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Pränataler Campingkocher

Every day is writing day
von

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Turro Viteo

Flüstern. Dünne, gesenkte Stimmen, von hinten, von vorne, von überall. Egal, wohin ich gehe, ich werde es nicht los.

Wenn ich den grell erleuchteten Gang hinuntertaumel, noch halb im Schlaf, dann dringt es zwischen den Zellgittern durch, und manchmal das eine oder andere starrende Auge. Sie wenden mir den Rücken zu, sogar bei der Arbeit, und zwischen den Gebeugten das erstickte Tuscheln.

Wir produzieren recyceltes Polstermaterial. Für Bürostühle, oder Sessel, Couchkissen. Ganz recht, Vergewaltiger und Mörder hatten ihre Hände schon dort, wo heute dein Arsch hineinsinkt. Was es bringen soll, weiß ich nicht, aber es ist mir auch egal. Wie so vieles andere auch inzwischen.
 

Um halb eins trotten wir hinunter zum Essen, geschlossen, bis auf die riesige Schneise, die ich schlage. Von hinten und vorne das Raunen, sich drehende Köpfe, während ich in den Saal stapfe und mich alleine auf einer Drei-Meter-Bank wiederfinde, vor mir Kartoffeln, die aussehen, als wären sie nach erfolgreicher gestriger Speisung für die heutige noch einmal extra hochgewürgt worden.

Mir ist es egal. Früher bekam ich keinen Bissen herunter, aber das ist Vergangenheit. Inzwischen sitz ich einfach da und schaufel den Teller in mich hinein, bis nichts da ist. Ohne zu riechen, zu schmecken, satt zu werden. Trotzdem hab ich schon drei Kilo zugenommen.
 

Eine Dreiviertelstunde später weiter zerstören, vermischen, fabrizieren. Es ist ein elendiger, unwillig langer Prozess, aber er passt. Wenn ich Kartons zerreiße, regnet es Fetzen, und die anderen flüchten zusammen zu einem riesigen Schatten, der aus der Ferne hinüberschwelt, ohne bedrohlich zu sein. Bis auf dieses leise, ständig präsente Wispern.

Seit ich schon hier bin. Seit Wochen, vielleicht. Die Zeit verschwimmt, wenn man erst einmal hier ist. Sie wird unscharf und ungreifbar, jeder Tag läuft in den anderen wie auf den Aquarellbildern der Beschäftigungstherapie. Einen Haltepunkt gibt es nicht, wo auch. Ich hab seit Wochen mit niemand anderem mehr gesprochen.
 

Abendessen, dasselbe wie jeden Abend, dann Beschäftigung. Dreieinhalb Stunden bis zum Einschluss. Lachhaft. Ein paar schreiben Briefe, spielen Backgammon, lesen. Und doch schauen sie nie auf das, was sie tun; ihre Augen hängen an mir, heften sich an in klebrigen, glibbrigen, explodierten Fetzen. Manchmal juckt es ein bisschen. Aber gewaltsam von der Haut kratzen, das Stadium hab ich schon hinter mir. Meistens sitze ich in meiner Ecke, die dort ist, wo sich keiner hintraut - was dort ist, wo ich sitze - und mache meinen Kram. Oder versuche es zumindest; das schwarz augenberingte Gemauschel glüht mich jederzeit an aus Ecken und Ritzen und frontal wie die Scheinwerfer eines LKWs, der beim Stalken einen Fehler gemacht hat.

Manchmal balle ich die Faust und starre ein wenig wütend drein, und dann wird es ein bisschen leiser. Aber verschwinden tut es nie.

"Und warum sitzt du ein?", fragt dann einer plötzlich, und ich starre erst ungläubig auf meine Schrift, dann zu ihm hinauf. Ein Jungspund, noch ganz grün hinter den Ohren. Muss rübergekommen sein, als ich nicht hingesehen hab.

Meine Armmuskeln spannen sich, als ich die Finger einrolle. Ich starre ihn an, ein bisschen gereizt vielleicht, ein bisschen überrascht. Offenheit ist eine frisch geputzte Fensterscheibe. Muss nach Worten fischen in meiner trockenen Kehle.

"Raubkopierer", sage ich dann und trete die Scheibe ein.

Ich sehe noch, wie er mir den Rücken zudreht, das Gesicht in unangenehmer Überraschung mühsam kontrolliert, dann sehe ich Schrift, und höre ganz dünn seine Schritte.
 

Und nachts liege ich wieder in meiner Zelle, wach, wie immer. Und um mich herum nur Flüstern.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Dels
2010-02-13T10:17:34+00:00 13.02.2010 11:17
Goad!
Den hatte ich ja noch gar nicht gelesen! WTF!
Wieso is mir der durch die Lappen gegangen? ... ich weiß es nicht und es tut mir aufrichtig Leid, weil das hier wirklich meine Leselust befriedigt. Sehr ernst und dramaturgisch bedrückend, steigert sich in die depressive Grundhaltung, die man erreicht, wenn man weiß, dass eine Kurzgeschichte entweder mit dem Tod endet, oder mit einer 100%igen, resignierten Ausweglosigkeit. Und dann die Auflösung, die Lachen macht, aber genauso gut könnte das Lachen auch steckenbleiben, weil man weiß, dass der Kern viel zu wahr ist und das vermeindlich Absurde, über das man sich gerade amüsiert, genausogut auch bittere Realität sein kann. Und ist. Wer weiß.

Diese Geschichte könnte ich mir ernsthaft als Arbeitslektüre für den Deutschunterricht vorstellen. Aber das schlagen wir lieber mal nicht vor, sonst werden dich Myriaden von Schülern hassen, die die Geschichte analysieren, nacherzählen, erörtern und stilistisch auseinandernehmen müssen als Hausarbeit.


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