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Schuld & Sühne

von

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Kapitel 43

Ok, er war selbst überrascht, wie gut es gelaufen war. Es hatte zwar erst noch ein kürzeres Hin und Her betreffend der Frage, wie er Luzifer denn überhaupt finden sollte, wenn er erstmal draussen war, gegeben. Doch Belial hatte bloss berechnend geantwortet, dass die höllischen Heerscharen bei einem Punkt nördlich von hier in das zwischendimensionale Kontinuum eingedrungen waren und dass er folglich einfach nach Norden gehen sollte.

Kato hatte zwar überhaupt keinen Plan wo Norden lag, dafür hatte er aber den Hutmacher in jenem Moment ein wenig bewundert, dass der, obwohl er sich die ganze Zeit während ihrer Wanderung bewusstlos gestellt hatte, immer noch wusste aus welcher Richtung sie gekommen waren… nicht dass Kato das je zugegeben hätte.
 

Also hatten sie, wie abgesprochen, etwas Krach veranstaltet und während die Wachen vorne reinstürmten, war Kato durch das Fenster abgehauen. Tief in seinen Nephilimmantel gehüllt, wanderte er seither zwischen den Zelten umher. Ein paar Mal hatte er in der Ferne einzelne Nephilim ausmachen können und jedes Mal wäre er vor Nervosität beinahe gestorben. Doch bisher hatte keiner Anstalten gemacht, sich ihm zu nähern oder ihn gar anzusprechen. Die Nephilim schienen alle irgendwie geschäftig und nicht wirklich gewillt, sich mit dieser verhüllten Gestalt auseinanderzusetzen.

Kato hatte sowieso den Eindruck, dass es jetzt weniger waren als zum Zeitpunkt ihrer Ankunft.

Aber vielleicht lag es auch nur daran, dass er es vermied direkt auf Gruppen zuzusteuern und sich auch eher dem Rand des Zeltlagers entlang schlich.
 

Er seufzte und strich sich die lange Kapuze etwas nach hinten. Er durfte sie nicht abnehmen, war wahrscheinlich nicht gut, wenn man sein blondes Haar sehen konnte, aber trotzdem nervte sie ihn, wenn sie ihm die Sicht blockierte. Ungeschickt wurstelte er mit dem Stoff herum, doch plötzlich hielt er inne…
 

Ein Horn war zu vernehmen. Sein Ruf klang über die kargen Schneehügel und blitzartig kam Leben in das vorher so stille Lager. Aus den Zelten stürmten Nephilim heraus. Nur ein paar Schritte vor Katos derzeitiger Position wurde ebenfalls energisch die Lederabdeckung zur Seite geschlagen und heraus kam im Laufschritt ein schwarzbemantelter Kerl!

Dem Sklaven gefror das Blut in den Adern. Er sah sich schon entdeckt und versuchte aus den Augenwinkeln die beste Fluchtmöglichkeit auszumachen, als der Nephilim doch tatsächlich vor ihm stehen blieb.

„Du da! Worauf wartest du?! Das war das Zeichen für die Verstärkung nachzurücken! Also trödle hier nicht rum!“

Kato konnte nichts antworten. Wie angewachsen starrte er zu dem grossen Kerl hinauf, dessen Gesicht von vielen Narben geziert wurde. Seine Erscheinung trug das Übrige dazu bei, dass Kato orientierungslos einen Schritt rückwärts stolperte. Der Nephilim verengte misstrauisch die Augen. „Dich hab ich hier noch nie gesehen. Gehörst du wirklich zum Verstärkungstrupp?“

„Ähhh…“ Das war nun endgültig der Punkt, wo er Panik kriegte. „…doch.“

Seine Augen glitten hastig von der einen zur anderen Seite, verzweifelnd nach Irgendetwas, das ihn vielleicht retten konnte, suchend.

„Ich wollte nur… nur noch…“ Er tapste noch einen weiteren Schritt rückwärts…und dann stach es ihm ins Auge. Seine Rettung!

„…meine Axt holen!“ Kato griff nach einer rostigen, alten Axt, die untätig an einer Zeltwand lehnte und nur darauf zu warten schien, vom Sklaven als Ausrede missbraucht zu werden. Der Nephilim musterte den immer noch reichlich nervös wirkenden Kleineren kritisch, wandte sich dann aber um. „Also, dann komm. Jetzt wird jeder Mann gebraucht.“ Kato nickte und machte sich daran dem Anderen zu folgen.
 

In seinem Kopf tobte es gerade. Scheisse Scheisse SCHEISSE!!!

Was war da gerade eben wieder passiert?! Wo hatte er sich da bloss wieder reingeritten. Er hätte abhauen sollen, solange er noch konnte. Keine Sau würde ihm abkaufen, dass er ein Nephilim war. Nicht mit dieser uralten Axt, die beinahe auseinander fiel und ausserdem…
 

Kato blickt auf. Ihm war gerade eine erschreckende Erkenntnis gekommen. Eigentlich hatte er sich geistig vorwerfen wollen, dass die Type doch an seinen Augen erkennen musste, dass er kein echter Nephilim war… aber er hatte ihm schon in die Augen gesehen und nicht mit der Wimper gezuckt. Ausserdem - und das war der verwirrendere Teil - waren die Augen von dem Kerl auch nicht schwarz gewesen, sondern hatten ganz normal ausgesehen, mit einer blauen Iris!

Das wurde immer bizarrer… Als ob seine momentane Situation nicht schon schlimm genug war, wollte ihn dieser Gedanke nicht mehr loslassen. Er musste – nein, er wollte - unbedingt wissen, was es mit diesen Augen auf sich hatte… Irgendwie hatte er das seltsame Gefühl, dass das wichtig war…
 

Er hastete seinem seltsamen Führer hinterher, der ein ziemliches Tempo angeschlagen hatte, und seine arme Lunge schon ziemlich zu strapazieren begann. Kato spielte mit dem Gedanken, dass der Kerl vielleicht gar kein richtiger Nephilim war und sich hier ebenfalls nur eingeschlichen hatte… Aber nein, das machte keinen Sinn, wenn man den Fakt bedachte, dass er hier ja ziemlich unverhüllt, seine seltsamen Augen offen zur Schau stellend, ohne Kapuze herumrannte.

In seinen Überlegungen gefangen, wäre der Sklave beinahe in seinen Vordermann gekracht, als dieser abrupt stehen blieb. Keuchend hielt auch Kato inne und sah sich plötzlich mit einer ziemlich grossen Gruppe von Nephilim konfrontiert, die sich hier am Ausgang des Zeltlagers eingefunden hatte. Etwas vor ihnen stand ein einzelner Typ auf einem Podest und redete heftig gestikulierend mit der Masse.

Kato atmete tief durch und versuchte seinen rasselnden Atem wieder etwas unter Kontrolle zu bringen. Konnte doch nicht sein, dass ihn das bisschen Gerenne gleich so überforderte. Ausserdem durfte er verdammt noch mal nicht auffallen! Also richtete er seine Aufmerksamkeit ebenfalls auf den Redner. Er konnte zwar nicht wirklich verstehen, was gesagt wurde, weil er zu weit weg und das Gemurmel unter den Zuhörern zu laut war, aber als dann plötzlich alle mit einem reichlich undezenten Schrei ihre Arme hoch rissen, war auch für Kato klar, dass es jetzt losging!
 

Die Masse begann sich in Bewegung zu setzen und er konnte gar nicht anders als mitlaufen. Es war als ob er von einer Welle mitgerissen wurde und jede Bewegung in die andere Richtung seinen sicheren Untergang bedeutet hätte.

Seinen vernarbten Führer von vorhin hatte er im Gewühle auch wieder verloren, aber Kato war alles andere als unglücklich darüber. Wenn der Kerl ihn aus den Augen gelassen hatte, hiess das wohl, dass er ihn tatsächlich für einen Nephilim hielt…

Erfreut über diesen kleinen Triumph, umklammerte er seine Axt etwas fester. Der Verstärkungstrupp bewegte sich den Hügel hinauf, an dessen Hang das Zeltlager aufgebaut war. Die beige-weissen Stoffburgen wurden in der Entfernung immer undeutlicher und Kato wusste nicht, ob er sich darüber freuen sollte oder nicht. Immerhin hatte der Hutmacher gesagt, er solle nach Norden gehen, und da der Kiffer nicht wusste, wo Norden lag, war die Anweisung mit einem ‚den Hügel rauf’ noch spezifiziert worden. Genau das tat er jetzt, nur war weder in seiner Planung und wahrscheinlich auch nicht in jener des Hutmachers eine Horde wilder Nephilim eingeschlossen gewesen.
 

Er musste irgendwie raus aus dieser Truppe, und zwar unauffällig. Nur wie?

Kato versuchte unbemerkt zur Seite zu linsen, doch wieder mal kam ihm die zu lange Kapuze und die Tatsache, dass er neben den vielen anderen bemantelten Nephilim nicht zu kampfesunlustig erscheinen wollte, in die Quere. Sie stiegen immer noch im Laufschritt den Hang hoch und Kato hatte den Eindruck, dass wenn er hier wie ein Tourist in der Gegend rumglotzte, würde das unter Umständen nicht so gut aufgenommen werden.

Und dann geschah es! Als er gerade wieder versucht hatte, einen Blick auf das zu erhaschen, was sich hinter der bewegenden Wand von Nephilim verbarg, stolperte er über den Saum seines Mantels und….
 

…wäre gefallen, hätte ihn nicht von hinten etwas umfasst.

Kato schaute verwirrt an sich herunter und erkannt einen muskulösen, beharrten Arm, der sich um seine Taille geschlungen hatte. Mit verzogenem Gesichtsausdruck blickte er über seine Schulter und sah sich geradewegs mit dem grinsenden Antlitz eines weiteren, schlecht rasierten, Kerls konfrontiert.

„Pass auf, Kleiner. Wär’ scheisse, wenn du dir so kurz vorm Ziel das Genick brichst.“
 

Während die Worte bei Kato noch am Einsickern waren, wurde er auch schon wieder auf die Füsse gestellt und mit einem kleinen Schubs angetrieben. Der Kerl positioniert sich vor ihm und deutete mit einer Kopfbewegung an, dass er vorwärts machen sollte.

„Ich hab dich hier noch nie gesehen. Bist du von den westlichen Gefilden?“

„Ähhh…“ Kato hatte absolut keine Ahnung – schon wieder nicht. Eigentlich war er überzeugt davon gewesen, dass es ihn diesmal ganz sicher erwischt hatte.

„…Ja“ erwiderte er mit einem gequälten Lächeln und erwartete, dass der Nephilim ihm an die Gurgel springen und seiner mickrigen Existenz endlich ein Ende bereiten würde.

„Dacht ich mir schon. Du siehst nicht aus, als hättest du was mit diesem verlogenen Inner Circle am Hut.“ Der Kerl lächelte zurück und Kato wusste nicht mehr wo oben und unten stand. Der glaubte ihm? IHM?!

Der Sklave war sich insgeheim selbst immer bewusst gewesen, dass er nicht gerade ein begnadeter Lügner war… Und das vorhin hatte er eigentlich schon als Geständnis gewertet. Warum also benahm sich der Kerl, als sei es absolut einleuchtend, dass Kato ein Nephilim aus irgendwelche westlichen Gefilden war?! Er verstand gar nichts mehr….
 

„Hey wie heisst du eigentlich, Kleiner?“

Äh was?! Jetzt wurde er auch noch nach seinem Namen gefragt! Langsam schob er wirklich Panik. Der Kerl hielt ihn doch wirklich und wahrhaftig für einen Nephilim!

Kato hatte schon den Mund geöffnet, um irgendeine unkluge Antwort zu geben, als die Gruppe erneut anhielt. Diesmal stand er ganz hinten, trotzdem konnte er sehen, dass sich wieder derselbe Redner wie vorhin hervorgetan hatte und sie anzuspornen schien. Kato konnte auch diesmal nicht besonders viel verstehen. Lediglich der letzte Schlachtruf „SIEG ODER TOD“ erreichte sein Ohr, bevor plötzlich alle davon stürmten…
 

Und dann geschah etwas, womit der Sklave nicht gerechnet hatte: Er überblickte die gesamte Ebene.

Dadurch, dass sich der Schwarm des Verstärkungstrupps so schnell in alle Windesrichtungen zerstreut hatte, hatte er nun freie Sicht auf das Schlachtfeld, das am Fuss der anderen Hügelseite lag. Kato konnte die Kämpfenden wie herumschwirrende Punkte auf dem weissen Untergrund ausmachen. Sie schrieen und tobten, Schwerter krachten aufeinander und zum ersten Mal bekam das Wort Krieg für Kato eine visuelle Bedeutung…
 

Er starrte das Bild an, das sich ihm bot. Es war Chaos, anders konnte man es nicht beschreiben. Überall kämpften sie. Die unterschiedlichsten Waffen wurden gebraucht, mal flogen Funken, dann klirrte wieder Metall, es war ein ungeordneter Haufen, der in Kato Assoziationen hervorrief, die er lieber verdrängt hätte. Ein Schauer überfiel ihn, denn die schwarzen Punkte auf weissem Grund, wurden von einer weiteren Farbe durchzogen: Rot…
 

Rotes Blut versickerte im Schnee und färbte ihn dunkel. Kato konnte nicht verhindern, dass sein Atem sich wieder etwas beschleunigte. Das Bild vom Meer aus Toten flackerte wieder vor seinem inneren Auge auf und er schüttelte unwillig den Kopf, um es wieder loszuwerden. Daran durfte er jetzt nicht denken, immerhin hatte er eine Mission! Er durfte sich davon nicht runterziehen und ablenken lassen! Nein nein, er musste Luzifer finden, das – und nur das – war wichtig!
 

Eine schwere Hand landete unvermittelt auf seiner Schulter. Kato zuckte erschrocken zusammen und blickte erneut in das Gesicht des haarigen Typen.

„Angst?“

Er schüttelte hastig den Kopf. Warum war er den bloss nicht so leicht losgeworden wie den letzten?!

„Gut, denn Angst können wir uns nicht leisten. Wir werden uns diesen Engeln stellen und sie besiegen!“ dabei hob er demonstrativ ein langes, gezacktes Schwert in die Luft. Kato musste sich zusammenreissen, nicht das Gesicht zu verziehen und stellte sich einmal mehr die Frage, wie das bloss alles wieder hatte passieren können.

Dann drehte sich der Kerl noch mal zu ihm um. „Und falls du doch Angst haben solltest, ist es auch nicht so schlimm.“ Er schaute ihm direkt in die Augen und fügte flüsternd hinzu: „ Wir alle haben Angst. Sie darf dich bloss nicht davon abhalten, deine Ziele zu erreichen.“
 

Der Schauer, der Kato nun überfiel, war ganz anderer Natur als der letzte. Irgendwie kam er sich gerade wieder so ertappt vor. Ausserdem hatte ihn das Zwinkern irritiert, als der Kerl sich dann doch endlich umgedreht und ebenfalls losgestürmt war.
 

„Wo bleibst du, Kleiner?“ tönte es von der immer kleiner werdenden Gestalt. Kato seufzte und machte sich daran ihm hinterher zu rennen, den Hang hinab, direkt ins Getümmel.
 

~~~
 

Kurz bevor sie wirklich den Saum der Kämpfenden durchbrachen, hielt der seltsame Kerl noch mal inne.

„Du hast meine Frage nicht beantwortet, Kleiner.“
 

Kato runzelte die Stirn. Welche Frage denn?

Der Nephilim schien das Problem zu erkennen und fügte grinsend an: „Wie du heisst…“
 

Ach sooo. Kato war irgendwie erleichtert, dass es bloss das war. Er hatte schon befürchtet, etwas verpasst zu haben und der Kerl hatte doch durchschaut, wer er wirklich war.
 

„Ich heisse Ka….“ Ihm blieb das Wort im Halse stecken. War es klug seinen Namen auszuplaudern? Nein, höchstwahrscheinlich nicht. Immerhin schien ihn schon die halbe Hölle zu kennen, dann war es durchaus möglich, dass dieser Typ auch schon von Kato gehört hatte.

„Ka…?“ fragte sein Gegenüber abwartend nach.
 

„Ka…r…a…“ Kato fiel nichts ein. Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren eine Ausrede zu produzieren, die nicht ganz so durchschaubar war wie die letzte.

„Kara….m…bol![1]“ So etwas Seltendämliches! Wäre es nicht zu auffällig gewesen, hätte sich der Sklave echt gern an den Kopf gefasst. Warum war er bloss so unfähig?!
 

„Karambol? Seltsamer Name.“ Erstaunlicherweise lächelte der Nephilim bloss und streckte seine Hand in Katos Richtung aus.

„Ich bin Gem. Also eigentlich Gem-Duin, aber meine Freunde nennen mich Gem.“

Kato runzelte die Stirn und starrte skeptisch auf die ihm dargebotene Hand. Irgendwie konnte er nicht glauben, dass sein Gegenüber trotz all dem Quatsch, den er schon geboten hatte, immer noch nicht misstrauisch geworden war. Da war etwas faul, ganz sicher!
 

„Ach komm schon, ich werd dich schon nicht beissen.“ Erwiderte Gem auf Katos Zögern hin.

Dieser überwand schliesslich seine Skrupel und legte seine Hand doch noch in jene des Nephilim. Sofort wurde kräftig geschüttelt und der Grössere zog Kato mit einem unerwarteten Ruck näher zu sich heran. „Darf ich dich Kara nennen?“

Kato hatte sich unmerklich versteift und sah nun mit einem Gesichtsaudruck gepaart aus Unverständnis und leichter Panik zu ihm auf. Wie bitte?

„Wenn das hier vorbei ist und wir beide überlebt haben, würde ich gern etwas mit dir unternehmen, Kara.“

Kato wusste echt nicht mehr wie ihm gerade geschah. Flirtete der Typ da gerade mit ihm?!

„Du spinnst wohl!“ Energisch stiess er sich von Gem ab und brachte wieder den erwünschten Sicherheitsabstand zwischen sie beide.

Doch der Nephilim schien von Katos plötzlichem Gezicke nicht sonderlich beeindruckt, sondern grinste weiterhin zufrieden vor sich hin. „Endlich sagst du mal was.“

Er tat wieder einen Schritt auf den Sklaven zu, woraufhin dieser sofort einen rückwärts machte. Gem schmunzelte amüsiert. „Weißt du, unsere Chancen stehen gar nicht so schlecht. Durch das Ritual sind wir im Vorteil und wenn es so weitergeht, könnten wir tatsächlich gewinnen. Ich male mir eine schöne Zukunft aus, und ich möchte heute anfangen sie zu leben.“
 

Kato war irritiert. Wobei es nicht der missglückte Heiratsantrag war, der den grössten Teil seins Unbehagens auslöste, sondern viel eher die Aussage, die Nephilim seien im Vorteil wegen dem Ritual.
 

Das Ritual…
 

Sein Blick glitt erneut zu der kämpfenden Masse nur ein paar Schritte von ihm entfernt. Er sah Dämonen sich auf Nephilim stürzen, welche wiederum von deren Brüdern von hinten erdolcht wurden, wenn sie gerade dabei waren ihre Krallen auszufahren. Hexen mit wehenden Haaren und verrücktem Lachen fanden genauso ein schnelles Ende, wie es die Halbblüter taten, hinter denen sie eigentlich her waren. Ghoule und Golems kämpften auf der Seite der Hölle und schienen sich vor allem durch ihre Uneinheitlichkeit auszuzeichnen; wohingegen die Nephilim in ihren langen wehenden Mänteln zumindest optisch ganz deutlich von den Heerscharen zu unterscheiden waren.

Es war Geschrei und Lärm. Kato kam es so surreal vor, das alles zu sehen. Er wusste nicht mehr, was er fühlte. Vorher war es eindeutig Angst gewesen, aber jetzt….?

Es war, als könne er gar nicht wirklich fassen, was eigentlich vor sich ging. Und er war sich nicht mehr ganz sicher, welche der beiden Gruppen, in diesem blutigem Getümmel, er eigentlich unterstützte. Wenn er sich den dreckigen Schnee und die vereinzelt, reglosen Körper, die auf ihm gebettet lagen, so besah, dann war es keine der beiden.

Die höllischen Heerscharen würden die Nephilim ausrotten, falls sie gewinnen würden, genauso wie jene nicht zögern würden, die Hölle und ihre gesamten Ordnung über den Haufen zu werfen, um ihre eigenen Ziele zu erreichen. Er fand beide … schrecklich.

Denn beide endeten nur in Tod und Zerstörung.
 

Ganz unauffällig und sacht schlich sich ein Arm um Katos Taille. „Wenn du bei mir bleibst, verspreche ich, dich zu beschützen.“

Kato schälte sich schnell wieder aus der Berührung, obwohl sein Blick an dem Schlachtfeld kleben blieb. „Ich brauche keinen Schutz.“ Ein Teil von ihm hatte sich gerade daran erinnert, dass er ja eigentlich immer noch vorgab ein Nephilim zu sein.

„Das glaube ich dir gern, schliesslich seid ihr Schamanen doch mit allen Wassern gewaschen. Aber lass mir doch die Illusion, meine Prinzessin erretten zu können.“
 

Na jetzt reichte es dann mal langsam. Kato rollte mit den Augen und wollte den frechen Kerl schon anfahren, ob ihm nichts besseres einfielen, als ihn hier – wo die Köpfe nur so flogen und das Blut spritze – anzubaggern, doch dann bemerkt er es….

Er blickte in das Gesicht, des immer noch grinsenden Nephilim, dessen Augen schelmisch glitzerten. Doch das war es nicht, dass ihn so schockierte…Es war ihre Farbe.
 

Sie waren blau!
 

Er hatte blaue Augen. Genau gleich wie der Narbennephilim, den er zuvor getroffen hatte.

Wieso hatten die bloss alle plötzlich blaue Augen? Irgendwas stimmt da doch nicht!
 

„Ähhh, klar bleibe ich bei dir.“ Stotterte er verwirrt. Er musste dem auf den Grund gehen. Wenn plötzlich alle Nephilim blaue Augen hatte, musste er das Luzifer erzählen, das hatte ganz bestimmt eine Bedeutung.
 

„Oh, du bist ja plötzlich wieder so handzahm.“ Gem liess seine Hand erneut in Katos Kreuz gleiten, worauf der bloss ein erschrockenes Quietschen von sich gab und ihn vehement von sich stiess. „Bei dir piepst’s wohl. Siehst du nicht, dass das hier nicht gerade der richtige Zeitpunkt ist, um solchen Quatsch von sich zu geben!“ Kato deutete empört und wild gestikulierend auf die Schlacht, woraufhin der Nephilim bloss abwehrend die Hände hob. „Ok, dann eben erst nach der Hochzeit…“

Er schulterte sein Schwert, beugte sich dann aber noch einmal zu Kato runter und meinte zwinkernd: „Aber weißt du, es ist immer der richtige Zeitpunkt sich zu verlieben. Immerhin könnte ich sterben.... So, und jetzt auf ins Vergnügen!“
 

Kato starrte ihm für einen Moment entsetzt nach, realisierte dann aber, dass er ihm auf den Fersen bleiben musste, wenn er auch nur ansatzweise eine Chance haben wollte, bis zu Luzifer vorzudringen… und ein verliebter – er konnte beim Gedanken daran ein Schaudern nicht unterdrücken – Bodyguard war sicher nicht das Schlechteste, was ihm passieren konnte.
 

~~~
 

„Ich passe auf dich auf, dafür hältst du mir den Rücken frei. Klar, kleiner Schamane?“

Kato bekam nicht die Gelegenheit etwas darauf zu erwidern, denn er musste dem weit ausholenden Schwerthieb ausweichen, mit dem Gem einen hässlichen grünen Dämon niedermähte. So war das von dem Moment an gegangen seit sie das Schlachtfeld wirklich betreten hatten: Gem metzelte, Kato duckte sich.

Um ehrlich zu sein, hatte er mit den Dämonen nicht so viel Mitleid wie er erwartet hatte… Vielleicht lag es daran, dass sich nach den ersten drei Sekunden gleich ein schleimiges Exemplar, dessen Zähne ihn sehr an jene eines weissen Haies erinnert hatten, auf ihn hatte stürzten wollen. Gem hatte es in der gleichen Rambomanier kalt gemacht, wie alle darauf folgenden. Seitdem war Kato auch ein bisschen anhänglicher geworden….
 

„Du bist wohl kein besonders guter Schamane.“

„Klappe!“ fauchte Kato, doch der grosse Nephilim lachte bloss und wehrte weiterhin die Angriffe seiner Gegner an.
 

Kato konnte nicht leugnen, dass Gem ganz nützlich war. Ohne ihn wäre er wohl schon längst Dämonenfutter geworden. Es war schon ironisch, dass er vor ‚den eigenen Leuten’ mehr Angst haben musste als den Nephilim. Aber was ihm momentan fast genauso viel Kopfzerbrechen bereitete wie die gefrässigen Höllenmonster, war wie er Gem im Glauben lassen konnte, er sei ein Schamane. Bisher hatte er natürlich nichts seiner angeblich grossen Macht präsentieren können und sich entsprechend bloss den Spott des Nephilim eingefangen.

Bis jetzt ging das soweit noch ganz gut, weil der auf den schwachen, hilflosen Typ zu stehen schien – Kato musste wieder ein Schaudern unterdrücken – aber irgendwann würde Gem sicher was sehen wo…
 

„PASS AUF!!!“
 

Gem riss ihn zur Seite und Kato kriegt nur noch mit wie etwas haarscharf an seinem Ohr vorbeischnellte. Mit grossen Augen folgte er der Flugbahn des Objekts und nahm sich vor, ab jetzt noch etwas netter zu Gem zu sein.

„Wo warst du mit deinen Gedanken?! Das hätte ins Auge gehen können!“

Zu Katos Überraschung schaute dieser jedoch ziemlich verärgert auf ihn herunter. „Ich…“

„Reiss dich etwas zusammen! Wenn du wirklich solche Angst hast, dann bleib halt einfach hinter mir in Deckung und biete ihnen keine unnötige Angriffsfläche!“
 

Kato schaute etwas betreten zu Boden. Hatte er sich ernsthaft gerade eine Rüge von einem Nephilim eingefangen, weil er unvorsichtig gewesen war? Das war schon ironisch.

„Tut mir Leid“ murmelte er kleinlaut.

Gem schien ihn noch für einen Moment streng zu mustern, umfasste den Sklaven dann aber plötzlich und drückte ihn an sich. „Oh, du bist so süss, wenn du verlegen bist. Ich kann dir nicht böse sein.“
 

Kato hingegen, für den der Stimmungsumschwung mehr als unerwartet gekommen war, versuchte sich erfolglos und wild fuchtelnd wieder aus der Umarmung zu befreien. „Gem, spinnst du?! Lass mich los, wir sind auf einem Schlachtfeld. Bist du total durchgeknallt?!“

Doch der Nephilim schien nicht gewillt, so schnell von seinem Opfer abzulassen und nahm auch Katos verzweifelten Aufschrei „ ACHTUNG HINTER DIR KOMMT JEMAND!“ lediglich mit einem beinahe schon legeren Schwerthieb zur Kenntnis, der den Angreifer sofort niederstreckte.
 

Kato schaute schockiert zwischen dem halbierten Dämon und dem immer noch locker grinsenden Gem hin und her. Er hatte sich mittlerweile befreien können und war zu der eindeutigen Erkenntnis gelangt, dass alle Nephilim ein Rad ab hatten und das Bunny wohl absolut keine Ausnahme bildete.

„Liebe beflügelt mein Schwert und macht mich unbesiegbar… und jetzt komm!“ Er streckte seine Hand nach Kato aus. Dieser griff zu, rechnete gleichzeitig aber endgültig mit der Zurechnungsfähigkeit seines Gegenübers ab.
 

Der Teil der Ebene, wo sie sich befanden, leerte sich langsam. Kato ging brav hinter Gem her, warf aber immer wieder vorsichtige Blicke nach links und rechts. Es schien als wären jetzt auf dieser Seite wirklich beinahe nur noch Nephilim übrig. Vereinzelt hörte man immer mal wieder ein Aufbrüllen oder das Klirren von Schwertern, trotzdem schien dieser äussere Rand des Schlachtfeldes in die Hand der Halbblüter gefallen zu sein; und sie rückten nach…

Unaufhaltsam bewegten sich die wieder etwas mehr zusammengerückten Nephilim nach vorne, Kato mitten unter ihnen. Er fragte sich, warum sie sich nicht einfach mit dem, was sie schon erreichten hatten, zufrieden geben konnten und sich stattdessen gleich noch mal ins Getümmel stürzen mussten. Gem war genauso!

Kato warf einen zweifelnden Blick auf den Hinterkopf des Nephilim, der ihn immer noch an der Hand hielt und hinter sich her zog. Er hatte ihn zwar bisher beschützt, aber irgendwie hatte der Sklave das Gefühl, dass er wohl nicht so gut darauf reagieren würde, wenn er erführe, dass er KEIN Nephilim war. Kato musste schlucken. Scheisse!
 

Die Nephilim sammelten sich wieder zu einer Formation. Es waren nicht mehr so viele wie oben auf dem Hügel und auch diejenigen, die hier standen, schienen ihren Teil abgekriegt zu haben. Trotzdem waren sie diejenigen, die standen und nicht gefallen waren…

Kato liess seinen Blick über die Reihen schweifen. Zu seiner grossen Überraschung musste er Narbengesicht unter ihnen entdecken und gab ein kleines Knurren von sich. Irgendwie war ihm der Kerl unsympathisch. Er wusste nicht wieso, immerhin hatte er nicht mal zwei Sätze mit ihm gewechselt. Trotzdem war er ihm unsympathisch…

Auch der grosse Redner, der wohl so etwas wie der Anführer des Verstärkungstrupps sein musste, hatte sich wieder vor ihnen eingefunden. Dank der dezimierten Zahl der Krieger konnte Kato diesmal sogar verstehen, was er laberte…. Nur interessierte es ihn nicht.

Seine Aufmerksamkeit hing stattdessen an den Gesichtern der Nephilim in der ersten Reihe, deren Blicke wiederum auf den Redner gerichtet waren.

Erst jetzt, wo er ausnahmsweise nicht zuhinterst stand und viele der langen Kapuzen in Erschöpfung oder Hast nach hinten geschlagen worden waren, sah er es… die Augen.
 

Die hatten alle blaue Augen, genauso wie er vermutet hatte. Aber warum?

Sollten sie nicht schwarz sein? Immerhin hatte er bei diesem Dante-Typen gesehen, dass die Nephilim schwarze Augen hatten. Oder hatte das etwas mit dem Ritual zu tun?

Unmerklich tat Kato einen Schritt vorwärts und spürte auch sogleich wie ihn jemand hinten am Mantel zupfte und wieder etwas zurückzog.

„Warum denn plötzlich so eifrig?“ flüsterte ein wie immer grinsender Gem an seinem Ohr.

Kato verdrehte die Augen und wollte etwas erwidern, als plötzlich die Stimme des Redners sehr deutlich an ihn herandrang: „Ihr da werdet euch zur Südflanke aufmachen und der ersten Streitmacht bei der direkten Bekämpfungen der Erzdämonen beistehen. Ihr in der Mitte bleibt hier und haltet die Stellung. Und ihr…..“

Kato kriegte den Rest nicht mehr mit, aber das war auch egal. Er und Gem waren zur Südflanke – wo auch immer das war – abkommandiert worden. Zu den Erzdämonen!

Der Sklave sah sich ausnahmsweise das Glück in den Schoss fallen und wandte sich überschwänglich zu Gem um, der hingegen alles andere als erfreut dreinblickte.
 

„Was ist denn?“ fragte er vorsichtig, während sich die Schar der Versammelten langsam wieder auflöste und jeder sich in die ihn angewiesene Richtung begab.

Gem fuhr sich seufzend mit der Hand durch die Haare und schaute mit einem wehmütigen Gesichtausdruck auf Kato herunter.

„Ach weißt du, die Südflanke… ich hatte mir eigentlich wirklich erhofft zu überleben. Und die Südflanke der Anhöhe der nicht vorhandenen Hoffnung ist schon nicht ohne. Du weißt ja, der Schlund und so…Aber ich gebe meine Hoffnung auf eine Date mit dir noch nicht auf! Ich werde…“

Kato ignorierte den Rest. Was bitte war ‚der Schlund’? Und warum hatte sogar ein Nephilim Respekt davor? Fragen über Fragen, es war zum Haare ausreissen, und Kato musste auch noch den Wissenden mimen. Sein Blick glitt in die angezeigte Richtung. Eigentlich war das mehr oder weniger wieder dort wo das Lager gelegen hatte, nur dass sie dieses Mal wohl eher um den Hügel herum anstatt darüber gehen würde.

Kato schüttelte vehement den Kopf, er durfte sich nicht ablenken lassen! Wenn die Erzdämonen bei diesem Schlund waren und der so gefährlich war, dann musste er da hin gehen und sie warnen. Luzifer würde sicher auch dort sein.
 

Er packte Gem am Saum seines Mantels und begann ihn langsam aber bestimmt in Richtung der Südflanke zu ziehen.

„Hey hey…“ der Nephilim löste den Stoff aus Katos Händen und schloss stattdessen mit einem grossen Schritt zu ihm auf. „… du bist ja wirklich plötzlich so motiviert. Was ist los?“

„Ich…“ - Scheisse! – „Ich… möchte unbedingt mal diese Erzdämonen sehen!“ Kato lächelte gezwungen und gratulierte sich dafür, dass es zwar nicht mal gelogen, aber fast genauso beschränkt wie die restlichen Ausreden, die er Gem bereits aufgetischt hatte, war.
 

„Ach was, hübsch und auch noch sensationsgeil! Ich mag dich immer mehr.“ Gem machte eine Pause und zwinkerte Kato eindeutig zweideutig zu, „Bist du bei anderen Dingen auch so gierig?“ Kato hätte ihm am liebsten den Hals ungedreht. Also echt! Und da gab es Leute, die behaupteten, er hätte ein simples Gemüt.

„Aber ich hab gehört, sie seien ein ziemlich seltsames Pack… Nicht besonders schön oder so, die meisten sogar ziemlich hässlich…“ fuhr Gem fort, als hätte es den mörderischen Gesichtsausdruck des Sklaven gar nie gegeben. Trotzdem musste er ihm ausnahmsweise stumm zustimmen, die Erzdämonen waren wirklich ein ziemlich seltsames Pack. Er wollte gar nicht erst an Asmodeus schleimiges Gehabe, den haarsträubenden Geruch des Herrn der Fliegen – wobei der allerdings sehr wahrscheinlich bald nicht mehr den Titel eines Erzdämons innehaben würde – Astaroths Hang zur Selbstverletzung oder Belials Exzentrik denken… zum Glück war er den verbleibenden zwei noch nicht wirklich begegnet. Aber Kato kam gleichzeitig auch die unangenehme Assoziation, dass er diese Charaktere, so wie er sie kennengelernt hatte, eigentlich nicht als Führer von Streitmächten und Heerscharen sah. Ok, der Hutmacher konnte kämpfen, aber der lag bekanntlicherweise immer noch blutend im Zeltlager auf der anderen Seite des Hügels. Es war ein ungutes Gefühl und er gestand es sich auch gar nicht gerne ein, aber irgendwie stufte er die Chancen für die Höllenbelegschaft einen Sieg zu erringen momentan ziemlich schlecht ein.
 

„Wo bist du schon wieder mit deinen Gedanken? Du bist ja wirklich anbetungswürdig süss, wenn dein Blick entrückt in die Ferne gleitet, aber du solltest dazu die Stirn nicht runzeln.“

Gems schwere Hand landete auf Katos Kopf und tätschelte ihn. Dieser sprang empört zur Seite und funkelte den Grösseren wütend an. „Hör endlich auf, mich wie ein Kleinkind zu behandeln!“

Doch Gem lächelt bloss gutmütig. „Werd ich sofort tun, wenn du mir beweist, dass du auf dich selbst aufpassen kannst.“

„Ich…“ Kato konnte nichts erwidern. Er wusste, dass er in Gems Augen nicht auf sich selbst aufpassen konnte; er konnte es ja noch nicht mal in seinen eigenen.

„…ich bin noch in der Ausbildung.“ murmelte er erstickt und verwünschte sich gleichzeitig dafür, dass er schon wieder etwas von sich gegeben hatte, von dem er keine Ahnung hatte.

„Ach so ist das. Dann machst du elementum[2] Zauber?“
 

Hä? Kato hätte sich die Zunge abbeissen können, nickte aber stattdessen nur wortlos.

„Cool. Aber warum stecken sie dich in den Verstärkungstrupp, wenn du noch nicht so stark bist?“

Wie ‚cool’? Glaubte der ihm immer noch so vollkommen vorbehaltlos? Wie naiv konnte man sein?! Gleichzeitig war sich der Sklave aber auch bewusst, dass die Bezeichnung naiv aus seinem Mund für jemanden anders schon ein Paradoxon war. Also zuckte er bloss unbeteiligt mit den Schultern. Er sollte aufhören, sich so viele Fragen zu Gems Motivationen zu stellen. Wenn der ihm einfach so glaubte, war das schliesslich zu seinem Vorteil.
 

„Naja, ich hab ja versprochen auf dich aufzupassen, also mach dir keine Sorgen deswegen.“ Er klopfte Kato erneut auf die Schulter und richtete seinen Blick geradeaus.
 

~~~
 

Sie hatten den Hügel nun etwa schon zur Hälfte umrundet, trotzdem war es unerwartet ruhig. Seit sie in die drei Gruppen aufgeteilt worden waren, hatten sie keinen Feind mehr gesichtet. Kato fragte sich, ob das gut oder schlecht war. Der Endkampf wartete ganz sicher dort hinter dieser Biegung auf ihn.

Er hatte es auch tunlichst vermieden, auf Gems Fragen zum Stand seiner Ausbildung einzugehen und dieser hatte es irgendwann aufgegeben weiter zu bohren, als Kato nicht mehr geantwortet hatte. Der Sklave fühlte sich nun irgendwie wieder sehr nervös. Es hatte weniger mit der Präsenz des Nephilims oder der unmittelbaren Lebensgefahr zu tun, sondern viel mehr mit einer schleichenden Ungewissheit. Er wusste nicht, was passieren würde, wenn sie auf der anderen Seite des Hügels tatsächlich auf die Erzdämonen trafen. Der Gedanke war ihm erst jetzt gekommen, dafür hatte er ihn umso unerwarteter getroffen… was würde mit Gem geschehen, wenn er zurück zu Luzifer ging?

Sollte er einfach davonlaufen, sobald er einen der Erzdämonen sichtete und Gem hinter sich – auf sich allein gestellt – zurücklassen? Der Nephilim hatte ihm das Leben gerettet und der Sklave konnte nicht verhindern, eine gewisse Verpflichtung ihm gegenüber zu verspüren. Ausserdem war Gem nicht böse, er war… naja, Kato konnte nicht sagen, dass er ihn mochte, aber er wünschte ihm sicher nichts Schlechtes. Er wünschte ihm sicher nicht den Tod.
 

Katos Hals fühlte sich trocken an. Dieses Dilemma lag ihm echt auf dem Magen…. Vielleicht sollte er versuchen den Nephilim davon zu überzeugen umzukehren und sich in Sicherheit zu bringen. Aber das würde er sicherlich nie tun. Gem war mutig und würde nicht davonlaufen… also durfte es Kato wohl auch nicht tun.
 

Der Schrei eines Vogels hallte über die weissen Hügel. Kato hörte ihn zwar, ignorierte ihn aber. Seine Gedanken nahmen gerade zu viel seiner Aufmerksamkeit für sich in Anspruch, da konnte er nicht auch noch auf seine Umgebung achten. Doch Gem packte ihn unerwartet hart am Oberarm und zog ihn näher zu sich hin. Kato erschrak und schaute verwirrt zu dem Nephilim auf, der mit konsterniertem Gesichtsausdruck in den Himmel schaute.

„Was is…“

„Pssst!“, flüsternd fügte er hinzu: „Hast du es nicht gehört?“

Kato hob fragend die Augenbrauen.

„Der Schrei… es gibt hier keine Vögel.“

Ohhhh. Katos Blick begann ebenfalls den Himmel abzusuchen. Jetzt wo Gem das sagte, machte es natürlich Sinn… im Winter gab es keine Vögel!
 

In weiter Ferne zeichneten sich ein paar schwarze Punkte am grauen Horizont ab. Auch der Rest ihrer Gruppe schien sie entdeckt zu haben und starrte ähnlich abwartend auf das, was da auf sie zugesteuert kam.

„Sollten wir nicht in Deckung gehen?“ fragte Kato kleinlaut.

„Das hätte keinen Sinn, sie haben uns sicherlich schon gesehen… ausserdem gehen wir vor niemandem in Deckung.“ Gem zwinkerte dem Sklaven zu, schob ihn aber gleichzeitig hinter sich und zog sein Schwert. Kato hingegen konnte nicht anders als mit den Augen zu rollen. Warum waren die bloss alle so?
 

Ein weiterer Schrei zerriss die angespannte Stille, die innerhalb der Gruppe eingekehrt war. Die schwarzen Punkte kamen näher. Die Erkenntnis hatte irgendetwas Beängstigendes. Kato spielte erneut mit dem Gedanken sich einfach abzuseilen und hier und jetzt das Weite zu suchen. Es wäre sicher nicht mehr weit, bis er auf die höllischen Heerscharen treffen würde – dass eine gewisse Gefahr bestand, dass diese ihn aber gar nicht erst zu Wort kommen lassen, sondern gleich abmetzeln würden, ignorierte er wohlweisslich.

Wieder ein Schrei, doch diesmal kehrte danach keine Stille mehr ein, sondern ein leises aber konstantes Flügelrauschen folgte. Kato lief ein kalter Schauer über den Rücken. Was konnte solche Flügel haben und so schreien, dass man es bis hier hin hörte?

Obwohl das erste, was ihn in den Sinn gekommen war, natürlich Engel waren, verwarf er diesen Gedanken schnell wieder. Engel schrieen nicht… zumindest nicht so.
 

Gem streckte suchend seine Hand hinter sich aus, ohne jedoch den Blick vom grauen Himmel abzuwenden. Kato ignorierte die Einladung, trat aber einen Schritt näher und berührte ihn kurz an der Schulter.

„Es sieht nicht so gut aus, ich möchte nicht sterben, ohne einen Kuss meiner grossen Liebe gekriegt zu haben.“ Mit diesen Worten packte er Kato und zog ihn in eine heftige Umarmung, was bei dem Sklaven natürlich die überaus vehemente Reaktion hervorrief sich keifend und wild gestikulierend loszureissen. „Spinnst du?! Du Perverser…. Du…“

Kato hatte einen Meter Sicherheitsabstand zwischen sie gebracht und fuchtelte aufgebracht herum.

Das ganze hatte ihnen natürlich ein paar amüsierte, aber teilweise auch konsternierte Blicke der Umstehenden eingebracht. „Das hier ist nicht der Moment für eure Liebeskabbeleien. Spart euch das für später!“ entgegnete ein älterer Nephilim mit grauen Haaren streng. Kato wollte schon entrüstet zurückgeben, dass er ja auch nicht wollte und alles Gems Schuld war, als sein Blick erneut auf den Horizont fiel…. Sie kamen näher, die grossen Vögel.
 

„HARPYIEN!“ schrie plötzlich einer der Nephilim und ein unerwartet heftiger Aufruhr ging durch die Gruppe. Kato verstand nicht was es bedeutete, sondern nahm bloss wahr, dass um ihn herum nun alle in Angriffsposition gegangen waren. Die Bogenschützen und Krieger mit Flugwaffen bildeten die erste Reihe, während der Rest mit gezückten Schwertern und Äxten dahinter stand und wartete. Auch Kato kam bei dem Anblick der Gedanke, dass er ja noch irgendwo seine rostige Axt hatte. Bisher hatte er sie bloss als unnötigen Ballast mit sich herum geschleppt, aber vielleicht war jetzt ja der Moment gekommen, um ihrem überflüssigen Dasein etwas mehr Sinn zu verleihen. Er umfasste sie fest mit beiden Händen und hob sie auf Brusthöhe. Gem warf einen kurzen Blick darauf und hob fragend die Augenbrauen. „Ich dachte, du kannst trotzdem ein bisschen zaubern?“ flüsterte er.

„Ich kann zaubern! Die ist bloss zur Sicherheit.“ Entgegnete Kato ebenfalls flüsternd, während sein Hals langsam trocken wurde, beim Anblick der immer grösser und bedrohlicher werdenden Vögel.

Gem verzog den Mund zu einem zweifelnden Lächeln. „Mach dir keine Sorgen. Ich hab dir ja schon versprochen, dass ich auf dich aufpasse. Aber ein Kuss, würde mich wirklich anspo….“
 

„ES GEHT LOSSSSS!!!!“
 

Gem wurde unterbrochen von den Bogenschützen, die anlegten. Er wandte sich nach vorne, sein Blick nun vollkommen ernst und auf den Feind fokussiert.

Die Pfeile flogen durch die Luft und…schienen zu treffen, trotzdem wurde die Vogelschar davon kein bisschen verlangsamt. Sie hielt weiterhin geradeaus auf ihre Gruppe zu und war mittlerweile so nah, dass sogar Kato verstehen konnte, was mit Harpyien gemeint gewesen war. Das waren nicht einfach nur übergrosse Vögel, nein! Das waren Frauen! Oder zumindest ihre Köpfe und Oberkörper schienen so etwas Ähnliches zu sein. Obwohl ihre Gesichtszüge seltsam verzerrt, ihre Nasen schnabelähnlich spitz und ihre Haare eher so etwas wie Federn zu sein schienen, erkannte der Sklave ganz eindeutig menschliche Züge darin und es schauderte ihn. Er hatte hier in der Hölle ja schon ein paar Monstern begegnen dürfen, aber die da gehörten ganz eindeutig zu den unheimlichsten. Vielleicht lag es an der Tatsache, dass sie eben weder das eine noch das andere, weder Mensch noch Vogel, ganz zu sein schienen und in Kato irgendwo den Gedanke hervorrief, dass er sich eigentlich eher die Nehpilim so ähnlich vorgestellt hatte - wo man sie doch immer als Halbblüter bezeichnete.
 

Ein weiterer Schrei durchbrach die Szene, doch war er so unerträglich laut, dass Kato die Hände über die Ohren schlagen musste. Wind, verursacht von den immensen Flügeln der Vogelweiber, zog auf und riss an der Kleidung der Nephilimgruppe. Doch die Bogenschützen liessen sich nicht beirren und legten erneut an. Ihre Geschosse flogen durch die Luft und trafen auch tatsächlich die Körper und Flügel der Harpyien, trotzdem schien das wenig Effekt auf sie zu haben. Sie waren jetzt nah genug, um selbst zum Gegenangriff über zu gehen und stürzten sich mit gezückten Krallen und noch lauterem Geschrei auf die Nephilim.

Verzweifelt versuchten ein paar der Schützen noch ein letztes Mal anzulegen, doch sie wurden hinweggefegt, bevor sie ihre Pfeile fliegen lassen konnten. Die Nahkämpfer drängten sich hervor und griffen die Vögel nun mit ihren langen Schwertern an. Das zeigte etwas mehr Wirkung als die dünnen Pfeile zuvor, trotzdem hatte Kato das Gefühl, dass der Feind diesmal wirklich beängstigend stark, um nicht zu sagen, übermächtig, war.

Er stand etwas abseits und ihn hatte wieder diese seltsame Empfindung alles wie durch Glas zu sehen, heimgesucht. Er wusste nicht, ob es eine Art Schutzmechanismus seines Gehirnes war, schlimme oder gar traumatisierende Erlebnisse zu filtern, auf jeden Fall schien er immer in Situationen wie diesen zu kommen. Er fühlte sich, als würde das alles gar nicht passieren, als wäre er nicht Teil des Geschehens, sondern würde nur als unbeteiligter Beobachter daneben stehen. In gewisser Weise hatte er nicht einmal besonders viel Angst, während sich die furienhaften Harpyien auf die Nephilim nur ein paar Meter von ihm entfernt stürzten. Er sah wie einer von ihnen in die Luft gehoben wurde und seine Freunde noch an seinen Beinen zerrten, um ihm wieder aus dem Griff der Vogelfrau zu befreien. Doch es war sinnlos, die Harpyie schlug ihre Klauen nur fester in seinen Körper, stieg auf mit ihm in die Luft, nur um ihn dann aus beängstigender Höhe herabfallen zu lassen. Kato sah wie der Körper in einiger Entfernung aufschlug und fühlte nichts dabei. Er wusste, dass er eigentlich entsetzt sein, vor Angst und Grauen zittern sollte, doch es geschah nichts. Wieso war das? Es lag bestimmt nicht daran, dass er die Harpyien nicht als seine Feinde betrachtet hätte, nur weil sie den höllischen Heerscharen und somit Luzifer angehörten. Die hätten ihn sowieso nicht erkannt und dann genau gleich wie alle anderen hier in Stücke gerissen… warum also?
 

Kato wurde brutal herum gewirbelt. Irgendjemand hatte ihn am Oberarm gepackt…

Gem starrte ihn aus, für einmal, wirklich aufgebrachten Augen an. „Steh hier nicht nur rum. Tu was! Du wirst doch bestimmt irgendeinen, und sei es noch so kleinen, Feuerzauber hinkriegen, mit dem du ihnen etwas entgegen halten kannst. Das jetzt wäre wirklich der Moment, wo wir so etwas brauchen könnten…“ Gem rüttelte etwas an Katos Schultern, der den Mund bloss zu einem freudlosen Lachen verzogen hatte. Klar, er würde ihnen helfen…
 

Ihm wurde hier gerade wieder vor Augen geführt, wie schwach und hilflos er in Vergleich zu allen anderen doch war. Er konnte nicht mal diejenigen beschützen die er mochte, geschweige denn sich selbst.

Gem starrte ihn immer noch abwartend an, während Kato in seinem Meer des Selbstmitleides versunken war, deswegen sah er nicht, dass hinter ihn immer schneller und immer bedrohlicher ein Schatten auf sie beiden zugeschossen kam…

„Sag etwas!“ Der Tonfall des Nephilim klang nun beinahe schon etwas angegriffen, vielleicht schon an der Grenze zu verzweifelt. Er versuchte Katos Aufmerksamkeit zu erregen, indem er erneut seine Schultern drückte. Doch die einzige Reaktion war ein lethargisch langsames Aufschauen des Sklaven, das sich dann überraschend schnell in ein entsetztes Augenweiten wandelte. „GEM! HINTER DIR!“
 

Doch es war zu spät. Die scharfen Klauen der Harpyie schmetterten beide zu Boden.

Während Kato allerdings noch so viel Glück gehabt hatte, nur von Gems Köper mitgerissen aber nicht selbst getroffen worden zu sein, lag der Nephilim bewegungslos da.

„Gem?“ Nun war es der Sklave, der besorgte an dem Oberarm des anderen rüttelte.

“Gem? Sag doch was!“

Ein schwerfälliges Stöhnen war zu vernehmen, dann raffte sich der Grössere mühsam auf. Er rieb sich erst benommen übers Gesicht, dann aber ging seine Hand zu seinem Rücken, wo Blut hervortrat. Die Harpyie hatte eine lange klaffende Wunde hinterlassen, die sich in drei Streifen von Gems rechter Taillenseite bis zu seiner linken Schulter zog.

Kato besah sich das ganze mit Entsetzen und schien nun zum ersten Mal seit dem Auftauchen der Vögel wieder so etwas wie ganz deutliche Panik zu empfinden.

„Gem? Es tut mir Leid….“ Er versuchte den torkelnden Nephilim zu stützen, doch dieser wich seiner Berührung schwerfällig aus. Alles was Kato stattdessen kriegte, war ein müder Blick, der zwar nicht vorwurfsvoll war, aber dafür auch die liebevolle Offenheit von zuvor eingebüsst hatte.

Es tat weh als der Nephilim sich schliesslich wortlos von ihm löste und wieder Ausschau nach ihrer Angreiferin hielt. Doch der Sklave hatte auch so verstanden, dass wenn er schon nutzlos war, er wenigstens aus dem Weg gehen und den anderen nicht noch eine zusätzliche Last sein sollte.
 

Die Harpyie kreiste über ihnen. Sie schien mit ihren Opfer zu spielen, ihnen gerne Angst zu machen, indem sie ihre Flugbahn erst etwas tiefer ansetzte und dann wieder hoch zog.

Doch Gem liess sich davon nicht beirren. Er hielt sein Schwert fest in Händen und beobachtete jede noch so kleine Bewegung des Vogels.

Kato wiederum stand ein paar Meter davon entfernt und hatte versucht hinter einer Schneewehe etwas Schutz zu suchen, damit er der Harpyie wenigstens keine zusätzliche Angriffsfläche bot. Diese schien momentan auch tatsächlich eher auf Gem fixiert, denn sie stiess herab, ihre scharfen Klauen vorgestreckt, direkt auf den Oberkörper des Nephilims zielend. Kato schauderte bei dem Anblick, trotzdem hielt er sich weiterhin im Hintergrund, als endlich Gems Klinge den ersten Angriff der Vogelfrau parierte. Sie gab einen erzürnten Schrei von sich, wendete ihre Flugbahn und griff den Nephilim erneut an. Diesmal dauerte der Schlagabtausch länger, denn die Harpyie stürzte sich nun nicht mehr nur mit ihren Krallen auf Gem, sondern schien auch noch zusätzlich mit ihren riesigen, spitzen Schnabel buchstäblich auf ihn einzuhacken[3]. Immer mehr Blut versickerte im weissen Schnee, während der Nephilim zwar ebenfalls auf seinen Feind eindrosch, aber nicht das gleiche Mass an Zerstörung zu hinterlassen schien, wie dieser bei ihm.

Die Harpyie stieg erneut etwas höher in die Luft, wahrscheinlich um Anlauf für einen letzten vernichtenden Angriff zu holen. Kato hatte nun wieder freies Blickfeld auf den doch mittlerweile reichlich erschöpft wirkenden Gem. Er hatte überall Schrammen, an den Armen, den Schultern, dem Rücken, ja sogar auf seinen Oberschenkeln. Sein grauer Mantel war stellenweise tief rot eingefärbt und Kato konnte sehen, dass der Nephilim wohl tatsächlich Mühe hatte, sich noch auf den Beinen zu halten, denn er hatte sein Schwert gesenkt und stützte sich schweratmend darauf ab.

Unbewusst erhob sich Kato etwas. So konnte das doch nicht weitergehen… Gem würde sterben, diese Harpyie würde ihn in Stücke reissen. D-Das konnte er doch nicht zulassen!

Er wusste, dass er schwach war und nichts gegen sie ausrichten konnte, aber er konnte Leute, die sich für ihn eingesetzt hatten, die ihn beschützt hatten, doch nicht einfach so ihrem Schicksal überlassen…
 

Kato ballte die Hände zu Fäusten. Was hatte die doofe Belial gesagt? – Wenn er helfen wollte, musste er seinen Teil dazu beitragen. Er half hier, in ihren Augen, wahrscheinlich gerade der falschen Seite, aber Kato ging es im Moment auch nur um sich selber und seine eigene Entschlossenheit.

Er steuerte auf den verletzten Gem zu und stellte sich mit gezogener rostiger Axt vor ihn.

„Was t-tuhhhust…“ Gem musste mühsam ein Husten unterdrücken, „…hier? Geh in Deckung!“

„Ich werde dich beschützen.“ Katos Hände zitterten zwar, aber er hatte sich entschlossen sein Bestes zu geben und für einmal nicht wegzurennen.

„Bist du wahnsinnig?! Sie wird Kleinholz aus dir machen! Bring dich in Sicherheit, solange du noch kannst!“ Ein kleiner Stoss in Katos Rücken sollte ihn wohl dazu bewegen lieber das Weite zu suchen, doch der Sklave liess sich davon nicht beeindrucken und stellte sich nur wieder dichter zu dem Nephilim hin.

Die Harpyie an Himmel hingegen schien erfreut, gleich zwei zum Preis von einem zu kriegen und setzte erneut zum Sturzflug an. Während sie sich mit beängstigender Geschwindigkeit näherte, spürte Kato plötzlich eine warme Hand auf seiner angespannten Schulter

„Bitte geh weg…du wirst sterben…“

Kato schüttelte sie ab und drehte seinen Kopf halb zur Seite. Mit einem schmalen Lächeln meinte er: „Ich habe Angst, aber ich werde nicht weglaufen…dieses Mal nicht.“
 

Gem schien noch etwas erwidern zu wollen, doch der Schrei der Harpyie liess seine Worte untergehen. Sie kam immer näher, Kato konnte die Gefahr und den Tod, die von ihr ausgingen in jeder Faser seines Körpers spüren. Er wusste nicht, was er tun sollte. Seine mickrige Axt würde dem riesigen Vogel nichts anhaben können, wenn es schon Gems Schwert nicht gekonnt hatte. Trotzdem würde – nein, wollte – er nicht weichen.
 

Sie war in Reichweite, er konnte sogar ihre gelben Augen erkennen und dann… hob er seine Axt und schleuderte sie ihr mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, entgegen. Sie wirbelte durch Luft und traf die Harpyie am Kopf. Diese gab bloss einen schwachen Aufschrei von sich, hielt weiter auf ihre beiden Feinde zu, nur um dann direkt vor ihnen zu kollabieren…
 

Kato starrte verwirrt auf den sich immer noch leicht bewegenden Leib der Vogelfrau. Ihre Brust hob und senkte sich rasch und ihre Flügel zitterten ebenfalls noch. Der Sklave verstand nicht wirklich, was passiert war. Er hatte sie getroffen und jetzt lag sie am Boden. Doch im Gegensatz zu Kato schien Gem ganz genau zu wissen, was Sache war, denn er ging humpelnd, aber grinsend um die Gefallene herum und zog die Axt aus ihrem Schädel. Dort wo sie gesteckt hatte, blieb ein blutiges Loch zurück und liess die Harpyie noch einmal kläglich aufkrächzen. Kato erkannte jetzt auch, dass er sie am rechten Auge getroffen hatte und sah sich plötzlich von einer unerklärlichen Welle des Mitleides für diese erbärmliche, leidende Kreatur überrollt.

„Gut gemacht, Kara!“ Gem hatte die Axt neben sich in den Schnee gelegt und nun wieder sein eigenes Schwert ergriffen. „Woher wusstest du, dass es die Köpfe sind?“

„Wusste ich nicht…“ murmelte Kato kleinlaut, während der Nephilim ausholte und die Brust der Vogelfrau nun endgültig mit seinem langen gezackten Schwert durchbohrte. Kato konnte den Anblick nicht wirklich ertragen, also wand er sich ab, doch Gem schloss gleich schon wieder zu ihm auf und legte seinen Arm um die Schulter des Sklaven.

„Es tut mir leid. Ich habe dich falsch eingeschätzt… bitte vergib meine harschen Worte von vorhin.“ Kato ignorierte es und löste sich stattdessen bloss wortlos aus der Umarmung.

Doch Gem schien es wenig auszumachen und humpelte stattdessen in Richtung des spärlichen Restes ihrer Reisegruppe, die immer noch mit den Harpyien rangen, um ihnen über die blut- und leichenübersäte Schneeebene hinweg zuzurufen, dass sie auf die Köpfe zielen sollten.

Kato kriegte davon irgendwie nicht mehr so viel mit. Erst als Gem wieder neben ihm war und erneut seinen Arm um ihn legte, konnte er sich dazu durchringen, ihm einen genervten Blick zuzuwerfen. Doch der Nehpilim lächelte bloss und zog ihn nur noch näher zu sich hin.

„Vielen Dank, dass du mich gerettet hast, mein kleiner Schamane…“ Gem kuschelte sich regelrecht an Kato, der das ganze zwar nicht mochte, aber für einmal geschehen liess.

„… dafür lasse ich dich nach unserer Hochzeit dann auch mal…“ er flüsterte Kato etwas ins Ohr was diesen augenblicklich zum Erröten brachten und dafür sorgte, dass er den Nephilim vehement von sich stiess. „Red nicht so einen Unsinn!“ meinte er vorwurfsvoll, doch Gem schien dadurch nur umso amüsierter. „Ach, dann bist du also lieber unten.“[4]
 

Kato wollte Gem schon empört anfahren, doch der durchdringende Laut eines Hornes liess das bevorstehende Gezeter ersterben und die beiden ihre Köpfe in dessen Richtung wenden. Es kam von hinter der Biegung des Hügels und sorgte bei dem Nephilim dafür, dass er besorgt die Stirn in Falten legte. „Das ist wohl das Zeichen dafür, dass wir gebraucht werden. Wir sollten endlich zu den anderen aufschliessen, die am Schlund kämpfen.“

Gem raffte sich etwas mehr in die Vertikale, verzog aber gleichzeitig schmerzhaft das Gesicht und fügte dann, aus den Augenwinkeln auf Kato schielend, hinzu: „Ich nehme mal an heilen kannst du auch nicht, oder?“

„Nein!“ keifte dieser zurück, ihm immer noch die Bemerkung von vorhin nachtragend. Doch Gem grinste bloss wissend und kramte aus seinem Umhang einen kleinen Tiegel und ein paar Bandagen hervor. Er drückte beides dem Sklaven in die Hand und schälte sich dann schwungvoll aus seiner Kleidung, so dass er plötzlich oben ohne in der Winterlandschaft stand. Bei Kato löste das wiederum vor allem die Reaktion aus mit offenem Mund dazustehen und nicht genau zu wissen, was er tun sollte.
 

„Ähh, findest du es nicht etwas gefährlich hier so nackig rumzurennen, wenn da drüben noch die Vogelweiber lauern?“ Kato deutete zu der kleinen Truppe von Nephilim, die noch immer am kämpfen war, doch Gem zuckte bloss mit den Schultern. „Jeder muss auch mal an sich selber denken. Wir haben unseren Vogel erlegt, jetzt müssen sie mit den ihrigen zurecht kommen. Ausserdem könnte ich so…“ er drehte sich um und präsentierte dem Sklaven seinen blutigen Rücken, über den sich so deutlich die dreigratige Schramme zog, „…sowieso nicht mehr kämpfen.“

Kato musste schlucken. Ja, Gem hatte natürlich Recht. Er hatte ganz vergessen, wie schwer verletzt der Nephilim eigentlich war… aber wer konnte seinen Zustand schon ernst nehmen, wenn dieser die ganze Zeit über dumme Witzchen riss.

„Trag einfach die Salbe auf die Wunde auf und leg dann den Verband darüber. Es wird die Blutung stoppen und die Heilung beschleunigen.“ Kato tat wie ihm geheissen, konnte aber nicht leugnen, dass es ihn etwas unangenehm war, Gems nackten Oberkörper auf so eine intime Weise berühren zu müssen… war besser, wenn Luzifer das niemals erführe.
 

Seine Gedanken fanden ein jähes Ende, als Gem sich abrupt umdrehte und Kato auffordernd anlächelte. „Danke, jede deiner Berührungen ist wie Balsam auf meiner Seele…“ Kato rollte mit den Augen und drückte dem Nephilim das Zeug wieder in die Hand. „Den Rest kannst du selber machen.“ Doch Gem sollte nicht mehr dazu kommen seine restlichen Wunden zu versorgen, denn eine Erschütterung durchfuhr den schneebedeckten Untergrund und liess die beiden erneut erschrocken die Häupter wenden. Dort von hinter der Biegung drang plötzlich etwas hervor….
 

Ein Gewirr an Körpern und Schatten, das sich aber nicht einheitlich in ihre Richtung zu bewegen schien, sondern irgendwie unkoordiniert durcheinander stiess, mal vor- und dann wieder zurückdrängte. Rufe und Schreie hallten zu ihnen herüber… sie waren nicht zum Schlachtfeld gegangen, sondern dieses Mal war es zu ihnen gekommen.

Kato konnte nicht erkennen, wer hier wen gerade zurückdrängte oder wer die Oberhand zu haben schien. In dem mehrheitlich schwarzen Gewühl konnte immer mal wieder ein paar der grauen Nephilimmäntel ausmachen, trotzdem hatte er keine Ahnung wie es gerade stand… es war wieder das Chaos, das er schon einmal hatte beobachten dürfen, nur dass es dieses Mal viel schlimmer und dichter zu sein schien…
 

Und dann über all das erhob sich plötzlich ein Stern.... Ein Stern mit vier schwarzen Flügeln der majestätisch und zerstörerisch auf das herab blickte, was unter ihm geschah… und Kato wusste, dass er ihn gefunden hatte.
 

TBC
 


 

A/N: Gem, das Klischee des netten, kumpelhaften, beschützerischen seme;p Ich nenne ihn auch meinen „All American Hero“, nur dass ein richtiger All American Hero wahrscheinlich nicht den männlichen Kiffer-sklaven anbaggern würde*lol* aber naja, irgendwie mag ich ihn.

Mein Prob mit dem Kapitel war, dass ich eigentlich fand, es sei zu silly, aber das passiert mir irgendwie immer wenn Kato allein unterwegs ist, bzw. ist er einfach unfähig;p

Ich hoffe es hat euch trotzdem gefallen und ihr konntet euch mit Gems kurzem Auftritt anfreunden.
 

[1] Karambol ist eigentlich eine spezielle Art von Billard Regeln. Ich kenn mich damit nicht aus, aber vielleicht versteht Kato ja ausnahmsweise was davon;P

[2] elementum Zauber: Wie der Name schon sagt, geht es um die Manipulation von Feuer, Wasser, Erde und Luft.

[3] Ich weiss, dass ich erst sage, die Harpyien hätten normale Gesichter und nur „schnabelähnliche“ Nasen. Aber in gewisser Weise ist das ein Wahrnehmungsproblem von Kato... Ich selber stelle mir die Harpyien in etwa so vor, wie jemand der eine Vogel/Schnabelmaske über der Nase trägt;P

[4] *g* ich denke, die meisten werden sich denken können, was Gem Kato da angeboten hat *lol*



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  dark-butterfly
2009-10-20T23:16:46+00:00 21.10.2009 01:16

O_o ich hab ein Kapi verpasst...
Ich weiß nicht wie aber ich hab es doch verpasst zu lesen und jetzt erst gemerkt als ich das neueste gesehen hab...

Aber es ist super und daher noch mal >wieso hab ich das nich schon früher gelesen TT_TT<

Okay...
Kato allein unterwegs, schon toll!
Also das er dann erst mal als Nephilim durchgeht, dass hält er selbst ja für seltsam, dann Gem. Also Gem, ich find ihn sooo super!
>Gem metzelte. Kato duckte sich.< hat er wieder ein Schwein dass Gem ihn gefunden hat XD
Und als dann Gem mal böse wird, weil Kato ja echt unfähig ist... naja bis dahin war er mal unfähig...
>"Oh, du bist so süss, wenn du verlegen bist. Ich kann dir nicht böse sein."< also echt ich hatte nen ziehmlichen Lachanfall.

Aber dann der Kampf mit den Harpien als Kato... KATO die Harpie kalt macht, ich glaub ich hab das zwei drei mal gelesen um sicher zu gehen. Das war auch spitze, dass er nicht mehr untätig sein wollte und *puff* Kato killt sie *ne runde beifall für Kato*
Die Schlachten sind wirklich gut beschrieben und besonders der mit den Flatter-Frauen, als sie den einen geschnappt haben... als ich mir das vorgestelt hab wie sie ihn Fallen lässt *uwahhh* kalterschauer...

Aber wirklich das beste am ganzen Kapitel:
>Und dann über all das erhob sich plötzlich ein Stern.... Ein Stern mit vier schwarzen Flügeln der majestätisch und zerstörerisch auf das herab blickte, was unter ihm geschah… und Kato wusste, dass er ihn gefunden hatte.<

DAS ist einfach WOW

so schnell das nächste lesen! Und das nächste mal besser aufpassen!

LG d-b
Von:  nNicole
2009-10-13T16:52:18+00:00 13.10.2009 18:52
Carambolage, auch Karambol, ist der Überbegriff einer Billard-Variante, die mit drei Kugeln gespielt wird. Die Kugeln werden im Fachjargon „Bälle“ genannt, sie haben die Farben Rot, Weiß und Gelb. Alternativ wird mit einer roten und zwei weißen Kugeln gespielt, von denen eine mit einem Punkt markiert ist. Im Gegensatz zum Poolbillard oder Snooker werden hier keine Kugeln in Taschen versenkt; der Tisch hat keine Löcher. Carambolage ist eine Präzisionssportart.

habe ich ausen internet sonst dein ff ist der hammer machweiter so wird zu kapitel immer besser.


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