Zum Inhalt der Seite

Übelkeit

Rei Kashino x Makio Kirishima
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

"Ich will, dass du mir zuhörst."
 

"Wieso sollte ich das tun, Kashino?"
 

"Um dich selbst zu verletzen. Oder willst du fliehen? Hast du solche Angst davor?

Ich konnte selbst nicht ahnen, dass das passieren würde. Auch wenn du mir nicht glaubst, es war nicht geplant. Wie sollte ich wissen, wozu sich das Ganze entwickelt? Ich war nur auf ihre Feier eingeladen."
 

"Wieso bist du dann hingegangen?"
 

"Kira meinte, es wäre gut, wenn wir uns als Freunde wieder treffen würden. Es war schon lange her gewesen. Sehr lange.

Sie rief mich eines Tages an und redete mit mir, als wäre nie etwas gewesen. Ich hatte schon mit dir gerechnet, als das Telefon klingelte, doch dann war sie es. Hallo, meinte sie ganz normal. Wie es mir gehe, hat sie mich dann gefragt.

Für einen Augenblick war ich zu verwirrt, um zu antworten. Ich habe mich sogar noch gefragt, wer das eigentlich ist. Ich erkannte ihre Stimme erst später. Darum sagte ich nur zögernd, den Umständen entsprechend.

Sie gab etwas unbestimmt Belangloses zurück. Ich erinnere mich nicht, was es war. Noch immer konnte ich ihre Stimme nicht einordnen. Eigentlich seltsam.

Eine Pause war dann eingetreten und ich hörte nur das Knacken und Knistern der Telefonleitung an meiner Ohrmuschel, bis ich ihre Stimme wieder hörte, sie würden mich gern wieder sehen, Harumi und Tatsuya würden mich auch vermissen.

In diesem Moment fiel es mir endlich ein.

Kira Aso. Sie war einmal der wichtigste Mensch in meinem Leben gewesen.

Ich habe sie keinesfalls vergessen. Aber ich hatte ihre Stimme vergessen. Verrückt, dass man die Erinnerung an solche Sachen verliert. Das sollte doch normalerweise nicht passieren, oder? Na ja, du musst jetzt nicht antworten, Makio. Wahrscheinlich wirst du sowieso nicht wissen, was ich meine.

Harumi und Tatsuya... die Namen meiner alten Freunde. Das alles kam so unerwartet für mich. Harumi und Tatsuya... ich habe die Namen sogar ausgesprochen, dort am Telefon, das war mir gar nicht richtig bewusst. Aber Kira hat es gehört. Tatsuya, genau, griff sie meine Worte auf und lachte dabei nervös in den Hörer. Tatsuya hätte wohl gemeint, er wolle gern einmal wieder mit mir einen heben, wie er es nannte.

Ja, ich lachte ebenfalls, das sähe ihm schon ähnlich. Daraufhin folgte erneutes Schweigen. Ich hatte nicht das Gefühl, dass mir die Situation unangenehm sein sollte. Wahrscheinlich begriff ich noch nicht, was vor sich ging. Alles war so unwirklich. Jedenfalls entgegnete ich nichts, bis Kira schließlich ihre Frage stellte. Und?

Was und? Das war das Einzige, das ich zurückgeben konnte. Meine Unwissenheit war natürlich nur gespielt.

Sie wollten mich zu einer kleinen Feier einladen, sagte Kira, sie seufzte dabei, nur wir vier, so wie früher. Was sollte ich sagen?"
 

"Erwartest du darauf eine Antwort? Du hast doch angenommen, oder etwa nicht?"
 

"Ja, das stimmt. Ich nahm an.

Wir waren für das Wochenende verabredet. Du warst nicht da. Ich hatte dir gesagt, ich würde weggehen. Möglicherweise hielt ich es einfach nicht für nötig, dir die ganze Wahrheit zu sagen. Wozu auch? Was sollte schon passieren?

Glaubst du, dass ich dir damit wehtun wollte?"
 

"Vielleicht schon."
 

"Gut."
 

"Bist du etwa der Meinung, dass du das getan hast?"
 

"Dieses Lächeln kannst du dir sparen, Makio.

Wer weiß, ob ich mir etwas dabei dachte oder nicht. Mittlerweile spielt das keine Rolle mehr. Es ist sowieso schon zu spät.

Du warst den ganzen Tag nicht da und ich fuhr schon früh los. Ohne Helm auf meinem Motorrad, aber mit mäßigem Tempo. Ich hatte es nicht eilig. Es war später Nachmittag, als ich eintraf. Ich war weder zu früh noch zu spät. Als ich vor dem Haus stand und an der hölzernen Fassade hinaufsah, überlegte ich noch, ob ich das wirklich tun sollte. Ich kann mich nicht einmal mehr an das Wetter erinnern. Ich denke, die Sonne schien nicht und der Himmel war mit grauen Wolken verhangen. Aber das kann ich mir auch im Nachhinein nur eingebildet haben. Sozusagen Wunschdenken.

Letztendlich siegte mein Starrsinn. Ich wollte nicht den ganzen Weg gefahren sein, um dann wieder umzukehren. Und ich wollte nicht vor mir selbst wie ein Feigling dastehen. Diese ganze Geschichte war doch nur eine Kleinigkeit. Nichts weiter. Darum ging ich selbstbewusst die Stufen hoch. Unter dem Schild mit dem Namen Aso war die Klingel. Ich betätigte den Schalter. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, dass ich mein eigenes verzerrtes Spiegelbild in dem kleinen Glasfenster der Tür betrachtete. Ich grinste mir selbst entgegen. Kurz darauf wurde die Tür geöffnet.

Kira sah mich mit einem sanften Lächeln an. Sie hatte sich ihr Haar kürzer schneiden lassen. Es sah gut aus. Direkt hinter ihr stand Harumi. Ihr Gesicht spiegelte noch immer fröhliche Überheblichkeit wider. Genau wie damals. Dennoch lag ihre Hand auf Kiras Schulter, als wollte sie sie beschützen.

Sie baten mich herein.

Sofort zog ich meine Schuhe aus und ließ sie an der Seite stehen. Kira deutete stumm auf die Hausschuhe. Ich nickte und nahm mir welche. Währenddessen hörte ich Schritte, die betont lässig die Treppe herunterkamen. Als ich aufblickte, sah ich Tatsuya. Auch er grinste.

Lange nicht gesehen, sprach er mich sehr intelligent an. Ich antwortete nicht minder intelligent, Ja, lange nicht gesehen.

Es war nicht anders als früher, aber dennoch ungewohnt. Lag das an der Zeit, die vergangen war?

Wir hielten uns nicht lang unten auf, sondern gingen gleich in Kiras Zimmer. Ich war sehr erstaunt, als ich eintrat. Keine Ahnung, ob ich eine bestimmte Vorstellung von ihrem Raum im Kopf hatte, aber was ich sah, entsprach sicher nicht meinen Erwartungen. An den Wänden hingen viele Bilder, die offensichtlich von ihr selbst stammten. Menschen, Landschaften, Kulissen einer unnatürlichen Welt. Ich war fasziniert von dem Anblick. Trotzdem wandte ich meine Aufmerksamkeit schnell von Kiras Kunstwerken ab. Letztendlich wahrscheinlich aus mangelndem Interesse.

Ich setzte mich auf einen freien Stuhl.

Auf dem Tisch stand Essen, Knabberzeug und Süßkram. Kira reichte mir ein Glas, nachdem ich mir eine handvoll Chips genommen hatte. Ich hoffte, dass mir das Essen Zeit geben würde, um mir das Reden zu ersparen. Meine Freunde nahmen ebenfalls Platz, Kira auf einem Stuhl mir gegenüber, Harumi und Tatsuya auf dem Bett.

Zuerst versuchten sie gezwungen meinem Blick auszuweichen und vorbeizustarren. Kira lächelte mich schließlich an und nahm sich auch etwas, ich glaube, es war ein Stück Kuchen. Tatsuya hatte sich einem Stapel CDs zugewandt. Er grinste wieder und klapperte unüberhörbar mit den Plastikhüllen, um darauf aufmerksam zu machen, dass er einer Beschäftigung nachging. Harumi ihrerseits stand auf.

Sie ging neben mir in die Knie und langte unter den Tisch. Zum Vorschein kam eine unterarmlange Flasche mit einer roten Flüssigkeit als Inhalt. Ich erinnere mich nicht an das Etikett, doch es war Alkohol. Hochprozentiger Alkohol. Vielleicht Wodka. Ich glaubte in diesem Moment, nie etwas Besseres gesehen zu haben. Albern, ich weiß, aber Alkohol schien die einzige Rettung in dieser unangenehmen Lage zu sein.

Lust? Das fragte Harumi mit einem verschmitzt schiefen Lächeln. Klar, antwortete ich sofort."
 

"Etwas anderes war auch kaum zu erwarten. Wozu erzählst du mir das?"
 

"Hör mir doch erst einmal zu.

Während Harumi mir eingoss, hatte sich Tatsuya endlich für eine CD entschieden. Der CD-Spieler nahm sie vorerst nicht an. Nur Statikgeräusche waren zu hören, bis schließlich eine mir unbekannte Band spielte. Harte Bässe, Gitarrenriffs und kreischende Stimmen.

Wie sieht es bei dir aus, fragte mich Kira, die plötzlich neben mir erschienen war, alles in Ordnung?

Ich entgegnete, wieso nicht? Es musste ihr unmissverständlich klar sein, dass ich Gespräche möglichst nicht in diese Richtung lenken wollte. Die drei sind meine alten Freunde, natürlich, aber was geht sie mein Leben an?"
 

"Nichts."
 

"Eben. Sie hätten sich nur wieder eingemischt. Schon damals hatten sie das versucht. Doch es ist mein Leben.

Wie wäre es mit einem Spiel? Das war Tatsuya. Ich dachte mir, dass er sich nach all den Jahren nicht verändert hatte. Doch kurz darauf merkte ich, wie falsch ich lag. Er war nicht dumm und, auch wenn Kira leise gesprochen hatte, war der Grund unseres Zusammentreffens offensichtlich. Normalerweise wäre Tatsuya aus der Haut gefahren, würde es noch wie früher sein. Es war ihm jedoch vielmehr peinlich und andererseits wollte er auch die Wut, von der er sich trotz allem nicht losmachen konnte, überspielen. Er nahm sich unsere Gläser und stellte sie auf den Boden. Ich wusste natürlich, was er vorhatte, als er weitere vom Tisch dazustellte. Wir setzten uns in einem Kreis um die Gläser. Tatsuya mischte verschiedene Getränke, alle mit alkoholischem Inhalt, wobei er nicht darauf achtete, welche Sorten er verwendete. Zwischen die verschiedenen Gläser, die übrigens alle nicht sehr klein waren, stellte er Liköre und Kräuter.

Dann fragte er Kira, ob sie ihm einen Würfel geben könne.

Man könnte meinen, dass wir mittlerweile aus diesem Alter raus waren. Doch keinem von uns kam das, was wir taten, seltsam vor. Es war wie eine Wiederbelebung. Die Wiederbelebung einer alten Zeit, an der wir schon vor Ewigkeiten vorbeigerauscht waren. Wir gehörten einfach nicht mehr zueinander. Das war der einzige Weg, uns noch einmal zu treffen. Mehr konnten wir nicht tun, oder? Mehr nicht.

Jedenfalls lag schließlich dieser Würfel zwischen uns. Ich erinnere mich, dass er braun war. Seine Punkte waren kaum mehr zu erkennen.

Jeder sollte einmal würfeln, erklärte Tatsuya, wir gingen die Reihe rum. Wer eine Sechs hatte, musste trinken. Du kennst dieses Spiel, Makio. Es kam mir schon in diesem Moment albern vor. Die ganze Sache setzt auf Tempo. Man würfelt, würfelt, würfelt, trinkt und würfelt weiter. Auch bei den hochprozentigen Getränken, die in die größeren Gläser gegossen worden waren, musste man sich beeilen, um fertig zu sein, bevor man wieder an der Reihe war.

Ich sollte anfangen.

Also würfelte ich. Die genaue Zahl weiß ich nicht mehr, vielleicht eine Vier, aber es war jedenfalls keine Sechs.

Dann war Kira dran. Sie hatte sofort die höchste Zahl.

Den Anfang machte der Kräuter, eine ziemlich kleine Flasche. Kira war noch sehr zurückhaltend. Ich merkte ihr an, dass ihr das Ganze nicht wirklich zusagte. Dennoch, es kann an meiner Anwesenheit gelegen haben, griff sie nach der Flasche, öffnete sie und wollte den Inhalt mit einem Zug leeren. Es gelang ihr nicht. Sie hustete und verzog das Gesicht. Wir warteten, bis sie den Alkohol hinunterstürzte. Dann ging es weiter.

Ich bekam anfangs nicht die Gelegenheit, ebenfalls zuzugreifen. Das änderte sich schnell. Genug Trinken hatten wir schließlich.

Das muss ich dir sicher nicht ausführen.

Fakt ist, dass mir langsam warm wurde. Sehr warm. Die Temperatur im Zimmer stieg an und die Luft schien geradezu im Raum zu stehen. Nach etlichen Gläsern, die ich aufgehört hatte zu zählen, drehte es sich in meinem Kopf. Es war angenehm und leicht.

Draußen dämmerte es langsam.

Heiterkeit überkam mich und der Abend verlor das unangenehm bedrückende Gefühl, obwohl wir nicht viel redeten. Nichts, das von Bedeutung sein könnte, wurde zwischen uns ausgetauscht. Wir lachten ein wenig und gaben Belanglosigkeiten von uns. Wie Fremde.

Wegen der Wärme entledigte ich mich letztendlich meiner Jacke, sodass ich nur noch mein kurzärmliges Shirt am Oberkörper trug. Ich hatte gar nicht richtig über mein Tun nachgedacht. Ich handelte ohne zu denken.

Jedenfalls ergriff Harumi, die rechts von mir saß, meinen Arm und studierte ihn interessiert. Ich konnte keine Überraschung oder gar Entsetzen auf ihrem Gesicht erkennen. Als hätte ich meine Haut mit einem Farbstift bemalt, anstatt mit einem Rasiermesser. Sie fuhr meine Narben entlang. Es kitzelte. Tatsuya grinste und griff nach einem weiteren Glas. Kira war verwundert, möglicherweise ein wenig angewidert, doch sie sagte nichts und lächelte dann wieder. Sie hatte bereits mehr getrunken, als für sie gut war.

Schon hier beschlich mich Ekel.

Der Würfel wurde irgendwann beiseite gelegt. Die Gläser waren leer, der Alkohol jedoch noch nicht. Deshalb tranken wir weiter.

Mit der Zeit wurde mir wirklich schlecht. Kira lachte immer mehr, Tatsuyas Grinsen wollte nicht aus seinem Gesicht verschwinden und Harumi wurde aufdringlich.

Ich erhob mich. Meine Stimme klang völlig nüchtern, als ich sagte, ich würde kurz ins Bad gehen. Damit verschwand ich aus dem Zimmer."
 

"Musstest du dich übergeben?"
 

"Das hättest du dir für mich gewünscht, nicht wahr?

Nun, mir war zwar schlecht, doch soweit war es noch nicht gekommen. Ich wollte einfach nur weg. Weg von meinen Freunden, diesen Menschen, die ich nicht mehr kannte.

Ich schloss die Tür hinter mir ab, als ich im Bad war, und lehnte mich schwer atmend gegen das Holz. Dann wartete ich.

Mir war klar, dass ich mich nicht ewig verstecken konnte, doch in diesem Moment fühlte ich mich vollkommen gefangen. Gefangen in einem vier Quadratmeter großen Badezimmer, an dessen gefliesten Wänden mein Atem laut widerhallte. Ich ging zum Waschbecken und stützte mich auf. Der Wasserhahn verschwamm vor meinen Augen, während ich ihn fixierte. Dann fiel mein Blick auf die Narben an meinem Unterarm. Das Fenster war offen, registrierte ich, als ich den kalten Wind auf meiner Haut spürte. Ich kam mir so nackt vor. Nackt und ausgelaugt.

Anstatt das Wasser aufzudrehen, um mein Gesicht zu kühlen, öffnete ich den Spiegelschrank neben dem Waschbecken. Ich kramte in Bürsten, Duftflaschen und Nagelscheren. Dann fand ich, was ich gesucht hatte."
 

"Rasierklingen?"
 

"Rasierklingen."
 

"Ziemlich durchschaubar."
 

"Was sollte ich machen?

Nein, antworte mir nicht darauf. Ich will es gar nicht hören.

Ich fand die Rasierklingen in einer kleinen Verpackung neben den Ohrstäbchen. Klingt sehr banal. Jedenfalls zögerte ich nicht und stützte mich mit dem rechten Arm auf dem Waschbecken ab. Ich schnitt mir durch das Fleisch und sah zu, wie sich die Haut für einen Augenblick straffte, bis sie nachgab. Blut sickerte ungewohnt schnell aus dem Riss. Das Rot war so dunkel. Ich sah zu, wie es meinen Arm hinunterlief und auf das weiße Keramik tropfte.

Durch den Alkohol war mein Schmerzempfinden erheblich gesenkt, denn das Ziehen und Brennen spürte ich fast nicht. Das störte mich. Darum setzte ich erneut an und vertiefte die Wunde. Mehr Blut tropfte in das Becken.

Dann rief Tatsuya mit schwerfälliger Stimme durch die Tür. Rei, Kommst du? Es war so komisch, diesen Namen zu hören. Ich erschrak nicht, sah jedoch irritiert auf.

Ohne mir darüber bewusst zu sein, was ich tat, drehte ich den Wasserhahn auf und wusch das Blut fort. Auch die Klinge säuberte ich. Das Wasser war eiskalt, als ich es zuletzt über meinen Arm laufen ließ. Verdünntes Blut verschwand im Abfluss.

Danach langte ich nach dem Papier am Waschbeckenrand, in das die Rasierklinge eingepackt war, und legte sie wieder hinein.

Ich rief zurück, komme schon, rief ich.

Somit drehte ich den Schlüssel im Schloss und öffnete die Badezimmertür."
 

"Und die Rasierklinge?"
 

"Nahm ich mit.

Vor Kiras Zimmer zögerte ich kurz. Die Tür war nur angelehnt und ich hörte sie drinnen lachen. Wieder verschwamm das Bild vor meinen Augen, doch ich zwang mich ruhig zu bleiben.

Selbstsicher trat ich schließlich über die Schwelle und blieb eine Weile mitten im Raum stehen, als meine Freunde die Köpfe zu mir umwandten. Kiras Gesichtsausdruck änderte sich kaum, als sie auf meinen Arm blickte.

Ich solle mich wieder zu ihnen setzen, diktierte Tatsuya und schob das gesamte Sortiment an Gläsern zur Seite. Mittlerweile waren sie dazu übergegangen, aus der Flasche zu trinken. Ich setzte mich zwischen Harumi und Tatsuya.

Geil, war der einzige Kommentar, den Harumi abgab, als sie meinen Arm wie zuvor näher an ihr Gesicht hob und fragte, wann und womit?

Ich entzog mich ihr und griff in meine Hosentasche, um die eingepackte Rasierklinge zu Tage zu fördern. Sie lehnte sich währenddessen an mich. Dadurch rutschte ich weiter zu Tatsuya, dessen Grinsen noch breiter wurde.

Alles schwirrte in meinem Kopf. In der einen Hand hielt ich die Klinge, mit der anderen nahm ich nun eine Flasche, die in meiner Nähe stand, und trank. Ich stellte sie wieder ab und holte das kleine Instrument aus der Verpackung.

Vielleicht hoffte ich, dass sich Harumi dadurch von mir entfernen würde. Ehrlich gesagt dachte ich allerdings nichts. Mein Hirn schien schon zu vernebelt vom Alkohol zu sein."
 

"Kann es sein, dass du krampfhaft versuchst, die ganze Sache auf den Alkohol zu schieben?"
 

"Wahrscheinlich.

Doch daran lag es nicht. Wenn ich mich nicht beherrschen konnte, ist das meine Schuld.

Harumi wich jedenfalls nicht, als ich die Rasierklinge ein weiteres Mal ansetzte. Die Schneide versank in meiner Haut. Obwohl die Wunde schon tief war, zog ich noch einmal durch. Ich wünschte, ich hätte die Anderen aus meinem Bewusstsein streichen können, als wären sie nicht da gewesen. Ich konzentrierte mich nur auf mich selbst, doch es war mir nicht möglich, sie aus meinem Umfeld zu verbannen. Sie blieben, wo sie waren. Meine Freunde.

Intensiv wurde mir das allerdings erst bewusst, als Tatsuya meinen Arm festhielt. Er hatte den Griff um mein rechtes Handgelenk geschlossen. Ich begegnete seinem Blick und sah das Grinsen, das er noch immer auf seinen Lippen trug. Dann zog er mich an sich. Er zerrte schon fast an meinem Arm, sodass ich nun endlich einen dumpfen Schmerz verspüren konnte. Noch verwirrter war ich, als er über meine Wunde leckte. Das Grinsen war plötzlich verschwunden, seine Augen waren geschlossen. Die raue Zunge fuhr durch meine Wunde. Dann saugte er daran."
 

"Das reicht."
 

"Tatsuyas Zähne schienen sich in meinen Arm zu bohren. Seine Zunge rieb über das rohe Fleisch. Der Biss war unangenehm. Das alles war unangenehm.

Doch nach außen gab ich mich gelassen.

Wie ich feststellen musste, war die Rasierklinge nicht mehr in meinen Händen. Harumi hatte sie.

Ich traute meinen Augen nicht, als ich sah, wie sie mit einem entrückten Lächeln ununterbrochen über ihre linke Hand schnitt. Die Schnitte waren nicht tief, aber unzählig. Immer wieder bearbeitete sie ihre Hand."
 

"Kashino."
 

"Es schien ihr Spaß zu machen. Ich war völlig verwirrt. Die Übelkeit ergriff immer mehr von mir Besitz. Wieso mussten meine Freunde hier sein? Wieso konnte ich nicht allein sein?

Das ist so abartig, schaltete sich Kira ein. Sie beobachtete uns. Ein Zucken spielte um ihre Mundwinkel. Schließlich lehnte sie sich zurück, ließ sich zu Boden fallen und begann zu lachen. Immer weiter wiederholte sie, das ist so eklig, ihr seid eklig, wisst ihr das eigentlich? Abartig.

Sie lachte weiter.

Tatsuya ließ daraufhin von mir ab, griff nach dem Scotch-Whiskey, der neben Kira stand, und tadelte sie gespielt, sie hätte eindeutig zu viel Alkohol intus. Man solle sie besser davon fernhalten. Mit diesen Worten setzte er die Flasche an die Lippen und trank.

Kira deutete mit dem Finger auf ihn und lachte. Sie lachte und schien nicht mehr damit aufhören zu können. Der grelle Ton ihres Lachens brannte in meinen Ohren. Was war mit ihr los? Was sollte das? Ich meine, das war doch nicht sie.

Ein metallisches Geräusch erklang, als die Rasierklinge aus Harumis Händen glitt und zu Boden fiel. Tatsuya stellte die Flasche wieder ab und ich blickte zu Harumi. Diese hatte ihre Hand zur Faust geballt und begegnete meinem Blick mit einem Lächeln, bevor sie sich an Kira wandte, um ihr mit der Hand über den freigelegten Arm zu streichen. Nein, nicht streichen. Sie wischte, schmierte mit der linken Hand das Blut über Kiras Schulter. Rostig. Die Farbe war von einem rostigen Rot und klebte auf der Haut von Kira, die nichts dagegen zu haben schien. Sie machte zumindest keine Anstalten, Harumi daran zu hindern. Fast glaubte ich, mir einreden zu können, es sei wirklich nur Farbe, doch das war es nicht.

Ich beobachtete die beiden Mädchen. Dabei beschlich mich ein Brechreiz erregendes Gefühl, sodass ich wirklich kurz davor stand, mich zu übergeben. Es war sicher keine gute Idee gewesen, nach einer Alkoholflasche zu greifen, um dem entgegenzuwirken. Jedoch handelte ich reflexartig, auch wenn ich meine Kontrolle auf keinen Fall verlieren wollte. Ich war einfach zu benebelt.

Nur verschleiert nahm ich wahr, wie Tatsuya die Klinge vom Parkettboden hob. Erst hier realisierte ich überhaupt, dass der Boden mit Blut verunreinigt war.

Langsam löste ich meinen Blick und betrachtete meinen Freund. Das Metall fuhr über seinen Arm, durch seine Haut. Der Riss färbte sich rot. Blut sickerte sehr langsam hervor, bevor es auf das Parkett tropfte. Ich folgte ihm mit meinem Blick, sodass ich wieder am Boden war.

Während ich die rote Flüssigkeit studierte und den metallischen Geruch in mich aufnahm, der sich kaum merklich im Zimmer verbreitet hatte, war mir, als befände ich mich außerhalb der sonst gewohnten Realität. Wie war es möglich, dass sich meine alten Freunde so leicht kontrollieren ließen? Wie konnten sie dem Wahn verfallen, der vorher nur mir gehörte? Kira hatte Recht, es war abartig. Abartig, das Ganze mit ihnen teilen zu müssen.

Nichtsdestotrotz nahm ich Tatsuya die Klinge aus der Hand, umfasste seinen Arm und schnitt vertiefend durch die bestehende Wunde. Ich konnte meinen Druck nur schwer regulieren. Offensichtlich hatte ich stärker aufgedrückt als beabsichtig, da das Fleisch..."
 

"Lass es, Kashino."
 

"Das Fleisch klaffte auf und sofort quoll Blut heraus und benetzte den Boden.

Ich zögerte kaum und legte meine Lippen auf die Wunde. Mit Mühe unterdrückte ich den Brechreiz, als ich mit der Zunge über die offenen Hautfetzen fuhr und den bitteren Geschmack in mich aufnahm.

Tatsuya zuckte zusammen, doch ich hielt ihn fest. Er gewöhnte sich relativ schnell an die Situation. Auch wenn ich es nicht sehen konnte, war mir klar, dass er wieder zu grinsen begonnen hatte.

Ich spürte plötzlich seinen Körper, der schwer auf meinem lastete. Mein Freund hatte sich gegen mich fallen lassen, um Halt zu suchen. Wahrscheinlich machte ihn der Alkohol müde.

Ich löste mich von ihm, leckte über meine blutverschmierten Lippen und sah zu den Anderen hinüber, als ich wieder Kiras Lachen hörte. Harumi hatte begonnen mit ihrer verletzten Hand über den Boden zu wischen. Überall klebte diese schmutzige Farbe. Alles war besudelt und dreckig. Kira kicherte. Ihre Hand fuhr durch das trocknende Blut, mit dem sie Muster auf das Parkett malte.

Je zog sie die Hand zurück und betrachtete sie, um kurz darauf zu sagen, das sei wirklich widerlich.

Das war es für mich.

Ich hätte selbst glauben können, dass ich in diesem Augenblick den Verstand verlor.

Lachend ließ ich mich zurückfallen, wobei mir Tatsuya durch sein eigenes Gewicht folgte. Er klammerte sich an mich und hatte, soweit ich das noch sehen konnte, ein leichtes Grinsen aufgesetzt, während ich einfach nur noch lachte und lachte. Nach einer Weile wandelte sich dieses Lachen in ein Kichern. Mit mir war echt nichts mehr los.

Nachdem ich Tatsuyas Last weggeschoben hatte, ließ ich meine Hand suchend über den Boden wandern. Die Rasierklinge musste mir kurz zuvor entglitten sein, doch ich fand sie schnell wieder.

Ich sah verschleiert meinen rechten Arm vor meinen Augen sowie das kleine Metallinstrument. Weiterhin lachend versenkte ich die Klinge in meinem Fleisch, der Wunde, aus der bereits das Blut gequollen war und sich in dickflüssigen Tropfen auf meiner Haut gesammelt hatte. Ich spürte den Schmerz kaum, als sich der gerade Riss noch mehr öffnete.

Tatsuya hatte sich währenddessen aufgerichtet und griff nach einer leeren Alkoholflasche. Unwirsch rollte er sie von sich, als er registrierte, dass sich nichts mehr darin befand. Mit der nächsten hatte er Glück. In schnellen Zügen schluckte er, bevor er die Flasche wieder absetzte und sie mir reichte. Ich nahm an."
 

"Es scheint, als hätte dir dieser Abend richtig Spaß gemacht."
 

"Meine Haut spannte sich unter dem getrockneten Blut. Es stank fremd, Harumi und Kira verschwammen grotesk vor meinen Augen, Tatsuyas Nähe war mir eine Qual. Der Alkohol schmeckte langsam fad.

Und mir war kotzübel.

Hätte ich nicht mit den Konsequenzen rechnen müssen, wären meine Freunde mir zum Opfer gefallen. Ich hätte sie umgebracht, um sie endlich loszuwerden. Noch dazu kam jedoch, dass ich sie als regelrecht abstoßend empfand.

Also erhob ich mich.

Jetzt konnte ich nicht mehr gerade laufen. Ich stieß gegen die Tür, fand mühsam die Klinke und stürzte aus dem Zimmer ins Bad.

Die Kloschüssel war meine Rettung. Ich übergab mich, würgte den Inhalt meines Magens in das steril riechende Becken, bevor ich zusammenrutschte.

Dann blieb ich liegen. Aus.

Alkohol, das viele fremde Blut, meine ehemaligen Freunde, das alles machte mich fertig. Du glaubst, mir hätte dieser Abend Spaß gemacht? Wenn ich nur daran denke, wird mir schlecht."
 

"Und das soll mich interessieren?"
 

"Erzähl keinen Schwachsinn, Makio. Natürlich interessiert es dich. Es ist dir keinesfalls egal."
 

"Wirklich?"
 

"Deine inszenierte Gleichgültigkeit ist nicht sehr überzeugend.

Du merkst, dass ich die Möglichkeit habe, auf Andere zurückzugreifen, auch wenn das bei dir durchaus ebenfalls der Fall sein mag. Jedoch ist dir das passiert, was du am meisten verabscheust und verhindern wolltest. Du hast dich auf mich fixiert und bist von mir abhängig.

Das missfällt dir, nicht wahr?

Dein Blick sagt mir, dass du mich jetzt am liebsten töten würdest. Warum antwortest du nicht?

Nun, jedenfalls erwachte ich am nächsten Morgen. Ich lag auf dem gefliesten Boden im Bad, direkt vor dem Klo. Eine gelbe Lache hatte sich vor meinem Gesicht gesammelt. Alkohol, vermischt mit Galle. Ich musste mich in der Nacht noch weitere Male übergeben haben.

Stechend helles Weiß drang durch das Badfenster herein und tat in meinen Augen weh. Es war eiskalt. Ein dumpfer Schmerz machte sich in meinem Kopf bemerkbar, doch seltsamerweise war er nicht allzu stark und ich war erstaunlich nüchtern.

Ich schaffte es, auf die Beine zu kommen.

Ohne einen Blick in den Spiegel zu werfen, das wollte ich mir ersparen, ging ich mit schweren Schritten durch das Bad. Mein Erbrochenes beachtete ich nicht weiter.

Mit einem kaum hörbaren Knarren öffnete ich die Tür und trat in die Stille des Morgens hinaus. Absolut nichts war zu hören.

Ich schlich zu Kiras Zimmertür und öffnete sie nach kurzem Zögern leise.

Alle drei lagen auf dem Bett. Ich sah flüchtig, dass Harumi ihre Hand unter Kiras Shirt geschoben hatte. Überall im Zimmer lagen Flaschen und der Boden war übersät mit Essensresten.

Zwei Dinge blieben mir von diesem Morgen besonders im Gedächtnis. Das verschmierte Blut auf dem Parkett, das mittlerweile einen entfremdeten braunen Farbton angenommen hatte. Und dann der extrem widerwärtige Gestank. Eine Mischung aus Schweiß, Alkohol und dem süßlich bitteren Geruch nach Metall. Es war schwülwarm, als wäre es möglich, die Luft schneiden zu können.

Ich durchquerte schnell, aber darauf bedacht, keinen Lärm zu machen, den Raum und nahm meine Jacke. Nachdem ich noch einmal den Blick umherschweifen ließ, wandte ich mich ab und ging.

Ich ging durch die Tür, die Treppe hinunter, zog meine Schuhe an, warf mir die Jacke über, raus aus der Haustür und in die klare Luft. Hier atmete ich tief durch. Endlich frei.

Nie wieder. Das war der einzige Gedanke, den ich fassen konnte. Nie wieder würde ich sie treffen wollen. Ich würde diese Menschen, die einst meine Freunde waren, aus meinem Leben streichen. Insofern diese das nach jener Nacht nicht sowieso schon mit mir getan hatten.

Dann war ich auf meinem Motorrad, auf dem Weg nach Hause, weg von diesem abartigen Geschehnis.

Das ist die ganze Geschichte.

Und ich frage mich noch immer, wieso sie das taten. Meine so genannten Freunde gehören nicht in diese Welt, in der ich lebe. Weshalb also haben sie da mitgemacht? Sie sind hier völlig fehl am Platz, denn diese Erlebnisse teile ich nur mit dir, Makio."
 

"Wie rührend."
 

"Nein, hör mir zu. Der Blutrausch belebt mich. Ich erfahre Erregung, wenn ich mich mit dir auslebe. Doch in dieser Nacht empfand ich nichts weiter als abstoßende Gefühle, Übelkeit, völlige Abneigung.

Wenn du dir eingestehen musst, dass du von mir abhängig bist, muss ich das nicht weniger. Befremdlich, dass aus meinem Mund zu hören."
 

"Stimmt."
 

"Also denkst du, ich würde lügen?

Antworte.

Was ist? Weißt du die Antwort nicht?"
 

"Doch."
 

"Zweifelst du an der Wahrheit meiner Worte? Daran, dass ich diesen Rausch mit keinem Anderen außer mit dir empfangen möchte?"
 

"Nein."
 

"Du antwortest? Wenn ich eine Antwort von dir erwartet hätte, dann sicher nicht diese, Makio.

Ich kann es mir selbst nicht verzeihen. So unerwartet es für mich klingt, so wahr ist meine Meinung dazu.

Diese Nacht, sie ist einbrennend zu einer gegenwärtigen Erfahrung in meinem Hirn geworden. Es ist Brechreiz, es ist Übelkeit. Es ist tatsächlich das einzige Mal, dass ich etwas bereue."



Fanfic-Anzeigeoptionen
Blättern mit der linken / rechten Pfeiltaste möglich
Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  ShizuKokonose
2010-01-28T22:47:28+00:00 28.01.2010 23:47
suuper geil !!!!!


Zurück