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Pränataler Campingkocher

Every day is writing day
von

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Arbeitsplatz\C:\

Jeden Morgen beginnt er mit einer Schlinge.

Vielleicht ein bisschen unkonventionell, sie sich erst um den Hals zu legen, bevor er sie zuknöpft. Rechts länger als links, vorne vorbei, hinten 'rum, noch mal vorne. Seitwärts von hinten hoch, abwärts durch die Mitte schießen, und sie sitzt. Wenn auch der Knoten etwas erbärmlich aussieht, er wird seinen Zweck erfüllen. Wie jeden Morgen.

An Krawatten hat Damian sich immer noch nicht gewöhnt.

Aber es gehört nun mal zum Dresscode. Und wer hätte gedacht, dass er mal irgendwo arbeiten würde, wo es tatsächlich einen Dresscode gibt.
 

Es hat natürlich eine gewisse symbolische Tragweite. Die ganze Sache ist so furchtbar undurchsichtig, dass sie ihn wohl gleich zum Tode verurteilt hat. Da ist die Gerüchtelage nicht viel besser als die der Fakten - ein ehemals bundesweit gesuchter Geiselnehmer, dessen Unternehmungen kurzerhand zum Publicity-Stunt erklärt worden waren (das riecht doch nach Verschwörung!), gründet plötzlich eine mehr als dubiose Firma und heuert allerhand Nerds an, teilweise lokale Größen. Dieser Counterstrike-Knilch, der dieses verdammt effektive Verschlüsselungsprogramm geschrieben hat, soll ja auch unter ihnen sein. Sicher ist sich Damian allerdings nicht - um in der Mittagspause Anschluss an Kollegen zu untersuchen, muss er sich durch subtil halbherzige Versuche erst noch gut ein, zwei Monate lang überwinden. Und es war nicht so, als reichten sie ihm die Hand. Soziale Interaktion unter Nerds ist eine hochkomplexe Angelegenheit.
 

Von seinem ersten Gehalt hat er sich eine Jacke gekauft, und ein Fahrrad. Eigentlich ziemlich affig, so ein Fast-Anzugmensch auf einem uralten Rostesel. Aber die neuen Räder haben allesamt keinen Rücktritt gehabt, und ohne Rücktritt Fahrrad fahren fühlt sich für Damian wie ein perverses Aufdenkopfstellen der Weltordnung an. Als bekäme der Himmel Risse, während die Erde rüttelte, als drehte sich sein Magen um sich selbst. Als würde er von einem Tag auf den anderen vom Geist seines toten Mitbewohners verfolgt, der auch noch droht, dies so lange zu tun, bis Damian eine "heiße Ische flachlegt".

Nicht, dass er aus Erfahrung spräche.

Deshalb der Rostesel, und deshalb auch die Jacke. Die ist dünn, die kann er bis oben hin zumachen, auch wenn es wärmer ist; dann flattert die Krawatte wenigstens nicht so bescheuert hinter ihm her.
 

Vor dem illustren Lagerhallenkomplex schließt er das Fahrrad an - mehr aus Respekt vor dem Selektionsdruck professioneller Fahrraddealer - und wandert zwei Minuten lang durch diverse Unterführungen und über eine Feuerleiter, ehe er die grüne Seitentür zuknallt und in seinem Büro steht. Und sein Chef direkt vor ihm.

Damian schockgefriert. Er linst auf seine Armbanduhr, aber er hat keine mehr. Er linst auf sein Handgelenk und es weigert sich, ihm die Zeit zu verraten. Sein Chef scheint allerdings guter Dinge. Zumindest ausgeglichen. Zumindest neutral. Zumindest... scheint der Weltuntergang nicht gerade immanent.

"Zumindest pünktlich", stellt er fest in einem Tonfall, und Damian ist sich nicht ganz sicher, ob er den Sarkasmus hört oder halluziniert. Ein neuer Blick; sein Handgelenk schweigt ihn erbarmungslos an.

"Wir haben ein paar neue Rechner reinbekommen. Sie schauen sich das besser an." Kopfbewegung, Sarkasmus, eine Falle? "Unten, Halle drei."

Hornbrille. Ein anderes Modell als das auf den ganzen Suchanzeigen in der Zeitung damals. Oder? Irgendwie wird Damian unruhig. Ist. Dann nickt er langsam, in die Stille hinein, und es bleibt still. Bis es summt, und der Chef mit einer leicht gehetzten Bewegung nach etwas greift, was er bei sich trägt, metallisch mit der Faust nur ein Handy Gott sei dank.

Er starrt kurz auf das Display, ehe er es wieder einklappt; irgendetwas verändert sich in seiner Mimik, und dennoch ist der vorherige Ausdruck wie weggewischt, so dass Damian dem verantwortlichen Muskel beim besten Willen nicht einmal auf einem einfachen Schaubild einen Eselschwanz könnte, nicht mal mit offenen Augen. Er weiß nicht mal, was ihm dieser Gesichtsausdruck kommunizieren sollte. Vielleicht irgendwas im Mundwinkel?

Die Hand wird nach ihm ausgestreckt, und bevor sie ihn berührt, trippelt Damian zaghaft beiseite.

"Danke", murmelt der Chef und starrt zur Feuertreppe hinaus, "ich hab noch was zu erledigen."

Mit den Worten verschwindet er aus der Seitentür. Damian starrt betreten zu Boden, ehe er sich die Jacke auszieht und sie beiseite wirft. Er greift nach dem Knoten, um ihn zu lockern, Luft, mehr Luft, jetzt. Und er bringt nichts fertig, als die Schlinge zuzuziehen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Dels
2010-02-13T09:46:03+00:00 13.02.2010 10:46
Awww. Ich hab schon länger nicht mehr meinen Senf hier dazugegeben.. aber grade diese Geschichte ist auch herzallerliebst! Ein -wer weiß- gesundes Crossover und unter normalen Umständen wäre vielleicht sogar soetwas wie zaghafte Kumpelhaftigkeit entstanden.
Aber ich muss ja nicht mehr erwähnen, dass Pascal als CHEF (Gott, allein dieses Wort im Zusammenhang--!<3) äußerst sexy ist! Und wie man sieht, ist ihm der Respekt seiner Mitarbeiter gewiss.
Okay, Damian zu beeindrucken ist nicht grade die Königsklasse, was Darbietung von Machtpositionen betrifft, aber irgendwie finde ich es trotzdem sehr d'aww. Wegen Damian, das kleine Nerdchen, und Pascal, den großen Nerdchef, der es so weit gebracht hat, trotz Nerdhaftigkeit sich ne halbwegs handfeste Beziehung zuzulegen.

Am Tollsten fand ich allerdings diese Umschreibung hier: "Respekt vor dem Selektionsdruck professioneller Fahrraddealer". Die ist herrlich! Und ich kann es mir so wahnsinnig gut vorstellen! Und es macht mich so schmunzeln, dass ich dir ans Herz legen möchte, einem "professionellen" Fahrraddealer doch w-day-technisch mal über die Schulter zu sehen. Solche Gestalten sind doch so irre süß "wannabe-gangsta".

Damian mit Krawatte sieht sicher rawr aus. Und mir ist nicht so ganz klar, was Pascal damit bezweckt, alle Nerds in Krawatten rumlaufen zu lassen (vielleicht, weil er erkannt hat, dass das eine durchaus sexy Wirkung auf Frauen [undgewisseandereIndividuenaberlassenwirdaseswirdpeinlich] haben kann. Sozusagen Förderung der sozialen Kompetenz der allzu nerdigen Mitarbeiter, auf dass die auch mal ne Ische abbekommen (wie du es so schön erwähnst) und das noch völlig subtil! Total fürsorglich. Baww.

(und: Feuerleitern sind auch extrem rawr.)


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