Ein neues Opfer
Kaikon´s Assistent saß wie üblich auf einem der Sofas im Empfangsraum. Es war
ein etwas zierlicher Mann mit kurzen dunkeln Haaren und er trug wie üblich ein
schlichtes weißes Hemd und eine dunkle Hose. Er hatte die Beine überschlugen und
blickte nachdenklich aus dem Fenster.
Ich straffte ein weiteres Mal meine Schultern und ging auf ihn zu. „Guten Tag
Ikono.“, begrüßte ich ihn freundlich. Der Mann schien ganz in Gedanken vertieft
gewesen zu sein, da er leicht zusammenzuckte, als ich ihn ansprach.. „Oh, guten
Tag Sinaya. Dein Bruder wartet schon.“ Er sprach leise und ruhig wie immer. Er
hatte eine etwas höhere Stimme als manch anderer Mann, doch war sie trotzdem
sehr kräftig und ausdrucksstark.
Ikono erhob sich und bedeutete mir ihm zu folgen. Ich nickte freundlich und
folgte ihm aus dem Empfangsraum hinaus durch einen langen Gang, von dem aus noch
andere Gänge abgingen. Die Decke war nicht höher als in einer normalen Wohnung,
doch war sie mit altmodischem Stuck verziert, der sich auf beiden Seiten durch
alle Gänge zog. Auf beiden Seiten waren Türen, die in Büros, in Untersuchungs-
und Verhörräume und viele andere Räume führten. Von außen wirkte die Wache recht
klein, doch sobald man durch den Empfangsraum in die Gänge kam, entpuppte sich
die Wache fast zu einem kleinen Labyrinth.
Wir gingen den Hauptgang entlang und bogen einmal nach rechst ab. Am Ende dieses
Ganges gelang man zu einer großen Holztür, die bis zur Decke reichte. Ikono
bedeutete mir mit einer kurzen aber dennoch freundlichen Handbewegung stehen zu
bleiben und zu warten. Der kleine zierliche Mann klopfte an der schweren Tür,
bevor er diese öffnete und durch den Spalt ins Zimmer spähte. Er murmelte etwas
zu Kaikon und drehte sich dann wieder zu mir um. Er zog die Tür auf und nickte,
als Zeichen das ich eintreten sollte. Ich tat das, nickte einmal freundlich als
ich neben Ikono stand und trat in das Büro meines Bruders ein.
Es war ein großer und leicht gerundeter Raum. Auf der rechten Seite hatten zwei
große schwarze Sessel ihren Platz und zwischen ihnen stand ein kleiner aus
Kiefernholz gefertigter Tisch. Gegenüber der großen Tür stand ein großer
Schreibtisch mit einem Stuhl hinter dem Tisch, auf dem Kaikon ruhte und einen
auf der gegenüberliegenden Seite für seine Besucher.
„Schwesterherz, schön das du hier bist.“, erklang seine vertraute Stimme und in
seinen Zügen konnte ich ein freundliches aber auch leicht bedrückendes Lächeln
erkennen.
Er erhob sich und kam auf mich zu. „Ich bin auch froh dich wieder zu sehen,
Kaikon“, begrüßte ich ihn mit einem sanften Lächeln und ging ebenfalls auf ihn
zu. Vor ihm blieb ich stehen und legte meine Arme um seinen Hals. „Geht es dir
gut? Du siehst etwas bedrückt aus…“, stellte ich fest. In der Umarmung schmiegte
ich mich etwas an seinen Körper und seufzte einmal wohlig. Es war immer ein
schönes Gefühl bei ihm zu sein, so vertraut und beruhigend. Er küsste mich kurz
auf die Wange und sah mir in die Augen. „Mir geht es gut, nur der neuste
Todesfall beunruhigt mich.“ Er löste sich von mir, drehte um und steuerte seinen
Schreibtischstuhl an. „Setz dich doch bitte.“ Ich folgte seiner Bitte und ließ
mich auf den Stuhl ihm gegenüber nieder.
„Ich bin mir sicher du hast schon davon gehört. Das neue Opfer heißt Onera
Heitsuka. Sie ist circa mitte 20 und wurde im Wald gefunden. Nur 3,5 Kilometer
von hier entfernt. Bei ihr wurde ebenfalls das Kreuz auf dem Handgelenk gefunden
und keine weiteren Zeichen. Auch keine Vergiftung oder Ähnliches.“ Während er
sprach spielte er etwas mit einem Stift. „Auch sie wurde mit verbundenen Augen
aufgefunden, was bedeutet, dass es derselbe Mörder oder dieselbe Mörderin
gewesen sein muss, wie bei den andern vier Opfern. Sie wurde heute Morgen von
einem Spatziergänger aus der Nachbarstadt gefunden und dieser rief auch sogleich
bei dessen Stadtwache an. Diese benachrichtigte dann uns, da dieses Waldstück
nähr bei uns liegt. Nekone und ich sind dort hingefahren und wir wurden
aufgeklärt. Reikawe hängt gerade Warnhinweise aus. Es wurde uns geraten den
Mitbewohnern zu sagen, dass es im Moment im Wald zu gefährlich wäre und alle in
ihren Städten bleiben sollten und nachts, wie wir es hier schon machen, in den
Häusern zu bleiben.“
Ich unterbrach ihn nicht während er sprach und prägte mir seine Worte gut ein.
„Das heißt er kommt immer nähr an die Stadt. Denkst du er wird sich hier zeigen?
Ich mein sobald ein Neuer hier auftaucht, würde das doch bemerkt werden und
dieser Jemand würde noch mehr in Verdacht geraten, wenn es zu seiner Zeit hier
erneute Morde gibt.“ Ich sah ihn mit einem erwartungsvollen Blick an. Kaikon
musste nicht lange überlegen bevor er wieder das Wort übernahm: „Ja er scheint
immer nähr zu kommen. Aber es könnte auch sein, dass der Mörder sich wo anders
eine Behausung gesucht hat um so in einer Stadt nicht aufzufallen.“ Wieder hörte
ich ihm aufmerksam zu und nickte.
Dann lehnte ich mich auf meinem Stuhl zurück und sah aus dem Fenster. „Diese
ganzen Morde sind grausam. Es werden immer mehr und mehr und niemand hat auch
nur die leiseste Ahnung wer diese Person sein könnte. Außerdem die Todesursache.
Diese Schnitte können es nicht sein, aber es werden bei keinem Opfer keine
andern Spuren gefunden. Und dann die verbunden Augen, wofür? Zu welchem Nutzen?“
, dachte ich laut. Kaikon lauschte meinen Worten und schüttelte nur den Kopf.
„Ich weiß es nicht. Aber wir werden den Schuldigen finden.“
Ich nickte erneut und sah wieder zu ihm. „Ich möchte dich nicht weiter
aufhalten. Ich komme dann morgen wieder, in der Hoffnung einfach nur nach neuen
Informationen zu erfragen und nicht wegen einem neuen Mord.“ Ich erhob mich,
Kaikon folgte meinem Beispiel. „Es hat mich gefreut dich wieder zu sehen. Ich
hoffe wir können uns bald mal wieder treffen um nicht über diese Fälle zu
sprechen. Ich wünsche dir einen schönen Tag.“ Er trat neben seinen Tisch, zog
mich an sich und umarmte mich liebevoll.
„Bitte pass auf dich auf. Mit diesen Morden ist nicht zu spaßen.“, erklang seine
leicht besorgte Stimme leise neben meinem Ohr. Kurz schloss ich meine Augen und
drückte mich an ihn, bevor ich ihm wieder lächelnd in die Augen sah. „Du weißt
ich bin immer vorsichtig. Mir wird schon nichts zustoßen. Du machst dir viel zu
viele Gedanken.“ „Aber ich weiß das du neugierig bist und diese Morde genau in
dein Interesse für >Unnormales< passt und das ist es, was mir Sorgen bereitet.
Du bist das Einzige was sich noch habe. Ich will dich nicht jetzt schon
verlieren.“ Er sah mir weiter in die Augen und ich spürte eine zaghafte
Berührung an einer Schläfe, als er mir eine Haarsträhne hinters Ohr strich. Ich
lächelte sanft und küsste ihn kurz. „So schnell wirst du mich nicht los, keine
Sorge, Bruderherz. Ich hab dich lieb.“ Sanft löste ich mich aus der Umarmung,
drehte mich um und lief zur Tür. An Dieser drehte ich mich um und sah zu Kaikon.
Er nickte lächelnd. Ich erwiderte das Lächeln und drückte die Tür auf. Diesmal
allein, ging ich durch den langen Gang und gelangte wieder in den Empfangsraum
in dem Ikono an einem Tresen stand. „Ich wünsche einen schönen Tag.“ Ich nickte.
„Dir auch.“ Ich ging weiter und öffnete die Tür, die aus der Wache führte und
trat hinaus. Kurz atmete ich die frische Luft ein, dann stieg ich die Stufen
hinunter, bog nach links und lief bis ich an eine kleine Wiese kam. Ich ging auf
das feuchte Gras, breitete meine Jacke auf dem Boden aus und setzte mich. Hinter
mir lag der Wald, doch dachte ich nicht daran, dass mich jemand am Tage auf
einer Wiese überfallen würde. Ich zog meinen Block aus der Tasche und fing an
alles aufzuschreiben was Kaikon mir erzählt hatte – unwissend das ich beobachtet
wurde.