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Pränataler Campingkocher

Every day is writing day
von

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Nach dem letzten Tag

Eines Tages hatte sie einfach vor meiner Tür gestanden.

Das sei ihr letzter Tag, hatte sie gesagt, auf mein hinfälliges Drängen hin, und sie wünschte sich nichts als einen schönen Abschluss. Mit mir.

Ich erinnere mich noch an jedes Detail, mit der Schärfe einer Scherbe auf dem Badezimmerboden, die in einem ungesehenen Moment in den eigenen Fuß rutscht. Und doch kann ich nicht brüllen, weil ich die Scherbe erst bemerke, als sich Blutspuren durch meine ganze Wohnung ziehen; und selbst dann ziehe ich sie bloß aus meiner Sohle, ohne mir dabei etwas zu denken. Ohne mir überhaupt etwas zu denken.
 

Vor drei Wochen war ihre Beerdigung. Ein wolkenloser, warmer Dienstag - sie war nicht offen aufgebahrt gewesen, logisch, und ich weiß nicht, ob überhaupt ein Leichnam im Sarg war. Ich weiß nur, wie Menschen daran zerbrachen, sich die Blöße gaben und ihr Innerstes durch ihre Fasern drang. Als der Sarg sich endlich in das Loch senkte, verschwamm die Welt mit einem Hammerschlag, mit einem erschütternden Stampfen, und Blumen flatterten raschelnd hinterher. Ich weiß noch von aufgelösten Mienen, aus der Fassung geraten wie zersplitterte Rubinringe, aber ich weiß nicht, ob ich geweint habe.
 

Es ist das fünfte Mal am Tag, dass ich zum Kühlschrank pilgere. Ich bin zwar nicht hungrig, aber es ist das Mindeste, was ich tun kann. Im Wohnzimmer läuft der Fernseher; irgendeine Quizshow zum Anrufen. Städte mit An. Ich schmiere ein Brot, noch ein Brot, noch eins. Belege sie dick mit Wurst und Käse. Ankara, denke ich, und der plötzliche Ton meiner eigenen Stimme in der Stille meines Kopfes bringt meine Wirbelsäule zum Erzittern, hinunter bis zum Schwanzknochen.

Ich schlucke hart, als ich mich vornüber beuge, und wimmere kurz. Aber nicht deswegen.
 

Und dann stand sie wieder vor meiner Tür.

Es war etwas dunkel im Flur, aber das Oberlicht war an, als ich die Tür öffnete. Zuerst erkannte ich sie nicht - ihre Haut war angegraut, unter einer Schicht von Dreck, und über Teile ihres Körpers zog sich ein Gewirr aus Fäden. Ihre ehemals angekauten Fingernägel hatten ihren Platz ganz für blutige Fingerkuppen aufgegeben.

Doch sie trug dasselbe Kleid, und sie hatte dieselben Locken, und dann lachte sie irgendwo zwischen Glockenspiel und Blasebalg und rief:

"Verarscht! Freundchen, du bist wirklich zu leichtgläubig."



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