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Schneespuren

von

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One Shot.

*+*~*+*
 

We are so young

our lives have just begun

but already we're considering

escape from this world
 

and we've waited for so long

for this moment to come

we're so anxious to be together

together in death
 

@ H.I.M ~ Join me in Death
 

*+*~*+*
 

Heilige Nacht 2006, Wisconsin
 

"Wirklich Dean. Ich bin nicht angepisst."

Sams Schnauben nahm seinen Worten jede Glaubwürdigkeit.

Sam war angepisst.

Und es lag nicht daran, dass Sam erfolglos versuchte, ein rostiges Türschloss mit Deans gefälschter Kreditkarte aufzubrechen.

"Du bist so eine Diva, Sammy."

Sam konnte sich nicht umdrehen. Weil an ihrer Situation nichts mehr so war, dass Sam damit klarkommen könnte. Und noch mehr erschreckte ihn, das Dean dabei noch so verflucht gelassen klingen konnte.

Als wäre nicht alles an diesem Tag absolut schief gelaufen.

"Außerdem", setzte Dean nach, "bist du das Genie in der Familie. Oh. Nein, das bin jetzt ja ich..."

"Dean. Die Anzahl unserer Probleme hat sich in den letzten Stunden nicht gerade dezimiert..." Sam verzog das Gesicht, als die Kreditkarte abknickte. "Diese ganze Jagd war eine beschissene Idee."

"Es ist unser Job, Leben zu retten", sagte Dean ohne Zögern.

Sam verzog das Gesicht.

Richtig, ihr Familienauftrag.

Auch wenn Dank dessen von ihrer Familie nur noch Dean und er selbst übrig geblieben sind.

Aber sie würden heute Nacht einen armen Arsch davor bewahren, erbärmlich in seinem Auto zu ertrinken.

Vermutlich sollte das für Sam gerade Grund genug sein.

Dieser Mann, wer immer es auch sein sollte, würde wohlbehalten bei seiner Familie ankommen und inmitten von Kitsch und Glitzer und Glänzen Weihnachten feiern. Mit Punsch, Last Christmas und überteuerten Geschenken.

Und nichts ahnen von den Brüdern, die dafür mit ihrem Auto von der eisglatten Straße abgekommen und wenig elegant im Straßengraben gelandet waren.

Und deren Leben nun gerade auf dem besten Wege völlig verpfuscht werden sollte.

Einmal mehr.

"Alter, es ist kalt. Außerdem hat mir die Kreditkarte viel bedeutet."

Sam schnaubte verächtlich. "Wir alle müssen unsere Opfer bringen, John Lydon." Er warf die Kreditkarte - die so gefälscht war wie fast alles in ihrem Leben - achtlos in den Schnee.

Dann verpasste er der Türe einen gezielten Tritt - jenen Tritt, den er gerade allzu gerne Dean verpasst hätte - und die verrosteten Metallscharniere gaben ohne nennenswerten Widerstand nach. Staub und Schnee wirbelten auf, als die Trümmer der Holztüre auf den Boden fielen.

Deans Augenbrauen hoben sich. "Wirklich Sam. Du bist nicht angepisst."

"Natürlich bin ich das nicht. Ich wollte nur deine Kreditkarte vernichten."

Sam drehte sich zu seinem Bruder um. Sein Gesichtsausdruck zeigte keine Regung, doch innerlich zuckte Sam Winchester einmal mehr zusammen.

Dean wirkte in dem dünnen Hemd, der Jacke und der Jeans, die an seinen Knöcheln bereits völlig durchnässt war, inmitten der Schneemassen völlig deplaziert. Doch dennoch schien Deans Laune erschreckend gut. Das Grinsen zauberte Grübchen und Dean pustete sich affektiert eine Strähne viel zu langen braunen Haares aus der Stirn.

"Wir sind so tot", sagte Sam inbrünstig.

"Komm schon, Alter, es ist mal was Neues. So was passiert einem nicht jeden Tag."

Sam seufzte auf - es klang furchtbar entnervt - und vergrub seine Hände in den Taschen der Lederjacke. Seine Finger ertasteten ein Feuerzeug, leere Kaugummipapiere, Salzkrümel und einen Zettel, auf dem Sam die Telefonnummer der üppigen Blondine mit dem IQ eines Feldweges aus der letzten Bar vermutete.

"Denkst du, wir sind hier wirklich richtig?", versuchte er das Thema wieder auf ihren Job zurückzulenken. Wohl auch genau deswegen, weil Dean Jobs immer verdammt ernst nahm.

"Denke schon. Schaut nicht so aus, als ob hier die nette Nachbarin wohnt, die dir einen Apfelkuchen auftischt, wenn du sie mal besuchen kommst."

Sam starrte neben sich zu Dean. Sam war das letzte Mal mit fünfzehn Jahren kleiner als Dean und Dad gewesen, bis der letzte große Wachstumsschub seinen Körper furchtbar in die Länge zog und er den beiden einfach über den Kopf gewachsen war.

Dean in diesem viel zu großen Körper neben sich stehen zu haben, irritierte ihn und machte Sam furchtbar nervös.

"Vielleicht sollten wir Bobby anrufen", murmelte Sam.

"Wozu? Gegen Sean wird er uns kaum eine Hilfe sein können, wir wissen ja selbst nicht..."

"Das meinte ich auch nicht."

"Ich weiß Sammy. Aber Bobby wird denken, wir hätten jetzt wirklich den Verstand verloren. Aber du hattest eh nie viel davon, schließlich war ich ja auf dem College. Außerdem denke ich nicht, dass er eine Ahnung hat, wie es zu einem Körpertausch kommen kann."

"Körpertausch kommt in jedem schlechten Hollywoodfilm vor, Dean." Sam verkniff sich die Bemerkung, dass Dean sich mit schlechten Hollywoodfilmen eigentlich auskennen sollte. Aber es war Weihnachten und er wollte nicht über Deans schlechten Geschmack debattieren. "Langsam glaube ich, dir macht das hier alles Spaß." Sam bereute nicht, dass er schärfer klang als sonst.

Er erntete dafür einen seltsam empörten Blick. "Warum sollte mir das hier Spaß machen? Verdammt Sam, jetzt bist du der hübschere Bruder von uns beiden."

"Dean, ich... Was?! Dean, ich warne dich, wenn du gerade irgendeine dumme Idee hast..."

"Komm schon, dein Körper braucht auch mal eine Spaß-Erfahrung. Du gönnst ihm viel zu wenig davon."

"Lass das meine Sorge sein." Sam versuchte nicht daran zu denken, was er tun würde, wenn sie das alles nicht rückgängig machen könnten.

Sam in Dean und Dean in Sam.

Irgendwie.

So oft er alles in Gedanken durchging, akribisch versuchte herauszufinden was passiert war, je mehr dachte Sam, dass das alles vollkommen abstrakt und unmöglich war.

Eben noch kam der Impala von der eisglatten Straße ab, landete im Graben und im nächsten Moment kamen beide zu sich und alles war... vertauscht.

Nicht mehr normal.

Während Sam noch verzweifelt versucht hatte, sich nicht schreiend die nächstbeste Waffe an den Kopf zu halten, hatte Dean bereits doofe Witze gerissen und war ausgestiegen, um den Wagen aus dem Graben zu schieben.

Sam hatte sich selbst lachend im Rückspiegel gesehen und er war einfach aufs Gas gestiegen. Dabei passte es gar nicht zu ihm, dermaßen aus der Haut zu fahren. Im wahrsten Sinne.

Dean in Sams Körper wurde fast von einer Lawine zu Matsch degradierten Schneemassen begraben.

Schlussendlich hatten sich die Reifen tiefer in den Schnee gegraben und ihnen war Mangels eines besseren Vorschlages nichts Vielversprechenderes eingefallen, als das Haus von Seans Eltern und somit den rachsüchtigen Geist ausfindig zu machen.

Und zumindest Sam hatte die vage Hoffnung, nicht für den Rest seines Lebens - so kurz es auch ausfallen würde - in Deans Körper festzuhängen.

"Das alles wäre nicht passiert, wenn du nicht zu schnell gefahren wärst!" Sam stieg über die Trümmer der Holztüre und warf einen prüfenden Blick in den Gang, der sich vor ihnen auftat.

"Genau genommen, Sammy, bist du am Steuer gesessen. Ich wasche meine Hände in Unschuld."

"Nenn mich nicht Sammy. Und übrigens... damit dürfte der Impala jetzt also mir gehören?"

Deans Grinsen, von dem Sam dachte, dass es ihm absolut nicht stand, fiel augenblicklich in sich zusammen.
 

Sonnenlicht zauberte Rechtecke gleißenden Lichts auf den morschen Holzboden.

Es war eines jener alten Häuser, aus denen sie üblicherweise hormongesteuerte Teenager retten mussten. Der Staub kitzelte in Sams Nase und er unterdrückte mehrere Niesanfälle.

Es sah furchtbar alt und verlassen aus. Und wie die perfekte Heimat eines rachsüchtigen Geistes.

Dean starrte ein altes Holzregal an und pustete den Staub von mehreren vergilbten Büchern und einer Spieluhr, deren Schönheit nur noch ein matter Abglanz war. "Scheint, dass die es hier sehr eilig hatten."

"In dem Polizeibericht stand, dass die Familie nach dem Tod ihres Sohnes in der Weihnachtsnacht ums Leben kam. Wasser in der Lunge. Sie sind im Wohnzimmer ertrunken." Sams Blick wanderte herum, als könnte er noch das Grauen sehen, dass sich hier einst abgespielt hat. "Keiner hat das Haus mehr betreten."

Dean pfiff leise. "Und seitdem knöpft sich Sean-Boy jedes Jahr an Weihnachten einen armen Arsch vor und tötet ihn auf die selbe Weise."

Sie durchquerten die Räume und hinterließen feuchte Fußspuren auf den Dielen. Alles sah noch so aus, als würde diese Familie tatsächlich noch hier leben - als wäre alles vor langer Zeit in einen tiefen Schlaf gefallen. Sam wusste, dass man Seans Leiche verbrannt und auf dem nahen Friedhof beigesetzt hatte. Irgendetwas hier musste Sean also in dieser Welt halten, seinen Geist an das Diesseits fesseln und ihn mit so viel Hass voll pumpen, das aus diesem kleinen Jungen ein Mörder geworden war.

Die vergilbten Fotos an den Wänden zeigten Multimomentaufnahmen einer offensichtlich glücklichen Familie.

Sam hatte sich in der letzten Woche so sehr mit dem Schicksal dieser Familie auseinandergesetzt, dass er sich fragte, wie aus diesem kleinen Jungen ein mordendes Monster werden konnte.

Sam war in dieser Hinsicht nicht wie Dean.

Dean verabscheute das Böse auf dieselbe Weise, wie Dad es verabscheut, gejagt und vernichtet hatte. Dads einziger Lebenssinn bestand aus Rache, Rache für Mom. Und Dean war Dads Waffe in diesem Feldzug geworden.

Sam hatte das Böse als eine Art abstrakten Bestandteil seines Lebens sehen müssen. Deans ganzes Leben drehte sich um Dad und die Jagd und Sam wollte einen Job als Anwalt, eine Familie mit Jess und ein Leben in Sicherheit mit Haus, Kindern, Garten und Hund.

Letztlich jedoch scheiterten sie alle.

Dad an seiner Rache, Dean an seiner absoluten Selbstaufgabe Dad zu liebe und Sam an seinem normalen Leben.

"Seans Geist erscheint eine Stunde vor Mitternacht am Highway. Wir haben noch einige Stunden Zeit", riss Dean Sam aus seinen Gedankengängen und tippte auf die Armbanduhr.

Dann ließ er den Rucksack zu Boden sinken und seufzte erleichtert auf. Als sie den Impala im Graben zurücklassen mussten, hatten sie alle erdenklichen Waffen in den Rucksäcke verstaut und sich auf ihre Wanderung durch die Schneemassen begeben.

"Es ist arschkalt hier. Wir werden erfroren sein, bis Sean aufkreuzt", sagte Dean, während er Waffen mit Steinsalzladung, Holzpflöcke und Messer aus dem Rucksack zog und auf den Boden legte.

Sam zog das EMF-Messgerät hervor und schaltete es an. Begleitend von hohen Piepstönen schlug es aus. "Sean war hier. Allerdings sind die Spuren sehr schwach."

"Besser so, als mitten in der Nacht den Highway im Auge zu behalten." Dean verteilte Salz auf den Fensterbrettern. "Unsere Verteidigungschancen sind hier wesentlich besser."

"Du hast nur keine Lust, bei der Kälte da draußen rumzurennen. Denkst du, Sean wird den Impala..."

"Er wird nicht mehr lange genug existieren, um überhaupt daran zu denken", unterbrach ihn Dean.

Sam lachte und malte mit der Kreide einen nahezu perfekten Kreis auf den Boden. Aus dem Gedächtnis heraus wurde daraus eines jener Pentagramme, die er aus Bobbys Buch abgeschaut hatte. Sam hatte zwar wenige Befürchtungen, dass Sean etwas Dämonisches an sich hatte, aber Sean war auch kein normaler Geist.

Das alte Haus verwandelte sich nach und nach unter ihren beinahe schon standardisierten Arbeitsschritten in eine Bastion gegen das Böse.

Irgendwann hatten sie jeden Bannkreis und jede Salzspur totgeprüft und Dean ließ sich auf eines der alten Sofas fallen.

Staub wirbelte durch die Luft und das Sofa gab quietschende, protestierende Laute von sich.

Der Himmel war immer noch blaugrau und noch nichts deutete den nahenden Abend an.

Sam hasste es, warten zu müssen.

Vor allem an Weihnachten.

Aus Langeweile begann er, wahllos Schubladen zu öffnen und nach einem Hinweis zu suchen, was Sean in dieser Welt hielt. Letztlich fand er nur ein Dutzend Kerzen, die in Sams Augen durchaus als akzeptable Wärmequelle herhalten konnten.

Während er sie im Zimmer verteilte, wanderte sein Blick zu Dean, der mit geschlossenen Augen auf dem Sofa lag und wohl tatsächlich eingeschlafen war.

Körpertausch, bevorstehende Jagd und Chaos hin oder her.

Das Sonnenlicht schien auf sein Gesicht und Sam hatte seinen Körper noch nie so friedlich gesehen. Nicht in der Zeit seit Jessicas Tod.

Er fragte sich, ob er irgendwann in der letzten Zeit überhaupt entspannt gewirkt hatte. Alles um sie herum war zum Verderben verdammt und Sam wusste, dass er ein Teil dieses Unheils war, das da am Horizont auf sie zukam.

Dean nannte ihn zwar immer Freak, aber er schien erstaunlicherweise viel besser damit klarzukommen, nun in Deans Körper festzusitzen, der diese abstrusen anormalen Dinge tat.

"Hör auf, mich so anzustarren." Dean öffnete die Augen und warf Sam einen seltsamen Blick zu. "Das macht mich nervös."

"Du steckst in meinem Körper fest, es ist dir egal und wenn ich dich anstarre wirst du nervös?"

"Wie auch immer. Hast du Dads Tagebuch?"

Sam nickte und zog es aus dem Rucksack heraus. Er warf es zu Dean und dieser fing es in einer einzig geschmeidigen Bewegung auf.

Als Sam sah, wie vorsichtig Dean Seiten blätterte und wie behutsam die Fingerkuppen über das Papier glitten, wandte er sich ab.

Es waren diese Momente, in denen Sam sich wie ein Eindringling fühlte. Denn er hatte absolut nichts darin zu suchen.

Und weil irgendwo in seinem Kopf diese Worte widerhallten. Immer und immer wieder, wie ein Mantra. Deans Worte, die er Sam in jenem Moment ins Gesicht geschleudert hatte, in dem ihre Welt in Trümmern lag.

Einmal wieder.

Weil sie den Dreh- und Angelpunkt ihres ganzen Lebens plötzlich verloren hatten.

Dad. Eigentlich hatte sich immer alles um Dad gedreht.

Wir müssen Dad finden. Was würde Dad jetzt tun? Wir müssen Dad unterstützen. Dad will, dass wir Mom rächen. Geht Dad nicht ans Telefon? Dad, Dad, Dad...

Sam war nie Dads perfekter Sohn gewesen. Sam hatte es zu selten ernst gemeint, wenn er sein "Ja, Sir" heruntergeleiert hatte.

Aber als er Dads leblosen Körper auf dem Krankenhausboden liegen gesehen hatte... war ein ganzer Starrsinn in sich zusammengefallen wie ein Kartenhaus.

Er hatte nicht geweint, als Jessica gestorben war. Er hatte nie bewusst um Mom geweint, Mom, die an der Decke gestorben war und die nie mehr war als diese hübsche lächelnde Frau auf den vergilbten Fotos in Dads Geldbörse.

Ich möchte nicht mehr streiten, Sam. Holst du mir einen Kaffee?

Dads letzte Worte. Als hätte er gewusst, dass es sein letzter Augenblick mit Sam gewesen war. Natürlich hatte er es gewusst, er war schließlich John Winchester.

Aber er hatte Sam keine Bekundungen hinterlassen, an denen Sam sich festklammern hätte können. Kein "Ich bin stolz auf dich" oder "Ich liebe dich" oder "Pass gut auf dich auf".

John Winchesters jüngstem Sohn war klar, dass auch diese Worte nicht den riesigen Graben hätten überwinden können, der sich zwischen ihnen in all der Zeit ausgebreitet hatte.

John war das genauso wie Sam klar gewesen.

Sie hatten immer nur gestritten, hatten ihre Sturköpfe kollidieren lassen.

Und tatsächlich hatte Sam es in seiner Zeit in Stanford nie bereut.

Das College, Jess.

All das, was Sam nie von Dad bekommen hätte. All das, was John dazu getrieben hatte, ihn aus seinem Haus - wenn auch nur eines von vielen billigen Motelzimmern - zu jagen.

Und ihm war klar gewesen, dass es das Ende für ihre verkorkste Beziehung bedeutet hatte, und es war ihm egal gewesen.

Aber nun traf es Sam.

Sich selbst zu sehen, in einem jener Dad-Dean-Momente, in denen er nie einen Bestand haben würde.

"Steht etwas in Dads Tagebuch?" Diese Frage, die sie schon hunderte Male gestellt hatten. Auch wenn Sam es diesmal aus purem Egoismus tat. "Über Seelentausch?"

"Nichts, das uns weiterbringt." Dean erzählte abwesend von irgendwelchen Religionen und Hexen und Exorzismen.

"Uns bleibt nur ein Weg. Sean."

"Ich habe noch nie von einem rachsüchtigen Geist gehört, der zu so etwas in der Lage sein sollte. Vielleicht ist Sean mehr als ein rachsüchtiger Geist. Dämonische Besessenheit, Hexenblut..."

"Oder er ist ein Freak. Wie du", fügte Dean an, ohne seinen Blick vom Tagebuch zu nehmen.

Sam zuckte mit den Schultern und entzündete mit Deans Feuerzeug den Dolch der letzten Kerze. Obwohl er sogleich die Wärme auf seinem Gesicht spürte, war ihm immer noch eiskalt.
 

Eigentlich schwiegen sie die meiste Zeit alles tot.

Sie tasteten sich nur selten voran, versuchten ihr selbstzerstörerisches Innenleben zu offenbaren. Schweigen war immer unkomplizierter als Reden und sie waren wirklich sehr komplizierte Menschen.

Aber Sam fand, dass ihr Schweigen gerade furchtbar belastend wirkte. Sie saßen nebeneinander auf dem Sofa und starrten vor sich hin, versunken in ihre eigenen Gedanken.

Und Sam war nicht so blind, dass er die vage Spur von Erleichterung in Deans - seinen - Augen nicht erkennen konnte. Als ob ihr Körpertausch Deans persönlicher Jackpot wäre und sich dadurch der große Berg von Problemen in Luft aufgelöst hätte.

Doch Sam sah nur Probleme vor sich. Zu viele Probleme - angefangen von Deans Impala im Graben bis hin zu der Tatsache, dass Sean vielleicht nicht der Auslöser für ihren Tausch war.

Es war Weihnachten und Sam sehnte sich furchtbar nach Fast-Food und einem billigen Motel-Zimmer. Nach einer heißen Dusche und nach der Wiederholung von Oprah Winfreys Talkshow.

Nach allem, was für ihre Maßstäbe als Normal gelten sollte.

Aber als Dean ihm vor einer Woche den neuen Job präsentiert hatte - ein Job, ausgerechnet an Weihnachten - hatte Sam sich gefügt. Vermutlich kam es ihm selbst wie ein Verrat vor, Weihnachten zu feiern, wo Dad gestorben war.

Und wenn er sich beschissen fühlte... für Dean war alles viel schlimmer. Auch wenn er wieder singend im Impala saß und alles mit viel Humor zu übertünchen versuchte - Sam wusste, dass da etwas war, was Dean ihm nicht verraten wollte.

Er sah es in Deans Augen, er spürte es, wann immer Dean ihm diesen nachdenklichen Blick zuwarf.

Letztendlich war es bestimmt auch wieder eine Dad-Dean-Geschichte, an der er nicht teilhaben durfte. Es deprimierte Sam noch mehr als die Tatsache, dass sie hier saßen und auf Sean warteten.

"Wie spät ist es?", murmelte Dean irgendwann.

"Zehn Minuten später seit deiner letzten Frage", sagte Sam ohne ein Zögern. Sein Blick war auf die deutlich abgebrannten Kerzen gerichtet.

"Verdammt. Kann dieser Bastard keine Ausnahme machen und ausnahmsweise früher erscheinen?" Dean setzte sich auf und gähnte.

"Bestimmt nicht, weil heute Weihnachten ist." Sam amtete tief die abgestandene Luft ein. "Was werden wir machen, wenn es... nicht rückgängig gemacht werden kann?"

Dean grinste. "Ich hätte da schon eine Idee." Er stand auf und Sam blinzelte verwirrt, als Dean aus seinem Rucksack eine Tüte hervorholte und damit absolut triumphierend wirkte.

"Dean. Das sind Marshmallows..." Sam klang ehrlich amüsiert.

"Hey, es ist Weihnachten. Und wenn wir schon nen Job erledigen müssen, dann sollten wir wenigstens ein bisschen für weihnachtliches Flair sorgen, oder? Außerdem ist es diese supertolle Weihnachts-Edition..."

"Okay. Dein Plan ist also... abwarten und Marshmallows essen?"

"Genau. Und wenn du für den Rest deines Lebens in meinem Luxus-Körper feststecken solltest - versteh mich nicht falsch, mich trifft das sehr - werden wir machen, was wir immer gemacht haben. Weiter Jagen, weiter das Böse in den Arsch treten. Und ich besuche mal dein College und schau mir da die heißen Mädels an. College-Partys und ACDC. All das, was du verpasst hast, Sammy."

Dean spießte Marshmallows, welche die Form von Santa Claus, Engeln und Weihnachtsbäumen hatten, auf seinem Silbermesser auf und hielt sie über eine Kerze. "Früher haben wir die auch immer gemacht, weißt du noch?"

"Und dabei fast einmal das Motelzimmer abgefackelt. Dad hasste Marshmallows. Fast so sehr wie den gelbäugigen Dämon."

Dean lachte und biss herzhaft in seinen Marshmallow-Engel.

Eigentlich war es doch nicht ihr schlimmstes Weihnachtsfest. Nur beinahe.
 

Die Tüte Marshmallows war viel zu schnell leer und Sam speiübel. Dean hatte sich zurückgelehnt, die Augen geschlossen und summte Songs vor, die Sam dann erraten sollte. Die Welt jenseits der dreckverschmierten Fenster war in Dunkelheit getaucht und das flackernde Kerzenlicht ließ unheimliche Schatten durch den Raum tanzen.

Sam spürte bereits vage das Adrenalin, das mit jeder verstreichende Sekunde mehr durch Deans Körper gepumpt wurde. Seine Jägersinne tasteten die ganze Umgebung ab, doch alles war noch so harmlos still wie zuvor.

"Und? Ich habe diesen Song jetzt wirklich fünfmal vorgesummt..."

"Ich habe wirklich keine Ahnung, Dean", murmelte Sam leise, während er versucht war, ein Stückchen näher an Dean heranzurücken. Die nächtliche eisige Kälte kroch durch die morschen Wände und auch die dutzenden Kerzen konnten dem nicht mehr entgegenwirken.

"Hey", Dean klang ehrlich empört, "du bist mit mir aufgewachsen und fährst seit zwei Jahren permanent mit mir rum und kennst dieses Lied nicht?!"

"Es liegt mir auf der Zunge, ehrlich", sagte Sam und klang wenig überzeugend.

"Das liegt an deiner grauenvolle Stimme, Sammy", sagte Dean ungnädig. "Eigentlich ist sie schon aus zehn Metern Entfernung unausstehlich, aber steck erstmal in deinem Körper, dann willst du es abschalten und kannst nicht."

"Es ist Bad Moon Rising, du Arsch", brummte Sam und rutschte wieder ein Stück von Dean weg. "Findest du es plötzlich wohl nicht mehr witzig?!" Deans Stimme war für schneidende Ausdrücke nicht geeignet. Er klang vielmehr wie ein keifendes Waschweib.

"Oh doch. Ich habe die ganze Zeit mein hübsches Gesicht vor mir."

"Das nennt man Narzissmus, Dean..."

"Ich nenne das ein gesundes Selbstbewusstsein."

Sam wollte etwas erwidern, erstarrte aber.

Die Temperatur im Raum sackte merklich um einige Grad ab und Sam warf Dean einen kurzen Blick zu. Dean hatte bereits nach der Waffe auf dem Sofa neben sich gegriffen.

"Verdammt." Die Flammen der Kerzen begannen augenblicklich unruhig zu flackern, erloschen schließlich und hinterließen eine beklemmende Dunkelheit in dem kleinen Raum zurück.

"Dean...?" Sam fühlte sich auf einmal furchtbar hilflos in Deans Körper. Dieser Körper, der üblicherweise mehr Agilität zeigte als sein eigener. Der vertraute Duft von Deans Lederjacke half ihm einigermaßen, sich auf die Umgebung zu konzentrieren, aber minderte seine Nervosität nicht wirklich. Automatisch griff er nach den Taschenlampen, die sie auf dem Tisch bereitgestellt hatten.

Irgendwo in der Ferne hörte er Schritte, die sich anhörten, als kämen sie von sehr weit her. Weit jenseits dieses staubigen Raumes, begleitet von der leisen Melodie eines alten Kinderliedes.

Sam stand auf und entsicherte die Waffe. Die Schritte schienen zu hallen, keinen Ursprungsort zu besitzen. Der Lichtkegel von Deans Taschenlampe auf eine der Türen gerichtet und Sam fand, die Schemen seines eigenen Körpers erinnerten ihn gerade furchtbar an Dad.

Aber Dad war nicht hier und es war jetzt ihr Job.

"Sammy, er kommt", wisperte Dean leise neben ihm. "Hat sich hier irgendwas verändert?"

Sam ließ das Licht der Taschenlampe durch den Raum wandern, doch kein Gegenstand hatte auf Seans Erscheinen reagiert.

Dann stand Sean plötzlich im Raum.

Das flackernde Abbild eines kleinen Jungen in kurzer Hose und mit akkuratem Haarschnitt. Doch auf der Haut des Jungen breitete sich ein Netz aus graugrünen Adern aus, gab Sean ein halb verwestes Aussehen.

Ein Blick aus blutig geränderten Augen, hasserfüllt und voll von einem unbekannten Grauen, wanderte von Dean zu Sam und von Sam zu Dean.

Dean wollte schießen, doch etwas hielt ihn zurück. Der Geist murmelte etwas, Wörter ohne Zusammenhang.

"...kriegt sie nicht... nicht sie... ihr kriegt..."

"Halt deine Klappe, du Geisterzombie!"

Dean schoss. Präzise. Die Steinsalzladung traf Sean mitten ins Gesicht.

Der Geist gab ein Geräusch von sich, das an das Fauchen eines wilden Tieres erinnerte... und löste sich in graue substanzlose Schlieren auf.

"Wo ist er hin?!" Dean wirbelte herum. Der Lichtkegel tanzte hektisch durch den Raum. "Verdammter kleiner Bastard. Sam..."

Dean drehte sich zu seinem Bruder um und Sam nickte. Doch Deans Augen waren nicht auf ihn gerichtet, sondern auf einen Punkt hinter Sam.

"Sam, verdammt, pa..."

Deans laute Stimme verlor sich.

Für einen langen Moment spürte und hörte Sam nichts... und dann durchzuckte ihn ein bohrender Schmerz, als sein Körper gegen die alte Holzkommode an der Wand katapultiert wurde. Das morsche Holz brach unter seinem Gewicht und Sam ging inmitten eines Wirbels aus Staub und Holzsplittern zu Boden.

Für mehr als einen Herzschlag lang rotierte Sams Verstand und das Bild vor seinen Augen. Deans Lederjacke hatte verhindert, dass die Splitter sich in seine Arme gebohrt hatten.

Sam verfluchte sich selbst. Sean musste direkt hinter ihm gestanden haben. Er rappelte sich auf, ignorierte seinen schmerzenden Körper und fokussierte Dean, der direkt vor ihm stand.

Dean gelang es nicht, sich gegen den Geist zu behaupten. Sean löste sich so abrupt auf und erschien wieder, dass Deans Steinsalzladungen ins Leere trafen.

Und es brauchte nur einen Liderschlag und die Waffe wurde aus Deans Hand gerissen. Dean ging zu Boden und dann war Seans flache Hand auf seinem Hals.

Sam wusste, dass das einer der Momente war, in denen Dean verdammt dringend Hilfe brauchen könnte und hektisch suchte er in den Trümmern der Kommode nach der Waffe.

Als er sie fand, war Dean dem Erstickungstod schon gefährlich nahe. Er hörte seinen Bruder nur noch panisch nach Luft schnappen, doch aus seinem Mund kam lediglich ein leises Röcheln.

Sam zielte und schoss. Sean gab Dean frei und Dean drehte sich sofort auf die Seite und begann zu husten und atmen. Atmen war gut.

"Dean. Scheiße, Dean, ist alles in Ordnung?!" Sam versuchte gar nicht erst, nicht hysterisch zu klingen.

"Oh, du bist es nur", sagte Dean und klang irgendwie enttäuscht. "Verpass dem Arsch eine gehörige Ladung Salz. Was ist das für ein Ding? Das kann kein gewöhnlicher rachsüchtiger Geist sein..."

"Wir müssen den Ursprung seiner Macht finden. Aber ich..." Sam unterbrach sich selbst, als er eine flirrende Bewegung im Augenwinkel wahrnahm, lud nach und schoss wieder.

"Wäre das nicht ein... guter Moment für deine... Freakkräfte?"

"Dann viel Glück, Dean. Du steckst gerade in dem Freak-Körper." Sam schaffte es irgendwie, Sean weit genug von Dean wegzulocken. Doch die Bewegungen des Geistes wurden immer unvorhersehbar und Sam ging die Munition aus.

Dean kniete auf dem Boden und lud seine Waffe ebenfalls nach. "Der Bastard wird sich wünschen, niemals einem Winchester begegnet zu sein." Seans Handabdruck zeichnete sich in violettblauer Farbe auf dem Hals ab.

Sam wollte erwidern, dass er neue Steinsalzpatronen brauchte, doch dann hörte er es.

Die Melodie des Kinderliedes, die zuvor noch bei Seans erstmaligem Erscheinen taktvoll und schnell gewesen war, wurde langsamer und zäher. Es irritierte Sam. Diese Melodie... diese immer langsamer werdende Melodie... wie bei einer...

"Die Spieluhr! Dean, es ist eine Spieluhr!"

"Natürlich. Spieluhr..." Dean entsicherte und schoss. "Warum sagst du das nicht gleich?!"

Sam zuckte entschuldigend mit den Schultern und gab seine Deckung auf. Er rannte durch den Raum, wich den Steinsalzgeschossen gekonnt aus und erreichte den Eingangsbereich.

Dort, auf dem Regal, stand die alte Spieluhr in Form eines Kinderkarusells. Ein Antiquitätengeschäft hätte vermutlich für dieses exquisite Kunstwerk ein Vermögen hingelegt, wenn es in einem besseren Zustand gewesen wäre.

Und tatsächlich bewegte es sich. Die kleinen Miniaturpferde bewegten sich auf- und abwärts zu der Musik.

Sam gab sich selbst nicht die Zeit, den tieferen Sinn dieser Spieluhr herauszufinden, sondern griff danach und schleuderte sie mit aller Kraft auf den Boden.

Die Töne verebbten, als sie in tausende Einzelteile zersprang.

Und inmitten dieser Trümmer kam ein vergilbtes Foto zum Vorschein.

Sam ging in die Hocke und zog es zwischen den Scherben heraus. Es war voller vertrocknetem blassrotem Blut und Sam konnte nur mit Mühe erkennen, dass es sich um eine Fotographie von Sean und einem älteren Mädchen handelte. Sam konnte sich nicht erinnern, dieses Gesicht im Zusammenhang mit der Familie zu erkennen, aber es war egal.

Dean war in Gefahr. Es gab keinen Grund für ein Zögern.

Sam zog das Feuerzeug aus den Untiefen von Deans Lederjacke. Sam ließ das brennende Foto zurück auf die Überreste der Spieluhr fallen. Auf seinen kalten Händen spürte er die sich ausbreitende Wärme, als die Flammen daran züngelten.

"Sie...kriegt ihr... niemals. Nicht sie. Nicht... sie."

Sam hob erschrocken seinen Blick. Seans Geist stand neben ihm, die blutunterlaufenen Augen voller Melancholie. Und Haas.

Der Saum von Seans Kleidung hatte bereits Feuer gefangen, doch Sean schien es nicht zu interessieren.

Bevor die Flammen seine Geistergestalt völlig umhüllt hatten, hob Sean seine Hand.

"Nicht sie. Nicht sie. Ihr kriegt sie niemals. Sie gehört mir... Ihr kriegt sie niemals!"

Sam wollte zurückweichen, doch es traf ihn mit der Wucht einer Betonwand.

Es fühlte sich so an, als würde Sams Geist ebenfalls brennen.

Und dann sah er Jess vor sich, auf der Decke, wie seine Mom.

Jess starrte ihn an... und die Flammen zerrten an ihr und sie wurde Asche und Staub...

Er wollte nach ihr schreien, doch seine Stimme hörte sich an, als würde sie weit weit weg sein...
 

Eine vertraute Stimme, hektisch und vielleicht auch ein bisschen hysterisch.

Sams Kopf dröhnte und er griff an seine Stirn. Er spürte die feuchte Wärme an seinen Haaren kleben und wusste, dass es Blut war.

Unter Aufbringung all seines übrig gebliebenen Willens gelang es ihm schließlich, die Augen zu öffnen.

Sam starrte in sein eigenes verschwommenes Gesicht. Doch dieser Sam hatte den Blick, den Dean auch immer hatte. Diesen furchtbar besorgten fragenden Blick, der wohl nur den großen Brüdern dieser Welt vorbehalten war.

Sam sank vollends auf den staubigen Boden zurück. Auch wenn Dean immer noch in Sams Körper feststeckte, beruhigte es Sam, Dean neben sich zu wissen. Dean war immer da.

"Dean...?"

"Sam. Sam? Ist der Kopf noch dran?"

Sam versuchte es mit einem Grinsen. "Jetzt weiß ich immer, wie du dich fühlst. Beschissenes Gefühl."

"Ich tausche gerne wieder zurück. Wie hältst du dieses ständige Gewürge nur aus?"

"Jahrelange Übung, Dean." Sam spürte Deans Finger auf seiner Stirn, etwas sanfter als üblich, die nach seiner Wunde tasteten. Er verzog schmerzhaft das Gesicht, als Dean die empfindliche Haut berührte.

"Das schaut böse aus", stellte Dean fest.

Sam seufzte. Das bedeutete wohl, dass er es überleben würde. Gemeinsam mit Deans Körper und in Deans Körper.

"Dumm nur, dass es mich erwischt hat", setzte Dean nach und es klang fast boshaft.

"Es wurde nicht rückgängig gemacht...", presste Sam heraus. „Was ist passiert?"

"Sean ist auf dich losgegangen, kurz bevor sein Geist zerstört wurde. Der kleine Bastard hat dich gegen die Wand befördert..." Dean biss sich auf die Lippen und zog seine Jacke aus, die er Sam gnädigerweise unter den Kopf drückte.

"Sag es einfach, okay?" Sam atmete tief ein. Er sehnte sich furchtbar nach eiskalter, sauberer Luft. Der ganze Staub machte ihm das Atmen gerade furchtbar schwer.

"Was soll ich sagen?"

"Das weißt du genau. Du steckst in meinem Körper. Ich weiß wie ich aussehe, wenn ich etwas verschweigen will..."

"Sam, ich... okay okay. Schau mich nicht so an. Du hast nach Jess geschrieen. Immer und immer wieder. Ich dachte, du hättest einen Kollaps oder so...", fügte er unwillig an.

"Tut mir leid."

"Schon okay. Ich meine, ich weiß nicht was du gesehen hast, aber..."

"Das meinte ich nicht. Ich sehe Dinge voraus. Ich bewege Schränke mit meinen Gedanken. Vielleicht habe ich unsere Körper getauscht, weil ich es mir gewünscht habe..."

Sam begegnete einem furchtbar irritierten, fragenden Blick. Sam fand, dass sein eigenes Gesicht dadurch jung und... verdammt hilflos aussah.

"Sammy..." Doch dann schwieg Dean und schien darüber nachzudenken. Über den wahren Inhalt jener Worte, die Sam in eine Entschuldigung verpackt hatte. "Du meinst Dad?"

Sam schwieg. Er schloss die Augen und fühlte eine matte Müdigkeit in sich aufsteigen. Deans Präsenz und der Gedanke von Sicherheit und einem Ende des Jobs ließ Sams Adrenalin rapide herabsinken.

Vielleicht hatte er es sich wirklich gewünscht.

Der perfekte gehorsame Sohn zu sein und nicht der Freak, der in seinen Träumen Menschen sterben sah.

Nicht so zu sein wie Simon oder Max.

Wie Dean die netten Dinge des Lebens einfach gedankenlos annehmen und genießen zu können.

Die Musik aufdrehen und singen und den Mädchen schöne Augen machen.

Dean, das große Vorbild.

Dean, der immer noch irgendwo die Kraft fand, Sam zu retten.

Verdammt.

Vielleicht hatte er es sich so sehr gewünscht, dass es...
 

Sam blinzelte irritiert.

Er lag inmitten des großen Bettes zwischen den Kissen versunken, und sein Blick fokussierte die Holzdecke.

Warmes Sonnenlicht fiel durch die Fensterscheiben und blendete ihn.

Sam schob seine Hand zwischen das grelle Licht und seine Augen.

Es kam ihm vor, als hätte er eine Ewigkeit geschlafen, als wäre er lange unter Wasser gewesen und gerade erst wieder aufgetaucht.

Sean musste ihn ziemlich ausgeknockt haben.

Er konnte sich nicht erinnern, wie er wieder ins Motel zurückgekommen war. Dean musste die Meilen zurück zum Impala gelaufen sein und mitten in der Nacht den Winterdienst alarmiert haben.

Sam setzte sich vorsichtig auf.

Seltsamerweise durchzuckte ihn kein Schmerz und sein Körper fühlte sich verdächtig... gesund an. Keine Kopfschmerzen, keine blauen Flecken...

Sams Gedanken wurden unterbrochen, als die Zimmertüre aufging und Dean eintrat - pfeifend mit Tüten und Bechern in den Händen und der Türe einen Tritt gebend.

"Morgen Herzchen." Dean grinste ihn unbekümmert an.

"Dean?" Sams Stimme war ein krächzendes Etwas angesichts der Tatsache, dass Dean wirklich Dean war. "Dean...? Du bist es, Dean?!"

Dean Winchester warf seinem Bruder einen seltsamen Blick zu. "Ja. Dein Bruder, du erinnerst dich? Dean Winchester. Dein geliebter großer Bruder. Dein Einziger, wohlgemerkt."

Sam ignorierte die Ironie und blickte sich zum ersten Mal richtig in dem Motelzimmer herum.

An den Wänden hing die Arbeit der letzten Tage - Polizeiberichte, Fotos, Zeitungsausschnitte, Ausdrucke aus dem Internet.

Sein Verstand sagte ihm, dass es sich um ihr Motelzimmer in Monroe County, Wisconsin handelte. Das billige Motelzimmer, das aussah wie jedes andere auch. Aber vor seinen Augen flackerten noch Bilder des Erlebten, verdammt, es war alles so real gewesen. Der Unfall, ihr erledigter Job, ihre Verletzungen. Ihr... Körpertausch.

Doch die Digitaluhr an der Wand verriet ihm, dass es früher Morgen war.

Und es war nach wie vor Weihnachten.

"Ich hab dir ein Thunfisch-Sandwich mitgebracht. Und Kaffee. Den scheinst du nötig zu haben", unterbrach Dean seine Gedanken und warf eine Tüte zu Sam aufs Bett.

Dann ließ er sich neben Sam nieder und drückte ihm noch den heißen Becher in die Hand.

"Warum bist du eigentlich schon wach?", fragte Sam und nippte an dem Kaffee. Das Koffein brachte sein Gehirn langsam wieder dazu, rationale Gedanken aufzubauen. Dean war ein absoluter Morgenmuffel und normalerweise Sam der Frühaufsteher.

"Schneeketten. Die Straßen sind spiegelglatt. Und wir haben einen Job zu erledigen."

"Warum hast du mich nicht aufgeweckt?" Sam wickelte das Sandwich aus dem Papier, hatte jedoch keinen Hunger.

"Ich konnte dich nicht aufwecken. Du hast so schön vor dich hingesabbert."

"Danke. Idiot."

Dean grinste zufrieden. "Zicke." Dann wurde sein Blick eine Spur besorgter. "Du siehst übrigens beschissen aus."

Sam biss in sein Sandwich, um nicht sofort darauf antworten zu müssen. Doch Dean wandte seinen Blick nicht ab.

Sam kaute sehr langsam.

"Du hattest eine Vision, du Freak, oder?"

Sam war zu schlecht, um noch einen Bissen zu essen. Er warf das Sandwich zurück auf das Papier. "Vielleicht", sagte er unwillig. "Ich weiß es nicht."

"Keine Sorge, du schaust nach Visionen immer so beschissen aus", sagte Dean brüderlich.

"Vermutlich war alles nur ein dummer Albtraum", versuchte er seinen älteren Bruder zu beruhigen. "Aber er handelte von Sean. Vielleicht sollten wir uns die Sache noch mal genauer ansehen."

Deans Augenbrauen hoben sich. "Welcher Sean, Sammy? Ich will dich ja nicht beunruhigen oder so, aber unser Job ist Gladys Laurent. Das irre Mädchen, das in den letzten vierzig Jahren am Highway herumspukt..."

Sam starrte Dean an, als ob er nicht wüsste, wer von ihnen beiden gerade den Verstand verloren hatte.

Die Erinnerung an Sean war noch so real in seinem Kopf, dass er verwirrt aufstand und die Wand begutachtete, auf denen sie alle Informationen über ihren neuen Job aufgespickt hatten.

Tatsächlich kein Sean.

Die Zeitungsberichte und Archivauszüge handelten ausnahmslos alle von einem Mädchen.

Plötzlich stutzte Sam, als er etwas zwischen den vielen Blättern entdeckte.

"Sam, bist du wirklich okay? Ich erledige den Job auch alleine..."

"Nein. Schon okay, Alter. Es ist alles in Ordnung." Sam griff danach und drehte es um, musterte es eingehend. "Ich hab die rachsüchtigen Geister von den kleinen psychotischen Mädchen sowieso lieber. Kleine Mädchen sind nur irre."

Dann pinnte er schulterzuckend das Foto zurück, jenes Foto, das er in seinem Traum in der Spieluhr entdeckt und den Flammen übergeben hatte.

Gladys Laurent und ein ihnen unbekannter Junge - Sean - lächelten spitzbübisch in die Kamera.

"Übrigens friedliche Weihnachten, Dean. Und ich möchte in den nächsten Jahren keine Mashmallows mehr essen."

Deans Augenbrauchen hoben sich. "Marshmallows? Sam, ich hasse Marshmallows. Ich hab seit fast zehn Jahren keine mehr gegessen. Hast du in deiner Vision irgendetwas gesehen, was mich beunruhigen müsste?"

Sam grinste. "Oh nein, nichts Ungewöhnliches. Nichts, womit du nicht fertig werden könntest."
 

*+*~*+*
 

Thanks for Readin´ =)



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Idris
2009-02-22T19:44:49+00:00 22.02.2009 20:44
> "Ja. Dein Bruder, du erinnerst dich? Dean Winchester. Dein geliebter großer Bruder. Dein Einziger, wohlgemerkt."

*lol* Mein Lieblingssatz. ;)
Also mir hat die FF wirklich gut gefallen - zumal ich das Thema Bodyswap auch immer wieder gerne lese. Und ich glaube, deine dürfte sogar die erste deutsche dazu sein, oder?
Ich fand es toll wie du die beiden geschrieben hast, ihr Verhalten, Sams Gedanken usw - das war alles total IC, habe nichts dran auszusetzen.
Auch der Fall, den sie bearbeiten (auch wenn Sam den vllt nur geträumt hat?) fand ich sehr spannend erzählt. Daumen hoch! ^_^

Total traurig fand ich, was für eine relativ falsche Sicht Sam auf Dean hat, so von wegen perfekte Sohn. :-/
Im Endeffekt versucht er es ja immer beiden Recht zu machen (Sam und John) und gibt sich dabei völlig selbst auf, und ist trotzdem derjenige, der in einer Tour von seiner Familie im Stich gelassen wird. Sam lässt ihn sitzen wegen Stanford, John lässt ihn sitzen wegen der Jagd und seinem Rachefeldzug.

Am besten gefallen haben mir deine kleinen Anspielungen auf die Serie - wie die Tatsache, das Dean dauernd gegen Wände geworfen wird und dass Sam immer gewürgt wird. *lach*
Und natürlich - ein dickes Plus für die wunderschöne Brüder-Interaktion (oder bromance, wie Kripke sagen würde) und wie man hinter dem ganzen Gedisse und Gestreite doch die ganze Zeit merkt, wie viel sie sich gegenseitig bedeuten. Wunderbar. ^^

Hoffe, du schreibst noch mehr in dem Fandom. Die brauchen gute Autoren mehr als alles andere. ;)

~ Rei ~
Von:  -Shiki-
2009-02-14T18:06:09+00:00 14.02.2009 19:06
Wow, die Idee ist einfach klasse.
Körpertausch, darauf muss man erstmal kommen.
Und du hast das echt super verpackt.
Die Geschichte war spannend und witzig vom ersten Moment bis zum letzten Wort.
Und wie du die beiden dargestellt hast, klasse, sehr originalgetreu.
Ist wirklich eine super gelungene One-Shot
Von:  Ryourin
2009-02-11T18:48:29+00:00 11.02.2009 19:48
So, Du weißt ja schon, daß mich Deine FF sehr gefreut hat, aber damit das nicht alles bleibt, was ich hierzu sage...

Auch nach mehrmaligem Lesen hab ich kaum etwas auszusetzen. Sam und Dean sind wunderbar IC - ich kann mir gut vorstellen, daß die beiden genau so mit so einer Situation umgehen würden. Vor allem Dean, der lieber dumme Witze reißt, als nachzudenken... und Sam, der natürlich ins Grübeln gerät und über John sinniert. Es paßt alles gut zusammen.

Am Anfang war ich kurz verwirrt, weil das mit dem Körpertausch ja erst nach ein paar Absätzen klar wurde, aber ich schätze, das war beabsichtigt, oder? Das hätte vielleicht ein wenig klarer sein können, aber ansonsten hab ich, ohne übertreiben zu wollen, eigentlich nichts auszusetzen. (Obwohl ein paar Tippfehler drin sind, aber das sei nur der Form halber erwähnt.)

Besonders toll sind die kleinen Details, die Du immer wieder eingebracht hast - wie z.B. die Stelle, an der Dean im Tagebuch rumwühlt: "Es waren diese Momente, in denen Sam sich wie ein Eindringling fühlte." Das ist typisch Sam und gibt dem Ganzen diesen melancholischen Unterton. Obwohl es viele witzige Stellen gab, hast Du mit genau solchen Sätzen immer einen Funken Melancholie hineingebracht, wie's auch in der Serie ist, und das fand ich ehrlich toll. Die Gratwanderung zwischen Humor/"Drama" ist Dir super gelungen. Hier z.B. "Er warf die Kreditkarte - die so gefälscht war wie fast alles in ihrem Leben" - ist's wieder genau so, eine winzige, nebensätzliche Äußerung, die Deiner Story ihren Charme verleiht.

Und natürlich, wie ich schon im Wichtelthread geschrieben habe, waren auch die kleinen Anspielungen auf die serientypischen Momente toll.^^ Daß Dean mal statt Sam dranglauben muß und gewürgt wird. Bei dem "Zicke. - Idiot." mußte ich erst einen Moment überlegen, weil ich's im Original schaue, aber dann ist mir ein Licht aufgegangen. xD

Die Auflösung bzw. das Ende war auch sehr typisch und gefiel mir gut. Erinnert mich ein wenig an 3x11, Mystery Spot, und paßte auch wieder gut zum Rest. Die Idee, daß eigentlich das Mädchen ihr Job ist, war vor allem im Vergleich zum Körpertausch herrlich ironisch.

Ansonsten... Ich hab's schon gesagt: Du hast meinen Geschmack genau getroffen, die Umsetzung war stilistisch und auch vom Konzept her gut und ich könnte zufriedener nicht sein. Ein dickes Danke von mir für Deine Mühe und das tolle Ergebnis. :)
Von:  yuna_16
2009-02-08T16:51:10+00:00 08.02.2009 17:51
*lach*
herrlich, wirklich schön die geschichte!
hat mir echt gut gefallen auch, dass es in sams traum um den jungen auf dem bild und in wirklichkeit dann um das mädchen auf dem bild ging, sehr schön, sowas mag ich *g*
würd mich freuen mal wieder was von dir zu lesen,
lg
yuna


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