffte, dass sie meine leichte Röte versteckten.

Doch warum wurde ich rot? Was hatte das jetzt zu bedeuten?

Ich hörte ein Lächeln in seiner Stimme, was mich sehr verwunderte.

„Das hast du also bemerkt.“ Ich nickte, während er eine kurze Pause machte. „Du brauchst keine Angst zu haben. Ich habe mit Taylor geredet. Wir werden dir nichts tun ehe nicht mit Sicherheit feststeht, dass du eine von Denen bist. Und das glaube ich nicht.“
 

Ich merkte, wie mir die Mund offen stand und klappte ihn schnell wieder zu. Ich war also erstmal sicher? Ich musste noch nicht sterben? Ein riesiger Stein fiel mir vom Herzen. Ich wusste genau, dass ich noch lange nicht sicher war, aber erstmal musste ich nicht sterben!
 

Während ich darüber nachdachte spürte ich, wie sich der Boden unter meinen Füßen veränderte und sah, dass die ersten Bäume neben mir auftauchten. Ich hob meinen Kopf und entdeckte, dass wir den Wald bereits betreten hatten. Doch die Freude, die Wüste verlassen zu haben, wehrte nicht lange. Sie endete abrupt, als ich bemerkte, dass Ian sein Gewehr gezogen hatte und nun in den Wald starrte. Es war für mich immer noch ein seltsamer Anblick einen 15- jährigen Jungen mit einem Gewehr hantieren zu sehen. Er war immerhin noch zwei Jahre jünger als ich.

Doch sein Blick und auch sein Körper waren die eines Mannes. Eines erfahrenen Kriegers. Wo war ich hier gelandet? An welchem Ort mussten Kinder schon so Erwachsen sein?
 

Abrupt wurden meine Gedanken unterbrochen. Ein Schuss hallte durch den Wald und dieser Knall ließ mich zusammen zucken. Sofort suchte ich nach der Quelle des Schusses. Kyle hatte sein Gewehr in den tiefen Wald gerichtet. Rauch stieg noch aus der Mündung auf.

Doch auf was hatte er geschossen?
 

„Kyle!“, rief Taylor neben ihm.

„Da war eines von den Viechern!“, berichtete dieser, ohne den Blick von der Stelle zu nehmen, auf welche er geschossen hatte.

„Verdammt!“, knurrte James und entsicherte mit einem lauten Klick seine Waffe. Auch Hugh und Taylor machten ihre Waffen bereit.

„Wa-as?“, setzte ich an, als Ian mich plötzlich am Handgelenk fasste und mich hinter sich zog.

„Bleib hinter mir.“, zischte er leise und beobachtete weiter aufmerksam die Bäume.

Ein weiter Schuss fiel. Diesmal war es James, soweit ich das mitbekam.

„Sie sind auf uns aufmerksam geworden! Lasst uns schleunigst von hier verschwinden!“, orderte Taylor an und rannte voraus. Die anderen Männer folgten ihm sofort. Ian zog mich am Handgelenk hinter ihm her. Während wir über den unebenen Boden des Waldes liefen, entwich mir öfters ein leises Stöhnen. Mein Bein schmerzte bei jedem Schritt, sodass ich nur humpelnd vorankam.
 

Weitere Schüsse fielen und der Hall jagte durch den Wald. Ich zuckte bei jedem Knall zusammen. Ich hatte Angst mich umzusehen. Hatte Angst zu sehen, was uns da verfolgte.

„Whaaaa!“ Mein Schrei hallte durch die Schatten der Bäume und im nächsten Moment lag ich mit dem Bauch auf dem Boden.

„Hannah!“ Ians Stimme klang etwas weiter entfernt, da er noch wenige Meter ohne mich gelaufen war. Ich hob meinen Kopf und drehte ihn langsam so, dass mein Bein in meinem Blickfeld war.

„Ahhhhh! Was ist das?“ Panisch robbte ich einige Zentimeter über den laubbedeckten Boden, doch das Ding ließ mich nicht los. Es hatte Ähnlichkeit mit einem Wolf, nur dass es komplett schwarz war und seine katzenartigen Augen rot leuchteten. Außerdem waren die Gesichtszüge dieses Wesens verzerrt. Keines der Tiere, die ich kannte, passte zu diesem Etwas.

Panik stieg in mir hoch, als ich einen starken Schmerz in meiner Wade spürte und eine rote Flüssigkeit unter dem schwarzen Wesen hervor sickern sah. Mein Blut.

„Verschwinde!“, schrie ich dem Tier entgegen und suchte mit den Händen nach Steinen zum Werfen. Jedoch machte es das Tier noch wütender. Ein furchterregendes Knurren entwich seiner Kehle.

Ein weiterer Schuss ertönte und das Wesen sackte in sich zusammen. Schnell zog ich mein Bein von dem Tier weg, als mein Körper plötzlich den Boden unter mir verlor. Ein erschreckter Laut kam von mir, als Ian mich auf seine Arme hob.

„I-Ian!“, stammelte ich, doch dieser war bereits losgelaufen. Das erste, an was ich dachte war, dass er ziemlich groß und muskulös für sein Alter war. Sonst hätte er mich nicht so einfach hochheben können. Danach wurde ich mich meiner Position bewusst, und die Schamesröte stieg in mein Gesicht. Doch ich wusste, dass das jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für so was war.

Er achtete gar nicht auf mich. Sein Blick war starr nach vorne gerichtet, so als wollte er so schnell wie möglich wohin. Und mir war alles recht, solange diese Viecher verschwanden.
 

Ängstlich sah ich an den Armen des Blonden vorbei und zuckte zusammen, als eine Gruppe von mindestens 20 von diesen Wölfen in mein Blickfeld trat.

„Verdammt!“, zischte der Junge und rannte noch etwas schneller. Wie konnte er nur so flink sein, während er mich trug?
 

Wenig später erreichten wir einen Fluss. Ian sprang sofort hinein und ich kreischte erschrocken auf, als das kalte Wasser mich berührte.

„Schwimm!“, kam es von dem Jungen und ich versuchte zu gehorchen. Mein Bein tat höllisch weh. Sogar das Wasser hinter mir hatte eine leichte rote Färbung, welche aber sofort von der Strömung mitgerissen wurde. Ängstlich sah ich über meine Schulter und stutzte. Die Wölfe standen nur am Ufer und sahen uns mit wildem Blick hinterher. Sie folgten uns nicht mehr.
 

Hustend krochen wir beide an Land. Ich lag von Schmerzen gekrümmt auf dem Boden und hielt mein wild pochendes Bein. Ich hatte wohl Dreck hinein bekommen. „Hnnnn…“

„Hannah? Bist du ok? Oh je. Dein Bein sieht schlimm aus!“ Er klang besorgt. Ian kam langsam auf mich zu und kniete sich neben meinen Beinen nieder. Er besah sich die Wunde und verzog seltsam sein Gesicht. Was war los? War die Wunde so schlimm?

Mühsam setzte ich mich auf und sah zu ihm herunter. Mein Atem stockte. Blut quoll aus den Zahnspuren und sickerte langsam in den Waldboden. Die Ränder der Wunden waren dunkelrot und angeschwollen. Die Verletzung war schlimmer, als ich gedacht hatte.
 

Langsam begannen auch meine Sicht und damit die Konturen aller Dinge zu verschwimmen. Der hohe Blutverlust war wohl zu viel für mich.

„Hannah?“ Ians Stimme war voller Sorge. Um mich? Doch ich konnte ihm nicht mehr antworten. Mir wurde schwarz vor Augen und mein Oberkörper sackte nach hinten. Bewegungslos blieb ich auf dem feuchten Waldboden liegen.
 

Ich war Ohnmächtig. Oder doch nicht ganz? Stimmen aus meiner Nähe drangen noch zu mir durch. Bewegen oder gar die Augen aufmachen konnte ich jedoch nicht. Gezwungener maßen, aber auch interessiert, lauschte ich dem Gespräch der Männer.

„Ian! Du Trottel! Was sollte das?“

„James, hör auf! Ich konnte Hannah doch nicht einfach den Viechern zum Fraß vorwerfen!“

„Hannah, pah! Sie ist doch sowieso eine von DENEN! Du hättest sie sogar liegen lassen m ü s s e n!“ Ein wutschnaubendes Geräusch. Ein Geräusch, als ob jemand auf dem Boden aufschlagen würde.

„Ian! James! Hört sofort auf!“ Stille.

„Tut mir leid, Taylor, aber ich kann nicht mehr einfach nur zusehen, wie dieser Mistkerl sie beleidigt!“ Ian klang aufgebracht. Eine Weile sagte niemand was.

„Es ist noch nicht bestätigt, dass sie keine…“, doch Taylor wurde unterbrochen. Ian fiel ihm ins Wort.

„Ich kann es nicht fassen! Seit wann seid ihr so abergläubisch? Ihr seht doch alle, dass sie sich nicht im Geringsten wie eine von denen benimmt! Sie leidet! Irgendwas ist mit ihr passiert!“

Ein Knurren und Schnauben war zu hören. Das mussten James, Kyle sein. Hugh schien sich wieder aus dem Gespräch herauszuhalten.

Ein Seufzen. „Ian, beruhige dich. Wir müssen vorsichtig sein. Bei einer übereilten Entscheidung könnten wir unsere Freunde und Familie in Gefahr bringen! Also führ dich nicht so auf und lasst uns gehen. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns und wir müssen uns beeilen, wenn wir bis zum Sonnenuntergang da sein wollen.“ Taylor wandte sich an einen der anderen Männer und ich erschrak. Er war direkt neben mir! „Hugh, wie sieht es aus? Wie geht es ihr?“

Der Angesprochene blieb einen Moment lang still und antwortete dann mit leiser und fester Stimme: „Die Wunden sind tief und sie hat zu viel Blut verloren. Bakterien haben sich in den offenen Bissen gesammelt und die Wunden entzündet. Aber ich müsste das wieder hinbekommen.“

„Danke, Doc. Dann lasst uns los. Ian kannst du sie tragen?“

„Ja!“

Und wieder merkte ich, wie mein Körper den Boden unter sich verlor und plötzlich frei zu schweben schien. Ian trug mich wieder auf seinen Händen. Ich selbst konnte noch immer keinen Muskel rühren. Doch eins machte mich stutzig. Hugh war ein Arzt? Er war immer der Ruhige und Zurückhaltende in der Gruppe. Er war mir nie wirklich aufgefallen.
 

Langsam schien mein Bewusstsein wieder zu schwinden. Die Stimmen um mich herum wurden leiser und klangen so, als wären sie Meter weit weg.

Ich ließ mich in die Schwärze ziehen. Es war so viel passiert. Es gab so viel zum Nachdenken. Doch genau das wollte ich eigentlich nicht. Ich wollte nicht wissen, wie aussichtslos meine Situation war. Ich wollte nicht mit Gewissheit wissen, dass ich nie wieder nach Hause konnte.

Wenig später war alles Schwarz.

Ategoto – Stadt der Hoffnung

Kapitel 03 – Ategoto – Stadt der Hoffnung
 

Am nächsten Morgen wachte ich spät auf. Es ging mir wieder richtig gut. Meine Wunde hatte die ganze Nacht nicht geschmerzt und auch jetzt war so gut wie nichts zu spüren. Auch der seltsame Schmerz in meinem Bein hatte nachgelassen. Die Nacht in einem richtigen Bett und ohne Bewegung hatte mir ziemlich gut getan.

Dennoch pochte mein Kopf ein wenig und mein Magen verlangte nach etwas zu Essen. Und da entdeckte ich ein Tablett auf dem Tisch. Schnell stand ich auf und humpelte, wegen des Verbandes, hinüber zu der hölzernen Ablage. Dort fand ich mehrere Schreiben Brot und ein bisschen Wurst und Käse als Belag. Daneben lagen ein roter Apfel und eine Banane vor einer Flasche Wasser sowie einem Glas.

Lucy musste dagewesen sein, ehe ich wachgeworden war.

Ich setzte mich auf den einzigen Stuhl und fing dankbar an zu essen.
 

Es dauerte nicht lange, bis ich die zwei Schreiben Brot gegessen hatte, doch niemand hatte mein Erwachen bemerkt. Also beschloss ich mal einen Blick in das Bücherregal zu werfen. Vielleicht würde ich dort einige Antworten auf meine Fragen bekommen.
 

Das kleine Bücherregal war bis oben hin voller Bücher und einige mussten sogar auf dem Regal ruhen. Neugierig warf ich einen Blick auf die Buchrücken. Es gab viele Bücher von scheinbar bekannten Autoren deren Namen ich jedoch noch nie gehört hatte. Doch der Großteil befasste sich mit der Geschichte des Landes.
 

Aber keines der Bücher interessierte mich. Ich hatte etwas gefunden, was meine Aufmerksamkeit ganz auf sich gezogen hatte.

Zwischen zwei riesigen Wälzern fand ich ein kleines, sehr alt aussehendes Buch. Es schien dutzende Male aufgeschlagen worden zu sein, denn sein Einband hatte viele Risse und Knicke. Vorsichtig zog ich das grüne Buch heraus und musterte dessen Cover. Es schien kein gedrucktes Buch zu sein, da die Vorderseite keinen Titel aufwies. Auch auf der Rückseite befand sich nichts geschrieben.

Ich nahm das kleine Buch und setzte mich auf den Stuhl. Neugierig öffnete ich es und blickte auf mehrere handgeschriebene Seiten. Ein Datum auf der ersten Seite machte mir klar, dass es so etwas wie ein Tagebuch sein musste.

Ich blätterte einmal grob durch das Tagebuch und blieb an dem letzten Eintrag hängen. Das Datum zeigte den 15. März und wenn diese Leute denselben Kalender hatten, wie ich ihn kannte, dann war dieser erst wenige Tage alt.
 

„Heute gab es wieder einen Vorfall. Wie schon vor wenigen Tagen sind heute wieder einige meiner engsten Freunde verschwunden. Larry und Michael. Sie sind von einem Jagdausflug nicht zurückgekehrt. Mich hat diese Nachricht sehr getroffen.

Doch etwas anderes überschattete dieses traurige Ereignis. Unser Prophet Frederik hatte eine seltsame Vorahnung. Er sagte, es würde jemand kommen. Jemand der dem Ganzen ein Ende setzen könnte. Doch er warnte uns vor dieser Person. Sie könnte den guten, aber auch den schlechten Weg einschlagen und somit Messias und Todbringer zu gleich sein.

Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Die Blauäugigen sind auf dem Vormarsch. Ich weiß nicht, wie lange unsere Stadt noch Widerstand leisten kann. Wenn nicht schnell etwas passiert sehe ich keine Hoffnung mehr für unsere Stadt der Hoffnung.“
 

Die Tür wurde geöffnet und knackte, als sie die Wand berührte. Erschrocken zuckte ich zusammen und ließ beinahe das Tagebuch fallen.

„Hey, hey. Ich bin es nur. Lucy! Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe!“ Die Blonde stand lächelnd in der Tür und musste sich richtig beherrschen sich nicht über meine Schreckhaftigkeit totzulachen. Schnell stand ich auf und steckte das Buch wieder an seinen angestammten Platz.

„Du hast gelesen?“, fragte mich die Blonde, als sie auf mich zu kam und den Tisch abdeckte.

„Nicht wirklich. Ich bin erst seit wenigen Minuten wach.“, erwiderte ich leise. Lucys Schönheit schüchterte mich etwas ein. Neben ihr kam ich mir vor wie das hässlichste Mädchen überhaupt. Ihre langen blonden Haare fielen ihr heute sanft in kleinen Locken über die Schultern. Sie trug eine enge dreiviertel lange, jeansähnliche Hose und ein langes, nach unten weiter werdendes, rosafarbenes T-Shirt mit einem beigefarbenen Muster darauf. Die offnen Sandalen, welche einen sachten Erdton hatten, rundeten das Outfit ab. Mit fließenden Bewegungen, die einer Elfe ähnelten, wuselte sie durch das Zimmer, immer mit einem Lächeln auf den Lippen.
 

„Als ich das letzte Mal da war, hast du noch tief und fest geschlafen.“, grinste sie. „Geht es dir heute besser?“

Ich nickte. „Ja, danke! Diese Nacht war sehr erholsam. Und meine Wunde hat aufgehört wehzutun.“, meinte ich freundlich und sah zu meinem Bein herunter.

Der Saum meiner dreiviertel langen Hose war an einigen Stellen eingerissen und der weiße Verband darunter wirkte noch so groß wie am gestrigen Tag. Dennoch fiel mir das Laufen nicht schwer. Und dafür war ich ziemlich dankbar.

„Das freut mich.“, lächelte die Blonde. „Ist schon erstaunlich, dass es dir heute schon wieder so gut geht. Du scheinst wahninniges Glück gehabt zu haben, dass dich das Gift der Wölfe nicht umgebracht hat.“

Darauf erwiderte ich nichts. Selbst wenn ich eine Antwort wüsste, würde das mir wahrscheinlich sowieso nicht glauben. Stattdessen lenkte ich das Gespräch in eine andere Richtung.

„Was.. Was wird jetzt aus mir?“, fragte ich leise, während ich zu meinem Bett herüber humpelte und mich darauf fallen ließ. Lucy blieb plötzlich stehen und ließ von ihren Tätigkeiten ab.

„Ach Hannah. Ich weiß es nicht. Vor wenigen Minuten wollten sich die Ältesten treffen und besprechen was mit dir passieren soll. Ich werde in solche Gespräche nicht mit einbezogen.“, meinte die junge Frau mit einem Unterton, der ganz nach Enttäuschung klang. Mit Sicherheit würde sie auch gerne in wichtigen Angelegenheiten ein Mitbestimmungsrecht haben.

„Ich versteh das einfach nicht…“. Zum wiederholten Mal, seit ich in diesem Alptraum aufgewacht war, konnte ich die Tränen nicht länger zurück halten. Meine Stimme wurde piepsig und war kaum noch zu hören. Eine Träne nach der anderen brannte heiß auf meinen Wangen, bis sie, einen Fleck zurücklassend, auf meiner Hose landeten.

„Hannah…“ Ich hatte meinen Kopf gesenkt und bemerkte daher nicht, wie sie zu mir rüber kam und sich neben mich auf das Bett setzte. Ihre linke Hand ruhte wenig später auf meiner Schulter.

„Sie werden mich töten! Das weiß ich genau! Ich habe ihre Blicke gesehen…“, brachte ich unter den Schluchzern hervor. „Ich will doch nur nach Hause! Ich möchte Alex wiedersehen! Und meine Eltern! Meine Schwester! Wieso musste mir das passieren? Ich wollte doch nur nach Hause gehen! Warum ich?“ Meine Gedanken und Gefühle sprudelten nur so heraus, während mir schon die Augen vom vielen Weinen brannten. Ich konnte sie nicht länger zurück halten. Ich konnte einfach nicht mehr stark sein…
 

Hemmungslos liefen mir die Tränen über das Gesicht, wenn ich an meine Freunde und Familie dachte. Alena, Lynn, Lilly, Mike, Jan, Till, Mona, Dora, Fabio, Felix… Was taten wohl meine Freunde jetzt? Hatten sie mich wirklich sterben sehen, als das Auto mich getroffen hatte? Trauerten sie jetzt um mich?

Dabei war ich gar nicht tot! Oder doch? War ich hier nur so etwas wie ein Geist? Ich wollte doch nicht hier sein! Ich wollte einfach nur nach Hause!

„Beruhige dich.“ Lucy saß noch immer neben mir und streichelte mit ihrer Hand beruhigend über meinen Rücken. Doch ich könnte schwören auch in ihrer Stimme gehört zu haben, dass sie Tränen unterdrückte. Das allein, auch wenn es vielleicht nur Einbildung war, hob meine Stimmung beträchtlich. Nicht alle Menschen hassten mich. Ian half mir, Taylor hatte sich für mich eingesetzt und Lucy fühlte mit mir. Es war ein schönes Gefühl, das zu wissen.

„Ich kann dich verstehen, hörst du? Ich glaube dir! Ich weiß zwar nicht woher du kommst, oder wie du zu uns gestoßen bist, aber eines weiß ich. Du bist keine Lügnerin! Und für eine von Denen bist du viel zu nett. Das könnten diese… diese… gar nicht.“

Mit tränennassen Augen sah ich sie an. Sie lächelte.

„Es ist schön, dass mir wenigstens einer glaubt.“, kam es leise von mir.

„Ich bin nicht die Einzige.“ Sie schüttelte sacht ihren Kopf. „Wenn Taylor und Ian dir nicht glauben würden, würden sie sich nie so um dich bemühen. Das weiß ich.“

Da war sie. Die Bestätigung auf meine Gedanken. Und nachdem ich diese Gedanken noch von jemand anderem gehört hatte, kamen sie mir gleich um einiges realer vor.

„Danke.“, meinte ich zu der jungen Frau neben mir und ich merkte selber, wie der Tränenfluss langsam abbrach und meine Stimme wieder kräftiger wurde.

Lucy lächelte mich freundlich an und legte ihre Hand auf meine, welche noch immer in meinem Schoß ruhte.
 

Genau in diesem Moment ging die Tür knarrend auf und aus Reflex zuckte ich leicht zusammen. Sofort wandte ich meinen Kopf der Tür zu und sah, wie zwei Männer den Raum betraten. Ich verkrampfte innerlich und drückte unterbewusst Lucys Hand.

„Simon, Jack.“, begrüßte Lucy die beiden steif mit einem Nicken. Sie sah sie mit einem leicht misstrauischen Blick an.

Beide Männer mussten um die 50 Jahre alt sein und ihre Haare waren grau. Beide trugen eine art Jeans und ein weißes Hemd. Bis auf ihre Gesichter, bei denen das des rechten Mannes kantig und des anderen eher rund war, sahen sie aus wie Brüder. Beide blickten schlecht gelaunt drein und ich wusste nicht, was ich davon halten sollte.

„Lucy. Würdest du uns bitte alleine lassen?“, fragte der mit dem kantigen Gesicht. Lucy zögerte und stand dann doch auf. Doch plötzlich hielt sie inne und sah zu mir herunter. Ich hatte ihre Hand nicht losgelassen. Ich wollte nicht mit den beiden Männern alleine sein. Ich hatte Angst.

Sie lächelte mich kurz an, und setzte sich wieder zurück auf das Bett.

„Tut mir Leid, Simon. Ich denke Hannah würde sich wohler fühlen, wenn ich hier bleibe. Das verstehst du doch, oder?“, meinte sie mit einer honigsüßen Stimme, in der ich einen Hauch Ironie heraushörte.

Der alte Mann grummelte etwas vor sich hin.

„Ja, ich verstehe.“, sagte er dann tonlos.

„Kommen wir zum eigentlichen Thema.“, begann der andere Mann, der Jack heißen musste. „Wir Ältesten haben uns beraten und über den Verbleib des Mädchens entschieden.“ Er räusperte sich und ich starrte ihn an. Jetzt würde ich erfahren, was sie mit mir machen wollten. Ob ich sterben musste oder nicht.

Kalter Schweiß trat mir auf die Stirn und ein Gefühl von Übelkeit kroch mir die Speiseröhre hoch. Gleich würde es sich entscheiden.

Lucy und ich saßen still da und warteten darauf dass die Männer das Gespräch fortsetzten.

„Wir haben beschlossen erst einmal abzuwarten und dich hierzubehalten. Bis nicht ausreichend geklärt ist, ob du ein Mensch bist, oder nicht, kannst du hier bleiben. Aber dafür teilen wir dich zu Arbeit ein. Lucy? Zeig ihr bitte die Stadt und nimm sie mit dir zur Arbeit.“ Erleichtert atmete ich auf und mein ganzer Körper entspannte sich augenblicklich. Nun konnte ich auch Lucys Hand wieder loslassen. Jetzt war sie es, die kurz zudrückte, was wohl als Zeichen der Freude für mich gedacht war.

„Natürlich.“, sagte Lucy knapp und nickte den Männern zu.

„Gut.“, kam es von Simon und gleich darauf verschwanden die Ältesten durch die knarrende Tür.
 

Wir saßen noch eine Minute bewegungslos da, bis die Blonde mir plötzlich um den Hals fiel.

„Ahhhh, Hannah! Ist das nicht toll? Du brauchst dir erstmal keine Sorgen zu machen!“, lachte die junge Frau fröhlich. Ihre Freundlichkeit ließ mir ein kleines Lächeln über das Gesicht huschen.

„Danke. Ich bin sehr erleichtert.“, meinte ich vorsichtig. Natürlich war ich erleichtert, aber wer weiß, wie lange sie bei ihrem Entschluss blieben? Und was bedeutet eigentlich, dass ich mit arbeiten soll?

„Und was soll ich jetzt tun?“

„Du meinst, wegen der Arbeit?“ Ich nickte. „Mach dir da mal keine Sorgen drum. Ich hole dich morgens ab und bringe dich auch abends wieder zurück. Den restlichen Tag verbringst du mit mir.“ Das klang doch schon mal recht positiv.

Dann sprang sie plötzlich auf und zerrte an meinem Arm. „Komm ich zeig dir alles!“, meinte sie fröhlich. Aber ich zögerte.

„Ich soll… in die Stadt? Dahin, wo die Bewohner sind?“, fragte ich skeptisch. Ich weiß, dass sie das Urteil nicht freiwillig getroffen hatten. Das hatten mir ihre Gesichter gezeigt. Der Widerwillen war ja kaum zu übersehen. Und jetzt sollte ich mitten in die Höhle des Löwen?

Ich musste schwer schlucken, was Lucy nicht entging.

„Hey! Dir wird keiner was tun! Hier setzt sich niemand über die Entscheidung des Rates hinweg. Also lass dich nicht von den anderen so runtermachen.“. Sie warf mir eins ihrer aufmunternden Lächeln zu und ich dachte darüber nach.

„Ich habe Angst.“, rutschte es mir plötzlich unbewusst heraus. Doch das änderte nichts daran, dass es stimmte.

Die Blonde trat wieder einen Schritt näher heran und kniete sich vor mich.

„Ich kann nicht mehr tun, als dir zu versprechen, dass ich alles tun werde, als dich zu beschützen.“ Bei diesen Worten sah ich ihr tief in die Augen. Sie strahlten so viel Ruhe und Güte aus, dass ich nicht an ihren Worten zweifeln konnte. Ja, ich musste es einsehen. Wenn ich hier jemandem vertrauen konnte, dann war das Lucy.

Ich nickte ihr zu. „Ich danke dir. Du glaubst gar nicht, wie gut es sich anfühlt, wenn man jemandem vertrauen kann.“

Sie lächelte. „Dann komm! Unsere Stadt ist etwas ganz besonderes!“, meine sie freudig und ich ließ mich von ihr vom Bett ziehen.
 

Lucy öffnete die Tür und wir traten auf den von Fackeln erhellten Gang hinaus.

„Hier unten leben wir. Abgeschottet von der Außenwelt. Es ist nämlich so, dass die a n d e r e n auf die Dauer keine Dunkelheit vertragen. Außerdem sind wir hier unten sicher vor etwaigen Angriffen.“, erzählte mir die blonde Frau, als sie mich durch viele verworrene Gänge zog. Ich hatte schon längst die Orientierung verloren und verließ mich nun ganz auf Lucy. Gebannt lauschte ich ihren Geschichten.

„Auch wenn wir etliche Meter unter der Erde wohnen, haben wir doch alles was wir brauchen.“

„Kommen diese Tunnel von euch?“, fragte ich in einer ihrer Pausen.

„Nicht direkt. Einige der größeren Tunnel waren schon hier, als wir vor 3 Jahren hier ankamen. Kleinere Seitengänge und einige der Zimmer haben wir gebaut.“

„Ihr seid schon 3 Jahre hier?“, fragte ich verwundert. So lange gab es diesen „Krieg“ hier also schon.

„Ja. Vor ungefähr 3 ½ Jahren gab es in dem Dorf, aus dem ich komme, den ersten Infizierten. Damals wussten wir noch nichts über die Bedrohung, die die Menschen auslöschen wollte. Er war einer meiner besten Freunde, weshalb mir seine Veränderung sofort auffiel. Die Infizierten können nämlich nicht glücklich sein.“, sagte die blonde Frau und nickte dabei.

„Nicht glücklich sein? Wie meinst du das?“, harkte ich nach. Wie konnte jemand ‚nicht glücklich sein’?

„Na ja, es ist so. Zwar können sie noch lachen oder sich freuen, aber es wirkt wie… aufgesetzt. So als ob sie gar nicht genau wüssten, was sich freuen ist und es nur einmal in einem Buch gelesen haben. Verstehst du was ich meine?“ Ich nickte. Ja, ich konnte es mir vorstellen. Dennoch klang es fast unmöglich. Diese, ich nenne sie mal, „Wesen“ manipulierten Menschen so, dass sie keine wahren Gefühle mehr haben konnten? Wie grausam das klang.

„Aber mach dir keine Sorgen.“, sagte sie, als sie sich umdrehte und mein deprimiertes Gesicht im Schein der Fackeln sah. „Wie werden uns nicht so schnell unterkriegen lassen. Außerdem finden wir eine Möglichkeit um unsere Familie und Freunde zurückzuholen. Koste es, was es wolle.“

Ich hörte die Entschlossenheit aus ihrer Stimme. Aber auch etwas Hoffnung klang mit. Das war wohl der Gedanke, der sie zum Weiterkämpfen animierte.

„Ich hoffe sehr, dass ihr das schafft.“, meinte ich ernst. Ich hoffte es wirklich.

„Danke.“, lächelte Lucy und in diesem Moment betraten wir den großen Raum, in dem ich gestern das erste Mal aufgewacht war. Jetzt hatte ich genug Zeit, und vor allem Nerven, mir die Umgebung genauer anzusehen.
 

5 Gänge gingen sternförmig von der Mitte aus in alle Richtungen. Der Rand des Raumes war von Fackeln gesäumt, welche ein weiches Licht spendeten. Doch die eigentliche Lichtquelle fiel mir erst jetzt auf.

Oben, in der Mitte einer riesigen Kuppel, war ein ca 10 Meter breites Loch, durch das die Sonne ihre Strahlen warf. So entstand in der Mitte ein runder Lichtkreis, der den ganzen Raum erhellte.

Lucy führte mich zu eben diesem Lichtkreis und ich blickte verwundert auf den Boden. Erst jetzt fiel mir auf, dass die Erde umgegraben und durch einen nur wenige Zentimeter hohen Zaun von dem Rest abgetrennt war. Dieser runde Bereich diente anscheinend als Gemüsefeld. Hunderte kleine Pflanzen wuchsen aus dem Boden der Sonne entgegen.

„Was ist das hier?“, fragte ich laut. Ich konnte Lucys Gesicht nicht sehen, aber ich hörte aus ihrer Stimme heraus, dass sie lächelte.

„Das ist unser kleiner Garten. Durch den starken Sonnenlichteinfall ist das ein super Ort um Gemüse anzubauen.“

„Wow.“

„Hehe. Das war am Anfang eine ziemliche Arbeit dieses Feld zu versorgen. Die nächste Wasserquelle ist fünf Minuten entfernt und wir haben nur kleine Eimer. Doch auch da haben wir uns was einfallen lassen.“

Ich spürte, wie sie meine Hand nahm und einmal um das Feld herumführte. Dort sah ich schon was sie meinte. Einer der fünf Gänge war komplett mit Holzplatten ausgelegt und darunter hatten sie einen kleinen Wassergraben ausgehoben. Durch diesen floss das Wasser einmal um das Feld herum wo es langsam im Boden versickerte.

„Cool!“, staunte ich. Das musste bestimmt ziemlich anstrengend gewesen sein, diesen Graben den ganzen Weg lang zu bauen.

„Dort hinten geht es zu unserer Wasser- und Badequelle.“, erklärte die blonde Frau weiter und zeigte auf den Gang, aus dem das Wasser für die Pflanzen kam. „Soll ich es dir zeigen?“

Ich nickte heftig. „Ja, bitte!“ Ich wusste nicht warum, aber ich war sehr aufgeregt und neugierig. Ich hatte die Situation, in der ich mich befand, schon fast vergessen. Die Lebensweise dieser Leute faszinierte mich und ich wollte so viel wie möglich über dieses Tunnelsystem erfahren.

Lucy lachte. „Na klar.“
 

Und so gingen wir über die hölzernen Dielen unter dem man das Wasser rauschen hörte. Ich achtete, in dem schwachen Licht, peinlich genau auf meine Füße um bloß nicht ins Wasser zu fallen. Doch mit meinem dick verbundenen Fuß war das gar nicht so einfach. Ein dumpfes „Klack“ ertönte bei jedem Schritt mit dem verletzten Fuß. Doch zum Glück fiel mir das Laufen nicht mehr so schwer wie kurz nach dem Aufstehen. Ich würde behaupten, es sah schon halbwegs normal aus.
 

Nach ungefähr den angekündigten fünf Minuten erreichten wir eine weitere, große Höhle. Auf der rechten Seite befand sich eine Art runder Krater in dem sich dampfendes Wasser gesammelt hatte. Dieser Behälter wurde von einem kleinen Damm von dem daneben fließenden Fluss abgetrennt. Das musste eine Vorrichtung sein, mit dem sie den Krater mit neuem Wasser füllen konnten.

Über dem Loch hingen mehrere Lampen von der niedrigen Decke und daneben waren einige Steine aufgereiht, auf denen mehrere Holzbretter lagen. Darauf befanden sich viele, weiße Tücher.

„Das ist es. Diese Vertiefung im Boden, die du hier siehst“, meinte Lucy und zeigte auf den Krater „ist unsere, ich nenn es mal, Badewanne. Hier können wir wie in einem beheizten See baden.“

„Wieso beheizt?“ Mir waren die Dampfschwaden ja bereits aufgefallen, aber ich wusste nicht, wie sie das hinbekamen.

„Genau unter unserer Wanne liegt eine noch nicht erloschene Magmaader, die das Wasser von unten erhitzt.“

„Magma? Soll das heißen, wie stehen auf einem Vulkan?“ Wir waren wirklich auf einem aktiven Vulkan? Was, wenn der bald ausbricht? Urplötzlich bekam ich ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Doch Lucy beruhigte mich.

„Hey. Keine Panik. Wir befinden uns nicht direkt auf einem Vulkan. Es gibt zwar einen, aber der ist einige Kilometer entfernt. Das hier ist die einzige Ader, die wir hier gefunden haben und die fließt nur unbeteiligt an uns vorbei. Darum brauchst du dir keine Sorgen zu machen.“

Ich blickte die junge Frau neben mir an und sah, dass sie leicht amüsiert dreinblickte. Ich musste mir Mühe geben nicht zu schmollen. Immerhin war das eine berechtigte Frage gewesen…
 

In diesem Moment hörten wir zwei Frauenstimmen auf uns zukommen. Lucy und ich drehten uns um und sahen in den spärlich beleuchteten Gang.

Es dauerte nicht lange, da traten zwei Frauen aus dem Gang und blieben wie angewurzelt stehen, als sie uns sahen. Oder besser gesagt: mich. Sofort hörten die große Blonde und die kleine Schwarzhaarige auf zu reden und starrten mich an.

Im Blick der Blonden lagen Hass und Verachtung, was mich leicht zurückzucken ließ. Bei der Schwarzhaarigen jedoch sah ich vorrangig Neugier und, zu meiner Verwunderung, keine Abneigung. Darum überraschte es mich nicht, als diese Frau auch das Gespräch anfing.

„Ach Hallo Lucy! Führst du unseren Gast einmal durch unser Zuhause.“ Ihre Stimme klang ruhig und freundlich. Ich entdeckte keine Anzeichen von Misstrauen, was mich sehr verwunderte.

„Hey, Amanda. Ja, du hast Recht. Hannah wird uns jetzt bei der Arbeit helfen.“, antwortete die Frau neben mir ebenfalls freundlich.

Amanda musterte mich noch immer neugierig und wandte sich dann an mich persönlich.

„Hannah also. Was macht deine Verletzung?“

Zuerst war ich kurz sprachlos, riss mich aber zusammen und versuchte so natürlich wie möglich mit ihr zu reden.

„Meine Verletzung verheilt gut, danke.“

„Du bist deswegen eine kleine Rarität.“, kicherte die schwarzhaarige Amanda.

„Wieso?“, fragte ich nach.

„Weil noch niemand einen Biss der Wölfe so gut überstanden hat.“, kam es wieder etwas ernster zurück.

„Ich bin deshalb auch überfragt.“, meinte ich wahrheitsgemäß.

„Pah.“, machte die Blonde, die sich bis eben hinter ihrer Freundin aufgehalten hatte, plötzlich. Lucy funkelte sie böse an.

„Mary, bitte. Wahrscheinlich ist sie gar keiner von d e n e n.“, konterte Amanda noch immer mit ruhiger Stimme.

„Jetzt fang du nicht auch noch damit an.“, seufzte sie. Nicht a u c h noch?

„Doch, ich glaube ihr. Bis das Gegenteil bewiesen wurde.“ Obwohl sie und ihre Freundin wie Ende 20 aussahen, benahmen sie sich um einiges älter.

„Hn.“, kam es nur als Antwort und Amanda wandte sich wieder mir zu. „Ich freu mich schon drauf mit dir zu arbeiten, Hannah.“, lächelte die Schwarzhaarige freundlich. Ich nickte.

„Danke.“
 

„Na dann wollen wir euch mal in Ruhe baden lassen.“, unterbrach Lucy unser Gespräch, als Amanda gerade noch was sagen wollte. „Wir sehen uns dann später.“ Die Blonde griff nach meinen rechten Arm und zusammen verschwanden wir wieder in dem dunklen Gang.

Das Schicksal entscheidet sich

Kapitel 4 – Das Schicksal entscheidet sich
 

Am nächsten Morgen wachte ich spät auf. Es ging mir wieder richtig gut. Meine Wunde hatte die ganze Nacht nicht geschmerzt und auch jetzt war so gut wie nichts zu spüren. Auch der seltsame Schmerz in meinem Bein hatte nachgelassen. Die Nacht in einem richtigen Bett und ohne Bewegung hatte mir ziemlich gut getan.

Dennoch pochte mein Kopf etwas und mein Magen verlangte nach etwas zu Essen. Und da entdeckte ich ein Tablett auf dem Tisch. Schnell stand ich auf und humpelte, wegen des Verbandes, hinüber zu dem Tisch. Dort fand ich mehrere Schreiben Brot und ein bisschen Wurst und Käse als Belag. Daneben lagen ein roter Apfel und eine Banane vor einer Flasche Wasser sowie einem Glas.

Lucy musste dagewesen sein, ehe ich wachgeworden war.

Ich setzte mich auf den einzigen Stuhl und fing dankbar an zu essen.
 

Es dauerte nicht lange, bis ich die zwei Schreiben Brot gegessen hatte, doch niemand hatte mein Erwachen bemerkt. Also beschloss ich mal einen Blick in das Bücherregal zu werfen. Vielleicht würde ich dort einige Antworten auf meine Fragen bekommen.
 

Das kleine Bücherregal war bis oben hin voller Bücher und einige mussten sogar auf dem Regal ruhen. Neugierig warf ich einen Blick auf die Buchrücken. Es gab viele Bücher von scheinbar bekannten Autoren deren Namen ich jedoch noch nie gehört hatte. Doch der Großteil befasste sich mit der Geschichte des Landes.
 

Aber keines der Bücher interessierte mich. Ich hatte etwas gefunden, was meine Aufmerksamkeit ganz auf sich gezogen hatte.

Zwischen zwei riesigen Wälzern fand ich ein kleines, sehr alt aussehendes Buch. Es schien dutzende Male aufgeschlagen worden zu sein, denn sein Einband hatte viele Risse und Knicke. Vorsichtig zog ich das grüne Buch heraus und musterte dessen Cover. Es schien kein gedrucktes Buch zu sein, da die Vorderseite keinen Titel aufwies. Auch auf der Rückseite befand sich nichts geschrieben.

Ich nahm das kleine Buch und setzte mich auf den Stuhl. Neugierig öffnete ich es und blickte auf mehrere handgeschriebene Seiten. Ein Datum auf der ersten Seite machte mir klar, dass es so etwas wie ein Tagebuch sein musste.

Ich blätterte einmal grob durch das Tagebuch und blieb an dem letzten Eintrag hängen. Das Datum zeigte den 15. März und wenn diese Leute denselben Kalender hatten, wie ich ihn kannte, dann war dieser erst wenige Tage alt.
 

„Heute gab es wieder einen Vorfall. Wie schon vor wenigen Tagen sind heute wieder einige meiner engsten Freunde verschwunden. Larry und Michael. Sie sind von einem Jagdausflug nicht zurückgekehrt. Mich hat diese Nachricht sehr getroffen.

Doch etwas anderes überschattete dieses traurige Ereignis. Unser Prophet Frederik hatte eine seltsame Vorahnung. Er sagte, es würde jemand kommen. Jemand der dem Ganzen ein Ende setzen könnte. Doch er warnte uns vor dieser Person. Sie könnte den guten, aber auch den schlechten Weg einschlagen und somit Messias und Todbringer zu gleich sein.

Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Die Blauäugigen sind auf dem Vormarsch. Ich weiß nicht, wie lange unsere Stadt noch Widerstand leisten kann. Wenn nicht schnell etwas passiert sehe ich keine Hoffnung mehr für unsere Stadt der Hoffnung.“
 

Die Tür wurde geöffnet und knackte, als sie die Wand berührte. Erschrocken zuckte ich zusammen und ließ beinahe das Tagebuch fallen.

„Hey, hey. Ich bin es nur. Lucy! Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe!“ Die Blonde stand lächelnd in der Tür und musste sich richtig beherrschen sich nicht über meine Schreckhaftigkeit totzulachen. Schnell stand ich auf und steckte das Buch wieder an seinen angestammten Platz.

„Du hast gelesen?“, fragte mich die Blonde, als sie auf mich zu kam und den Tisch abdeckte.

„Nicht wirklich. Ich bin erst seit wenigen Minuten wach.“, erwiderte ich schüchtern. Lucys Schönheit schüchterte mich etwas ein. Neben ihr kam ich mir vor wie das hässlichste Mädchen überhaupt. Ihre langen blonden Haare fielen ihr heute sanft in kleinen Locken über die Schultern. Sie trug eine enge dreiviertel lange, jeansähnliche Hose und ein langes, nach unten weiter werdendes, rosafarbenes T-Shirt mit einem beigefarbenen Muster darauf. Die offnen Sandalen, welche einen sachten Erdton hatten, rundeten das Outfit ab. Mit fließenden Bewegungen, die einer Elfe ähnelten, wuselte sie durch das Zimmer, immer mit einem Lächeln auf den Lippen.
 

„Als ich das letzte Mal da war, hast du noch tief und fest geschlafen.“, grinste sie. „Geht es dir heute besser?“

Ich nickte. „Ja, danke! Diese Nacht war sehr erholsam. Und meine Wunde hat aufgehört wehzutun.“, meinte ich freundlich und sah zu meinem Bein herunter.

Der Saum meiner dreiviertel langen Hose war an einigen Stellen eingerissen und der weiße Verband darunter wirkte noch so groß wie am gestrigen Tag. Dennoch fiel mir das Laufen nicht schwer. Und dafür war ich ziemlich dankbar.

„Das freut mich.“, lächelte die Blonde. „Ist schon erstaunlich, dass es dir heute schon wieder so gut geht. Du scheinst wahninniges Glück gehabt zu haben, dass dich das Gift der Wölfe nicht umgebracht hat.“

Darauf erwiderte ich nichts. Selbst wenn ich eine Antwort wüsste, würde es mir wahrscheinlich sowieso nicht glauben. Stattdessen lenkte ich das Gespräch in eine andere Richtung.

„Was.. Was wird jetzt aus mir?“, fragte ich leise, während ich zu meinem Bett herüber humpelte und mich darauf fallen ließ. Lucy blieb plötzlich stehen und ließ von ihren Tätigkeiten ab.

„Ach Hannah. Ich weiß es nicht. Vor wenigen Minuten wollten sich die Ältesten treffen und besprechen was mit dir passieren soll. Ich werde in solche Gespräche nicht mit einbezogen.“, meinte die junge Frau mit einem Unterton, der ganz nach Enttäuschung klang. Mit Sicherheit würde sie auch gerne in wichtigen Angelegenheiten ein Mitbestimmungsrecht haben.

„Ich versteh das einfach nicht…“. Zum wiederholten Mal, seit ich in diesem Alptraum aufgewacht war, konnte ich die Tränen nicht länger zurück halten. Meine Stimme wurde piepsig und war kaum noch zu hören. Eine Träne nach der anderen brannte heiß auf meinen Wangen, bis sie, einen Fleck zurücklassend, auf meiner Hose landeten.

„Hannah…“ Ich hatte meinen Kopf gesenkt und bemerkte daher nicht, wie sie zu mir rüber kam und sich neben mich auf das Bett setzte. Ihre linke Hand ruhte wenig später auf meiner Schulter.

„Sie werden mich töten! Das weiß ich genau! Ich habe ihre Blicke gesehen…“, brachte ich unter den Schluchzern hervor. „Ich will doch nur nach Hause! Ich möchte Alex wiedersehen! Und meine Eltern! Meine Schwester! Wieso musste mir das passieren? Ich wollte doch nur nach Hause gehen! Warum ich?“ Meine Gedanken und Gefühle sprudelten nur so heraus, während mir schon die Augen vom vielen Weinen brannten. Ich konnte sie nicht länger zurück halten. Ich konnte einfach nicht mehr stark sein…
 

Hemmungslos liefen mir die Tränen über das Gesicht, wenn ich an meine Freunde und Familie dachte. Alena, Lynn, Lilly, Mike, Jan, Till, Mona, Dora, Fabio, Felix… Was taten wohl meine Freunde jetzt? Hatten sie mich wirklich sterben sehen, als das Auto mich getroffen hatte? Trauerten sie jetzt um mich?

Dabei war ich gar nicht tot! Oder doch? War ich hier nur so etwas wie ein Geist? Ich wollte doch nicht hier sein! Ich wollte einfach nur nach Hause!

„Beruhige dich.“ Lucy saß noch immer neben mir und streichelte mit ihrer Hand beruhigend über meinen Rücken. Doch ich könnte schwören auch in ihrer Stimme gehört zu haben, dass sie Tränen unterdrückte. Das allein, auch wenn es vielleicht nur Einbildung war, hob meine Stimmung beträchtlich. Nicht alle Menschen hassten mich. Ian half mir, Taylor hatte sich für mich eingesetzt und Lucy fühlte mit mir. Es war ein schönes Gefühl, das zu wissen.

„Ich kann dich verstehen, hörst du? Ich glaube dir! Ich weiß zwar nicht woher du kommst, oder wie du zu uns gestoßen bist, aber eines weiß ich. Du bist keine Lügnerin! Und für eine von Denen bist du viel zu nett. Das könnten diese… diese… gar nicht.“

Mit tränennassen Augen sah ich sie an. Sie lächelte.

„Es ist schön, dass mir wenigstens einer glaubt.“, kam es leise von mir.

„Ich bin nicht die Einzige.“ Sie schüttelte sacht ihren Kopf. „Wenn Taylor und Ian dir nicht glauben würden, würden sie sich nie so um dich bemühen. Das weiß ich.“

Da war sie. Die Bestätigung auf meine Gedanken. Und nachdem ich diese Gedanken noch von jemand anderem gehört hatte, kamen sie mir gleich um einiges realer vor.

„Danke.“, meinte ich zu der jungen Frau neben mir und ich merkte selber, wie der Tränenfluss langsam abbrach und meine Stimme wieder kräftiger wurde.

Lucy lächelte mich freundlich an und legte ihre Hand auf meine, welche noch immer in meinem Schoß ruhte.
 

Genau in diesem Moment ging die Tür knarrend auf und aus Reflex zuckte ich leicht zusammen. Sofort wandte ich meinen Kopf der Tür zu und sah, wie zwei Männer den Raum betraten. Ich verkrampfte innerlich und drückte unterbewusst Lucys Hand.

„Simon, Jack.“, begrüßte Lucy die beiden steif mit einem Nicken. Sie sah sie mit einem leicht misstrauischen Blick an.

Beide Männer mussten um die 50 Jahre alt sein und ihre Haare waren grau. Beide trugen eine art Jeans und ein weißes Hemd. Bis auf ihre Gesichter, bei denen das des rechten Mannes kantig und des anderen eher rund war, sahen sie aus wie Brüder. Beide sahen schlecht gelaunt aus und ich wusste nicht, was ich davon halten sollte.

„Lucy. Würdest du uns bitte alleine lassen?“, fragte der mit dem kantigen Gesicht. Lucy zögerte und stand dann doch auf. Doch plötzlich hielt sie inne und sah zu mir herunter. Ich hatte ihre Hand nicht losgelassen. Ich wollte nicht mit den beiden Männern alleine sein. Ich hatte Angst.

Sie lächelte mich kurz an, und setzte sich wieder zurück auf das Bett.

„Tut mir Leid, Simon. Ich denke Hannah würde sich wohler fühlen, wenn ich hier bleibe. Das verstehst du doch, oder?“, meinte sie mit einer honigsüßen Stimme, in der ich einen Hauch Ironie heraushörte.

Der alte Mann grummelte etwas vor sich hin.

„Ja, ich verstehe.“, sagte er dann tonlos.

„Kommen wir zum eigentlichen Thema.“, begann der andere Mann, der Jack heißen musste. „Wir Ältesten haben uns beraten und über den Verbleib des Mädchens entschieden.“ Er räusperte sich und ich starrte ihn an. Jetzt würde ich erfahren, was sie mit mir machen wollten. Ob ich sterben musste oder nicht.

Kalter Schweiß trat mir auf die Stirn und ein Gefühl von Übelkeit kroch mir die Speiseröhre hoch. Gleich würde es sich entscheiden.

Lucy und ich saßen still da und warteten darauf dass die Männer das Gespräch fortsetzten.

„Wir haben beschlossen erst einmal abzuwarten und dich hierzubehalten. Bis nicht ausreichend geklärt ist, ob du ein Mensch bist, oder nicht, kannst du hier bleiben. Aber dafür teilen wir dich zu Arbeit ein. Lucy? Zeig ihr bitte die Stadt und nimm sie mit dir zur Arbeit.“ Erleichtert atmete ich auf und mein ganzer Körper entspannte sich augenblicklich. Nun konnte ich auch Lucys Hand wieder loslassen. Jetzt war sie es, die kurz zudrückte, was wohl als Zeichen der Freude für mich gedacht war.

„Natürlich.“, sagte Lucy knapp und nickte den Männern zu.

„Gut.“, kam es von Simon und gleich darauf verschwanden die Ältesten durch die knarrende Tür.
 

Wir saßen noch eine Minute bewegungslos da, bis die Blonde mir plötzlich um den Hals fiel.

„Ahhhh, Hannah! Ist das nicht toll? Du brauchst dir erstmal keine Sorgen zu machen!“, lachte die junge Frau fröhlich. Ihre Freundlichkeit ließ mir ein kleines Lächeln über das Gesicht huschen.

„Danke. Ich bin sehr erleichtert.“, meinte ich vorsichtig. Natürlich war ich erleichtert, aber wer weiß, wie lange sie bei ihrem Entschluss blieben? Und was bedeutet eigentlich, dass ich mit arbeiten soll?

„Und was soll ich jetzt tun?“

„Du meinst, wegen der Arbeit?“ Ich nickte. „Mach dir da mal keine Sorgen drum. Ich hole dich morgens ab und bringe dich auch abends wieder zurück. Den restlichen Tag verbringst du mit mir.“ Das klang doch schon mal recht positiv.

Dann sprang sie plötzlich auf und zerrte an meinem Arm. „Komm ich zeig dir alles!“, meinte sie fröhlich. Aber ich zögerte.

„Ich soll… in die Stadt? Dahin, wo die Bewohner sind?“, fragte ich skeptisch. Ich weiß, dass sie das Urteil nicht freiwillig getroffen hatten. Das hatten mir ihre Gesichter gezeigt. Der Widerwillen war ja kaum zu übersehen. Und jetzt sollte ich mitten in die Höhle des Löwen?

Ich musste schwer schlucken, was Lucy nicht entging.

„Hey! Dir wird keiner was tun! Hier setzt sich niemand über die Entscheidung des Rates hinweg. Also lass dich nicht von den anderen so runtermachen.“. Sie warf mir eins ihrer aufmunternden Lächeln zu und ich dachte darüber nach.

„Ich habe Angst.“, rutschte es mir plötzlich unbewusst heraus. Doch das änderte nichts daran, dass es stimmte.

Die Blonde trat wieder einen Schritt näher heran und kniete sich vor mich.

„Ich kann nicht mehr tun, als dir zu versprechen, dass ich alles tun werde, als dich zu beschützen.“ Bei diesen Worten sah ich ihr tief in die Augen. Sie strahlten so viel Ruhe und Güte aus, dass ich nicht an ihren Worten zweifeln konnte. Ja, ich musste es einsehen. Wenn ich hier jemandem vertrauen konnte, dann war das Lucy.

Ich nickte ihr zu. „Ich danke dir. Du glaubst gar nicht, wie gut es sich anfühlt, wenn man jemandem vertrauen kann.“

Sie lächelte. „Dann komm! Unsere Stadt ist etwas ganz besonderes!“, meine sie freudig und ich ließ mich von ihr vom Bett ziehen.
 

Lucy öffnete die Tür und wir traten auf den von Fackeln erhellten Gang hinaus.

„Hier unten leben wir. Abgeschottet von der Außenwelt. Es ist nämlich so, dass die a n d e r e n auf die Dauer keine Dunkelheit vertragen. Außerdem sind wir hier unten sicher vor etwaigen Angriffen.“, erzählte mir die blonde Frau, als sie mich durch viele verworrene Gänge zog. Ich hatte schon längst die Orientierung verloren und verließ mich nun ganz auf Lucy. Gebannt lauschte ich ihren Geschichten.

„Auch wenn wir etliche Meter unter der Erde wohnen, haben wir doch alles was wir brauchen.“

„Kommen diese Tunnel von euch?“, fragte ich in einer ihrer Pausen.

„Nicht direkt. Einige der größeren Tunnel waren schon hier, als wir vor 3 Jahren hier ankamen. Kleinere Seitengänge und einige der Zimmer haben wir gebaut.“

„Ihr seid schon 3 Jahre hier?“, fragte ich verwundert. So lange gab es diesen „Krieg“ hier also schon.

„Ja. Vor ungefähr 3 ½ Jahren gab es in dem Dorf, aus dem ich komme, den ersten Infizierten. Damals wussten wir noch nichts über die Bedrohung, die die Menschen auslöschen wollte. Er war einer meiner besten Freunde, weshalb mir seine Veränderung sofort auffiel. Die Infizierten können nämlich nicht glücklich sein.“, sagte die blonde Frau und nickte dabei.

„Nicht glücklich sein? Wie meinst du das?“, harkte ich nach. Wie konnte jemand ‚nicht glücklich sein’?

„Na ja, es ist so. Zwar können sie noch lachen oder sich freuen, aber es wirkt wie… aufgesetzt. So als ob sie gar nicht genau wüssten, was sich freuen ist und es nur einmal in einem Buch gelesen haben. Verstehst du was ich meine?“ Ich nickte. Ja, ich konnte es mir vorstellen. Dennoch klang es fast unmöglich. Diese, ich nenne sie mal, „Wesen“ manipulierten Menschen so, dass sie keine wahren Gefühle mehr haben konnten? Wie grausam das klang.

„Aber mach dir keine Sorgen.“, sagte sie, als sie sich umdrehte und mein deprimiertes Gesicht im Schein der Fackeln sah. „Wie werden uns nicht so schnell unterkriegen lassen. Außerdem finden wir eine Möglichkeit um unsere Familie und Freunde zurückzuholen. Koste es, was es wolle.“

Ich hörte die Entschlossenheit aus ihrer Stimme. Aber auch etwas Hoffnung klang mit. Das war wohl der Gedanke, der sie zum Weiterkämpfen animierte.

„Ich hoffe sehr, dass ihr das schafft.“, meinte ich ernst. Ich hoffte es wirklich.

„Danke.“, lächelte Lucy und in diesem Moment betraten wir den großen Raum, in dem ich gestern das erste Mal aufgewacht war. Jetzt hatte ich genug Zeit, und vor allem Nerven, mir die Umgebung genauer anzusehen.
 

5 Gänge gingen sternförmig von der Mitte aus in alle Richtungen. Der Rand des Raumes war von Fackeln gesäumt, welche ein weiches Licht spendeten. Doch die eigentliche Lichtquelle fiel mir erst jetzt auf.

Oben, in der Mitte einer riesigen Kuppel, war ein ca 10 Meter breites Loch, durch das die Sonne ihre Strahlen warf. So entstand in der Mitte ein runder Lichtkreis, der den ganzen Raum erhellte.

Lucy führte mich zu eben diesem Lichtkreis und ich blickte verwundert auf den Boden. Erst jetzt fiel mir auf, dass die Erde umgegraben und durch einen nur wenige Zentimeter hohen Zaun von dem Rest abgetrennt war. Dieser runde Bereich diente anscheinend als Gemüsefeld. Hunderte kleine Pflanzen wuchsen aus dem Boden der Sonne entgegen.

„Was ist das hier?“, fragte ich laut. Ich konnte Lucys Gesicht nicht sehen, aber ich hörte aus ihrer Stimme heraus, dass sie lächelte.

„Das ist unser kleiner Garten. Durch den starken Sonnenlichteinfall ist das ein super Ort um Gemüse anzubauen.“

„Wow.“

„Hehe. Das war am Anfang eine ziemliche Arbeit dieses Feld zu versorgen. Die nächste Wasserquelle ist fünf Minuten entfernt und wir haben nur kleine Eimer. Doch auch da haben wir uns was einfallen lassen.“

Ich spürte, wie sie meine Hand nahm und einmal um das Feld herumführte. Dort sah ich schon was sie meinte. Einer der fünf Gänge war komplett mit Holzplatten ausgelegt und darunter hatten sie einen kleinen Wassergraben ausgehoben. Durch diesen floss das Wasser einmal um das Feld herum wo es langsam im Boden versickerte.

„Cool!“, staunte ich. Das musste bestimmt ziemlich anstrengend gewesen sein, diesen Graben den ganzen Weg lang zu bauen.

„Dort hinten geht es zu unserer Wasser- und Badequelle.“, erklärte die blonde Frau weiter und zeigte auf den Gang, aus dem das Wasser für die Pflanzen kam. „Soll ich es dir zeigen?“

Ich nickte heftig. „Ja, bitte!“ Ich wusste nicht warum, aber ich war sehr aufgeregt und neugierig. Ich hatte die Situation, in der ich mich befand, schon fast vergessen. Die Lebensweise dieser Leute faszinierte mich und ich wollte so viel wie möglich über dieses Tunnelsystem erfahren.

Lucy lachte. „Na klar.“
 

Und so gingen wir über die hölzernen Dielen unter dem man das Wasser rauschen hörte. Ich achtete, in dem schwachen Licht, peinlich genau auf meine Füße um bloß nicht ins Wasser zu fallen. Doch mit meinem dick verbundenen Fuß war das gar nicht so einfach. Ein dumpfes „Klack“ ertönte bei jedem Schritt mit dem verletzten Fuß. Doch zum Glück fiel mir das Laufen nicht mehr so schwer wie kurz nach dem Aufstehen. Ich würde behaupten, es sah schon halbwegs normal aus.
 

Nach ungefähr den angekündigten fünf Minuten erreichten wir eine weitere, große Höhle. Auf der rechten Seite befand sich eine Art runder Krater in dem sich dampfendes Wasser gesammelt hatte. Dieser Behälter wurde von einem kleinen Damm von dem daneben fließenden Fluss abgetrennt. Das musste eine Vorrichtung sein, mit dem sie den Krater mit neuem Wasser füllen konnten.

Über dem Loch hingen mehrere Lampen von der niedrigen Decke und daneben waren einige Steine aufgereiht, auf denen mehrere Holzbretter lagen. Darauf befanden sich viele, weiße Tücher.

„Das ist es. Diese Vertiefung im Boden, die du hier siehst“, meinte Lucy und zeigte auf den Krater „ist unsere, ich nenn es mal, Badewanne. Hier können wir wie in einem beheizten See baden.“

„Wieso beheizt?“ Mir waren die Dampfschwaden ja bereits aufgefallen, aber ich wusste nicht, wie sie das hinbekamen.

„Genau unter unserer Wanne liegt eine noch nicht erloschene Magmaader, die das Wasser von unten erhitzt.“

„Magma? Soll das heißen, wie stehen auf einem Vulkan?“ Wir waren wirklich auf einem aktiven Vulkan? Was, wenn der bald ausbricht? Urplötzlich bekam ich ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Doch Lucy beruhigte mich.

„Hey. Keine Panik. Wir befinden uns nicht direkt auf einem Vulkan. Es gibt zwar einen, aber der ist einige Kilometer entfernt. Das hier ist die einzige Ader, die wir hier gefunden haben und die fließt nur unbeteiligt an uns vorbei. Darum brauchst du dir keine Sorgen zu machen.“

Ich blickte die junge Frau neben mir an und sah, dass sie leicht amüsiert dreinblickte. Ich musste mir Mühe geben nicht zu schmollen. Immerhin war das eine berechtigte Frage gewesen…
 

In diesem Moment hörten wir zwei Frauenstimmen auf uns zukommen. Lucy und ich drehten uns um und sahen in den spärlich beleuchteten Gang.

Es dauerte nicht lange, da traten zwei Frauen aus dem Gang und blieben wie angewurzelt stehen, als sie uns sahen. Oder besser gesagt: mich. Sofort hörten die große Blonde und die kleine Schwarzhaarige auf zu reden und starrten mich an.

Im Blick der Blonden lagen Hass und Verachtung, was mich leicht zurückzucken ließ. Bei der Schwarzhaarigen jedoch sah ich vorrangig Neugier und, zu meiner Verwunderung, keine Abneigung. Darum überraschte es mich nicht, als diese Frau auch das Gespräch anfing.

„Ach Hallo Lucy! Führst du unseren Gast einmal durch unser Zuhause.“ Ihre Stimme klang ruhig und freundlich. Ich entdeckte keine Anzeichen von Misstrauen, was mich sehr verwunderte.

„Hey, Amanda. Ja, du hast Recht. Hannah wird uns jetzt bei der Arbeit helfen.“, antwortete die Frau neben mir ebenfalls freundlich.

Amanda musterte mich noch immer neugierig und wandte sich dann an mich persönlich.

„Hannah also. Was macht deine Verletzung?“

Zuerst war ich kurz sprachlos, riss mich aber zusammen und versuchte so natürlich wie möglich mit ihr zu reden.

„Meine Verletzung verheilt gut, danke.“

„Du bist deswegen eine kleine Rarität.“, kicherte die schwarzhaarige Amanda.

„Wieso?“, fragte ich nach.

„Weil noch niemand einen Biss der Wölfe so gut überstanden hat.“, kam es wieder etwas ernster zurück.

„Ich bin deshalb auch überfragt.“, meinte ich wahrheitsgemäß.

„Pah.“, machte die Blonde, die sich bis eben hinter ihrer Freundin aufgehalten hat, plötzlich. Lucy funkelte sie böse an.

„Mary, bitte. Wahrscheinlich ist sie gar keiner von d e n e n.“, konterte Amanda noch immer mit ruhiger Stimme.

„Jetzt fang du nicht auch noch damit an.“, seufzte sie. Nicht a u c h noch?

„Doch, ich glaube ihr. Bis das Gegenteil bewiesen wurde.“ Obwohl sie und ihre Freundin wie Ende 20 aussahen, benahmen sie sich um einiges älter.

„Hn.“, kam es nur als Antwort und Amanda wandte sich wieder mir zu. „Ich freu mich schon drauf mit dir zu arbeiten, Hannah.“, lächelte die Schwarzhaarige freundlich. Ich nickte.

„Danke.“
 

„Na dann wollen wir euch mal in Ruhe baden lassen.“, unterbrach Lucy unser Gespräch, als Amanda gerade noch was sagen wollte. „Wir sehen uns dann später.“ Die Blonde griff nach meinen rechten Arm und zusammen verschwanden wir wieder in dem dunklen Gang.

Wie kann man vertrauen?

Kapitel 5 – Wie kann man vertrauen?
 

Ich konnte nicht umhin, etwas erleichtert zu sein, als wir die beiden Frauen hinter uns lassen konnten. Dass die blonde Mary mich hasste, war nicht zu übersehen, doch Amanda war eigentlich ziemlich freundlich. Dennoch war sie mir nicht ganz geheuer. Warum glaubte sie mir? Immerhin kannten wir uns überhaupt nicht! Dass Lucy mir glaubte, lag wohl daran, dass sie mich in den letzten Stunden kennengelernt hatte und so bemerkt hat, dass ich doch ein normaler Mensch war.

Doch trotz allem fühlte es sich gut an zu wissen, dass es noch zwei bis drei andere Leute gab, die mich nicht sofort verurteilten.
 

Bald traten wir wieder aus dem Tunnel und standen erneut in der leeren Haupthalle. Plötzlich drehte sich Lucy schwungvoll um und grinste mich an. Misstrauisch beäugte ich sie.

„Soll ich dir jetzt mal das Beste zeigen?“

„Ähm, ja.“, sagte ich nur, gespannt, was jetzt kam.

„Dann komm mit!“, lachte sie, nahm mich wieder an der Hand und zog mich hinter sich her. Wie konnte man bloß so viel Energie haben?

Wir stürmten in den etwas größeren Tunnel links von dem, der zum Fluss führte, und schnell merkte ich, dass dieser anders war. Und damit meinte ich nicht nur die Größe. Es war kein Tunnel, sondern eher eine Wendeltreppe. Lucy und ich rannten regelrecht den Weg hoch und manchmal wären wir fast mit uns entgegenkommenden Menschen zusammengestoßen.

Ich sah nur aus den Augenwinkeln ihren finsteren Blick, als sie mich sahen. Ich hatte mehr damit zu tun, bei dem Tempo nicht hinzufallen.

Ob Lucy vergessen hatte, dass mein Bein verletzt war? Doch ich sagte nichts. Zum Glück hielt mein Fuß das ohne Probleme aus. Nur diese seltsamen Schmerzen, die ich seit meiner Ankunft in dieser seltsamen Wüste hatte, flammten einige Male für wenige Sekunden wieder auf. Aber es war nicht so schlimm wie noch am ersten Tag. Was hatte das zu bedeuten?
 

Bald kam mir helles Licht entgegen, welches meine Augen blendete. Verwundert kniff ich diese zusammen. Wo kam dieses intensive Licht her? Die Gänge und Höhlen lagen immer im Halbschatten. Wieso also war es hier so hell?

Nach wenigen Schritten traten wir aus dem Gang hinaus und ich erschrak. Mit weit aufgerissenen Augen bemerkte ich, wo ich war. Die Sonne schien mir auf die schwarzen Haare, der sandige Boden unter mir glänzte weiß im Licht und der leichte Wind spielte mit meiner Kleidung.

Staunend sah ich mich um. Wir standen vor der Spitze des Berges, aus dem wir zu kommen schienen. Vor mir, erstreckte sich eine riesige Stadt. Häuser aus Holz, Lehm und Steinen waren an einer Straße aufgefädelt und passten sich dem abfallenden Boden an. In weiter Ferne und ein paar hundert Meter weiter unten, stand etwas wie eine mehrere Meter hohe Mauer.
 

„Was ist das hier?“, fragte ich erstaunt, während ich noch immer alles genau betrachtete.

„Das ist Ategoto. Unsere letzte Hoffnung.“, sagte Lucy mit einem traurigen Lächeln im Gesicht. „Komm! Ich zeig dir einen Platz, wo du die Stadt besser sehen kannst!“, meinte sie dann und zog mich hinter sich her. Wir liefen um ein zweistöckiges Gebäude herum, welches scheinbar auf dem höchsten Punkt des Berges zu stehen schien. Auf dessen Rückseite führte eine Wendetreppe auf das Flachdach des Hauses. Es war schwierig aufrecht stehen zu bleiben, da der Wind mit jedem Meter immer stärker wurde. Oben angekommen zog Lucy mich einmal quer über das Dach zu einer hüfthohen Steinmauer, die als Geländer diente.

Neugierig hielt ich mich an der Mauer fest und sah mich in der Stadt um. Hier und da liefen Menschen, die ich jedoch nicht weiter beachtete. Wie ich vorhin schon bemerkt hatte, war die Stadt von einer großen Steinmauer umzäunt.

„Wozu ist die Mauer gut?“, fragte ich neugierig.

„Die ‚anderen’ versuchen immer wieder in unsere Stadt einzudringen. Diese vertragen aber keine Hitze, weshalb sie es nur Nachts versuchen. Und um uns davor zu schützen sind immer Wachen auf der Stadtmauer, die alles beobachten. Oft sind es auch einfach nur wilde Tiere, die unser Essen riechen.“, erklärte mir die Blonde. Ich nickte.

„Warum lebt ihr nicht hier oben in der Stadt?“ Es war schon seltsam. Hier oben gab es eine komplett erhaltene Stadt und sie wohnten unten in engen und dunklen Höhlen.

„Wie fühlen uns im Berg einfach wohler. Es gibt noch einige wenige, die in den Häusern wohnen, aber die meisten von uns ziehen die Höhlen vor. Hier oben gibt es Stürme und in der Regenzeit sollte man lieber nicht draußen sein. Der Berg hat einfach mehr Vorteile.“, lachte Lucy und ich stimmte ihr nickend zu.

Es klang logisch. Schon am sonnigen Tag war es extrem windig. Meine Haare verdeckten mir teilweise die Sicht, und ich musste sie mit einer Hand im Zaum halten. Ich bereute es etwas, heute Morgen keinen Zopf gemacht zu haben.

„Und was ist das?“, fragte ich einfach drauf los, als mir auf der rechten Seite etwas ins Auge fiel. Dort war eine Art Plantage, mitten in der Wüste! Drei oder vier Männer kümmerten sich gerade um kleine, blattlose Büsche und schleppten immer neue Eimer voll Wasser dahin.

Ich hörte Lucy neben mir kichern. „Das ist unsere einzige Plantage über der Erde. Es ist verdammt schwierig diese am Leben zu erhalten.“ Sie lachte. „Die Wüstenbeere bringt kleine schwarze Beeren hervor. Diese schmecken besonders gut auf Brot und in Soßen.“

„Sowas habe ich ja noch nie gesehen! Diese ganze Stadt ist super!“, grinste ich. Es war wirklich erstaunlich, was diese Menschen zustande bekommen haben. Trotz ihrer Situation haben sie eine richtige Stadt mit funktionierendem System aufgebaut. Wow.
 

Aus den Augenwinkeln sah ich, wie die blonde Frau mein Gesicht musterte. Schon seit wir die Höhlen verlassen hatten. Und mir war klar, was das bedeutete. Ein trauriges Lächeln schlich sich auf mein Gesicht.

„Auch, wenn du und die anderen es mir nicht glaubt, ich bin zum ersten Mal hier und halte nicht nach den Infizierten Ausschau, um ihnen Nachrichten zu übermitteln oder sonst was.“

Eine unangenehme Stille breitete sich zwischen uns aus, die nur durch den tosenden Wind unterbrochen wurde. Ich hatte mit meiner Vermutung also ins Schwarze getroffen. Sie wollten mich testen. Sie wollten testen, wie ich reagiere, wenn ich diese Stadt sehe. Wenn ich wirklich ein Besessener wäre, hätte ich garantiert anders reagiert, als es normal gewesen wäre.

Vielleicht hätte ich nach Möglichkeiten gesucht, die anderen reinzulassen oder selbst mit den brisanten Informationen zu verschwinden.

Und um mich zu beobachten haben sie Lucy ausgewählt, weil sie mir anscheinend am nächsten steht. Die kennen wirklich keine Gnade.

Betrübt ließ ich den Kopf hängen und schloss die Augen. Hatte ich wirklich gedacht, dass sie mir vertrauen? Ich bin ohne irgendwelche Beweise hier hereingeplatzt und scheine eine von den Feinden zu sein. Wie also können sie mir trauen? Weil ich das sage? Wie heißt es doch so schön?! ‚Schuldig, bis die Unschuld bewiesen wurde.’ Die Menschen hier schienen nach diesem Konzept zu leben. So lange misstrauisch sein, bis sie sicher sind, dass keine Gefahr droht. Vielleicht war das auch die einzige Einstellung, die ihnen das Überleben sicherte.
 

„Hannah, hör zu. Ich-“, begann Lucy so leise, dass der Wind ihre Worte fast davon wehte. Doch ich wollte ihren Plan nicht hören. Es war mir egal. Sollten sie mich halt bespitzeln. War vielleicht auch besser so.

„Ist schon ok.“, unterbrach ich sie lauter. „Ich kann euch verstehen. Ich hätte es wahrscheinlich auch so gemacht.“ Ja, vielleicht hätte ich das. „Lass uns wieder gehen. Ich soll mich doch nützlich machen.“, meinte ich noch und wandte mich zum Gehen. Lucy blieb noch kurz stehen, während ich schon langsam zur Treppe ging.

„Es tut mir leid.“, sagte sie so leise, dass ich es kaum noch hören konnte. Ich antwortete nicht und versuchte die kleinen nassen Tränen zurückzuhalten.
 

+++++
 

Wenige Minuten, in denen wir schweigend durch den dunklen Gang zurück in die Haupthalle gegangen waren, später, erreichten wir unseren ersten Arbeitsplatz. Amanda und Mary arbeiteten schon auf dem Licht durchfluteten Acker, als wir uns ihm näherten.

„Hey Lucy! Hannah!“, strahlte Amanda uns freudig entgegen. Als die Schwarzhaarige meinen Namen erwähnte, zuckte ihre Freundin sichtbar zusammen, ignorierte uns aber völlig. Langsam und, wie sie wahrscheinlich meinte, unauffällig, verließ sie die Mitte des Feldes um in die gegenüberliegende Ecke zu verschwinden. Scheinbar hatte sie keine Lust auf mich. Aber mir war das ganz Recht. Ich hatte nämlich auch keine Lust auf ihre miesen Unterstellungen und Sticheleien. Ich hatte heute schon genug…

„Hey!“, sagte Lucy fröhlich. Doch ob diese Fröhlichkeit echt war, konnte ich nicht sagen.

„Hallo.“, meinte ich kleinlaut zu der Schwarzhaarigen.

„Ich wusste gar nicht, dass ihr heute Schicht habt.“, meinte Lucy etwas verwundert.

„Wir haben mit Sue und Tino getauscht.“, erklärte Amanda mit einem kleinen Seitenblick auf mich. Ich verstand sofort. Diese beiden wollten nicht mit mir zusammen arbeiten. Vielleicht hatten sie sogar angst vor mir.
 

Eine mir unerklärliche Wut brodelte in mir hoch und ich musste mir Mühe geben, nicht das Gesicht zu verziehen. Wie konnten diese Menschen über mich urteilen, obwohl sie mich überhaupt nicht kannten! Was erzählten die Leute denn? Das ich aussehe, wie ein Monster und alle, die mir begegnen, sofort auffresse?

„Mach dir nichts draus.“ Amandas Worte holten mich aus meinen Gedanken. Noch immer etwas hart blickte ich sie an. „Menschen haben Angst vor neuen Dingen.“

„Ja, ich verstehe das. Aber es ist nicht einfach, wenn die Menschen mich schon verurteilen, ehe sie mich kennen.“, sagte ich ernst.

„Das glaub ich dir.“ Sie lächelte mich freundlich an. „Aber hör zu. Es sind nicht alle gegen dich. Nicht wenige setzen sich dafür ein, dass du nicht zu unrecht verurteilt wirst.“

„Es ist nur schwer, Leute zu finden, denen man wirklich vertrauen kann.“ Das war jetzt nicht nur eine Antwort auf Amandas Satz, sondern auch ein kleiner Seitenhieb auf Lucy. Doch ich sah sie nicht an, weshalb ich nicht sehen konnte, wie sie darauf reagierte. Ich war ihr sehr dankbar für alles, was sie für mich getan hatte, doch wenn die Menschen hier sich schützen dürfen, dann möchte ich das auch. Kampflos gebe ich nicht auf. Das war nie meine Art.

Amanda kicherte. „Da musst DU dir keine Sorgen machen. Du bist sehr mutig und hast scheinbar ein gutes Auge für die Menschen. Mit Ian, Taylor und Lucy hast du ein gutes Händchen bewiesen.“

Hatte ich das? Ja, die drei waren nett und sie halfen mir. Aber ich kannte sie erst kurz! Ich wusste kaum was über sie! Ihre Ziele und Wünsche. Und sie wussten genauso wenig über mich. Und dennoch hatten sie sich für mich eingesetzt. Eine Fremde. Amanda hatte Recht. Vielleicht hatte ich wirklich eine gute Menschenkenntnis.

Ich lächelte. „Ja, stimmt.“
 

„Na dann lasst uns mal anfangen! Das Feld pflügt sich leider nicht von alleine!“, lachte Amanda und kam zu mir rüber. Sie wollte das Thema wohl erstmal damit abbrechen. Aber wie ich sie bis jetzt kennengelernt hatte, würde sie später noch einmal darauf zurückkommen.

„So, dann zeig ich dir mal, wie du uns helfen kannst.“ Sie warf einen kurzen Blick auf mein, noch immer bandagiertes, Bein. „Natürlich wirst du nicht so helfen müssen wie die Anderen. Deine Verletzung muss erst einmal wieder richtig verheilen.“, lächelte sie freundlich. Ich lächelte zurück.

„Danke, aber ihr braucht keine Rücksicht darauf zu nehmen. Ich kann arbeiten wie jeder andere auch. Ich brauche keine Sonderbehandlung.“, meinte ich bestimmt. Ich wollte nicht mit Samthandschuhen angefasst werden und den anderen nur bei der Arbeit zusehen. Dies war ein wichtiger Job, damit alle heute Abend etwas auf ihren Tellern hatten. Außerdem wollte ich mir von anderen nicht anhören ich wäre unnütz und zu nichts zu gebrauchen.

„Wow. Ein ganz schön taffes Mädchen.“, lachte Amanda. „Wie alt bist du?“ Ich war etwas verwundert über diese Frage.

„Äh… 17.“

Die junge Frau nickte anerkennend.

„Du bist ganz schön reif für dein Alter.“ Die Schwarzhaarige bückte sich, hob eine kleine, grüne Schaufel sowie einen weißen Eimer vom Boden auf und reichte mir diese. „Gut, dann kannst du die Erde etwas auflockern und das Unkraut rausrupfen.“

„Ja!“, kam es von mir und gleich hockte ich mich zwischen die Pflanzen mit den seltsamen Früchten und begann mit der Arbeit.
 

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Wenn ich die anderen drei so sah, hatte ich noch eine der leichteren Aufgaben. Aber ich musste gestehen, dass ich meine Verletzung unterschätzt hatte. Mein Bein schmerzte nach zwei Stunden auf dem Boden sitzen, höllisch. Alle paar Minuten musste ich mir eine neue Sitzposition suchen, die mir annähernd bequem erschien. Doch nach weiten paar Minuten stellte sich diese Annahme als falsch heraus.

Doch ich ließ mir nichts anmerken. Ich arbeitete normal weiter, auch wenn ich oft einen leisen Schmerzenslaut unterdrücken musste. Ich achtete auf mein verletztes Bein und hoffe nur, dass es nicht wieder anfing zu bluten.
 

Zwischen den Frauen herrschte eisige Ruhe. Mary, die weit Abseits von uns stand, hatte noch nicht ein Wort gesagt, seit ich hier war. Auch zwischen Amanda und Lucy war nicht wirklich eine Unterhaltung zustande gekommen. Die beiden redeten zwar ab und zu miteinander, doch es waren immer eher belanglose Dinge, die schnell geklärt waren.

Ich hingegen versteckte mich etwas zwischen den Pflanzen, damit die Leute, die an dem Feld vorbeigingen, mich nicht sofort entdeckten. So konnte ich mir einige blöde Sprüche und Anmerkungen ersparen.

Doch ich wusste auch, dass ich nicht ewig vor den Bewohnern dieser Höhlen weglaufen konnte. Aber ich konnte ja versuchen, es so lange wie möglich rauszuzögern.
 

„Hallo, die Damen!“ Eine männliche Stimme unterbrach meine Gedanken und ließ mich aufsehen. Ein Mann mit blonden, langen Haaren, die zu einem Pferdeschwanz gebunden waren, und einer Brille im Gesicht, lächelte uns freundlich an. Hugh, der Arzt.

„Hugh! Wie schön dich mal zu sehen! Du kommst ja so selten aus deiner Praxis, dass ich schon manchmal vergesse, dass es dich gibt!“, lachte Amanda über ihren Witz.

„Amanda, meine Liebe. Ich habe so viel zu tun, dass ich kaum Freizeit habe. Wenn ihr etwas vorsichtiger sein würdet, hätte ich auch weniger zu tun.“, gab Hugh charmant zurück.

„Das glaube ich gerne!“, grinste die Schwarzhaarige.

„Auch jetzt bin ich nur geschäftlich hier.“ Die junge Frau zog kurz eine Augenbraue hoch und blickte dann zu mir. War ja klar, dass ich wieder in den Mittelpunkt geraten musste…
 

Ich hielt kurz die Luft an, um eventuelle Schmerzenslaute gleich im Keim zu unterdrücken, und stand aus meiner sitzenden Position auf. So normal wie möglich, ging ich zum Rand des Feldes, wo Amanda, Hugh und jetzt auch Lucy standen.

„Genau dich suche ich!“, lächelte Hugh mich an.

„Das habe ich mir fast gedacht.“, lachte ich zurück. Hugh war mir eigentlich von Anfang an sympathisch. Er war ein netter, ruhiger Mann, der sehr vorsichtig beim Umgang mit Menschen zu sein schien.

„Ich war eben in deinem Zimmer, habe das aber nur leer vorgefunden. Und jetzt muss ich feststellen, dass du schon auf dem Feld arbeitetest.“ Ein kleiner Vorwurf schwang unüberhörbar in seinem Worten mit. Ich wollte gerade was dazu sagen, doch Lucy war schneller.

„Da musst du dich bei Simon und Jack bedanken.“, meinte Lucy mit einem ziemlich sauren Unterton. Ich musste darüber leicht schmunzeln. Ich bemerkte aus den Augenwinkeln, dass sie ebenfalls leicht lächelte. Auf einmal wirkte sie viel gelöster. Vielleicht war ich doch zu grob zu ihr gewesen.

„Das war ja klar.“, meinte Hugh ruhig, doch er schien nicht sehr gut auf die beiden zu sprechen zu sein. Aber er versteckte seine Wut schnell wieder und kehrte zu seinem eigentlichen Anliegen zurück. „Na ja, jetzt ist es eh zu spät, dich davon abzuhalten. Würdest du bitte mit mir kommen, Hannah?“

Ich sah die anderen beiden Frauen an, welche mir leicht zunickten.

„Ja.“

„Lucy“, sagte Hugh dann an diese gewand, „ich bringe sie nachher wieder in ihr Zimmer, einverstanden?“ Die Blonde nickte.

„Natürlich. Ich werde heute Abend mal vorbeischauen“ Der Arzt nickte zufrieden.

„Dann sehen wir uns später, meine Damen.“, säuselte der Blonde wieder und wandte sich ab.

Ich wusste in dem Moment gar nicht, was ich machen sollte. Ich sah Lucy kurz an, sagte: „Bye“ und ging Hugh hinterher.
 

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Er führte mich wieder durch die dunklen Gänge und nach drei Kreuzungen hatte ich bereits die Orientierung verloren. So brauchten sich die Menschen hier wenigstens keine Sorgen machen, dass ich auf einmal abhauen könnte. Und ich denke das war auch der Grund, weshalb sie mich hier so offen rumspazieren ließen.

Nach einigen Minuten erreichten wir Hughs Arbeitszimmer und er wies mich an, mich auf eines der Betten zu setzten.

„Leg bitte dein Bein hoch.“ Ich tat, was er gesagt hatte und der junge Mann zerschnitt sogleich den festen Verband darum.

Als mein Bein frei lag, musste ich erstmal schlucken. Es war noch immer rot und geschwollen und die Nähte der Wunden klafften aus dem Fleisch, doch es sah schon besser aus, als ich es das letzte Mal gesehen hatte. Dennoch kam in mir eine gewisse Übelkeit hoch, als ich das blutige Bein sah. M e i n blutiges Bein.

Ich ließ mich langsam nach hinten auf das Bett sinken und starrte die Decke über mir an, an der die Lichtpunkte einiger Öllampen flackerten.
 

„Du kannst kein Blut sehen, was?“, hörte ich Hugh lachen, während ich spürte, dass er etwas mit meinem Bein anstellte.

„Nein, nicht wirklich.“ Zumindest nicht in diesem Ausmaß. Und schon gar nicht bei mir selber. Darum fand ich es so besser, einfach dem Fachmann zu vertrauen und nichts weiter dazu zu sagen.

„Haha, kann ich verstehen!“, meinte der Blonde hörbar belustigt und auch mir schlich sich ein kleines Lächeln aufs Gesicht. „Tut es noch sehr weh?“

Ich überlegte kurz. Denn immerhin wollte ich, zumindest ihm, die Wahrheit sagen.

„Eigentlich nicht. Nur vorhin, als ich die zwei Stunden auf dem Boden gesessen habe, fing es wieder an zu brennen. Laufen und alles geht aber erstaunlich gut.“, erklärte ich ihm.

„In Ordnung.“, meinte Hugh nur und dann herrschte wieder Stille zwischen uns beiden.
 

„Darf ich dich mal was fragen?“, fing er plötzlich wieder an und ich wurde hellhörig.

„Natürlich.“

„Ich möchte nicht zu aufdringlich erscheinen, aber ich muss gestehen, dass ich sehr neugierig bin.“ Er schien sich etwas rausreden zu wollen. Ich schmunzelte.

„Ich verstehe.“

„Also… Wo genau kommst du her?“ Diese Frage überraschte mich etwas. Aber im positiven Sinne. Er schien mir wirklich zu glauben, dass ich nicht von hier kam. Zumindest wollte ich mir das einreden.

„Ich weiß nicht genau, wie ich das sagen soll. Ich weiß ja nicht mal, wo ich hier eigentlich bin.“, meinte ich ehrlich. Denn wie sollte ich sagen, wo ich herkomme, wenn ich nicht mal eine Idee hatte, wo ich hier war.

Hugh blieb kurz still. Er schien mich nicht unterbrechen zu wollen. Ich seufzte leise und fuhr dann fort.

„Die Stadt, in der ich wohne, heißt Berlin und ist die Hauptstadt von Deutschland. Hast du davon schon mal was gehört?“ Ich hatte zwar Angst vor der Antwort, doch das hier war wahrscheinlich meine einzige Chance etwas zu erfahren. Stille.

„Nein, tut mir Leid.“

Ich seufzte schwer und musste mich wirklich beherrschen nicht sofort loszuweinen. Auch wenn ich es irgendwie von Anfang an gewusste hatte, bohrte sich die Wahrheit wie ein Messer in meinen Kopf. Ich wusste nicht, wo ich mich hier eigentlich befand, doch eins war klar: Das hier war nicht die Erde. Aber was dann?

Ich habe mich doch eben noch in Berlin befunden und hatte einen Unfall! Wie kann ich in der nächsten Sekunde ganz wo anders sein, in einer Welt… die es eigentlich gar nicht gibt?

Oder war ich doch… tot? War das hier eine Art Himmel? Oder vielleicht doch die Hölle? Doch was hatte ich getan? Warum hatte ich das verdient? Habe ich irgendwas in meinem Leben falsch gemacht?
 

„Hannah…“ Hughs Stimme holte mich aus meinen Gedanken. Ich spürte ein Stechen in der Brust meine Augen brannten. Erst jetzt bemerkte ich, dass mir heiße Tränen über die Wangen liefen und schon das Kopfkissen unter mir befeuchteten. Verschämt wischte ich diese Wassertropfen weg.

„Tut mir leid, ich habe etwas die Beherrschung verloren.“

Der Blonde schüttelte den Kopf.

„Nein, du brauchst dich nicht entschuldigen. Ich kann mir gut vorstellen, dass das sehr schwer für dich sein muss. So weit weg von Zuhause und niemanden den du kennst. Tut mir leid, dass du unter solchen Umständen zu uns gestoßen bist.“ Seine Stimme klang leiser als sonst und irgendwie… mitleidig. Er hatte tatsächlich Mitleid mit mir. Hieß das auch, dass er meine Geschichte glaubte?

„Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich hatte einen Autounfall und bin hier aufgewacht. Dazwischen fehlt mir alles.“, erklärte ich ihm mit leiser und brüchiger Stimme.

Mein Kopf war seltsam leer. Obwohl ich jetzt die Gewissheit hatte, dass ich im Nirgendwo festsaß, war ich erstaunlich ruhig. Doch ich wusste, dass das noch nicht alles war. Irgendwas war da in mir, was bald hervorkommen könnte.

„Das tut mir alles so leid.“, meinte der Blonde und stand auf. Ich hob meinen Kopf und sah, dass mein Bein bereits wieder verbunden war. Diesmal war der Verband nicht ganz so dick, wie beim letzten Mal.

Hugh ging zu einer Art Schreibtisch, der am anderen Ende stand und packte das restlichte Verbandszeug wieder in einen der Schränke. Ehe ich mich ganz aufgesetzt hatte, kam er auch schon wieder zurück. Das weiße Tuch, was er mitgebracht hatte, legte er in meine Hand. Ein Taschentuch.

„Ich kann dir leider auch nicht sagen, was mit dir passiert ist, aber ich werde alles tun, um das herauszufinden. Und solange werde ich nicht zulassen, dass einer von den anderen dir was antut. Versprochen.“

Ungläubig starrte ich den jungen Mann an, der mich lächelnd, aber dennoch ernst, anblickte. Ich sah in seinen Augen, dass er ernst meinte, was er eben gesagt hatte. Ein seltsames Gefühl kroch in mir hoch.

„Vielen Dank.“, meinte ich leise und wischte mir die heißen Tränen aus dem Gesicht.
 

Langsam stand ich auf, da mir aufgefallen war, dass Hugh mehrmals zur Tür und wieder zurück zu seinem Schreibtisch geblickt hatte. Wahrscheinlich hatte er noch andere Dinge zu erledigen und wollte mich deshalb schnell in mein Zimmer bringen.

„Ich müsste dich jetzt leider wieder zurück in dein Zimmer bringen.“, meinte er etwas beschämt darüber, mich so schnell wieder loswerden zu müssen. Das würde jedenfalls zu ihm passen.

Ich lächelte. „Natürlich. Du hast sicher noch andere Patienten. Ich will da gar nicht weiter stören.“

„Danke.“, meinte Doc dann ebenfalls lächelnd und öffnete die Tür.
 

Lange liefen wir durch die nur spärlich beleuchteten Gänge, ehe wir die Tür zu dem Raum erreichten, die mir im Moment als Unterschlupf diente.

„Vielen Dank, Doc. Für alles.“, meinte ich noch, ehe ich das Zimmer betrat und die Tür hinter mir wieder schloss. Kurz lehnte ich mich mit dem Rücken gegen die Wand. Ich musste einmal tief durchatmen. Meine Augen schlossen sich wie von selbst, bis ich mich langsam wieder normaler fühlte.

Doch ein seltsamer Geruch stieg mir in die Nase und ich öffnete meine Augen wieder. Auf dem Tisch in der Ecke stand wieder ein Tablett voll mit Essen. Lucy musste es mir vorbeigebracht haben. Doch etwas fiel mir daran ins Auge. Ein weißer Zettel lag oben auf dem Essensteller. Neugierig ging ich zu dem Tisch rüber und las den Satz, der fein säuberlich auf dem Papier stand.

„Es tut mir leid!“
 

Ich konnte sofort sehen, dass diese Schrift einer Frau gehören musste und wusste gleich, wem ich diese zuordnen musste. Eine kleine Träne rann mir über das Gesicht. Amanda hatte Recht. Ich konnte ihnen wirklich vertrauen…

Zwei Monde und der letzte Ausweg

Kapitel 6 – Zwei Monde und der letzte Ausweg
 

Nachdem ich meine Essensration gegessen hatte, war ich sofort ins Bett gegangen. Ich lag zwar noch einige Stunden wach, doch trotzdem konnte ich meine Gedanken nicht ordnen. Langsam war das Chaos in meinen Kopf zurückgekehrt und das galt es nun ein wenig zu entwirren. Doch das war schwieriger, als es klang. Die Gewissheit, in einer fremden Welt zu sein, die eigentlich gar nicht existierte, hing mir schwer im Magen. Ich meine, wie sollte ich auch reagieren?

Im Moment tat sich die Frage auf, ob ich überhaupt noch nach Hause konnte. Sollte ich also die Hoffnung aufgeben, oder weiter daran glauben, eine Lösung zu finden? Normalerweise war ich nicht unbedingt pessimistisch, aber unter diesen Umständen fiel es mir schwer an das Positive zu glauben.
 

Doch ein Gedanke schlich sich immer wieder zwischen meine Überlegungen… Der blauäugige Mann. Der Mann, den ich gesehen hatte, als ich diesen Unfall mitten in Berlin hatte. Der war mir damals schon nicht geheuer vorgekommen. Und jetzt, wo ich einiges über die „Infizierten“ herausgefunden hatte, drängte sich mir die Frage auf, ob er nicht einer von ihnen war. Hatten sie mich etwa hierher geholt? War das möglich? War das wirklich jemand aus d i e s e r Welt? Und haben sie mich irgendwie aus meinem Leben gerissen und hier abgesetzt?

Hieß das auch, sie konnten mich zurückbringen?
 

Das war das einzige, was mir im Moment Mut machte. Wenn diese Leute mich hierhergeholt hatten, dann müssten sie mich auch eigentlich wieder zurückbringen können!

Doch wie sollte ich das anstellen? Immerhin war ich eine Art Gefangene in dieser Menschenkolonie. Die würden mich niemals mit den anderen reden lassen! Oder sie würden es gleich als Bestätigung für ihre Vermutung deuten und mich umbringen.

Diese Aussichten klangen nicht sehr rosig. Und ich wusste nicht einmal, was diese Leute mit mir vorhatten und warum sie mich in diese Welt gebracht hatten. Es musste dafür doch einen Grund geben…
 

Doch was war so besonderes an mir? War ich nicht ein Mensch wie jeder andere? Warum sollte man so viel Aufwand betreiben, nur um mich hierher zu bringen? Das ergab einfach keinen Sinn! So sehr ich auch versuchte einen zu finden, es gab keinen!
 

Und so lag ich wieder einmal wach in meinem Bett und starrte an die Felsdecke. Seit Lucy mir gestern das Essen vorbeigebracht hatte, hatte niemand mehr mein Zimmer betreten und ich hatte keine Lust es zu verlassen. Wenn ich alleine durch die Gänge spazierte bekam ich am Ende nur wieder Ärger oder mir würde ein Ausbruchsversuch angedichtet. Wenn ich noch länger hier bleiben wollte, war schweigen und sich ruhig verhalten das einzige, das ich tun konnte.

Doch wollte ich wirklich hier bleiben? Wer sagt mir, dass ich hier auf der richtigen Seite stehe? Wenn die Menschen mich teilweise so mies behandelten, vielleicht wäre es dann besser woanders zu sein.
 

Ein Klopfen an der Holztür unterbrach plötzlich meine Gedanken.

„Herein!“, rief ich durch das Zimmer, rührte mich jedoch nicht. Ich blieb einfach auf der Bettdecke liegen und starrte weiter in die Ferne.

„Hannah!“ Ich erkannte Lucys Stimme sofort.

„Guten Morgen, Lucy.“, kam es von mir. Ich hoffte, dass unser Streit nun zu Ende war und wir wieder normal miteinander umgehen konnten. Sie fehlte mir irgendwie. Und es gab nur eins, was ich dagegen tun konnte: Ich musste ihr zeigen, dass ich ihr verziehen hatte.

Als ich die junge Frau dann sah, bemerkte ich, dass sie noch etwas vorsichtig auf mich zukam. Sie hielt sich noch etwas zurück. Ich hatte mich wohl ziemlich daneben benommen.

Ich setzte ein leichtes Lächeln auf, als sie vor mir stand und irgendwie schien sie gleich etwas aufzutauen.

„Guten Morgen.“, meinte sie freundlich und lächelte leicht. „Wie geht es dir? Was macht dein Bein?“

„Der Doc war nicht ganz so begeistert, glaube ich. Es sah auch nicht ganz so… lecker aus. Aber es tut nicht weh. Mir geht’s gut.“, lächelte ich.

„Dann solltest du mit der Arbeit noch etwas kürzer treten. Da können auch die anderen nichts gegen sagen.“ Lucy zischte die letzten Worte regelrecht, worauf ich ein Kichern unterdrücken musste.

„Ja, ich versuch es. Sonst gibt’s wieder Ärger vom Doc.“
 

„Ok, hast du hunger?“, wechselte die Blonde plötzlich das Thema.

„Ja, etwas.“, meinte ich nur. Aber sie hatte gar nichts dabei! Was hatte sie mit mir vor?

„Dann lass uns Frühstücken!“, lachte sie, fasste mich, zuerst vorsichtig, am Arm, zog mich vom Bett und dann hinter sich her. Als sie bemerkte, dass ich nichts gegen ihre Berührung tat, fasste sie etwas mutiger zu.

Sie war meine Freundin. Und auch wenn die anderen sie gegen mich aufhetzen, änderte sich daran nichts. Immerhin habe ich nichts zu verstecken und ich hoffe, dass sie das auch den Skeptikern klarmachen konnte.
 

Lange wanderten wir wieder durch die steinernen Gänge und landeten in der großen Halle. Dort nahmen wir einen der linken Gänge, durch den wir noch einige Minuten gingen. Doch bald kamen wir da an, wo sie mich hinbringen wollte.

Es war ein riesiger, eckiger Raum der mit Tischen und Stühlen nur so voll gestellt war. Er wurde von vielen von den Decken hängenden Lampen erhellt.

Viele Menschen saßen an diesen Tischen und ein ziemlicher Geräuschpegel herrschte in dem großen Zimmer. Teller und Besteck klapperten, währen die Bewohner sich über ihr Essen hermachten.

„Das ist unser Speisesaal.“, unterbrach Lucy meine Gedanken. Ich nickte nur, immer noch erstaunt. „Und wenn du da nach links guckst…“, meinte sie und zeigte auf die linke Wand, in der eine Tür und eine Theke eingelassen waren, „…dahinter ist unsere Küche. Jeder wird mal zum Küchendienst eingeteilt, aber kochen tut meistens Rose, denn sie ist gelernte Köchin. Ihr Essen ist wunderbar! Trotz unserer nicht sehr guten Zutaten.“ Sie sah etwas angewidert aus. Die Auswahl war wohl nicht sehr groß und appetitlich.
 

Plötzlich wurde es ganz leise im Saal. Ich blickte in die Runde und bemerkte sofort, dass alle aufgehört hatten zu essen und mich anstarrten. Die meisten hatten einen wütenden Blick auf mich gerichtet, andere sahen neugierig und interessiert aus.

Mir war das Ganze extrem unangenehm und ich sah betrübt zu Boden. Erst als Lucy einen Arm um meine Schultern legte, blickte ich wieder auf. Sie sah mich mit ruhigem Blick an.

„Achte nicht auf sie… Lass uns etwas zu essen holen.“ Vorsichtig nickte ich, ehe sie mich an der Hand nahm und durch die Tür in die Küche zog. Sobald wir den offiziellen Esssaal verlassen hatten, hörte ich, wie der ganze Saal plötzlich anfing zu Tuscheln.

Schnell blendete ich diese Geräusche aus und sah mich erstmal in der Küche um. Trotz der unförmigen Steinwände konnte die Küche locker mit einer Profiküche mithalten, was mich doch sehr erstaunte. Die Küche war riesengroß und glänzte, als wäre sie gerade erst gekauft worden! Nicht ein dreckiger Teller oder etwas in der Art war irgendwo zu sehen!

Und das obwohl ich auf den ersten Blick mindestens zehn Leute geschäftig rum rennen sah.
 

„Lucy!“ Die Stimme einer Frau erklang ganz in unserer Nähe und gleich danach tauchte eine kleine, runde Frau hinter einer der Theken auf. Sie hatte blonde Haare, die zu einem Dutt zusammengesteckt waren. Obwohl sie mindestens zehn Zentimeter kleiner war als ich, musste sie mindestens das Doppelte von mir wiegen.

„Hey, Rose! Tut mir echt leid, dass ich heute bei dem Ansturm nicht helfen konnte! Ich muss mich um unseren kleinen Gast hier kümmern.“, meinte sie mit entschuldigendem, aber zugleich fröhlichem Blick auf mich.

„Ahhh! Du hast unseren Gast mitgebracht!“, meinte sie freudig und kam auf mich zu. Noch ehe ich etwas machen konnte, hatte sie bereits mit ihren Händen meine eine umfasst und schüttelte diese kräftig, sodass mein ganzer Körper bebte. „Hallo Hannah! Es freut mich sehr, dich kennenzulernen!“

Etwas überrumpelt sah ich sie an, riss mich aber schnell zusammen.

„Die Freude ist ganz meinerseits.“, meinte ich höflich und erwiderte ihren stürmischen Händedruck. Sie lächelte mich an.

„Was für ein höfliches Mädchen! Mein Name ist Rose. Ich bin die Köchin hier.“ Ich nickte lächelnd, da ich nicht wusste, was ich darauf noch erwidern sollte.
 

„Wir sind hier, um uns eine Kleinigkeit zu essen zu holen. Habt ihr was für uns?“, mischte sich Lucy in unser Gespräch und Rose ließ endlich von mir ab.

„Aber natürlich! Es ist genug da!“, meinte sie schwungvoll und flitzte um einen der Tische herum.

Als ich mich umsah bemerkte ich dann, dass das restliche Küchenpersonal in ihren Bewegungen innehielt und uns gespannt musterte. Höchst wahrscheinlich wegen mir. Schnell lenkte ich meinen Blick wieder auf die nette, blonde Frau, die gerade mit zwei Tellern in den Händen zu uns zurückkam.

„Hier bitte.“, meinte sie und reichte uns je einen Teller, den wir dankend annahmen. „Heute gibt es Wolfsfleisch mit Gemüse. Ich hoffe es schmeckt euch!“

Ich stutzte leicht bei dem Wort „Wolfsfleisch“, aber der köstliche Geruch ließ die Zweifel schnell verfliegen.

„Ich danke dir, Rose. Dann wollen wir nicht weiter stören.“, lächelte Lucy, winkte kurz und verließ mit mir die Küche.
 

Sobald wir den Esssaal wieder betraten, verstummten die Gespräche augenblicklich und alle Augen waren wieder auf mich gerichtet. Eine ziemliche Wut kochte urplötzlich in mir hoch, was mich selbst überraschte. Wenn die Leute mich nicht leiden konnten, sollten sie mich ignorieren und nicht jedes Mal so ein auffälliges Theater machen!

„Beruhige dich!“, hörte ich plötzlich eine Frauenstimme neben mir sagen, ehe eine Hand meine nahm und mich zu einem weit entfernten Tisch brachte.

„Tut mir leid.“, meinte ich leise, als ich mich an den Tisch setzte und meinen Kopf auf den Armen abstützte.

„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich verstehe, dass dich das aufregt. Aber glaub mir, das wird nur noch mehr ärger machen, wenn du dich mit ihnen anlegst.“ Ihre ruhige Stimme ließ mich auch wieder etwas entspannen. Sie hatte ja Recht. Aber es war so unendlich schwer bei dem Verhalten der anderen ruhig zu bleiben…

„Ja, ich weiß…“, murmelte ich leise und stocherte in meinem Essen rum. Der Appetit war mir gerade gehörig vergangen.

„Hey Hannah… Benimm dich einfach wie immer. Wenn die anderen bemerken, dass du wie jeder andere hier bist, dürften sich ihre Zweifel bald zerstreuen.“, meinte sie leise und lächelte dabei immer.

Ein leises Seufzen entfuhr mir. „Ich versuche es.“ Ich stocherte weiter in meinem Essen rum und zwang mich dann zu essen. Es war köstlich. Schon lange hatte ich nicht so was Gutes gegessen! Schlagartig kam mein Hungergefühl wieder und ich aß den ganzen Teller leer.
 

„Hat es dir geschmeckt?“, fragte Lucy, als ich mein Besteck zur Seite legte. Das Schmunzeln in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Daraufhin entwich mir ein kleines Kichern.

„Ja, es war echt lecker! Du hast nicht übertrieben was Roses Kochkünste angeht.“, lächelte ich sie an und erhob mich mit ihr, um das Geschirr wegzubringen.

Auf der Theke standen schon andere Teller und Bestecke und wir stellten unsere dazu. Während wir gegessen hatten, hatte sich niemand gerührt. Ich spürte die Blicke der anderen auf mir, doch ich hatte mir vorgenommen, mich ganz normal zu benehmen. Lucy hatte Recht. Die Menschen hier brauchten eine Weile, ehe sie mich akzeptieren konnten. Also würde ich in der Zeit so sein, wie ich bin. Vielleicht tat ich ja irgendwas, was die Infizierten nicht taten. Das wäre das Beste, um die Leute davon zu überzeugen, dass ich nicht besessen war.

Vielleicht hatte ich ja mal etwas Glück…
 

Sofort machten wir uns auf den Weg und verließen den Speisesaal. Ob ich es wollte, oder nicht. Sobald wir aus dem Raum in den schwach beleuchteten Gang traten und ich ihre Blicke nicht mehr spürte, ging es mir schlagartig besser. Ich atmete erleichtert auf. Anscheinend etwas zu auffällig…

„Wenn du willst, bringe ich dir das Essen wieder in dein Zimmer.“ Ich blickte zu Lucy auf. Sie ging neben mir und sah mich mit einem komischen Blick an. Es lag Verletzung, Mitleid und Trauer in ihrem Gesicht. Ich riss mich zusammen.

„Nein, das musst du nicht. Vielleicht habe ich etwas überreagiert, aber es ist so schwer hier!“ In dem Moment, als wir den großen Saal betraten, blieb mein Körper einfach von alleine stehen. So sehr ich es auch versuchte, ich konnte nicht alle Tränen zurück halten. „Ich vermisse sie alle so… Meine Familie, meine Freunde… Sie alle sind… so weit weg. Ich möchte sie wiedersehen…“, presste ich mühevoll zwischen meinen Zähnen hervor, während immer mehr Tränen versuchten, sich einen Weg über mein Gesicht zu bahnen. Doch ich wollte nicht schon wieder schwach sein.

„Hannah…“, begann die blonde Frau, doch ich wollte nicht darüber reden. Ich ärgerte mich schon jetzt damit angefangen zu haben.

„Nein, tut mir leid. Es ist ok. Ich muss nur mal wieder richtig schlafen, das ist alles.“ War das die Wahrheit? Ich wusste es selbst nicht. Aber ich konnte mir denken, dass es nicht so einfach werden würde. „Ich würde jetzt gerne in mein Zimmer gehen.“, kam es noch von mir, und ohne zu zögern machte ich mich alleine auf. Ich glaubte, dass ich irgendwie wieder dorthin finden würde.
 

Doch ich hatte mich geirrt. Mein Kopf war so voller Gedanken, dass ich nicht mehr wusste, wo oben und unter war. Es war alles so… verwirrend. So eigenartig. Ich fühlte mich so unendlich allein…

Nach einer halben Ewigkeit gab ich meine Suche in diesem Irrgarten vorerst auf. Erschöpft lehnte ich mich an die schwarze Steinwand und ließ mich an ihr herunter gleiten, bis ich den Boden erreichte. Die steinige Erde unter meinen Händen fühlte sich leicht feucht an. Genauso wie die Wand an meinem Rücken.

Sachte flackerten die Fackeln und warfen groteske Schatten an die Wand. Ich beobachtete ihr Spiel während meine Gedanken ganz wo anders waren. Es war so viel passiert. Immer wieder dachte ich an den Moment, der mein Leben komplett verändert hatte. Doch genauso oft versuchte ich auch genau diese Gefühle und Gedanken zu verdrängen.
 

Ich schüttelte verzweifelt den Kopf, sprang auf und rannte weiter durch dieses Labyrinth. Ohne hinzusehen bog ich mal nach links, mal nach rechts ab. Wohin ich in diesem Moment eilte, war mir selber egal. Einfach weg. Weg von da, wo ich gerade war. Fliehen. Wahrscheinlich auch vor mir selbst…

Ich lief wie blind durch die dunklen Gänge und ehe ich mich versah, spürte ich einen kalten Luftzug. Ein kräftiger Wind zog wild an meinen Haaren, die ich am Morgen zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, und der Kleidung und ich bekam augenblicklich eine Gänsehaut. Erst dann fiel mir auf, wo ich eigentlich war: Ich stand draußen unter freiem Himmel! Ich hatte noch einen anderen Ausgang gefunden! Ich stand ein paar Meter weiter unten, als da, wo Lucy mich vor kurzem hingebracht hatte.
 

Trotz des kalten Windes war die Luft unglaublich sauber und rein. Es tat so gut hier draußen zu sein. Und niemand war weit und breit zu sehen.

Langsam schlenderte ich die restlichen Meter hoch, um die Spitze des Berges zu erreichen. Kleine Gebäude säumten die Schotterstraße, auf der ich wandelte. Kleine, teilweise zweistöckige, Häuser, kleine, vertrocknete Gärten, Arbeitsgeräte und weitere Überreste des früher einmal blühenden Lebens waren noch zu sehen, jedoch keine Menschen Seele. Die Fenster und Häuser waren dunkel. Nur der Vollmond über mir erhellte die nächtliche Szene.

Ich kletterte erneut auf das Dach des höchsten Hauses und genoss die frische Luft und den Ausblick.

Der Himmel war schwarz und von kleinen funkelnden Sternen durchzogen. Der sonst so glühende, weiße Sand war nun tiefschwarz, sodass man ihn leicht mit einem ruhigen Meer hätte verwechseln können. Kleine Sandkörner schwirrten in der Luft und streiften meine Haut. Trotz des unangenehmen Gefühls, welche diese verursachten, hatte ich nicht die Absicht, das Dach zu verlassen. Zu schön war das Gefühl nicht eingeengt und eingesperrt zu sein. Wie sehr sehnte ich mich nach der Außenwelt, der normalen Welt, die mir verwehrt blieb…
 

Solange ich konnte, würde ich hier bleiben und die stille, schwarze Welt beobachten. Und den Mond, der so wundevoll blau leuchtete… Moment. Warum war der Mond blau? Und… warum waren ZWEI Monde am Horizont?

Ich streckte meinen Oberkörper über die Steinmauer, um den kleinen, weißen Mond hinter einer anderen Bergspitze sehen zu können. Dort leuchtete er. Wie der Mond, den ich kannte. Sanft und rein… Doch wie war das möglich? Woher kam plötzlich ein zweiter Mond? Davon hatte ich noch nie gehört!

Mein ganzer Körper fing an zu zittern. Es fühlte sich an, als würde der Boden unter mir wackeln. Ich spürte regelrecht, wie das Blut meinen Kopf verließ und ich blass wurde. Eine Übelkeit stieg in mir hoch, sodass ich sofort würgen musste. Eine schlimme Vorahnung befiel mich.

Mit zitternden Fingern krallte ich mich an der Steinmauer fest, so kräftig, dass ich erst durch eine warme Flüssigkeit aufmerksam gemacht wurde, dass sie sogar schon bluteten. Doch ich musste mich festhalten! Ich hatte Angst sonst nicht stehen bleiben zu können. In ein bodenloses Loch zu fallen…
 

Wie in Zeitlupe wanderte mein Blick zurück auf den blauen Mond, hoch am Himmel. Erst jetzt fiel mir auf, dass er viel zu groß für einen Mond war. Man erkannte weiße Schleier, die ihn bedeckten. Hellgelbe und grüne Flächen bedeckten den Stern an einigen Stellen, während die anderen in einem geheimnisvollen Blau erstrahlten.

„Nein… Nein! Das kann nicht…! Das ist unmöglich!“ Das war es endgültig. Ich verlor den Verstand. Ich war verrückt geworden! Ja! Verrückt…

Meine Beine gaben unter mir nach und ich landete unsanft mir meinen freien Knien auf dem rauen Boden. Mein Kopf knallte heftig gegen die Mauer worauf mir kurz schwarz vor Augen wurde. Es drehte sich alles. Auch der Rest meines Körpers wollte streiken, doch ich kämpfte noch gegen die Ohnmacht an. Warmes Blut tropfte von meiner Stirn und bedeckte einen Teil meiner Kleidung und des Bodens.

Seit wann war ich so schwach? Seit wann brach ich so oft zusammen? War ich… nicht mehr dieselbe?
 

„Hannah!“, schrie jemand besorgt nach mir. Ich erkannte ihre Stimme sofort. Lucy musste mich gesucht haben, als sie mich nicht in meinem Zimmer gefunden hatte. Doch ich war nicht mehr in der Lage, ihr zu antworten.

Ich hörte den Sand knirschen, als sie angerannt kam, sich dann neben mich hockte und meine Schultern anfasste.

„Doc! Komm her! Schnell!“ Sie musste das ganze Blut gesehen haben. Der Doc hatte also auch nach mir gesucht? Mir wäre es lieber, wenn sie mich einfach sterben lassen würden… Ich wollte nicht mehr leben. Nicht, nachdem ich das Geheimnis dieses Ortes herausgefunden hatte. Nicht, nachdem ich wusste, dass ich nie wieder hier wegkommen konnte…
 

„Lucy? Hast du sie gefunden?“

„Ja! Sie ist hier auf dem Dach! Außerdem blutet sie überall! Beeil dich!“

Hastige Schritte. Mehr als zwei Füße näherten sich mir. Lautes Gemurmel war aus dem Hintergrund zu hören. Die beiden waren nicht alleine gekommen…
 

„Hannah? Hannah! Hörst du mich?“ Der Mann neben mir klang seltsam aufgeregt. Das kannte ich gar nicht von ihm. „Hannah!“ Er drehte mich um. Ihn sah ihn direkt an und doch sah ich gar nichts. Mein Gehirn funktionierte nicht mehr. Nicht einmal sprechen war noch möglich. Meine schnelle Atmung ließ noch mehr meiner Sicht verschwimmen. Es war ein kleines Wunder, dass ich noch mitbekam, was um mich herum geschah.

„Was ist passiert?“

„Ich weiß es nicht! Sie wollte vorhin in ihr Zimmer und als ich später nachsehen ging, war sie nicht da! Ich habe Hannah überall gesucht! Und dann lag sie hier blutverschmiert auf dem Boden…“, Lucys stimme brach. Sie kämpfte wohl mit den Tränen.

„Hannah? Hannah! Wach auf! Ich bin‘s!“ War das möglich? Ich hörte seine Stimme neben mir und doch konnte ich nicht glauben, dass er da war…

„Ian, geh etwas zurück. Lass den Doc gucken, was ihr fehlt.“ Taylor. Er war auch hier.

Ian zischte. „Ich wusste, dass ich nicht hätte gehen sollten! Ich wusste es die ganze Zeit! Diese, diese…“ Ich hörte Sand knirschen. Er musste aufgestanden sein.

„Beruhige dich.“, meinte eine andere, weibliche Stimme.
 

„Ihre Finger sind schwer verletzt und ihre Stirn blutet heftig. Außerdem ist sie in seltsamer Weise weggetreten. Ich kann mir partout nicht vorstellen, was sie so unglaublich geschockt hat.“ Hugh klang seltsam nervös. Genauso, wie der Rest… Machten sie sich etwa… Sorgen um mich?

„Komm, Hannah! Wir bringen dich in dein Zimmer. Es wird alles wieder gut.“ Ich spürte, wie mich jemand auf seine Arme nahm, und Lucys warme Wand, meine berührte. Vorsichtig, um nicht die wunden Stellen zu berühren.

Gerade, als Hugh sich umdrehen wollte, streckte ich meine Hand aus. Verwundert blieb er stehen.

„Hannah? Was ist?“, fragte der blonde Arzt und kurze Zeit war nur der starke Wind zu hören.

„Da!“, schaffte ich zu sagen und streckte meine Hand nach ihr aus.

„Was?“, fragte Lucy und auch der Rest schien nicht zu wissen, was ich meinte.

„Ich will zurück. Ich will zurück auf die Erde!“ Erneut flossen heiße Tränen über meine Wangen. Mir war es egal, ob sie alle sehen konnten, wie schwach ich war. Mir war alles egal…

„Wie bitte?“ Die junge Frau drückte plötzlich fester meine Hand.

„Hannah? Willst du etwa sagen, du kommst von da? Vom blauen Mond?“ Hughs Stimme klang seltsam hoch.

„Das ist doch… unmöglich…“, meinte eine mir unbekannte Stimme von etwas weiter weg.

„Ich will zurück… Mama, Papa… meine Freunde…“, flüsterte ich, bis meine Hand wie von selbst sank. Sie wirkte plötzlich schwer wie Blei.

Das war das Zeichen: Ich konnte sie nicht halten. Es war mir nicht möglich dorthin zurück zu kehren. Ich würde die Erde nie wiedersehen…
 

„Hannah!“ Immer wieder riefen sie meinen Namen. Doch ich wollte nicht mehr antworten. Ich wollte nur noch weg hier. Ich schloss einfach meine Augen und genoss das schwarze Bild vor ihnen. Ohne Sorgen sich treiben lassen.

Ich wünschte in diesem Moment, dass sie mich nie wieder aufwecken würden…

Das ist mein Leben! Auch wenn ich es nicht mehr will

Kapitel 7 – Das ist mein Leben! Auch wenn ich es nicht mehr will
 

Nach einer, für mich, ewig langen Nacht erwachte ich widerwillig aus meinen Träumen. Eben hatte ich noch mit meiner Familie zusammen Fernsehen geguckt und war mit meinen Freunden shoppen. Es war so schön, sie alle wiederzusehen!

Doch ich wusste die ganze Zeit über, dass diese Bilder nur eine große Lüge waren. Dennoch hatte ich so sehr gehofft, dass sie wahr wären. Das Bild der Erde am Himmel hatte mich die ganze Zeit über nicht losgelassen. Immer wieder tauchte es vor meinem inneren Auge auf und wandelte die Freude in Trauer um. Ich wusste genau wo ich war. Und deshalb versuchte ich auch krampfhaft nicht aufzuwachen…
 

Das Zimmer, in dem ich mich befand, roch nach irgendwelchen Medikamenten oder so etwas. Leute liefen ständig an meinem Bett vorbei oder unterhielten sich flüsternd.

Ich lag nur unter einer weichen Bettdecke und hielt die Augen geschlossen. Niemand sollte wissen, dass ich wach war. Warum ich das nicht wollte? Entweder würden sich alle über mich lustig machen oder mit einer unglaubwürdigen Beileidsbekundung ankommen. Darauf konnte ich, ehrlich gesagt, verzichten.

Nur Lucy und Ian würden mich verstehen. Doch auch diesen zwei konnte ich nicht zeigen, dass ich meine Umwelt wieder gedämpft wahrnahm.

Ich fühlte, dass meine Hände mit weichem Stoff umwickelt waren. Wahrscheinlich eine Art Verband. Auch an meinen Knien und Unterschenkeln schien etwas zu kleben. Doch am nervigsten war der Verband an meinem Kopf. Er ziepte und juckte fürchterlich. Besonders dann, wenn man sich vorgenommen hatte, sich nicht zu bewegen. Es wäre etwas auffällig, wenn sich eine schlafende Person erst mal den Verband zu Recht rückte.
 

Doch am schwierigsten war es, meine Tränen zu unterdrücken. So ganz gelang es mir zwar nicht, aber ich hatte gehört, wie jemand vermutet hatte, ich würde im Schlaf weinen. Meinetwegen. Soll mir Recht sein. Grund hatte ich allemal dazu.
 

Ich war tausende Kilometer von der Erde entfernt! Es war also nicht ein anderes Land, oder was ich mir sonst alles ausgedacht hatte. Nein. Es war ein ganz anderer Planet! Wie sollte ich bitte mit deren Technologie hier zurück auf meinen Planeten kommen?

Und sie hatten ihn auch noch Mond genannt… Das hieß, sie wussten nicht mal, dass es dort Menschen gibt.

Und die Erde wusste genauso wenig über diesen Ort. Ich hatte noch nie von einem Planeten gehört, der so nah an der Erde dran war! Und dann war auch noch von Lebewesen bevölkert! Und zwar nicht nur kleine Mikroben, die die Forscher der Erde in irgendwelchen Wasserrückständen suchten, sondern Menschen, wie mich! Lebendige Wesen, die aussahen und sich benahmen wie die Menschen, die ich kannte…

Wie war das nur möglich? Wie konnte ein bevölkerter Planet so neben der Erde existieren? Ich verstand das einfach nicht…
 

Aber eines war mir klar. Wenn ich nicht bald sterben würde, weil die Menschen hier mich als Hexe oder so was bezeichneten, würde ich nicht mehr hier wegkommen…

Na super. Gefangen auf einem anderen Planeten, gehasst von der einen Seite und wer weiß, was die anderen mit mir vorhatten…

Erneut wallten salzige Tränen in meinen Augen hoch, doch ich ließ sie nicht gewähren. Das würde auch nichts bringen geschweige denn helfen. Also konnte ich es auch gleich sein lassen.
 

„Lucy.“, meinte Hugh plötzlich und unterbrach die Stille. Lucy, die auf einem Stuhl neben meinem Bett saß, rührte sich nicht. „Lass uns kurz frühstücken. Es wird Zeit, dass wir uns mal ein wenig ausruhen. Du hast die ganze Nacht hier gesessen!“ Ja, das stimmte. Sie war nie von meinem Bett gewichen. Jedenfalls nicht, wenn ich wach war.

„Und was ist mit Hannah?“, kam ihre leise Stimme als Antwort. Ihr Lachen war seit gestern Abend verschwunden. Selbst gelegentliche Witze des Docs hatten sie nicht aufmuntern können.

„Mach dir um sie keine Sorgen. Die Albträume scheinen aufgehört zu haben.“ Albträume? „Wir werden ja nicht lange weg bleiben.“ Nach kurzer Stille hörte ich, wie der Stuhl etwas zurückgeschoben wurde und zwei Personen durch eine leicht quietschende Tür, das Zimmer verließen.
 

Ich wartete einen Moment, bis ich mir sicher war, dass sie nicht wieder umkehren würden und öffnete meine Augen. Das helle Licht einiger Fackeln blendete mich und ich legte die Hand schützend über mein Gesicht. Mit dem Verband der Hand wischte ich die letzten Tränen aus meinen Augen und von meinen Wangen. So müsste meine Haut bald aufhören zu jucken.

Mit einem vorsichtigen Ruck setzte ich mich auf und legte die Beine sachte über den Rand des Bettes. Es tat so unbeschreiblich gut, sich mal wieder ausstecken zu können. Ich hatte mich schon eine gefühlte Ewigkeit lang nicht mehr bewegt.

So konnte ich auch meine Verletzungen mal betrachten. Meine Knie waren mit zwei großen Pflastern, wenn man das so bezeichnen konnte, beklebt, doch an den Rändern waren sie schon leicht rot. Der Rest meiner Beine lag unter einem dicken Verband, genauso, wie meine Hände. Diese waren so gewickelt, dass ich aber trotzdem jeden Finger bewegen konnte. Zum Glück.
 

Um meine schmerzenden Beine etwas Auslauf zu geben, stand ich vorsichtig von meinem Bett auf und als ich merkte, dass es kaum wehtat, ging ich rüber zu dem Bücherregal. Ob ich da etwas finden konnte? Vielleicht in dem Tagebuch, dass ich einmal entdeckt hatte.

Schnell suchte ich zwischen all den Büchern das kleine, grüne Heft, welches damals schon meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Als ich es hinter einem der großen Bücher fand und es raus zog, strich ich ehrfürchtig über das alte Leder. Irgendwie hatte ich das Gefühl, als würde es dem Besitzer sehr viel bedeuten.

So schnell es ging, huschte ich zurück auf mein Bett, setzte mich im Schneidersitz darauf, was kurz ziemlich wehtat, und begann dann darin zu blättern. Das Buch war fast bis auf die letzte Seite beschrieben. Nur wenig Platz war geblieben.
 

Als ich so über die Daten der Einträge blickte fiel mir auf, dass seit dem letzten Eintrag nichts mehr geschrieben stand, obwohl früher täglich etwas geschrieben wurde. Was mag mit seinem Besitzer passiert sein? Da ich jetzt das Zimmer hatte, musste er irgendwo anders sein. Aber warum hatte er es dann nicht mitgenommen? Ich war mir sicher, dass er oder sie das freiwillig nirgendwo liegen gelassen hätte.

Ich blätterte zu einer der ersten Seiten. Vielleicht würde ich hier etwas finden, was mir wenigstens ein paar Fragen beantworten konnte. Als ich das Innere des Einbands aufblätterte, fiel mir gleich eine kleine Schrift am oberen Rand auf. Es sah aus wie ein Name. Larry Higgins stand dort in derselben Schrift, in der auch die anderen Seiten beschrieben waren. Larry. Das musste also sein Tagebuch sein.
 

Neugierig blätterte ich weiter und las den ersten Eintrag des Buches.
 

„Endlich sind wir da! Endlich haben wir die Stadt erreicht! Die einzige menschliche Stadt, die noch existiert.

Diese Dinger, die uns überfallen hatten, haben sich wahnsinnig schnell ausgebreitet. Sie schafften es, innerhalb eines Tages, eine Stadt mit mehreren Tausend Einwohnern zu übernehmen. Es war schrecklich. Ich musste mit ansehen, wie meine geliebte Frau ihnen zum Opfer fiel. Wenn ich nur was hätte tun können! Ich hätte alles getan. Es wäre mir lieber gewesen, wenn sie mich geholt hätten und nicht sie...

Wenn ich das hier schreibe, ist sie wahrscheinlich schon tot. Meine beschwerliche Reise hatte noch weitere drei Monate gedauert. Zwei ein halb Jahre. Zwei ein halb Jahre bin ich, größtenteils alleine, durch diese Welt gezogen. Oder besser gesagt durch das, was von ihr übrig ist.

Nirgendwo sieht man noch Menschen. Überall sind diese Dinger, die uns alle ausrotten wollen. Und wenn sie so weiter machen, werden sie das auch bald geschafft haben. Wenn es stimmt, dass ein Mensch nur zwei Jahre überleben kann, wenn sie erst einmal infiziert sind, dann dürfte bald die gesamte Menschheit ausgerottet sein.

Kein Wunder, dass sie verzweifelt auf der Suche nach neuen Wirten sind.

Einer der Leute hier meinte sogar, dass sie extra viele Kinder gebären, die sie dann befallen, um weiter hier leben zu können. Widerlich. Absolut Widerlich… Wenn man nur etwas gegen sie tun könnte. Doch leider kennen wir ihre Schwäche nicht. Soll das das Ende der Menschen sein?“
 

Geschockt starrte ich diese Seite an. Stimmte es, was dort stand? Konnten diese Bakterien die Menschen so schnell befallen, dass sie in wenigen Stunden ganze Städte auslöschten? Und dann gebären sie auch noch viele Kinder, um auch in späteren Generationen die Erde besetzten zu können?

Das ist krank. Echt krank.

Schnell blätterte ich um, und las den zweiten Eintrag.
 

„Heute kamen noch zwei Flüchtlinge hier an. Ich musste sie gestern knapp verpasst haben.

Sie erzählten, dass sie aus dem Norden kamen, und dort schon die einzigen Menschen waren. Diese Dinger hatten sie überrannt und alles an sich gerissen, was nur möglich war.

Außerdem sollten sie jetzt eine neue Methode haben, um Menschen einzufangen. Ihre stechend blauen Augen konnten eine Person kurzfristig total verwirren, sodass sie nicht mehr fliehen konnten. Ich weiß aber nicht, ob das wahr ist. Ich hoffe mit ganzem Herzen, dass das nur Gerüchte sind.

Was haben sie den Menschen nur angetan?“
 

Wie bitte? Sie konnten Menschen hypnotisieren? Wie soll das denn funktionieren? Doch Moment… War mir auf der Erde nicht dasselbe passiert, als dieser seltsame Typ mich angesehen hatte? Mir ging es damals so seltsam und mein Körper wollte mir nicht gehorchen.

Hatte ich etwa Recht? War der Typ wirklich einer von den Menschen, die infiziert wurden? Aber was bedeutete das?

Etwas schürte mir den Magen zu. Bedeutete das, dass sie auch schon auf die Erde gelangt sind? Geschah dort im Moment genau dasselbe wie hier? Waren meine Eltern und Freunde schon…?

Oh Bitte, lieber Gott! Lass ihnen nichts passiert sein…
 

„Hannah?“, eine Stimme ließ mich hochschrecken. Mir fiel das Buch aus meinen Händen und ich starrte die Person neben meinem Bett an. Lucy blickte mich mit einer Mischung aus Erleichterung und Sorge an. Sie war schneller wieder zurückgekommen, als ich gedacht hatte. „Seit wann bist du wach? Wie geht es dir?“

Jetzt konnte ich nicht mehr so tun, als würde ich schlafen. Aber vielleicht war das auch gut so. Ich blickte an ihr vorbei und merkte, dass sie alleine gekommen war. Ihr konnte und wollte ich vertrauen.

„Noch nicht lange. Ihr wart weg, als ich meine Augen geöffnet habe.“ Ich hatte damit nicht gelogen. Und die zweite Frage ließ ich erst mal aus. Ich nahm meine Füße aus dem Schneidersitz und schwang sie über die Bettkante. „Und mir geht es gut.“, lächelte ich leicht. Das war nur die halbe Wahrheit. Meine Beine schmerzten und mein Kopf pochte. Doch das war nichts, was ich nicht wegstecken konnte.

„Da bin ich aber froh.“, lächelte sie und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen, um einige letzte Tränen wegzuwischen. Erst da sah ich, dass sie zwei Teller in den Händen hielt. „Ich habe dir etwas zu essen mitgebracht.“, meinte sie, als sie sich neben mich aufs Bett setzte und mir einen Teller hinhielt. Hunger hatte ich tatsächlich.

„Danke“, meinte ich und nahm ihr den Teller ab. Er war voller Obst und Früchte, die extrem lecker aussahen. Ohne groß zu warten nahm ich etwas und begann zu essen.
 

„Ich habe mir ziemlich Sorgen gemacht…“ Ich stockte. Ich wusste, dass es gemein von mir war, sie so lange im Unklaren zu lassen, doch ich brauchte meine Ruhe.

„Tut mir Leid.“, meinte ich leise. Ich sah, wie sie ihren Kopf schüttelte.

„Nein, du musst dich nicht Entschuldigen. Nachdem, was gestern… passiert ist, kann ich mir gut vorstellen, dass das ein ziemlicher Schock für dich war.“ Ich nickte leicht. „Ich kann noch immer nicht glauben, was du uns da erzählt hast.“ Ich holte tief Luft und ließ ein Seufzen hören.

„Das hatte ich mir nicht anders gedacht. Es war für mich selber ein Schock, meinen Planeten dort oben am Himmel zu sehen. Ich hatte ihn zuerst für einen Mond gehalten.“, versuchte ich so ruhig wie möglich zu sagen und kämpfte gleich wieder mit den Tränen. Doch diesmal würde ich nicht anfangen. Zu lange habe ich mich jetzt schon zusammengerissen. Ich würde jetzt nicht wieder schwach werden…

Lucy nickte. „Ja, das glaube ich dir. Wir wussten es nicht. Wir hatten keine Ahnung, dass dieser Mond, oder auch Planet, bewohnt ist! Wir wussten einfach nichts davon. Es gab keine Anzeichen dafür!“ Ein erneutes Seufzen meinerseits.

„Und wir wussten nichts von euch. Dieser Planet hier… ist von der Erde aus nicht sichtbar. Und das obwohl wir schon das halbe Universum erforscht haben.“ Und das war die Tatsache, die mich am meisten wunderte. Wieso konnte man von hier aus die Erde sehen, doch von dort diesen Planeten nicht? Wie war das möglich?

„Ist das dein ernst?“ Lucys Stimme klang etwas trocken. Ich nickte nur zur Antwort und fixierte weiter meinen Teller. „Das ist… unglaublich.“ Ich nickte zustimmen. Unglaublich. Das war das richtige Wort.
 

Aber noch ehe ich etwas erwidern konnte, wurde die Tür mit einem lauten Krachen aufgerissen, sodass wir sogar fast die Teller fallen ließen. Schnell sahen wir, wer uns zu dieser Zeit, so stürmisch besuchte. Hugh kam keuchend in den Raum und stütze sich sogar an der Wand ab, um sich kurz vom scheinbaren Sprint zu erholen.

Verwundert sahen Lucy und ich uns an und blickten dann wieder auf den Doc.

„Was ist los, Doc?“, fragte die Blonde neben mir den jungen Mann, der sich schnell wieder aufrichtete.

„Es gibt Ärger! Taylor ist mittendrin! In der großen Halle!“, brachte er hervor und verschwand genauso schnell wieder aus dem Raum, wie er gekommen war.

Zuerst rührte sich niemand von uns. Wir beide sahen geschockt zu der Stelle, an der der Blonde eben noch gestanden hatte. Es gab Ärger? Weswegen? Und warum war Hugh extra noch einmal zurückgekommen, um uns bescheid zu sagen?

Ich sah Lucy von der Seite an. Sie war blasser, als noch vor ein paar Minuten. Sie sah mit leerem Blick auf die Tür. Vorsichtig sprach ich sie an.

„Lucy?“ Erst rührte sie sich nicht, doch dann sprang sie plötzlich auf, sodass ihr noch halb voller Teller klirrend zu Boden fiel und in viele Teile zerbrach.

„Warte hier!“, meinte sie noch, ehe sie aus der Tür rannte und verschwand.
 

Ich starrte ihr mit offenem Mund hinterher. Was bitte war das eben? Erst herrschte volle Hektik, dann war Lucy nicht ansprechbar und am Ende saß ich alleine hier, ohne auch nur das Geringste zu wissen.

Was war das für Ärger? Ging es um mich? Wenn ja, warum sollte ich dann nicht kommen? Wäre es nicht wenigstens angebracht, dass ich es mitbekomme, wenn es über mich ging?

Und was sollte Hughs Anmerkung, dass Taylor darin verwickelt war? War Lucy deshalb so blass geworden? Waren die zwei so gut befreundet?
 

Aber wie auch immer. Was sollte ich jetzt tun? Hier warten, bis jemand kam und mir endlich sagte, was eigentlich los war? Oder sollte ich mich selbst davon überzeugen? Aber würde ich dann Ärger bekommen?

Ich musterte meine verbundenen Hände und Beine. Doch das war mir egal. Schnell sprang ich auf und zog meine blutigen Klamotten aus. Ich zuckte zwar kurz zusammen, da meine Beine heftig ziepten, aber davon ließ ich mich nicht beeindrucken. Am Fußende meines Bettes lagen mehrere Kleidungsstücke. Ich hatte mitbekommen, dass Lucy mir diese zurechtgelegt hatte, damit ich meine dreckige Kleidung waschen konnte.

Es war ein schwarzes, knielanges Unterkleid mit Spaghettiträgern und für den Oberkörper gab es ein weißes Oberteil, welches aus mehreren Teilen bestand. Das weiße Top mit einigen roten Bändern verdeckte den Bauch und ließ das schwarze Unterkleid in Brusthöhe herausgucken. Für die Arme waren zwei vom Top getrennte, weiße Stoffschläuche, die mit schwarzem Band an den Oberarmen festgebunden wurden, vorgesehen. Dazu gab es noch schwarze, fast knielange Stiefel.
 

Mir gefiel das Outfit. Und zwar sehr. Doch dafür hatte ich gerade überhaupt keine Zeit.

So schnell mich meine Beine ließen, verließ ich den Raum und versuchte erneut den Weg zur großen Halle zu finden. Ich war in meinen Träumen diesen Weg so oft gegangen, dass mich die schwache Beleuchtung kaum noch störte. Zielsicher bog ich in die verschiedenen Tunnel ab und schon bald hörte ich ein lautes Stimmengewirr.
 

Als ich die große Halle betrat, schien die Sonne gerade durch das Loch in der Decke und warf ihre Strahlen auf das Gemüsebeet. Da der Tunnel, durch den ich kam, sehr dunkel war, brauchten meine Augen einige Sekunden, ehe sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatten.

Erst dann sah ich die große Menschenmenge, die sich nicht weit von meinem Tunnel befand. Es waren alle vertreten, die mir schon mal begegnet waren, aber auch einige andere, die ich nur im Vorbeigehen gesehen hatte. Ich konnte Rose, Amanda und Ian in einer der hinteren Reihen sehen.

Vorerst blieb ich halb in dem Gang stehen und linste um die Ecke. Ich wollte nicht, dass mich gleich jemand sah. Außerdem verstand ich das Gespräch auch von hier ganz gut.
 

„Das kann ja wohl nicht wahr sein!“

„Ihr glaubt das auch noch?“

„Wollt ihr uns alle umbringen?“

„Sie muss hier weg! Und zwar sofort!“

„Nein, das können wir nicht machen. Wenn sie die Wahrheit sagt?“

„Ja, natürlich! Dort oben ist ein Mond. Da wohne ich! Lasst mich dorthin zurück fliegen! Haha!“

„Sei ruhig, Bernd.“

„Er hat Recht! Wir können sie nicht einfach hierbehalten! Wer weiß, was für Lügen sie uns noch aufbindet!“

„Wieso verurteilt ihr sie? Ihr habt euch nicht mal die Mühe gemacht Hannah richtig kennenzulernen!“ Das war Ians Stimme. Das war die einzige, die ich aus dem Stimmengewirr heraus erkennen konnte.

Ich hatte also Recht gehabt. Es ging wirklich um mich. Super, dass man so was hinter meinem Rücken beredete. Wieso konnten sie mich nicht selbst fragen? Dachten die wirklich, dass jedes Wort, das ich sagte, gelogen war? Wieso konnten die nicht akzeptieren, dass ich ein Mensch war? Einfach nur ein Mensch?

„Sie kennenlernen? Bist du verrückt Kleiner? Wie sollen uns mit dem Feind treffen und am besten noch alle unsere Geheimnisse ausplaudern, damit sie uns einfacher umbringen können?“ Zustimmendes Murmeln. Mir wurde schlecht.

„Sie ist kein Feind! Sie ist ein normales Mädchen, welches sehr darunter leidet, Millionen von Kilometern von Zuhause weg zu sein und dort zu leben, wo sie jeder am liebsten gleich umbringen würde!“ Lucy! Ihre weiche Stimme hörte man aus der Menge heraus.

„Ach die Arme! Sie muss leiden, weil wir leben wollen! Dann lasst sie doch tun, was sie will! Im schlimmsten Fall sterben wir halt alle! Aber ihr geht es gut!“ Die Ironie und der Hass des Mannes waren nicht zu überhören. Tränen der Wut wallten in mir hoch.

„Genau so ist es! Sollen wir das Überleben von uns allen davon abhängig machen, ob sie Lust hat uns zu verraten oder nicht?“

„So seh’ ich das auch! Wer sagt, dass sie uns nicht jeden Moment verraten könnte?“
 

Das reichte. Auch ich musste mir nicht alles gefallen lassen.

„Wieso habe ich es dann nicht schon längst getan?“ Die Leute fuhren Augenblicklich zu mir herum, während ich langsam aus dem Schatten des Ganges heraus kam und einige Schritte auf sie zuging.

„D-da ist sie!“, kreischte eine alte Frau und versteckte sich hinter einem jüngeren Mann. Sie alle starrten mich hasserfüllt an und ich tat es ihnen gleich. Es reichte.

„Was hast du gesagt?“, fragte derjenige nach, der mich eben so beschimpft hatte.

„Na, wenn ich doch so eine Lügnerin wäre, die bei der ersten Gelegenheit jeden verrät, warum habe ich es dann noch nicht getan? Wieso bleibe ich hier und höre mir von jedem an, dass ich besser sterben sollte? Dann hätte ich es doch auch schon lange, den von euch so gefürchteten Infizierten, sagen können. Was auch immer sie damit anfangen könnten, dass es hier dunkel ist.“ Ich ließ meinen angestauten Ärger heraus. Jeden Tag, den ich hier schon verbracht habe, habe ich mir von fast jedem anhören müssen, dass ich von allen gehasst und verachtet wurde. Jetzt wollte endlich ich mal meine Meinung sagen. Auch wenn das bedeutete, dass sie mich entweder töteten oder einfach in die Wüste schickten.

Vielleicht würde bald mein Wunsch erfüllt werden…
 

„Hannah!“, rief Lucy, während sie auf mich zu rannte. Sie legte ihren Arm um meine Schultern. Doch ich ließ mich nicht so einfach beruhigen. Ich kreuzte die Arme vor meinem Oberkörper und starrte die Menschenmenge, die wütend grummelte, an.

Langsam kamen auch Ian und sogar Taylor auf mich zu. Ian lächelte mich an, doch Taylor sah nicht ganz so begeistert aus.

„Hannah. Wir können dich nicht vor denen beschützen, wenn du sie derart reizt.“, begann Taylor mich zu tadeln, als er neben mir stand. Ich prustete.

„Ich kann aber auch nicht nett und freundlich sein, wenn mich alle anderen mit ihren Blicken töten.“, zischte ich wütend.

„Hannah…“, meinte Lucy beruhigend und streichelte meine Schulter.

„Hannah hat aber Recht! Soll sie die Liebe, Nette spielen, während keiner auch nur versucht, ihr zu glauben?“, schrie der Junge neben mir und redete dabei mehr mit der Menschengruppe als mit Taylor. Diese sah nun auch ihn böse an.
 

Doch die Szene änderte sich schnell, als sich einige Leute aus der Gruppe lösten und zu uns rüber kamen. Ich erkannte Rose, Amanda, Hugh und Rob, den Jungen, den ich an meinem ersten Tag hier kennengelernt hatte. Er hatte damals versucht sich an mich ranzumachen.

Aber es kamen auch noch drei andere auf uns zu. Es waren ein älteres Ehepaar und ein junges Mädchen. Auch sie stellten sich zu uns.
 

So stand unsere kleine Gruppe gegen die große andere Gruppe.

„Was soll das?“, fragte einer der Männer der großen Gruppe die Leute, die sich zu uns gestellt haben.

„Wir verurteilen das Mädchen nicht. Denn auch wenn wir nicht glauben können, oder wollen, was sie uns erzählt, heißt das noch lange nicht, dass sie uns belügt.“, meinte die ältere Dame.

„Wir dürfen ihr nicht wehtun.“, sagte das kleine, schwarzhaarige Mädchen schüchtern.

Das Gemurmel auf der anderen Seite wurde fortgesetzt. Es sah aus, als würden sie sich beraten oder so was in der Art.
 

„Lucy, bring Hannah bitte wieder in ihr Zimmer.“, meinte Taylor leise zu der Blonden. Diese nickte und wandte sich zu mir. Doch ich fand diese Idee gar nicht gut. Sie wollten mich also wieder wegsperren, während es sich entschied, ob ich bald sterben würde oder nicht. Nein, diesmal nicht. Es war mein Leben! Über mein Leben wurde gerade bestimmt!

„Nein, ich will nicht zurück. Ich will hören, was mit mir passieren soll.“, kam es bestimmt von mir.

Ich hörte den schwarzhaarigen Mann neben mir seufzen. Dann sah ich wie Taylor Lucy zunickte und diese etwas von mir abließ.

Plötzlich traten Simon und Jack aus der Menschenmenge heraus und die anderen verstummten.

„Wir hatten bereits gesagt, dass dem Mädchen hier nichts passiert. Aber die Szene auf dem Dach von gestern wirft neue Fragen auf.“, meinte Jack versucht ruhig.

„Die müssen geklärt werden.“, fügte Simon hinzu.

Taylor sah mich an und ich nickte ihm zu. Ich wusste gleich, was er sagen wollte.

„Dann trefft euch mit ihr in ihrem Zimmer. Dort wird sie euch bestimmt die Fragen beantworten, die euch so brennend interessieren.“ Die beiden sahen sich kurz an. Dann nickten sie sich zu.

„Ja, so werden wir das machen.“, meinte Simon und beide wandten sich zum Gehen.
 

„Lasst uns auch gehen.“, sagte Taylor und diesmal folgte ich Lucy und Ian freiwillig. Doch ich hielt noch einmal inne. Ich wandte mich an die anderen, die mir eben beigestanden haben.

„Vielen Dank! Danke!“ Diese lächelten nur.

„Nichts zu danken.“, sagte die alte Frau und ging mit den anderen in Richtung des Speisesaals.

Ein paar Sekunden später waren Hugh, Ian, Taylor, Lucy und Ich wieder in den dunklen Gängen verschwunden.

Lichter am schwarzen Horizont

Kapitel 8 – Lichter am schwarzen Horizont
 

Wir saßen erst seit wenigen Minuten in meinem Zimmer, als sich die Tür knarrend öffnete. Als Simon und Jack eintraten, erhoben die anderen sich augenblicklich. Lucy, die eben noch neben mir auf meinem Bett gesessen hatte, rückte nun etwas weiter an die Wand. Ian, der bis eben links von mir saß, befand sich nun an der vorderen Kante des Bettes und Hugh stand vor meinem Bett und starrte gedankenverloren auf meine verletzten Beine.

Der Stuhl, auf dem Taylor bis eben noch in einem Buch geblättert hatte, war nun leer und der Schwarzhaarige trat auf die beiden Ältesten zu.

„Simon. Jack.“, begrüßte er diese mehr oder weniger freundlich und die beiden taten es ihm mit einem Nicken gleich. Doch die ganze Zeit ließen mich die beiden nicht aus den Augen. Ich wusste was jetzt kam, aber wirklich Lust hatte ich darauf nicht. Wer weiß, wie lange das Interview dauern würde…
 

„Dann lasst uns beginnen.“, kam es von Jack und ich setzte mich auf und schlang die Beine über den Bettrand. Jedoch machte ich keine Anstalten aufzustehen. Ich nickte, damit sie endlich begannen und somit eher wieder aufhören konnten.

„Du behauptest also auf dem blauen Mond, von dir Erde genannt, zu leben?“, begann einer der beiden.

„Ja.“, sagte ich schlicht.

„Du lebst da, mit anderen Menschen?“

„Ja. Um genau zu sein sind es fast 7 Milliarden.“ Die Anwesenden blickten mich mit großen Augen an. Sie schienen alle ziemlich überrascht über diese Anzahl.

„So viele?“ harkte Simon nach, räusperte sich aber und setzte erneut eine ruhige Miene auf. Er wollte wohl nicht zeigen, wie sehr ihn das Thema interessierte. Ich musste mir ein Schmunzeln verkneifen. „Ich meine… Warum wissen wir dann nicht, dass dieser Planet bewohnt ist?“

„Weil euer Planet hier von der Erde aus nicht sichtbar ist. Obwohl wir den Weltraum bereits bereist haben, wussten wir nicht, dass ihr existiert. Es gibt keinen Planeten, der so nah an der Erde dran ist, wie euer.“, erzählte ich so ruhig wie möglich. Vor den beiden würde ich mir nicht noch einmal die Blöße geben.

Erneut sahen sie mich mit einer Mischung aus Neugier und Verwunderung an, doch auch die Tatsache, dass sie mir nicht wirklich glaubten, war mir nicht entgangen.

„Aber wir sehen euren Planeten! Wieso solltet ihr uns nicht sehen?“ Jack schien langsam die Fassung zu verlieren. Ich sah ihm an, dass er am liebsten einfach wieder gegangen und mich als Lügnerin abgestempelt hätte.

„Ich weiß es nicht.“, sagte ich immer noch ruhig.

„Wie sieht die Erde aus?“ Eine schwierige Frage. Wie sollte ich denen hier unsere Städte erklären?

„Die Menschen leben in teils riesigen Städten. Einige von ihnen haben mehr als drei Millionen Einwohner. Es gibt Häuser, die dutzende Stockwerke in den Himmel ragen! Autos, LKWs und Züge fahren millionenfach durch die Städte und Dörfer. Flugzeuge fliegen am Himmel und bringen die Menschen in wenigen Stunden auf die gegenüberliegende Seite der Erde. Es gibt sehr viel Technik, die uns beim Kochen, Putzen, etc. hilft. Mit Telefonen und Handys kann man jederzeit jeden Menschen auf der Welt erreichen und mit ihm reden. Es gibt so vieles, was ich euch erzählen könnte, ihr mir aber sowieso nicht glaubt.“

Damit beendete ich meine kurze Erzählung. Ich hatte mit jedem Wort gemerkt, wie die Augen der Anwesenden immer größer wurden und sie mich ungläubig anstarrten. Es hatte einfach keinen Zweck etwas davon zu erzählen. Die Menschen hier hatten nicht die geringste Ahnung, was Technik angeht.

Simon und Jack waren jedoch am geschocktesten. Da die anderen mir glaubten, dass ich nicht von diesem Planeten, auf dem wir uns gerade befanden, stammte, nahmen sie meine Erzählungen etwas gelassener hin. Im Gegenteil zu den beiden, die mir kein Wort glaubten.

Eine seltsame Ruhe brach herein. Alle Anwesenden musterten mich und dachten über mein Gesagtes nach. Die beiden Ältesten sahen sich einige Male von der Seite an, wobei sie einen seltsamen verschleierten Blick hatten.
 

„Waren das alle Fragen, meine Herren?“, fragte ich, gespielt freundlich, die beiden Männer, die nun schon seit Minuten schwiegen. Ich sah, wie sie bei meiner Frage zusammenzuckten und scheinbar dabei aus ihren Gedanken gerissen wurden. Schnell rangen sie um Fassung und taten so, als wäre nie etwas gewesen.

„Ja, das reicht uns für heute. Wie kommen aber -sofern du nichts dagegen hast- noch einmal auf dich zurück.“, meinte Simon versucht ruhig, doch man hörte ganz klar die Unsicherheit aus seiner Stimme.

„Aber natürlich. Jederzeit.“ Mit meiner besonderen Freundlichkeit, die ich normalerweise immer bei Gesprächen mit Älteren benutzte, wollte ich eins Ausdrücken: Ich würde mich nicht verarschen lassen! Es war mir egal, was die alles über mich erzählten und ob sie mich für eine Hexe hielten, ich würde den größtmöglichen Widerstand leisten, den ich aufbringen konnte! Auch wenn ich die Hoffnung, je wieder auf die Erde zu kommen, aufgegeben hatte, so würde ich hier alles tun, um die anderen spüren zu lassen, dass sie nicht einfach mit mir machen können, was sie wollten!

Ich würde bis zur letzten Minute kämpfen…

„Auf Wiedersehen.“, warf Simon noch schnell in den Raum, ehe die beiden fluchtartig den Raum verließen und die Tür hinter sich schlossen. Mir schlich sich ein amüsiertes Lächeln ins Gesicht, als eine gelassene Stille eintrat.
 

„Du hast die beiden ganz schön aus dem Konzept gebracht.“ Schon ohne Ian anzusehen konnte ich das Lächeln auf seinem Gesicht sehen.

„Danke.“, gab ich amüsiert zurück und grinste ihn an.

„Hannah.“, mischte sich Taylor ruhig ein. Jedoch war sein tadelnder Unterton nicht zu überhören.

„Ich habe ihnen die Wahrheit erzählt. Nicht mehr, nicht weniger. Und ich war so freundlich wie möglich.“, begann ich einfach mich zu rechtfertigen, bevor irgendwer was sagen konnte.

„Dagegen sag ich ja auch nichts, aber du solltest es nicht übertreiben.“, kam lediglich als Antwort, bevor Taylor den Raum verließ und Hugh ihm, leicht grinsend, folgte. Nun waren nur noch Ian, Lucy und ich in meinem Zimmer. Doch ich wusste, dass ich es hier gerade nicht lange aushalten würde. Und so entschloss ich auch den Raum zu verlassen.
 

„Lucy? Ian? Ich würde gerne raus gehen. Wäre das ok?“ Die anderen beiden tauschten einen kurzen Blick aus.

„Da deine Befragung vorbei ist, dürfte es kein Problem sein, wenn wir rausgehen. Aber es müsste draußen schon dunkel sein.“, meinte Lucy mit einem fragenden Gesichtsausdruck. Ich lächelte leicht, über ihren fragenden Gesichtsausdruck.

„Ja, ich weiß, aber das macht nichts. Ich würde einfach nur gerne an die frische Luft gehen.“, erklärte ich ihnen worauf sie noch einen Blick austauschten. Doch ich ignorierte es diesmal.

„Ok, wenn du das möchtest.“, meinte Lucy dann und ging in Richtung Tür.
 

„Lucy, warte.“, kam es dann plötzlich von Ian, als wir den Raum bereits verlassen hatten.

Die Blonde wandte sich mit fragendem Gesichtsausdruck zu ihm um.

„Was ist?“, fragte sie dann.

„Ich geh mit Hannah raus und pass auf sie auf. Du kannst ruhig gehen.“ Jetzt war es nicht nur Lucy die den Jungen fragend ansah.

„Warum?“, meinte sie ratlos.

„Vielleicht solltest du mal nach Taylor sehen.“, kam als einzige Antwort zurück. Ich blickte die beiden abwechseln an, da keiner von ihnen mehr etwas gesagt hatte. Sie sahen sich nur mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen an.

Nach einigen Minuten seufzte Lucy kurz auf und beendete so ihrem Blickkontakt.

„OK. Das ist vielleicht keine schlechte Idee.“, sagte sie dann ruhig und wandte sich mir zu. „Hannah. Mach dir keine Sorgen! Wir kriegen das schon irgendwie hin, ok?“ Ich nickte bloß, da ich nicht wusste, was ich darauf antworten sollte. „Wir sehen uns dann später!“, rief sie uns beiden noch zu, ehe sie hinter der nächsten Abbiegung verschwand.
 

Ich sah ihm noch kurz hinterher, ehe Ian mich aus meinen Gedanken holte.

„Na los, Hannah. Dann haben wir beide eben alleine Spaß.“, grinste der Blonde und ich grinste zurück. Gleich setzte Ian sich in Bewegung und ich folgte ihm durch die verworrenen Gänge. Doch diesmal nahm er einen anderen Weg als den, auf dem ich bisher immer nach draußen gelangt war. Diesmal versuchte ich mir gleich den Weg zu merken, damit ich nicht später wieder in solche blöden Situationen kam, wie am Abend zuvor…
 

Während wir durch die spärlich beleuchteten Gänge liefen, wandte ich mich mit leiser Stimme an Ian.

„Ian? Tut mir Leid, dass ich euch so viel Kummer bereite… Glaub mir, ich mach das nicht mit Absicht. Ich wäre auch lieber Zuhause bei meiner Familie, als hier…“ Ich hoffte, er nahm das jetzt nicht falsch auf. Nicht, dass ich es bereute, Lucy, ihn und ein Paar der anderen kennengelernt zu haben, doch die meisten meiner Erlebnisse hier verleiteten mich nicht wirklich dazu, mich hier wohlzufühlen.

„Ja, das weiß ich. Und die meisten anderen auch. Sie haben einfach nur angst, dass sie sich irren könnten und dass es ihnen das Leben kosten könnte. Hier ist jeder selbst sein bester Freund.“ Seine Stimme klang vorsichtig. Er schien seine Worte genau zu überlegen. Ob er es machte, damit er mich nicht verschreckte, oder er aufpasste um nicht zu viel zu verraten, wusste ich nicht. Doch ich hoffte ersteres war der Grund.
 

Nach einigen Minuten merkte ich, wie der Boden leicht anstieg. Wir mussten also bald die Oberfläche erreichen. Und ich musste zugeben, ich freute mich sehr, endlich aus diesen engen Höhlen rauszukommen. Auch weil ich dann SIE wiedersehen konnte. Die Erde. Meinen Planeten… auf den ich nie wieder zurückkehren konnte.

Ein lautes Seufzen entfuhr meiner Kehle, doch ich schaffte es, meine Tränen zurückzuhalten. Ich hatte mir vorgenommen, einfach mein Schicksal hinzunehmen. Ich wollte abwarten, was mich noch alles erwartete. Vielleicht würde ich wenigstens noch ein paar Antworten bekommen, bevor ich…
 

Gerade in dem Moment traten wir aus dem Tunnel heraus und befanden uns, dem Aussehen nach, in einem Haus.

Ich blieb am Ausgang des Tunnels stehen, während Ian noch ein paar Schritte durch das dunkle Zimmer ging. Nur das Licht des Mondes schien durch einige Ritzen der Holztür und der mit Brettern vernagelten Fenster, sodass man einige Umrisse noch erkennen konnte.

Der Tunnel endete direkt in der Mitte einer Küche. Der Küchentisch war zur Seite gestellt worden, doch der Rest war unberührt geblieben. Sogar Teller und Becher standen noch auf dem gedeckten Tisch. Sie hatten die Oberfläche also schnellstmöglich verlassen und niemand schien danach noch einmal in dieses Haus gekommen zu sein.

Als Ian die Tür öffnete erhellte sich das Zimmer etwas und kalter Wind wehte herein. Mit wenigen Schritten hatte auch ich das Haus verlassen und erkannte endlich, wo ich mich befand. Das Gebäude, welches wir gerade verlassen hatten, war das, auf dessen Dach ich die letzten Male gestanden und mir die Stadt angesehen hatte.
 

Wie ich erst jetzt bemerkte, stand Ian neben mir und beobachtete mich. Er schien mir also die Entscheidung zu überlassen, wohin wir gehen sollten. Um diese Uhrzeit würde keiner der Höhlenbewohner mehr hier sein, also konnte ich hingegen, wo ich wollte. Doch ich wollte DORT hin.

Ich wandte mich nach links und stiegt die Treppe zum Dach empor, überquerte die steinerne Fläche und lehnte mich mit meinen Ellenbogen auf die kalte Wand.
 

Der Wind zerrte regelrecht an meinen Haaren und meiner Kleidung und er machte es mir schwierig Ian kommen zu hören. Ich erschreckte leicht, als er sich neben mich hinsetzte und sich mit dem Rücken gegen die Mauer lehnte. Ich sah aus den Augenwinkeln, wie er seine Arme hinter dem Kopf verschränkte, seine Beine lässig übereinander schlug und die Augen schloss.

Er war wahrscheinlich sehr müde. Und ich hielt ihn mit meiner blöden Idee vom Schlafen ab… Also musste ich meinen Besuch hier draußen etwas verkürzen. Ich hob meinen Blick in den rabenschwarzen Himmel und erblickte sie. Die Erde. Sie leuchtete ungewöhnlich hell und ließ den kleinen, weißen Mond etwas mickrig aussehen.

Zu meinem Erstaunen, waren die meisten, weißen Schleier verschwunden. Das konnte nur bedeuten, dass nur wenige Wolken am Himmel waren, die mir sonst die Sicht versperrt hätten. Doch das Beste war, ich konnte sogar ungefähr sagen, wo Deutschland lag. Da irgendwo waren in diesem Moment meine Familie und Freunde.

Ob sie sich Sorgen machten? Was taten sie jetzt in diesem Moment? Dachten sie an mich?

Ich seufzte erneut und ließ mit meinem Blick von der Erde ab und blickte in die schwarze Ferne. Es war nichts zu sehen, außer der Dunkelheit, die sich, jenseits der Stadtmauern, über die Wüste legte. Nur Einsamkeit und… Moment. Was war DAS? Seltsame Punkte tanzten in der Nähe des Bodens über den Sand! Ich kniff die Augen zusammen und bildete mir so ein, etwas deutlicher sehen zu können.

Lange starrte ich auf diese weißen Punkte, ehe mir auffiel, dass sie näher zu kommen schienen. Moment mal… Waren das…?
 

Panik stieg in mir hoch, und mein Mund fühlte sich so trocken an, wie noch nie zuvor. Das konnte doch nicht sein! Das war… unmöglich!

„Ian! Ian!“, kreischte ich schon fast hysterisch, als ich an seinem T-Shirt zog. Dieser schreckte auf und starrte mich an.

„Hannah, was…?“, setzte er an, aber ich ließ ich nicht zu Wort kommen.

„Sieh mal! Guck doch mal!“, sagte ich mit piepsiger Stimme und wedelte mit meiner verbundenen Hand in der Dunkelheit herum.

Sofort sprang der junge Mann auf und folgte der Richtung, in die meine Finger zeigten, um den Grund für meine Nervosität zu entdecken. Ich beobachtete seinen Gesichtsausdruck, der mir sogleich meine Vermutung bestätigte. Er war mit einem Mal unglaublich blass geworden und starrte mit offenem Mund auf die Lichter.

„Das… kann… doch nicht… sein?!“, presste er hervor. „Warum… haben die das nicht gesehen?“, fügte er etwas wütender hinzu.

„Sie sind es, hab ich Recht?“, fragte ich mit leiser, zittriger Stimme. „Sie sind wegen mir hier, oder?“ Mir war so unglaublich schlecht, dass ich dachte, ich müsste mich jede Sekunde übergeben. Sie waren also tatsächlich gekommen…

Ian schnaubte wütend und ich zuckte zurück. „Was auch immer DIE hier wollen… DICH werden sie ganz bestimmt nicht kriegen…“, zischte er. Mit einer fließenden Bewegung drehte sich der Junge neben mir um, und lief über das Dach bis hin zur Treppe. Nach kurzem Zögern folgte ich ihm so schnell es meine Verletzungen zuließen.

Ich rannte die Treppe hinunter und sah gerade noch, wie Ian die Hauptstraße in Richtung der Stadtmauer entlanglief. Ich lief ihm hinterher, möglichst ohne ihn aus den Augen zu verlieren.
 

Am Stadttor angekommen, hämmerte er wild gegen eine der Türen, die zu den Wachtürmen gehörten, die ich bis dato noch nicht gesehen hatte. Die Mauer war so breit, dass man darauf herumlaufen konnte, und der einzige Weg da hochzukommen war über diese Türme.

„Hey! Hört mich jemand? Schlaft ihr oder was? Macht diese blöde Tür auf!“, schrie der Blonde während er immer weiter gegen das Holz hämmerte. Gerade als ich neben ihm angekommen war, wurde die Tür aufgerissen und ein verschlafen wirkender Mann schaute grimmig heraus. Hinter ihm konnte ich einen kleinen Raum mit zwei Stühlen erkennen, der nur von einer kleinen Fackel erleuchtet wurde. In einem der beiden Stühle schien sogar noch jemand zu schlafen.

„Hey, was soll der Lärm?“, motzte der glatzköpfige Mann.

„Was der Lärm soll? Wie wär’s mit: Wir bekommen Besuch und ihr bekommt es nicht einmal mit?“, schrie Ian den Mann so wütend an, dass auch die andere Person im Zimmer innerhalb weniger Sekunden aufsprang.

„Was?“ Das Gesicht des Mannes war Weiß wie Schnee. Jegliches Blut war aus seinem Kopf gewichen.

„Steht hier nicht so rum! Gebt sofort Alarm! Bevor es zu spät ist!“
 

Sofort wandte der Mann sich um, und rannte mit seinem Kollegen die steinerne Wendeltreppe herauf. Ian folgte ihnen auf dem Fuß. Und nun stand ich alleine da. Was sollte ich jetzt machen?

Doch ehe ich mich auch nur vom Fleck rühren konnte, erklang über mir ein lautes Geräusch, was ich leicht zusammenzucken ließ. Als mein Blick nach oben wanderte, erkannte ich mehrere dunkle Gestalten auf der Mauer, wovon einer auf einer Art Trommel herum klopfte.

Es musste so eine Art Warnsignal sein, denn es dauerte nicht lange, ehe noch mehr mit Waffen ausgestattete Männer auf die Mauer eilten, um sie von jeder Seite aus zu bewachen.

„Hannah!“, hörte ich eine Stimme hinter mir rufen und ich drehte mich zu ihr um. Lucy kam, mit Taylor im Schlepptau, auf mich zu gerannt. Sie war blass und ihr Gesicht spiegelte Angst und Schrecken wieder. „Was ist los?“, fragte sie ganz außer Atem, als sie mich erreicht hatte. Auch Taylor blieb erstmal neben ihr stehen, und wartete auf meine Antwort.

„Ich hatte plötzlich Lichter in der Wüste gesehen und habe Ian drauf aufmerksam gemacht. Er ist dann gleich hierher gerannt und hat die, bis eben scheinbar schlafenden, Wachen auf die Lichter hingewiesen. Er ist mit den zwei Männer hoch auf die Mauer gerannt.“, erklärte ich im Schnelldurchlauf was eben passiert war.

Taylor nickte nur und verschwand augenblicklich durch die Tür, worauf er einige Sekunden später, ebenfalls auf der Mauer erschien.

„Willst du damit etwa sagen, dass…?!“, begann die Blonde und ich nickte nur, ohne meinen Blick von den, mittlerweile von Fackeln erleuchteten, Männern zu nehmen.

„Ja, das müssen die Anderen sein. Und wahrscheinlich sind sie hier, um mich zu holen.“, sagte ich so gelassen, dass ich selber überrascht war. Wie konnte ich so ruhig bleiben? Diese Leute wollten mich höchstwahrscheinlich zu sich schleppen! Und wer wusste schon, was sie mit mir vorhatten?

Und trotzdem. Das hier war vielleicht meine einzige Chance etwas über den Grund herauszufinden, weshalb ich hier war. Plötzlich spürte ich, wie etwas meinen Arm packte und daran zog.

„Los Hannah! Du musst hier weg! Du musst dich in den Höhlen verstecken, bis wir die Infizierten losgeworden sind!“, meinte Lucy mit Panik in der Stimme, doch ich stemmte mich mit meinem Gewicht gegen ihre Versuche, mich wegzuziehen.

„Nein, tut mir leid. Lucy, ich kann nicht! Dies ist vielleicht die einzige Chance herauszufinden, warum ich hier bin, verstehst du? Ich muss es wenigstens versuchen!“, erklärte ich ihr, befreite mein Handgelenk von ihrem Griff und lief ebenfalls durch die Tür des Turmes. Ich nahm die wenigen Stufen mit großen Schritten und war nach wenigen Augenblicken ebenfalls auf der Steinmauer angekommen. Mehrere Leute drängten sich dicht an dicht, um die näherkommenden Lichter mit eigenen Augen zu sehen.

Sie trugen Gewehre wie die, die Ian und die anderen hatten, als ich sie das erste Mal gesehen hatte. Und gleich überkam mich wieder dieses seltsame Gefühl, das ich auch damals bei dem Anblick dieser Dinger hatte. Aber diesmal war ich irgendwie ganz froh, sie hier zu haben.
 

Ich lief auf die andere Seite der Mauer, wo sie mit unterschiedlich, hohen Steinen begrenzt war, was mich sehr an eine Burg aus meiner Welt erinnerte.

Mein Blick fiel auf die Lichter, die jetzt schon als Fackeln zu erkennen waren. Eine Gruppe von fünf Menschen, wovon jeder eine Flamme trug, spazierte seelenruhig auf das Haupttor der Stadt zu. Außerhalb der Mauern war nichts außer Sand und noch einige Ausläufer des Berges, auf dem sich Ategoto befand.

„Hannah! Was machst du denn hier oben? Verschwinde zurück in die Höhlen!“, hörte ich eine wütende Stimme hinter mir, ehe mich eine Hand an der Schulter packte und nach hinten zog.

„Taylor! Nicht, bitte! Ich will diese Leute was fragen!“, rief ich und wehrte mich gegen den Schwarzhaarigen, doch er hatte einfach viel mehr Kraft als ich.

„Sie was fragen? Denkst du, sie sind gekommen um sich etwas mit uns zu unterhalten?“, giftete der Mann wütend zurück, doch mich stachelte er damit nur an.

„Lass es mich wenigstens versuchen! Wenn ihr Angst habt, dass ich doch eine von denen bin, erschießt mich halt, wenn ihr das wollt! Ich habe sowie so nichts mehr zu verlieren! Meine Heimat leuchtet mal eben so vom Himmel herunter! Ich weiß, dass ich hier bald sterben werde, also warum lässt du mich denn nicht wenigstens den Grund dafür erfahren?“
 

Die plötzliche Stille ließ mich stutzen. Die Gespräche der anderen um uns herum waren von einer Sekunde auf die andere verstummt. Nur das Geheule des Windes und das Knistern der Fackeln waren noch zu hören. Ich brauchte mich nicht umzusehen um zu wissen, dass alle, die sich auf der Mauer befanden, uns anstarrten. Doch mir war das egal.

Taylor hatte aufgehört an mir zu zerren und nahm sogar langsam seine Hand von meiner Schulter. Ich sah ihn nicht an. Noch immer atmete ich hastig und versuchte wieder genug Sauerstoff in meine Lungen zu holen.

Ohne auf weitere Reaktionen der Menschen um mich herum zu achten, ging ich erneut die paar Schritte an die Steinmauer heran und bemerkte, dass unsere Besucher bereits vor dem großen Tor standen und zu mir hoch starrten.

Es war seltsam. Eigentlich sahen sie aus wie normale Menschen. Und doch fühlte sich ihre Präsenz anders an. Etwas Merkwürdiges lag in der Luft. Etwas… anderes.
 

Ein schwarzhaariger Mann Mitte dreißig stand vorne an der Spitze der Gruppe. Die anderen waren durch die Dunkelheit nicht zu erkennen. Selbst die Fackeln halfen nicht. Ich konnte lediglich sagen, dass es zwei Frauen und drei Männer sein mussten.

Der Mann an der Spitze näherte sich der Mauer noch zwei weitere Schritte. Selbst im schwachen Schein der Fackeln waren seine seltsamen, blauen Augen zu erkennen. Dieselben blauen Augen, wie der Mann, den ich kurz vor meinem Unfall gesehen hatte. Ich hatte also Recht gehabt.
 

„Einen wunderschönen guten Abend.“, sagte der Mann mit freundlicher, ruhiger Stimme. Er klang eher wie ein Vertreter, der seinen Staubsauger loswerden wollte, als einer, der von einer mutierten Bakterie befallen war. „Tut uns Leid, dass wir so spät noch stören,…“ wütendes Schnauben war neben mir zu hören, „, aber unsere Reise hat länger gedauert, als geplant.“

„Und was wollt ihr hier?“ Taylor war urplötzlich neben mir erschienen und starrte den Mann hasserfüllt an. Dieser setze ein verlogenes Grinsen auf.

„Mir ist zu Ohren gekommen, dass ihr unseren Ehrengast bei euch aufgenommen habt und wir würden sie gerne abholen.“ Bei seinen Worten starrte er nur auf mich, und mir lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Es waren zwar normale, blaue Augen, doch sie wirkten irgendwie… nicht menschlich.

„Ach wirklich? Euren Gast, sagt ihr? Das heißt, sie ist Keine von euch?“, kam es wieder von Taylor. Die Menschen um mich herum hörten dem Gespräch gespannt zu. Niemand rührte sich auch nur einen Millimeter.

„Aber nicht doch. Sie ist ein Mensch, wie ihr anderen auch. Wir haben sie extra aus einem weit entfernten Land hergeholt.“ Na bitte. Damit hatten die Menschen endlich ihren blöden Beweis. Aber mir wurde die ganze Sache zu bunt.
 

„Ach ja? Und warum bitte musste ich hierherkommen? Warum habt ihr mich von der Erde auf diesen Planeten geholt?“, schrie ich der Gruppe wütend entgegen. „Warum habt ihr mich einfach hierher geholt?“ Der Mann grinste komisch und auch die anderen begannen zu lächeln.

„Unsere unhöfliche Einladung tut uns außerordentlich leid, aber Ihr wärt wahrscheinlich nicht mitgekommen, wenn wir euch gefragt hätten, oder?“ Ich zischte wütend.

„Nein. Ganz bestimmt nicht. Was wollt ihr von mir? Na los! Sagt schon!“ Mein Atem ging stoßweise und mir wurde plötzlich ganz heiß. Die Wut brodelte so stark in mir, wie schon lange nicht mehr.

„Wir wollen euch nur als unseren Gast begrüßen.“ Dieser Satz klang wie eine faule Ausrede.

„Als Gast? Hört auf mich zu verarschen! Ihr habt mich bestimmt nicht nur deswegen hier hergeholt!“ Meine Stimme überschlug sich, und meine Hände krallten sich in den Stein unter ihnen. Die Wunden vom Tag davor schienen wieder aufzubrechen, denn ich spürte, wie die Fingerspitzen plötzlich ungewöhnlich warm wurden.

„Wir erklären euch natürlich alles später. Würdet ihr uns dann bitte begleiten?“
 

Mein Herz setzte kurz aus. Was sollte ich tun? Natürlich machten mir diese Leute Angst, aber hier fühlte ich mich auch nicht besonders wohl. Sollte ich mit ihnen gehen? Wenn sie mich auf diesen Planeten geholt haben, vielleicht konnten sie mich auch wieder auf die Erde zurückbringen.

„Hannah, nicht!“ Lucys Stimme erschreckte mich und ich drehte mich ruckartig um. Sie stand wenige Meter hinter mir und… weinte! Unzählige Tränen liefen ihre Wangen entlang und ein geschockter Ausdruck zierte ihr Gesicht. Ian stand neben ihr und sah ebenfalls noch blasser aus, als oben auf dem Dach.

Es dauerte nicht lange, ehe ich begriff. Ja, sie hatten Recht. Warum überlegte ich eigentlich noch? Hier hatte ich wenigstens Freunde und ich hatte noch immer keine Ahnung, was die anderen mit mir machen wollten.

Ich drehte mich wieder zum dem Mann um und sah ihm ruhig entgegen.

„Vergesst es.“, zischte ich wütend. Der Mann seufzte.

„Das ist sehr schade. Aber vielleicht nehmt Ihr unsere Einladung ja beim nächsten Mal an. Lebt wohl.“, lächelte er und innerhalb von wenigen Sekunden, erloschen die Fackeln der Gruppe und auf der Mauer brach Panik aus.

„Wo sind sie?“, rief eine Frau aufgeregt und der Mann neben ihr schmiss eine ihrer Fackeln an die Stelle, an der die Gruppe eben noch stand. Doch niemand war da.
 

„Sie sind weg. Sie werden heute nicht angreifen.“, sagte Taylor gelassen und drehte sich weg. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, wie die Sonne sich langsam über den Horizont schob.

Ich seufzte. Das war meine einzige Chance. Bei unserem nächsten Zusammentreffen würden sie mir wahrscheinlich keine Fragen mehr beantworten. Frustriert drehte ich mich um, als mir plötzlich jemand um den Hals fiel. Lucy drückte sich an meine Brust und weinte hemmungslos.

„Ich bin ja so froh… So froh…!“, wiederholte sie immer wieder und auch Ian, legte seine Hand beruhigend auf meine Schultern.

„Das war die beste Entscheidung.“, meinte er nur knapp und ich hörte ihn zufrieden seufzen. Ein kleines Lächeln schlich sich auf mein Gesicht.

„Na klar.“, grinste ich, und klopfte der Blonden beruhigend auf die Schultern.
 

„Wisst ihr was? Schlafen wäre jetzt eine ganz gute Idee.“, lächelte ich und Lucy hob erstaunt ihren Kopf. Sie sah mich mit fragendem Gesichtsausdruck an, lächelte dann aber auch. Sie schien meine Worte erst jetzt richtig zu begriffen zu haben. Sie und Ian nickten zustimmend und noch ehe sich ein anderer auf der Mauer gerührt hatte, waren wir drei bereits wieder unter der Erde auf dem Weg, in unsere Zimmer.

Wenn du denkst, es kann nicht mehr schlimmer werden...

Kapitel 9 – Wenn du denkst, es kann nicht mehr schlimmer werden…
 

Mal wieder erwachte ich mit heftigen Kopfschmerzen. Ich hatte zu lange über die Geschehnisse nachgedacht, sodass mein Kopf nun streikte und nicht mal den kleinsten Gedanken zuließ. Ich ließ meine Augen geschlossen und rührte mich keinen Millimeter. Ich lauschte nur den Geräuschen meines Zimmers. Mein regelmäßiger Atem, das Rascheln der Bettdecke, wenn sich mein Brustkorb hob und das leise Knistern einer Fackel, die Tag und Nacht brannte. Alles andere war nicht wichtig. Ich war nicht wichtig. Daher beachtete ich auch das regelmäßige Knurren meines Magens erst, als es mich tierisch nervte.

Ich öffnete meine Augen und setzte mich auf. Ich schwang meine Beine über die Bettkante und streckte mich erstmal. Meine müden Knochen schmerzten bei jeder Bewegung und einige knackten gefährlich. Ich ließ meinen Nacken kreisen, strich mir meine Haare aus dem Gesicht und stand dann auf. Meine Wunden waren neu verbunden und taten kaum noch weh. Nur meine Fingerspitzen fühlten sich noch etwas taub an.

Aber zu meinem eigenen Erstaunen ging es mir richtig gut. Ehrlich gesagt hatte ich damit nicht gerechnet. Immerhin wusste ich jetzt offiziell, dass diese seltsamen Typen mich auf diesen Planeten gebracht hatten und irgendetwas von mir wollten. Doch was war mir schleierhaft. Aber es brachte nichts sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Wie sollte ich erraten, was diese Typen von mir wollen, wenn ich nicht die leiseste Ahnung von irgendetwas hatte? Ich musste wohl solange warten, bis diese Leute es mir sagten. Falls sie das überhaupt tun würden. Doch ich hatte das Gefühl, als ob das gestern nicht das letzte Treffen gewesen wäre…
 

Schnell zog ich meine Kleidung wieder an, die ich zum Schlafen ausgezogen hatte. So ausgeruht, wie ich mich gerade fühlte, musste der Mittag schon weit überschritten sein. Und da mich mein knurrender Magen lautstark daran erinnerte, dass ich meinen Grundbedürfnissen nachgehen musste, entschloss ich mich mal in der Küche vorbei zu sehen. Vielleicht würde ich dort auch Ian, Lucy oder einen der anderen treffen.
 

Ich öffnete die Türen und trat in den dunklen Korridor heraus. Langsam ging ich durch das Gewirr von Gängen und Türen, ehe ich die große Halle betrat. Einige arbeiteten ruhig in dem Gemüsefeld und blickten auf, als sie meine Schritte auf dem steinigen Boden hörten. Doch zu meiner Überraschung unterbrachen sie ihre Gespräche nicht und auch das Arbeiten stoppte für keine Sekunde.

Nun war es an mir die Menschen verwundert anzustarren. War etwas passiert? Hatte ich wieder etwas nicht mitbekommen? Ich schüttelte leicht den Kopf und ein Lächeln erschien auf meinem Gesicht. Was auch immer passiert war, ich wünschte, es wäre schon früher passiert…
 

Ich bog in den Gang ab, der mich zur Küche brachte und als ich den Esssaal betrat traute ich meinen Augen nicht. Die Menschen blickten lächelnd auf und einige winkten mir sogar zu!

„Was zum Geier…?“

„Hey Hannah! Bist du endlich wach?“, unterbrach mich eine Stimme und ich sah mich nach ihr um. Ian saß mit Lucy, Taylor und Amanda an einem Tisch nahe der Küche und grinsten, mit Ausnahme von Taylor, mich an.

Ebenfalls grinsend gesellte ich mich zu ihnen und nahm den letzten, freien Stuhl.

„Guten Morgen.“, sagte ich freundlich und betonte besonders das Wort „Morgen“. Die anderen verstanden den Wink und antworteten ebenfalls mit einem „Guten Morgen.“.

Die anderen hatten ihre Teller vom Mittagessen noch auf dem Tisch stehen und waren nun dabei einige heiße Getränke zu trinken. Doch ein Teller stand noch unberührt in der Mitte des Tisches.

„Hier.“, meinte Lucy und schob den vollen Teller zu mir. Dankend nahm ich ihn und musterte das Essen. Es war eine Fleischsorte, die in einer Soße eingelegt und mit Gemüse aus dem Garten, in dem auch ich schon gearbeitet hatte, dekoriert war. Es sah köstlich aus!

„Tut mir leid, dass es schon kalt ist, aber das Essen heute war sehr schnell vergriffen. Wir waren froh, dass wir überhaupt noch was bekommen haben.“, erzählte sie mir, während ich begann meinen Hunger zu stillen. Vielleicht übertrieb ich es mit meinem Eifer etwas, denn einige am Tisch begannen zu kichern oder verkniffen es sich gerade noch.

„Na na, nicht so hastig! Es isst dir keiner was weg.“, grinste Ian und ich konnte nicht anders, als zurück zu grinsen. Ich wunderte mich selber, aber ich hatte irgendwie gute Laune.

„Man sollte es nicht darauf ankommen lassen.“, gab ich verschwörerisch zurück und widmete mich wieder meinem Essen.
 

„Der Abend gestern hat ganz schön was ins Rollen gebracht.“, unterbrach Taylor nach einer Weile die Stille, die an unserem Tisch geherrscht hatte. Verwundert blickte ich von meinem Teller auf.

„Wieso?“, fragte ich neugierig.

„Na ja. Ich weiß es noch nicht offiziell, aber einige unsere Ranghöchsten wollten sich heute Morgen treffen. Die Tatsache, dass die Infizierten bestätigt haben, dass du ein Mensch bist und von dem blauen Mond am Himmel stammst, hat vielen einiges zum Nachdenken gegeben.“ Ich legte mein Besteck zur Seite.

„Ich verstehe.“, meinte ich ernst. Sie glaubten mir also endlich? Und jetzt berieten sie, was als nächstes zu tun ist… Ob sie auch daran dachten mich auszuliefern? Hatten sie solche Angst vor den anderen?

„Aber ich verstehe immer noch nicht, warum du nicht eingeladen wurdest!“, schimpfte Ian plötzlich. Mit einer Faust schlug er auf den Tisch, sodass das Geschirr wackelte.

„Wahrscheinlich wissen sie, wie ich über diese Sache denke. Ich habe ja schon mehrfach klargestellt, dass ich Hannah vertraue. Daher meinen sie wohl, das erstmal ohne mich besprechen zu müssen.“, antwortete der Schwarzhaarige ruhig und fuhr sich mit einer Hand durch die kurzen Haare. Er schien sich schon lange den Kopf darüber zerbrochen zu haben. Und irgendwie war es mir, als wäre er mit seiner bisherigen Antwort nicht ganz zufrieden.

„Das ist aber kein Grund dich auszuschließen! Ich bin mir sicher, dass die irgendetwas aushecken…“, zischte Ian. Wütend starrte er die Tischplatte vor sich an.

„Ach was. Was sollten die schon vorhaben?“, meinte Lucy mit einem Lächeln, dass nicht ganz so fröhlich wirkte, wie es wahrscheinlich sollte. Auch sie schien der Sache nicht zu trauen.
 

„Wie wäre es mit meiner Auslieferung an die anderen?“ Im Bruchteil einer Sekunde schienen die Personen am Tisch zu versteinern. Sowohl ihre Körper als auch ihre Gesichter schienen unangenehm verspannt zu sein. Ich schien wohl die Gedanken der anderen erraten zu haben. „Ihr haltet es also auch für möglich.“, schlussfolgerte ich ungewöhnlich ruhig aus ihren Reaktionen. In der darauffolgenden Stille musterte ich ihre Gesichter genau. Ich stütze meine Ellenbogen auf den Tisch und legte meinen Kopf auf die zusammengefalteten Hände. So wartete ich auf ihren nächsten Schritt. Ein flaues Gefühl machte sich in meinem Magen breit. Mein Tod war also noch immer nicht ausgeschlossen.

„Ja, es ist möglich.“ Taylors direkte Antwort fühlte sich an wie ein Schlag in die Magengegend. Doch ich unterdrückte meinen Bewegungsdrang der mir sagte, ich solle bloß verschwinden, und ließ meinen Körper ebenfalls versteinern, während ich ihm direkt ins Gesicht sah. Doch von ihm hatte ich eigentlich nichts anderes erwartet.

„Taylor!“, schimpfte Lucy, die aus ihrer Starre erwacht war und stieß ihm einen Ellenbogen in die Rippen. Dieser zuckte leicht zusammen. „Sag das nicht so direkt!“

Ich kicherte, was gleich alle Blicke auf mich lenkte.

„Ist doch ok, Lucy. Ich denke doch genau dasselbe.“, meinte ich mit einem kleinen Grinsen im Gesicht. Wieso sollte ich das verheimlichen? Das war das, was alle dachten.

„Sag sowas nicht! Wir werden nicht einfach zulassen, dass du ausgeliefert wirst!“, grummelte die Blonde und ich konnte sie nur angrinsen. Mir taten jetzt schon die leid, die ihre Wut auf sich zogen.

„Beruhige dich erstmal!“, kicherte ich und erntete wieder fragende Gesichtsausdrücke. „So einfach können die mich nicht rausschmeißen. Erstmal wissen sie, dass ich wirklich ein Mensch bin, auch wenn ich blaue Augen habe! Sie würden also einen der letzten Menschen freiwillig dem Feind ausliefern. Außerdem würden sie zweitens ihren Gegnern zuspielen, da ich mich hier auskenne. Selbst wenn sie nicht wissen, was sie mit mir machen sollen, so kommt ausliefern eher nicht in Frage. Denke ich jedenfalls.“, erklärte ich ihnen meine Gedanken und ihre Gesichter sagten mir, dass einige das genauso sahen. „Ich werde schon noch herausfinden, was die eigentlich mit mir vorhaben…“, grummelte ich und starrte wütend den Tisch an. Wenn dieser Typ vom Vortag noch einmal hierher kommt, dann würde er diesmal nichts zu Lachen haben…

„Hannah… Sei aber bitte vorsichtig!“ Lucys Stimme war dünn und Angst um mich schwang in ihr. Das fühlte sich wirklich toll an…

„Klar!“, meinte ich nur und lächelte sie an.

„Das sagst du so.“, lächelte Ian und Taylor schüttelte nur den Kopf. Amanda kicherte nur und lauschte unserem Gespräch. Sie war sowieso ungewöhnlich still, was mich etwas verwunderte. Aber vielleicht musste sie den Besuch der anderen auch noch verarbeiten.
 

Plötzlich erhob Taylor sich und die anderen taten es ihnen gleich. Auch ich stand von meinem Stuhl auf und brachte mit den anderen mein Geschirr zurück in die Küche.

„Wir müssen heute alle noch etwas arbeiten. Die anderen fürchten, dass wir bald viele Vorräte brauchen.“, erklärte mir Lucy als wir die Teller auf den Tresen stellten. Ich nickte nur, streckte mich und testete, ob meine Muskeln ein bisschen Arbeit verkraften konnten.

„Nein, vergiss es.“ Verwundert blickte ich Lucy an, die ihren finsteren, keinen-Widerspruch-duldenden- Blick aufgesetzt hatte. Ich ahnte was das bedeutete… „Du wirst mit deinen Verletzungen bestimmt nicht arbeiten.“ Ich wusste es…

„Oh doch.“, gab ich zurück. „Ich will nicht wieder alleine in meinem Zimmer hocken während ihr alle Überstunden schiebt.“ Ich wollte nicht wieder der Klotz am Bein sein! Nicht wenn ich es verhindern konnte!

„Hannah! Sei vernünftig!“, mischte sich nun auch Ian ein. Ich seufzte wütend.

„Ich will aber nicht vernünftig sein!“, konterte ich nur. Wieso sollte ich vernünftig handeln? Wer weiß, wie meine Zukunft aussehen würde? Die machten sich das alle so einfach… Doch ich konnte das nicht! Und ich würde das nie können… Ich bin einfach ein anderer Mensch, als die meisten hier… Sie kennen meine Probleme nicht. Sie kennen mein Leben nicht… Und vielleicht… kennen sie auch mich nicht… „Bitte.“ Jegliche Wut war verschwunden. In mir machte sich nur tiefe Traurigkeit breit. Ich war traurig darüber, dass ich ihnen schon wieder so viel ärger machte. Als ob der gestrige Tag nicht schon gereicht hätte…
 

„Lasst sie doch mithelfen.“ Taylor trat einen Schritt vor und alle blickten ihn an. Bis zu diesem Moment hatte er das Gespräch lediglich aufmerksam verfolgt, sich aber nicht eingemischt.

„Taylor! Sie ist verletzt!“, meinte Lucy empört, als sie sich mit in die Hüften gestemmten Händen vor ihm aufbaute.

„Du bist nicht ihre Mutter. Sie weiß selber, was sie kann und was nicht.“, meinte er nur mit ruhiger Stimme und ging, ohne ein Wort zu sagen oder auf Lucys Protestrufe zu reagieren, an der Gruppe vorbei und verschwand nach wenigen Metern in einem der Tunnel.

„Ich muss dann auch mal los! Bis später!“, meinte Amanda grinsend und verließ uns ebenfalls. Sie hatte wohl keine Lust zwischen die Fronten zu geraten. Ich hörte wie Ian kicherte und konnte es mir ebenfalls nicht ganz verkneifen. Er musste denselben Gedanken wie ich gehabt haben.

„Ian!“, kam es erneut von Lucy und man hörte ihre Empörung heraus.

„Hey, geh jetzt nicht auch noch auf mich los, Blondie.“, meinte er scherzhaft. Sie grummelte nur. „Überlass Hannah mir. Wenn sie helfen will, nehme ich sie mit zu den Tieren. Die Arbeit ist nicht anstrengend.“, meinte er nur, fasste mich am Handgelenk und zog mich eilig weg. Gleich darauf verstand ich auch warum, und beschleunigte meine Schritte ebenfalls noch etwas. Lucy schrie uns wütend hinterher, sodass auch die anderen Menschen im Esssaal aufblickten. Ich konnte nicht anders, und kicherte los.
 

Ian führte mich noch immer durch einige der Gänge. Durch den großen Raum, in eine ganz andere Richtung, als die, in der mein Zimmer lag.

Gespannt folgte ich ihm. Tiere hatte er gesagt. Ich hatte hier noch nie Tiere gesehen! Ob die auch so seltsam waren, wie die Wölfe damals? Ich hoffte, ehrlich gesagt, nicht.

Erneut fühlte ich, wie der Boden unter uns anstieg und schon bald wehte eine angenehme Briese durch den engen, stickigen Gang. Ich freute mich sehr darauf jetzt wieder an die Oberfläche zu kommen und noch einen Blick auf die Erde werfen zu können. Es gab mir ein gutes Gefühl, dass ich sie wenigstens noch sehen konnte. Dass ich zumindest innerlich dachte, meiner Familie und meinen Freunden nahe zu sein…
 

Nach wenigen Minuten erreichten wir den Ausgang und fanden uns in einem der verlassenen Häuser wieder.

„Komm!“, meinte Ian fröhlich, ließ mein Handgelenk los und fasste mich an der Hand. Sofort schoss mir das Blut in den Kopf. Wieso wurde ich rot? Wieso jetzt? Ich senkte meinen Kopf, damit es nicht so auffiel. Ich hoffte, dass dieses komische Gefühl schnell wieder verschwinden würde…

Der Blonde öffnete die Haustür und gleich standen wir in der hellen Mittagssonne. Die Hitze war überwältigend. Ich hatte ganz vergessen, wie warm es in einer Wüste sein konnte… Schon nach wenigen Schritten bildeten sich die ersten Schweißperlen auf meiner Stirn und ich stöhnte auf. Ich war froh, dass meine Kleidung nicht so warm war…

„Boah, ist das heiß.“, stöhnte ich erneut und Ian kicherte.

„Tja, unten in den Höhlen oder nachts kann man leicht vergessen, dass wir uns hier immerhin in einer Wüste befinden, stimmt’s?“

„Ja.“, grinste ich.
 

Wir gingen noch einige Minuten durch die verwinkelten Gassen der Stadt. Ich hatte das Gefühl, als wären wir auf der Rückseite des Berges. Doch leider konnte ich von dieser Seite aus die Erde nicht sehen. Ich musste zugeben, ich war etwas enttäuscht. Doch vielleicht konnte ich auf dem Rückweg noch einen Blick auf sie erhaschen.

Der Gedanke an die Erde verschwand ungewöhnlich schnell wieder aus meinem Kopf. Etwas anderes hatte meine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Vor uns baute sich eine Art Stall auf. Schon von weitem konnte ich erkennen, dass es Pferde sein mussten. Solche Ställe kannte man auch von unserer Erde. Es war ein einfaches Holzgestell, welches halbhoch mit Holz umrandet war. Die einzelnen Kabinen waren ebenfalls durch Bretter getrennt. So standen dort fünf Pferde mit dem Rücken zu uns.

Was mich erstaunte war ihre Farbe. Sie waren weiß. Zwar kannte ich auch Schimmel, die ebenfalls weiß waren, aber dieses weiß war eigenartig. Es war extrem leuchtend und schien sich genau mit dem gelben Sand zu decken. Draußen in der Wüste waren diese Pferde wahrscheinlich fast unsichtbar. Wären da nicht ihre schwarzen Haare. Sowohl die Mähne als auch der Schweif waren schwarz wie die Nacht. Das Weiß der Haut und das Dunkle der Haare waren mal ein echter Kontrast.

Gerade als wir an dem Stall ankamen, holte ein anderer Junge eines der Pferde aus dem hölzernen Unterschlupf und wandte sich uns zu. Er hatte ein Seil um seinen Hals gebunden, dessen anderes Ende er in der Hand hielt. Doch als ich das Gesicht des Pferdes sah, erschrak ich leicht. Seine Augen waren ebenfalls Pech schwarz, aber das Verrückte war das große weiße Horn, das auf seiner Stirn wuchs. Einhörner? Ich hatte mir die immer anders vorgestellt.
 

„Ah nein. Nicht du!“, stöhnte Ian plötzlich und ich sah, wie er den jungen Mann mit seltsamem Blick musterte. Erst da nahm ich meinen Blick von den Tieren, und erkannte, warum Ian so wütend war.

Vor uns stand Rob, der rothaarige, junge Mann, der sich damals, als Ian mich zum ersten Mal in mein Zimmer gebracht hatte, an mich ranmachen wollte.

Diesmal hatten wir keine Ausrede um schnell zu verschwinden. Doch so eilig hatte ich es auch nicht. Mich faszinierte das Tier neben ihm viel mehr. Langsam ging ich ein paar Schritte näher an das Pferd heran und blendete das Gespräch der beiden Jungs fast komplett aus. Die schwarzen Seelenspiegel des Tieres hielten mich in ihrem Bann. Es senkte den Kopf, als ich vor ihm stand. Sein Horn schwebte nur wenige Zentimeter über mir und der Wind wehte mir einige seiner schwarzen Haare ins Gesicht.

Zögerlich streckte ich eine Hand aus. Ich wollte dieses weiße Fell so gerne berühren. Aber ich hatte Angst, dass das Pferd nach mir treten würde, oder ähnliches. Immerhin kannte es mich nicht. Ich war ja nicht Mal von diesem Planeten!

Langsam machte das Tier einen Schritt nach vorne, sodass meine Hand automatisch die Haut zwischen seinen Augen berührte. Es fühlte sich unglaublich weich an. So etwas hatte ich noch nie gespürt. Ein seltsames Gefühl durchströmte mich, während ich noch immer in die schwarzen Augen sah. Das Licht der Sonne spiegelte sich darin wieder und es sah aus, als tanzten tausend kleine Sterne am dunklen Nachthimmel. Ich hatte das Gefühl auf den Grund seiner Seele blicken zu können. Das war mir noch nie passiert! Obwohl ich Pferde mochte und gerne an ihren Weiden stehen blieb.
 

„Wer bist du?“

Ich hörte plötzlich eine Stimme in meinem Kopf und wich geschockt zurück. Dabei nahm ich auch meine Hand von dem Tier und blickte mich verwirrt um. Hatte gerade jemand etwas gesagt? Aber es hatte sich angehört, als wäre es in meinem Kopf! Was…?

„Hannah? Was ist los?“ Ians Stimme erklang neben mir und ich drehte meinen Kopf zu ihm. Er sah mich verwundert, aber gleichzeitig besorgt an.

„Ich… weiß es… nicht.“, stotterte ich und fasste an meinen Kopf. Was war das gerade?

„Was meinst du?“, war es Rob der fragte.

„Da… war grade eine Stimme… In meinem Kopf…“, sagte ich und ich hörte selber, wie verrückt das klang. Die Jungs tauschten einen vielsagenden Blick und ich dachte schon, sie würden mich für bekloppt halten.

„Bist du dir sicher?“, fragte Ian und legte eine Hand auf meine Schulter.

„Ich habe… jemanden gehört. Er hat mich gefragt, wer ich bin. Aber ich weiß nicht wer…“ Jetzt war ich also schon vollkommen verrückt. Super.
 

„Nicht schlecht. Ich bin beeindruckt.“, lachte Rob plötzlich los und ich sah ihn nur fragend an.

„Was meinst du?“, brachte ich ruhig heraus. Ein wenig zu ruhig, wie ich selber fand.

„Du hast die Gabe.“, lächelte der Rothaarige.

„Wie bitte?“ Ich verstand nur Bahnhof. Was wollte er von mir? Eine Gabe? Was für eine Gabe?

„Die Gabe mit Tieren zu sprechen, du Dummerchen.“ Mir fiel die Kinnlade herunter. Hatte ich mich gerade verhört? Mit Tieren sprechen? Waren alle hier bekloppt?

Plötzlich fing Rob lauthals an zu lachen und auch Ian konnte sich das Lachen nicht mehr verkneifen. Ich blickte beide mit einer Mischung als Wut und Enttäuschung an.

„Tut mir Leid, Hannah.“, fing Ian an, als er sich von seinem Lachkrampf erholt hatte. „Aber dein Gesicht… Na ja, lassen wir das.“ Langsam beruhigte sich auch der andere Junge wieder.

„Könnte mir jetzt mal jemand sagen, was das soll?“, giftete ich leicht wütend.

„Lass mich raten: Ihr auf dem blauen Mond könnt n i c h t mit Tieren sprechen?“, grinste Rob und ich nickte nur vielsagend.

„Tja, bei uns ist das möglich. Das kann zwar nicht jeder und auch nicht mit jedem Tier, aber es geht.“, erklärte der Blonde und ich schnaubte verächtlich.

„Ihr wollt mir doch nicht weiß machen, dass ich gerade mit dem Pferd hier gesprochen habe?!“, fasste ich deren abgedrehte Theorie zusammen.

„Doch. Genau das haben wir vor.“, meinte Rob und fing erneut an zu lachen.

„Hannah. Beruhige dich erstmal. Das ist jetzt wahrscheinlich etwas viel.“, meinte Ian nur, und versuchte mich sanft an meiner Schulter von dem Tier wegzudrehen. Doch ich weigerte mich.

„Ihr meint also, ich kann mit diesem Tier über Telepathie reden?“, fragte ich in die Runde.

„Ja, genau. Aber es gibt eine Bedingung. Du musst das Tier, mit dem du reden willst, berühren.“, erklärte mir Rob, der mich aufmerksam musterte. Ich konnte mit ihm reden, weil ich ihn berührt hatte? Das musste ich überprüfen. Erneut hob ich meine Hand und legte sie auf den Kopf des Tieres. Neugierig wartete ich, während ich erneut in die Augen des Tieres blickte.
 

„Wer bist du?“

Schon wieder diese Stimme! War es möglich das…?!

„Mein Name ist Hannah.“, dachte ich und kam mir sogleich blöd vor.

„Man nennt mich Koleha. Ich freue mich, dich kennenzulernen!“

Koleha? Träumte ich, oder was?

„Ich freue mich auch.“
 

Langsam nahm ich meine Hand von der warmen Haut des Tieres.

„Wahnsinn…“, war alles, was ich noch hervorbringen konnte. Die Jungs musterten mein Gesicht genau, sagten aber nichts. Dann wandte ich mich an Rob.

„Rob? Wie heißt dieses Tier?“, fragte ich leise, ohne das Pferd aus den Augen zu lassen.

„Koleha, wieso?“, antwortete er mir und mir blieb kurz das Herz stehen.

„Weil… sie es mir gesagt hat.“, brachte ich hervor und schüttelte nur fassungslos den Kopf.

„Wahnsinn!“, lachte der Rothaarige und Ian nickte.

„Es gab sowieso nur ein dutzend Menschen, die diese Gabe hatten. Und davon sollten eigentlich alle tot sein.“, meinte Ian verwundert. Konnte es eigentlich noch verrückter werden?
 

„Hannah!“ Als mein Name gerufen wurde, drehte ich mich automatisch in die Richtung, aus der die Stimme kam. Hugh kam lächelnd den Berg herunter auf uns zu.

„Doc!“, meinte Ian freundlich.

„Hey Jungs! Was macht ihr hier?“, fragte der Mann und blickte in die Runde. Scheinbar wusste niemand, was, beziehungsweise wie viel, sie erzählen sollten, da niemand etwas sagte. Hugh musterte uns aufmerksam, beließ es aber dabei. „Na ja, es geht mich ja auch nichts an.“, lachte er und wandte sich dann an mich. „Hannah? Wie geht es dir? Was machen deine Verletzungen?“ Darüber hatte ich schon lange nicht nachgedacht.

„Es geht mir gut. Ich spüre keine Schmerzen.“, meinte ich schnell und hoffte, dass es auch wirklich stimmte.

„Das freut mich. Ich würde es mir jetzt aber trotzdem gerne selber ansehen.“ Ich zuckte mit den Schultern.

„Okay.“, sagte ich nur und wandte mich an Rob. „Tut mir leid. Ich kann wohl doch nicht helfen.“, meinte ich, ehrlich genickt, doch er lachte nur.

„Das macht doch nichts. Ich krieg das auch alleine hin. Danke, dass du hier warst. Es war… interessant.“ Das kleine Zwinkern hatte wahrscheinlich nur ich gesehen. Ich lächelte leicht.

„Doc, kümmerst du dich um sie? Ich würde gerne hierbleiben.“, kam es von Ian und der Arzt nickte.

„Natürlich. Kein Problem.“

„Dann bis später!“, meinte ich und ging mit dem Doc zurück die Straße hinauf.
 

Zwischen uns herrschte eine unangenehme Stille, doch ich wusste nicht, wie ich sie durchbrechen sollte. Sollte ich ihm erzählen, was da gerade passiert war? Oder war es besser, wenn niemand davon etwas mitbekam? In meinem Kopf herrschte Chaos. Ich wusste nicht, was das Beste war…

Als wir den Berg erreicht hatten, wandte ich meinen Kopf nach oben und konnte sie tatsächlich sehen. Die Erde. Sie strahlte wie ein riesiger blauer Mond vom Himmel nur mit dem Unterschied, dass es noch helllichter Tag war. Sie war… wunderschön. Sie war der schönste Planet, den es gab…
 

Plötzlich durchzuckte mich ein grässlicher Schmerz und ich fiel, ohne etwas dagegen tun zu können, auf die Knie. Mit den Händen konnte ich meinen Oberkörper gerade noch im gelben Sand abstützen, ehe ich ganz auf dem Boden aufschlug.

„Hannah? Was ist los?“ Hughs Stimme klang, als wäre er ganz weit weg von mir und seine Berührungen waren nicht von dem warmen Wind zu unterscheiden. Ich hatte heftige Kopfschmerzen und ich spürte, wie ich das Bewusstsein verlor… Schon wieder… Doch diesmal war es anders. Ganz anders. Ich hatte nicht das Gefühl einzuschlafen, sondern es war eher so, als würde ich aufwachen… Was war nur mit mir los?

Keine paar Sekunden später knickten meine Arme ein und ich hörte noch den dumpfen Aufschlag meines Körpers, als er unsanft auf dem Boden aufschlug.
 

„Wie konnte… das passieren?“

„Bitte!... Könnten sie nicht… irgendwas tun?“

„Nein!“

Ich spürte, wie warmes Wasser auf meine Hand tropfte. Tränen? Ich fühlte mich wie auf Wolken. War ich tot? War das hier der Himmel? Es war so weich… So leicht…

„Hannah!“

Mein Name. Stimmen sagten ihn oft. Doch wem gehörten diese Stimmen? Kannte ich sie?

Wieso konnte ich meine Augen nicht öffnen? Warum war es so dunkel? Wieso tat mein Körper so weh? Woher kamen diese Schmerzen? Warum konnte ich mich nicht bewegen?

Was ist das für ein Geräusch? Ein Piepen? Ein seltsames Brummen? Wo bin ich?

„Hannah!“

Ich will antworten! Will wissen, wer mich ruft… Warum sie weint… Warum so viel Verzweiflung und Trauer in ihrer Stimme liegt… Wieso ist mir das nicht gegönnt? Wieso darf ich nicht aufwachen?
 

Wer bin ich…?

Eine kleine Geste, die alles verändert

Kapitel 10 – Eine kleine Geste, die alles verändert
 

„Seht nur! Sie kommt langsam wieder zu sich!“

Gedämpfte Stimmen drangen erneut an mein Ohr. Doch diesmal waren es andere Stimmen. Und es klang auch, als wären diese näher bei mir, als in diesem… Traum. Nicht so… unerreichbar. Es machte mich nicht traurig diese Stimmen zu hören. Im Gegenteil. Irgendwie freute ich mich darauf, diese Menschen wiederzusehen.

„Hannah?“ Sie klangen besorgt. Erschöpft. Und es war wieder meine Schuld… Langsam kam die Erinnerung an das zurück, was vor diesem Traum passiert war. Ich war zusammengebrochen. Einfach so. Dieser komische Schmerz hatte mich plötzlich überfallen und ich bin bewusstlos geworden. Seltsam…
 

Ich spürte etwas Weiches unter mir. Das musste ein Bett sein. Ich fühlte einen kalten Luftzug auf meiner verschwitzen Haut.

Vorsichtig versuchte ich die Augen zu öffnen. Doch ein grelles Licht blendete mich, sodass ich sie lieber geschlossen hielt. Ich versuchte es erneut und ein Stöhnen kam ungewollt aus meinem Mund.

„Hannah!“, sagte eine Frau neben mir. Ihre Stimme war ungewöhnlich hoch. Lucy?

Ja. Ja, wollte ich sagen. Doch es kam mir nicht über die Lippen. Mein ganzer Körper gehorchte mir nicht. Ich konnte nicht mal einen Finger rühren! Was war bloß los mit mir?

„Hannah. Hörst du mich? Ich bin es, Hugh! Mach dir keine Sorgen, es ist alles gut. Du bist in der Krankenstation.“

Ich hatte also Recht. Dann lag ich wirklich auf einem Bett. Ich seufzte innerlich. Ich hatte mal wieder alles ruiniert. Sie mussten sich schon wieder alle Sorgen um mich machen. Wieso immer ich? Ich wollte das nicht! Ich wollte nicht immer so viel ärger machen…

Seltsam, verzerrte Schemen tauchten vor meinen Augen auf, wenn ich sie einen Spalt breit aufbekam. Ich erkannte Lucys Gesicht, das über mich gebeugt war. Hugh musste die Gestalt auf der anderen Seite sein. Auf Lucys Gesicht waren noch immer die Tränenbahnen zu sehen. Sie musste geweint haben. Wegen mir…

Ich versuchte mich zu strecken, meinen seltsam starren Körper zu entspannen, um mich aufsetzten zu können. Doch die Schmerzen ließen mich jeden Versuch sofort abbrechen…

„Hannah! Geht’s dir gut?“ Ian stürmte plötzlich an mein Bett und blieb am Fußende stehen. Verwundert über seine Anwesenheit blickte ich ihn an.

„Was machst… du hier?“, brachte ich mühsam heraus. Ich hasste es, nicht sprechen zu können… Doch meine Kehle fühlte sich seltsam kratzig und rau an. Ian entlockten meine Worte ein breites Grinsen.

„Na, aber hallo! Ich habe gesehen, was passiert ist. Da bin ich natürlich sofort hergekommen.“, lächelte der Blonde. Mein Herz verkrampfte. Wie vielen Leuten hatte ich noch Sorgen bereitet? Ich habe ihnen allen wehgetan…
 

Trotz der Schmerzen richtete ich meinen Oberkörper auf und zog meine Beine ran. Mit beiden Händen umschloss ich diese und vergrub mein Gesicht darin.

„Hannah? Was ist los?“, fragte mich Lucy leise und ich spürte eine Hand auf meiner Schulter. Ich konnte es nicht verhindern. Tränen bahnten sich ihren Weg über mein Gesicht und befeuchtete meine Kleidung. Schluchzer schüttelten meinen ganzen Körper und ich umfasste meine Beine noch fester.

„Hey! Was ist denn? Hannah?“ Ich hörte Ian noch näher herankommen. Seine Schritte hallten auf dem Fußboden und klangen ungewöhnlich laut in meinen Ohren. Mein Schluchzen erfüllte den ganzen, steinernen Raum. Die anderen versuchten mich zu beruhigen, doch ich war dazu nicht in der Lage. Meine Gedanken waren mit Schuldgefühlen überschwemmt und ich fühlte regelrecht, wie ich fiel. Immer weiter in die Dunkelheit. Ich wollte nicht mehr. Ich wollte nicht mehr leben. Ich bereitete allen nur Kummer! Und wenn ich schon nie mehr auf die Erde zurück konnte, konnte ich auch gleich gehen. Dorthin wo ich niemandem mehr wehtun konnte…
 

„Warum bin ich nur so schwach? Was ist bloß los mit mir?“, brachte ich zwischen den Schluchzern heraus. Ich schrie es förmlich. Dennoch klang es durch die Decke gedämpft.

„Hannah…“, versuchte es Lucy, doch ich ließ sie nicht zu Wort kommen.

„Nein! Ich bin an allem Schuld! Ich habe alles ruiniert! Wegen mir müssen so viele Menschen leiden!“ Heiße Tränen brannten auf meiner Haut. Mein Bein, welches schon seit meiner Ankunft ununerbrochen wehtat, pochte seit diesem Traum so heftig, wie noch nie. Es fühlte sich an, als würde jemand glühend heiße Klingen dort hinein stechen. Die Schmerzen ließen meinen Körper erneut schmerzhaft verkrampfen.

„Hannah! Was ist los? Tut dir etwas weh?“ Es war Hugh der fragte. Er schien es sofort gemerkt zu haben. Immerhin war der Blonde ein hervorragender Arzt. Doch er konnte mir nicht helfen. Diese Schmerzen waren wichtig für mich. Sie zeigten mir, dass ich noch existierte und nicht schon tot war. Mein Körper war taub. Bis auf die Schmerzen spürte ich nichts mehr. Es war, als würde ich schweben. Als könnte ich wegfliegen und vor allem fliehen.

„Ich will sterben.“, flüsterte ich. Plötzlich durchzog den Raum eine unangenehme Stille. Keiner der anderen rührte sich mehr und selbst mein Schluchzen war verklungen. Ich sah nicht auf. Ich wollte ihre Gesichter nicht sehen. Wollte nicht ihren Schmerz dort drin entdecken. Ich wollte nicht sehen, was ich angerichtet hatte…
 

„HANNAH! SPINNST DU?“ Ians Schrei ließ mich heftig zusammenzucken. Ich hatte ihn noch nie so wütend erlebt. Doch ich hatte Angst ihn anzusehen. „Du kannst doch nicht so was sagen! Warum willst du dein Leben wegwerfen? Das ist doch totaler Blödsinn! Also hör auf damit!“

Eine Träne nach der anderen tropfte auf die Decke und es zeichnete sich bereits ein großer dunkler Fleck an dieser Stelle aus. Warum war er so böse? Wieso konnte er nicht verstehen, wie ich mich fühlte?

„Du hast doch keine Ahnung…“, meinte ich lediglich, noch immer ohne ihn anzusehen. „Verschwindet. Lasst mich alleine.“ Mir war durchaus bewusst, dass ich hier in der Krankenstation lag und dass Hugh hier arbeitete. Doch er konnte mich auch mal für 10 Minuten alleine lassen, bis ich wieder in meinem Zimmer war. Irgendwie würde ich da schon hinkommen.

Tatsächlich hörte ich, wie sich der Stuhl, auf dem Lucy bis eben gesessen hatte, über den Boden schob und Schritte auf dem Steinboden widerhallten, ehe sich die Tür öffnete und wieder schloss. Sie waren tatsächlich gegangen. Damit gerechnet hatte ich jedoch nicht. Warum waren sie gegangen? Wieso hatten sie dieses Mal auf mich gehört?
 

„Nein, vielleicht habe ich keine Ahnung.“ Ians Stimme ließ mich erneut zusammen zucken. Ich hob meinen Kopf etwas und entdeckte, dass nur noch Ian neben meinem Bett stand. Sein Gesicht war von Wut und Mitleid gezeichnet. Ich hatte ihn also ziemlich verletzt. Doch vielleicht war es besser so. Wenn sie mich alle hassten, konnte ich ihnen nicht noch mehr wehtun… „Aber eins sollst du wissen. Du musst das nicht alleine durchstehen. Seit du hier bist, haben wir versucht dir zu helfen, weil wir es w o l l t e n, verstehst du? Wir haben dich gern und wollen nicht, dass du traurig bist. Also hör auf damit vom Sterben zu reden! Das würden wir niemals zulassen! Das würde i c h niemals zulassen.“ Erstaunt riss ich die Augen auf. Mein Herz setzte kurz aus, nur um dann viel zu schnell zu schlagen. Mein Gesicht wurde glühend heiß und ich war in diesem Moment froh, dass ich meinen Kopf zwischen den Armen und Beinen begraben hatte. Was war nur los mit mir?

Auf einmal fühlte ich eine Hand auf meinem Kopf, die meine schwarzen Haare aus meinem Gesicht strich. Mein Körper verkrampfte sich und ich wagte es nicht, auch nur zu atmen. Mein Kopf war hohl und leer. Ian…

Plötzlich spürte ich, wie er mir sanft einen Kuss auf die Stirn hauchte und dann langsam den Raum durchquerte, um ihn keine paar Sekunden später, ohne ein weiteres Wort, zu verlassen.
 

Wie in Trance hob ich meinen Kopf und blickte auf die Stelle, an der der Blonde eben noch gestanden hatte.

Der junge Mann, der mich damals gerettet hatte, als die anderen Männer mich am liebsten auf der Stelle erschossen hätten.

Der junge Mann, der sich immer für mich eingesetzt und an meine Unschuld geglaubt hatte.

Der junge Mann, der immer ein offenes Ohr hatte und mir alles ermöglichte, was ich wollte.

Ian, der sich in mich verliebt hatte…
 

Was sollte ich nur tun?
 

Ohne groß nachzudenken, schwang ich meine Beine über den Bettrand und richtete mich auf. Die Schmerzen, die mir eben noch meinen Verstand geraubt hatten, waren so weit in den Hintergrund gerückt, dass ich sie kaum noch wahrnahm. Obwohl ich an so vieles dachte, schien mein Kopf leer zu sein. Ich zupfte meine Kleidung zurecht und ging mit wackeligen Beinen durch den Raum. Mein Herz schlug noch immer heftig gegen meinen Brustkorb, sodass ich dachte, er müsse jeden Moment zerspringen und mir meinen Wunsch erfüllen.

Doch… wollte ich wirklich immer noch sterben? Hatte ich das nicht nur aus einer Laune heraus gesagt? Hatte ich wirklich schon die Hoffnung aufgegeben, auf die Erde zurück zu kommen?

Ich wusste es nicht. Ich war mir nicht mehr sicher. Ich war mir überhaupt nicht mehr sicher.
 

Mein Körper fühlte sich an wie Blei, als ich durch die dunklen Gänge schwankte. Ich wusste nicht, wohin ich lief. Ich hatte meinen Kopf ausgeschaltet. Es war mein Körper, der von alleine handelte. Und mir war das Recht so. Ich wollte nirgendwo hin, aber auch nirgendwo bleiben. Am besten wäre es, wenn ich mich einfach in einem Loch verkriechen könnte. Für immer…
 

Schon bald kam mir ein starker Luftzug entgegen. Der Wind wirkte kühl und angenehm auf meiner verschwitzten Haut. Der Schweiß rann mir die Stirn herab und meine Haare klebten in meinem Gesicht. Da kam mir diese Abkühlung gerade recht.

Ganz automatisch folgte ich dem Luftzug, nahm aber die Umgebung nicht war. Ich merkte lediglich, dass es ziemlich dunkel um mich herum war und eine seltsame Wärme von den Steinwänden ausging. Immer wieder schabten meine Arme an den Steinen entlang, doch ich bemerkte die Schmerzen nicht, die die Schürfwunden verursachen mussten. Nur das dumpfe Pochen meines Beines drang noch in mein Bewusstsein.
 

Ich muss gestehen, dass ich mich noch nie so gefühlt hatte. So seltsam leicht und doch schwer wie Blei. Lag es daran, dass ich noch nie in so einer Situation gesteckt habe? Gab es überhaupt vergleichbare Situationen? Konnte das, was ich hier gerade erlebte, als typisch für einen Jugendlichen abgetan werden?

Wohl eher nicht…
 

Der Luftzug wurde stärker und ich hielt vor einer alten Holztür inne. Ich griff den alten Türkauf und öffnete, unter großem Widerstand des morschen Holzes, den Durchgang, der direkt nach draußen führte. Ich befand mich in einem Haus. Zumindest das, was davon übrig geblieben war.

Das einzige, was noch stand, war diese eine Wand, in der die Tür eingelassen war, die ich gerade durchquert hatte, und die Bodenplatte mit einigen letzten Spuren, die mir die ungefähre Größe des Gebäudes zeigten, welches hier einmal gestanden hatte.

Auch das Haus auf der rechten Seite wirkte ziemlich ramponiert. Riesige Löcher klafften in den Wänden und das Mobiliar bestand nur noch aus Einzelteilen. Es sah aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen.
 

Als ich meinen Kopf nach links wandte, bemerkte ich, wie nah ich schon an der Stadtmauer war. Nur wenige Meter trennte die Ruine von dem steinernen Koloss.

Die Sonne schien langsam unter zu gehen, da der Himmel eine orangefarbene Tönung angenommen hatte, was eine seltsame Färbung der Mauern mit sich zog. Auch der starke Wind wurde von Minute zu Minute kühler und es dauerte nicht lange, bis eine Gänsehaut meine Arme zierte.
 

Was tat ich hier draußen? Wo sollte ich hin? Ob die anderen bald kämen und mich suchten? Was mir dann blühte, war mir schon jetzt klar. Sie würden mich in meinem Zimmer einsperren und ich müsste den ganzen Tag gelangweilt in meinem Bett liegen. Doch niemanden würde es interessieren, dass mich genau diese Situation nur noch mehr reinreißen würde.

Jedes Mal wieder diese Gedanken. Jedes Mal wieder so ein Traum. Und immer wieder werde ich keine Antworten bekommen. Nur Selbstzweifel und Angst…

Wenn ich nichts tun kann, werde ich noch verrückt…
 

Langsam trugen meine tauben Beine mich einige Schritte nach vorne, bis ich die Straße erreichte. Ich glitt ich an einer der Mauern herab und setzte mich in den staubigen, noch immer heißen, Sand. Erschöpft lehnte ich meinen Kopf gegen den kalten Stein und blickte in den nun rabenschwarzen Himmel.

Tausende Sterne funkelten am Nachthimmel um die Wette. Die Erde stand direkt über mir und leuchtete in einem grellen hellblau. Sie war so schön. Die Erde. So wunderschön. Es wunderte mich nicht, dass viele Menschen davon träumten einmal in den Weltraum zu fliegen. Unser Planet war einfach wunderschön.

Wie wohl dieser Planet hier von oben aussah? Gab es hier auch so große Meere? Oder bestand diese Welt eher aus Land, Wüsten und Wäldern? Wie viel wussten die Menschen hier über ihren eigenen Planten? Und warum wusste die Erde nicht einmal, dass hier ein riesiger Himmelskörper existierte, der sogar bewohnt war? Welche Macht umgab diese Welt?
 

Ich atmete einmal tief ein. Die kühle Luft erfüllte meine Lungen. Es fühlte sich gut an. Es fühlte sich… real an.

„Ach hier steckst du.“ Ihre leise Stimme erschreckte mich nicht mehr. Ich hatte mich daran gewöhnt, dass sich ständig jemand von hinten an mich heran schlich. Ein kleines Lächeln erschien kurz auf meinem Gesicht, doch ich drehte mich nicht zu ihr um. Ich hatte die Szene von vorhin noch nicht vergessen.

„Hey Lucy.“, meinte ich leise, als sie sich neben mich setzte. Lange Zeit hörte ich nur unsere Atemzüge, während unser heißer Atem mit dem Wind fortgetragen wurde.

Sollte ich etwas sagen? War es an mir den ersten Schritt zu tun? Oder war ich gar nicht befugt mit ihr zu sprechen nachdem was ich getan habe? Und das schon zum wiederholten Mal?

„Tut mir leid, was vorhin passiert ist.“ Das waren die Worte, die mir im Kopf herum spukten. Doch… ICH hatte sie nicht gesagt! Verwirrt wandte ich meinen Kopf in ihre Richtung und sah, wie sie die Erde am Himmel anstarrte.

Was meinte sie damit? Gab sie sich etwa die Schuld an meinem Ausraster? Nahm sie erneut meine Schuld auf sich?

Nein. Nein! Diesmal nicht!
 

„Nein. Hör auf.“ Meine Stimme klang hart und kalt. Selbst ich erschreckte mich etwas.

„Hannah?“ Was schwang da in ihren Worten mit? Verwunderung?

„Du bist nicht Schuld. Hör auf damit. Es war mein Fehler. Und ich bin diejenige, die sich entschuldigen muss… Ich weiß im Moment einfach nicht, was ich tun oder lassen soll…“ Ich zog meine Beine an meinen Körper, schlag die Arme darum und legte meinen Kopf dazwischen. Er fühlte sich so unglaublich schwer an. So, als würde eine viel zu große Last auf ihm liegen.

„Ich verstehe dich. Bitte, mach dich nicht fertig. Ich hätte auch anders reagieren sollen.“ Sie nahm also immer noch einen Teil der Schuld auf sich…

„Du hast keine Schuld. Nimm mir diesen Teil nicht ab. Ich benehme mich unmöglich und das, obwohl ihr mir nur helfen wollt. Es tut mir Leid. Ich…“ Meine Stimme brach. Tränen brannten erneut in meinen Augen, doch ich hatte nicht vor, ihnen die Oberhand zu geben. Diesmal nicht!

„Wenn du das so möchtest.“ Ich schrak zusammen. Erneut wandte ich meinen Kopf zu ihr und blickte in ein lächelndes Gesicht. Die Haare ihres blonden Pferdeschwanzes wehten im sachten Wind. Ihr Gesicht strahlte Fröhlichkeit und Wärme aus. Nichts deutete darauf hin, dass sie sauer auf mich war. Doch wieso?

„Warum?“, fragte ich ungläubig.

„Du bist meine Freundin. Außerdem hast du viel durchzumachen. Ich kann sehr gut verstehen, dass dir das alles manchmal zu viel wird. Ich weiß nicht, ob ich so lange durchgehalten hätte.“ Sie kicherte, doch ich hörte, dass dieses Lachen nicht fröhlich war. „Darum bewundere ich dich. Ich will dir helfen, so gut ich kann. Ich will nicht glauben, dass wir nichts tun können.“ Sie richtete sich auf und sah zu mir herunter. „Ich mag dich sehr und du kannst immer auf mich zählen. Vergiss das nicht.“, waren ihre letzten Worte, ehe sie durch die Holztür wieder unter die Erde verschwand.
 

Zurück ließ sie ein sprachloses, schwarzhaariges Mädchen.

Ich weiß nicht, wie lange ich noch mit leicht geöffnetem Mund die Holztür anstarrte. Ich war ziemlich verwirrt und vor allem überrascht. Ihre Worte spukten noch immer in meinem Kopf und doch wurde ich nicht schlau daraus.
 

„Wir werden in wenigen Augenblicken aufbrechen.“ Eine Männerstimme riss mich aus meinen Gedanken. Eine Gruppe von Menschen stand auf einer Anhöhe in der Nähe, die neben dem großen Holztor lag. Ich reckte meinen Kopf, um zwischen zwei Häuserruinen hindurch sehen zu können. Da ich im Schatten der Mauer saß, schien mich noch niemand entdeckt zu haben.

„Ian ist noch nicht da. Ich glaube, er wollte noch mal seine ‚Freundin’ besuchen.“, kicherte ein Mann.

„Er übertreibt es.“, zischte ein Anderer.

„Er ist noch jung. Der weiß doch noch gar nicht, was Sache ist.“, meinte ein dritter Mann, der gerade zu den anderen gestoßen war. Die Drei brachen in schallendes Lachen aus und ich spürte, wie mir das Blut in den Kopf floss. Und das, obwohl ich nicht einmal wusste, ob ich wirklich gemeint war.

Doch selbst wenn. Was hatte das zu bedeuten? Was meinten die Fremden mit ‚aufbrechen’? Wo wollten sie hin? Und warum musste Ian mit?
 

„Ah, da kommt er ja!“ Schnell stand ich aus meiner sitzenden Position auf, um besser sehen zu können. Ein dünner, muskulöser Mann lief auf die kleine Gruppe zu, gefolgt von einem weiteren Mann.

„Na Kasanova? Alles erledigt?“, lachte einer aus der Gruppe und die anderen stimmten ein.

„Ach hör auf, Steve.“, beklagte sich der Neuankömmling. Diese Stimme… Das war wirklich Ian!

Mein Magen verkrampfte und meine Wangen fingen an zu glühen. Wieder durchlebte ich die wenigen Minuten, die Ian und ich am Nachmittag zusammen verbracht hatten. Und vor allem erinnerte ich mich an… seinen Kuss.
 

„Dann sind ja alle da. Lasst uns zur Jagt aufbrechen!“, meinte einer der Männer fröhlich und erst jetzt bemerkte ich die Gewehre, die auf ihren Rücken befestigt waren. Sofort stieg die Abscheu gegenüber den Waffen in mir hoch, doch das war im Moment nicht das Wichtigste.

Diese Gruppe wollte zur Jagt aufbrechen! Vor die Mauern, wo die Infizierten nur auf eine Gelegenheit warteten, die letzten Menschen auch noch auf ihre Seite zu ziehen.

Wieso nahmen sie also einen 15- jährigen mit? Wie konnten sie das verantworten?

Wut stieg in mir hoch. Unverständnis gegenüber dieser Entscheidung. Und vor allem: Angst, dass dem Jungen etwas passieren könnte…
 

Das Holztor öffnete sich knarrend und die Gruppe Männer inspizierte die Landschaft außerhalb der Stadt. Wahrscheinlich hielten sie Ausschau nach den Feinden. Nach den Feinden, die mich suchten…
 

In meinem Kopf rasten die Gedanken. Was sollte ich tun? Konnte ich Ian aufhalten? Würde er auf mich hören? Oder würden sie mich nur wieder zurück in meinen ‚Käfig’ sperren?

Sie würden mich weiter wie ein Baby behandeln! Sie würden mich nie mithelfen lassen! Ständig habe ich Ohnmachtsanfälle oder verletze mich! Aber auch wenn ich nichts dafür konnte, würden sie mir das jedes Mal vorhalten!

Was sollte ich also tun, wenn nicht mal Ian da war? Er war der einzige, der mich ernst nahm. Mir etwas zutraute. Er hat mir gezeigt, dass man sich für Menschen einsetzten kann, auch ohne sie zu kennen.

War das jetzt meine Gelegenheit? War es nun an mir, ihm zu helfen? Ich musste es wenigstens versuchen… Auch wenn mir klar war, dass es sehr schwer werden würde. Wenn nicht sogar unmöglich…
 

Ich atmete noch einmal tief ein. Ich streckte meine verletzten Knochen und Gelenke, die wieder heftig protestierten. Aber davon würde ich mich nicht abhalten lassen...

In Windeseile entledigte ich mich meiner zahlreichen Verbände, bis kein Verbandsstoff mehr meinen Körper bedeckte. Schnell entsorgte ich diese verräterischen Spuren in einer der Häuserruinen, wobei mein Blick auf meine Hände fiel. Kleine Narben zierten meine Fingerspitzen. Ich hatte meinem Körper also schon zu viel zugemutet…
 

Ich verdrängte die Bilder aus meinem Kopf und schlich mich durch die Schatten näher an das noch immer geöffnete Tor heran.

Die Gruppe stand bereits außerhalb der Tore und unterhielt sich leise mit den Männern, welche auf der Stadtmauer patrouillierten. Ich musste mich beeilen…

Schnell huschte ich zwischen weiteren Trümmern hindurch und schaffte es gerade noch durch das Tor zu schlüpfen, ehe sie es durch einen Mechanismus schlossen. Draußen versteckte ich mich gleich hinter einem großen Felsen, der vor der Mauer lag. Zum Glück erreichten die Lichter der Erde und des Mondes diese Stelle nicht. Genauso wie die zahlreichen Fackeln, die die steinerne Wand säumten. So blieb ich unentdeckt.
 

Zum ersten Mal, seit ich diese Stadt erreicht hatte, stand ich außerhalb der Mauer und blickte auf die schwarze Steinwüste, die sich bis zum Horizont zu erstrecken schien. Ein kalter Wind kroch über den hügeligen Boden und wirbelte den feinen Sand auf, der unangenehm auf der nackten Haut kratzte.
 

War es mein Schicksal zu sterben? Konnte man seinem Schicksal entfliehen, oder blieb einem nur sich damit abzufinden?

Gab es irgendetwas, was man tun konnte?

Konnte man durch Taten die scheinbar unausweichliche Zukunft ändern?

Oder war das nur ein Trugschluss derer, die sich mit allen Mitteln an das Leben klammerten? An das Leben, welches sie genossen und nie hergeben wollten? Was ihnen so wichtig war?

War es egoistisch so zu denken? Brachte man die Menschen, die man liebt, so nur in noch größere Gefahr?
 

Gab es überhaupt einen richtigen Weg? Oder wählte man immer den Falschen?
 

Viele Fragen rasten durch meinen Kopf, als ich mit wild schlagendem Herzen den Männern leise durch die Schatten der Nacht folgte.

Ich spürte, dass etwas geschehen würde. Das sich etwas verändern würde.

Doch hätte ich damals gewusst, was mir bevor stand, hätte ich wahrscheinlich lieber gleich meinen eigenen Tod gewählt…

Wenn die Wüste brennt

Kapitel 11 – Wenn die Wüste brennt
 

Der Tag war bereits herangebrochen. Die Sonne lugte über den weit entfernten Horizont und färbte den Sand golden. Die sonst so grauen Steine hatten eine seltsame Färbung zwischen braun und orange angenommen. Die komischen Schatten, die die spitzen Steine in den Wüstenboden malten, flimmerten in den heißen Strahlen des anbrechenden Tages.

Schon seit Stunden huschten die Jungs von einem Stein zum nächsten, doch ich hatte das Gefühl, als wären wir kaum vorangekommen. Sogar die Stadt, oder besser gesagt, der Berg, auf dem die Stadt stand, war noch immer am Horizont zu erkennen.

Ich huschte leise hinter den Männern her, noch immer unsicher, was ich tun sollte. Trotz der Schmerzen, die einige meiner Wunden noch immer verursachten, konnte ich gut mit ihnen mithalten. Doch warum tat ich das überhaupt? Was hoffte ich so zu erreichen?

Natürlich. Ich fühlte mich um einiges besser, wenn ich diese erdrückende Enge der Stadt hinter mir lassen konnte. Doch wieso schlich ich einer Gruppe Männer hinterher, ohne zu wissen, warum?
 

Ich seufzte. Mir schwirrte so vieles im Kopf rum, dass ich gar nicht mehr wusste, was genau ich denken sollte und was nicht. Langsam schien das zum Dauerzustand zu werden.

Ich warf einen Blick um einen der Steine herum und schreckte überrascht zurück. Die Männergruppe stand nur wenige Meter vor mir, dabei dachte ich, sie wären schon um einiges weiter. Sie mussten vor wenigen Sekunden angehalten haben!

Mit wild schlagendem Herz drückte ich mich an den rauen Stein und versuchte mich so leise wie möglich etwas von der Gruppe wegzuschieben.

„Ihr habt das doch diesmal auch gehört, oder?“ Mein Blut gefror und mein Herz setzte aus. Die… die meinten noch nicht etwa… mich?

„Ja, da war definitiv was! Ich glaube, da verfolgt uns jemand… Ian?!“

Mein Schlucken klang ungewöhnlich laut. Ich hatte fast das Gefühl, als würde dieses Geräusch in dieser unendlichen Steinwüste widerhallen. Das mussten sie gehört haben, oder?

Ian sagte nichts. Und auch keiner der anderen Männer wagte es, sich zu rühren.

Ich hatte Angst. Bekam regelrecht Panik. Was, wenn sie gar nicht abwarteten und nachsahen, wer da war, sondern gleich schossen? Würde ich so sterben? Einsam in der Wüste verbluten? In letzter Zeit hatte ich mir oft vorgestellt, wie mein Tod aussehen könnte, doch an diese Variante hätte ich nie im Leben gedacht.

„Komm raus. Wir wissen, dass du da bist! Wer bist du?“

Nein! Nein!

Meine Beine zitterten so stark, dass ich dachte, sie würden jeden Moment unter mir nachgeben. Und das vierfache Klicken, welches ich hinter dem Felsen vernahm, verstärkte dieses Gefühl nur noch.

Doch es machte mir etwas klar: Wenn ich nicht sofort mein Versteck verlassen würde, würden sie mich gleich erschießen…
 

„Nicht schießen! Ich bin es.“ Ich wusste selber, dass diese Worte nicht die Klügsten waren, die man in solch einer Situation hätte sagen können. Doch in diesem Moment war keine Zeit zum Klug sein.

Mit zitterndem Körper trat ich einen Schritt vor und stand so neben dem Felsen. Es dauerte einige Sekunden, bis ich die Männer vor mir ansehen konnte. Ihre Gesichter zeigten Verwunderung, aber nicht nur das. Ich sah auch Wut und Misstrauen in ihren Augen, was mich die Luft anhalten ließ.

Ian hatte das Gewehr einige Zentimeter gesenkt. So wie er mich ansah, war das jedoch eher unbewusst geschehen.

„Ha-Hannah! Was- machst du hier?“, brachte der Blonde mühsam hervor, doch ich konnte ihm nicht antworten. Mein Hals fühlte sich so unglaublich trocken an. Beschämt senkte ich meinen Blick gen Boden. Die heiße Wüstensonne flirrte regelrecht über dem trockenen Sand.

„Das- das ist SIE!“, stieß einer der Männer erschrocken aus. In mir verkrampfte sich etwas bei seiner Stimme.

„Was macht SIE hier?“, kam es von einem der anderen. In seiner Stimme klang ziemlich viel Wut mit.

Wo hatte ich mich hier bloß wieder reingeritten?

„Sie will fliehen! Sie will uns doch tatsächlich an die Infizierten verraten!“, schrie der Größte der Gruppe und richtete sein Gewehr direkt auf mich. Meine Panik wuchs.

„Nein, das stimmt nicht! Ich will nicht…!“, brachte ich mit viel zu hoher Stimme hervor. Doch ein lauter Knall ließ mich verstummen. Ich zuckte ängstlich zusammen, als ich etwas Heißes an meinem Oberarm spürte.

Ich starrte den Mann vor mir an. Sein Gewehrlauf qualmte noch von dem Schuss, den er gerade auf mich abgefeuert hatte. Eine warme Flüssigkeit schien sich mit meinem Schweiß zu vermischen, doch ich konnte den Blick nicht von dem Gewehr nehmen. Ich war wie versteinert.

Ein ersticktes Keuchen entwich mir, als sich der glühende Schmerz aus meiner Schulter bis zu meinem Gehirn vorgearbeitet hatte. Erst jetzt schaffte ich es meinen Blick auf meine linke Schulter zu richten und erkannte eine lange Schnittwunde in meiner Haut. Blut floss leise heraus und tropfte langsam von meinen Händen in den Wüstensand, welcher sich sogleich rot verfärbte. Doch ich rührte mich nicht. Ich spürte den Schmerz, aber machte keine Anstalten, etwas dagegen zu unternehmen.

Ich zuckte nicht einmal zusammen, als der Mann, fluchend darüber, dass er mich nur gestreift hatte, seine Waffe nachlud und sie wieder auf mich richtete. Woher kam diese plötzliche Gleichgültigkeit? Warum war es mir plötzlich egal, was mit mir passierte?

Ein zweiter Schuss fiel. Doch dieser verfehlte mich um mehrere Meter. Ian hatte, nur Sekunden bevor der Dunkelhaarige abgedrückt hatte, gegen den Lauf des Gewehres geschlagen und somit die Kugel auf eine falsche Bahn gelenkt.

Wütend starrte der Blonde seinen Kameraden an. Die Schatten, die auf seinem Gesicht lagen, ließen ihn richtig bedrohlich aussehen. Und das schien zu reichen, um die Männer etwas einzuschüchtern.

„Ian! Was soll das? Wieso hast du mich davon abgehalten? Wenn wir sie jetzt erschießen, haben wir ein Problem weniger, um das wir uns kümmern müssen!“, zischte der Mann wütend, ließ aber die Waffe sinken. Dennoch behielt er sie fest in der Hand. Immer bereit, wieder zu feuern.

„Du wirst ihr kein Haar krümmen, verstanden?“ Verwundert beobachtete ich, wie sich die Männer von Ian einschüchtern ließen. Wieso hatten sie solchen Respekt vor einem so jungen Mann? Wieso ließen sie sich von ihm sagen, was sie tun und lassen sollen?

„Hör… Hör auf hier den Starken zu spielen! SIE ist einfach aus der Stadt geflohen und verfolgt uns wahrscheinlich schon seit geraumer Zeit! Was wäre passiert, wenn einige von DENEN hier aufgetaucht wären? Es ist zu gefährlich sie am Leben zu lassen!“, zischte der Mann erneut. Eine Ader auf seiner Stirn pochte vor Wut.
 

Das reichte. Das war echt zu viel.

„Wenn ich zu DENEN hätte gehen wollen, hätte ich das schon längst getan, meinst du nicht?“, giftete ich den Mann an, sodass wieder ich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand. Die Wut brodelte in mir hoch und drohte schon fast über zu schwappen. Scheinbar konnte ich machen was ich wollte, vertrauen würde MIR sowieso niemand!

„Und warum bist du uns dann gefolgt?“ Ians ruhige Frage verwirrte mich. Und scheinbar nicht nur mich. Der Mann, der mir gerade noch antworten wollte, starrte den jungen Blonden an und schloss seinen Mund wieder, ohne seine Meinung kund zu tun.

Meine Wut verflog so schnell, wie sie gekommen war, als ich ernsthaft über seine Frage nachdachte.

„Ich… weiß es nicht.“, gab ich nach einer Weile wahrheitsgemäß als Antwort.

Ian seufzte und schüttelte leicht den Kopf. Mit einer Hand fuhr er sich durch die blonden, verschwitzten Haare und schien angestrengt nachzudenken. Alle Umstehenden, mich eingeschlossen, warteten ungeduldig auf eine Reaktion von ihm. War er hier so was wie der Anführer? Irgendwie verstand ich die Logik dieser Leute nicht.

„Tja. Dann bleibt uns wohl nicht viel etwas anders übrig.“, seufzte er. „Leute, wir brechen unseren Ausflug ab und kehren zurück. Wir können Hannah nicht mitnehmen. Das wäre zu gefährlich für sie.“ Der Reihe nach wanderten die Augenbrauen der Männer nach oben. Damit hatten sie wohl nicht gerechnet.

„Zu gefährlich für sie…“, grummelte der eine kaum hörbar und ich schnaubte. Ich sollte mich wohl daran gewöhnen, dass ich nichts Wert war.
 

Ian setzte sich in Bewegung und die Männer folgten ihm widerwillig. Sie wollten wirklich umkehren! Aber ich wollte noch nicht zurück! Ich fühlte mich hier draußen um einiges sicherer als dort drin! Das könnte an der Gastfreundschaft der Menschen liegen…

Die Gruppe kam auf mich zu, um den Weg, den wir gerade entlang gegangen sind, wieder zurück zu laufen.

„Aber…!“, wollte ich gerade ansetzten, als Ian plötzlich im Vorbeigehen nach meiner Hand griff und mich hinter sich herzog. „Hey!“, protestierte ich, doch so sehr ich auch versuchte mich gegen ihn zu stemmen, es funktionierte nicht. Der Kleine war tatsächlich um einiges stärker als ich!

„Nichts da, aber! Wenn die Anderen dich hier finden, haben wir ihnen nichts entgegen zu setzten! Es war viel zu gefährlich für dich die Stadt zu verlassen!“, meinte Ian betont ruhig, doch ich hörte etwas wie Wut und Sorge heraus.

„Von wegen dort wäre ich sicherer!“, gab ich wütend zurück. Ich hasste es, wenn man mir immer wieder sagte, was ich falsch gemacht hatte! Wieso muss ich immer falsch gehandelt haben? Wieso nicht mal jemand anderes? „Wenn es nach den Meisten- wie auch deiner netten Begleitung- ginge, würde ich mir schon längst das Gemüse von unten ansehen!“ Und damit lag ich sicherlich nicht falsch. Denn eins hatte ich seit meiner Ankunft auf diesem Planeten gelernt: Das, was man nicht kennt, sollte man umbringen.

„Hör auf so was zu sagen!“ Nun war Ians Stimme längst nicht mehr so ruhig, wie eben noch. Doch darauf konnte ich keine Rücksicht nehmen. Ich hatte es mir mit ihm seit unserem letzten Treffen sowieso schon verscherzt. Bei dem Gedanken an die Szene aus meinem Zimmer letzte Nacht, stieg mir sofort das Blut wieder ins Gesicht. Besonders, da er immer noch meine Hand hielt.

„Tu nicht so, als wäre mein Tod nicht schon beschlossene Sache! Ich komme hier nicht mehr weg! Kann meine Familie, meine Freunde, meinen Planeten nie wieder sehen! Du glaubst doch wohl nicht wirklich, dass sie mich noch länger am Leben lassen werden! Ich werde nie zu euch gehören!“ Das Brennen in meinen Augen kündete die nahenden Tränen an, doch ich schluckte sie herunter. Jetzt war nicht die Zeit dazu, um schwach zu werden. Ich hatte mich doch schon damit abgefunden…

„Sag so was nicht!“, zischte der Blonde schon fast. Sein Griff um mein Handgelenk wurde stärker und seine Schritte beschleunigten sich. Ich hatte ihn wütend gemacht.
 

Immer schneller suchten wir uns einen Weg durch die verstreuten Felsbrocken und Sanddünen. Die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel. Meine Wunde hatte ich mit einem Taschentuch notdürftig versorgt. Der Sand brannte durch meine Schuhe und der heiße Wüstenwind wehte mir die feinen Sandkörner ins Gesicht. Es musste ungefähr Mittag sein, was bedeutete, dass wir in wenigen Stunden wieder die Stadt erreichen sollten.

Ich konnte nicht leugnen, dass es sich in sofern gut anhörte, dass die Männer mich in der Stadt nicht mehr von hinten mit ihren Blicken durchbohren konnten. Da war mir die sengende Hitze von oben um einiges lieber.

Doch diese würde bald verschwunden sein. Je länger wir liefen, desto schneller senkte sich die Sonne dem Horizont. Bald würde sie ganz dahinter versunken sein und nur noch Dunkelheit zurücklassen. So, wie Ian sich beeilte, schien ihm der Gedanke, nachts in der Wüste herumzulaufen, nicht sonderlich zu gefallen. Warum, wollte ich lieber gar nicht so genau wissen…
 

Die Männer hinter uns hatten sich etwas zurückfallen lassen und ich nutze diese Gelegenheit mit Ian ungestört zu reden.

„Wo wolltet ihr eigentlich hin?“, unterbrach ich die Stille, die seit unserem Aufbruch zwischen uns herrschte.

„Tiere jagen und sehen, ob wir in einer nahe gelegenen Stadt an Medikamente rankommen.“, kam es ruhig von ihm. Zwar schwang noch immer etwas Wut in seiner Stimme mit, aber das konnte ich ihm irgendwie nicht verübeln… Auch ich versuchte so normal wie möglich mit ihm zu reden. Die Gedanken an den Augenblick, den wir zusammen in meinem Zimmer verbracht hatten, verdrängte ich so gut es ging. Doch das änderte nichts an meinem zu schnell schlagendem Herzen und der leichten Wärme auf meinen Wangen.

„Ihr wollt in den Städten herumlaufen? Ist das nicht zu gefährlich? Was, wenn euch diese Infizierten erwischen würden?“ Der Gedanke jagte mir einen Schauer über den Rücken.

„Irgendwie müssen wir doch überleben. Und ohne Medizin und Verbände geht das eben nicht.“ Er zuckte mit den Schultern. „Außerdem haben wir jetzt schon einige Erfahrungen gesammelt. Uns kriegt keiner mehr…“ Er klang wirklich davon überzeugt. Doch ich war es nicht, sagte aber nichts.
 

Wieder herrschte Stille zwischen uns. Eine Frage brannte mir schon die ganze Zeit auf den Lippen, wusste aber nicht, ob ich sie stellen konnte… Doch irgendwann siegte meine Neugier…

„Du Ian?“

„Ja?“

„Darf ich dich mal was fragen?“ Meine Stimme klang nicht so fest, wie sie eigentlich sollte.

„Klar!“ Er schien es gemerkt zu haben, denn Neugier schwang in seiner Antwort mit.

„Diese Männer da… Und auch die in der Stadt… Warum haben die alle so einen Respekt vor dir? Und warum bist du hier der Anführer? ... Also nicht, dass mich das etwas angeht, aber… es ist mir so aufgefallen….“ Gleich nachdem ich die Frage gestellt hatte, kam ich mir blöd vor und hätte sie am liebsten zurückgenommen. Nervös spielte ich mit meiner freien Hand an einer schwarzen Haarsträhne und wartete auf eine Reaktion des Jungen vor mir.

Gerade als ich dachte, ich hätte ihn verärgert, erklang ein belustigtes Lachen. Fragend zog ich eine Augenbraue hoch.

„Das könnte daran liegen, dass mein Bruder sozusagen der Anführer unserer Gruppe ist. Und irgendwie bin ich seine rechte Hand geworden.“, lachte der Blonde und warf mir einen kurzen Blick über seine Schulter zu.

Ich musste wohl einen ziemlich dämlichen Gesichtsausdruck haben, da er sich gleich prustend abwandte.

„Du hast einen Bruder?“, kam es von mir, als ich mich wieder etwas gefangen hatte. „Das wusste ich gar nicht.“

„Ja es stimmt. Wir sehen uns nicht wirklich ähnlich. Er kommt eher nach unserem Vater, während ich aussehen soll, wie meine Mutter. Jedenfalls kennst du ihn schon.“ Er kicherte.

„Ich kenne ihn?“ Im Kopf ging ich die Menschen durch, die ich hier bereits kennen gelernt hatte, aber irgendwie wollte mir keiner so Recht einfallen, der… Nein. Das war doch…? „Sag bloß nicht…!“

„Hehe, genau. Taylor ist mein älterer Bruder!“

„Oh.“ Sehr intelligente Antwort. Doch ich war wirklich baff. Dass die beiden viel miteinander zu tun hatten, war mir ja bereits klar geworden, doch dass sie Brüder waren…! Da hatte ich nicht im Traum dran gedacht! Aber Moment mal…

„Das… Das heißt ja, dass Taylor der Anführer der Menschen hier ist! Aber er ist doch erst Anfang 20!“ Ian zuckte mit den Schultern.

„Na ja. Es gab halt keinen besseren. Mein Bruder war schon immer sehr geschickt und konnte gut reden. Er hat den Menschen ein Gefühl von Sicherheit gegeben und ihnen auch noch dieses Zuhause verschafft. Da war es irgendwie klar, dass wir ihm die Führung überließen.“

„Wow.“ Aber er hatte Recht. Taylor wirkte viel reifer, als er sein konnte. Aber dass er diese ganze Kolonie leitete war schon eine echte Überraschung… Jedoch machte das so einiges klar. Der Grund, weshalb ich bleiben durfte, dass ich arbeiten und mich frei bewegen durfte sowie sein Verhalten mir gegenüber. Dann hatte ich dem Schwarzhaarigen mehr zu verdanken, als ich bis dato gedacht hatte…
 

„Was nun? Hat es dir die Sprache verschlagen?“ Das Grinsen in seiner Stimme war nicht zu überhören. Er schien meine Reaktion unglaublich witzig zu finden… Ich schnaubte zornig.

„Wenn mir nie jemand etwas sagt, wie soll ich euren wirren Gedankengängen dann folgen?“, zischte ich. Also DAS hätten sie mir wirklich mal sagen können…

„Wenn du das sagst.“, lachte er wieder und ich schmollte. Diese Welt war einfach ungerecht…

Alex würde mir Recht geben. Immerhin war sie meine beste Freundin! … Was sie wohl gerade machte? Ob es ihr gut ging? Ich würde sie so gerne wieder sehen…
 

Die Sonne war untergegangen und die Temperatur um gefühlte 30 Grad gesunken. Sofort begann ich zu frösteln und bereute es, nichts Wärmeres angezogen oder wenigstens mitgenommen zu haben.

„Wir sind gleich da.“, meinte Ian und beschleunigte seine Schritte erneut. Er schien sich auf sein Zuhause zu freuen.
 

Doch plötzlich fühlte ich, wie seine Hand ganz steif wurde. Und als er dann auch noch stocksteif stehen blieb und ich ihm fast hinten rein gerannt wäre, wusste ich, dass etwas nicht stimmte.

„Ian?“, fragte ich vorsichtig, rührte mich aber nicht vom Fleck. Aber es kam keine Reaktion. Ich wollte meine Hand aus seiner ziehen, um um ihn herumgehen zu können, doch er hatte seine derart verkrampft, dass ich es partout nicht schaffte. Ich unterdrückte ein Keuchen, als sein Griff noch fester wurde.

Die Männer hatten uns fast eingeholt, als ich schon die erste Stimme von hinten vernahm.

„Hey! Warum geht’s denn nicht weiter?“, grölte einer der Männer ungeduldig.

„Ian?“, fügte ein anderer hinzu.

Ich traute mich nicht, mich umzudrehen und versuchte weiter seinen Griff zu lockern.

„Ian! Du tust mir weh! Lass bitte los!“, quetschte ich zwischen meinen Zähnen hervor und diesmal schien er sogar darauf zu reagieren. Seine Hand begann zu zittern und in dem Moment konnte ich meine schnell aus seinem Griff lösen. Ich machte mir allmählich wirklich sorgen. „Was ist denn los?“, versuchte ich es noch einmal.

„Die Stadt…!“, keuchte er nur. Seine Stimme war hoch und piepsig. So hatte ich ihn noch nie gehört.

Ich ging neben ihn und stellte mich auf die Zehenspitzen, um das zu sehen, was er meinte.
 

Und plötzlich sah ich es. Zitternd hielt ich mich an dem Felsen neben mir fest, weil ich das Gefühl hatte, mir würden die Beine unter den Füßen weggerissen.

Das war ein… Albtraum…

Der Horizont lag nicht im Dunkeln da, so wie ich es erwartet hätte. Im Gegenteil. Rote und orangefarbene Lichter tanzten wild vor den zahlreichen Sternen und schwarzer Rauch stieg unablässig in den Himmel.

Die Stadt! Die Stadt sie… brannte!

„Nein!“, keuchte ich verzweifelt. Lucy, Taylor, Hugh und all die anderen! Nein!

Ungeschickt und ohne Herr über meine Sinne zu sein, begann ich vorwärts zu laufen. Mein Kopf war leer. Eine erdrückende Dunkelheit schien sich über meine Gedanken zu legen und meine Sicht verschwamm. Es war alles ruhig um mich herum. Ich hörte nicht, wie die Männer von hinten kamen. Ich sah nur, wie sie an mir vorbei liefen. Einer von ihnen streifte mich und brachte mich ins Wanken, doch das alles nahm ich nur am Rand war.

Meine Aufmerksamkeit galt nur der Szene, die sich meinen Augen bot.

Der schwarze Berg hob sich unnatürlich deutlich von der brennenden Umgebung ab. Von der Mauer waren nur noch vereinzelte Trümmer übrig. Die Häuser, die sowieso schon mehr kaputt als intakt waren, waren nun gänzlich von dem Flammenmeer verschluckt worden.
 

„Was- was ist hier passiert? Wo sind alle?“, flüsterte ich leise zu mir selbst. Das Feuer war unerträglich heiß und es roch nach Verbranntem. Niemand war zu sehen. Nicht einmal die Männer, die eben noch an mir vorbei gerannt waren, konnte ich irgendwo entdecken.

Waren sie unter der Erde? Waren da auch die anderen?
 

Auch wenn ich die meisten der Menschen nicht mochte, auch wenn sie mich wie ein Stück Dreck behandelt hatten, ich hoffte sehr, dass sie noch am Leben waren…
 

„Hannah! Vorsicht!“ Der Schrei hinter mir ließ mich zusammenzucken. Wie in Trance drehte ich mich zu der Stimme um. Doch ich sah nicht denjenigen, dem die Stimme gehörte.

Nur wenige Zentimeter vor mir stand ein groß gewachsener, älterer Mann mit schwarzen Haaren, der mich ohne jede Gefühlsregung ansah. Vor Schreck wich ich einen Schritt zurück, doch ich war nicht schnell genug.

Der Mann streckte seine Hand aus und griff nach meinem Hals. Noch ehe ich reagieren konnte, baumelte ich schon Zentimeter über der Erde. Seine Hände nahmen mir den Atem. Ich versuchte mit meinen Händen seinen Griff zu lockern. Ich brauchte Luft.

Einige seltsame Geräusche drangen aus meiner Kehle und ich fühlte schon, wie meine Sicht verschwamm und mir schwindelig wurde. Was sollte ich jetzt nur tun…?

Plötzlich ging ein Ruck durch den Körper vor mir und ein Knall zerriss die Stille. Ohne seinen Gesichtsausdruck zu verändern sah er belanglos an sich herunter. Ich schielte auf die Stelle in seinem Bauch, die er anstarrte. Ein großes Loch, wie das einer Gewehrkugel, prangte knapp unter seinem Herzen. Blut quoll heraus und doch schien der Riese keine Schmerzen zu empfinden.

Erst nach einigen Sekunden sah man eine Regung auf seinem Gesicht. Die gefühlslose Maske war einer wutverzerrten Fratze gewichen. Er drehte sich in die Richtung, aus der der Schuss gekommen war und ließ mich dabei fallen. Unsanft prallte ich auf dem Boden auf und sofort meldeten sich einige meiner alten Verletzungen zurück. Doch dies war nicht der Zeitpunkt…

Schwer hustend kroch ich über den Boden. Weg von dem Kerl. Schweiß stand mir auf der Stirn, als ich an einem der letzten noch stehenden Teile der Steinmauer ankam und mich dagegen lehnte.

Sofort galt meine Aufmerksamkeit dem jungen Mann mit der Waffe in der Hand.
 

Vor Zorn schreiend lief der Riese auf Ian zu, welcher jedoch mit einem schnellen Satz durch die Beine seinen riesigen Händen entkam und ihn dabei zu Fall brachte. Er ließ seine Waffe fallen und nahm geschickt eine Art Jagdmesser aus einer Befestigung an seinem Fuß.

Nach einem kurzen Blick zurück, rannte er auf mich zu.

„Hannah? Bist du in Ordnung?“ Er klang besorgt, als er mich von Kopf bis Fuß musterte.

„Denke schon.“, brachte ich zwischen dem Husten heraus. Ich wusste zwar, dass der Druck von meiner Kehle weg war, doch es fühlte sich so an, als wäre seine Hand noch immer da.
 

Der Boden erbebte und wir sahen beide wieder zu dem Schwarzhaarigen. Er hatte sich inzwischen aufgerappelt und starrte uns wütend an.

„Wer ist das?“, fiepte ich leise.

„Keine Ahnung.“, gab Ian zurück und stand wieder auf. Sein Messer hatte er auf den Riesen gerichtet.

„Du willst doch nicht wirklich gegen den kämpfen?“, fragte ich ungläubig, als ich mich an der Mauerruine auf die Beine zog. Doch dieser nickte tatsächlich.

„Wir müssen hier verschwinden. Und ich denke nicht, dass er uns freiwillig gehen lässt.“

Und wie zur Bestätigung seiner Worte rannte der Riese schreiend auf uns zu. Das Blut quoll aus seiner Wunde und beschmutzte seinen freien Oberkörper, doch ihm schien das gar nicht bewusst zu sein.

„Bei drei links herum.“, flüsterte Ian mir zu und packte mich an der Hand. Ich nickte. „1… 2… 3!“ Genau im richtigen Moment wichen wir dem Koloss aus, sodass dieser in die Mauer prallte und sie zu Fall brachte. So schnell wir konnten entfernten wir uns von ihm, doch es dauerte nicht lange, ehe wir wieder seinen Schrei hörten.

Ich drehte mich zu ihm um. Seine dunkle Gestalt war übersäht mit Kratzern und Blut und sein linker Arm stand komisch von seinem Körper ab. Dort, wo er stand, hatte sich bereits eine Blutlache gebildet, in der sich die Flammen widerspiegelten. Mir wurde bei seinem Anblick elend zu mute.

Und als ich sah, wie der Mann einen zentnerschweren Steinklotz in die Luft hob, wurde mir noch elender.

„Ian! Vorsicht!“, schrie ich und zog ihn gerade in dem Moment zur Seite, als auch schon der Felsbrocken neben uns aufschlug. Genau da, wo wir vor einigen Sekunden noch gestanden hatten…

„Verdammt!“, zischte der Blonde und ich bemerkte, wie er neben die Steine starrte. Dort im Sand lag sein Messer. Er musste es eben verloren haben. Doch es war zu spät es wiederzuholen. Der Riese rannte bereits auf uns zu, und auch, wenn seine Schritte schwammiger wurden und sein Körper stark schwankte, hatte er wohl nicht vor, uns entkommen zu lassen.

Schnell richteten wir uns auf und liefen weiter. Immer einen Blick zurück werfend.

Doch gerade als ich zwischen zwei Felsen hindurch rennen wollte, hörte ich plötzlich Ians Schrei und spürte, wie ich den Boden unter den Füßen verlor und im heißen Wüstensand landete.

Erst nachdem ich wieder richtig zu mir gekommen war, konnte ich einen Blick darauf werfen, was gerade passiert war.
 

Ian lag mit dem Rücken nach oben, nur wenige Zentimeter von mir entfernt. Einige Meter weiter lag der Riese in seiner Blutlache und rührte sich nicht mehr.

Ein Glück… Er war tot, oder?

„Ian! Wir haben es geschafft!“, rief ich freudig und stellte mich wieder auf meine Füße. Jedoch kam keine Reaktion von ihm. Er blieb einfach liegen „Ian?“ Mir wurde schlecht, als ich den Boden unter seinem Körper sah. Seine gelbliche Färbung war verschwunden und einer rötlichen gewichen.

Mein Kopf arbeitete auf Hochtouren und doch konnte ich nicht verstehen, was das zu bedeuten hatte.

„IAN!“, schrie ich trocken und rannte zu ihm. Nein. Das war unmöglich. Das durfte nicht sein! NEIN! Mit zitternden Händen fasste ich nach seiner Hand.

Ich wollte es nicht wahrhaben. Wollte das Messer, das tief in seinem Rücken steckte nicht sehen. Wollte diese rote Flüssigkeit nicht sehen. Wollte nicht verstehen, was offensichtlich war.

Wollte nicht einsehen, dass ich an seinem Handgelenk nichts fühlte…
 

Mein Schrei zerriss die Nacht, während das Blut leise von meinen Händen tropfte.

Die gerechte Strafe und ein bekanntes Gesicht

Kapitel 12 – Die gerechte Strafe und eine bekanntes Gesicht
 

Ich wusste nicht, wie lange ich hier schon saß. Meine Gefühle waren vollständig verschwunden. Alle bis auf eins: Trauer. Mit glasigen Augen starrte ich auf den Jungen vor mir. Er bewegte sich nicht mehr. Nichts an ihm schien noch menschlich. Seine Augen konnte ich nicht sehen, aber ich wollte es auch nicht. Ich hatte Angst davor, den leeren Ausdruck und die tiefen Schatten darin zu sehen...

Der Tag schien zu dämmern, da sich die Umgebung langsam erhellte und die Hitze der Wüste zurückkam. Die Feuer waren erloschen. Nur der dichte, beißende Qualm stieg mir noch in die Nase.

Ich hatte mich seit einer gefühlten Ewigkeit nicht bewegt. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Still lief mir eine Träne nach der anderen über die Wange und tropfte auf meine im Schoß liegenden Hände. Ich fühlte mich so seltsam leer. Nichts schien mehr von Bedeutung zu sein. Mir war innerhalb von wenigen Sekunden alles total egal geworden.

Nun gab es endgültig nichts mehr, wofür es sich noch zu leben lohnt…
 

„Hannah?“ Ich hörte die Stimme. Ich erkannte meinen Namen. Und doch fühlte ich mich nicht angesprochen. Wollte mich nicht angesprochen fühlen.

Sollte doch kommen wer wollte! Am besten wäre es, wenn diese blöden Parasiten hier auftauchen und diese ganze Sache endlich beenden würden!

Doch ich wusste innerlich, dass ich so einen Tod nicht verdient hatte… Nicht nachdem, was ich alles angerichtet hatte. Meine Strafe war es mit dieser Schuld leben zu müssen…
 

„Hannah, was…?“ Irgendetwas veranlasste mich beim Klang dieser Stimme doch, meinen bleischweren Kopf zu heben und mit schwammigem Blick in Richtung der zerstörten Stadt zu sehen.

Eine Gruppe von Menschen starrte mich fassungslos an. Ihre Augen waren geweitet, ihr Gesicht starr vor Schock und Angst. Ihre Körper waren übersät von Wunden, die nur notdürftig mit Kleidungsstücken verbunden waren. Obwohl ich einige davon schon seit meiner Ankunft auf diesem Planeten kannte, dauerte es doch mehrere Minuten, ehe ich es wirklich begriff.

„Lucy? Taylor?“ Meine Stimme klang mir fremd. Es fühlte sich an, als hätte nicht ich diese Worte gesagt, sondern jemand, der neben mir stand. Auch wenn ich wusste, dass dort niemand war. Das bodenlose, schwarze Loch in mir schien alles zu verschlingen.

„Ian… Ian? Was ist passiert?“ Noch ehe sie eine Antwort bekam, liefen ihr bereits die Tränen über die Wangen. Sie hatte das Undenkbare akzeptiert. Die Möglichkeit in Betracht gezogen. Den Tod gespürt…
 

So langsam, als würde es in Zeitlupe ablaufen, bewegte sich Taylor auf mich zu. Die Augen immer starr auf Ian, seinen kleinen Bruder, gerichtet. Doch seine Gefühle blieben in ihm verschlossen.

Kraftlos ließ ich den Kopf hängen und starrte weiter vor mir auf den Sand. Ich wusste, dass ich lieber gehen, ihn mit seinem Bruder allein lassen sollte, doch mein Körper wollte mir einfach nicht gehorchen. Wie ein Zombie stemmte ich mich gegen meine eigene Taubheit, versuchte das Gefühl wieder in meine Beine zurückkehren zu lassen, bis ich es geschafft hatte, mich annähernd aufrecht hinzustellen.

Ungeschickt stolperte ich über den steinigen Boden, bis ich einige Meter zwischen mich und Ian gebracht hatte. Nur wenige Sekunden später sank Taylor schon neben dem Blonden in die Knie. Ab da ließ er seinen Tränen freien lauf.
 

Das Schluchzen der letzten Überlebenden erfüllte die warme Morgenluft. Sie ließen all ihren Frust heraus, scherten sich nicht darum, was die anderen denken würden.

Ebenso langsam, wie Taylor es eben getan hatte, bewegte sich nun auch Lucy auf den Blonden zu, ließ sich neben dem Schwarzhaarigen nieder, küsste ihn sanft auf die Stirn und nahm seine Hand in ihre.

Wieder dauerte es eine gefühlte Ewigkeit, ehe ich das Offensichtliche verstand. Deshalb war Lucy immer so besorgt um ihn. Deshalb hatte er sie beauftragt, auf mich aufzupassen. Deshalb sah man selten den einen ohne den anderen. Sie waren ein Paar.
 

Ich wandte mich ab. Wollte dieses Bild der Trauer nicht sehen. Wollte nicht den Schmerz in ihren Augen sehen. Dieser Schmerz, den ich ihnen zugefügt hatte. Aus einem Grund, den ich nicht kannte.
 

Das konnte nicht mehr so weitergehen! Zu viel Unheil war schon über diese Welt gekommen. Sie hatte wenigstens das Recht, zu erfahren, warum alles so enden musste!

Die Leere in meinem Kopf hatte die Angst vertrieben. Ob ich leben oder sterben würde, war mir im Moment ziemlich egal. Ich wollte nur noch versuchen, den Grund für all dies zu erfahren und diesem unfassbaren Leid ein Ende zu setzten.
 

Ich blickte in Richtung der steinigen Wüste.

Wo sollte ich hin? Wie konnte ich die anderen finden? Und was sollte ich sagen?

Ich wusste ganz genau, dass sie es waren, die die Stadt zerstört hatten und ich wusste auch, dass es meinetwegen geschehen war.

Wieso waren sie aber verschwunden? Ja, ich war nicht da, doch hatten sie nur diesen einen Riesen zurückgelassen, um mich später noch zu holen? Hatten sie nicht erwartet, dass wir diesem Gegner gewachsen waren?

Doch wenn noch jemand von denen hier wäre, hätten sie sich schon lange blicken lassen. Dann, wenn ich mich nicht einmal gewehrt hätte.

Also blieb mir doch nichts anderes übrig, als sie zu suchen. Wenn ich einer der großen Städte zu nahe kam, würde mich schon jemand entdecken.
 

„Hannah? Was hast du vor?“ Lucys Stimme holte mich aus meiner Gedankenwelt. Sie war aufgestanden und blickte mich mit tränenverschmiertem Gesicht an. Ich konnte nicht anders, als ihr kraftlos entgegen zu lächeln. Endlich hatte ich ein richtiges Ziel vor Augen.

„Ich werde gehen. Zu den anderen. Nur so kann ich einen Teil des Leids gut machen, das ich euch angetan habe.“ Ihre Augen weiteten sich. Sogar Taylor blickte nun zu mir hoch. Ich sah die Tränen in seinen Augen und den Schmerz, der ihn quälte. Und dennoch gab er keinen Ton von sich. Er litt stumm. Er tat mir so leid.

„Bist du verrückt? Die werden dich umbringen!“

„Ja, das weiß ich.“ Ich lächelte. Doch keine Fröhlichkeit lag darin. „Und ich weiß auch, dass ich daran nichts ändern kann. Aber ich will es wenigstens versuchen, verstehst du? Ich will wissen, warum das alles passiert ist! Außerdem habe ich so die minimale Chance einen Weg zu finden, wie man diese… Dinger von hier vertreiben kann.“ Ja, das war der Plan. Genau so und nicht anders. Einen Weg zur Vernichtung der Bakterien zu finden und dann zu sterben. Eins führt zum anderen. Mein Kopf war so klar in diesem Moment. Es gab für mich keine Alternativen. Nur diesen einen Weg.

„Hannah, nicht!“ Lucys Tränen wallten erneut auf und liefen ihr heiß über die geröteten Wangen. Ich wollte sie nicht mehr weinen sehen. Genau dafür würde ich mein Leben aufgeben.

„Mach dir keine Sorgen mehr! Bald werdet ihr hier wieder eure Ruhe haben und ein neues Leben anfangen können.“ Ich lachte. Und zu meiner eigenen Überraschung klang es aufrichtig.
 

Ich winkte ihr noch einmal zu, blickte allen Überlebenden noch einmal ins Gesicht und wandte mich in Richtung Wüste.

Auch wenn mir Lucys Schreie hinterher hallten, wusste ich doch, dass sie mir nicht nachkommen würde. Zu groß waren Angst und Trauer. Und vielleicht wusste sie, dass das der einzige Weg war… Dass das meine gerechte Strafe war…
 

Die Sonne brannte vom Himmel. Einen Schritt nach dem anderen. Die Spuren im Sand verschwanden schon wenige Sekunden nach ihrer Entstehung. Der Wind trug sie ungesehen davon.

Ich wusste nicht, wohin ich lief. Ich wusste nicht, wie lange ich in dieser Hitze ohne Wasser überleben konnte. Es war dumm so überstützt aufzubrechen, doch selbst mit längerer Planung wäre aus der völlig zerstören Stadt nichts mehr zu retten gewesen.

Dennoch würde es schwierig werden, mein Ziel lebend zu erreichen. Was für eine Aussicht. Gut, wenn alles Mal nach Plan läuft…
 

Ein seltsames Knacken ließ mich aufblicken. Ich war mir sicher, etwas gehört zu haben, doch es war weit und breit nichts als Sand und Gestein zu sehen.

Machte diese fürchterliche Hitze mich schon verrückt? War ich kurz davor durchzudrehen? Wieso musste das ausgerechnet mir passieren…?
 

Erneut dieses Geräusch. Es klang… wie ein Tier? Aber, was machte ein Tier hier in der Wüste?

Ein kalter Schauer rann über meinen Rücken. War das der Grund, weshalb die Männer bei ihrem Trip so bewaffnet waren? Gab es hier wirklich wilde Tiere? Was sollte ich tun?
 

Das Geräusch wurde lauter und ich sah, wie sich etwas zwischen den Felsen bewegte. Etwas Kleines, schnelles. Ein Knurren erfüllte die Luft. Viel zu schnell blickte ich von einer Richtung zur anderen, um den Ursprung des Geräusches auszumachen. Erst aus dem Augenwinkel heraus entdeckte ich ein schwarzes Etwas, was von einem nahe gelegenen Stein auf mich herunter starrte. Seine weißen Reißzähne glänzten in der Sonne.

Mein Körper erstarrte. Plötzlich wollte kein Muskel mehr gehorchen.

Ich kannte dieses Tier. Wie konnte ich auch meine Ankunft auf diesem Planeten vergessen? Wie konnte ich auch diese Schmerzen vergessen…?

Seine stechend roten Augen musterten mich, während ich nichts anderes tun konnte, als zurückzustarren. Das schwarze Fell glänzte in der Sonne und einige Stellen um sein Maul herum leuchteten rötlich. War das… Blut?

Ich stolperte langsam zurück. Wollte mehr Raum zwischen den Wolf und mich bringen. Doch ich erkannte bald, dass es sinnlos war. Das Tier sprang von einem Felsen auf den Nächsten. Es kam mir immer näher und schnitt die einzigen Fluchtwege ab. Panisch sah ich mich nach einem noch so kleinen Ausweg um. Immer das Knurren des Wolfes im Ohr.
 

War es das? Sollte ich nicht einmal die Möglichkeit bekommen, wenigstens einen Teil dessen wieder gut zu machen, was ich angerichtet hatte? Mussten die Menschen weiter leiden?

Schmerzhaft prallte ich mit dem Rücken gegen einen Stein. Ich tastete nach einer Spalte, irgendetwas, was mir helfen würde. Worin ich mich verstecken könnte. Doch da war nichts. Dieser massive Fels hielt mich da, wo ich war.
 

Der Wolf sprang von einem nahegelegenen Stein herunter und landete direkt vor mir. Seine weißen Zähne gefletscht. Ängstlich blickte ich ihm in die katzenartigen Augen.

Mir war bewusst, dass es wehtun würde. Sehr wehtun…
 

Ein lautes Knallen ließ mich zusammenzucken und auch das Tier wich irritiert zurück. Suchend blickte ich mich um, aber außer Felsen und Sand war nichts zu sehen. Trotzdem hörte ich dieses Geräusch erneut und es schien, als würde es lauter werden.

Und da war noch was… Ein… Wiehern?

Erschrocken riss ich die Augen auf. Das konnte doch nicht etwa…?
 

Plötzlich brach etwas gleißend Helles zwischen den Steinen hervor. Es tat fast weh in diese Richtung zu sehen. Automatisch kniff ich meine Augen zusammen.

Das schwarze Tier sprang blitzschnell zurück und starrte dem Schimmel mit gefletschten Zähnen entgegen. Doch das Pferd ließ sich nicht einschüchtern. Es scharrte wild mit den Füßen und fauchte ohrenbetäubend laut.

Schritt für Schritt wich der knurrende Wolf zurück. Ich starrte nur unbeteiligt auf die Szene, die sich mir bot.

Doch das Risiko schien ihm zu groß zu sein, denn mit einer einzigen Bewegung war er bereits über den Felsen hinter mir gesprungen und verschwunden.
 

Wie gebannt musterte ich das weiße Pferd. Und es blickte mich an. Es blieb kein Zweifel. Sie war es.

„Koleha?“ Langsam löste ich meine verkrampften Finger von dem Felsen und stolperte auf den Schimmel zu. Wo kam sie her? Wieso hatte sie mir geholfen?

Ihre schwarze Mähne wehte sanft in der leichten Briese. Majestätisch schüttelte das Pferd ihren Kopf. Vorsichtig legte ich meine Hand an ihre Seite. Erneut zogen mich ihre pechschwarzen Augen sofort in ihren Bann.

„Koleha?“, fragte ich sie erneut mithilfe meiner Gedanken. Ich konnte einfach nicht glauben, dass es dasselbe Pferd ist, wie das, was ich vor einiger Zeit in der Stadt getroffen hatte!

„Hannah. Wie schön dich lebend wiederzusehen.“ Ich hätte vor Freude weinen können.

„Du bist es wirklich. Wie schön.“ Ein sagenhaftes Glücksgefühl schien mich einzuhüllen. Das war ein Wunder! Ich legte auch die andere Hand auf eine Seite ihres Kopfes und berührte mit meiner Stirn ihre weiche Haut.

„Geht es dir gut?“ Ich hörte Sorge in ihrer Stimme. Ich nickte leicht.

„Mir ist… nichts passiert.“ Doch gleich holte mich die Vergangenheit ein. „Aber Ian… Die Stadt…“ Meine Augen brannten und ich vergrub mein Gesicht tiefer an ihrem Hals.

„Ich weiß. Ich habe es gesehen. Nur durch ein Wunder konnte ich entkommen.“ Ihr leises Wiehern beruhigte mich.

„Es ist alles meine Schuld.“ Da war es wieder… Das bodenlose, schwarze Loch in mir drin, was alles unter Schmerzen verschlang. Sie schüttelte sanft ihren Kopf.

„Nein. Ist es nicht. Glaub mir. Du kannst am wenigsten dafür“ Mehr sagte sie nicht. Stattdessen schubste sie mich mit ihrem Kopf an. Ich sah auf. „Wo willst du hin? Was genau hast du jetzt vor?“

„Ich werde gehen. Zu Denen. Das ist alles, was ich noch tun kann.“ Mein Kampfgeist war noch nicht gebrochen. Es gab noch immer so etwas wie einen Funken Hoffnung in mir.

„Dann steig auf. Ich bringe ich zu ihnen.“ Ich erstarrte.

„Nein! Nein, das geht nicht! Sie würden dich töten! Du…“ Ich schüttelte den Kopf, um die Bilder zu vertreiben. Nicht sie auch noch… Koleha scharrte mit den Hufen.

„Mach dir keine Sorgen um mich. Komm. Wir haben nicht mehr viel Zeit.“
 

Ich sah ihr in die Augen. Obwohl es die Augen eines weißen Schimmels waren, sahen sie denen der Menschen unglaublich ähnlich. Ihre ganze Art und Weise erinnerte mich mehr an einen Menschen, als an ein Tier.

Es war unglaublich, wie tief man in ihre Seele blicken konnte.

Ungeduldig schüttelte das Pferd ihre schwarze Mähne. Immer wieder stupste sie mich mit ihrem Kopf an.
 

Auch wenn es mir widerstrebte. Sie schien sich absolut sicher zu sein. Und außerdem war das wahrscheinlich die einzige Möglichkeit mein Ziel zu erreichen, bevor ich in dieser Wüste jämmerlich verdursten würde.

Ich wandte mich um und stellte mich neben ihren Rücken. Doch ein Problem gab es… Wie reitet man, bitte? Das Tier überragte mich fast mit seinem Rücken! Wie sollte ich da hochkommen?

Obwohl ich Koleha nicht berührte schien sie meine Gedanken lesen zu können. Sie bewegte sich etwas zur Seite, bis sie neben einem kleineren Felsen stehen blieb. Ein perfekter Vorsprung für mich zum Aufsteigen.

Ich lächelte sie dankbar an und sprang mit einem Satz auf den Stein, um mich von dort aus auf ihren Rücken zu ziehen. Ich war nur froh, dass niemand in der Nähe war, denn elegant sah mit Sicherheit anders aus.
 

„Kann es losgehen?“, hörte ich ihre Stimme in meinem Kopf, als es mir endlich gelungen war, mich auf ihren Rücken zu setzen.

„Denke schon.“, sagte ich laut und versuchte mich an ihrer Mähne festzuhalten, ohne ihr wehzutun. Sofort galoppierte sie los. Es war ein unglaubliches Gefühl. Der heiße Wüstenwind fühlte sich zum ersten Mal erträglich an.

Mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit raste der Schimmel im Slalom zwischen den Felsbrocken hindurch.

Ich legte eine Hand auf ihren Hals.

„Wo genau willst du hin?“, fragte ich sie. Es war immer noch ungewohnt meine Fragen nur zu denken und sie nicht laut auszusprechen, doch irgendwie gewöhnte man sich daran.

„Zu ihrer momentanen Hauptstadt. Sie haben sich nahe bei uns angesiedelt. Ich habe sie dort schon einmal gesehen.“ Hauptstadt? So nah an den Menschen? Da stellt sich die Frage, wer da das größere Risiko eingegangen war…
 

Der Rest des Weges verlief ruhig. Die Sonne brannte vom Himmel und ich schwitze so stark, wie noch nie in meinem Leben. Meine Kleidung klebte an meinem Körper und meine Haare hingen mir ins Gesicht. Unangenehm.

Koleha schien die Hitze, trotz ihrer schwarzen Mähne, nichts auszumachen. Sie jagte wie ein Blitz durch die Felsbrocken, ehe diese kleiner wurden und schließlich ganz verschwanden.
 

Ich hing in dieser Zeit meinen Gedanken nach. Die wenigen Tage, die ich auf diesem Planeten verbracht hatte, kamen mir vor wie eine Ewigkeit. Es war so viel passiert. Soviel schlechtes. Soviel grausames.

Und dennoch… Ich konnte nicht leugnen, dass ich mich darüber gefreut habe, die Menschen hier kennenzulernen. Lucy, Taylor, Hugh und vor allem… Ian.

Ich wusste es jetzt. Ich fragte mich, wie ich so etwas Offensichtliches übersehen konnte… Ich hatte mich in ihn verliebt. Diesen aufgeweckten, mutigen Jungen. Den Jungen, der für mich sein Leben gegeben hatte…

Doch mir war eins bewusst. Er hatte sich um mich gekümmert, damit seine Familie, seine Freunde, in Frieden leben konnten. Das war sein wichtigstes Ziel. Und ich würde alles daran setzten, ihm diesen letzten Wunsch zu erfüllen…

Ich wischte mir die letzten Tränen aus meinem Gesicht und richtete meinen Blick in den Himmel. Dort leuchtete sie. Wenn auch nur schwach, da die Sonne ihr Licht fast verschluckte. Die Erde.

Unglaublich, wie schön sie war. Jeder Mensch sollte einmal die Möglichkeit haben, den Planeten von oben zu sehen. Vielleicht würden sie dann erkennen, wie wertvoll unsere Mutter Erde war…
 

Wir ritten den ganzen Tag. Meine Kehle brannte höllisch. Ich könnte wirklich etwas zu trinken gebrauchen. Und auch Kolehas Kräfte schienen zu schwinden. Doch sie galoppierte tapfer weiter. Auch meine Vorschläge, dass sie mal eine Pause machen sollte, schlug sie aus.

Ich war ihr unendlich dankbar für alles, was sie für mich getan hatte…
 

„Wir sind da.“ Ihre Stimme ließ mich zusammenzucken. Ich war so in Tagträume versunken gewesen, dass ich gar nicht bemerkt hatte, wie weit wir vorangekommen waren.

Vor uns lag eine Stadt. Zumindest würde ich das so nennen. Man konnte diesen Ort nicht mit denen auf der Erde vergleichen. Es waren keine Wolkenkratzer, richtige Straßen oder ähnliches zu sehen.

Diese Stadt bestand aus höchstens zweistöckigen Hütten und sogar einigen Häusern aus Stein. Die Straßen waren hauptsächlich aus festgetretener Erde oder Pflastersteinen gemacht. Die Wüste war noch nicht so weit vorgedrungen. Einige Bäume säumten die Straßen oder ragten zwischen den Häusern hervor.

Die Sonne hatte den Zenit bereits überschritten und senkte sich erneut, um der Nacht Platz zu machen.
 

Ungeschickt sprang ich von Kolehas Rücken und wäre fast noch über meine eigenen Füße gestolpert.

Mein Blick galt der fast völlig im Dunkeln liegenden Stadt. Nur ein Punkt war beleuchtet. Ein großes Feuer schien in der Mitte der Stadt zu brennen. Dort mussten sie sein…
 

Ich wandte mich zu dem weißen Schimmel und legte meine Hand erneut auf ihren weichen Hals. Ihr Kopf drehte sich so, dass ihre schwarzen Augen genau in meine blickten.

„Verschwinde jetzt von hier. Solange du noch kannst.“ Ein kleines Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. Sie legte ihren Kopf schief.

„Bist du sicher, dass du alleine klarkommst?“ Ich schüttelte den Kopf.

„Du weißt, warum ich hier bin.“ Sie senkte ihren Kopf. „Leb wohl und danke für alles.“ Schnell zog ich meine Hand zurück, um ihre Worte nicht länger hören zu können. Ich hatte Angst davor…

Wir wussten beide, dass das ein Abschied für immer war. Und es stimmte uns beide traurig. Doch eigentlich hätte ich sie nie kennenlernen dürfen. Ich war nicht Teil dieser Welt und es würde ihr erst wieder besser gehen, wenn ich auch wieder verschwunden bin.

Fremdkörper gehören nicht hierher. Und darum mussten auch diese Bakterien verschwinden.
 

Langsam setzten sich meine Beine in Bewegung. Sie fühlten sich mit jedem Schritt schwerer an. Es war kein Gutes Gefühl genau zu wissen, dass das der letzte Weg sein würde. Dass bald alles ein Ende hat. Das stand fest.

Nur wie genau das Ende aussehen würde, war noch nicht klar.

Und ich würde alles dafür tun, damit es so endet, wie ich das wollte.
 

Ohne mich umzusehen ging ich durch die Reihen von Häusern hindurch. Nur aus den Augenwinkeln erkannte ich einige ganz zerstörte Häuser. Doch scheinbar waren diese Leute dabei, die Stadt wieder aufzubauen. Überall standen Bretter, Steine und sonstiges Baumaterial herum.

Sie hatten wohl vor, länger zu bleiben.

Ein seltsames, nichtmenschliches Knurren entwich meiner Kehle, worüber ich mich selbst erschreckte. Doch meine Wut war so groß, dass ich meinen Gefühlen freien Lauf ließ. Meine noch immer verletzten Finger, ballten sich zu Fäusten. All meine angestauten Gefühle wallten in mir hoch, sodass es mir schwer fiel, mich darauf zu konzentrieren, ruhig zu bleiben. Ich hatte nur diese eine Möglichkeit und die durfte ich nicht vergeben…
 

Knirschende Geräusche mischten sich zu meinen Schrittgeräuschen. Immer mehr… Menschen kamen aus den Schatten der Häuser und schlossen sich hinter mich zu einer Traube zusammen. Ich versuchte nicht in Panik zu geraten, doch dass meine Schritte sich beschleunigten, konnte ich nicht verhindern. Auch wenn ich wusste, dass das keinen Sinn hatte.

Aber andererseits wollte ich das so schnell wie möglich hinter mich bringen…
 

Ich folgte der gepflasterten Straße, bis ich die Stadtmitte erreichte. Ein riesiges Feuer brannte auf der Mitte eines riesigen Platzes, der scheinbar kreisrund angelegt worden war.

Es sah aus, wie bei einem Osterfeuer. Bretter und Baumreste lagen neben dem brennenden Haufen und wahrscheinlich war das, was gerade verbrannt wurde, nichts anderes.

Ich blickte stur gerade aus und versuchte die vielen hundert dazugekommenen Leute einfach zu ignorieren, was mir jedoch echt schwer fiel.
 

Auf halbem Wege blieb ich stehen. Vor dem prasselnden Feuer, welches die in Dunkelheit getauchte Stadt mit leuchtenden Farben überzog, bildeten sich mehrere Silhouetten ab. Das Licht verzerrte ihre Konturen, doch ich war mir sicher, etwas wie einen Stuhl, der auf einem hölzernen Podest stand, sowie 4 Personen zu erkennen.
 

Plötzlich wurde es ganz still. Niemand rührte sich mehr von seinem Platz. Die Welt schien angehalten zu haben. Nur das Knistern des brennenden Holzes durchbrach die Stille. Funken regneten wie glitzernde Sterne vom Himmel, bevor sie auf dem Boden liegend erloschen.

„Ich hätte nicht gedacht, dass du freiwillig kommst.“ Die Stimme kam mir bekannt vor. Dieses falsche freundliche… Ich schwieg. Ein Lachen ertönte.

„So machst du uns die ganze Sache wirklich einfacher.“ Vergiss es…

„Ich bin bestimmt nicht hier, um mich euch anzuschließen. Nicht nach allem, was ihr getan habt…“ Die Worte klangen eher wie ein Knurren und meine Fäuste zuckten gefährlich. Fast so, als würden sie gleich von alleine dem Typen eine reinhauen.

„Das ist höchst bedauerlich.“ Schon wieder diese gewollt freundliche Masche…

Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen! Der Typ, der vor kurzem noch vor den Mauern der Stadt stand! Der Kerl, mit dem ich mich unterhalten hatte!

Diesmal würde er mir endlich verraten, was hier eigentlich gespielt wird…

„Ich bin hier, um zu erfahren, was das ganze Theater eigentlich soll. Warum bin ich hier? UND WARUM HABT IHR ALLE GETÖTET?“

Meine ganze Wut schien in meinem Inneren zu explodieren. Es tat regelrecht weh. Sein Lachen ertönte. Doch es lag keine Freude darin.

„Das war ein nötiges Opfer. Immerhin haben diese Menschen sich gegen uns gestellt. Wir konnten nicht zulassen, dass sie hinter ihren Mauern etwas ausheckten…“ Tränen des Zorns wallten in mir hoch und ich hatte nicht die Kraft, sie groß zurückzuhalten. Meine Sicht verschwamm.

„Aber warum?“ Diesmal war meine Frage kaum mehr als ein Flüstern.

„Weil wir dich brauchen. Du musst uns helfen. Du musst den Platz unserer Königin einnehmen.“
 

Mein Herz setzte aus. Mein Atem stockte. Was hatte der Typ da gerade gesagt? Königin? Ich starrte ihn fassungslos an. Meine Hände hingen nur noch schlaff an meiner Seite herunter.

„Ja, du wirst unsere neue Königin! Endlich werden wir die Macht bekommen, diesen Planeten gänzlich einzunehmen!“ Eine Art raunen ging durch die Menge und plötzlich änderte sich die Atmosphäre. Man konnte die Erwartung quasi riechen.
 

Mein Blick wanderte über das Podest. Die anderen Männer hatten sich keinen Millimeter gerührt, seit der Kerl angefangen hatte, mit mir zu reden.

Doch plötzlich fiel mir noch eine weitere Person auf, die ich bisher nicht gesehen hatte. Der breite Holzstuhl, der mich von der Form her an eine Art Thron erinnerte, hüllte sie fast völlig in seinen Schatten. Nur ab und zu traf ein Lichtschein die zierliche Person. Ihre langen, schwarzen Haare umrahmten in leichten Locken ihr nach unten geneigtes Gesicht.
 

Ich stolperte einen Schritt zurück.

Ein Klos hatte sich in meinem Hals gebildet. Das Atmen fiel mir schwer. Ein seltsames Schwindelgefühl befiel mich und mein Magen zog sich krampfartig zusammen.

Das… das war… unmöglich! Nein! Das konnte… einfach nicht sein!

Mein Verstand spielte mir einen Streich! Das war alles! Ja, genau, ich wurde langsam verrückt!
 

„Wie ich sehe, erkennst du sie wieder.“ Seine Stimme klang nur noch gedämpft in meinen Ohren. Das Rauschen darin übertönte sie. Meine Beine drohten unter mir wegzuknicken und ich wusste, dass ich nichts dagegen tun konnte.

Langsam hob sie ihren Kopf und als sich ihre Augen öffneten und sie mich ansah, gaben meine Beine endgültig nach. Mit einem dumpfen Geräusch landete ich auf dem Fußboden.

Schmerzen spürte ich nicht.

Nur die grässliche Übelkeit, wenn ich in ihr Gesicht sah. Wenn ich in MEIN Gesicht sah…

Die Legende von Leben und Tod

Kapitel 13 – Die Legende von Leben und Tod
 

Ich konnte es noch immer nicht glauben…

Sie sah aus wie… ich! Es war, als ob ich in einen Spiegel sehen würde! Sie glich mir bis aufs Haar! Nur ihr Gesicht… Es sah eingefallen aus. Kraftlos blickte sie mich aus ihren blauen Augen an. Doch selbst in ihren schwachen Zügen ließ sich das Erstaunen ablesen, als sich unsere Blicke trafen.

Doch eins ihrer Gefühle schien alle anderen zu überlagern. Sie wirkte so… unendlich traurig. Es war so, als wollte sie weinen, konnte aber nicht. Gequält sah sie zu mir herüber.
 

Meine Beine zitterten. Sie fühlten sich taub an. Egal, wie oft ich versuchte aufzustehen, immer wieder knickten sie unter der Last meines Körpers weg. Ich schaffte es lediglich mich auf meine Knie zu setzen. Meine Hände bohrten sich verkrampft in die steinige Straße.

„Was soll das?“ Meine Stimme bebte. Diese Worte klangen nicht so hart und wütend, wie sie sollten. Vielmehr hörte man die Unsicherheit heraus, die meine Gedanken umnebelte. Ich kam mir in diesem Moment so seltsam allein vor.

„Es muss ein ziemlicher Schock für dich sein, hab ich recht? Deinem eigenen ‚Zwilling’ gegenüber zu stehen.“ Ich erwiderte nichts. Sein Grinsen ließ mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Ich schüttelte mich vor Ekel… Doch ich versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. Ich musste unbedingt verstehen, was hier vor sich ging!

„Das heißt also… Sie ist ich?“ Ich merkte selber, wie verrückt das klang. Und wenn ich diese verblüffende Ähnlichkeit nicht selber gesehen hätte, hätte ich mich sofort selbst in die Psychiatrie eingewiesen…
 

„Ihr habt also alles vergessen? Ihr Menschen von der Erde?“ Sein Lachen war verschwunden. Er musterte mich mit seinen stechend blauen Augen, die selbst in diesem Licht unnatürlich leuchteten.

„Vergessen?“ Wovon redete er? Was sollten wir vergessen haben? Er schüttelte mit dem Kopf. Sein gewollt freundliches Lächeln erschien wieder auf seinem Gesicht.

„Ihr seid ein wirklich seltsames Volk. Verleugnet eure eigenen Wurzeln.“ Ich schwieg und biss unruhig auf meine Unterlippe. „Selbst die Menschen auf diesem Planeten hatten es so gut wie vergessen. Sie haben verdrängt, dass diese beiden Planeten vor langer Zeit gleichzeitig entstanden sind. Aus einem einzigen Klumpen Materie. Wie Zwillinge. Und so haben sie sich auch entwickelt. Nur ein paar alte Schriften zeugen noch von der Vergangenheit dieses Systems.“ Wie bitte? Zwillinge? „Doch ihr Menschen seid egoistische Wesen. Schon bald habt ihr euren eigenen Brüdern nicht mehr getraut. Ihr habt sogar einen primitiven Krieg gegeneinander geführt.“ Er schüttelte den Kopf. Es schien so, als könnte er seine eigenen Worte kaum glauben. „Tja, auf diesem Planeten gab es einmal mächtige Männer, die es mit einer Art Zauber geschafft hatten, diese Welt für die Erde unsichtbar zu machen. Und den Bewohnern war das nur ganz recht. Und so wie es aussieht, haben sie es über tausende von Jahren einfach vergessen.“ Er lachte, ohne jede Freude.

„Was…? Wieso…?“, stammelte ich. Ich konnte das einfach nicht verstehen! Wie war so was überhaupt möglich?

„Ja, ja. Ihr seid wirklich eine interessante, aber wertlose Spezies. Wir sind viel intelligenter, als ihr es je sein werdet. Unser Vorteil ist es, dass sich beide Planeten parallel entwickelt haben. Es gibt also jeden Mensch zweimal. Glück für uns.“ Ein Raunen ging durch die Gruppen der Anwesenden. Saß ich deshalb vor dieser Frau, die genauso aussah wie ich? War sie mein Ich von diesem Planeten?

„Wie ich sehe, kannst du eins und eins jetzt zusammenzählen. Und das ist der Grund, weshalb du hier bist. Unsere Mutter ist krank. Sie wird nicht mehr lange leben. Aber wir brauchen ihre Kraft um existieren zu können.“

Plötzlich ging mir ein Licht auf. Endlich verstand ich meine Rolle in diesem kranken Spiel! Aus diesem Grund wollten diese Wesen mich unbedingt haben! Und zwar lebend… Dann war es nie geplant, dass ich bei dem Angriff auf Ategoto ums Leben kommen sollte…

Und endlich war er da! Mein allerletzter Funke Hoffnung…
 

Auf einmal spürte ich neue Kraft in mir. Meine Beine gehorchten mir wieder und ich rappelte mich vom Boden auf. Mit entschlossenem Blick richtete ich mich an den Anführer.

„Und nun soll ich ihren Platz übernehmen, hab ich recht? Darum habt ihr einen von euch in meine Welt geschickt und mich hierher geholt? Jetzt soll ich eure… ‚Mutter’ sein, ist es das, was ihr wollt?“

Das Gemurmel der Masse wurde lauter, artete fast in Geschrei aus. Sie kamen näher an mich heran. Ich versuchte ruhig zu bleiben und mich bloß nicht vom Fleck zu rühren. Ich musste den Drang unterdrücken, wegzulaufen. Wenn ich diese letzte Chance nutzen wollte, dann durfte ich jetzt keinen Fehler machen.

Lucy, Taylor, die anderen,… Ian. Ich sah noch einmal ihre Gesichter vor mir. Spürte ihre Angst, ihre Hoffnung. Und ich war diejenige, die es beenden konnte…
 

Die Menge blieb nur wenige Schritte hinter mir stehen. Ich fühlte ihre Präsenz, was mir eine Gänsehaut bereitete. Und aus den Augenwinkeln sah ich genau das, was ich jetzt brauchte.

„Du wirst uns unser Leben schenken. Dank dir werden wir diesen Planeten endlich verlassen können! Und danach werden wir diese sterbende Welt für immer hinter uns lassen und auf die Erde übersiedeln!“ Erneut staute sich Wut in mir auf. Als ob ich das zulassen würde…

Nun würde sich das Training mit meiner Freundin Alex bezahlt machen…
 

Mit einem einzelnen Schritt und einem gezielten Griff an den Gürtel eines Mannes, hatte ich endlich die Hoffnung in meiner Hand.

Ein Aufschrei ging durch die Menge, als ich einige Schritte an das Podest heran wankte. Vorsichtig ging ich die wenigen Treppen hinauf und blickte in die versteinerten Gesichtsausdrücke der Männer. Niemand rührte sich. Meine Doppelgängerin sah mich weiterhin nur müde an. Das Leben rann aus ihrem – meinem – Körper heraus.
 

„Was… hast du vor?“ Nun war es an mir, den Typen anzulächeln.

„Du hast gesagt, ihr braucht mich, stimmts? Ohne mich könntet ihr nicht länger überleben?“ Ich sah, wie das Feuer in den tiefen Furchen seines Gesichtes tanzte und seine Züge seltsam verzerrte. Unfassbar, wie unmenschlich ein Mensch aussehen könnte.

„Du willst doch nicht…?“ Ich nickte bloß zur Antwort und genoss den Blick des Mannes. „Das wagst du nicht…! Ihr Menschen seid nicht so! Ihr wollt nicht sterben! DU WÜRDEST DICH NICHT SELBST UMBRINGEN!“

Langsam hob ich das kalte Eisen in meiner Hand. Es fühlte sich an, als wöge es hunderte Kilo. Meine Hände zitterten. Ich hatte Angst. Furchtbare Angst vor dem, was ich gleich tun musste. Und doch wusste ich, dass es nötig war. Ich wollte etwas tun können. Und jetzt durfte ich nicht zögern…

„Ihr habt so vielen Menschen leid zu gefügt. Und ihr nennt uns Menschen egoistisch! Das ich nicht lache! Ihr seid viel schlimmer! Solche Kreaturen wie ihr es seid, haben es nicht verdient zu leben! Eine Laune der Natur… Mehr nicht. Das ist alles, was ihr seid! Und ich werde nicht zulassen, dass ihr noch einen Planeten zerstört! Nicht, wenn ich es verhindern kann!“
 

Und dann geschah alles ganz schnell. Und doch konnte ich jede Bewegung wahrnehmen. Ich konnte alles sehen.

Rote Flüssigkeit sammelte sich auf dem Holzboden. Wie ein leuchtend roter See spiegelten sich die einzelnen Tropfen im Schein der Flammen.

Unsagbares, unmenschliches Heulen erfüllte die kalte Luft dieser Nacht.
 

Ich spürte noch, wie mein Körper mit einem dumpfen Knall aufschlug, ehe alles ganz plötzlich taub wurde. Ich fühlte mich so… unglaublich leicht, als ich ein letztes Mal in den sternenbedeckten Himmel sah. Und SIE leuchtete direkt über mir. Dieser wundervolle, blaue Planet. Meine Familie, Alex,… Verzeiht mir.

Meine Sicht verschwamm unter den Tränen, die ich nun nicht mehr zurückhalten konnte. Die Töne wurden dumpf und so unendlich leise, bis sie völlig verstummten.
 

Hatte ich es geschafft? Hatte ich wenigstens einen kleinen Teil wieder gutmachen können?

Auch, wenn es für diesen Planeten scheinbar schon zu spät war.
 

Immer weniger Luft füllte meine Lungen. Ich hatte nicht mehr die Kraft, um zu atmen.

Ich fiel, immer tiefer ins schwarze Nichts.

Ein letzter Atemzug. Stille.
 

*********
 

Ich seufzte. Wieder hatte ein neuer Tag angefangen. Und wieder würde er so langweilig und unerträglich werden, wie die Tage zuvor. Und das ging schon seit Wochen so.
 

Langsam schlich ich die Straße entlang; starrte stur auf den Fußboden. Noch immer hoffte ich, sie würde auftauchen. Meinen Namen rufen und mich anlächeln. So, wie sie es sonst immer getan hatte.

Doch ich wusste, dass das bloß ein alberner Wunsch war…
 

„Alex!“ Vor schreck blieb ich stehen. Es dauerte einige Sekunden, ehe ich begriff, wo ich eigentlich war. Irgendwie war ich bei der Schule angekommen, ohne es zu merken. War ich so sehr ins Träumen geraten? Ich sollte besser aufpassen…

„Alex! Hey!“ Wieder rief jemand meinen Namen. Ich sah mich nach der Stimme um. Ein Junge mit kurzen, braunen Haaren kam winkend auf mich zu gerannt. Auch wenn er lächelte, sah man ihm doch an, dass es ihm nicht gut ging. Auch er litt. Genau wie ich…

Ich zwang mich zu einem kleinen Lächeln. So wie es sich anfühlte, schien es aber eher eine furchteinflößende Grimasse geworden zu sein. Er ignorierte es und sagte dazu nichts.

„Hey, Jan!“, begrüßte ich ihn. „Na, bereit für drei Stunden Mathe?“ Es sollte ein Scherz sein, doch irgendwie klang das eher nach dem Weltuntergang.

„Erinnere mich nicht daran! Nur weil wir eine Vertretungsstunde bei diesem Idioten haben, meint der gleich, eine seiner Paraden abziehen zu müssen…“ Er seufzte.

„Ja, ja.“, nickte ich zustimmend und damit war unser Gespräch vorerst beendet.
 

Ihm war Hannahs Unfall ebenfalls sehr nahe gegangen und an jedem Tag fehlte sie allen schrecklich. Sogar die anderen aus unserer Gruppe sahen, wenn das überhaupt ging, noch trauriger aus, als sie es eh schon taten.

Besonders Felix und Alena, unsere Goths, hatten einen Gesichtsausdruck aufgesetzt, dass selbst wir, ihre Freunde, uns nicht trauten, sie anzusprechen.

Unglaublich, wie das alles passieren konnte. Nur, weil so ein betrunkener Mistkerl sein Auto nicht unter Kontrolle hatte, ist Hannah…

Ich schüttelte den Kopf. Wenn ich diesen Tag überstehen wollte, durfte ich nicht einmal daran denken. Mir war klar, dass der Heulkrampf durchaus den ganzen Tag dauern könnte…
 

Die Schulglocke läutete. Ich blickte desinteressiert auf. Ohne Hannah war die Schule einfach zum Kotzen. Noch mehr als sonst. Ein tiefes Seufzen. Dann wollen wir mal…
 

„Alexandra Maier?“ Ich hielt inne. Ein großer, blonder Junge war plötzlich neben mir aufgetaucht und lächelte mich freundlich an. Ich zog eine Augenbraue hoch.

„Ja?“ Es war mehr eine Frage als eine Antwort.

„Ich habe dich gesucht. Zum Glück habe ich dich gefunden.“ Langsam wurde mir das Ganze etwas suspekt.

„Wie bitte?“
 

„Alex? Kommst du?“ Jan, der nicht mit mir stehengeblieben war, sah mich nun mit fragendem Blick von der Eingangstür aus an. Einige wenige Schüler drängten sich noch an ihm vorbei.

„Geh schon mal vor!“, rief ich ihm entgegen woraufhin er nur mit den Schultern zuckte und weiter ging.

Ich widmete mich wieder dem blonden Kerl. Der Schulhof war inzwischen leer.

„Wer bist du und was willst du?“ Ich musterte ihn von oben bis unten. Eigentlich sah er ziemlich… süß aus. Er lächelte immer noch.

„Ich glaube, ich kann dir etwas erzählen, was dich sehr interessieren dürfte. Und als Gegenleistung brauche ich deine Hilfe…“
 

Ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht warum, aber ich hatte das Gefühl, als könnte ich ihm vertrauen. So, als würde ich es bereuen, wenn ich ihm nicht zuhören würde. Ich stemmte meine Hände in die Hüften und sah ihn schief an.

„Dann fang mal an.“
 

**************
 

„nnah… Ha… na… Hannah?“

Da war es wieder. Dieses seltsame Gefühl. Es fühlte sich an, als würde ich nicht existieren. Als hätte ich keinen Körper. Nur ein kleines Staubkorn in einem unendlichen, schwarzen Raum. So wunderbar leicht…

Und doch gab es da etwas. Etwas Wichtiges. Auch, wenn ich nicht wusste, was es war… Es ließ mir keine Ruhe. Immer wieder schien es mich wie eine unsichtbare Nadel zu stechen. Kurze, kleine Stiche, die mich drängten. Sie drängten mich, mich an etwas zu erinnern.

Und ich wollte es. Mich erinnern. Es wissen. Ich wollte endlich diesen kalten Ort verlassen!
 

„Sieh nur! Ihre Lider…!“ Nun nahm ich sie klarer war. Diese Stimme. Sie war mir… so vertraut. Und dann wurde es wieder still. Das Atmen mehrer Personen erfüllte die Dunkelheit.

Das Gefühl kehrte langsam in meinen Körper zurück. Ich spürte, wie sich meine Finger bewegten. Und dennoch… fühlte es sich anders an. Es kam mir vor, als wöge jeder Einzelne mehrere Zentner. Wieso war mein Körper plötzlich schwer wie Blei?

Ich versuchte meine Augen zu öffnen, doch meine Lider wollten sich nicht heben. Bei jedem Versuch befiel mich wieder ein Schwindel, der mehr als unangenehm war.

„Hannah? Hörst du mich? Hannah?“ Eine weibliche Stimme. Sie klang traurig. Verweint. Wer weinte da um mich? Und warum? „Bitte… wach auf.“

Ja. Ja, wollte ich sagen. Ich wollte der Stimme antworten. Dafür sorgen, dass sie nicht mehr weint.
 

Ein heftiger Stich in meinem Bein, ließ mich verkrampfen. Ein schmerzerfülltes Stöhnen erklang und es dauerte etwas, bis ich begriff, dass ich dieses Geräusch machte.

„Was… hat sie? Was ist los?“ Die Stimme neben mir klang aufgewühlt. Schritte ertönten. Aufgeregt lief jemand an mir vorbei. „Ich… ich hole einen Arzt!“
 

Und plötzlich war alles… klar. Ich sah alles so klar vor meinem inneren Auge, wie ich es noch nie getan habe. Ich wusste, WER ich war und ich wusste WO ich war. Auch wenn ich keine Ahnung hatte, WIESO ich hier war.

„Alex, warte.“ Die Schritte hielten inne.

Langsam öffnete ich meine Augen. Das gleißende Licht der Leuchtstoffröhren blendete mich, doch ich ließ mich nicht lange davon abhalten. Ich drehte meinen Kopf in die Richtung, in die die Schritte verschwunden waren. Dort, vor der Tür, stand sie. Ihre blonden Haare waren achtlos zu einem Pferdeschwanz gebunden und ihre Haut war blass. Ihre weit aufgerissenen Augen starrten mich an, als hätte sie einen Geist gesehen.

Ich konnte nicht anders, als bei ihrem Gesichtsausdruck zu lächeln.

„Hey. Ich bin wieder da.“ Getroffen von der Wahrheit meiner eigenen Aussage, standen mir plötzlich Tränen in den Augen. Langsam sickerte es zu mir durch: Ich war wieder Zuhause! Ich hatte es tatsächlich geschafft, zurück zur Erde zu kommen! Meine Familie, meine Freunde… ich hatte noch einmal die Möglichkeit, sie wiederzusehen!

„Hannah!“, schluchzte meine Freundin, stürzte auf mich zu und fiel mir in die Arme. Es gestaltete sich zwar als schwierig, weil ich immer noch auf einem Bett lag, aber ich war so froh sie wiederzusehen.
 

„Was… ist passiert?“, fragte ich sie, als wir uns wieder voneinander lösten. Mühsam wischte ich mir mit meinen kribbelnden Händen die Tränen aus den Augen. Alex schluckte kurz und versuchte ebenfalls, sich zu beruhigen.

„Du hattest einen Unfall. Du hast über zwei Monate im Koma gelegen. Die Ärzte hatten dich schon aufgegeben. Nur dank deiner Eltern haben sie die Maschinen noch nicht abgestellt. Und als du dann noch dieses seltsame Fieber bekommen hattest und die Ärzte meinten, du hättest dich irgendwie… vergiftet oder so, bin ich völlig panisch geworden! Sie konnten dich gerade noch durch eine Spritze retten!“ Ich schluckte. Die Wölfe! Darum konnte mir das Gift nichts anhaben! „Ich hatte solche Angst, dass du…“ Doch dann gewannen die Tränen wieder die Oberhand. Sie presste ihre Hände vors Gesicht und weinte hemmungslos.
 

Das war also passiert. Ich hatte… die Erde nie verlassen. Ich lag die ganze Zeit in einem berliner Krankenhaus. Hatte ich das alles etwa… nur geträumt? Gab es diesen Planeten gar nicht? Gab es Lucy, Taylor,… Ian und all die anderen nicht? War das nur ein… Koma- Traum?

„Ich bin so froh, dass du zurückgekommen bist.“ Alexandras Stimme war nur leise und so dachte ich erst, ich hätte mich verhört. Zurückgekommen?

„Was… meinst du?“ Wovon redete sie?

„Na deine Erlebnisse auf diesem anderen Planeten. Du weißt schon, Ategoto oder so was.“ Mir klappte die Kinnlade herunter. Wie bitte? Sie WUSSTE etwas von meinem Ausflug? Dann war das also… kein Traum?

„Aber woher…?“ Nun sah auch sie mich fragend an.

„Ian hat es mir erzählt.“ Das wars. Jetzt herrschte Sendepause in meinem Gehirn. Es waren nur ein paar Worte und doch war mein Kopf nicht in der Lage sie zu verarbeiten. Ian? Woher kannte Alex seinen Namen? Wie konnte er es ihr erzählt haben? Er war doch…?!
 

„Ich muss mich wohl schuldig bekennen.“ Eine weitere Stimme ließ mich zusammenzucken. Ich hatte bis eben nicht gemerkt, dass noch jemand im Raum war.

Ein blonder Junge hatte am Fenster gelehnt und kam nun langsam auf mich zu. Ein breites Grinsen im Gesicht. Aber das war doch… unmöglich!

„I-an?“, meine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern bevor sie ganz abbrach. Er sah wirklich aus wie… Sein Gesicht! Aber wie war das möglich?

„Sieht so aus, als wäre ich das wirklich.“ Er lachte. „An mein neues Aussehen muss ich mich aber erst gewöhnen.“ Erst jetzt bemerkte ich es. Seine lockere Kleidung hatte er gegen ein Hemd mit Krawatte und eine Stoffhose getauscht. Er sah viel erwachsener aus, als ich ihn in Erinnerung hatte. Seine Haare waren kurz und blond und mit viel Gel nach oben aufgestellt. Obwohl sein Gesicht identisch war, wirkte er doch wie ein anderer Mensch.

„Wie…?“ Ich war nicht imstande einen klugen Satz hervor zu bringen. Ich konnte ihn nur dumm anstarren.

„Ja, so habe ich auch zuerst geguckt.“ Er kam näher und blieb neben meinem Bett stehen. Ich sah zu ihm auf. „Scheinbar existiert jeder Mensch zweimal. Einmal hier auf der Erde und einmal auf dem Planeten, auf dem wir uns vor kurzem noch befunden haben. Und irgendwie ist mein Bewusstsein in diesen Körper gelangt. Nach meinem… Tod. Ich sehe beide Leben in meinen Erinnerungen. Es ist, als hätte ich zweimal gelebt. Ein seltsames Gefühl.“

„Du meinst…? Ja, ich habe auch ein Mädchen gesehen, das aussah wie ich.“ Mein anderes Ich.

„Genau. Und weil sie existiert hat, scheinst du deinen Körper nie verlassen zu haben. Dieselbe Person kann nicht zweimal existieren. Du warst auf unserem Planeten nur so etwas wie ein… Geist? Ich weiß nicht, wie man es nennen könnte.“
 

Endlich ergab es einen Sinn. Die Puzzleteile fügten sich zusammen. Darum hatte ich immer diese Schmerzen am Bein, obwohl ich dort nie etwas sehen konnte! Es musste eine Verletzung gewesen sein, ich bei mir bei diesem Autounfall zugezogen hatte! Schnell hob ich die Decke und verschwand kurz darunter. Mein Bein! Ich hatte recht! Und eine Narbe. Direkt über meinem Herzen…

„Hannah?“

„Ein Verband. Mein Bein liegt im Gips. Darum hatte es immer so wehgetan, obwohl dort gar keine Wunde war!“ Ich tauchte unter der Decke wieder auf. Ian hatte seine Augenbrauen fragend nach oben gezogen und auch Alex schien nicht zu wissen, was ich meinte.
 

Auf einmal musste ich lachen. So hatte ich schon lange nicht mehr gelacht. Ich war in diesem Moment so unglaublich glücklich, ich hätte die Welt umarmen können!

„Ob wir die anderen auch wiedersehen?“ Lucy, Taylor und all die Menschen, die ich kennengelernt hatte?

„Ja, das wäre gut möglich.“ Ian grinste.

„Aber scheinbar können sich nur die Menschen an das erinnern, was in dieser anderen Welt passiert ist, die etwas mit Hannah zutun gehabt hatten.“ Ich sah Alex fragend an. Wie kam sie auf die Idee? Auch Ian starrte sie verständnislos an. Meine Freundin seufzte. „Na, ich habe noch nie von jemandem gehört der meinte, er hätte auf einer anderen Welt gelebt. Und ICH wüsste davon auch nichts.“, gab sie etwas gereizt zurück. Hielt sie uns für so begriffsstutzig? Aber ich musste zugeben, an ihrer Theorie könnte was dran sein.

„Aber wie… hast du mich gefunden?“ Es machte mich doch tierisch neugierig. Er zuckte wenig interessiert mit den Schultern.

„Du hattest die Stadt, in der du lebst, erwähnt und einmal, als du geschlafen hast, hattest du Alex’ Namen geflüstert. Also habe ich, nachdem ich mich erinnern konnte, nach ihr gesucht und sie hat mich dann hierher gebracht.“ Alex nickte zustimmend.

„Verstehe.“, meinte ich zwar, doch noch immer brannten mir tausend Fragen auf der Seele.
 

Doch darüber konnten wir uns auch später noch Gedanken machen. Erst einmal war etwas ganz anderes wichtig…

Ich schob meine Beine – samt Gips - über die Bettkante und versuchte aufzustehen.

„Hannah, hey! Bleib liegen!“ Ian packte mich an den Armen und versuchte mich zurück ins Bett zu drücken, doch ich ließ es nicht zu. Ich legte meine Hände auf seine Schultern und zog mich zu ihm herauf.

„Es tut mir leid, dass du meinetwegen… Ich danke dir. Für alles.“ Und dann tat ich das, was ich schon viel früher hätte tun sollen. Meine Lippen legten sich sanft auf die des jungen Mannes, der den Kuss, wie versteinert, empfing.
 

Mein ganzer Körper zitterte. Angst befiel mich. Die Angst, dass er mich von sich stoßen würde.

Was, wenn er gar nicht so fühlte, wie ich? Wenn ich für ihn nur eine gute Freundin war?

Nach einer gefühlten Ewigkeit löste ich mich von ihm. Noch immer hatte er sich keinen Millimeter bewegt. Schnell nahm ich meine Hände von seinen Schultern und ließ mich zurück auf das Bett fallen. Beschämt sah ich auf den weißen Fußboden. Nur ein Teil der bunten Gardine war am Rande meines Sichtfeldes zu sehen.

Mein Herz schlug immer noch wie wild. Vor Freude gleichermaßen wie vor Angst. Was, wenn er in dieser Welt bereits eine Freundin hatte? Was, wenn er zwar seine Gedanken, aber nicht seine Gefühle aus der anderen Welt übertragen wurden?

Hatte ich gerade unsere Freundschaft zerstört?
 

„Hannah!“ Ein Aufschrei ließ jeden zusammenzucken und alle richteten ihren Blick auf die Tür. Ein blondes Mädchen mit Pferdeschwanz stand keuchend im Türrahmen und starrte uns an. Erschrocken riss ich die Augen auf. Sie war es!

„Lucy!?“ Meine Kehle war trocken und mein Herz wusste nicht, ob es schneller schlagen sollte als sonst, oder gar nicht mehr.

„Gefunden… Ich habe dich gefunden!“, kreischte sie und stürmte auf mich zu. Ian konnte ihr gerade noch ausweichen, sonst hätte er ebenfalls auf meinem Bett gelegen. Ich kämpfte mit den Tränen, als ich mit dem Rücken auf meinem Bett lag. Sie auf mir drauf. „Was hast du dir bloß dabei gedacht? Mach das bitte nie, nie wieder! Ich hatte solche Angst um dich!“

„’Tschuldige.“, war alles, was ich hervorbringen konnte. Nie hätte ich gedacht, dass ich sie jemals wiedersehen würde.

„Hey Lucy! Du zerquetscht sie noch, wenn du so weitermachst!“ Ian schien sich wieder gefangen zu haben und ließ sich nichts anmerken. Er lachte ausgelassen. Seine Stimme ließ die blonde Frau auf mir zusammenzucken. Innerhalb einer Sekunde stand sie wieder und betrachtete den Jungen. Er schien ihr jetzt erst aufgefallen zu sein.

„Das ist doch nicht… möglich. Ich habe dich… Du warst doch…?! IAN!“, stammelte sie und sprang ihm an den Hals.

Ich musste bei Ians hilflosem Gesicht lachen. Mir fehlten die Worte. Wie konnte ein Mensch nur so glücklich sein? Und das, ohne zu platzen?

Ich richtete mich wieder auf und sah den beiden zu, wie sie durch das halbe Zimmer wankten. Nur dank Ian standen sie überhaupt noch.
 

„Lucy, Lucy! Bitte! Ich ersticke!“, bettelte der Blonde und die junge Frau ließ tatsächlich locker. „Danke.“, keuchte er und Lucy versuchte, die Tränen aus ihren Augen zu vertreiben.

„Was ist passiert?“ Meine Stimme klang leise und jeder hier im Raum musste meine Nervosität spüren. Die Blonde schien kurz zu überlegen.

„Genau sagen,… kann ich es dir auch nicht. Gerade kurz bevor die Sonne aufgehen wollte, fing plötzlich die Erde an heftig zu beben. Risse überzogen die Wüste und einen Tag später brach der Vulkan aus. Es war schrecklich…“ Sie schluckte… „Innerhalb wenigen Tagen waren alle tot…“

Der Gedanke ließ mich erschaudern. Der Kerl hatte Recht gehabt. Der Planet war am Ende gewesen. Sie sind alle gestorben…
 

„Wenn wir uns alle, wo wir doch gestorben sind, in dieser Welt erinnern können, dann müssen wir Taylor finden! Er muss auch hier sein! Und soweit ich weiß, habe ich auf diesem Planeten zurzeit keinen Freund.“ Sie sah wirklich aus, als müsste sie darüber nachdenken. Ich kicherte. Sie kannte mich genau. Mit diesem Satz hatte sie alle Anspannungen zerstreut.

„Hilf mir Ian! Er ist immerhin - so was wie - dein Bruder! Hannah, wir sehen uns später! Lauf bloß nicht wieder weg! Es gibt so vieles, was ich dir erzählen will!“ Sie packte Ian am Arm und lief auch schon in Richtung Tür, doch der Blonde schaffte es gerade noch, sich loszumachen.

„Geh schon mal vor, ich komme gleich nach!“, doch sie war schon aus dem Zimmer verschwunden. Ian seufzte und versuchte erst einmal seine Kleidung wieder zurecht zu rücken. Und dann sah er mich an. Das Blut schoss in meine Wangen und ein komisches Rauschen erklang in meinen Ohren.

„Wir beide sprechen uns später noch.“, grinste er, beugte sich zu mir herunter und drückte mir einen sanften Kuss auf die Lippen. Ich erstarrte. „Wie Lucy schon gesagt hat: Lauf nicht weg.“ Er kicherte und verließ das Zimmer.
 

In meinem Kopf drehte sich alles. Es war nicht in der Lage die neuen Entwicklungen zu verstehen. Doch mein Herz schien es schneller kapiert zu haben…

Erst ein weiteres Gewicht auf der Matratze neben mir, brachte mich dazu, aus meiner Starre zu erwachen.

„Ich glaube, es gibt so einiges, was du mir erzählen musst.“ Ich nickte.

„Sieht so aus.“, lächelte ich.

„Und scheinbar werden in nächster Zeit noch einige seltsame Gestalten in unser Leben stürmen, stimmts?“

„Ja. Höchstwahrscheinlich.“ Sie seufzte.

„Ich bin nur froh, dass du wieder da bist.“

„Das kannst du laut sagen.“
 

Erst, wenn man etwas verloren hat, versteht man die Bedeutung und erkennt die Wichtigkeit jedes noch so kleinen Augenblicks. Mir war es vergönnt, mein Leben weiterzuführen. Dort, wo ich sein wollte. Bei den Menschen, die ich liebte und die ich neu lieben gelernt hatte.

Dieses Erlebnis, dieses andere Leben, wird immer ein Teil von uns bleiben, egal, wie sehr wir uns auch wünschen mögen, es vergessen zu können. Doch gerade solche Erinnerungen machen uns zu dem, was wir heute sind. Wir sollten nicht das Vergangene ändern wollen, sondern sehen, wie wir es in Zukunft besser machen können.

Denn ohne Zukunft, würden wir immer in der Vergangenheit leben.


Nachwort zu diesem Kapitel:
ENDE :D Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (43)
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Von:  Tanuma
2015-01-10T23:40:48+00:00 11.01.2015 00:40
Hallo MarySae,
Vielen Dank für deine Teilnahme an meinem Schreibwettbewerb – hier mein Feedback :)
Von Anfang an hat mich deine Geschichte gleich gefesselt und ich hab jedes Kapitel regelrecht verschlungen. Ian und Hannah *____* Ich fand das Ende auch wirklich sehr sehr süß! Du hast deinen Schreibstil wie ich finde kontinuierlich verbessern können und ich hab das Lesen sehr genossen. Bitte weiter so! ^__^

MfG
Tanuma
Von:  Flordelis
2011-08-04T12:24:59+00:00 04.08.2011 14:24
Das letzte Kapitel... *tief durchatme*
Gut, dann fange ich an. X3

Oh, ich hab am Ende so weinen müssen. Q_Q
Es war so schön, zwar ein wenig kitschig und eigentlich typisch Hollywood, aber who care's?
Es war ein tolles Ende, mit dem sicherlich alle Charaktere glücklich sind und ich auch. *nick nick*
Ich finde aber, wir sollten Hugh suchen gehen. *Hugh-Fan-Fähnchen schwenk*

Abschließend muss ich wirklich sagen, dass ich die Story echt toll fand. Zwar ein wenig kurz, aber besser als wenn du es künstlich in die Länge gezogen hättest, das ist immer schlecht.
Wie bereits gesagt, dein Schreibstil hat sich in all den Kapiteln deutlich verbessert, blieb aber dennoch als deiner erkennbar und alles in allem war es echt toll zu lesen. =)

Ich schließe mich Meyara an und bedanke mich für diese tolle Geschichte und werde in den nächsten Tagen bestimmt auch noch in andere Geschichten von dir reinsehen. =)

LG
Alona
Von:  Flordelis
2011-08-03T13:00:12+00:00 03.08.2011 15:00
Ein super Kapitel! *o*
Vor allem fällt einem extrem die Verbesserung auf, die du in all den Kapiteln gemacht hast. Deine Wortwahl wurde noch ein wenig feiner, deine Grammatik leichtfüßiger, das gefällt mir sehr gut.
Auch das Ende dieses Kapitels fand ich wieder toll, mir scheint, du schreibst die Enden genau nach meinem Geschmack. XD

Nur noch ein Kapitel, dann ist es vorbei. ._.

LG
Alona
Von:  Flordelis
2011-08-02T13:14:13+00:00 02.08.2011 15:14
Nicht Ian! Q___________Q
Also mir hat auch dieses Kapitel wieder sehr zugesagt. Bin mal gespannt, wie und ob aufgeklärt wird, was in der Stadt geschehen ist.
... Ian. Q_Q

LG
Alona
Von:  Flordelis
2011-08-01T14:39:18+00:00 01.08.2011 16:39
Das Kapitel hat mir sehr gut gefallen. *IanxHannah-Fähnchen von Meyara gekauft hat, um damit zu schwenken*
Das Ende ist so schön dramatisch und stimmungsgeladen und ich bin schon gespannt, was da noch auf Hannah zukommen wird. Die folgenden Kapiteltitel sind ja schonmal sehr "Wow".

LG
Alona
Von:  Flordelis
2011-07-31T16:08:10+00:00 31.07.2011 18:08
Wäh, jetzt ist die Story ja bald vorbei. D:
Muss danach schauen, was du sonst noch so hast. ;)

Hannahs Kichern beim Mittagessen war mir irgendwie unheimlich. Ich meine, sie redet da darüber, dass sie möglicherweise ausgeliefert wird und kichert dabei dauernd rum. XD
Hatte aber dadurch auch eine sehr interessante Note, muss ich sagen.

Oh, Pferde! Einhörner! *_*
Ich will auch~ D:

Das Ende macht einen wirklich neugierig darauf, was als nächstes passiert. Wobei ich auch darauf tippe, dass sie wieder auf der Erde ist.
He he, ich seh es ja demnächst. ^^

LG
Alona
Von:  Flordelis
2011-07-30T15:03:15+00:00 30.07.2011 17:03
Nach ein paar Tagen "Abstinenz" mach ich mal wieder weiter. ^^

Was macht Hannah eigentlich so sicher, dass die Infizierten wegen ihr kommen? Vielleicht wollen sie nur ein paar neue Opfer. =)
Okay, gut, sie kommen doch wegen ihr, aber was machte Hannah da so sicher?
Mir gefällt aber dieses sehr höfliche Verhalten der Infizierten und deren plötzliches Verschwinden.
Ich bin mal gespannt, was sie von Hannah wollen.

LG
Alona
Von:  Flordelis
2011-07-25T09:56:17+00:00 25.07.2011 11:56
Hmm, also ich hab nicht zu bemängeln, dass das Kapitel nicht fesselnd genug gewesen wäre. Besonders die Tagebuch-Einträge haben mich in ihren Bann gezogen, muss ich sagen.
Der Streit am Ende war auch gut inszeniert, mir gefällt, dass Hannah endlich den Mund aufbekommen hat - ich wäre schon längst ausgeflippt bei dem ganzen "Verräter"-Gerede. Ich verstehe ja, dass die Menschen da misstrauisch sind, aberich finde auch, dass sie leeeeeeeeeeeeeicht übertreiben. Hannah wäre ja schön blöd, die Menschen nicht schon längst verraten zu haben, wenn die doch dauernd darüber reden, sie einfach zu töten. Als echter Spion müsste sie ja befürchten, dass ihre Mission mit ihrem Tod endet, bevor sie diese erfüllen kann.
Also, gutes Kapitel~ =)

LG
Alona
Von:  Flordelis
2011-07-24T14:32:34+00:00 24.07.2011 16:32
Nicht, nachdem ich wusste, dass ich nie wieder hier wegkommen konnte…
Warum? :>
Wenn wir die Raketenforschung schnell vorantreiben... okay, sorry. :,D

Am Ende musste ich wieder fast weinen. Hannah tut mir so Leid. Es muss furchtbar sein, einerseits so "nah" an Zuhause zu sein, dass man es sehen kann und gleichzeitig doch so weit entfernt... =/

LG
Alona
Von:  Flordelis
2011-07-22T15:54:06+00:00 22.07.2011 17:54
Hugh ist mir richtig sympathisch, ich mag ihn bislang~

Oder war ich doch… tot?
Ich muss gestehen, ganz am Anfang dieses Kapitels hatte ich diesen Gedanken auch plötzlich. Also, nicht direkt. Meine Vermutung war eher, dass sie ins Koma gefallen war oder kurz davor war zu sterben und dadurch in ihrem Gehirn verschiedene Mechanismen in Gang gesetzt wurden, die ihr dieses Erlebnis vorgaukeln.
Hmm, mal schauen, was am Ende wahr ist.

Ich mag das Ende dieses Kapitels, dass Hannah erkennt, dass sie Lucy und Amanda vertrauen kann. Besonders in ihrer Situation ist Vertrauen immerhin wichtig, da braucht sie jemand auf den sie zählen kann. =)

LG
Alona


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