Schneeflocken
Das Mädchen...
...in der Schneekugel
Schneeflocken...
Glänzende, braune Haare, fallen in weichen Locken.
Rote, volle Lippen, schneeweiße Haut und meerblaue Augen.
Und kleine Schneeflocken, die trocken um mich herum zu Boden fielen.
Überrascht blinzelte ich. Ich hatte nicht bemerkt, dass das Mädchen meine Schneekugel geschüttelt hatte. Wie sooft in letzter Zeit.
Aber ich sah und hörte sie singen. Erst leise und sanft wie ein zarter Federnstreich, dann plötzlich kraftvoll wie ein Orkan, und schließlich wieder ruhig und weich.
Es gab niemanden der so schön singen konnte wie sie.
Ich wünschte mir auch so wundervoll singen zu können, um meine Gefühle ausdrücken zu könne, doch wie sollte ich? Ich war nur eine kleine Ballerina in einer Schneekugel und konnte nicht singen.
"Ach, Sara", hörte ich das Mädchen da sagen, "Ich wünschte du könnest bei mir sein."
Oh ja, das wünschte ich mir auch so sehr. Nur einmal in meinem Leben wollte ich aus dieser Schneekugel herauskommen und dem Mädchen in die Augen sehen können, dass so wundervoll sang. Nur einmal ihre Hand halten und ihr sagen können was ich für sie fühlte.
Doch wahrscheinlich würde das nie wahr werden, denn wann geschahen schon Wunder?
Langsam senkte sich die dunkle Nacht herab und mein geliebtes Mädchen ging zu Bett.
Im schimmernden Licht des Vollmondes betrachtete ich ihr glänzendes Haar durch die gläsernen Wände meines Gefängnisses. Wie würde es sich wohl anfühlen?
Wahrscheinlich ganz weich, genau wie ihre Haut...
Wenn ich doch nur einmal die Chance hätte sie zu berühren...
Ich seufzte und eine blutrote Träne lief meine Porzellanwange hinunter und vermischte sich mit dem Wasser um mich herum.
"Ach, lieber Mond", dachte ich sehnsuchtsvoll und sah zu dem runden, strahlenden Himmelskörper hinauf, "Erfülle mir doch meinen Wunsch."
Traurig wandte ich mein Gesicht wieder ab, doch plötzlich erstrahlte ein gleißendes Licht neben mir und geblendet hielt ich mir die Hand vor die Augen. Als das Licht etwas schwächer wurde und ich wieder sehen konnte, sah ich einen kleinen Jungen in meiner Kugel stehen. Erschrocken holte ich Luft. Wo war er hergekommen? Und noch etwas ließ mich erschrocken keuchen:
Dieser Junge war weiß wie Schnee!
Seine Haare, seine Haut, seine Augen, ja selbst die kleine Querflöte die er in der Hand hielt war weiß. War er der Mond, den ich eben noch so sehnsuchtsvoll angefleht hatte?
Verschmitzt grinste er mich an und ließ sich zu Boden sinken.
"Nun", sagte er feixend und schlug die Beine übereinander, "Ich erfülle dir deinen Wunsch, aber nur unter einer Bedingung."
"Alles", rief ich sofort aus, auch ohne zu wissen was es war, oder mich weiter über diesen plötzlichen Besucher zu wundern. Das Lächeln des Mondes verblasste.
"Du hast nur Zeit, um sie einmal zu berühren und ihr zu sagen was du fühlst", sagte er ruhig und leise, "Danach musst du sofort in deine Kugel zurück. Bedenke dies gut."
Ich überlegte kurz.
"Einverstanden", meinte ich dann und nickte.
Der kleine Junge nickte ebenfalls und stand dann auf.
"So sei es", sagte er feierlich und hob seine Flöte an die Lippen.
Die Melodie die er spielte war leicht und heiter und erinnerte mich an die Stimme des Mädchens. Die zarten Töne schienen um mich herum zu tanzen und mich zu umschmeicheln und plötzlich wurde mein ganzer Körper unglaublich leicht. Ich schwebte zur gläsernen Decke meiner kleinen Schneekugel und begann mich um die eigene Achse zu drehen.
Es war fast, als würde ich tanzen. Einen kleinen, feierlichen Reigen, den nur ich kannte.
In dem Moment in dem ich das dachte, ging ein Ziehen durch meinen Körper und plötzlich fand ich mich auf dem hölzernen Fußboden liegend, im Zimmer des Mädchens wieder.
Überrascht stand ich mich auf. Der Mond hatte Wort gehalten.
Ich wusste, dass mir nicht fiel Zeit blieb, doch trotzdem blieb ich einen Moment stehen und betrachtete das schlafende Schneewittchen. Ich hoffte ich würde mich immer an diesen Anblick erinnern.
"Alice."
Leise rief ich den Namen des Mädchens und fast als hätte sie darauf gewartet, öffnete sie die Augen.
Verschlafen richtete sie sich in ihrem Bett auf und ihre Augen weiteten sich, als sie mich sah.
"Sara."
Ihre Stimme war nur ein schwaches Wispern, doch trotzdem lief mir ein kleiner Schauer über den Rücken. Sie war so lieblich.
Alice schwang ihre Beine aus dem Bett und kam auf mich zu.
"Bist du es wirklich?"
Unsicherheit schwang in ihrer wunderbaren Stimme mit, denn sie war sich nicht sicher, ob sie träumte, oder wachte.
Ich nickte leicht, aber zuckte ein wenig zusammen, als sie ihre Hand nach meinem langen schwarzen Haar griff und es durch ihre Finger gleiten ließ.
"Wie ist das möglich?"
Leise lächelnd nahm ich ihre Hand und sah ihr fest in die blauen Augen.
"Ich liebe dich, Alice. Mehr als mein Leben. Bitte vergiss mich nicht."
Die Augen meines geliebten Mädchens weiteten sich etwas und sie öffnete leicht ihre Lippen, doch diesmal kam kein Ton heraus. Langsam entschwand mir ihre schmale Hand, denn mein Körper begann zu verbalssen. Es kam wie der Mond es gesagt hatte.
Mit einem lachenden und einem weinenden Auge sah ich, wie Alice mir zurief sie nicht alleine zu lassen und innerlich zerriss mir mein Herz.
"Ich werde immer bei dir sein", flüsterte ich ihr noch zu und dann verschwand ich.
Aus ihrem Sichtfeld vielleicht, aber nicht aus ihrem Leben.
Irgendwann später fand ich mich in meiner Schneekugel wieder, die Alice leise weinend in der Hand hielt.
Ich war wieder eine Porzellanballerina und drehte meine ewigen Kreise im Inneren meines gläsernen Gefängnisses. Für jetzt und für immer...
Doch aus der Ferne des Zimmers hörte ich leise Musik und eine klare Stimme, die von einer verlorenen Liebe sang und deren zarter Klang mich in eine tröstende Decke hüllte.