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An Elicoorian Christmas Carol

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Soviel zu: Das letzte Kapitel sollte jetzt eigentlich schnell gehen. Jetzt habe ich doch wieder ein Jahr gebraucht, verzeiht. Vor allem, weil das Kapitel damals wirklich schon zur Hälfte fertig war. /D
Aber obwohl seit dem ersten Kapitel mittlerweile fünf Jahre vergangen sind, der allgemeine SO3-Flash vorüber und die meisten Fans zu anderen Fandoms weitergezogen sind, war es mir doch irgendwo wichtig, das ganze hier trotz der geringen Leserzahl zueende zu bringen. Einfach, weil ich Dinge nicht gerne unbeendet irgendwo liegen lasse.
Es ist immer etwas seltsam, nach so langer Zeit zu einem Charakter zurückzukehren. Ein bisschen wie Fahrrad fahren. Am Anfang etwas wacklig, aber verlernen tut man es nicht. Ich hoffe, ich habe Albels Charakter im letzten Kapitel jetzt nicht zu einer OoC-iC-Wackelpartie werden lassen, weil es nun wirklich etwas länger Herr ist, seit ich mich mit Herrn Griesgram beschäftigt habe. Eine Char-Entwicklung musste es ja geben, ich hoffe jetzt einfach, ich hab sie einigermaßen plausibel rübergebracht. Komplett anzeigen

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Unerwarteter Besuch

Das azurne Tuch des Himmels spannte sich endlos über die oberste Ebene der Trainingsfakultät. Zartes Weiß krönte die Häupter der hohen Mauern und zahllose Eiskristalle rankten sich gleich prächtigen Blumen über den rauen Stein.

Die winterliche Kälte ließ den Atem der hier trainierenden Männer als feinen, glänzenden Dunst durch ihre dunklen Visiere treten und tanzte gleich Schnee vor ihren Gesichtern. Das gefrorene Wasser, welches sich dadurch bereits auf dem geschwärzten Metall der Sehschlitze festgesetz hatte, fing das Sonnenfeuer ein und warf es seiner wärmenden Kraft beraubt um ein Vielfaches zurück. Die riesigen Schwerter der Krieger vereinten sich in einem blitzenden Reigen aus poliertem Stahl, während der silberhelle Gesang der Waffen weit hörbar über den Kampfplatz schallte.

Albels blutrote Augen ruhten wachend auf dem Treiben, obwohl ihn der Anblick nicht wirklich befriedigte.

Nur wenige Wochen hatte er nicht auf diesem Planeten geweilt.

Aber anscheinend hatte diese kurze Zeit ausgereicht, um seine stolze Brigade zu einer Truppe verweichlichter Schwächlinge verkommen zu lassen. Mehrere Monate waren nun schon seit seiner Rückkehr verstrichen und immer noch wirkten die Bewegungen seiner Männer unerträglich schwerfällig.

Es war die gerechte Strafe für die Faulheit dieser Maden, dass sie nun ihr Training in der beißenden Winterkälte absolvieren mussten.

„... Kaptain?“

Die unsichere Stimme ließ die Rubine des Elicoorianers zur Seite wandern und legten sich mit einem Ausdruck steigender Verärgerung auf den Schwarzgerüsteten zu seiner Linken, der seine Übungen offensichtlich unterbrochen hatte. Der Mann schluckte, als sich die blutroten Kristalle mit einer Frostigkeit, welche den kühlen Wind an diesem Ort wie einen heißen Wüstensturm erscheinen ließ, auf ihn richteten und ein guter Teil seines Selbstvertrauens zerfiel in diesem eisigen Feuer spürbar zu Asche.

„Was ist, Wurm?“ knurrte Albel und machte somit deutlich, dass ihm diese Disziplinlosigkeit ganz und gar nicht gefiel. Seinem Gegenüber indessen gelang es nicht, dem bohrenden Blick des Vierundzwanzigjährigen standzuhalten und er richtete das Gesicht hinter dem Visier zu Boden.

„Nun... i-ich bin mir nicht sicher, ob Ihr wisst, was heute für ein Tag ist..“ stammelte er und hatte offensichtlich selbst Angst vor seinen nächsten Worten.

„... es.. es ist der erste Tag des Sternenfeuerfestes und.. u-und ich sollte Euch von den Männern fragen, ob ihr uns nicht zumindest für heute frei-freigeben könnt, damit wir den Abend bei unseren Familien verbringen können.“

Albel schnaubte abfällig.

„Bah, Sternenfeuerfest.“

Der Anführer der Schwarzen Brigade neigte den Kopf ein wenig zur Seite, die rechte Hand auf dem Heft seines Katana ruhend, und blickte geringschätzig auf den Krieger herab.

„Sieh mich genau an und überlege dir deine Antwort gut. Sehe ich wie jemand aus, den dieser Schwachsinn kümmern würde?“

Der Mann blickte vorsichtig auf und schüttelte dann langsam den Kopf.

„Nein, Kaptain...“ gab er zerknirscht zu, worauf Albel bestätigend nickte. Ein unterschwelliges Grollen lag immer noch in dem blutigen Rot.

„Es ist ein Tag wie jeder andere. Also werdet ihr auch wie jeden anderen Tag trainieren, verstanden?“

Der untergebene Krieger nickte gezwungen.

„Jawoll, Kaptain!“

„Zudem will ich vor Anbruch der Dunkelheit keinen von Euch in der Fakultät sehen. Für deine Unverschämtheit werdet ihr das Training bis heute Abend verlängern.“

Wenn das Visier des Schwarzgerüsteten nicht dessen Gesicht verdeckt hätte, so hätte Albel mit Sicherheit beobachten können, wie alle Farbe aus dessen Zügen ob dieser Anweisung wich. Der Ansatz eines boshaften Lächelns umspielte die Lippen des jungen Kämpfers. Strafe, wem Strafe gebührte.

„Verstanden?“

„Verstanden...“ presste sein Gegenüber hervor, salutierte zackig und kehrte steifen Schrittes zu seinem Kampfplatz zurück, um seinen Kameraden die Hiobsbotschaft zu überbringen.
 

Albel kehrte dem Geschehen den Rücken zu und betrat die Gänge der Wohnunterkünfte, in denen es zu dieser Jahreszeit nur ungleich wärmer war wie draußen.

Sein Triumphgefühl war rasch abgeflaut, die Empfindung nach wenigen Augenblicken bereits wieder verebbt.

Der Vierundzwanzigjährige konnte es nicht fassen. Jetzt fingen seine Männer auch schon mit diesem Unsinn an. Als wenn dieser blauhaarige Idiot heute Vormittag nicht schon genug gewesen wäre. Die Stimme des Jugendlichen klang immer noch in seinen Ohren nach...
 

***
 

„Ich wollte dich fragen, ob du heute Abend nicht ins Schloss kommen willst. Nel hat mir von eurem Sternenfeuerfest erzählt und wir wollten es als Anlass nehmen, uns alle einmal wiederzusehen. Ich dachte...“

„Humbug.“

Albels tiefer Bariton erstickte das Anliegen des Wissenschaftlersohns im Keim, indem er es einfach übertönte. Er brauchte es nicht zu hören, um zu wissen, worauf Fayt hinauswollte – in diesem Bezug war dieser Idiot einfach zu durchschaubar. Und unglaublich dumm.

Keine Macht dieser oder einer anderen Welt würde ihn dazu bringen, sich zu einer Feier mit diesem Abschaum herabzulassen.

„Dieses Fest ist nur etwas für Idioten. Ich habe Wichtigeres zu tun als meine Zeit mit solchen Schwachköpfen zu verbringen.“
 

Das Sternenfeuerfest, welches der Jugendliche soeben erwähnt hatte, markierte die Heirat der drei Mondgöttinnen Irisa, Erinia und Palmira mit dem Sonnengott Apris. Um seinen Gemahlinnen die Stunden seiner Abwesenheit während der dunklen Zeit des Tages erträglicher zu machen, hatte der Himmelsherrscher mithilfe der Lichtgöttin Elena laut Legende zahllose, winzige Abbilder seiner selbst in der Finsternis des Nachthimmels entzündet und den Menschen somit gleichzeitig den kalten Schein der Sterne geschenkt. In Erinnerung daran schmückte man die Häuser jedes Jahr zur Winterszeit mit den leuchtenden Nachbildungen jener funkelnden Himmelskörper und überreichte sich selbst kleine Präsente, welche als Sinnbild für die Gabe des Sonnengottes waren. Zum Höhepunkt des Festes warfen sich die Familienväter oft in das Gewand, welches Apris in seiner personifizierten Form trug, und zogen des Abends unter den staunenden Augen ihrer Liebsten mit Geschenken bepackt in die Wohnung ein.

Sentimentaler Schwachsinn, dachte Albel. Es war doch ohnehin nicht viel mehr als Heuchelei. Der Alltag wischte die Feiertage schneller wieder aus den Gedanken der Menschen als die vermeintlich glückliche Zeit angedauert hatte und ein jeder war wieder die gleiche, übelgelaunte Person wie immer.
 

„Hast du niemand anderen, den du damit belästigen kannst?“ setzte er nach.

„Bitte, Albel. Alle anderen sind auch da“ startete Fayt einen erneuten Versuch. Obwohl er wenige Sekunden später selbst enttäuscht feststellen musste, wie unglücklich er sein Argument gewählt hatte.

„Noch ein Grund mehr, nicht hinzugehen. Ich glaube kaum, dass mich auch nur eine dieser Maden vermissen würde.“

Es war dem Neunzehnjährigen anzusehen, dass sich bereits eine weitere Erwiderung hinter seinen Lippen formte, bei dessen Aussprache er jedoch zu zögern schien. Aber anstatt sie in Worte zu fassen, suchte das Smaragdgrün verzagend den Anblick des Bodens und ein resignierendes Schulterzucken folgte.

„Ich kann dich zu nichts zwingen.“

Der junge Mann vermeinte die Spur eines traurigen Lächelns auf Fayts Zügen zu vernehmen, bevor dieser umdrehte und sich auf den Rückweg durch den nahen Eingang der Fakultät machte. Unter dem mächtigen Torbogen hielt er ein letztes Mal inne und blickte zurück.

„Falls du dich entschließt, doch noch zu kommen... wir feiern im Schloss von Ariglyph..“

„Hmpf...“
 

***
 

Mit dem gleichen Ton der Geringschätzung auf den Lippen ließ der Elicoorianer sich auf dem Kante seines schmalen Bettes nieder. Mit einem weiteren Grummeln verschränkte er die Arme vor der Brust und lehnte seinen Rücken an die kühle Steinwand, welche die Schlafstätte rechterhand begrenzte.

Er hasste diese Zeit des Jahres mehr als alles andere. Jeder Mensch schien sich plötzlich in einen hirnlosen, weichherzigen Idioten zu verwandeln, der großzügig über seine und die Fehler anderer hinwegsah und seine übliche Lebenseinstellung für ein wenig falsches Glück mit den Füßen trat. Es glich beinah schon einer Epidemie.

„Maden!“ fluchte er in die Stille des Raumes hinein – selbst nicht genau wissend, gegen wen sich seine Wut eigentlich richtete.

„Wie ich sehe hast du dich nicht verändert.“

Albel zuckte ob der überraschenden Erwiderung unwillkürlich zusammen. Er war sich sicher, die Tür hinter sich geschlossen zu haben und seitdem hatte sie auch niemand geöffnet. Zudem war ihm die Stimme wohlvertraut. Eine Stimme, die er nicht mehr gehört hatte, seitdem... seitdem ihr Besitzer seit einiger Zeit als Futter für jene Würmer diente, auf die er einst so hinabgesehen hatte?!

Sein Kopf schnellte in Richtung des Eingangs.

„Vox!?!

Der tiefe Bariton des Vierundzwanzigjährigen überschlug sich mehrfach als er den verblichenen Anführer der Drachenbrigade vor dem verriegelten Portal aus Holz erblickte und die Rubine des Kriegers zeigten für einen Moment vollkommene Leere; während sein Bewusstsein das eigentlich unmöglich real existierende Bild des älteren Mannes mit seinem Verstand zu vereinen versuchte.

Dann schien Albel sich gefangen zu haben und eine Falte zog eine tiefe Furche über seine glatte Stirn.

„Du solltest tot sein“

Der blondhaarige Mann drehte sich ein wenig und streckte seinen behandschuhte Faust scheinbar mühelos durch den zentimeterdicken Stein der Mauer.

„Ich bin tot“ stellte Vox trocken fest.

„Was tust du dann hier?“ fragte der Schwertkämpfer zweifelnd und entschied sich gleichzeitig, demjenigen einen langsamen und grausamen Tod zu bereiten, der ihm die Rauschmittel ins Wasser gemischt hatte und nun für diese sehr lebensechte Halluzination verantwortlich war.

Der Anführer der Drachenbrigade – oder besser das, was von ihm noch übrig war – antwortete nicht sofort, sondern warf einen Blick auf die Wand, ganz so als könne er auf den Kampfplatz dahinter schauen. Er nickte anerkennend.

„Offensichtlich weißt du, wie du mit deinen Männern umzugehen hast“

Das selbstsichere Grinsen auf Albels Zügen erlosch in jenem Moment, in dem Vox seine stahlgrauen Augen zurück auf den Vierundzwanzigjährigen richtete. Jegliches Lob war aus den kühlen Seelenspiegeln gewichen als er fortfuhr.

„Und das ist falsch.“

Die Lippen des jungen Kriegers schrumpften zu einer schmalen, wütenden Linie zusammen.

„Wer- oder Wasimmer du bist – du bist nicht Vox. Aus seinem Mund wäre niemals solch ein Schwachsinn gekommen.“

Vox lachte bitter. „Ich hätte selbst nicht geglaubt, dass ich jemals so etwas sagen würde wenn es mir damals jemand erzählt hätte.“

Er verstummte und hob eine Hand neben sein Gesicht. Seine Augen verweilten kurz darauf, dann blickten sie den Schwertkämpfer ernst an.

„Siehst du diese Ketten?“

Erst jetzt fiel Albel auf, dass sich eine schwere Eisenkette um das Gelenk des älteren Mannes wand. Aber nicht allein an dieser Stelle seines Körpers. Die ganze Gestalt des Anführers der Drachenbrigade schien in jene schweren Fesseln gelegt. An ihren freien Enden tanzten symbolträchtig Schädel und Knochen besiegter Feinde durch die Leere der Luft.

„Ich habe sie mir während meines Lebens selbst geschmiedet, Glied nach Glied, Jahr um Jahr, und sie willentlich getragen. Es sind die Ketten der Kaltherzigkeit und des Verrats. Sie halten mich in dieser Welt und verdammen mich, ungesehen als ruheloser Geist über die Erde zu ziehen.“

Das abschätzige Leuchten in den Rubinen des Vierundzwanzigjährigen zeigte das geringe Maß an Mitleid, welches er für seinen Gegenüber empfand. Wenngleich er nicht umhin kam, die Frage auf den Grund jener vorangegangen Erklärung zu stellen.

„Was hat das mit mir zu tun?“

„Du besitzt ebenfalls solche Ketten. Noch sind sie nur ungleich kürzer wie meine, doch sie werden an Gewicht und Länge zunehmen, solltest du dein Verhalten nicht ändern.“

Alles, was der Anführer der schwarzen Brigade dem Mann vor ihm entgegenbringen konnte, war ein weiterer, verächtlicher Blick. Unsichtbare Ketten... Humbug.

„Es ist wirklich enttäuschend zu sehen, was für einem jämmerlichen Wurm der Tod aus dir gemacht.“

Vox zuckte mit den Schultern.

„Ich kann nicht vielmehr tun als dich zu warnen. Noch ist es nicht zu spät, dein Schicksal zu ändern. In dieser Nacht werden dich drei Geister besuchen.“

Die Worte ließen Albel unweigerlich aufhorchen. Anscheinend wurde er jetzt wirklich wahnsinnig. Die Heimsuchung durch die transzendenten Überreste des Anführers der Drachenbrigade, das Geschwätz über eiserne Fesseln und nun die Ankündigung über die Ankunft drei weiterer dieser Gestalten – so etwas konnte sich niemand ausdenken oder träumen, der noch bei Sinnen war.

„Was ist, wenn ich diese drei Geister nicht treffen will?“ murrte der Vierundzwanzigjährige, die Situation, an der er ja ohnehin nichts ändern konnte, gezwungenermaßen akzeptierend.

„Dann kannst du nicht darauf hoffen, einen anderen Weg einzuschlagen als ich es getan habe.“
 

Das war nicht das gewesen, was Albel hatte hören wollen. Dieses schicksalsträchtige Gebrabbel von Vox, dem der Tod offensichtlich auch noch das letzte bisschen Verstand geraubt hatte, hatte seine Geduld bis aufs Äußerste strapaziert. Schluss mit diesem Schwachsinn!

„Humbug!“ bellte er entnervt und entlud mit einem heftigen Schwung seiner Kralle eine Welle symbologische Energie auf den älteren Mann.

Die hölzerne Tür vibrierte unter der Einwirkung der ungezügelten Kraft, welche die Attacke in sich trug.

Die durchscheinende Gestalt des Anführers der Drachenbrigade hingegen war verschwunden.

„Vox?“ fragte der Vierundzwanzigjährige unsicher.

Die Flammen auf den Häuptern der weißen Wachskerzen, welche auf dem nahen Standleuchter saßen, erzitterten in einem eisigen Lufthauch. Dann herrschte vollkommene Stille

‚Humbug’ wollte Albel sagen, doch bereits nach der ersten Silbe blieb ihm das Wort im Halse stecken. Plötzlich war er sich überhaupt nicht mehr sicher, ob diesen Treffen tatsächlich nur auf seiner Einbildung beruhte.

Die Zurechtweisungen des älteren Mannes hatten etwas in ihm aufgewühlt, das durchaus real war und dessen Wogen er schwerlich wieder besänftigen konnte. Ein Gefühl, welches er bis aufs Blut verabscheute.

Reue.

Unvermittelt kam ihm das traurige Lächeln des Jugendlichen wieder in den Sinn – wie verletzt Fayt gewirkt hatte.

Albel schüttelte den Kopf, um die Erinnerung zu vertreiben, ließ sich auf sein Kissen sinken und schloss die Lider.

Er wollte von all dem nichts mehr wissen. Was verstand solch ein lächerlicher Geist schon, was in ihm vorging. Er hatte dieses Fest schon seit Ewigkeiten nicht mehr gefeiert. Warum sollte er jetzt mit diesem abergläubischen Schwachsinn anfangen?

Es gab ohnehin nichts mehr, das es wert machte, es zu feiern...

Der erste Geist

Als der Anführer der Schwarzen Brigade die Augen wieder öffnete, empfing ihn vollkommene Dunkelheit. Die Kerzen auf dem Standleuchter waren zu formlosen Stümpfen zerschmolzen und ihr rötliches Licht verloschen.

Der eisige Atem des Winters hatte den kleinen Raum gänzlich mit seiner Kälte durchdrungen und ließ die warme Luft auf den Lippen des Elicoorianers zu feinen Kristallen erstarren.

Albel streckte seine steifen Glieder von sich und verzog beim Bewegen der ausgekühlten Muskeln schmerzvoll das Gesicht, während das Leben mit peinigender Hitze in sie zurückkehrte.

Es sprach alles dafür, dass er während seiner Grübeleien eingeschlafen sein musste. Andernfalls wäre er jetzt nicht dermaßen durchgefroren und seine Kammer so erbärmlich kalt.
 

Ein kindliches Kichern ließ ihn auffahren.

Auf dem durchgelaufenen Teppich in der Mitte seines Zimmers stand ein junges Mädchen. Es konnte kaum älter als zwölf Sommer sein, doch ihren amethystfarbenen Augen wohnte eine Weisheit inne, die ein Kind dieses Alters unmöglich besitzen konnte.

Schulterlanges Haar umrahmte in weißen Wellen sein sonnengebräuntes Gesicht und die schneefarbene Tunika, welche ein schmales, strahlendes Band um ihre Hüften raffte, schien im Halbdunkel zu leuchten. Filigraner Goldschmuck blitzte an den entblößten Armen und Beinen der kleinen Dame und das kunstvoll gearbeitete Diadem um ihre Stirn funkelte in einem überirdischen, schwachen Licht, welches die Finsternis zurück in die Ecken des Raumes trieb.

Sie grinste.

„Du bist niedlich, wenn du schläfst.“

Die sanfte, hohe Stimme wirkte um Jahre zu reif für diesen schmalen Körper. Den Vierundzwanzigjährigen interessierten diese Widersprüchlichkeiten in der Erscheinung des Kindes jedoch gerade herzlich wenig. Heute war ein Ereignis dem nächsten gefolgt, welche in ihrer Summe die ohnehin schon schlechte Laune des Schwertkämpfers auf einen ungeahnten Tiefpunkt hatte sinken lassen. Dass nun schon zum zweiten Mal ungefragt jemand sein Zimmer betrat, brachte das Maß zum überlaufen. Geist hin oder her.

„Was bist du?“ fragte er harsch, worauf das Mädchen eine Schnute zog.

„Und so ein alter Griesgram, wenn du wach bist.“

„Raus mit der Sprache.“

Von der Wut des jungen Mannes unbeeindruckt lächelte es und vollführte vor Albel einen formvollendeten Knicks, der jede Hofdame vor Neid hätte erblassen lassen.

„Ich bin der Geist der vergangenen Sternenfeuerfeste.“
 

Augenblicklich kam dem Schwertkämpfer das Gespräch mit Vox wieder in den Sinn, welches er als schlechten Traum abgetan hatte. Doch augenscheinlich war es tatsächlich Wirklichkeit gewesen, wenn er den Mädchen Glauben schenkte – und unter der Vorraussetzung, dass dies hier nicht nur ein weiteres, verrücktes Gespinst seiner Fantasie war.

Ein weiteres Mal ließ Albel seine Rubine über die kleine Dame wandern und versuchte, sich einen Reim auf die Anwesenheit seines ungewollten und seltsamen Gastes zu machen. Der Name für sich allein war schon lächerlich genug. Geist der Sternenfeuerfeste. Was für ein ausgemachter Unsinn. Es war ohnehin alles nur Humbug.

Dennoch beschloss er, sich auf ihr Spiel einzulassen. Ihm war momentan jedes Mittel recht, solange ihn dieses Kind dadurch wieder in Frieden ließ und er in Ruhe weiterschlafen konnte.

„Aller Feste?“ brummte er, schlicht und ergreifend deshalb, weil ihm keine bessere Erwiderung er auf die Vorstellung des Mädchens einfiel.

Mit einem Kopfschütteln verneinte es die Frage des Vierundzwanzigjährigen.

„Deiner“, erklärte das Geisterkind und trat einen Schritt näher an Albels Bett.

Es lehnte sich über die Kante der Schlafstätte und umschloss in einer raschen Bewegung das Handgelenk des Kriegers mit einer Stärke, die der junge Mann der kleinen Dame ob der zierlichen Gestalt nicht zugetraut hatte.

„Ich bin gekommen, um sie dir zu zeigen.“
 

Es schien ihr keine Mühe zu bereiten, den sehr viel größeren Elicoorianer mit einem sanften Ruck von seiner Matratze auf dessen Beine zu befördern. Die wenigen Momente einer möglichen Gegenwehr Albels verstrichen ungenutzt.

Die kaum fassbare Dreistigkeit und Stärke des jungen Mädchens hatte eine lähmende Welle des Unglaubens durch seinen Körper rollen lassen, welche nun erst wieder versiegte.

„Komm mit“, forderte es ihn auf und hob die freie Hand zu einer einladenden Geste.
 

Der Anführer der Schwarzen Brigade schnaubte und ergab sich voller Widerwillen dem ständigen Ziehen ihrer Finger. Das Verhalten des Kindes ließ erahnen, dass sie ihn ohnehin nicht eine Sekunde früher gehen lassen würde. Bevor er nicht das gesehen hatte, das er ihrer Ansicht nach unbedingt sehen sollte.

Nachdem seine Führerin allerdings begonnen hatte, entschlossen in die Richtung einer Zimmerwand zu marschieren, erklärte er das Mädchen endgültig für die personifizierte Form einer schweren Geisteskrankheit. Vielleicht konnten übersinnliche Wesen wie sie Mauern durchschreiten – Albels Körper hingegen bestand aus Fleisch und Muskeln, für die der dicke Stein sehr wohl ein Hindernis darstellte.

„He, Made...“ merkte er an, doch der zwitschernde Sopran unterbrach ihn, kaum dass er die Stimme erhoben hatte.

„Vertrau mir“, erwiderte sie geheimnisvoll und seine Gedanken erratend.

Albel indessen kniff die Lider zusammen und bereitete sich innerlich auf einen schmerzhaften Zusammenstoß mit der Zimmerwand vor – welcher jedoch wider Erwarten ausblieb.

Stattdessen liebkoste eine von Feuer gewärmte und von Rauch geschwängerte Luft seine Wangen. Der vertraute Geruch winterlicher Gewürze kitzelte seine Nase und das Knistern munterer Flammen drang an seine Ohren.

Vorsichtig öffnete er die Augen wieder um zu sehen, an welchen Ort ihn das Mädchen gebracht hatte.
 

Albels Magen zog sich stechend zusammen als er den Raum wiedererkannte, in dem er sich befand.

Ein dicker, rubinfarbener Teppich, in dessen Mitte man mit Goldgarn kunstvoll das Emblem eines Drachen eingewirkt hatte, bedeckte fast den gesamten Boden der weitläufigen Wohnstube und schütze die Füße vor der Kälte des Steinbodens darunter. Schwere Vorhänge in der selben, kräftigen Farbe leuchteten gleich den letzten Strahlen der Abendsonne im schummrigen Licht neben den Glasfenstern, welche der Schneesturm, welcher draußen in der Dunkelheit tobte, durch einen eigenen Schleier weißer Flocken hatte erblinden lassen.

Ein helles Feuer tanzte auf den Holzscheiten im großen Kamin und verbreite Licht und Wärme.
 

„Wollt Ihr zumindest nicht etwas Schmuck aufhängen?“

Die nahezu schon flehende Stimme einer Frau veranlasste den Krieger, sich herumzudrehen.

Bei einer Sitzgruppe aus Polstermöbeln konnte er zwei Personen ausmachen. Eine davon – jene, die soeben gesprochen hatte – war eine junge Dienstmagd.

Sie schob sich scheu eine braune Locke, welche sich unter ihrer Haube gelöst hatte, hinter ihr Ohr und fügte wesentlich sanfter hinzu:

„Es ist schließlich Sternenfeuerfest.“

Ihr Gegenüber war ein Junge von vielleicht acht Jahren. Die Arme vor der Brust verschränkt hatte er sich in einem der Sessel niedergelassen. Das weiße Hemd aus feingewobener Wolle mit dem malvefarbenen Brokatwams darüber wiesen ihn eindeutig als Sohn eines Adligen aus und das schulterlange Haar, dessen einzelne Strähnen wie flüssiges Gold und schimmernder Onyx sein Gesicht umspielten, hatte er zu einem Zopf im Nacken zusammengefasst. Die blutroten Augen des Kindes zeigten grenzenlose Enttäuschung.
 

„Das bin ich“, murmelte der Vierundzwanzigjährige und näherte sich seinem jüngeren Ebenbild ein wenig, bevor seine Rubine auf das Mädchen zurückfielen.

„Können sie uns sehen?“

Ihr Haar tanzte wie Silberdunst um ihr Gesicht, während sie den Kopf schüttelte.

„Sie sind Schatten deiner Erinnerung, wie dies alles hier. Sie können uns weder sehen noch hören. Wir sie aber sehr wohl.“

Albel blickte zurück auf den Jungen, der er vor sechzehn Jahren gewesen war und ihm war noch genau der Laut jener Worte im Gedächtnis, welche dieser auf die Bitte der Angestellten erwidern würde.
 

„Nein. Es ist sowieso niemand da, der es sehen würde. Vater ist noch Wochen auf dieser dummen Mission und alle anderen Diener haben frei.“

Der Anführer der Schwarzen Briagde konnte beobachten, wie ein trauriges Lächeln sich auf die Züge der Magd legte. Es war das gleiche Lächeln, welches er erst vor wenigen Stunden auf dem Gesicht einer Person gesehen hatte, die er mit einer ähnlich harten Gegenrede abgewiesen hatte und er konnte nicht verhindern, dass jene schuldvollen Gefühle erneut nach seinem Herz griffen.

Die junge Frau seufzte resigniert, nickte jedoch kurz darauf verständnisvoll.

„Wie Ihr wünscht. Dann werde ich uns jetzt das Abendessen zubereiten.“

Mit diesen Worten zog sich die Angestellte des Hauses Nox zurück in die Küche.

Der jüngste Spross des Adelsgeschlechts hingegen verweilte weiterhin in der großen Wohnstube, welche plötzlich erdrückend leer und vereinsamt wirkte.

Er stieß die Luft mit einem frustrierten Laut zwischen den Lippen hervor, überschlug die Beine in der engen, schwarzen Hose und starrte hinaus in den tobenden Schneesturm.

Niedergeschlagenheit hatte den wütenden Ausdruck auf seinem kindlichen Gesicht ersetzt.
 

„Es ist grausam, dieses Fest allein verbringen zu müssen“, kommentierte der Geist der vergangenen Sternenfeuerfeste mitfühlend.

„Warte...“ widersprach der Krieger. Ein wissendes Leuchten lag in den Rubinen und etwas umspielte seine Mundwinkel, das zu einem Lächeln werden mochte, sollte es jemals seine volle Stärke entfalten.

Fast zeitgleich mit der Erwiderung des Vierundzwanzigjährigen erzitterte die hölzerne Tür des Zimmers unter einem kraftvollen Klopfen.
 

„Ich will niemanden sehen!“ murrte der achtjährige Albel, worauf nach einem entrüsteten Auflachen eine Stimme hinter dem Portal erklang, die eine gealterte Reflektion seiner eigenen zu sein schien.

„Du willst Apris den Einlass verwehren? Dann wird es dieses Jahr aber keine Geschenke geben.“

Die blutfarbenen Augen des Jungen waren weit vor Unglauben und augenblicklich gab er seine unbequeme Haltung auf, schob dabei hastig seinen schmalen Körper aus dem Sessel. Anschließend stürmte er zur Tür und riss sie auf.

„Vater!“ rief er atemlos.

Der damalige Anführer der Drachenbrigade hatte sich einen weißen Umhang über seine dunkle Rüstung geworfen und ihn mit einer sonnenförmigen Brosche festgeschnallt. Es war eines der dürftigsten Apris-Kostüme, die Albel jemals gesehen hatte... und gleichzeitig eines der besten.

Die Maskerade fiel jedoch schnell und gab das liebende Familienoberhaupt dahinter preis, als Glou sich lächelnd niederkniete und den Achtjährigen in eine innige Umarmung schloss.

„Hallo, mein Sohn... und ein frohes Sternenfeuerfest.“

Das jüngste Mitglied des Hauses Nox war immer noch sichtlich überwältig von diesem kleinen Wunder; seine kindliche Stimme sich mehrfach überschlagend und den unsteten wie fröhlichen Schlag seines Herzens reflektierend.

„Wie kommst du hierher? Du warst doch auf einer Mission in Aquaria.“

Sein Vater legte die behandschuhten Fäuste auf die Schultern des Kindes und schob ihn ein wenig von sich.

„Waffenstillstand“, erklärte das Familienoberhaupt simpel, wobei die Erleichterung deutlich in seinen Zügen lesbar war. „Während des Sternenfeuerfestes kämpft niemand gern.“

Dann blickte Glou ein wenig reumütig zu Boden. „Leider hatte ich nicht mehr die Zeit, Geschenke zu besorgen.“

Der Achtjährige schüttelte den Kopf und seine Mundwinkel kräuselten sich sanft. „Die brauche ich nicht. Ich habe das Beste schon längst...“
 

Warmherzig lächelnd zerzauste der damalige Anführer des Drachenbrigade seinem Sohn das Haar.

Das gleiche, zufriedene Strahlen fand sich auch auf den Lippen des jungen Mannes und jegliche Kälte war aus dem einst so kühlem Rot gewichen, während er die Szene betrachtete.

„Es brauchte nicht viel, um dich glücklich zu machen, nicht wahr?“ fragte der kindliche Geist.

„Nein...“ gab Albel zu und wandte seinen Blick von den beiden Gestalten in der Tür ab.

Unmittelbar darauf erlosch das sanfte Leuchten auf seinen Zügen und wurde von der üblichen Verbitterung überdeckt.

„Aber ich war ein Kind. Diese Zeit ist lange vorbei“
 

Die beiden Amethyste des Mädchens fixierten den Schwertkämpfer. Das helle Violett war unleserlich und ihre glatte Stirn legte sich in Falten.

Plötzlich grinste sie zufrieden.

„Auf zum nächsten Fest!“ rief der Geist voller Tatendrang und ehe Albel reagieren konnte, hatte sie erneut sein Handgelenk umschlossen und zog den Elicoorianer durch die Zimmerwand neben ihnen.
 

Die Sonne verwandelte die dichte Schneedecke auf den Stra0en Ariglyphs in ein Meer aus zahllosen, falschen Diamanten, welche der Wind gleich feinen Nebel aus glitzerndem Sternenstaub aufwirbelte.

Dem Erscheinungsbild des jungen Albel Nox nach zu urteilen, der gerade wie ein Verbrecher durch die verschneiten Gassen schlich, mussten seit der letzten Erinnerung einige Jahre ins Land gezogen sein. Aus dem kleinen Kind war ein stattlicher Rekrut der Drachenbrigade geworden.
 

Von den Augen des Jugendlichen ungesehen standen auf einem nahen Hausdach ein junges Mädchen und das ältere Ebenbild des Soldaten in Ausbildung.

„Was tust du da?“ fragte der Geist der vergangenen Sternfeuerfeste. Zweifel hatten sich ob des seltsamen Verhaltens des Rekruten zu ihren Füßen in ihre hohe Stimme geschlichen.

Albel grummelte etwas Unverständliches. Es war der Winter vor zehn Jahren gewesen. Natürlich wusste er noch um den Grund für die Heimlichtuerei seines jüngeren Spiegelbildes. Doch mittlerweile war er ihm... nun, nicht direkt peinlich. Er konnte nur einfach nicht glauben, zu einer solchen Sentimentalität fähig gewesen zu sein.

Eine bekannte Männerstimme ersparte dem Krieger die Antwort, indem es die gleichen Worte an den Rekruten unter ihnen richtete, welcher ertappt zusammenzuckte.
 

„Solltest du nicht in der Kaserne sein und trainieren?“ fuhr Glou in einem tadelnden Ton fort.

Der Vierzehnjährige verschränkte die Arme vor der Brust und reckte herablassend das Kinn in die Höhe.

„Ich wüsste nicht, was dich das angeht.“

In seinem Stolz hätte er nicht mit einer einzigen Silbe zugegeben, dass ihn Suche nach Geschenken für das Sternenfeuerfest seine Übungen hatte unterbrechen lassen, da ihm das harte Training schon mehrmals zuvor die Zeit dafür gestohlen hatte.

„Sehr viel, wo ich das Oberhaupt der Brigade bin, dessen Führung du eines Tages übernehmen sollst“, erwiderte sein Vater.

Ein fast schon diabolisches Grinsen ließ die Lippen des Jugendlichen nach oben wandern.

„Sieh lieber zu, dass DU nicht außer Form gerätst, ALTER Mann“ rief Albel und er ging schnell in die Hocke, um mit einem raschen Griff einen Schneeball zu formen. Seinen Bewegungsablauf nicht unterbrechend, schleuderte er die kleine Kugel in die Richtung seines Vaters, an dessen Schulter sie in eine Wolke aus Eiskristallen zerstieb.

„... sonst kommt dieser Tag früher als du denkst! Deine Reflexe waren auch schon einmal besser!“ höhnte er und konnte nur mit Mühe dem kalten Gegenangriff des älteren Mannes ausweichen.

„Und deine noch niemals so schlecht!“ konterte Glou und bereitete seine nächste Attacke vor.

„Wenn ich es mir recht überlege, könnte ich dich für diese Disziplinlosigkeit eigentlich von der Feier heute Abend ausschließen“, sprach der damalige Anführer der Drachenbrigade weiter und stand in aller Seelenruhe auf – sein Sohn würde nicht zurückschlagen.

Die Kraft trat ob dieser Worte aus Albels Gesicht wie Wasser aus einem lecken Eimer.

Keinen Augenblick später explodierte ein feuchter Schneeball auf den fassungslosen Zügen des Vierzehnjährigen.

Glou lachte.

„Seit wann glaubst du eigentlich alles, was man dir erzählt?“

Der junge Rekrut entgegnete nichts. Obwohl das leichte Grinsen den Ausdruck tödlicher Entschlossenheit in seinen blutroten Augen trübte, tauchte er herausfordernd beide Hände in das kühle Weiß. Das letzte Wort in diesem Kampf war noch nicht gesprochen.
 

„Bist dieser undisziplinierte Kerl wirklich du?“

Der Geist blickte ungläubig an dem Vierundzwanzigjährigen herauf.

„Du verstehst das nicht“, knurrte Albel. „Ich war...“

Er verstummte als er die Bedeutung der Worte realisierte, die kurz davor gewesen waren, über seine Lippen zu kommen. Er war glücklich gewesen. Hatte Erfüllung in diesen einfachen Dingen des Lebens gefunden, ohne nach ihr gesucht zu haben.

Es war eine sorgenfreie Zeit gewesen.

Nun jedoch...

Sein Blick wanderte auf die eiserne Kralle, welche seine linke Hand ersetzte, und er ballte sie zusammen.

... was war von all dem noch geblieben?

Befriedigte der Kampf ihn wirklich so sehr, wie er bisher immer geglaubt hatte, oder war er nicht viel mehr ein Mittel, jenen Schmerz zu betäuben, den dieses fürchterliche Ereignis vor neun Jahren in seine Seele geschlagen hatte.

Albel spürte den fragenden Blick des Mädchens auf ihm ruhen und funkelte es finster an.

„Vergiss es, Made.“

Die junge Dame legte die Hände auf ihrem Rücken zusammen und bog den Kopf ein wenig zur Seite – eine Bewegung, die man bei Kindern so oft sah, wenn sie etwas nicht vollkommen verstanden.

Schweigen war die einzige Antwort, welche der Anführer der Schwarzen Brigade ihr gewährte. Daraufhin zuckte sie mit den Schultern.

„Naja, egal. Ich will ohnehin viel lieber diese Feier sehen.“
 

Das bloße Aussprechen dieser Worte ließ die Umgebung verschwimmen und wie der Wind mit einem kräftigen Luftstoß gefallene Herbstblätter als bunten Sturm vor sich hertreibt, so veränderten sich auch die Farben ihrer schemenhaften Umwelt. Strahlendes Weiß wich warmen Braun und helles Sonnenlicht verwandelte sich in den rötlichen Schein mehrerer Petroleumlampen.

Fröhliche Musik gewann an Lautstärke, je mehr sich die Konturen des Raumes festigten, und vermischte sich mit den ausgelassenen Stimmen und Gesängen feiernder Menschen.

Der Vierundzwanzigjährige erkannte viele Gesichter der hier anwesenden, jungen Männer auf Anhieb wieder. Einst waren es seine Kameraden gewesen.

Doch anstatt in glücklichen Erinnerungen an die vergangene Zeit zu schwelgen, begann Albels Herz zu rasen. Panisch hielt er Ausschau nach seinem Vater, welcher das vierzehnjährige Ebenbild des Elicoorianers soeben aus einer Gruppe gleichaltriger Krieger zu sich gewunken hatte.

„Tu es nicht, du verdammter Idiot!“ brüllte der Schwertkämpfer – sein Schicksal als ungesehner Zuschauer ignorierend – und stürmte vorwärts.; direkt in die Richtung des damaligen Anführers der Drachenbrigade.

„Schick ihn weg! Sag es ihm nicht!“

Er stand nun ummittelbar vor seinem Vater, den Albels verzweifelte Rufe jedoch in keiner Weise berührten.

„Was ist, Vater?“ hörte der Vierundzwanzigjährige seine eigene Stimme hinter seinem Rücken fragen.

Er biss sich gequält auf die Lippen und schüttelte den Kopf, als er das verschmitze Lächeln die Lippen seines Vaters umspielen sah.

„Weißt du, Albel, dieses Jahr will ich dir ein ganz besonderes Geschenk machen...“
 

Mit der Gewissheit, das Unabwendbare nicht mehr verhindern zu können, schwenkten seine Rubine zurück auf das Geistermädchen. Er wollte das nicht hören. Nicht noch einmal.

„Bring mich weg von hier.“

Unverständnis trübte den klaren Blick des Mädchens.

„Aber warum denn?“

„Tu, was ich dir sage! Sofort!“ herrschte er den Geist an, doch es war zu spät. Glou sprach jene Worte... jene verhängnisvollen Worte bereits aus.
 

„... ich denke, du bist so weit. Im Frühjahr wirst du am Ritual der Flammenwürde teilnehmen und deinen eigenen Flugdrachen bekommen.“
 

Albel stöhnte gepeinigt auf und vergrub das Gesicht in seinen ungleichen Händen. Die lebhafte Musik wurde von den unmenschlich schrillen Schreien seines Vaters übertönt, als Drachenfeuer dessen Muskeln und Knochen zu einer brodelnde Masse zerkocht hatte und Phantomschmerzen pochten im gefühllosen Metall seines linken Arms mit sengender Hitze.

Er zitterte am ganzen Körper, während der Vierundzwanzigjährige das gebrochene Rot auf das Mädchen richtete. Die Stimme des jungen Mannes war ein schwaches Flehen.

„Bring mich zurück.. bitte...“
 

Ihre blassvioletten Augen zeigten Kummer und stumm hob sie ihre Hand. Innerhalb von Sekundenbruchteilen schrumpfte der große Festsaal zusammen, Wände rückten näher, die Lichter verloschen und es war wieder eisige Nacht in Albels Kammer.

Den Anführer der Schwarzen Brigade achtete nun nicht mehr auf den Geist. Ihm war alles egal, nichts mehr dieser Welt war mehr von Bedeutung.

Er taumelte zu seiner Schlafstätte, ließ sich auf sein Bett fallen und zog sich die Decke über die Schultern. Er fror. Ihm war erbärmlich kalt.

Er wollte nur noch schlafen.

Vergessen.

Der zweite Geist

Der Schlaf war mit langen Schatten über Albels Bewusstsein gezogen und hatte der gequälten Seele jene süße Dunkelheit gegeben, nach der sie verlangt hatte. Doch etwas störte nun diesen herrlichen Zustand der Ruhe.

Licht drang in seine Finsternis – schien rötlich durch seine geschlossenen Lider – und der Geruch unzähliger Speisen hang wie eine Wolke in seiner Kammer, die von einer Wärme durchdrungen war, welche der kleine Raum wohl seit seiner Erbauung noch nicht gekannt hatte.

Vergeblich versuchte er, durch simple Ignoranz dieser Begebenheiten seinen Halbschlaf wieder zu vertiefen und schlug schlussendlich doch die Augen auf.
 

Der helle Schein eines Feuers tauchte das Zimmer in strahlendes Licht, wenngleich der Vierundzwanzigjährige es nicht benötigt hätte um die immergrünen Ranken zu erkennen, welche als undurchdringlicher Vorhang aus Blättern die Wand neben seinem Bett verdeckten und auf welche sein erwachender Blick als erstes fiel. Pralle, rote Beeren fanden sich zwischen den Gewächsen, die – wie ihm mit dem Weiterwandern seiner rubingleichen Iriden gewahr wurde – auch das übrige Mauerwerk überwuchert hatten.

Die Flammen der Kerzen auf dem Standleuchter glichen winzigen Sonnenfeuern und waren zu einer Größe erwachsen, die jeglicher Realität spottete.

Albel wünschte sich, dass dies alles nur ein übler Scherz sei und er den Verantwortlichen für dieses dreiste Verhalten mit seinem Schwert auf eine ihm angemessene Größe stutzen konnte.

Eine anschließende Kopfbewegung zur Mitte des Raumes machte jedoch all seine Hoffnungen zunichte.
 

Für diese Zeit des Jahres typische Gerichte hatten sich zu einem regelrechten Berg auf seinem Teppich aufgetürmt, der jedes königliche Bankett wie eine Armenspeisung erscheinen ließ:

Mit Zucker überzogene Äpfel glänzten rötlich neben riesigen Gewürzkuchen, saftige Schinken lagen auf einem Bett dampfender Esskastanien, mit Dörrobst gefüllte Wildvogelbraten ruhten neben Kesseln brodelnden Eintopfs, kandierte Nüsse fanden sich neben Zuckergebäck in Sternenform und Kristallgläser gefüllt mit aromatischem, heißem Winterwein machten die Luft schwer mit dem betäubenden Aroma hochprozentigen Alkohols.

Auf eine seltsame Art und Weise formten die Unmengen von Leckerbissen einen Thron, auf denen ein durchtrainierter Mann saß.

Eine schlichte, grüne Robe mit weißem Fellbesatz war alles, was ihn kleidete. Zudem hing der Mantel so locker über seiner hochgewachsenen Gestalt, dass seine muskulöse Brust bar jeglichen Stoffes war. Seinen kurzen, braunen Schopf krönte ein einfacher Kranz aus Irisias Jungfrauen; durchsetzt mit funkelnden Sternen aus Eis.

Ein breites Lächeln lag auf seinen Lippen und spiegelte sich in den blauen Saphiren seiner Augen wieder als er dem Elicoorianer mit seinem Trinkhorn zuprostete.

„Hallo, mein Freund!“

Entsetzten ließ Albels blutrote Augen weit werden.

„Nein!“ rief er protestierend und zog sich die Decke wieder über den Kopf.

Sowohl Aussehen und Gebaren dieses Hünen glichen erschreckend jenem dieses blonden Gorillas aus der Truppe dieses blauhaarigen Idioten. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte der Anführer der Schwarzen Brigade sogar gewagt zu behaupten, dass dies die grauenerregende Version eines Zwillingsbruders des nervigen Affen war.

Das war schlimmer als ein schlechter Scherz. Das war ein Alptraum!
 

„Nicht so schüchtern! Wir haben viel vor und wenig Zeit!“

Die Stimme des Mannes dröhnte durch die gesamte Kammer und Sekunden später wurde Albel das Laken gewaltsam entrissen. Cliffs Doppelgänger schien in bester Stimmung, als er sich über sein Opfer beugte. Bis ein Schwert an seiner Kehle seine Bewegungen erstarren ließ.

„Ich weiß nicht, was für ein Wesen du bist. Aber wenn du wenn du noch einen Schritt näher kommst und so menschlich bist, wie du aussiehst, wird es mir eine Freude sein, dein Gesicht neu auszurichten. Mit meinem Schwert.“

Die Stimme des Vierundzwanzigjährigen war ein bedrohliches Knurren, während er auf dem Rücken lag und den kühlen Stahl gegen die Haut des grüngewandeten Hünen presste, welcher sich daraufhin langsam wieder zurückzog.

„Meine Güte, da hat aber jemand schlechte Laune...“

In Albels Rubinen schien sich die ganze Kälte eines eisigen Blizzards konzentriert zu haben und er richtete sich stumm auf. Sollte er etwa in Hochstimmung sein? Die Ereignisse des heutigen Tages; von jenen der Nacht ganz zu Schweigen; gaben keinesfalls einen Grund dazu. Der Kerl sollte vielmehr noch froh sein, dass sein Kopf noch auf seinen Schultern saß und das Katana des Anführers der Schwarzen Brigade ihn nicht auf eine Reise durch das Zimmer geschickt hatte. Die Selbstbeherrschung des Schwertkämpfers war in den vergangenen Stunden mehr als brüchig geworden.

„Aber gut, wenn mich jemand mitten in der Nacht wecken würde, ginge es mir wahrscheinlich genauso.“

Mit diesen Worten und einem anschließenden Schulterzucken tat er Albels Verhalten als unumgängliche Begebenheit ab und wandte sich wieder direkt an den Krieger.

„Lass uns den schlechten Start vergessen und mich dir vorstellen. Ich bin der Geist des diesjährigen Sternenfeuerfestes.“

„Das hatte ich befürchtet...“ murmelte Albel.

Dem Kommentar des Elicoorianes ungeachtet – zumindest schien es so, obwohl der Krieger vermeinte, ein Aufblitzen boshafter Freude in den Saphiren seines Gegenübers zu erkennen – sprach Geist weiter:

“Ich bin gekommen, um es dir zu zeigen.“

Der Schwertkämpfer verschränkte die Arme vor der Brust und schnaubte abfällig.

„Was sollte es schon zu sehen geben? Es ist das gleiche, idiotische Fest wie jedes Jahr.“

“Eine ganze Menge..“ erwiderte der braunhaarige Mann mit tragender Stimme, bevor ein Ausdruck sein Gesicht überzog, der jenem eines tadelnden Vaters ähnelte. „Und nun sei ein guter Junge und fass meine Robe an, damit wir gehen können.“

„Was ist, wenn ich nicht mit dir gehen will?“

Der Geist lächelte gelassen.

„Dann werde ich dir für den Rest der Nacht Gesellschaft leisten.“

Albels Augen verengten sich ob dieser wenig erfreulichen Aussicht zu schmalen Schlitzen und glichen jenen einer gereizten Bestie, welche kurz vor dem Angriff stand.

Er fasste nach dem Kragen des Mantels und zog den hochgewachsenen Mann zu sich heran. „Versuch es – und du bist tot.“

Der Geist begegnete der Drohung lediglich mit einem gewinnenden Lächeln.
 

Ein leiser Fluch entkam Albels Lippen, nachdem seine Kammer in einem Wirbel aus Farben verging und er erkannte, dass dieser braunhaarige Idiot ihn mit seinen eigenen Waffen geschlagen hatte.

Mit dem Verebben des bunten Lichterspiels und einen frustrierten Laut ausstoßend ließ er von der Robe des hochgewachsenen Mannes ab.

Seine Rubine streiften über die Konturen des Ortes, an den ihn seine unfreiwillige Reise geführt hatte.

Er befand sich unzweifelhaft immer noch in der Fakultät – zu oft war er in diesen Räumen ein- und ausgegangen, um sie nicht wiederzuerkennen.

Doch mit seiner Kammer hatte dieses Zimmer wenig gemein. Ob seiner großen Ausmaße war die Bezeichnung Saal sogar treffender. Riesige Holzöfen verströmten gleichermaßen Licht und Wärme und der Duft des Essens, das in großen Töpfen und Pfannen darauf briet, hatte die aufgeheizte Luft gänzlich durchdrungen.

Als sein Blick allerdings auf die unüberhörbare Lärmquelle bei zahlreichen Tischreihen fiel, schlug die angenehme Stimmung, die von diesem Ort auf ihn begonnen hatte zu wirken, innerhalb weniger Augenblicke in ihr Gegenteil um.

Ohne eine einzige Ausnahme hatten sich die Männer seiner Brigade auf den Bänken und Hockern eingefunden, lachten und scherzten miteinander oder holten in einer stillen Ecke einfach nur den Schlaf nach, den ihnen das tagelange Training abgefordert hatte.

Albels Mine wirkte starr vor Wut.

„Was tut dieser Abschaum hier drinnen? Sie sollten draußen sein und trainieren.“

„Ruhig Blut. Für diese Schatten ist der heutige Abend schon angebrochen ist. Sie haben ihre Übungen gemäß deiner Anweisungen absolviert und haben sich nun hierher zurückgezogen um zu feiern, wenn sie das Fest schon nicht bei ihren Familien verbringen können.“

„Sie haben es nicht anders verdient. Hätten diese Maden während meiner Abwesenheit nicht eine solche Disziplinlosigkeit bewiesen, hätte ich dieser törichten Bitte vielleicht nachgegeben.“

Eine Augenbraue des Geistes wanderte in Richtung seines braunen Schopfes.

„Disziplinlosigkeit also..“ wiederholte er zweifelnd und trat einen Schritt näher an die Gruppe.

„Lass uns hören, was sie so reden.“
 

„Es ist wirklich eine Schweinerei vom Kaptain, uns über das Sternenfeuerfest nicht nach Hause zu gehen lassen“, beschwerte sich ein schwarzhaariger Rekrut und ließ den Kopf niedergeschlagen auf seine verschränkten Hände sinken. Er erhielt zustimmendes Gemurmel von allen Seiten.

„Ich wäre jetzt auch viel lieber bei meiner Frau und meiner Kleinen..“ seuftze ein anderer Soldat, worauf ihm sein Sitzmachbar mitfühlend die Hand auf die Schulter legte.

„Wir wären jetzt alle gerne woanders, glaube ich.“

Dann grinste er, drehte sich auf seinem Platz herum und zog eine dicke Scheibe saftigen Bratens vom Tablett der jungen Köchin, die gerade damit hinter ihm vorbeischritt.

„Aber seht es positiv, Männer. So kommen wir zumindest einmal mehr in den Genuss von Mayus hervorragenden Kochkünsten.“

„Als wenn ich nicht schon oft genug eure hungrigen Mäuler stopfen würde“, erwiderte Mayu und stellte die Platte in der Mitte des Tisches ab. Ein neckisches Funkeln glänzte in ihren Augen und spiegelte sich in den Zügen des schwarzgerüsteten Kriegers wieder, als dieser erneut die Stimme erhob.

„Du musst wissen, während des Sternenfeuerfestes schmeckt immer alles wenigstens doppelt so gut wie sonst. Selbst dieser ewiggleiche Kasernenfraß.“

Mit gespielter Empörung spitzte sie die Lippen und wandte sich in Richtung der Öfen, wo eine ältere Frau zur Feier des Tages bereits weitere Leckereien vorbereitete.

„Mutter! Für diesen netten Mann hier ab sofort nur noch Brotrinden und Wasser. Er scheint sie lieber zu mögen als unser Essen!“

Der Soldat erblasste und sein Mund klappte in Fassungslosigkeit mehrmals auf und zu, ohne jedoch einen Protest hervorbringen zu können, was ein allgemeines Gelächter zur Folge hatte

„Und trotzdem..“ warf der schwarzhaarige Mann von zuvor ein, nachdem Mayu selbstzufrieden einen Tisch weitergezogen war.

„Aber meinst du nicht, dass er zumindest ein wenig recht mit seiner Entscheidung hat? Wir waren wirklich ziemlich faul, während er nicht da war“, entgegnete einer seiner Kameraden, sein bärtiges Kinn nachdenklich auf eine Hand stützend

Man konnte regelrecht beobachten, wie die Frustration im Gesicht seines Gegenübers sich in Wut umwandelte und er mit einer weit ausholenden Geste seinem Ärger Luft machte.

„Es ist Frieden, Mann!“

„Es war nicht immer Frieden, falls du das schon vergessen hast“, erwiderte der bärtige Soldat und verschränkte die Arme.

Ein undeutliches Grummeln des Schwarzhaarigen war die Antwort.

„Jetzt hört auf zu streiten. Es ist Sternenfeuerfest“, mischte sich ein dritter Krieger in das Gespräch ein.

„Du hast recht. Es ist eine Schande, an einem solchen Tag zu streiten“, gab der Verursacher der Auseinandersetzung zu und sein Gegenredner nickte bestätigend. Er hob seinen Becher.

„Also gut, dann lasst uns anstoßen. Auf das Sternenfeuerfest, unsere Brigade und unseren Kaptain. Auch wenn seine Methoden manchmal etwas fragwürdig sind.“

Ein wissendes Lächeln ging durch die Reihen, anschließend stießen unter einem dumpfen Klappern Holzkrüge aneinander.

„Auf uns und den Kaptain!“
 

Wo sich auf den Zügen anderer Menschen Rührung und Herzenswärme ob dieses Trinkspruches gefunden hätte, zeigte Albels Miene nur Kritik und Zweifel – letzteres wohl aus der Frage über den Geisteszustand seiner Männer entsprungen.

„Was denkst du?“ hörte er den Geist zu seiner Rechten fragen. Der Elicoorianer machte sich erst gar nicht die Mühe, zu dem Hünen aufzublicken, sondern starrte weiterhin grübelnd auf die ihm unterstellte Brigade. Er verstand es einfach nicht.

“Sie sollten mich hassen, so wie ich sie behandelt habe.“

Die leise gesprochenen Worte waren einem schuldbewussten Zugeständnis an sein eigenes Verhalten nicht unähnlich, wenngleich dies von Albel selbst unbemerkt blieb. Viel zu sehr beschäftigte ihn die Frage, warum ihm seine Soldaten nicht die Pest an den Hals wünschten. Ihn verfluchten, weil er ihnen ihr ach so geliebtes Fest verdorben hatte. Der Vierundzwanzigjährige hatte griesgrämige Gesichter und eine niedergeschlagene Stimmung erwartet... aber nicht dies hier.

„Hass ist nicht alles. Es gibt auch noch etwas anderes, dass die Menschen verbindet. Etwas – und damit meine ich nicht die gemeinsame Religion- , was die Menschen; ganz besonders zu dieser Jahreszeit; nach Frieden wünschen lässt.“

Als der Krieger es wagte, seine Augen für einen kurzen Moment von Geschehen abzuwenden und in das Gesicht des Geistes zu schauen, sah er auf ein Lächeln voller Milde. Angewidert wandte er seinen Blick ab.

„Was soll das sein?“ fragte er beinah schon bissig. Dieses besserwisserische Getue des transzendenten Wesens verursachte ein unangenehmes Kribbeln in seiner Schwerthand, das nach Befriedigung suchte.

Etwas Stärkeres als Hass? Dass er nicht lachte. Bis zum heutigen Tage und auf all seinen Reisen war ihm noch keine Kraft begegnet, die beständig genug gewesen wäre, um sich gegen die zerstörerische Macht von Hass und Feindseeligkeit behaupten zu können.

Ein Moment bedeutungsvoller Stille verstrich, dann stieß Albel ein frustriertes Knurren aus und hob den Arm.

Konsequent wehrte er die Hand ab, die sich freundschaftlich über seine Schulter legen wollte und revidierte augenblicklich den eben gewonnen Eindruck, dass diese überirdische Gestalt vielleicht doch einen Funken Verstand besaß.

„Die Liebe, mein Freund.“

Nun war Albel wirklich zum Lachen zumute. Dieser Geist war tatsächlich ein genauso großer Idiot wie sein fleischliches Ebenbild.

„Bah, Liebe“, stieß der Schwertkämpfer hervor.

Anschließend richtete er mit einem abfälligen Lächeln auf den Lippen seinen Blick auf den hochgewachsenen Mann.

„Mach dich nicht lächerlich. Diese Maden sind doch nur hier, weil ich ihnen ihren Sold bezahle.“

Ein unergründlicher Ausdruck lag in den tiefblauen Seelenspiegeln der Verkörperung des diesjährigen Sternenfeuerfestes, als das Rot des Elicoorianers ihnen begegnete. Fast mochte Albel ihn als Mitleid deuten, doch der grüngewandete Geist ließ ihm keine Gelegenheit, darüber in Wut zu geraten, indem er zurück zu den feiernden Kämpfern blickte und sich so die seinen den Augen des Anführers der Schwarzen Brigade entzog.

„Es gibt nicht nur eine Art von Liebe“, erwiderte er.

Dann schaute das unirdische Wesen mit dem widerlich-freundlichsten Lächeln, dass der Schwertkämpfer jemals gesehen hatte, ihm wieder direkt ins Gesicht.

„Und jetzt komm. Wir haben noch viel vor uns und wenig Zeit.“

„Je eher ich dich los bin, desto besser“, murrte der Krieger und langte übel gelaunt nach der tannenfarbenen Robe seines Gegenübers.
 

Die Umgebung zerstob in Myriaden von funkelnden Farbpartikeln, die sich rasch zu einem neuen Bild anordneten, welches sich beinah gänzlich von dem vorherigen unterschied.

Sanftes, silbriges Licht floss durch die verglasten Fensterscheiben von den sternenförmigen Leuchten in das kleine Zimmer und vermischte sich mit dem rötlichen Schein des Kerzenleuchters auf dem hölzernen Beistelltischchen. Eine blondhaarige Frau hatte sich einen Stuhl an die Lichtquelle gezogen, auf dem sie nun in Festtagsgewand saß und in ihre Stickarbeit vertieft war. Ihre smaragdgleichen Augen verließen den gerahmten Stoff in ihren Händen nur selten, und wenn sie es taten, blickten sie traurig und voller Sehnsucht aus dem Fenster.

Nachdem Albel das Schauspiel eine Weile betrachtet hatte, ohne jedoch einen Sinn dahinter zu sehen, wandte er sich verärgert an den Geist.

„Wo sind wir hier?“

„Bei einer der Familien deiner Männer. So wie sie verbringen heute viele von ihnen den Abend.“

„Bah, warum sollte mich das interessieren?“

Noch bevor der Geist zu einer Erwiderung ansetzten konnte, ertönte ein leises Knarren des Dielenbodens hinter ihm und ließ den Krieger seinen Kopf unwillkürlich in diese Richtung wenden.
 

Ein kleines Mädchen erschien im Zwielicht des Türrahmens. Sie mochte kaum älter als sechs Jahre sein und zog einen recht mitgenommen aussehenden Teddybären hinter sich her. Ihr zerzaustes, rotes Haar floss wie flüssiges Feuer über ihre Schultern.

Ihre Wangen glühten von der Hitze eines Fiebers und ein leises Husten aus ihrer Kehle zog die Aufmerksamkeit der stickenden Frau von ihrem Bild auf das Kind.

Ihre grünen Augen zeigten Besorgnis.

„Geh wieder zurück ins Bett, Lea. Vater wird heut nicht mehr kommen“

Die Kleine blähte ihre Backen auf und verschränkte energisch die Arme. Trotzige Entschlossenheit lag in ihrem Blick.

„Aber er hat es versprochen!“

Ob der Aufregung wurde ihr zierlicher Körper von einem Hustenkrampf geschüttelt und schwankend klammerte sie sich an das Holz des Türrahmens.

Ihre Mutter war augenblicklich auf den Beinen und kniete sich zu ihrer Tochter auf den Boden. Sanft legte sie ihre Hände auf die Schultern des Mädchens.

„Hör zu, Liebes...“

Sie stampfte zornig auf dem Dielenboden auf.

„Nein! Ich bleibe so lange wach bis, Papa nach Hause kommt!“

Ihre Finger ballten sich zu Fäusten zusammen.

„Er ist nie da! Und er hat gesagt...!“

Plötzlich wurde ihr schmales Gesicht ausdruckslos und blanke Panik trat in ihre tiefgrünen Seelenspiegel. Sie begann röchelnd nach Luft zu schnappen und ruderte wild mit den Armen, während sie um ihr Gleichgewicht kämpfte. Erschreckt zog die blondhaarige Frau ihr Kind an sich und versuchte, mit beständigem Klopfen zwischen dessen Schulterblätter die Blockade in seinen Atemwegen zu lösen.

Endlich begann Lea zu husten.

Ihre Arme umschlangen verkrampft den Hals ihrer Mutter und wütende Tränen perlten aus ihren Augenwinkeln, während die blondhaarige Frau sie tröstend über den Rücken strich.

„Es tut mir so leid, Lea...“, wisperte sie.
 

Albels Rubine wandten sich vom Geschehen ab.

Selbst sein erkaltetes Herz blieb von diesen Bildern nicht unberührt. Sie hatten etwas Grausames an sich. Denn der Anführer der Schwarzen Brigade wusste, dass nicht jeden Moment ein Klopfen an der Tür erklingen würde und sich alles zum Guten wendete. Er hatte selbst gründlich genug dafür gesorgt.

Sein Blick fiel auf die beiden traurigen Gestalten im Kerzenschein zurück.

Er erinnerte sich seiner eigenen Enttäuschung damals und um wie vieles schlimmer es für das Kind sein musste, welches fest mit der Ankunft seines Vaters rechnete.

Mit einem Schaudern die Schuldgefühle abzuschütteln, die ihre Finger nach dem jungen Mann ausstreckten.

„Dies wird übrigens das letzte Sternenfeuerfest dieses Kindes sein.“

Die Augen des Schwertkämpfers fixierten das Mädchen.

„Was?!“

„Ihre Krankheit wurde nach diesem Abend schlimmer. Tatsächlich ist sie gestorben, ohne ihren Vater zuvor noch einmal gesehen zu haben.“

Der sachliche Tonfall des Geistes bohrte sich in seiner Endgültigkeit kalt wie der Dolch eines Meuchlers in seine Brust. Obwohl bei Weitem nicht so tödlich, hinterließ er ein unangenehmes Stechen zwischen seinen Rippen.

Zwar hatte er nach dem Tod seines Vaters aufgehört, sich um solch nichtige Dinge wie Moral zu kümmern, aber das dem Mädchen zugeschriebene Schicksal erschien ihm grundlegend.. falsch.

„Gibt es nichts, was man dagegen tun kann?“

Die Worte verließen seine Kehle schneller als er sie überhaupt gedacht hatte.

Das darauf folgende Kopfschütteln des Geistes ließ Albels Herz unweigerlich sinken.

„Wenn die Schatten der Zukunft unverändert bleiben, sehe ich keine Hoffnung für sie.“

Dann lächelte der hochgewachsene Mann eisig.

„Aber sie hat es ja nicht anders verdient. Wenn ihr Vater während deiner Abwesenheit auch nur etwas disziplinierter gewesen wäre, hättest du seiner törichten Bitte vielleicht sogar nachgegeben.“

Mit der Gewalt einer angreifenden Armee stürmten Gefühle von Schuld und Reue auf den Vierundzwanzigjährigen ein. Bittere Erkenntnis fraß sich wie Säure durch seine Lunge, nahm ihm die Luft zum Atmen und brannte ein Loch an jene Stelle, wo sich sein Herz befand.

Die Worte, welche der Geist benutzt hatte, waren eine Wiederholung jener eigenen des Anführers der Schwarzen Brigade gewesen.

Er starrte betroffen zu Boden; jeder einzelne Schlag in seiner Brust eine Qual.

Albel war sich nicht sicher, wie lange er dort reglos gestanden hatte – sich wünschend, das Weinen des Mädchens würde endlich Enden und ihn nicht immer wieder an seinen Fehler erinnern – , aber schließlich senkte sich eine Hand auf seine Schulter.

„Komm...“, hörte er den Geist sagen, ohne es jedoch bewusst wahrzunehmen. Dieses Mal protestierte er nicht, als er nach dem Gewand des Mannes griff.
 

Ein weiteres Mal veränderte sich die Welt um ihn..

Der Ort, an dem ihn der Geist dieses Mal gebracht hatte, war Albel ebenso vertraut wie zuvor schon die Räumlichkeiten seiner Kaserne, wenngleich der Festtagsschmuck eine erstaunliche Veränderung in den sonst so düsterem Gängen und Kammern des Schlosses bewirkt hatte.

Runologen hatten es vortrefflich verstanden, das Licht der Sterne in dessen künstliche Abbilder zu bannen, die nun zu großer Zahl unter der Decke funkelten und eine Illusion des Nachthimmels erschufen.

Goldene und silberne Girlanden waren zwischen Gebinden aus immergrünen Zweigen und den Blumen der Mondgöttinnen gespannt, während die Gänge mit hellen Teppichen ausgelegt waren, auf denen stilisierte Sonnen in kräftigem Rot leuchteten.

An Albel zog all dies glanzlos vorüber. Nicht nur, weil er es schon lange zuvor als unnötigen und nutzlosen Kitsch abgetan hatte. Ihn verfolgte immer noch das Bild des kleinen Mädchens.

Natürlich, wenn er mit seinem Schwert karmesinrote Rosen auf dem Schlachtfeld durch das Blut anderer zum erblühen brachte, so hatte er den Fakt, Söhne und Väter zu töten, nie verdrängt. Aber es war ein Schicksal gewesen, welches sie selbst gewählt hatten, indem sie ihn herausgefordert hatten. Es war Resultat ihrer eigenen Schwäche, eine Unumgänglichkeit des Krieges. Das Gesetz des Stärkern.

Aber niemand hatte es verdient, auf so eine Weise wie dieses Kind zu sterben – besonders, wenn sich ein solch sinnloser Tod verhindern ließ. Ebenso sinnlos wie jener seines Vaters...
 

Erst der Lärm einer lebhaften Feier vermochte es, seine Aufmerksamkeit von diesen Gedanken abzuziehen.

Gleichsam dem Rest des Schlosses erstrahlte auch der Thronsaal in vollem Feiergewand und war kaum wiederzuerkennen. Die Musik eines kleinen Orchesters hatte mehrere Menschen auf die Tanzfläche gezogen und führte nun deren Bewegungen mit ihrer vergnügten Melodie. Ein Büfett lockte mit auserwählten Köstlichkeiten hungrige Gäste in seine Nähe, obwohl viele der hier Anwesenden sich auch einfach nur zu kleinen Gruppen zusammengefunden hatten und sich angeregt unterhielten.

Lediglich eine einzelne Person hatte sich dem Trubel entzogen. Ohne gro0e Mühe fanden die Augen des Elicoorianers die schlanke Gestalt des Jugendlichen, der einsam am Fenster stand und den Tanz der Schneeflocken im dunklen Firmament betrachtete.

„Wieso ist dieser Idiot nicht bei den anderen Schwachköpfen?“

Albels tiefe Stimme verriet unterschwellige Wut. Was dachte sich dieser Erdling eigentlich? Zuerst groß von einer Wiedervereinigung tönen und dann ausgerechnet an einem Abend wie diesem, der wie geschaffen für die glückliche, kleine Traumwelt des Wissenschaftlersohns schien, sein Heil in der Flucht vor dieser Truppe von Narren suchen.

Dieses heuchlerische Verhalten widersprach dem Bild, welches der Krieger sich von dem Neunzehnjährigen erschaffen hatten, auf jede erdenkliche Art und Weise.

Ob sein Zorn nun seiner Frustration wegen dieser Fehleinschätzung von Fayts Charakter oder der unüblich unaufrichtigen Haltung des Teenagers entsprang, konnte der Elicoorianer nicht genau sagen, aber es war ihm in diesem Moment auch herzlich egal.

„Ist das nicht offensichtlich?“ fragte der Geist.

„Nein“, knurrte Albel und heftete seine Augen auf Fayts Züge, als könne er in dem erwartungsvollen Smaragdgrün die Antwort finden. Kurz darauf spürte er die Hände des braunhaarigen Mannes an seinen Schläfen. Mit sanfter Gewalt drehte er den Kopf des Vierundzwanzigjährigen in Richtung der feiernden Massen, sodass er die nahende Gestalt eines blonden Affen in Menschengestalt kaum übersehen konnte.

Der Schwertkämpfer stöhnte innerlich. Hatte man ihn mit dieser Heimsuchung, welche gerade hinter ihm stand, heute Nacht nicht schon genug gestraft? Musste es ausgerechnet dieser klausianische Grobian sein?

Dennoch richtete er seinen Blick auf die beiden Personen am Fenster, zu sehr interessierte ihn der Grund für den sehnsuchtsvollen Ausdruck auf Fayts Gesicht.
 

Ein mattes Lächeln schob sich auf Fayts Züge, als Cliff ihn erreichte. Der Sechsunddreißigjährige verschränkte die Arme vor der Brust, sein Kopf neigte sich leicht in einer Geste von Unverständnis zur Seite und der leise Ton, der beim Ausatmen die Lippen des Klausianers verließ, war von Besorgnis geprägt.

„Junge, ich sag es nicht gern... aber du machst ein Gesicht als wenn irgendjemand gestorben wäre.“

Sofort bemühte der Jugendliche sich um Haltung. Er stieß sich vom Fensterrahmen ab, an dem er bisher gelehnt hatte und strafte die Schultern. Trotzdem schien er seinem Freund nicht in die Augen sehen zu können. Eine seiner Hände verweilte weiterhin auf der kalten Glasscheibe, während der Teenager selbst hinaus in die Dunkelheit starrte.

„Ich finde es nur schade, dass Albel nicht hier ist. Er ist zwar manchmal unausstehlich, aber trotz allem Teil unserer Gruppe. Ohne ihn ist es nicht das selbe.“

Cliff blinzelte fassungslos, bevor er den Neunzehnjährigen vollends entgeistert ansah.
 

Ebenso wie Albel. Er konnte einfach nicht glauben, dass der Neunzehnjährige immer noch zu warten schien, obwohl der Anführer der Schwarzen Brigade mehr als deutlich gemacht hatte, dass er nicht zu dieser idiotischen Feier kommen würde.

Er hatte dem Erdling vieles zugetraut. Jedoch nicht, ein so gro0er Narr zu sein.
 

„Was?! Du lässt dir den ganzen Abend verderben, nur weil dieser Kerl sich zu fein ist, hierher zu kommen und dieses Fest mit uns zu feiern? Um den würde ich mir keine Sorgen machen.“

Fayt schüttelte den Kopf uns richtete seine Augen auf die im Saal verteilten Menschengruppen.

Gleichzeitig erschien es Albel, als würde ihn der blauhaarige Jugendliche direkt ansehen.

„Er hat bestimmt seine Gründe, warum er dieses Fest so hasst.“

Fayts Mundwinkel wanderten ein wenig nach oben, ehe er weitersprach.

„Ich weiß, er würde mir niemals von sich aus eines wünschen, aber ... ich wünsche ihm trotzdem eines frohes Sternenfeuerfest, was immer er auch gerade tut.“

Cliffs Gesichtsausdruck auf diese Worte war bestenfalls als Resignation zu deuten, danach zuckte er mit den Schultern.

„Wahrscheinlich quält er gerade irgendetwas und ist zufrieden mit sich und der Welt.“

Der Klausianer klopfte dem Neunzehnjährigen mit beiden Händen auf die Schultern, sodass der Wissenschaftlersohn unweigerlich ein wenig in die Knie ging.

„Komm schon, Fayt. Jetzt lass dir von diesem Miesepeter nicht die Stimmung verderben und feier ein wenig mit uns.“

Der Anführer der Schwarzen Brigade erkannte den Fehl der Freude hinter Fayts Lächeln, welches er dem blonden Mann schenkte. Er hatte ein ähnliches häufig auf den Zügen seines Vaters gesehen, wenn Albel ihn auf den frühen Tod seiner Mutter angesprochen hatte. So lächelte jemand, der er nicht wollte, dass jemand anders als er selbst traurig war.

„In Ordnung...“, willigte der Erdling schließlich ein.
 

Doch schon bald legte sich ein ehrliches Lachen auf Fayts Lippen und seine Freunde ließen ihm keine Gelegenheit mehr, niedergeschlagen zu sein. Schon bald war er Teil jener ausgelassenen Feier, tauschte Worte und Erinnerungen mit seinen Gefährten und erhielt kleine Geschenke von ihnen ebenso wie er sie selbst verteilte.

Während Albel das fröhliche Treiben beobachte, regte sich plötzlich der Wunsch in ihm, auch zu dieser Gemeinschaft gehören zu wollen. Nicht mehr nur ein schattenhafter Zuschauer zu sein.

Er stellte fest, wie sehr er das Reisen vermisste, die fast schon zur Gewohnheit gewordenen Wortgefechte.

Für einen Moment war er tatsächlich bereit, seine abwehrende Haltung gegenüber diesem Fest aufzugeben, nur um sich für einen Moment in diesem wunderbar wohltuenden Licht des Glücks zu wärmen, dass diese kleine Gruppe ausstrahlte. An dieser Freude war nichts aufgesetzt oder falsch, sie würde auch nach diesem Fest bestand haben, wenn Schmuck und Lichter dieser Zeit des Jahres schon lange vergangen waren. Sie benötigte keine Geschenke. Das hatte sie nie. Es waren die gemeinsamen Stunden, aus der sie ihre Kraft zog.

Vielleicht waren die Worte eines Kindes in einem Winter vor sechzehn Jahren, an einem Tag wie diesem doch nicht so naiv gewesen, wie er zunächst gedacht hatte.
 

Er senkte den Blick und bewegte den Kopf in einer verneinenden Bewegung. Womöglich wurde er auch einfach nur weich. Er sollte besser von hier verschwinden, bevor diese übelkeitserregende Glückseeligkeit seinen Verstand noch mehr zersetzte.

Egal, wie sehr sein Innerstes sich der Ausführung dieses Gedankens auch erwehrte.

Dann fühlte der Anführer der Schwarzen Brigade einmal mehr die Hand des Geistes auf seiner Schulter. „Es ist Zeit zu gehen.“

Albel war diesem Wesen fast schon dankbar dafür, dass es seinen Zwiespalt beendete, wenngleich er es niemals offen zugegeben hätte. Er nickte und warf einen letzten Blick auf die Gruppe – auf Fayts unverfälschtes Lachen – , bevor ihre Umrisse zu schemenhaften Farbflecken verschwammen und schließlich in der Dunkelheit seiner Kammer versanken.

Eine Kammer, die dem Vierundzwanzigjährigen seltsam leer und verlassen vorkam. Kalt und einsam.

War dieser Raum schon immer so gewesen?
 

Die Stimme des Geistes ließ den Krieger herumfahren.

„Meine Stunden sind fast gezählt, aber lass mich dir eines sagen: Solltest du weiterhin auf deinem bisherigen Weg verweilen...“

„Ich wähle meinen Weg immer noch selbst, also spar dir deine Worte und verschwinde endlich“, fiel ihm der Elicoorianer ins Wort.

Albel hätte allerdings nicht erwartet, dass die Reaktion auf seinen barschen Kommentar so unmittelbar erfolgen würde. Innerhalb eines Lidschlags war die Gestalt des Geistes aus seinem Blickfeld verschwunden. Er runzelte die Stirn und sah sich noch einmal in der Kammer um, aber der hochgewachsene Mann blieb verschwunden.
 

Als sein Blick jedoch zurück zu seinem Ausgangspunkt kehrte, erinnerte er sich augenblicklich wieder an Vox’ Vorhersage. Drei Geister.

Drei Geister würden ihn diese Nacht besuchen.

Und der letzte von ihnen stand am anderen Ende der Kammer – sein Körper verhüllt von einem dunklem Umhang. Das Wesen hob den Kopf, und unter der weiten Kapuze wurde das blasse, feine Gesicht einer Frau offenbar. Tiefrote Strähnen umspielten ihr Gesicht und die grünen Augen, die nur für den Bruchteil einer Sekunde unter den Schatten des Umhangs hervorblitzten, waren kühl und hart. Ein Anblick; schön und schrecklich zugleich – wie der Tod selbst.
 

Schließlich begann sie, gemessenen Schrittes auf Albel zuzuschreiten. Die eisigen Nebelschwaden, welche ihr vorauseilten, schienen dabei nur die Vorboten auf noch ein viel größeres Grauen zu sein.

Der dritte Geist

Albel spürte, wie die Kälte, die seit der Ankunft des Geistes beständig in seiner Kammer zugenommen hatte, ihre frostigen Finger nach der Wärme in seinen Gliedern ausstreckte und versuchte, sie daraus zu rauben. Doch das war nichts, womit sich der Anführer der Schwarzen Brigade beeindrucken ließ. Ariglyphs Winter waren niemals mild und wenn sie ihn ängstigen wollte, brauchte es schon mehr als ein paar solcher jämmerlichen Taschenspielertricks.

Seine Rubine hatten daher nicht viel mehr als ein abfälliges Leuchten für die Wesenheit übrig, die sich ihm nährte und schlussendlich vor ihm stehen blieb.

Anders jedoch als wie bei ihren beiden Vorgängern blieben ihre Lippen verschlossen, kein Wort – weder der Begrüßung noch des Tadels – durchbrach die schwere Stille, welche sich über den kleinen Raum gesenkt hatte.

Weitere Augenblicke verstrichen und immer noch schwieg sie, was in dem Schwertkämpfer den Eindruck erweckte, dass sie tatsächlich stumm war.
 

Nun, dies wäre zumindest ein Fortschritt zu den anderen beiden Plagegeistern, welche ihn zuvor heimgesucht hatten.
 

„Der Geist der zukünftigen Sternfeuerfeste also“, schlussfolgerte Albel schließlich und verschränkte die Arme vor der Brust, während er auf die weibliche Entität unweit vor ihm hinabblickte.

Sie nickte und streckte ihre feingliedrige Hand fordernd in Richtung des Elicoorianers aus.

Dieser war allerdings alles andere als gewillt, noch länger nach der Pfeife irgendwelcher überirdischen Wesen zu tanzen, die womöglich ohnehin nur seiner Fantasie entsprangen.

Er war Albel Nox, Anführer der Schwarzen Brigade, und nicht irgendeine dieser schwächlichen Maden. Dieser Abschaum ohne Stolz ließ eine solch respektlose Behandlung vielleicht widerspruchslos über sich ergehen. Der Krieger nicht.

Vernichtend blickte er auf die ihm dargebotene Hand.

„Ich muss dich enttäuschen, ich werde nicht mit dir kommen. Sag deinen Freunden, dass ich keine Lust mehr auf ihre Spielchen habe“, knurrte er.

Vergangenheit und Gegenwart hatten schon genug unangenehme Gefühle aufgewühlt, der Vierundzwanzigjährige brauchte und wollte die Zukunft nicht sehen – vielleicht auch, weil sich ein Teil von ihm vor den Konsequenzen fürchtete, die aus seinem bisherigen Handeln erwachsen waren. Der Krieger zog es jedoch vor, jene schwache Seite seiner Selbst in den hintersten Winkel seines Geistes zu verbannen.
 

Ihre ausgestreckte Hand des Geistes zur Seite schlagend schob er sich in ihr vorbei und stieß die Tür auf.

Der junge Mann hatte jedoch kaum einen Schritt aus dem Raum getan, als sich die hageren Finger, deren Berührung gleich eisigem Feuer auf seiner Haut brannte und ein kaltes Schaudern durch sein Rückrat jagte, um die seinen schlossen und ihn wieder stoppen ließen.

Gleichzeitig fegte ein Sturm durch den Gang, ließ die Flammen der Fackeln wild tanzen und die Konturen des Gemäuers verschwimmen. Albel kniff die Augen zusammen, als ihm die starke Böe ins Gesicht schlug.
 

Langsam öffnete er die Lider wieder. Obwohl sie sich immer noch an der gleichen Stelle wie zuvor befanden, hatte sich das Bild vor seinen Augen verändert.
 

Der Boden der Fakultät war überzogen mit dem Staub vieler Jahre, die lichtspendenden Fackeln schon lange verloschen. Dunkelheit kauerte in den Ecken der Gänge, durch die der frostige Atem des Winters zog und wenn es hier noch Leben gab, dann nur jenes der Monster und Tiere, die auf der Suche nach Beute durch die Korridore streiften.

Rost hatte die Angeln der zersplitterten Tür zerfressen, in der sie standen, und das Zimmer dahinter war schon seit Jahren nicht mehr benutzt worden.

Das Rot von Albels Seelenspiegeln streifte misstrauisch über die Szenerie, die ihm wie ein schlechter Scherz vorkam. Die eigentlich nur ein schlechter Scherz sein konnte, wenn er sich in Erinnerung rief, dass der Kontakt mit einem Geist ihn in die jeweilige Zeit brachte, welche die Wesen verkörperten.
 

Aber dies konnte unmöglich die Zukunft der Trainingsanstalt sein. Niemals hätte Albel solch eine Verwahrlosung geduldet, auch in Hunderten von Jahren nicht.

Was zur Hölle war hier passiert?

Welche Made war dafür verantwortlich, dass sich dieser Ort in so einem schlechten Zustand befand?
 

Der Anführer der Schwarzen Brigade schwor sich, wenn er den Abschaum fand, der die Fakultät so hatte verkommen lassen, dann würde er höchstpersönlich dafür sorgen, dass dieser die Kaserne wieder in einen ansehnlichen Zustand brachte... indem Albel den Boden mit dem Gesicht dieses unglücksseligen Idioten aufwischte.
 

Doch das kurze Gefühl der Genugtuung, welche ihm diese Vorstellung brachte, schwand nur allzu rasch und machte die hässliche Erkenntnis, dass hier sehr viel mehr im Argen war als lediglich die grobe Vernachlässigung des Reinigungsplans, nur noch deutlicher.
 

Albel nahm einen langen Atemzug und blickte dann zornig zurück auf den Geist, als wäre die weibliche Wesenheit der Ursprung allen Übels – was sie streng genommen ja auch war, zumindest in den Augen des Schwertkämpfers.
 

„Meine Männer ... wo sind sie?“
 

Die weibliche Wesenheit zeigte sich von dem Groll des Elicoorianers wenig beeindruckt, nahm ihn fast gleichgültig hin.

Jedoch konnte der Krieger erkennen, wie sie unter ihrer weiten Kapuze bestätigend nickte und seiner Anweisung nur Sekunden später nachkam. Der raue Sturm fegte einmal mehr durch den Raum, verwischte die Umrisse ihrer Umgebung und gab ihnen eine neue Form.
 

Als Albel erkannte, wie aus seinem Zimmer von Kaminruß geschwärzte Wände wurden, die über ihm dunkel gegen den bleigrauen Himmel kauerten, wusste er augenblicklich, dass der Geist ihn nach Ariglyph gebracht hatte.

Es war einer der weniger schönen Tage, welchen die Hauptstadt des gleichnamigen Reiches erlebte. Heftiges Schneegestöber begrenzte die Sicht auf wenige hundert Fuß und ein eisiger Wind pfiff durch die Gassen, der selbst unter den dicksten Mantel kroch.

Nicht viele Menschen waren auf der Straße, und wer es war, der beeilte sich, schnell wieder nach Hause zu kommen
 

Albel wartete mit zunehmender Ungeduld und nachdem immer mehr Minuten verstrichen, ohne dass etwas passierte, auch mit wachsender Wut.

War das irgendeine Art von krankem Spiel, um ihn mürbe zu machen? War es diesen Wesen nicht mehr genug, seine Ruhe zu stören und ihn mit Dingen zu belästigen, die er weder sehen noch hören wollte?

Er bekam übel Lust herauszufinden, ob dieser Geist wirklich so stumm war, wie er tat. Ob er schrie, wenn er ihn mit seiner Kralle zerfetzte?
 

Doch gerade, als er den Mund öffnete, um etwas zu sagen, ertönte unweit von ihnen eine Türglocke, welche die Aufmerksamkeit des Elicoorianers auf sich zog.

Drei Männer erschienen in dem hölzernen Rahmen, wovon zwei den dritten mit einem unsanften Stoß auf den matschigen Straßenboden beförderten.

Nicht, dass der jämmerliche Trunkenbold davon noch sehr viel schmutziger hätte werden können. Die armselige Gestalt, die der Wirt und sein Gehilfe aus der Schänke geworfen hatten, starrte vor Dreck und ihren unangenehmen Körpergeruch konnte Albel selbst auf diese Entfernung hin wahrnehmen.

„Und lass dich hier nie wieder blicken!“ schimpfte der stämmige Betreiber und schüttelte angewidert den Kopf.
 

„Das war schon der dritte diese Woche“, sagte der Schankmeister mehr zu sich selbst als jemand anderem und fuhr sich mit der Hand über den kahlrasierten Kopf.

„Wollt Ihr es ihnen verübeln? Sie wissen nicht, wohin. Viele sind von ihren Familien verlassen worden oder hatten erst gar keine“, erwiderte sein Lehrling und blickte auf den Säufer, der sich aufrappelte und davon hastete.

„Trotzdem. Ich finde, diese ehemaligen Soldaten der Schwarzen Brigade werden langsam zu einer Plage. Der König sollte irgendetwas gegen sie unternehmen. Morgen beginnt das Sternfeuerfest und sie verschandeln den Anblick unserer schönen Stadt.“
 

Hatte Albel dem Gespräch anfangs nur mit wenig Interesse gelauscht, wurde er bei den letzten Zeilen umso aufmerksamer.

Das Wort „ehemalig“ stand mit der Präsenz eines unheilverkündenden Boten über all dem und obwohl er nicht sagen konnte woher, wusste der Schwertkämpfer mit einer tödlichen Gewissheit, dass sich diese Aussage nicht nur auf einzelne Männer der Brigade bezog, sondern auf die Gesamtheit der militärischen Abteilung.
 

Zwischen Zorn und Unglauben, dass man die Schwarze Brigade tatsächlich aufgelöst haben sollte, wandte er sich wieder an den Geist.

„Ehemalig?“ bellte er und ballte seine Kralle zu einer Faust. „Ehemalig? Was soll der Humbug?“

Rasch fand seine gesunde Hand den Weg zur Katana und die Katana drohend ihren Weg in Richtung des transzendenten Wesens. Die weibliche Wesenheit schien nach wie vor unbeeindruckt von den Ausbrüchen des Elicoorianers, aber das war dem Vierundzwanzigjährigen herzlich egal. Der Krieger fühlte sich verraten und hintergangen – von wem wusste er nicht genau, aber er würde es noch herausfinden und dieser jemand hatte dann hoffentlich bereits mit seinem Leben abgeschlossen. Wer immer dafür verantwortlich war, dass seine Einheit nun auf den Straßen Ariglyphs lebte, durfte auf keine Gnade hoffen.

„Sag mir sofort, was das zu bedeuten hat, oder du bist die längste Zeit ein Geist gewesen, Abschaum“, grollte er.
 

Der Geist der zukünftigen Sternfeuerfeste bewegte in einer verneinenden Geste den Kopf und die smaragdfarbenen Augen unter der weiten Kapuze blickten ihn mit einem Ausdruck an, in dem eine gewisse Machtlosigkeit lag, aber gleichzeitig auch Abweisung.

„Du legst es wohl wirklich darauf an, dass ich deine Sterblichkeit a- “ noch ehe der Rest der grimmig gesprochenen Worte die Lippen des Kriegers verließ, hob das überirdische Wesen den Arm und deutete auf eines der Fenster über ihnen.

Albels rubingleiche Iriden folgten der ausgestreckten Hand und fanden an ihrem Ende eine Reihe reinweißer Papiersterne, welche mit großer Sorgfalt hinter die Scheibe geklebt worden waren.
 

Er runzelte die Stirn während er zu ergründen versuchte, was die nicht sehr gesprächige Wesenheit ihm mitzuteilen versuchte.

Als er sich jedoch beim Anblick dieses Schmuckes ins Bewusstsein rief, dass hier morgen das Sternfeuerfest beginnen würde und ihm auch die anderen beiden Geister nur Ausschnitte der vergangenen und aktuellen Feierlichkeiten gezeigt hatten, dämmerte es ihm, dass die Wesen ihn offensichtlich nur zu Ereignissen bringen konnten, die unmittelbar um die Feste herum geschahen.

Was gleichzeitig bedeutete, dass der Vorfall, welcher zur Auflösung der Brigade geführt hatte, wohl zu einer anderen Zeit stattgefunden haben musste.
 

Mit einem frustrierten Schnauben steckte er das Schwert wieder in die Scheide.

„Na gut, dann bring mich zum Schloss“, knurrte er. Wenngleich er nicht mit den ‚Schatten’, wie der letzte Geist die Menschen dieser Visionen bezeichnet hatte, sprechen konnte, so hoffte er dennoch, durch die Gespräche der Bediensteten etwas in Erfahrung zu bringen.
 

Auf das Nicken der Wesenheit hin griff der Elicoorianer nach dessen weiter Kutte und wie nunmehr schon so viele Male zuvor löste die Berührung einen Ortswechsel aus.
 

Die Mauern der Gebäude um ihn herum schrumpften wieder zu den Wänden eines Zimmers zusammen, bogen sich einander entgegen und schlossen sich zu einer Decke aus Steinquadern über Albels Kopf zusammen.

Das spärliche Inventar des Raumes lag im letzten Zwielicht des Tages, denn die Nacht trieb bereits ihre Schatten über den Himmel.
 

Zudem war es sehr kalt in der kleinen Kammer. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, ein wärmendes Feuer zu zünden und auch sonst waren keine Anstrengungen unternommen worden, welche das Gemach vielleicht etwas behaglicher gemacht hätte.

Tatsächlich deutete sehr wenig darauf hin, dass dieses Zimmer überhaupt bewohnt war.
 

Einmal mehr misstrauisch sah der Anführer der Schwarzen Brigade in Richtung der überirdischen Erscheinung.
 

„Was soll das jetzt? Wo sind wir hier?“
 

Wortlos deutete der Geist auf einen Anderthalbhänder mit breiter Klinge, welcher in einer Ecke des Raumes an der Wand lehnte. Es war eine Waffe, die Albel unter Hunderten von Schwertern wohl immer wiedererkannt hätte, hatte er sie doch selbst über ihre wochenlange Reise hinweg oft genug in Fayts Hand gesehen und ihren Biss selbst schon schmerzhaft zu spüren bekommen.
 

Albel lächelte abfällig.

„Ich kann mich auch selbst zum Narren machen. Das hier kann unmöglich das Zimmer dieses Idioten sein. Es würde überquellen vor kitschigem Sternfeuerfestschmuck.“
 

Wie in einer Antwort wandte der Geist den Kopf zur Tür, hinter der in der Stille der Schlossgänge gerade zwei Stimmen laut wurden.

„Fayt, bitte!“

„Nein, Maria!“

„Nur für ein, vielleicht zwei Stunden. Etwas Gesellschaft bringt dich bestimmt auf andere Gedanken.“

„Ich sagte nein und dabei bleibt es!“

“Fayt... “
 

Die Zimmertür öffnete sich und warf warmes Fackellicht in den kalten, dunklen Raum und machte ihn dadurch doch nicht heimeliger. Gegen den rötlichen Schein zeichneten sich die Schatten eines schlaksigen, jungen Mannes und einer etwas kleineren Frau ab.

„Mir ist der Spaß an diesem Abend vergangen. Albel hatte damals recht... dieses Fest ist nur etwas für Idioten.“

Das triumphierende Lächeln auf den Zügen des Elicoorianers schwand gleichsam mit dem Erwachen von Marias traurigem.

„Ich verstehe schon. Gute Nacht, Fayt.“
 

Der Erdling warf sich mit einem frustrierten Laut auf die ausgekühlte Schlafstätte.

„... warum bin ich überhaupt mitgekommen?“
 

Der Krieger starrte noch einen Moment lang die Gestalt an, welche mit verschränkten Armen auf dem Bett lag, dann ballte er die Hand zu einer wütenden Faust und trat einige Schritte näher.

Er hatte sich diese Vorstellung lang genug angesehen. Ihm war egal, dass diese Ereignisse weit in der Zukunft lagen, in diesem Moment waren sie für den Schwertkämpfer real – ebenso wie der Schmerz, der sich ob Fayts Anblick bohrend in das Herz des Vierundzwanzigjährigen fraß.
 

„Was tust du da, du verdammter Idiot?! Du solltest unten sein und nicht hier!“
 

Das alles hier war so nicht richtig. So verkehrt. So vollkommen falsch.

Er erinnerte sich an das unbekümmerte Lachen des Jugendlichen aus der letzten Version und an den blauäugigen, unverbesserlichen Optimismus Fayts während der gemeinsamen Reisen.

Das Leuchten in den smaragdfarbenen Iriden des Erdlings, wenn er sich im Kreis seiner Freunde befand.

Das war es, wie es sein sollte.

Diese Bitterkeit und das abweisende Verhalten, das war nicht Fayt... das war...
 

„Hör auf so zu tun als wärst du ... du... ich!“
 

Albel realisierte es in dem Moment, in dem er die Worte, welche von Fayts Schatten ungehört verhallten, laut aussprach

Die Person, welche dort auf dem Bett lag, hätte genauso gut er selbst sein können.

War dies, wie er auf andere Menschen wirkte? War dies hier etwa... seine Schuld?

Der Krieger führte die Hand zur Brust, aus der das quälende Ziehen einfach nicht weichen wollte.

Der Anführer der Schwarzen Brigade hatte sich gewünscht, dass die Menschen die Sinnlosigkeit dieser Feierlichkeiten endlich einsahen, doch nicht ... so ...

So ungern er es auch zugab, ihm war es lieber, wenn Fayt weiter in seiner kleinen, naiven Welt lebte, in welcher der Himmel immer blau war und die Sonne immer schien ... denn es machte Albels eigene Welt selbst etwas wärmer.
 

Mit einem metallischen Kreischen formte sich die Kralle des Elicoorianers zu einer Klaue und seine Rubine schwenkten gleich lohenden Flammen hinüber zum Geist der zukünftigen Sternfeuerfeste.

„Mach, dass er mich hört!“ keifte er den die weibliche Wesenheit an. Er würde Fayts Verhalten nicht länger akzeptieren. Es wurde Zeit, dass jemand diesem blauhaarigen Idioten den Kopf wieder zurechtrückte.

Allerdings machte der Geist dem Schwertkämpfer einen Strich durch die Richtung, indem er langsam den Kopf schüttelte.

Es war jene Geste, welche den letzten von Albels Geduldsfäden endgültig reißen lies. Er langte nach dem Umhang des Geistes und zog ihn grob zu sich heran.

„Hör mir gut zu, du nutzlose Made. Wenn du nicht willst, dass ich wieder in die Hölle zurückschicke, aus der du gekommen bist, dann lieferst du mir besser schnell ein paar Antworten.“

Er spürte, wie ihm die Kälte aus dem Körper der Wesenheit in die Glieder kroch, doch es kümmerte ihn nicht.

„Was ist hier geschehen? Warum ist er so?“

Das blasse, feingeschnittene Gesicht unter der Kapuze wich seinem wütenden Blick aus und die waldfarbenen Seelenspiegel verschwanden hinter zusammengekniffenen Lidern.
 

„Jetzt tu nicht so zögerlich, sondern zeig es mir.“
 

Drohend hob er die Klaue auf Höhe ihres Halses, doch just in dem Moment öffnete die weibliche Wesenheit wieder die Augen – mit einem Blick, der kalt wie der Winter war und kein Mitleid mehr kannte.
 

Krachend brachen die Wände um sie herum auseinander und ließen sie auf weiter Flur stehen; das Inventar des Zimmers und auch Fayt waren plötzlich verschwunden.
 

Die Nacht hatte das Land in Dunkelheit getaucht und der halbe Mond, dessen Licht vereinzelt durch die dichte Wolkendecke drang, vermochte die Umgebung kaum zu erhellen. Irgendwo in der Finsternis donnerte das Meer wütend gegen die Klippen und ein kalter Wind brachte den Geruch von Schnee mit sich. Eine einsame Gestalt stand unweit der Stadttore Kirlsas. Als Albel sie erblickte, spürte er sofort eine natürliche Antipathie in sich erwachen und verzog missgestimmt das Gesicht.

Hätte er doch bloß nicht gefragt.
 

Dennoch, er wollte wissen, was genau Fayt so verändert hatte, und so trat er widerwillig ein paar Schritte näher.

„Ich weiß wirklich nicht, was Fayt an diesem Kerl findet“, grummelte Sophia, gerade, was ein schmallippiges Lächeln auf Albels Gesicht zauberte. Er konnte dieses „Kompliment“ postwendend zurückgeben. Auch er verstand nicht, wie es der Erdling länger als eine Stunde mit diesem Mädchen aushielt, ohne das Bedürfnis zu verspüren, sich vor die nächstbeste Klinge zu werfen ... oder ihr jene in die Kehle zu rammen.
 

„Aber wenn es ihm wirklich so wichtig ist, dass Albel zu diesem Fest kommt...“, murmelte sie und festigte entschlossen den Griff um ihren Stab, der ihr durch einen Zauber gleichzeitig als Lichtquelle diente, „... dann sorge ich auch dafür, dass er kommt.“
 

Das Lächeln auf Albels Lippen wuchs und zeigte sogar eine winzige Spur von Anerkennung. So wenig er das Erdenmädchen auch mochte, eines musste er dieser Göre lassen – mutig war sie.

Auch wenn es gleichzeitig unendlich dumm von ihr war zu glauben, dass er sich so einfach überzeugen lies.
 

Der Anführer der Schwarzen Brigade war ihrem Weg entlang der Steilküste noch nicht lange gefolgt, als er die Veränderung in der Umgebung bemerkte noch ehe es Sophia tat.

Jedoch nur Sekunden später schreckte auch sie zusammen, nachdem ein Schatten am Rande des schmalen Lichtkreises vorbeihuschte, den ihr Stab warf.
 

Dann ein Knurren, gefolgt von einem Bellen und ein gelbes Augenpaar, welches in der Dunkelheit aufblitze und wieder verschwand..

Schützend hob Sophia den Stab vor sich, den Blick fest auf die Stelle gerichtet, wo die bernsteinfarbenen Iriden vor einigen Momenten geleuchtet hatten.
 

„Lass mich in Ruhe, du Monster!“, war ihr Versuch, der wolfsähnlichen Kreatur zu drohen.

Fast schon spöttisch tauchte der drahtige Umriss im äußersten Zwielicht des Helligkeitszaubers auf und verschwand darauf wieder.

Angespannt folgte sie der Bewegung und übersah dabei das zweite Ungeheuer, welches sich lautlos von hinten anschlich.

Albel hingegen hatte es sehr wohl im Blick, genau wie er das Unausweichliche kommen sah und doch nicht sehen wollte.
 

Ein erschrecktes Kreischen entfuhr Sophias Kehle, als sich das pirschende Monster auf ihren Rücken stürzte und sie das Gleichgewicht verlor.
 

Obwohl der Krieger selbst so manchen Gegner gleich einem wildem Tier mit seiner Kralle zerfetzt hatte, wandte er bei dem Gemetzel, welche von den verzweifelten Todesschreien des Mädchens begleitet wurden, die Augen ab.

Er versuchte sich einzureden, dass es ihre eigene Schuld gewesen war und die gerechte Strafe für ihre Dummheit. Hier lediglich das Gesetz des Stärkeren seine Erfüllung fand, aber tief in seinem Inneren wusste er, dass er diesen Vorfall durch sein eigenes Verhalten provoziert hatte.
 

Wäre er nicht zu stolz gewesen, um sich zu den Feierlichkeiten im Schloss herabzulassen und stark genug gewesen, die Schatten seiner Vergangenheit hinter sich zu lassen, dann wäre dies hier niemals geschehen.

Es schien auf einmal nur logisch, dass Fayt sich in der vorherigen Vision so abweisend verhalten hatte, wusste Albel doch nur selbst zu gut um den Schmerz, den der Verlust eines wichtigen Menschen bedeutete. Und er wusste ebenso, dass Sophia für Fayt wichtig gewesen war.

Niemals wieder, hatte sich der Elicoorianer geschworen, hatte er eine Person so nah an sich herankommen lassen wollen, dass sie eine Rolle in seinem Leben spielte oder er in seiner.

Aber dieser verdammte Idiot hatte alle Warnungen in den Wind geschlagen und das traurige Ergebnis tauchte nun den felsigen Boden vor den Toren Kirlsas in blutiges Rot.
 

Mit dem Mädchen würde auch gleichzeitig jener Teil von Fayt sterben, der in Albel zwar regelmäßig Unglauben und Frustration ausgelöst hatte, ihn jedoch gleichzeitig mit einer Art skurriler Faszination für diese Weltanschauung erfüllt und seinen von Tod beherrschten Schicksalsweg etwas lebendiger gemacht hatte.
 

Der Krieger hatte es außerordentlich gut verstanden, mit seiner Einstellung Fayt effektiv in einer Kopie seiner Selbst zu verwandeln und es tat ihm leid.

Aufrichtig und ehrlich leid.
 

„Ich verstehe“, sagte Albel leise und alle Wut, die zuvor in seiner Stimme gewohnt hatte, war mit einem Mal verschwunden.
 

Er verstand plötzlich so vieles was er vor wenigen Stunden noch vorgezogen hatte zu ignorieren, nur eine einzige Sache nicht.

Es war eine Frage, welche beständig in ihm gewachsen war und jetzt immer mehr drängte, über seine Lippen zu kommen.

Gleichzeitig fürchtete er sich nach all den Bildern dieser nunmehr sehr langen Nacht, sie zu stellen.

Ja, Albel Nox, der gnadenlose Anführer der Schwarzen Brigade, fürchtete sich vor einer einfachen Aneinanderreihung von Worten, die dann schlussendlich aber doch seine Kehle verließ.
 

„Wo... war ich bei all dem?“
 

Der Geist, welcher ihm die ganze Zeit wie ein Schatten gefolgt war, trat neben ihn und legte die kalten Finger um Albels Handgelenk.

Der Wind um sie herum brauste auf und schien mit seinem Pusten die Nacht selbst hinfort zu blasen.

Es wurde wieder Tag, mit einem makellos blauem Himmel über dem Bergpfad, auf dem sie nun standen.
 

Der Schnee, welcher über den zerklüfteten Felswänden lag, strahlte gleißend weiß in Sonnenlicht und der Weg vor ihnen führte hoch in das Massiv hinter Kirlsa.

Die Möglichkeit auf einen Abstieg hatte eine Lawine wohl schon vor langer Zeit zunichte gemacht, indem sie mit ihrer zerstörerischen Gewalt ein großes Stück des schmalen Steinpfades herausgerissen hatte.
 

Sie traten näher an den von der Natur geschaffenen Abhang heran, auf dessen Grund Albel eine Gestalt ausmachen konnte – wahrscheinlich hatte der Wanderer oder was immer diese unglückliche Seele auch gewesen war, bei dem Versuch, die Kluft zu überwinden den Halt verloren.
 

Als einmal mehr die Minuten ins Land zogen, ohne dass der Geist sich rührte, machte der Schwertkämpfer sich schließlich die Mühe, einen genaueren Blick auf den erstarrten Körper weit unter ihnen zu werfen.
 

Der Wind zerrte an dem braunen Mantel mit Pelzkragen, der noch immer über den Schultern des Mannes lag.

Die eisige Luft hatte feine Eiskristalle in die bernstein- und onyxfarbenen Strähnen gewoben und seine blasse Haut mit einem glitzernden Gewand von Pulverschnee überzogen.

Mit dem Tod hatte der Frieden auch endlich einen Weg auf sein Gesicht gefunden. Die blauen Lippen umspielte ein fast schon sanftes Lächeln und die sonst angespannten Züge wirkten gelöst.
 

„Das... bin ich...“ keuchte Albel fassungslos – ein leises Flüstern, das der kalte Sturm von seinen Lippen riss und verwehte.
 

Das sollte seine Zukunft sein?
 

Einsam und vergessen auf dem Grund einer Schlucht, unehrenhaft gestorben bei einem Sturz, weil... ihm niemand geholfen hatte?
 

Weil... niemand ihn vermisst hatte?
 

Er wollte es nicht glauben, aber gleichzeitig spürte Albel, wie ein verzweifeltes Lachen in seinem Brustkorb aufwallte.
 

Vielleicht... vielleicht hatte er es auch nicht anders verdient. Vielleicht war es tatsächlich seine gerechte Strafe dafür, dass er seinen Männern gegenüber so kaltherzig gewesen war und die Leute, die versucht hatten, seine Freunde zu sein, so abweisend behandelt hatte.
 

Ein plötzlicher, heftiger Stoß in den Rücken ließ ihn das Gleichgewicht verlieren und den Abhang hinabstürzen, direkt in die Arme seines leblosen Spiegelbildes.
 

Der Anführer der Schwarzen Brigade wich nach einem kurzen Moment der Benommenheit augenblicklich von dem kalten Körper zurück und sah nach oben, wo der Geist nur noch ein undeutlicher Schatten im aufbrausenden Schneesturm war.

Das Herz schlug panisch in seiner Brust und stolperte in einem noch halsbrecherischen Tempo weiter vorwärts, als er den eisigen Wind auf seiner Haut deutlicher fühlte als je zuvor.

Er sollte das weiße Grab mit seinem zukünftigen Ich teilen, schoss es ihm durch den Kopf, aber er wollte nicht. Konnte nicht ... !
 

„Nein, halt! Lass mich nicht hier zurück! Ich werde mich ändern! Bitte ...!“

Er stob nach vorne, um die verschwimmende Gestalt des Geistes zu erreichen, als seine rechte Hand, mit der er sich gegen den Hang abstützen wollte, nur leere Luft statt festen Stein fand... und er eine Rolle schlagend aus seinem Bett stürzte.

Das Ende und ein Anfang

Albel schlug das Herz immer noch bis zum Hals und pumpte das Blut mit rasender Geschwindigkeit durch seine Adern. Auf dem Rücken am Boden liegend starrte er an seine Zimmerdecke während er die Luft in raschen Atemzüge einsog und ausstieß.
 

Seine Zimmerdecke.

Diese Feststellung erfüllte ihn mit einer unendlichen Erleichterung.

Er war am Leben, in seiner eigenen Kammer und nicht dazu verdammt worden, das Schicksal seines zukünftigen Ichs zu teilen. Die Geister hatten ihn verschont und der Spuk war vorüber.

Ein gelöstes Lachen entkam seinen Lippen – einen Ton, den das alte Gemäuer um ihn herum schon lange nicht mehr gehört hatte und den es freudig mit seinem Echo zu verstärken schien.

Der Elicoorinaner wusste nicht, wann er sich das letzte Mal in den vierundzwanzig Jahren seines Daseins so lebendig gefühlt hatte – so gut, so befreit.
 

Er führte die Hand zum Gesicht als könne er damit die Ungläubigkeit von sich streichen, die er immer noch empfand, und erst da spürte er die Feuchtigkeit, die seine Wangen und nun auch seine Fingerspitzen benetzte. Der Krieger erstarrte in der Bewegung, regelrecht überrumpelt von seinen eigenen Emotionen und langsam erstarb der glückliche Ausdruck auf seinen Zügen.
 

Die Realität flutete zurück in sein Bewusstsein und mit ihr verzog er in leichtem Ekel den Mund.

Wie verhielt er sich hier eigentlich?

Lachte und weinte wie ein kleines Kind wo er dieses Alter doch schon lange hinter sich gelassen hatte. Er setzte sich auf und schüttelte den Kopf. Und wer sagte Albel eigentlich, dass dies alles nicht doch nur ein Traum gewesen war?

Vielleicht hatte sich eine dieser Maden tatsächlich nur einen sehr üblen Scherz erlaubt und ihm etwas in sein Wasser gemischt, weil er es dem Schwertkämpfer übel nahm, dass er der gesamten Truppe das Sternenfeuerfest verdarb. Sein Blick wanderte zurück zu seiner Schlafstätte. Verwelkte Blätter lagen über das zerknitterte Laken verstreut und die Kerzen auf dem mehrarmigen Leuchter waren zu kurzen Stümpfen runtergebrannt.

Vielleicht aber auch nicht.
 

Ein langer Atemzug verließ seine Lippen.

Traum oder nicht, die Bilder waren immer noch präsent in seinem Kopf. Wenn auch nur eine kleine Chance darauf bestand, dass sie seine Zukunft werden könnten, würde er jegliche Möglichkeit auf ein Eintreten ausmerzen. Und er würde jetzt damit anfangen.
 

Er rappelte sich auf, seine nächsten Schritte kurz überdenkend. Ein Erscheinen auf der Feier, zu der Fayt ihn eingeladen hatte, schien nahezu unumgänglich. Dies hatte man ihm über die letzten Stunden mehr als nur einmal verdeutlicht. Allerdings fragte sich der Vierundzwanzigjährige, ob dies allein tatsächlich ausreichend war.

Denn in all den Jahren hatte er den Geschenkebrauch nicht vergessen. Obgleich es lange her war, dass er ihn zuletzt gepflegt hatte, erinnerte er sich immer noch an die Freude auf den Gesichtern seiner damaligen Kameraden. Und an die auf dem Gesicht des kleinen Kindes, welches er einst gewesen war. Als er sich seiner Gedanken bewusst wurde, schüttelte er einmal mehr den Kopf. Bei den Göttern, es war ja fast schon grauenhaft, zu welcher Sentimentalität ihn die jüngsten Ereignisse beflügelten – von denen er noch nicht einmal wusste, ob sie überhaupt real waren.

Dennoch... fast unwillkürlich streifte sein Blick suchend durch die Kammer, bis seine blutfarbenen Iriden an einem Langschwert hängen blieb, welches er einem Feind nach dessen Tod abgenommen hatte. Es war ein schönes Stück, mit Rubin- und Smaragdsplittern in den goldenen Knauf eingearbeitet, gut ausbalanciert und mit einer scharfen Klinge. Albel merkte, wie er einen Entschluss fasste. Es sollte zudem mehr als ausreichen, dachte er. Es hatte dem Erdling gefälligst auszureichen, oder dieser würde der erste sein, der den kalten Kuss des Stahls zu schmecken bekam. Der Kerl sollte sich glücklich schätzen, dass Albel überhaupt seine Aufwartung auf dieser schwachsinnigen Feier machte.

Der Anführer der Schwarzen Brigade beäugte die Waffe kritisch und rieb dann mit dem behandschuhten Teil seiner Faust kurz über das Heft, um einige eingetrocknete Blutspritzer davon abzuwischen. Dann nickte er zustimmend und verstaute das Schwert an seinem Gürtel.
 

Doch bevor er sich auf den Weg machte, hatte er noch etwas zu erledigen. Er wusste nicht, wie viel Zeit seit dem Besuch des ersten Geistes vergangen war, aber als er in die Trainingsarena trat, übten sich seine Männer immer noch unter der nun tiefstehenden Sonne in der Kunst des Schwertes.
 

„Aufhören! Sofort!“

Der scharf gebellte Befehl des Elicoorianers ließ die Krieger erstaunt inne halten und sich verwirrt zu ihrem Oberhaupt umdrehen.

„Ihr alle geht augenblicklich nach Hause!“

Ein Raunen lief durch die Menge. Albel zog sein Katana und umschrieb einen weiten Kreis mit der Klinge, zeigte mit der Spitze auf seine Untergebenen.

„Wer es wagen sollte, mir zu widersprechen oder wen ich vor Ende des Sternenfeuerfestes wieder hier erwische, darf den Latrinendienst für die nächsten drei Monate übernehmen.“

Einige der Schwarzgerüsteten nahmen ihre Helme ab und das Erstaunen auf ihren Gesichtern war deutlich zu erkennen. Unruhiges Gemurmel wurde laut, über das sich Albels bissige Stimme deutlich hinwegsetzte.

„Habt ihr mich verstanden?!“

Die Männer der Schwarzen Brigade salutierten zackig, aber das Grinsen auf den Zügen der Enthelmten war deutlich zu erkennen und die Freude, mit der sie diesem Befehl nachkommen wollten, mehr als offensichtlich.

„JAWOLL, KAPITÄN!“
 

Als die immer noch leicht verwirrte, aber sehr glückliche Menge an Rüstungsträgern an ihm vorbeiströmte, griff Albel nach der Schulter eines Kriegers mit auffällig rotem Haar und zog ihn kurz zur Seite. Der Vierundzwanzigjährige löste ein klirrendes Säckchen von seinem Gürtel und drückte es dem Mann an die Brust.

„Und du sorg besser dafür, dass deine Göre zu einem Arzt kommt.“

Der Rotschopf sah ihn verwirrt an. „Was...?“

„Anstatt meine Großzügigkeit infrage zu stellen, solltest du sie annehmen... ehe ich es mir anders überlege.“

Das Mitglied der Brigade nickte demütig. „Danke, Kapitän.“

Mit einem gewissen Grad an Genugtuung sah Albel dem Kämpfer hinterher und richtete dann seine rubinfarbenen Iriden zum tiefstehenden Feuerball am Himmel. Es wurde Zeit, dass er sich selbst auf den Weg machte.
 

Als Albel in den mit Menschen gefüllten Saal trat, schien zunächst niemand das Eintreffen eines weiteren Gastes zu bemerken. Jedermann tanzte, lachte oder bediente sich am reichhaltigen Büfett – die Stimmung war so ausgelassen, wie er sie aus der Vision des zweiten Geistes in Erinnerung hatte. Erst als seine blutroten Augen selbst suchend durch die Menge zu streifen begannen, wurde ein kleines Grüppchen an einem der Tische auf ihn aufmerksam. Ein fast schon diabolisches Lächeln umspielte die Lippen des Elicoorianers bei der Reaktion einer bestimmten Person auf sein Erscheinen. Allein für das fassungslose Gesicht des blonden Gorillas hatte sich das Kommen schon gelohnt. Albel war sich sicher, wenn er nicht so fest mit den Schädel verankert wäre, dann wäre der Kiefer des Muskelmannes soeben mit Sicherheit bis auf den Steinboden gestürzt.
 

Schließlich löste sich ein junger Mann aus der Mitte der bunt gemischten Gemeinschaft und bewegte sich auf ihn zu, bis der blauhaarige Erdling dann schließlich vor dem Anführer der Schwarzen Brigade stehen blieb. Etwas nervös, aber offensichtlich positiv überrascht. Wenn nicht sogar glücklich.
 

„Du bist doch gekommen“, erwiderte Fayt und ein Lächeln fand den Weg auf seine Züge.
 

Der Vierundzwanzigjährige spürte sein Herz ob dieser überschwänglichen Reaktion kurz stolpern. Normalerweise wurde seine Anwesenheit nicht so froh aufgenommen.

Anstatt auf die Aussage des Teenagers zu antworten, wandte Albel den Blick ab und hielt das Schwert in die Richtung des Jugendlichen. Je schneller er mit diesem Schwachsinn fertig war, desto besser. „Hier.“
 

Nun wirkte Fayt tatsächlich sogar etwas überrumpelt, wie dem Anführer der Schwarzen Brigade ein Blick aus dem Augenwinkel verriet.
 

„D-Danke“, erwiderte der Neunzehnjährige und nahm das Präsent entgegen. Während er es mit einer Hand neben seinem Körper hielt, begann er mit der anderen in einer seiner zahllosen Taschen zu kramen. „Aber ich habe auch etwas für dich.“

Interessiert und nun seinerseits etwas überrascht – obwohl er eigentlich damit hätte rechnen müssen, dass Fayt etwas besorgen würde – richte er seinen Blick wieder vollends auf den Wissenschaftlersohn. Der Erdling streckte ihm eine Hand entgegen, auf dessen Teller ein flaches, ovales Objekt lag. Bei genauerer Betrachtung erkannte Albel, dass es ein Schleifstein war. Und die auf der rauen Oberfläche eingravierte Rune verriet, dass er aus einer der Meisterschmieden Ariglyphs stammte.

„Ein frohes Sternenfeuerfest, Albel.“
 

Ein schiefes Lächeln zog an den Mundwinkeln des Elicoorianers, als sich seine Finger um den Stein schlossen und er ihn entgegen nahm. Ein solch maßlos überteuertes Geschenk für jemanden wie ihn zu besorgen... es sah dem Jugendlichen so unendlich ähnlich. Aber genau so sollte es sein. So und nicht anders.

Wenngleich ihm die nächsten Worte nur schwer und als verhaltenes Brummen über die Lippen kamen, er meinte sie so wie er sie sagte.
 

„Dir... auch.“
 

Ein lauter Ruf beendete den gemeinsamen Moment.
 

„Fayt!“ klang es über den Lärm der Feier hinweg und als Albel über die Schulter des Jugendlichen in die Richtung blickte, aus der die Stimme kam, konnte er sehen, wie das Erdenmädchen Fayt herbeiwinkte. Der Wissenschaftlersohn drehte sich kurz um und hob verstehend den Arm, ehe er seine Hand wieder dem Elicoorianer entgegenstreckte.
 

Fragend blickte Albel sie an.
 

„Magst du mitkommen?“
 

Früher hätte der Anführer der Schwarzen Brigade dieses Angebot ausgeschlagen. Mit Sicherheit sogar. Aber nach diesen ereignisreichen Stunden... nun ...

Langsam nickte er, sich wundernd, ob ein Teil von ihm der Sache nicht vielleicht mit etwas völlig anderem als Widerwillen und Schicksalsergebenheit begegnete. Ob etwas in seinem Inneren nicht sogar auf diese Frage gehofft hatte. Etwas, das erkannt hatte, dass dieses Fest nicht allein Humbug und Unsinn war, sondern so viel mehr.

Schließlich legte der Krieger seine Hand in Fayts und ließ sich von ihm zur Gruppe geleiten.

Es war immer noch alles schrecklich sentimental und kitschig... aber zum ersten Mal seit vielen Jahren machte es Albel nicht wirklich etwas aus.



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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Von:  Gino
2009-12-19T12:50:54+00:00 19.12.2009 13:50
XDDDD
CLLLLLiiiiiiiiiiiiiFFFF

*gröhl*
>DDD awh du glaubst nich wie ich mich wegen der widmung gefreut habe! XDD EJ VOLL DANKE ALTER! XD~

Ich mag das kapitel *-*
Da is jetz mein lieblingskapitel!
*husthust* liegt wohl an cliff* hust husthust* D:
...
XDDDD

gut geschrieben! ich liebe deinen schreibstil einfach QQ!
Von:  AlbelNox
2008-12-26T15:32:44+00:00 26.12.2008 16:32
*_* Erste!

Njaaaaa... also ich finde es wirklich toll geschrieben und es reißt einen wirklich mit. Zumindest hat es mich sehr ergriffen und du hast mich zum Ende echt zum Weinen gebracht und das zu schaffen, erfordert doch schon wirklich viel bei FF's.
Wie du Glou dargestellt hast, finde ich auch sehr treffend. Genauso hätte ich ihn mir auch vorgestellt. Zwar streng aber dennoch gutherzig und liebevoll. *smile*

Mir gefällt dieses Kapitel wirklich gut, auch wenn mich das mit Albel wie gesagt schon sehr getroffen hat.

Ich bin auf dein nächstes Kapitel gespannt x33

*knuddel*
Von:  AlbelNox
2008-12-23T19:27:34+00:00 23.12.2008 20:27
XDDDD Omg!

Albel: Du solltest tot sein O_O
Vox: Ich bin tot >.>.

XDDDDDDDDDDDDDDDDDDD Zu geil! Ich könnt mich wegschmeißen. Kann mich so richtig bildlich vorstellen *rofl*

Aber das erste Kapitel ist echt gut ^^ Ich freu mich auf den Rest und su ^^. Mach so weiter ^________^ Ich liebe deinen Schreibstil und die Legende hast du auch gutb beschrieben *smile*
Von:  Gino
2008-12-23T16:11:15+00:00 23.12.2008 17:11
o.O


der geist der weihnacht?
XDDDD
*lach*

aw das is aba echt geil..
auch voll süüüß
>___<
und ich fine du hast voll toll geschrieben und jeden chara gut getroffen!
><
*luuf*

gut gemacht lu chan :3




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