僕達の子 - Bokutachi no ko - Our Child
Meine Augen öffneten sich. Die Sonne war noch nicht sehr weit aufgestiegen. Es war noch früher Morgen. Doch ich nahm nach und nach mehr in dem trüben Licht wahr, das den Raum sanft erhellte, der mir im ersten Moment unbekannt vorkam. Als ich einen Arm, nur wenige Meter von mir entfernt, bewegungslos von einem Sofa herunterhängen sah, wusste ich sofort, wo ich war, weshalb, was passiert war und - was nicht.
Ich warf einen Blick auf meine Kleider, die über der Sofalehne hingen. ~Vielleicht sollte ich mich besser anziehen, bevor er aufwacht... Es ist ihm doch so peinlich...~ Leise erhob ich mich und tat Hyde diesen - wie ich annahm - „Gefallen“.
Als ich beinahe fertig angezogen war, begann Hyde sich zu räkeln, doch seine Augen blieben geschlossen. Sein Gesicht war nun mir zugewandt, sodass sich mir der friedliche Anblick eines schlafenden Engels bot. Ich hielt inne. Dieses Bild hatte mich in seinen Bann gezogen.
Plötzlich flatterten seine Augenlider. Und öffneten sich langsam. Ein Paar unschuldig brauner Augen blickte in meine Richtung.
„Guten Morgen.“, sagte ich, nachdem ich ihm eine Sekunde oder zwei Zeit gelassen hatte, richtig wach zu werden. Er schien sich dennoch zu erschrecken, als hätte er zuvor geglaubt, ich wäre nichts weiter als ein Traumbild gewesen, nicht wirklich hier, sondern nur eine Erscheinung.
Er schien einen Augenblick angestrengt nachzudenken, und dann erkannte man die Erkenntnis in seinem Blick: Er hatte sich erinnert, dass ich hier übernachtet hatte. „Guten Morgen...“, gab er schwach zurück, bevor er sich über das verschlafene Gesicht und durch die wirren Haare fuhr.
„Und? Konntest du doch noch gut schlafen?“, fragte ich ihn und griff nach meinem Hemd, das ich noch immer nicht angezogen hatte.
Er setzte sich auf, fuhr sich erneut durch die Haare, dieses Mal jedoch scheinbar mit der Absicht, sie wieder einigermaßen in Ordnung zu bringen. „Ich denke schon.“, antwortete er, in meine Richtung blickend, die er daraufhin sofort wieder änderte, als hielte er es für unverschämt, zu mir zu blicken, während ich mich anzog. Mit einem Mal sprang er regelrecht vom Sofa auf und schien zu sprechen zu beginnen, bevor er wusste, was er sagen wollte: „Ich... werde dann jetzt mal duschen gehen. - Oder willst du zuerst ins Bad? Ich kann auch noch warten!“, fügte er sofort hinzu, als hätte er etwas Rücksichtsloses gesagt.
„Nein, nein, geh du nur.“, meinte ich, ließ mich zurück auf meinen Schlafplatz fallen und schloss müde die Augen. Es vergingen ein paar Sekunden, bis ich hörte, wie sich Hydes Schritte entfernten. War er diese paar Augenblicke stehen geblieben und hatte mich beobachtet? Als ich die Augen aufschlug, sah ich ihn gerade noch im Bad verschwinden.
Ich seufzte. Ich wusste nicht genau, weshalb, aber ich hatte das Gefühl, ich hatte etwas verpasst.
Mein Blick wanderte unbestimmt zu dem Sofa, auf dem Hyde geschlafen hatte. Die Decke lag unordentlich da. Ein Gedanke formte sich in meinem Kopf und mein Körper bewegte sich wie von selbst zu dieser Decke. Ich beugte mich hinunter und sog den Duft, den ich gehofft hatte, dort zu finden, genüsslich ein. Das löste ein unbeschreiblich schönes Gefühl in mir aus.
Ich atmete erneut tief ein, gieriger. Ich wollte diesen Geruch nicht mehr entbehren, ihn nicht wieder hergeben, nie wieder missen müssen; ich wollte ihn permanent riechen. Am liebsten hätte ich nur ein und nicht wieder ausgeatmet. Ich wollte seinen Geruch in mich aufnehmen, ihn dort festhalten und nie wieder freigeben.
Ebenso wie ich von fremder Kraft geleitet zu dieser Stelle geführt worden war, war ich nun gezwungen, mich auf den noch warmen Schlafplatz zu legen. Genießerisch schloss ich die Augen und badete in seiner Wärme und seinem Geruch.
„Schläfst du etwa schon wieder?“, fragte eine Stimme ganz in meiner Nähe.
Ich öffnete erschrocken die Augen und richtete mich unweigerlich halb auf.
„Warum liegst du jetzt eigentlich auf meinem Platz?“, fiel ihm dann das Unvermeidliche auf.
„Shirimasen.“, meinte ich ahnungslos klingend und blickte mich verwirrt um. Ich versuchte einfach mal, den Unwissenden zu spielen. Vielleicht würde es mir ja gelingen, mich so aus dieser Situation zu retten.
„Bist du Schlafwandler?“, fragte Hyde amüsiert. Sein Lächeln ließ meine Befürchtungen verblassen.
„Vielleicht.“, antwortete ich unbestimmt, ebenfalls mit einem Lächeln im Gesicht.
„Na, egal. Wollen wir frühstücken?“, schlug Hyde vor und machte sich auch schon auf den Weg in die Küche. Er schien ungewöhnlich gute Laune zu haben, vor allem für diese Uhrzeit.
„Was möchtest du essen? Was willst du trinken?“ Ich konnte mich nicht sattsehen an diesem lächelnden Gesicht, dass von noch leicht nassen Haarsträhnen umrahmt wurde.
„Kaffee. Hunger habe ich noch keinen.“, antwortete ich ihm, ihm in die Küche folgend.
„Ach, komm. Irgendetwas kannst du doch bestimmt essen.“, meinte er zuversichtlich. „Es ist noch Suppe übrig, die wir uns aufwärmen könnten. Na? Wie wäre es damit?“
„Na gut.“ Ich konnte es ihm nicht abschlagen. Ich wollte, dass seine Stimmung ewig hielt.
Ich warf einen Blick auf die Uhr. Ich wollte nicht mehr hier sein, wenn andere Bewohner des Hauses zurückkamen. „Ich werde mich dann mal auf den Weg machen.“, sagte ich zu Hyde, der auch schon seit einer ganzen Weile mit Essen fertig war und nur noch ab und zu an seinem Glas Wasser nippte.
„In Ordnung.“ Sein Blick war mir gefolgt.
Wir standen beide vom Tisch auf und gingen langsam in Richtung Haustüre.
„Lust, was zu machen? Übermorgen, oder so?“ Ich ertrug den Gedanken nicht, nicht zu wissen, wann ich ihn wiedersehen würde. Ich hoffte, dass es bald sein würde. Ich betete zu Gott.
„Ich kann nicht, ich habe Jo-chan schon etwas versprochen.“ Seine Stimme und sein Blick zeigten mir, dass es ihm leid tat. Doch trotzdem konnte ich meine Enttäuschung nur schwer verbergen.
„Ah... Sou da.“ Es tat weh.
„Vielleicht... Freitag?“, schlug Hyde versöhnlich vor.
„Klar, dann Freitag.“, entgegnete ich wieder fröhlicher. Mein Lächeln sollte jedoch nicht lange halten. Als Hydes Stirn sich in leicht angestrengte Falten legte, verspürte ich bereits eine ungute Vorahnung.
„Oh, warte. Doch nicht.“, zog er seinen Vorschlag zurück. „Freitag ist schlecht.“
Ich versuchte, ruhig zu bleiben. Es war nicht einfach. Es tat einfach weh.
„Freitag ist ganz schlecht.“, fügte er hinzu, als könnte das die Zurücknahme rechtfertigen. „Lass mich überlegen...“ ~Bevor du wieder etwas Falsches sagst... um meine Hoffnung wieder zu zerstören...~, fügte ich in Gedanken hinzu. „Wie wäre es mit... Montag?“ Ein weiterer Stich. So viele Tage lagen zwischen Jetzt und diesem Tag. Was sollte ich in der Zwischenzeit tun? Wofür sollte ich es?
„Vielleicht ergibt sich ja vorher noch etwas. Du musst ja nicht gleich den halben Tag Zeit für mich haben. Ein, zwei Stunden reichen auch.“, ließ ich ihn wissen, in der Hoffnung, es würde ihn dazu bewegen, sein Angebot zu ändern.
„Dann finde ich bestimmt zwischendurch noch etwas Zeit.“ War es ein Versprechen oder nur ein Tröstungsversuch? „Ich melde mich dann kurzfristig bei dir.“ Ich konnte es nicht sagen.
„In Ordnung.“ Er konnte nichts dafür. „Also dann, tschüß...“ Doch es tat nichtsdestotrotz weh.
„Ja. Tschüß...“ Er zögerte, doch dann umarmte er mich flüchtig. Ich schloss meine Augen.
Auch wenn es nur ein kurzer Moment war, hatte er eine lange schöne Nachwirkung.
„Lass den Kopf nicht hängen.“ War es ein Ratschlag oder eine Bitte?
„Ich werde es versuchen.“, sagte ich mit einem schwachen Lächeln und schritt davon. Es war eine Lüge. Ich wusste viel zu gut, dass es sinnlos war.
Ich sah ihm nach. Er nahm seine Autoschlüssel aus der Hosentasche und schloss seinen Wagen auf. Er öffnete die Autotür, doch bevor er einstieg, sah er zu mir zurück, legte zwei Finger auf seinen Nasenrücken, ließ sie diesen hinunterstreifen und warf sie in meine Richtung. ~Unser Abschiedsgruß...~ Ich lächelte und tat es ihm nach, verabschiedete mich von ihm auf unsere Art und Weise. Eigentlich war es ja seine Erfindung, doch alles, was mit ‚Moon Child’ zusammenhängt, betrachten wir stets als unser Eigentum. Er tat es, so vermutete ich, aus Bescheidenheit; ich tat es, weil mir die Vorstellung gefiel, dass etwas uns beiden gehörte.
Dieser Gedanke erinnerte mich wieder an die Situation am Abend zuvor, als Gackt „Es ist unser Film“ gesagt hatte. Mit diesen Worten wurde eine fast vergessene Erinnerung wach.
Ich ging zurück ins Haus, schloss die Türe hinter mir, lief zielstrebig in mein Arbeitszimmer zum Regal, griff einen Ordner heraus, legte ihn auf meinen Schreibtisch, schlug ihn ganz hinten auf und entnahm einer Klarsichtfolie ein paar Blätter. Das oberste, das man durch die Folie hatte sehen können, war der erste Entwurf für „The Fourth Avenue Café“. Er war die Tarnung, das Deckblatt, das die Papiere darunter verdecken sollte. Seiten, die niemand finden sollte, die niemand sehen sollte.
Es waren zwei. Zwei Seiten mit zwei verschiedenen Texten. Nach einem davon suchte ich gerade. Es war der ältere. Er war neun Jahre alt.
Our Child
Everything began with our child
It meant work, it was fun
It cost us a lot of time
And gave us much to spend together
And even more
We were close to each other
for such a long lapse of time
for it was our child
We raised it, made it beautiful and kind
But one day, I feared to admit
that I loved you
That day was the same day
that I said I was sorry
for not being able to come
to sing with you
together on stage
I was so afraid
anyone could see
how much I felt
while singing our song
for our child
It would have been so obvious
Everyone would have seen the sparkling
in my eyes
The tears falling off of them
The pain in my face
for we had to say goodbye
to our child
We knew we could see it
anytime we wanted to
But never again
together
Never together again
We would never again be occupied
by looking after, watching over, taking care of
our child
We could only watch it
Maybe
Maybe at the same time
Maybe even together
But in another country
Not where we raised it
We could merely watch it
from far away
For I will never go back
to that place where we raised it
It’s too hard to endure
the pain I would feel
when seeing the streets again
we walked so many times
together
doing anything to make our child
decent and respectable
We wanted it to be successful
for we were not
in being parents
or rather I was not
for you did anything
for our child
for you are its mother
for you gave birth to it
Actually
You should be its only parent
for I did almost nothing
for our child
It’s cruel not to be sure
if I changed anything about that
if I could turn back time
I am listening
to our song
It reminds me of the closeness
there once was
It reminds me of the confusion
there once was
when I did not yet understand
what I felt for you
Now I feel sorry
for not having been honest
with you
Even now I am not successful
in being honest with you
and me
I hope our child
won’t be forgotten
I hope we will watch it
one day
together
Still I fear to admit
that I love you
I am looking to the moon above us
And think about you
think about us
think about
our child
Our Moon Child
Die letzten beiden Worte konnte ich nicht mehr lesen; meine Sicht war verklärt. Doch ich kannte sie, kannte sie nur zu gut. Meine Hände zitterten. Ich spürte etwas Warmes meine Wange hinabfließen.
~Wir haben es gesehen... zusammen...~ Ein Lächeln zeichnete sich langsam auf meinen Lippen ab. ~Mehr können wir nicht mehr tun...~ Ein Schluchzen entwich meiner Kehle.
~Wie gerne würde ich die Zeit noch einmal zurückdrehen wollen... Wie sehr wünschte ich mir, diese kurzen Wochen noch einmal erleben zu dürfen... Wie viel würde ich dafür geben, den gemeinsamen Abschied unseren „Kindes“ nachzuholen... mit dir zusammen... Ein Duett... nur für unser „Kind“... Würdest du mir diesen Wunsch erfüllen? Würdest du das, Ga-chan?~
Das Blatt Papier fiel aus meinen bebenden Fingern auf den Tisch, meine Hände folgten, stützten sich auf dem kalten Holz ab, bevor sie von warmen Tropfen getröstet wurden. Sie spürten den Trost jedoch nicht. Sie nahmen die Berührung gar nicht wahr. Es gab nichts, das mir in diesem Moment Trost hätte schenken können. Nichts.
Nichts.
Er begann zu singen.
I didn’t know how much
My own life could depend on another
I was sure I would live just for me
and would not even bother
If I fell out of love
There was still me and myself, I thought
So I could do without anybody else
I thought that was the life I had sought
But then there came a time
when I didn’t know what to do
for I had forgotten if it was me
or you I was leading my life for
I realized that I would do
more than many things for your sake
rather than for mine
That was when I learned the difference
between real love and fake
I never was tormented so frequently
by thoughts of sudden change
I never thought that much of the daily danger
that’s soaring over you - it’s strange
That I never felt this fear before
Although there have ever been precious people in my life
I can’t compare my feelings for you
with anything before you arrived
I realized that I would do
things for your rather than for my sake
That was when I learned the difference
between real love and fake
It’s not like being in heaven
It’s not like being in hell
It’s not my body - neither yours
In love with your mind I fell
So deeply I can’t describe
I need you I can’t explain why
I could never hurt you
Not even in my thoughts I could try
More than a lover
You are my friend
More than a friend
You are my everything
I realized that I would do
more than many things for your sake
That was when I learned the difference
between real love and fake
It’s not that I need
to kiss you all the time
It’s just that I will
miss you if you’re not by my side
It’s not that I need
to feel your body on mine
It’s more that I want you
to want to feel mine
More than a lover
You are my friend
More than a friend
You are my everything
I realized that I would do
anything for your sake
I finally learned the difference
between real love and fake
Sein Gesang verklang. Zurück blieb er, alleine, in der Dunkelheit seiner Wohnung.