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be my magician

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1874: Die Geschichten der Wolken (1)

1874

Die Geschichten der Wolken (1)
 

»Und, was erzählen sie dir heute?«, fragte sie erwartungsvoll und ließ sich neben ihn in die Mauernische plumpsen. Doch er blickte sie nur kurz mit seinen hellblauen Augen an und wandte dann den Blick zurück in die Ferne. Soweit man sehen konnte, war alles grün. Hügel, ein paar Bäume. So grün. Irgendwo begann der Horizont und das Grün mündete in graue Wolken, die sich über den gesamten Himmel erstreckten. So weit man sehen konnte. Die Luft war schwer vom Geruch des nahenden Regens. Des erwarteten Regens. In ihren Erinnerungen war es jedes Mal dasselbe Bild. Er saß in der Mauernische mit angezogenen Beinen und blickte dem Regen entgegen. Nur war er inzwischen gewachsen. Das Profil war nicht mehr das eines Kindes. Als sie ihn das erste Mal hier traf, war es Zufall gewesen. Sie wollte ein bisschen herum laufen, um einen freien Kopf zu bekommen, als sie ihn in der Nische entdeckte. Sie hatte ihn immer für seltsam gehalten, weil er nicht gut mit den anderen Schülern auskam und eher mit den Erwachsenen zusammen war. Doch neugierig wie sie war, fragte sie ihn trotzdem, was er dort machte, und er antwortete: ‚Ich höre den Wolken zu.’ – ‚Wirklich? Und was erzählen sie dir?’ Sie hatte es nicht wirklich ernst gemeint, ihr Verdacht hatte sich schließlich bestätigt und er schien tatsächlich seltsam zu sein. Doch nach einem Seufzen, begann er ihr eine Geschichte zu erzählen. Sie wusste nicht, ob er sie wirklich von den Wolken hörte, wie er sagte, oder von den Erwachsenen oder sich selbst ausdachte. Es war auch nicht schwer, ihr eine interessante Geschichte zu erzählen, da sie im Gegensatz zu den anderen Kindern hier nicht die Schule besuchte. Sie gefiel ihr, seine Geschichte. Und wie er sie erzählte. Seine Stimme hatte sich über die Jahre verändert, war tiefer und ein wenig rauer geworden. Aber das fügte dem Klang nur eine weitere Schicht hinzu. So unterkühlt und ruhig wie er erzählte, war es trotzdem warm und liebevoll. Wann immer es nach Regen aussah und sie Zeit hatte, kam sie hierher, um ihn in der Nische der Mauer, die das Schulgelände umgab, aufzusuchen und ihm zuzuhören.

Doch heute schien anders zu sein als sonst. Der erste Tropfen fiel vor sie aufs Gras und schnell folgten die nächsten. Ein leises Prasseln und die Grenze zwischen Gras und Himmel verwischte immer mehr. »Da ist er«, sagte er neben ihr. Aber statt wie sonst weiter zu schauen, legte er den Kopf auf die Knie und schloss die Augen.

»Ne, Cecil, was ist los? Geht’s dir nicht gut?« fragte sie besorgt. Doch er antwortete nicht. »Cecil!« hakte sie nach.

»Mir ist heute nicht nach reden«, antwortete er schließlich. »Geh nach Hause.«

»Mag ich aber nicht. Wenn ich jetzt rausgehe, werd ich doch nass!« Sie betrachtete die braune Erde in ihrer Nische, die an den Rändern zum Gras auch langsam feucht wurde. »Wenn du keine Geschichte hast, ist das okay. Aber dann sag wenigstens, was los ist. Ist was passiert? Bist du krank?«

Er öffnete die Augen und schaute, als wollte er etwas sagen, schloss sie nach einer Weile aber wieder ohne sich zu regen.

Sie seufzte und lehnte sich an die Mauer. Dem Regen zuzusehen ohne dabei eine Geschichte zu hören, war langweilig. Als sie schon dabei war weg zu dösen, bemerkte sie seinen Blick.

»Du solltest einfach nach Hause gehen«, sagte er ruhig, die blauen Augen auf sie fixiert.

»Ich hab’s dir gesagt, ich mag nicht nass werden.«

»Erstens ist das keine Ausrede und zweitens wirst du eh nicht nass. Ich meinte richtig nach Hause. Ich finde, fünf Jahre sind lang genug. Ich hab keine Lust mehr, jemandem Geschichten zu erzählen, der sie nicht hören kann.«

»W-was meinst du? Ich kann dich absolut ausgezeichnet hören. Ich …« Ihr Gesicht war verstört. Irgendwo in ihrem Inneren regte sich etwas.

Er beobachtete sie genau und kletterte schließlich aus der Nische. Sofort wurden seine weißen Haare und Sachen von dicken Tropfen benetzt. Er streckte ihr die Hand entgegen. »Wenn du nicht alleine gehen willst, bringe ich dich heim.«

Sie schüttelte erst den Kopf. Sie wollte nicht in den Regen und was er sagte, war nicht wahr. Und doch … schließlich reichte sie ihm die Hand und trat hinaus. Wie er gesagt hatte, berührte sie der Regen nicht. »Trotzdem …«, begann sie trotzig. »Ich kann dich hören, alle deine Geschichten, ich hab dir immer zugehört!«

»So«, sagte er und blickte auf sie herab. Die nassen Haare klebten an seiner Stirn als er ihr über die Wange strich. »Du kannst nicht mal mehr weinen … Von all den Geschichten, erinnerst du dich an eine einzige?«

»Ich … ich …«, stotterte sie, aber sie wusste, er hatte recht. Sie rieb sich mit dem Handrücken über die Augen wie sie es gewohnt war, doch er blieb trocken. Cecil, der noch immer ihre andere Hand hielt, setzte sich in Bewegung und zog sie hinter sich her. Zum Haupteingang durch das große eiserne Tor und weiter an der Mauer des Schulgebäudes entlang, vorbei an Bibliothek und Hof. Alles hatte dieselbe triste graue Farbe. Dieselbe wie der Himmel. Er hatte recht. Die seltsame von ihnen beiden war sie. Sie redete nicht mit den anderen Schülern, aber sie redete auch nicht mit den Erwachsenen. Überhaupt hatte sie keinen Umgang mit anderen und das, was sie den Tag über machte … was machte sie?

»Alles nur Erinnerung«, erklärte er ihr. »Was du früher getan hast. Oder sogar eher, was du tun wolltest. Die einzige echte ist wahrscheinlich, dass du tatsächlich in der Mauernische gesessen und dem Regen zugesehen hast.« Sie durchschritten einen Gang durch den Nordflügel. »Und eines Tages saß ich an deinem Platz. Aber wie du jetzt bist, kannst du keine neuen Erinnerungen sammeln, deswegen ist es unnütz dir neue Geschichten zu erzählen.«

Sie passierten den Garten hinter dem Hauptgebäude, aber sie hatte vergessen wie die Blumen rochen, die hier blühten. Als sie seinen Rücken betrachtete, wusste sie, dass er groß geworden war, dennoch fühlte es sich an, als wäre es schon immer so gewesen. Das Grün und das Grau und seine Stimme …

»Wir sind da«, sagte er schließlich. Sie waren am Ende des Gartens angelangt. Weiter hinten konnte man bereits wieder die Außenmauer sehen. Und obwohl es noch mitten in einer weiten Wiese war, schien dieser Ort wie eine dunkle Ecke. Vielleicht lag es an der großen Weide, die mit ihren langen starken Ästen und Blättern den Himmel bedeckte. Im Schatten des Baumes stand eine alte Bank. Das Holz war bereits morsch. Er blickte sie an und ließ ihre Hand los. »Wir sind da.«

Sie nickte und starrte auf die Bank. Sie hatte immer darauf gewartet, dass jemand sie abholen käme, wenn sie hier saß. Dass sie einmal hergebracht werden würde, ließ sie schmerzhaft lachen. »Es tut immer noch weh«, bemerkte sie traurig. »Tut mir leid. Ich muss lästig gewesen sein. Aber ich habe mich immer darauf gefreut dir zuzuhören.«

»Es war lästig«, bestätigte Cecil. »Aber ist jetzt auch nicht mehr zu ändern. Das ist Vergangenheit.« Und er setzt sich auf die morsche Bank und seufzte. »Wie wär’s mit einer Gute-Nacht-Geschichte?«

Sie blickte auf und ihre Augen leuchteten und sie hüpfte und machte es sich neben ihm auf ihrer Bank bequem.

Und er begann zu erzählen. In derselben Art wie sonst auch. Unterkühlt und ruhig, gleichzeitig warm. Den Blick in die Ferne gerichtet. Nur die Szenerie war anders dieses Mal. Statt endloser grüner Hügel, alte Gemäuer, die in den Himmel ragten. Weiße und rote Blumen, die ihre Köpfe im Takt des Regens wiegten. Und Cecil stellte fest, dass auch dieser Ausblick seine Schönheiten hatte. Selbst dieser.

Als er endete, lehnte ihr Kopf an seiner Schulter und sie starrte in die Wolken. »Ich habe wirklich lange gewartet …«, sagte sie. »Ich dachte, es wird nie jemand kommen, um mich abzuholen. Dass es allen egal ist, ob ich da bin oder nicht …«

»Du dachtest … Ich bin gekommen.«

»Mh.«

»Um dich nach Hause zu holen.«

»Mh. Ich gehe. Ich gehe jetzt.« Sie löste sich von ihm, woraufhin er aufstand. »Aber …«, sagte sie noch. »Warum erzählst du mir heute so eine traurige Geschichte?«

Er wandte sich um zu ihr und betrachtete sie, vielleicht ein bisschen überrascht. »Das ist, was sie mir erzählt haben.«

»Mh« machte sie noch einmal und schloss die Augen. »Wenn er es doch nur eher getan hätte …«

Cecil stand noch eine Weile da und schaute. Irgendwann strich er sich den Regen aus dem Gesicht und drehte sich um. »Das ist Vergangenheit. Lass uns nicht mehr darüber reden.« Und er ließ die alte Bank und die Weide hinter sich, lief zurück durch die Blumenbeete in den Nordflügel.

In der kühlen Halle begegnete ihm Servas Essex.

»Woah, Cecil, du bist ja ganz durchnässt! Was hast du draußen getrieben?«, fragte ihn dieser.

»Alice ist tot!« brach es aus dem Jungen heraus und der Regen mischte sich mit Tränen. Und auf das fragende Gesicht des Älteren hin fuhr er fort. »Harmony’s Freundin! Sie ist tot … Warum muss alles zerbrechen, was er in die Hand nimmt, dieser Idiot …« Er schluchzte heftig, doch Servas blickte ihn immer noch verständnislos an.

»Woher …«

»Sie haben es mir erzählt … Wenn er es doch nur eher getan hätte!« Er wischte sich mit dem nassen Ärmel das Gesicht und lief weiter den Weg, den er vorhatte zu gehen, einen Gang entlang, ein paar Treppen hoch, in sein Zimmer.

Servas blieb leicht verwirrt unten zurück und blickte ihm nach. Da trat aus dem Schatten eines anderen Ganges Zenon French hervor und als er das Gesicht seines Freundes sah, wurde auch Servas klar, was passiert war.
 

End of Act 1

1870: Worte, die die Dunkelheit durchdringen

1870

1. Worte, die die Dunkelheit durchdringen
 

Über den Himmel schoben sich langsam silberweiße Wolken, ein sanfter Wind trug den Duft von Rosen und frischer Erde um das Haus. Die Luft selbst war noch feucht von einem morgendlichen Regenschauer, aber auf den Blättern der Sträucher und Bäume waren nur noch wenige kleine Tropfen zu sehen. Harmony tippte eines dieser Blätter an und freute sich über das aufhüpfende Wasser und den dünnen Sonnenstrahl, den es bündelte. Der Junge erhob sich und klopfte die Erde von seinen Hosen. Er genoss den Wind und die Sonne, die sein Gesicht wärmte, und war froh, dass der Sommer gerade erst im Begriff war zu beginnen. Anfänge waren ihm immer lieber als Enden, besonders die Enden des Sommers. Er war in einem solchen geboren und hatte stets golden-orangefarbene Erinnerungen an diese Zeiten, in denen die Schatten unscharf verschwommen wie hinter einem Tränenschleier. Abschied. Das lag ihm nicht. Er sammelte Spaten und die kleine Harke ein und lief den gepflasterten Weg zum Haus. Das schulterlange schwarze Haar, das er zu einem Schwanz nach hinten gebunden hatte, wippte bei jedem Schritt, und mit einem Lächeln überhörte er fröhlich die bebende Stimme seines Meisters. »Harmony!!«, setzte dieser verärgert noch einmal nach. »Hast du die Abschrift fertig?!« Der Junge trat gerade in den kühlen Schatten des Gebäudes und antwortete entsprechend frostig: »Schon seit gestern Mittag.« Er stellte die Geräte in die Abstellkammer und begab sich auf den Weg durch die Küche auf der Suche nach dem Ursprung der Stimme.

»Wo hast du sie versteckt?«, tönte es weiter.

Der Junge wurde beinah ärgerlich und stieg die Treppe zur zweiten Etage hinauf, wo sich unter anderem auch sein Zimmer befand. »Auf dem Schreibtisch, wie es sich gehört?« Er lehnte sich an den Türrahmen seines Zimmers, in welchem sich tatsächlich sein Meister zu schaffen machte. Es herrschte Chaos. Sämtliches Papier, das sonst unter dem Bett ruhte, war grob aus seinem Schlaf gerissen worden. Ähnlich war es vielen Büchern, Enzyklopädien und auch Kleidungstücken ergangen. »Du kannst es nicht ertragen, wenn ich meine Freizeit genieße, was?« knurrte Harmony.

Ellary Mare richtete sich etwas mühselig aus dem Papiermeer auf und schaute seinen jugendlichen Schüler grimmig an. »Wie stellst du dir bitte vor, soll ich in dieser Unordnung etwas finden?« Er war groß, aber dünner als seine kräftige Stimme vermuten ließ. Sorgenvolle Jahre hatten ihm dunkle Ränder um die Augen gemalt. Das Haupthaar war kurz und glatt und von grauer Farbe, und auch der angestaubte Mantel, den er trug, war lange nicht mehr schwarz. Jetzt stapfte der Meister aus dem Zimmer hinaus in den düsteren Korridor. »Ordnung ist das halbe Leben, das sage ich dir schon dein ganzes Leben lang, so kurz es bis jetzt auch ist. Aber du hörst ja nie auf mich.«

»Nur immer mit halben Ohr, ganz genau.« Angesichts der traurigen Szenerie in seinem Zimmer seufzte der Junge, schwang einmal mit der Hand und erhielt augenblicklich die von seinem Meister gesuchten Dokumente, eine vierzig Jahre alte Erstausgabe eines Romans und die durch Harmony selbst angefertigte handschriftliche Kopie. »Wirst du sie jetzt ausliefern?« fragte er, während der Ältere ihm mit misstrauischen Fingern die Bücher abnahm und sie sorgfältig untersuchte.

»Heute ist der ausgemachte Termin. Ist also anzunehmen.«

»Kann ich mitkommen?«

Sein Meister verstaute die Bücher ordentlich in einer Tasche in seinem Mantel, und schaute Harmony streng an, sagte aber kein Wort.

»Rue hat gesagt, Mrs. Chershire ist eine gebildete alte Dame und sogar etwas lustig. Es wäre doch sicher nur förderlich für mich, ab und zu die Gesellschaft gebildeter Damen genießen zu dürfen anstatt immer nur deiner.« Er lief seinem Meister hinterher ins Erdgeschoss.

»Und sie hat eine hübsche Enkelin.«

»Jahaa. Was wohl der Grund ist, warum du sie so gern persönlich besucht, anstatt die Bücher einfach von einem ihrer Angestellten abholen zu lassen. Mir geht es eigentlich eher um Gesellschaft allgemein. Zum Beispiel die Stadt, in der sie bekanntlich wohnt. Wir sind so abgelegen, dass es langweilig ist.«

»Du hast also nichts zu tun?« Sie erreichten die Haustür.

»Nichts Bedeutungsvolles.«

»Dann räum dein Zimmer auf.« Der Alte warf noch kurz einen gemeinen Blick mit seinen grünen Augen zurück, dann machte er sich sichtlich beschwingt auf, den gepflasterten Weg entlang zum Rande des Grundstücks und weiter zur Hauptstraße, um von dort die zuvor bestellte Kutsche in die Stadt zu nehmen.

Harmony blieb leicht verstimmt zurück, unschlüssig, was er jetzt tun sollte. Sein Zimmer hob er sich gut und gern für einen späteren Zeitpunkt auf, er konnte auch im Chaos schlafen, lieber wollte er raus in die Sonne. Aber nichts tun viel ihm schwer. Eines der grässlichen Lehrbücher, mit welchen ihn Master Ellary seit seinem vierten Lebensjahr quälte, wollte er sich jedoch ebenso wenig zumuten und jegliche vernünftige Literatur, die im Haus existierte, kannte er bald auswendig. Bis der dritte Mann des Hauses, sein Lehrer in Schwertkampf und Gartenarbeit gleichermaßen, Rue Levian, zurückkehrte, hatte er nichts zu lesen. Master Rue war gerade einmal wieder dem obersten Rat der RA Bericht erstatten, der offiziellen Vereinigung europäischer Zauberer, die ihm einst den Auftrag erteilt hatte, den straffällig gewordenen Ellary Mare im Auge zu behalten. In den vierzehn Jahren, die er seiner Aufgabe aber nun schon nachging, hatte sich zwischen ihm und dem unwirschen Zauberer eine enge Freundschaft entwickelt.

Der Junge seufzte und ließ sich antriebslos auf der Seite der Haustürtreppe nieder, die die Sonne noch erreichte. Der Rosenduft machte ihn schläfrig. Oh ja, er liebte Master Rue für seine herrliche Art mit den Pflanzen umzugehen. Kaum eine Magie sagte ihm mehr zu als die, Blumen das ganze Jahr über blühen zu lassen. In die Tiefe von Büchern eindringen noch und. Wind. Die wunderbare Fähigkeit Wind zu machen, der Wolken bewegen konnte und so selbst in der dunkelsten Nacht die Sterne sichtbar werden ließ. Der einzige Grund, warum er Zauberer hatte werden wollen. Die Dunkelheit. Oder besser: Gegen sie. Er war eingedöst. Auf den Bäumen im Garten piepsten ein paar Vögel, aus dem leisen Rascheln der Blätter wurde in seinem Traum bald das kräftigere Rauschen des Meeres, dessen Geruch nach Salz sich mit dem der Blumen mischte. Es wäre schön, den Sommer mal wieder am Meer zu verbringen, fiel ihm noch ein, wie damals mit seiner Mutter und Tante Jinnee, bevor er ganz langsam bemerkte, dass aus dem Geräusch der Wellen das Geräusch der Stille geworden war, das Rauschen des Blutes in seinen Ohren. Als er endlich die Augen wieder öffnete, war es dunkel.

Ein kleiner alter Mann hockte ihm gegenüber. In der rechten Hand umklammerte er fest einen schön gearbeiteten Gehstock, die andere ruhte in seinem Schoß, welchen ein zerschlissener brauner Umhang bedeckte. Die Schuhe, die darunter hervor lugten, waren zwar sichtbar alt, aber gut gepflegt. Besser als es der Alte selbst zu sein schien, denn seine Haut hing müde und fleckig von seinem Gesicht herab. In den kleinen Augen jedoch glänzte durchaus noch der Schelm. Er reichte Harmony die Linke zur Begrüßung. »Verzeih, dass ich dich so plötzlich aus deinem Nickerchen reiße, aber du bist jung und wirst hoffentlich noch viel Zeit zum Schlafen haben ganz im Gegensatz zu mir. Mein Name ist Aubrey Vane.« Er sprach leise, aber bestimmt und in seiner Stimme klang sowohl Heiterkeit wie auch tiefer Ernst.

Der Junge ergriff die knochige Hand etwas zögerlich. Die dünnen langen Finger waren weniger gebrechlich als sie wirkten. »Aubrey … Vane? Der …«

»Der Wächter des Holy Dark. Ganz genau.« Der alte Mann lächelte sanft.

Harmony zog erschreckt seine Hand zurück. Wenngleich kaum darüber geschrieben wurde, hatte wohl jeder Zauberer davon gehört. Das Holy Dark, dieser uralte und unvergleichbar mächtige Zauber. Zahlreiche Menschen, und nicht nur diese, verlangten nach seiner Macht, hatten ihr Leben gelassen in den Kämpfen darum oder beim Versuch es zu beherrschen. Wer es nicht kontrollieren konnte, so hieß es, den fraß es auf. Aber das schien die wenigsten abzuschrecken. Daher gab es den Wächter, der das Holy Dark genau vor solchen Kämpfen und etwaigem Missbrauch bewahren sollte. Und jetzt stand dieser Wächter vor ihm, zerschlissen und alt … »Nein«, brach es aus ihm heraus. »Was auch immer Sie sich ausgedacht haben, ich gehöre nicht zu Ihrem Plan.« Er stand auf und blickte sich nach einem Ausgang um, um dann in Ermangelung eines solchen entschlossen in eine beliebige Richtung davon zu stapfen.

»Halt, halt, halt!«, rief der Alte und hechtete ihm mit seinem Stock hinterher.

»Wo sind wir hier eigentlich?!« entfuhr Harmony ärgerlich. Denn hier, wo alles gleichsam auf die seltsame Art finster war, die die Umgebung verdunkelte, die Personen jedoch nicht, konnte er kaum sagen, ob er sich auf offenem Feld befand oder in einer engen Höhle.

»Das ist ein Versteck, das ich mir zu Eigen gemacht habe«, antwortete der Alte zufrieden. »Wenn ich dir sage, wo und was es ist, ist es nur noch halb so versteckt. Wenngleich es inzwischen eh keinen Unterschied mehr macht …« Er holte laut Luft, wobei seine Lunge unangenehm rasselte, und griff mit seinen langen Fingern nach Harmony’s Arm. »Es ist unhöflich einem alten Mann davon zu rennen«, keuchte er.

»Es ist unhöflich seine Lunge rasseln zu lassen«, entgegnete der Junge, woraufhin der Alte vergnüglich blinzelte.

»Lass uns uns setzen, mein Junge«, sagte er noch und ließ sich schon nieder, worauf blieb sein Geheimnis. Dann griff er mit seiner Linken unter seinen Umhang und kramte ein in ein Tuch gewickeltes Buch hervor. Er wickelte es aus und strich liebevoll über den Deckel. Klein und unscheinbar lag es in seinen großen Händen. Harmony schauderte jedoch bei seiner Ausstrahlung. »Das hier soll deins sein«, begann Master Vane ohne aufzusehen. »Hier drinnen liegt der große Zauber verschlossen. Meine Lebenszeit geht zu Ende … Glaub mir, es fällt mir nicht leicht, es einem Fünfzehnjährigen anzuvertrauen. Fünfzehn Grundgütiger! Aber Tatsache ist, es gibt nur noch eine Hand voll fähiger Schwarzmagier. Doch die sind entweder von zwielichtigen kleinen Gilden oder den zwielichtigen Großen, Gotis und RA. Ich zweifle nicht an der Integrität Master Zenon’s, aber letztlich steht er wie damals Master Juno zu nah bei jenen, die ihre eigenen glorreichen Ideen mit dem Holy Dark haben. Dein Meister ist zurzeit der einzige unabhängige Schwarzmagier und er wäre der ideale Kandidat gewesen. Aber nach dieser Sache damals ist seine verbleibende Lebenszeit sehr fraglich, ja, es ist überhaupt ein Wunder, dass er noch lebt!« Er rasselte ein bisschen traurig und schüttelte den Kopf. Langes weißes Haar lag als Zopf auf seiner Schulter und wackelte in den Spitzen mit. »Und noch viel mehr, dass er tatsächlich einen Schüler aufgenommen hat. Er und ein Schüler! Ja, das ist wirklich was! Also vertraue ich dir den großen Zauber an, dass du ihn pflegst und auf ihn achtest. Solange dein Meister und Master Rue dir noch zur Seite stehen, wird es auch sicher nicht so schlimm …« Er hielt kurz inne, er wusste, dass es nicht stimmte. Und als er die zusammengeballten Fäuste seines Auserwählten sah, litt er einmal mehr unter seiner Aufgabe. »Natürlich ist es eine große Bürde und Verantwortung, aber es ist notwendig für die Welt, dass jemand Vernünftiges sich dieser annimmt …«

»Die Welt kümmert mich nicht!« widersprach Harmony mit zitternder Stimme. »Ich will nicht ständig um mein Leben fürchten müssen. Ich will nicht, dass meine Entscheidungen die ganze Welt betreffen. Ich will so eine wichtige Verantwortung nicht! Ich bin nicht mal ein guter Zauberer …«

Der Alte packte ihn zornig erneut am Arm und zog sich daran hoch, um ihm ins Gesicht zu sehen. Doch seine Züge milderten sich, als er nicht etwa Trotz oder Ärger in den Augen des Jungen sah, sondern Angst. Es war nicht nur die Verantwortung oder die Unruhe und Kämpfe, die in sein Leben treten würden, sondern viel mehr die Angst vor der Dunkelheit selbst. Er war Zauberer geworden um der Dunkelheit davon zu laufen, seiner erblindenden Mutter, einer Neumondnacht ohne Sterne, und schon jetzt in der kurzen Zeit, die er mit dem Buch konfrontiert war, nagte dessen von Dunkelheit und Verzweiflung durchtränkte Aura an seiner Seele wie nie etwas zuvor. Aubrey Vane sah ihn eindringlich an. »Es stimmt, dass deine Fähigkeiten noch zu wünschen übrig lassen, aber Ellary hat dich auch noch wenig gelehrt und du hast durchaus Talent. Außerdem kennst du dich mit Büchern aus wie wenige Wächter zuvor und in meinen Augen ist das die vielleicht größte Gabe, die ein Wächter haben kann!« Er hatte recht, er hatte ja recht mit dem, was er sagte. Das Holy Dark war zu bedeutsam, um es einfach irgendwem zu überlassen, aber doch auch nicht ihm! Harmony konnte das Gefühl, das seine Brust zuschnürte, kaum ignorieren und allein der Gedanke, es würde immer so sein, sobald er das Buch besaß, ließ ihn den Kopf schütteln. »Harmony Snow!!«, fauchte der Alte und funkelte jetzt böse. »Ich verbiete dir Nein zu sagen!«

So sagte Harmony Snow gar nichts und wandte den Blick ins Ungewisse. Er wusste, er konnte nicht ablehnen, wenn er nur einen Funken Verstand hatte und diese Welt liebte. Ein anderer Teils seines Verstandes liebte aber das eigene Leben. Nach einigen Rasselgeräuschen fühlte er einen leichten Schmerz in der rechten Hand. Master Vane hatte für ihn entschieden, ihm in den Finger geschnitten und begonnen mit seinem Blut in das Buch zu schreiben. Auf der Seite stand schon eine ganze Liste mit Namen und Daten, die wohl den früheren Wächtern gehörten. „Aubrey Vane 1802 – 1870“ stand da im Blut des Alten. Und ganz frisch „Harmony Snow 1870 – “. Er pustete etwas, klappte das Buch dann zu, wickelte es wieder sorgfältig in das Tuch und übergab es in die Hände seines Nachfolgers. »Es gab nicht viele Wächter, die dieses Buch lesen konnten. Du bist mit Sicherheit einer von ihnen, also nutze dein Talent sorgfältig«, sprach er und schlurfte ein paar Schritte rückwärts. »Ansonsten gibt es nicht viel dazu zu sagen. Sei nachsichtig mit ihnen, sie wissen es nicht besser. Und pass gut auf dich auf. Auf euch.« Er musterte den Jungen noch einmal aus der Entfernung, wie um seine Entscheidung zu überprüfen. Er war schon recht groß, aber schlank, so schlank und zierlich, dass man ihn bald für ein hübsches Mädchen halten könnte. Das leicht gewellte schwarze Haar und die großen dunkelblauen Augen taten ihr Übriges dazu. Nein, der alte Zauberer war nicht glücklich mit seiner Entscheidung. Hätte es eine andere sinnvolle Möglichkeit gegeben, wie gern hätte er ihm dieses Schicksal erspart. Und doch war er glücklich, dass ihm wenigstens dieser eine Weg geschenkt wurde. Um ein Haar wäre Lord Ardath’s Plan erfolgreich gewesen … Er seufzte. »Ich werde dich jetzt wieder in das Haus deines Meisters schicken.«

Harmony starrte noch auf das eingewickelte Buch in seinen Händen und hörte kaum, was der Alte sagte. Das Haus seines Meisters, ja, das hier hatte eher den Geschmack eines schlechten Traumes, den er draußen auf der Treppe träumte, als den der Realität. Trotz allem fühlte sich das Pochen seines Herzens so wirklich an, dass es schmerzte. Als er aufblickte, sah er gerade noch den hinter Nebel verschwimmenden Schatten des ehemaligen Wächters und mit dem nächsten Wimpernschlag befand er sich wieder inmitten des Gartens seines Meisters. Rundherum grün und rosa und der betörende Duft der Blüten und der ganz blaue Himmel hoch über ihm. Wie erleichternd es war, wieder in den Himmel blicken zu können! Und so viel Luft. Nichts. Es schien, als wäre nichts passiert und doch war da dieses unangenehme Kribbeln in seinen Fingerspitzen und das schmale Büchlein mahnte ihn hartnäckig. So bemerkte er auf einmal eine flinke Regung in einem Augenwinkel, doch hatte er seinen Körper noch nicht so weit unter Kontrolle, dass er schnell genug reagieren konnte. Er stolperte rückwärts, versuchte noch sein Schwert zu ziehen, wurde aber gleichzeitig grob am Arm gepackt und von einem heftigen Stoß ins Gesicht zurückgeworfen. Sein Knochen machte ein grässliches Geräusch und ließ ihn laut aufschreien.

»Oha«, machte der Angreifer fast anerkennend. »Du bist nicht mal die Hälfte von dem, was ich erwartet hatte.« Er löste seinen Griff, woraufhin Harmony ins Gras fiel, und bückte sich nach dem Buch, das dessen rechte Hand noch immer festhielt. Doch der Junge teilte seine Meinung keineswegs. Er schnappte nach Luft und aus dem Kribbeln seiner Rechten heraus entstand aus einer kleinen Bewegung ein Luftzug wie eine Klinge und von einer Schärfe, die ihn selbst erstaunte und den Fremden an der Brust traf. Mit einem Fußtritt setzte er nach und das kurze Wanken des anderen war ihm genug, um wieder auf die Beine zu kommen und zur Flucht Richtung Haus anzusetzen. Ein anderer Weg kam ihm zurzeit nicht in den Sinn. Hinter ihm aber donnerte plötzlich eine zweite unbekannte Stimme. »Versuch erst gar nicht wegzurennen, Jungchen, dann passiert dir auch nichts!!« Noch im selben Moment schoss eine Flammenwand neben Harmony vorbei und setzte Master Rue’s geliebte Rosensträucher in Brand. »Gib uns nur das Holy Dark und wir lassen dich auch leben!!«

Endlich erreichte Harmony die Haustür. Sein linker Arm schmerzte zwar furchtbar, war aber, soweit er das beurteilen konnte, noch relativ einsatzfähig, also startete er einen erneuten Versuch sein Schwert erscheinen zu lassen. Er war kein wirklich guter Linkshänder, jedoch hatte er keinerlei Taschen in seinen Sachen, in denen er das Buch hätte sicher unterbringen können und entschloss sich deshalb, die gesunde, flinke Hand für die Magie und den direkten Schutz des Buches einzusetzen während die linke das Schwert führte. Oder es zumindest versuchte. Wenn doch seine Meister nur endlich aufkreuzen würden! Er biss sich auf die Lippen. Die beiden Männer kamen langsam die Treppe hinauf. Sie waren groß und kräftig, aber ordentlich gekleidet und überhaupt passte ihr Benehmen wenig zu ihrem Äußeren. Der zweite von ihnen mit einem schmalen Gesicht und rotem Haar trat zuerst ein. Er streckte die Hand aus und sprach fast versöhnlich. »Komm schon. Du wolltest das Ding doch gar nicht.«

Ist das so offensichtlich, dachte sich der Junge und ärgerte sich über sich selbst. »Tut mir leid, dass die Herren den langen Weg umsonst machen mussten«, antwortete er, »Sie könnten demnächst auch vorher ein Telegramm schicken, das ihren Besuch ankündigt.«

»Du dummer Bengel!!« brüllte der erste, zog seinerseits ein Schwert und hieb kräftig zu, dass Harmony und sein kaputter Arm selbst mit Hilfe des rechten Unterarms kaum standhalten konnten. Unter Schmerzen verzerrte er das Gesicht und Schweiß trat ihm auf die Stirn.

»Wenn Sie später wiederkommen, kann ich Ihnen vielleicht weiterhelfen.«, knirschte er.

»Was denn? Und warten bis du weißt, wie man das Ding benutzt?« fragte der Rothaarige. »Leider ist unser Meister nicht so geduldig. Er hat zu lange auf diese Chance warten müssen. Also sei endlich ein braver Junge.« Er holte aus und schlug Harmony mit der Faust ins Gesicht, sodass dieser zu Boden stürzte. Sein Schwert klirrte neben ihm, doch das Buch umklammerte er noch immer fest.

»Bedauernswerterweise bin ich nie in den Genuss guter Erziehung gekommen.« Gerade heute, fügte er in Gedanken hinzu, und man konnte das beinahe als Grinsen deuten. Als wütende Antwort erhielt er von dem ersten Fremden dessen Schwert in den Bauch. Der Junge brüllte auf. Gleich darauf machte sich der zweite Mann daran, die schmalen Finger von dem eingewickelten Buch zu lösen. »Nehmen wir einfach die ganze Hand mit«, hörte er den anderen noch sagen, dann wurde ihm schwarz vor Augen. Da war sie wieder. Die Dunkelheit. Die er so verabscheute. Die sternenlose Nacht, die er fürchtete. Die Sterne, ja, wegen ihnen war er Zauberer geworden. Um die Nacht zu erhellen. Um das Dunkel zu erhellen … Ja … das war der Grund, weshalb das Holy Dark bei ihm war. Das war der Grund, den er brauchte, der ihm genügte. Noch spürte er seinen Herzschlag und das Blut in seinem Körper, ein definitives Kribbeln in den Fingerspitzen und die Luft, die bei jedem Atemzug in seine Lunge drang, und sich beim Ausatmen in Wind verwandelte. Sein Wind. Und seine Dunkelheit.

Er öffnete die Augen. Es konnten nur wenige Sekunden vergangen sein, denn noch besaß er beide Arme. Mit einem Atemzug und dem Kribbeln erzeugte er eine heftige Windböe, die die überraschten Männer in die Bücherregale an der Wand fegte. Er selbst drehte sich mühsam um und versuchte davon zu krabbeln. Plötzlich vernahm er ein leises Zischen und ein weiteres Krachen und Aufschreien der beiden. Erstaunt wandte er den Kopf zurück und ließ sich auf der Stelle wieder auf den Boden sinken, so groß wurden Erstaunen und einen Augenblick lang auch Erleichterung. Zwischen ihm und den feindlichen Zauberern stand ein schlanker junger Mann ganz in Schwarz, aber mit silberfarbenem Haar und einer langen weiß schimmernden Klinge in der Hand. Um ihn herum säuselte ein dünner schwärzlicher Nebel, der sich in anderen Stellen des Raumes verdichtete und Züge von Lebewesen erkennen ließ.

Der Fremde erwiderte den Blick einen Moment lang. Dann hob er sein Schwert an, der Nebel quirlte auf. Die Männer hatten sich inzwischen wieder aufgerichtet, aber an ihren Gliedmaßen klammerten schon die mehr und mehr grotesk abscheulich geformten Kreaturen aus dem Nebel und Schrecken trat in ihre Augen. Es folgte eine schnelle Bewegung und ein einziger schwungvoller Schwerthieb durchschnitt die Körper beider, sodass ihr Blut weit durch die Küche spritzte. Mit einem dumpfen Geräusch und dem Rascheln von Papier fielen sie nieder.

Ruhig ließ der junge Mann sein Schwert wieder in die Scheide gleiten und einen Moment noch verharrte er vor seinem Werk, bevor er sich umdrehte und auf Harmony zuging. Dieser saß wie erstarrt auf dem Boden. Aus seinem Gesicht war alle Farbe gewichen, stattdessen tropfte ihm Blut von der Wange und auch das weiße Hemd war übersät davon. In der rechten Hand hielt er das Buch, die Fingergelenke wurden bereits bläulich. Wortlos schaute der Fremde einige Sekunden auf ihn herab, dann wandte er sich zum Gehen und nah bei ihm sammelten sich die wieder in Nebel aufgelösten Gestalten mit leisem Wispern. Plötzlich machte er noch einmal kehrt. Harmony war aus seinem Schock erwacht und blickte ihn an. » Vielen Dank. Ich verdanke Ihnen mein Leben«, sagte er.

Der Silberhaarige sah ihn an. Die Sonne schien durch das Fenster hinter ihm und verdunkelte seine Vorderseite, ließ das Haar aufleuchten. In den hellgrauen Augen fand sich kein Zeichen einer Gefühlsregung. Aber genau das machte die unnahbare Schönheit und Eleganz seiner aus. Schließlich fragte er mit einer Stimme klar wie Eis: »Wie ist dein Name, neuer Wächter?«

»Harmony Snow«, antwortete dieser leicht überrascht und erneut kehrte eine Zeit lang Stille ein, in der sich beide anblickten. Dann löste der Fremde die Schwertscheide von seinem Gürtel und warf sie Harmony in den Schoß.

»Nimm es als Begrüßungsgeschenk des Dämonenprinzen.« Er trat einen Schritt zurück. »Von jetzt an solltest du dich davor hüten, noch einmal zu verlieren. Es wird dein Tod sein.« Ein Anflug eines Lächelns huschte über sein Gesicht und der Nebel um ihn herum drängte zum Aufbruch.

Der junge Zaubererschüler dagegen fühlte sich noch völlig überrumpelt von allem. »Warte!« rief er hastig. »Der Dämonenprinz, wie ist sein Name?«

Wieder kurzes Schweigen. »Juval Reva.«

Da er mit der linken Hand nicht mehr greifen konnte, löste Harmony erstmals die rechte von dem Buch und legte das Schwert neben sich auf den Boden. Dann nahm er das Buch erneut und stand auf. »Ich verspreche, ich werde nicht wieder verlieren, Juval.«

Von draußen wehte ein leiser Wind herein. »Hmm«, machte der Dämonenprinz noch und mit einer Wolke, die sich eben vor die Sonne schob, waren er und sein Gefolge verschwunden.

»Was für ein Lächeln …«, echote Harmony zu sich selbst, tappte ein paar Schritte rückwärts bis er die Wand erreichte und ließ sich an ihr nieder. »Was für ein Tag …« Die vier Leichenteile vor zerschmetterten Bücherregalen, in Blut getränktes Papier. Ihm wurde übel und er schloss die Augen. Das Kribbeln seiner Finger ließ endlich nach, aber die Schmerzen blieben vorerst noch hintergründig. Im Moment fühlte sich er nicht in der Lage überhaupt etwas zu fühlen. Selbst das Holy Dark schien ruhiger geworden zu sein. Nach einer Weile war die Wolke am Himmel vorüber gezogen und die Sonne fiel wieder durchs Fenster auf sein Gesicht. So saß er und lauschte nur seinem Atem und dem kontinuierlichen Herzschlag und war bei jedem neuen erleichtert, dass er noch lebte.

Irgendwann drang eine Reihe von Geräuschen an sein Ohr und ein neuer Schatten fiel über ihn. Hände auf seinen Schultern, die ihn rüttelten. Eine vertraute Stimme. Er öffnete seine Augen und lächelte seinen Meister an. »Du kommst spät, alter Mann …«

Ellary Mare nahm seinen Schüler in den Arm und streichelte sein Haar. »Was hast du nur wieder angestellt, Junge.«

»Weil du mich nicht mitnehmen wolltest.«

»Ja …«
 

*
 

Eben noch hatten sie sich angeregt über die erstaunlichen Errungenschaften der Fotografie unterhalten, während sie einen weiten hellen Gang im Hauptgebäude der RA entlang schlenderten, als Master Zenon plötzlich stehen blieb und nach Rue’s Ärmel griff. Im selben Moment erlosch die Magieblase um sie herum, die den Schall auffing, und die zuletzt gesprochenen Worte echoten laut durch den Gang. Noch bevor Master Rue reagieren konnte, taumelte sein Freund und stützte sich an der Wand ab, die Augen geweitet und blutunterlaufen. »Zenon! Was ist los?!« Rue packte ihn an den Schultern.

Mit zitternden Händen und bleichem Gesicht sah Zenon ihn an. »Es schmerzt so sehr …«

»Was?«

»Du spürst es nicht? Sie sind so laut …« Er unterdrückte einen Würgereiz.

»Nein, ich spüre nichts. Was meinst du? Einen Zauber? Ein …« Er hielt inne. Zenon’s Reaktion ließ eigentlich nur auf eines schließen. Er lauschte. Jetzt nachdem er wusste, wonach er suchen sollte … Eine Gänsehaut fuhr über seinen Rücken. »Ja, du hast recht … Es ist da. Heftiger als sonst. Viel … heftiger.« In Rue’s Stimme legte sich ein leidvoller Ausdruck. »Dann ist es ein neuer Wächter …?«

Zenon schlug die Hände vors Gesicht. Seine Tränen mischten sich mit denen des Holy Dark.

»Es ist nicht deine Schuld, Zenon, so oder so …«, er versuchte ihn zu trösten, doch die richtigen Worte kamen ihm nicht in des Sinn. Es gab sie nicht. Er wusste, in gewisser Weise war es wohl Master Zenon’s Schuld gewesen, trotzdem … Es nach all den Jahren einen Fehler zu nennen … Der leise Widerhall von Schritten ließ ihn aufschrecken.

Bemerkt blieb der Mann stehen. Seine langen blonden Haare verschmolzen teils mit dem weißen Licht. »Doch die ist es«, erhob er seine Stimme, laut und klar. Wie die strengen Züge seines Gesichts. »Du siehst sehr glücklich aus, Zenon. Richtig, du hast allen Grund zur Freude.«

»Lord Ardath!« begann Master Rue, doch ein Blick des Zauberers ließ ihn verstummen.

»Noch hast du die Möglichkeit deinen Fehler zu bereinigen, Zenon.«

Der junge Mann blickte auf. Seine Brust war noch immer schmerzverkrampft, doch mithilfe der Wand stand er aufrecht. »Das kann ich wirklich nicht tun, Meister.«

»Du kannst nicht …«, wiederholte Ardath regungslos. »Nun gut, heute ist erst der Anfang. Solltest du deine Entscheidung noch einmal überdenken, lass es mich wissen. Im anderen Fall gibt es zahlreiche Personen, die diese Aufgabe gerne annehmen werden.« Er schweifte die beiden mit einem kalten Blick, wandte sich ab und entfernte sich mit leisen Schritten.

»Rue, du solltest dich beeilen und nach ihm sehen …«, richtete sich der dunkelhaarige Zauberer an seinen Freund und machte nebenbei eine Handbewegung, die den Zauber wiederherstellte, welcher die Worte davon abhielt durch den ganzen Gang zu hallen.

»Hm. Vivyan ist sicher schon da. Außerdem …« Er lächelte leicht verzerrt. »… hab ich etwas Angst vor ihm.«

»Rue …«

Er sah zu Boden. »Es ist nur … dich so zu sehen … Allein der Gedanke daran, dass es ihm noch viel schlimmer geht … Ich … Ich kann es wirklich nicht gut ausdrücken.« Er seufzte und nahm Zenon’s Hand, deren Blutgefäße noch deutlich hervorstanden. »In jedem Fall, sieh es nicht als Fehler an. Ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass du es nicht fertigbringen wirst, es von ihm zu fordern. Deswegen werde ich dich auch nicht bitten müssen, nicht das Schwert gegen ihn zu erheben. Aber das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum du es plötzlich so intensiv spürst. Deswegen sieh es nicht als Fehler an. Für dich und für mich ebenso. Denn die vergangenen elf Jahre waren die besten meines Lebens, sie einen Fehler zu nennen …« Das weiße Licht schimmerte sanft in den blauen Augen. Er hatte sich entschieden. »Es ist egal, wer es sein wird, der ihn herausfordert. Vor Harmony wird er mir begegnen.« Er ließ Zenon’s Hand los und wandte sich ostwärts zum Gehen. »Im Gegensatz zu dir, werde ich das, was ich fürchte, mit ganzer Liebe umarmen.«

Nach kurzer Zeit verschwammen Rue’s Umrisse im Licht und Zenon blieb allein zurück. Er glitt an der Wand hinunter und blieb sitzen. In der weiten, Licht durchfluteten Einsamkeit dieses Ganges irgendwo auf dem großen Gelände der RA. Irgendwo. Sein Körper schmerzte noch immer leicht, wie ein Echo. Sein Herz fühlte sich betäubt. Unfähig eines klaren, in Worte fassbaren Gedankens. Nur Schemen, in weiß verhüllte Dunkelheit. Er ließ den Kopf auf seine Knie sinken. Das Zittern der Finger. Nichts als Weiß.

1870: Der Geruch getrockneter Blüten, der Geruch von feuchtem Gras

1870.

2 Der Geruch getrockneter Blüten, der Geruch von feuchtem Gras
 

Was für eine seltsame Erscheinung, dachte sich der Junge und betrachtete die blasse Haut seiner Hand, die den Arm hinauf reichte über die Schulter bis selbst zum Hals und auch nicht verschwand, wenn er sich bewegte. »Und so stabil!« entfuhr es ihm laut. Es war das erste Mal gewesen, dass er sich selbst gesehen hatte und es hatte ihn verblüfft, wie er in den Augen des Zauberers ausgesehen hatte; und es hatte ihn verblüfft, wie sie ihn angesehen hatten. Diese Augen. Er blickte sich um. Um ihn herum lungerten sonst immer zahlreiche niedere Dämonen, die von den Resten seiner Mahlzeiten lebten, doch heute hielten sie respektvollen Abstand. Dass ein Dämon länger in Menschengestalt verharrte als notwendig war um an Essen zu kommen, war ihnen fremd. Dennoch, sagte ihr Prinz zu sich selbst, dieser Blick hatte durchaus einen interessanten Geruch aufgewiesen. Ob gut oder schlecht, konnte er nicht sagen, aber stark genug, um bis jetzt zu verweilen. Stark genug für ihn, diese Form aufrechtzuerhalten.

  Plötzlich fegten die Schatten der Dämonen davon und etwas anderes entstand daraus, riesenhaft und unförmig. ’Du hattest die Chance, wieso hast du es nicht mitgebracht?’ hörte Juval ihn sagen, obgleich es weder hörbar noch ausgesprochen war.

  »Als ob wir denn jetzt in der Lage wären, es zu nutzen«, antwortete er laut.

  ’Und du benutzt noch immer Menschensprache …’, waberte es.

  »Wenn ich schon gerade eine Zunge habe.« Er hob den Kopf zu den weißglühenden Augen seines Vaters. »Und mit diesen Händen würde ich dich gern hier und jetzt zerschmettern.«

  Daraufhin senkte der Dämonenkönig sein Haupt bis wenige Zentimeter vor Juval’s Gesicht und schenkte ihm ein höhnisches Lachen, das ihm als heißer Wind durch das silberne Haar wehte. ’Ein Kleinkind wie du!’

  Juval streckte seine Hand hinein in den Nebel, der die Gestalt des Dämons andeutete, und ohne etwas zu greifen, griff er zu. »Es heißt Juval Reva.«

  ’Nur ein anderer Menschenname.’

  »Der Name, den sie mir gegeben hat.« Der Name, den ich zum ersten Mal stolz bin zu tragen. Er zog. Ein geräuschvolles Beben durchdrang die Luft. Der Nebel flatterte leicht. »Siehst du? Letztendlich habe ich dich doch zu fassen gekriegt.« Ein Lächeln legte sich auf die blassroten Lippen. »Schätze dich glücklich, dass ich gerade kein Schwert besitze, sonst wäre heute dein letzter Tag gewesen.«

  Der Dämonenkönig bäumte sich auf und füllte die Umgebung so weit man sehen konnte mit seiner Präsenz, ließ die Luft vibrieren. ’Was für ein köstlicher Geschmack!’ lachte er. ’Zu wissen, dass du scheitern wirst!! Warte nur, bis diese Gestalt in sich zusammenfällt wie Asche, wenn der Wächter dich betrügt und stirbt!’

  »Das wird nicht passieren«, entgegnete Juval. Doch die Übermacht seines Vaters hatte den Geruch des Zauberers verschluckt und mit ihm die Sicherheit, die ihm eben noch Kraft geliehen hatte. Zurück blieb nur eine vage Erinnerung und … Er blickte erneut auf seine Hand mit der weißen Haut, berührte mit den Fingern seine Lippen, die so selbstverständlich lächeln konnten. Vielleicht war das schon genug, die Erinnerung. Er hatte auch vorher nicht gewusst, wie der Geruch gewesen war, so war es denn egal, dass er ihn jetzt ebenfalls nicht wusste, solange er wusste, dass er war. Und nicht nur er wusste es. Er wandte sich wieder nach oben seinem Vater zu. »Du weißt doch, Zauberer sind gebunden ihre Versprechen zu halten. Deswegen, vor ihm wirst du es sein, der verliert.« Mit dem Kopf im Nacken und hellgrauen Augen lächelte er ihn an. »Gib acht auf diese Hände.«
 

*
 

Die Nacht war lang hereingebrochen, als Master Rue sich müde auf einem der Küchenstühle niederließ. Nachdem er heim gekommen war, war er erst einmal geschockt gewesen über das tatsächliche Ausmaß der Zerstörung und bereute es etwas, nicht eher gekommen zu sein. Während Master Ellary die Spuren des Kampfes beseitigte, hatte er sich um die weitere Behandlung von Harmony’s Wunden gekümmert sowie das Siegel, das Ellary um das Haus gelegt hatte um unerwünschte Gäste fernzuhalten, soweit verstärkt, dass es das Haus für die meisten Menschen unsichtbar machen würde, selbst wenn sie eigentlich wussten, wo es sich befand. Unsichtbar für Augen und Geist gleichermaßen.

  Rue nippte an dem heißen Tee, den Ellary bereitet hatte. Er seufzte und schloss die Augen, genoss den Dampf im Gesicht und die Wärme der Tasse an den Händen. Doch gerade als er begann sich zu entspannen, schob er abrupt die Tasse von sich und faltete die Hände vor den Mund. Ellary, der ihm gegenüber saß, blinzelte, sagte jedoch nichts. Er wusste, wenn es um diese Sache ging, war es besser zu schweigen.

  »Und wann wirst du zu ihnen zurückkehren?« fragte er schließlich.

  »Bitte?«

  »Zu deinem Rat. Du bist noch immer Mitglied, oder nicht?«

  Rue rührte in seinem Tee. »So einer, denkst du also, bin ich?« Er schmollte etwas, damit Ellary sich auch schlecht fühlte. »Es ist schon wahr, dass ich lieber auf der Seite mit den besseren Chancen stehe. Aber siehst du, diese Seite ist unsere. Hier. Die letzten vierzehn Jahre waren durchaus angenehm. Je nach dem wie die Aktionen des Rates aussehen werden, werde ich meine Mitgliedschaft überdenken und wenn nötig austreten. Zenon weiß bereits davon.«

  Ellary brummte. Er war erleichtert über diese Antwort. Wenngleich auch besorgt über die „Aktionen“ des Rates. In der Vergangenheit hatte er schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht. Tatsächlich verdankte er sein Leben einzig einer Charakterschwäche Zenon French’s. Der Vorsitzende des Rates, Lord Ardath, war ein kalter und Angst einflößender Mann. Wie man ihn noch Zauberer nennen konnte, war Ellary schon immer unbegreiflich gewesen. Er leerte seine Tasse und stand auf. »Dann wirst du auf den Jungen aufpassen, während ich weg bin?«

  »Sicher. Aber wo willst du hin?«

  Er warf seinen Mantel um. »Aubrey Vane suchen.«

  »Den … ehemaligen Wächter? Seit über fünfzig Jahren hat niemand sein Versteck entdeckt …«

  »Ich habe das Siegel der Ewigen Bibliothek gebrochen, da werde ich wohl das Versteck eines alten Mannes finden, auch wenn er Wächter war.«

  Rue erhob sich zornig. »Siehst du, genau ist das Problem. Weil du in diese verdammte Bibliothek einbrechen musstest, ist Harmony jetzt Wächter statt dir!«

  Ellary warf seinem Freund einen kühlen Blick zu. »Das ist nicht ganz richtig. Sicher hab ich dadurch hundert oder zweihundert Jahre meiner Lebenszeit verloren, die ich jetzt gerne einsetzen würde, um dem Jungen zu helfen. Aber was ist mit dir? Du hättest damals auch mehr Widerstand leisten können, als ich ihn als Schüler aufnahm. Oder ebenso gut Master Zenon davon überzeugen können, die Verantwortung für das Holy Dark nicht auf andere zu schieben. Wenn er mich nicht freigelassen hätte und wenn du nicht zugestimmt hättest auf mich aufzupassen … und so weiter und so weiter.« Er wandte sich ab und verließ das Haus.

  Rue sank zurück auf seinen Stuhl vergrub den Kopf in den Armen. Vivyan hatte recht. Zenon und Ardath ebenso, aber er selbst doch auch. Jeder hatte seinen Beitrag zur Gegenwart geleistet und es ließ sich ohnehin nichts daran ändern. Nur die vielen Dinge, die sie damals begangen hatten, ohne daran zu denken, was sie später bedeuten würden. Die vielen kleinen und großen Dinge, die ihnen jetzt zum Verhängnis wurden. Er würde Harmony beschützen und zur Seite stehen. Nur … für wie lange? Wie viel Zeit blieb ihm noch? Er hieb mit der Faust auf den Tisch, sodass die Teetassen klirrten und der heiße Tee überschwappte. Es schmerzte, wo die Flüssigkeit die Hand berührte.
 

*
 

Als am nächsten Morgen endlich die ersten Sonnenstrahlen durch das kleine Fenster fielen, war Harmony schon lange auf den Beinen. Nachdem er einige Stunden so fest geschlafen hatte, dass ihm der vergangene Tag schon weit entfernt vorkam, waren die Stimmen des Holy Dark bald so laut geworden, dass er es nicht mehr im Bett ausgehalten hatte und sich nach draußen geschlichen hatte um den vorbeiziehenden Wolken zuzusehen. Zusehen, wie die Zeit verging. Erstaunlicherweise schienen seine Wunden schon so gut wie verheilt. Nur ein hintergründiger Schmerz verweilte noch, den er jedoch als sehr angenehm empfand, da er ihn daran erinnerte, dass er noch lebte, wogegen sich sein Kopf unter dem zunehmenden Dröhnen des Zaubers taub und schwer anfühlte.

  Eine Weile nach Sonnenaufgang öffnete sich die Haustür und Master Rue setzte sich neben den Jungen auf die Treppenstufen. »Wie lange bist du schon hier draußen?«, fragte er etwas grimmig.

  »Ich weiß nicht. Die halbe Nacht vielleicht.«

  »Und das mit deinen Verletzungen …«

  »Die sind schon fast weg.«

  Rue schaute ihn skeptisch an. »Keine Weißmagie der Welt kann solche Wunden einfach so heilen.«

  »Hehe«, machte Harmony. »Ich bin kein Weißmagier, oder?« Er lächelte seinen Meister verschmitzt an.

  Dieser gab zwar seufzend nach, war deswegen aber kein bisschen weniger besorgt. »Trotzdem, du siehst furchtbar aus, vielleicht solltest du doch noch mal ins Bett gehen.«

  Harmony ließ seinen Kopf in die Knie sinken. »Ich mache alles, aber schick mich nicht wieder ins Bett. Ich glaube, ich werde nie wieder im Leben schlafen können.«

  »Wahrscheinlich gewöhnt man sich irgendwann an die Stimmen«, antwortete Rue, obwohl er nicht wusste, wie das gehen sollte. Aber Master Vane hatte es fast siebzig Jahre ausgehalten.

  »Ist es denn gut sich daran zu gewöhnen? Wenn um einen herum alles weint und klagt?«

  Rue blickte den Jungen etwas erstaunt an. »Und was ist«, begann er dann »wenn man sie zum Schweigen bringt?«

  Harmony setzte sich wieder auf.

»Wenn sie weinen, muss man sie trösten, oder nicht?«

Harmony nickte langsam. Es war nur logisch. Für einen Menschen, für einen Zauberer war es nur logisch. Er wandte den Blick in die Ferne, um in Ruhe darüber nachzudenken. Das Holy Dark trösten …

  Master Rue, der schon bemerkt hatte, dass sein Schüler nicht mehr ansprechbar war, stand wieder auf und tätschelte ihn ihm Gehen noch den Kopf. »Wenn du Hunger hast, Frühstück ist fertig.«

  Doch Harmony kam nicht frühstücken. Erst als Ellary Mare gegen Mittag zurückkehrte und ihn mit herein nahm. So vergingen zwei Tage, in denen Ellary und Rue abwechselnd die Umgebung und die Stadt durchstreiften und auf Gerüchte und Magie horchten, während Harmony sich daran gemacht hatte, den verbrannten Garten wieder herzurichten. Äußerlich schien er wieder wie früher. Sanft und fröhlich, gleichzeitig respektlos wie eh. Doch war es unschwer zu erkennen, dass das alles nur war, um seinen wirklichen Gemütszustand zu überspielen. Die Aufruhr, die das Holy Dark in ihm verursachte. Tatsächlich hatte er seit zwei Tagen nicht geschlafen. Was seinen Meistern Sorgen bereitete. »Irgendwann bin ich so fertig, dass ich gar nicht mehr anders kann als schlafen«, hatte er nur gesagt und sich schnell die nächste Aufgabe gesucht.

Und genau das war es, was er gerade fühlte. Völlige Erschöpfung. Jeder Hieb mit der kleinen Schaufel fiel ihm schwer, aber sobald er die Augen schloss, hörte er ihre Stimmen und es zog schmerzhaft in seinem Herzen. Als er so da lag vor dem Blumenbeet, die Schaufel in der Hand und den Blick müde in den Himmel gerichtet, umfuhr ihn plötzlich ein hellschwarzes Säuseln. »Unvorsichtig«, sagte die kühle Stimme.

  Harmony schaute einen Augenblick lang verblüfft in das blasse Gesicht über ihm, dann beeilte er sich aufzustehen. »Juval! Wie bist du … Liegt nicht ein Siegel um das Haus?«

Der Dämonenprinz ging ein paar Schritte herum. »Und? Glaubst du, so ein Siegel kann mich abhalten.« Er grinste zufrieden zu sich selbst.

  »Aber warum bist du hier? Ich meine, ich wollte dich wiedersehen, aber wieso bist du …?«

  Juval sah den Zauberer in einer Art an, die man bei Menschen normal als Verwunderung deutete. Er verstand nicht ganz, was in Harmony gerade vorging. Er verstand auch nicht, was ihn ihm vorging. Warum war er gekommen? »Hunger«, sagte er schließlich. »Letztes Mal war da dieser Geruch. Das ist es, was ich essen will.«

  »So …« Harmony nickte bedächtig. Irgendwie machte dieser Dämon plötzlich einen ganz anderen Eindruck als vor ein paar Tagen. Nicht mehr der furchtlose Ritter, sondern viel mehr ein Junge höchstens so alt wie er selbst. »Sollen wir dann in der Küche nachschauen, ob wir finden, was es war?« Vielleicht war er tatsächlich unvorsichtig, schoss es ihm noch durch den Kopf. Vielleicht wartete der Dämonenprinz nur auf die eine passende Gelegenheit, um ihn zu töten. Trotzdem, so beschloss er, würde er ihm vertrauen. Immerhin verdankte er ihm sein Leben und wenn er es durch ihn verlor, dann war es halt Schicksal.

  Sie traten in die Küche. Harmony blickte sich um. »Ehrlich gesagt hab ich keine Ahnung, was es gewesen sein könnte. Zum Essen gab es an dem Tag nur Brot … Das einzige, was hier immer herumsteht, ist Tee, aber sonst …« Er kratzte sich am Kopf und beobachtete wie Juval sich umsah. »Holz und Blut …«

  »Es ist nicht hier. Im Moment riecht es nur nach Äpfeln«, sagte dieser und schaute Harmony dabei vorwurfsvoll an.

  »Huh? Äpfel? Obst ist das letzte, was wir im Haus haben …«

  »Keine richtigen Äpfel«, widersprach der Dämon und legte seine Hand auf Harmony’s Gesicht. »Es ist das Gefühl alberner Fröhlichkeit.« Der Junge wurde rot vor Erstaunen und Verlegenheit. »Auch wenn ich nicht verstehe, worüber du dich freust mit einem Dämon in deinem Haus«

  »Dann war das eben eine Bedrohung?« Er nahm die Hand von seiner Wange und hoffte, dass sich sein Herz schnell wieder beruhigte. »Du sagtest, du würdest zum Essen kommen. Wir haben selten Gäste, deswegen …«

  »Harmony!!« polterte plötzlich sein Meister durch den Raum, als dieser von der fremden Stimme alarmiert die Treppe herunter trat. »Was ist das?!« Mit „das“ meinte den Dämonenprinzen und dementsprechend sah auch sein Gesicht aus: Als hätte er gerade den Horror seines Lebens gesehen.

  Juval selbst blieb dagegen ganz ruhig. Nicht nur, weil der alte Zauberer ohnehin keine Bedrohung für ihn darstellte, sondern vor allem, weil Harmony ihn mit dem, was er gesagt hatte und dem, was er nicht gesagt hatte, aber meinte, komplett verwirrt hatte und er erst einmal verarbeiten musste.

  »Meister«, begann Harmony erfreut und stolz endlich mal einen Freund zuhause vorstellen zu können. »Das ist Juval Reva, der Dämonenprinz. Er hat mir das Leben gerettet.«

  »Dämonenprinz«, echote Ellary Mare und klammerte sich dabei ans Treppengeländer. »Von dem du dieses verfluchte Schwert hast.«

  »Genau.«

  »Aber es ist nicht verflucht in dem Sinn«, bemerkte Juval nebenbei.

  »Wieso kommt er hierher? In mein Haus? Durch das Siegel? Und wieso unterhältst du dich fröhlich mit ihm?«

  »Ja, wieso«, grinste sein Schüler. »Das ist gar nicht so einfach in wenige Worte zu fassen.« Einen Moment lang ruhte sein Blick auf der schlanken Gestalt des Dämons, dessen silbernes Haar unter den Sonnenstrahlen schimmerte wie Sternenlicht. Ein sanftes Lächeln legte sich auf Harmony’s Lippen. »Das ist es, was ich entschieden habe.« Juval blickte auf. »All das ist Teil der Geschichte, die ich beschlossen habe. Deswegen.«

  Ellary starrte seinen Jungen an. Trotz der tiefen Schatten unter den Augen, wirkte er wieder lebendig und stark und obwohl sein Meister den tieferen Plan noch nicht zu verstehen mochte, überzeugend.

  »Das ist er«, sagte Juval plötzlich, griff nach Harmony’s Hand und roch daran. »Dieser Geruch, wie nennt man ihn?«

  Harmony schnupperte selbst an seiner Hand. »Das ist Erde. Der Geruch von frischer Erde.«

  »So«, lächelte der Prinz zufrieden, ließ von dem Jungen ab und wandte sich stattdessen dem alten Zauberer zu. »Sie mögen gehen. Von hier an ist das eine Sache zwischen Harmony Snow und mir.«

  Master Ellary war zu empört, um zu antworten. Aber auf das Nicken seines Schülers hin zog er sich grummelnd in die zweite Etage zurück.

  »Entschlossenheit«, begann Juval wieder. »Das ist der Geruch nach dem ich gesucht habe. Lässt du mich kosten, Harmony Snow?«

  »Mh«, nickte Harmony erleichtert, dass sie letztendlich doch noch jenes Essen gefunden hatten, weshalb er gekommen war. Auch wenn er noch nicht wirklich wusste, was das bedeutete.

  Juval trat an nah ihn heran. Den Mund an seinem Ohr sagte er noch leise: »Im Gegenzug werde ich dir auch etwas geben.« Dann sank der Junge langsam auf den Boden und mit dem leichten Wind, welcher von draußen herein wehte, war der Dämon verschwunden.

  Ellary, der von oben natürlich angestrengt gelauscht hatte, eilte hektisch die Stufen hinab, um nach seinem auf dem Boden liegenden Schüler zu sehen. Doch als er neben ihm kniete und ihn schon rütteln wollte, bemerkte er seinen friedlichen Gesichtsausdruck und das regelmäßige Atmen. »Er schläft«, stellte er fest. Verwirrt, erleichtert. »Er schläft.«

1870: Hinter den Schatten

1870

3. Hinter den Schatten
 

In einer dunklen Ecke in einem engen Raum im Nordflügel des Hauptgebäudes der RA wurde eben ein junger Zauberer unsanft aus seinem unruhigen Träumen gerissen. »Wer hat dir eigentlich erlaubt in meinem Bett zu schlafen?« fragte der andere in gewohnt unterkühltem Tonfall. »Es ist Zeit für die Ratssitzung, du solltest aufstehen.«

Zenon French setzte sich langsam auf, rieb sich das Gesicht. »Jetzt wo ich endlich mal zur Ruhe gekommen bin.«

»So ist das. Zauberer sind unbarmherzig.« Sein Freund Servas Essex hatte sich auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch niedergelassen. »Aber wenn du mich fragst, ist es deine eigene Schuld. Was hörst du das Ding auch so elendig laut.«

»Wenn ich das wüsste. Freiwillig hab ich mir das sicher nicht ausgesucht.« Seine dunkelgrünen Augen blickten müde durch das kleine Zimmer, das durch eine einzelne Ölleuchte auf dem Schreibtisch erhellt wurde. Die Wandseite des Bettes bedeckte ein Vorhang aus grobem Stoff, ein Fenster dahinter gab es nicht. Auf dem großen dunklen Schrank zeichneten sich die Schatten diverser Bücher ab. Die Tür lag kaum sichtbar in der nahen Wand gegenüber. Der Gang von Tür zu Schreibtisch und Bett war so schmal, dass nicht einmal zwei Personen nebeneinander Platz hatten. Aber gerade diese Enge, das hellgelbe Licht und die Schatten, die seit Jahrzehnten unberührt schienen, gaben dem Ganzen eine Sicherheit, die Zenon in seinem eigenen Zimmer oft nicht finden konnte. Dieser Raum war angefüllt mit der dichten Atmosphäre, den Gedanken und Erinnerungen, die Servas in den bald fünfzig Jahren, die er hier wohnte, angehäuft hatte, die Zenon als verlässlicher und beruhigender empfand als seine eigenen. Er seufzte und kletterte aus dem Bett. »Ist Rue eigentlich da?«

Servas folgte Zenon zur Zimmertür, vor welcher sich dieser die Schuhe anzog, für die drinnen kein Platz war. »Sicher. Alle sind da. Einschließlich Cecil. Nur bezweifle ich, dass sie ihn hineinlassen.«

»Wirklich? Cecil?« Zenon war verwundert, dass der hitzige junge Zaubererschüler an solchen Dingen Interesse zeigte.

»Liegt wohl an der Sache zwischen ihm und Harmony Snow von vor zwei Jahren «, zuckte Servas mit den Schultern. »Wer weiß, was in ihm vorgeht. Schick ihn her, wenn du ihn siehst.«

»Das werde ich.« Bereits im Gehen hielt er noch einmal inne. »Was würdest du mit dem neuen Wächter tun?«

»Huuuh …«, machte sein Freund gleichgültig. »Ich habe ja nicht das Recht, die Meinung eines wichtigen Ratsmitgliedes zu manipulieren. Und ich habe auch nicht das geringste Interesse am Holy Dark. Aber wenn du mich als Dämonenjäger fragst, sage ich, lasst ihn in Frieden. Den Dämonenprinzen als Gegner zu haben ist nicht lustig.«

»So.« Zenon fühlte sich gerade, als hätte er doch zu lang geschlafen. Es gab offensichtlich Entwicklungen, von denen er noch nichts wusste. Er nickte Servas zu und eilte durch die große Tür, die die Privaträume des Zauberers vom öffentlichen Bereich abtrennte, den weiten Gang entlang Richtung Versammlungsraum. Servas zog sich ein sein Schlafzimmer zurück und ließ sich auf dem Bett nieder. Die Decke anstarrend wusste er, dass es nur noch eine Frage der Zeit war bis zum ersten Kampf zwischen der RA und dem neuen Wächter. Zauberer waren unbarmherzig.
 

*
 

Die Stimmung in dem dunklen Raum war angespannt. Die Kerzen auf dem ovalen Tisch flackerten und spielten unruhig mit dem klaren Quellwasser in den Gläsern, die vor den neun Männern standen. Die Diskussion war bereits heftig im Gange, schließlich war das Holy Dark keine Trivialität.

»Aber du kannst es doch deutlich hören, Zenon, oder nicht? Solltest du das nicht als Zeichen verstehen, wem der Zauber wirklich bestimmt ist?« fragte Blackleath Rabenstein, der rechts von Zenon saß, grimmig.

Dieser erhob sich mit beiden Händen flach auf Tisch gestützt und funkelte den anderen ärgerlich an. »Zuerst einmal heißt es nicht Zenon, sondern Master Zenon für Sie. Behandeln Sie mich nicht mehr wie einen unmündigen Schüler. Ich bin voll ausgebildeter und anerkannter Zauberer und handele ganz nach meinem Ermessen. Wenn ich also sage, ich lehne das Holy Dark ab, dann ist das meine Entscheidung, die Sie zu akzeptieren haben, Master Blackleath.«

»Haha. Aber meinen Sie nicht, Master Zenon, dass der junge Harmony Snow ebenfalls abgelehnt hat?«

»Wenn Sie mich nur ausreden lassen würden«, entgegnete Zenon scharf. »Der einzige, der einen neuen Wächter bestimmen darf, ist der Wächter selbst. Master Vane hat sich für Harmony Snow entschieden. Jetzt ist es an dem Jungen zu entscheiden, was mit dem Holy Dark geschieht. Wenn er sich entschließt, es mir zu übertragen, werde ich es natürlich annehmen. Aber dafür müssen wir ihn fragen.« Er schickte einen letzten bösen Blick zu Master Blackleath bevor er sich wieder setzte. »Master Rue, konnten Sie bereits mit ihm über seine Pläne sprechen?«

Rue Levian nickte und faltete die Hände. »Das konnte ich. Harmony denkt keinesfalls daran, das Holy Dark abzugeben. Im Gegenteil. Er hat vor, es zu trösten.«

Ein aufgebrachtes Raunen ging durch die Runde. Erstaunte, ungläubige, empörte Gesichter. Einzig Lord Ardath blieb regungslos. »Wie bitte, Master Rue, hat er vor das zu schaffen?« fragte Jacob Ayrs skeptisch.

»Nun, wie Sie wissen, meine Herren, ist Harmony Schriftgelehrter. Er kann das Holy Dark lesen und wird früher oder später sicher auch in der Lage sein, über das Buch den Inhalt des Zaubers zu verändern.«

Master Blackleath nickte, aber sein Gesicht war voll Antipathie. »Aber wer garantiert uns, dass er nicht inzwischen andere Ideen entwickelt? Er ist jung und sein Charakter ist noch nicht geformt. In Besitz einer solchen Macht kann er leicht noch mehr verderben und sein Talent ungehörig einsetzen.«

»Das ist es also, was Sie tun würden?« grinste Rue spöttisch.

Doch der alte Rozen Meyers pflichtete Master Blackleath bei. »Zudem kommt, dass auch Master Vane die Kontrolle über den Zauber mit Gewalt an sich gerissen hat. Das bedeutet im Grunde, dass seine Auswahl überhaupt kein Maßstab für die Rechtmäßigkeit des Wächters ist.« Zustimmendes Nicken der meisten anderen.

»Natürlich kann niemand wissen, wie er sich in den nächsten Jahren entwickelt, aber ich denke, dass es eher schädlich wirkt, wenn die RA ihn jetzt bedroht. Wir alle wissen, was damals mit Faron Navere geschehen ist.« Und bei diesem Satz blinzelte der junge Zauberer hinüber zu Lord Ardath.

»Oh kommen Sie, Master Rue!« Master Thureau hob die Arme. »Das ist ja nun wirklich eine Geschichte, die mit dieser nicht im Geringsten zu vergleichen ist!«

»Oh doch, das glaube ich schon«, widersprach Zenon. »Auch Harmony Snow möchte einfach nur ein guter Zauberer sein.«

»Master Zenon, Sie haben eigentlich gar nicht mehr das Recht über gute Zauberer zu reden, oder?« lächelte Blackleath selbstgefällig.

»Aha. Aber sie etwa?« entgegnete Zenon mit einem ebenso kalten Lächeln.

»Der Punkt ist doch«, unterbrach Master Jacob die beiden. »dass das Holy Dark in guten Händen ist, die es ordentlich gebrauchen. Was ich mir bei dem fünfzehnjährigen Schüler eines kriminellen Schwarzmagiers nicht vorstellen kann.«

Noch bevor Zenon oder Rue antworten konnten, erhob sich plötzlich die helle Stimme der schmalen Gestalt, welche zu Lord Ardath’s linker Seite saß und bisher nur leise und stetig geschrieben hatte. »Was verstehen Sie bitte unter gut und ordentlich?«

»Augustine!!« fuhr Blackleath Rabenstein seinen jungen Verwandten an.

Doch dieser ließ sich nicht beirren. Als Chronologist war es zwar eigentlich seine Aufgabe nur stumm aufzuzeichnen, was sich in den Kreisen der Zauberer und eventuell der Welt abspielte, seine Meinung war dabei nicht gefragt, aber wusste er durch die zwanzig Jahre, die er seinen Beruf jetzt gelernt hatte, genau, was in den Köpfen der einzelnen Anwesenden vorging. »Für Sie ist gut und ordentlich doch einzig das, was Ihnen persönlich nützt. Darin unterscheiden Sie sich nicht vom Rest der Welt. Auch wenn Sie sich Zauberer nennen. Der Grund, aus dem Sie Master Vane anfeinden und Master Juno, dem er den Zauber entwendet hat, gutheißen, ist doch, weil Juno das Holy Dark für Dinge benutzt hätte, die Ihnen letztendlich gelegen gekommen wären. Wogegen sich Aubrey Vane damit zurückzog und gar nichts tat. Ungeheuerlich nicht wahr? So viel Macht zu haben und sie nicht zu nutzen.« Er blickte säuerlich in die Runde. »Wer sagt denn überhaupt, dass die RA die einzige ordentliche und rechtmäßige Gilde ist? Warum ist das Holy Dark nur dann gut aufgehoben, wenn es in ihren Händen ist? Weil es dann in Ihren Händen liegt, so ist es doch, meine Herren, oder nicht?« Er begann ruhig sein Papier zu ordnen. »Tatsache ist aber, dass Sie mit Master Zenon als Wächter ebenso wenig Kontrolle darüber hätten wie jetzt.«

»Augustine …«, zischte Master Blackleath ein weiteres Mal. Ansonsten blieb es still. Zu entrüstet waren die Herren noch, dass der junge Chronologist es gewagt hatte, die Ratssitzung derartig zu stören und sie als Mitglieder anzugreifen. So viel Wahrheit hatte er aber auch gesprochen, die keiner offen zugeben noch abweisen mochte.

»Nun denn«, ergriff Lord Ardath schließlich gleichgültig das Wort. »Dann haben wir ja bald alle Anwesenden gehört. Fehlt nur noch Master Lirith.« Er nickte dem schlanken ruhigen Mann zu, der zwischen Master Blackleath und Master Jacob saß und dessen Anwesenheit an sich eigentlich sehr erstaunlich war, da er wie der Chronologist kein Mitspracherecht im Rat hatte. Die Wizardry, die er leitete, war fast vollkommen souverän von der RA.

Lirith May räusperte sich und richtete seine leise Stimme an Rue Levian. »Master Rue, können Sie etwas zur Beteiligung des Dämonenprinzen sagen, von welcher ich aus sicheren Quellen erfahren habe?«
 

*
 

Wenig später schlürfte Master Zenon auf einer Bank vor der Bibliothek müde an einer Tasse Earl Gray Tee, während sich über den weiten Hof geschäftig junge Zaubererschüler und die Schatten kleiner Wolken schoben, und er ihnen ab und zu zunickte, wenn sie ihn grüßten. Irgendwie hatte er das Gefühl als ginge sein Leben seit dem Tod Master Veil’s vor wenigen Jahren stetig bergab. Dann wiederum hatte er sich eigentlich niemals anders gefühlt. Aber wenigstens waren die gelegentlichen Besuche der Bibliothek mit Master Veil immer interessant gewesen und hatten ihn aufgeheitert. Ganz anders als jetzt. Überhaupt schien alles, obgleich es wie immer war, plötzlich ganz anders. Er seufzte und lehnte den Kopf an die Wand. »Es war wirklich mutig dir, den Alten mal richtig die Meinung zu sagen«, stellte er irgendwann fest.

Augustine, der neben ihm stand, nickte zaghaft. »Auch wenn es am Ende nichts gebracht hat. Aber ab und zu muss ich meinen Namen und Status doch ausnutzen.«

Jetzt schmunzelte Zenon. Die Rabensteins waren eine weit verzweigte Familie mit langer Geschichte und einer der Gründerväter der RA. Augustine war dazu noch ein junger Chronologist, der eben erst offiziell mit seiner Arbeit begonnen hatte. »Leider helfen angesichts eines Wächters, der sich mit einem Dämon verbündet, auch die vernünftigsten Begründungen nichts mehr.«

»Wird dann eigentlich Master Servas die Operation leiten?«

Zenon schüttelte den Kopf. »Nach dem, was er mir vorhin gesagt hat, hat er keine Intention gegen den Dämonenprinzen zu vorzugehen. Was ich durchaus nachvollziehen kann. Die letzten Auseinandersetzungen mit dem Dämonenkönig haben immer viele Opfer auf unseren Seiten gefordert. Die Kombination Wächter – Dämonenprinz sollte auf uns eher abschreckend wirken als einladend.«

»Das stimmt. Aber wie Sie sagten, sobald es um einen Dämon geht, vergessen die meisten Menschen ihre Vernunft. Für einen Zauberer, der sich für gut und stark hält, heißt das „Auf in den Kampf, vernichte den Dämon!“« Er seufzte und glitt die Wand hinab in die Hocke. »Ich mag es nicht Todesanzeigen zu schreiben.«

Der Ältere stimmte ihm zu. Lehnte sich zurück und blickte in den Himmel. Gerade läutete die Glocke zum Unterricht, das Gelächter der Schüler ebbte ab und auf dem leeren Hof kehrte Stille ein. Die Wolken zogen nun allein über die Steine, sie waren dichter geworden und dunkler. Ganz langsam trieben sie voran als trügen sie schwere Lasten mit sich. Einsame Geschichten, namenlose Träume. »Es regnet bald«, stellte man fest. Und wenn die Geschichten herunterfielen, wuchsen aus jedem Teil der Erde, den sie berührten, neue heran, ebenso dunkel und bekümmert, und türmten sich auf bis sie den Himmel erreichten und sich vom Wind erfasst erneut in grauen Wolken vereinten. Immer wieder. Bis endlich jemand kam und sie einsammelte. Gerade noch roch die Luft leicht und süßlich nach den ersten Blumen, die in der weiten Gartenanlage hinter dem Hauptgebäude blühten. Doch auf der anderen Seite des Haupttores der RA saß in einer Mauernische ein Junge von fast dreizehn Jahren mit weißblauem Haar, wippte mit den Beinen und knotete Grashalme aneinander. Wie die empfindliche Nadel eines Messgerätes spürte er in den Fingerspitzen bereits das Zittern der Luft durch den entfernten Regen. Er war es gewohnt inzwischen. Cecil Loco verkroch sich tiefer in das alte Gemäuer, richtete die Augen in die Ferne der grünen Hügel so weit es ging und begann auf die Geschichten dieses Tages zu lauschen.
 

*
 

Die Luft war frostig von einem Netz aus feinen Eiskristallen. Harmony sprang seitwärts, holte Schwung mit der Linken und blockte einen neuerlichen Strahl Eis mit der Rechten während über seinem Kopf die Klingen surrten und sich die Luft plötzlich rapide erwärmte. Das war sie, Master Rue’s Spezialität. Wie kein zweiter dieser Zeit beherrschte er die Elemente und zählte so trotz allem als hervorragender Weißmagier. Trotz allem, weil er das eigentlich einem groben Fehler seiner Jugend zu verdanken hatte. Weißmagie, das war Fähigkeit zur Manipulation der Umgebung, Natur, Elemente, bis hin zu den kleinsten Bestandteilen aller Dinge. Sofern man wusste, wie etwas funktionierte. Sie basierte auf Wissen. Im Gegensatz zur Schwarzmagie, die allein durch Vorstellungskraft funktionierte. Sie war um einiges mächtiger als Weißmagie, aber auch gefährlicher, da sie die eigene Lebensenergie verbrauchte und man schnell zehn Jahre altern oder gar sterben konnte, wenn man sich verrechnete. Master Rue war während seiner Ausbildung an einem solchen Zauber gescheitert. Er war zwar mit dem Leben davon gekommen, doch war seitdem die Struktur seines Körpers gestört. Seine eigentümliche Haar- und Augenfarbe kamen daher sowie die übermäßige Empfindlichkeit gegen Hitze und Kälte, nachlassende Sehkraft und schlechtere Heilung von Wunden. Kurz, er war zerbrechlicher. Doch genau diese Empfindlichkeit, die ihn unfähig machte seine Ausbildung aus Schwertschmied zu beenden oder den Anforderungen von Schwarzmagie standzuhalten, erwies sich für die Weißmagie als ungemein förderlich, da er jede Regung der Luft spüren konnte, jede Temperaturschwankung. Also hatte Rue genau das zu seinem Fachgebiet gemacht und handhabte Feuer und Eis exakt so, dass um ihn selbst herum stets eine konstante Temperatur herrschte, während sie überall anders nach seinem Belieben wechselte. Für Harmony bedeutete das, dass er magietechnisch eigentlich kaum eine Chance gegen seinen Meister hatte. Die Kontrolle des Klimas der Umgebung lag ganz bei Rue und war so umfassend, dass beinahe jeder Versuch irgendwas anderes mit den Elementen anzustellen zum Scheitern verurteilt war. Doch er hatte gelernt dem zu begegnen. Zwar hatte Master Ellary ihm bisher nur ein Minimum an Grundprinzipien der Schwarzmagie beigebracht, aber eines davon zusammen mit dem Wissen für Weißmagie hatte ihn zur Lösung geführt. Wo Luftschichten unterschiedlicher Temperatur aufeinandertrafen, entstand Wind, welcher wiederum auf die Luft wirken konnte, wenn manipuliert. Und wie die Zauberer damals, als Magie noch gesprochen worden war, ihre Stimme als Verstärker nutzten, benutzte Harmony den Wind aus sich selbst, seinen Atem, um Wind zu erzeugen, der Master Rue’s Magie entgegen wirken konnte.

Eben noch wich er geschickt einem weiteren Schwerthieb aus, dann holte er Luft, drehte seine eigene Klinge und zielte genau dorthin, wo sich heiße und kalte Luft trafen. Er kannte Master Rue’s Wind gut.

Ich kenne dich auch, dachte sich Rue und änderte flink seine Felder. Doch auch für ihn war Harmony’s Wind oft schwer vorhersehbar. Er schob es auf jugendliche Spontaneität. Nachdem die Windschneiden von vorn leicht negiert waren, spürte er trotzdem in seinem Rücken noch kleine Wirbel, die im Zusammenspiel mit der direkten Attacke des Jungen gerade schnell zum Sturm heranwachsen konnten. Er entschied sich, die Felder aufzulösen und konterte stattdessen allein mit seiner Waffe.

Die Klingen trafen aufeinander. Genau wie in der Magie hatte Harmony auch mit dem Schwert noch nie gegen seinen Meister gewonnen. Plötzlich kräuselte sich aus dem Nichts dünner schwarzer Nebel, das weiße Metall der Klinge verschwand, Harmony fiel nach vorn und rauschte nur haarscharf mit dem Gesicht an der Schneide Master Rue’s vorbei.

»Woah«, machte dieser und half seinem Schüler flink wieder auf die Beine. »Dein Dämonenschwert will immer noch nicht ganz so wie du, was?«

»Hm«, brummte der Junge und rieb sich die Stirn. Einmal mehr hatte er sich erinnert, dass auch Training schon gefährlich war. Er betrachtete missmutig den Schwertstumpf.

»Und wenn du Juval fragst, wie man es richtig benutzt?«

Er zog eine Grimasse. »Lieber nicht … Er scheint mich so schon nicht ganz ernst zu nehmen.« Er legte die Hand auf den Stumpf und entfernte beide wieder langsam voneinander als zöge er das Schwert aus der Scheide. Aus der entstehenden Distanz wuchs erneut die Klinge. Eigentlich wusste er, wie er es zu handhaben hatte. Ein Dämonenschwert war aus einem bestimmten Gefühl geschmiedet worden, einer Resolution, die ihm seine Form und seine Stärke gab. Es resonnierte mit den Emotionen seines Führers und war immer ein Spiegel seines wahren inneren Zustands, denn im Gegensatz zu Menschen waren Dämonen einfache Wesen, die nicht lügen konnten. Ein Dämonenschwert führen konnte nur derjenige, der die entsprechende Einstellung besaß. In Harmony’s Fall war das „Ich werde nicht verlieren“. Das aber umzusetzen stellte für ihn eine nicht kleine Herausforderung dar, war er bisher doch eher der Typ gewesen, der Hindernissen gerne aus dem Weg ging, statt über sie hinweg zu steigen.

Master Rue ließ sein Schwert in die Scheide gleiten und glättete seinen Mantel. »Wir sollte für heute Schluss machen.«

»Huuuh …«, machte Harmony unbegeistert.

»Ruh dich aus, solange du noch kannst«, Rue tippte ihm auf die Stirn. »Meine Intuition sagt mir, dass du deinem Schwert nur vertrauen musst. Auch wenn ihr jetzt noch Schwierigkeiten miteinander habt, wird es dich in einer kritischen Situation sicher nicht im Stich lassen, oder? Ich kenne deine Resolution zwar nicht, aber da der Prinz selbst das Schwert vorher benutzt hat, muss es doch sicher eine gute sein.«

Der Junge schaute erst ihn an, dann das Schwert in seiner Hand. Daran hatte er nicht gedacht. Juval hatte es für sich selbst geschmiedet, mit seinen eigenen Gefühlen. Das Schwert war also wie ein Teil Juval’s selbst. Wenn er ihm so vertraute wie er dem Dämon vertraute, sollte alles gut werden, oder nicht? Er nickte. »Aber es wäre mir lieber, wenn so eine kritische Situation gar nicht erst kommt.«

»Natürlich«, lächelte Rue und stieg die Kellertreppe hinauf. »Aber das wird sich wahrscheinlich nicht vermeiden lassen. Ich weiß von der RA, dass sie auf jeden Fall etwas planen. Und dann sind da noch die handvoll anderer Gilden, die an dem Zauber interessiert sind …«

Harmony schloss die Tür hinter sich ab und folgte seinem Meister durch den dunklen Korridor in die Küche. Dank des Siegels um das Haus war es bisher ruhig geblieben. Aber das konnte nicht für immer so bleiben. »Von welcher Gilde waren die beiden überhaupt? Sie haben sich nicht einmal vorgestellt. Vielleicht wäre ich viel netter zu ihnen gewesen, wenn ich gewusst hätte, wer ihr Meister sein soll.«

»Ha«, machte Rue und warf ihm einen amüsierten Blick zu. »Wohl eher nicht. Ich denke, sie wussten genau, dass sie bei uns nicht mit Freundlichkeit zu rechnen haben.« Der zarte Geruch von Rosentee zog durch den Raum. »Hast du das Zeichen auf ihren Mänteln gesehen?«

Er überlegte. »Eine Sonne oder so …«

»Richtig.« Master Rue malte mit dem Finger und magischer Farbe auf den Tisch: Einen Halbkreis mit drei Dreiecken herum wie abgehende Sonnenstrahlen und im Inneren eine Sichel wie der Halbmond. »Das ist das Crest of Gotis.« Harmony’s Augen weiteten sich plötzlich. »Je später du auf ihren Meister triffst, umso besser. Jedes Wort von ihm ist gefährlich.«

Der Junge nickte. Er hatte viel über diese Gilde gehört. Ihr derzeitiger Anführer Eiru Roche war Meister der Flüche und maßgeblich beteiligt gewesen am Tod von Ellary’s Meister und dessen Tochter. Wegen ihm war … Er würde ihm nicht vergeben. Je eher er ihn traf, desto besser.

»Oi oi«, machte Rue misstrauisch, als er den Funken in Harmony’s Augen leuchten sah. »Komm nicht auf dumme Gedanken.«

»Sicher nicht.«

»Und lüg nicht!« Er verpasste ihm eine Kopfnuss. »Wirklich, du bist so anstrengend. Wer hätte gedacht, dass aus dem niedlichen kleinen Jungen mal sowas wird.«

Harmony schlürfte seinen Tee extra laut. »War das nicht von Anfang an klar? Kein normaler Vierjähriger kommt aus so einem Grund auf die Idee von zu Hause wegzulaufen. Außerdem mit Vorbildern wie euch beiden … Und überhaupt, was meinst du mit sowas?«

»Ja, wirklich. Das muss der fehlende weibliche Einfluss sein …«

»Um ehrlich zu sein, Rue«, sagte plötzlich eine grimmige Gestalt neben ihm und legte bedrohlich eine schwere Hand auf seine Schulter. »Bist du weiblicher Einfluss genug.« Besagter machte ein empörtes Gesicht, woraufhin Harmony kichern musste. »Wie erklärst du mir sonst, dass er auf einen Jungen steht?« Harmony’s Lachen erstarb. Das Gespräch nahm eine unangenehme Wendung. Rue dagegen grinste.

»Ein Dämonenkörper ist eigentlich geschlechtslos. Er könnte sich genauso gut in ein Mädchen verwandeln.«

»Das ist ja das schlimmste!! Er hat ja noch nicht mal einen menschlichen Körper!! Das Mädchen vom Lebensmittelladen hast du nie angeschaut, wieso gerade einen unmenschlichen, männlichen Dämon?!!«

Rue lachte fröhlich, Harmony wollte sich am liebsten unterm Tisch verkriechen. Es war immer furchtbar, wenn sein Meister anfing von solchen Dingen zu sprechen. »Ja … also … Es ist nicht so …«, begann er.

»Und wieso …«, unterbrach ihn Ellary dröhnend. »wieso zur Hölle wirst auch noch rot dabei?!!« Rue lag schon halb auf dem Tisch und hielt sich den Bauch vor Lachen. Es war immer furchtbar amüsant, wenn Vivyan anfing über solche Dinge zu sprechen.

»Genug jetzt!« schimpfte Harmony und stand auf. »Und Rue, hör endlich auf zu lachen!! Wirklich, ihr seid diejenigen, die anstrengend sind! Kein Wunder, dass ich „sowas“ geworden bin! Hmpf.« Er stapfte die Treppe nach oben in sein Zimmer. Dort ließ er sich erleichtert vor seinem Bett nieder und legte den Kopf auf die Matratze. Sein Meister konnte wirklich lästig sein. Als ob jetzt die Zeit wäre über solche Dinge nachzudenken. »Furchtbar …«, murmelte er und schloss die Augen, suchte etwas Ablenkung und Beruhigung in den Stimmen des Holy Dark. Selbst wenn es ihm seltsam vorkam, da er sie normalerweise als unangenehm empfand. Aber dann wiederum waren sie schon zum Alltag geworden und alles was Alltag und Routine war, bedeutete Beruhigung. Er lauschte. Irgendwo von tief drinnen drang ein Gurgeln, das er bisher noch nie gehört hatte. Auch die Stimmen selbst wurden langsam lauter. Es kam ihm vor, als hätten sie bis eben auf das gehört, was in ihm vorging, und erst jetzt, da es umgekehrt war, begannen, aktiv zu werden. »Schhh«, machte er beruhigend. »Es ist alles wie immer, oder nicht?« Doch auch ihn machten die Gurgelgeräusche unbehaglich. Er seufzte. »Sollen wir dann etwas lesen?« Er setzte sich auf sein Bett, zog das schmale Büchlein unter seinem Hemd hervor und schlug eine zufällige Seite auf. Vor einigen Tagen hatte er damit begonnen das Buch näher zu studieren um zu verstehen, was darin geschrieben stand. Was ohne Worte nicht einfach war. Aber den Zauber zu verstehen war für ihn ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg zu dem Ziel, das er sich gesetzt hatte, das Holy Dark zu trösten.

Unten hatten sich die beiden Zauberer inzwischen nach draußen begeben, saßen auf der Treppe und genossen die kühle Abendluft.

»Glaubst du wirklich, dass er für den Dämonenprinzen das fühlt?« fragte Rue und beobachtete die Vögel im Himmel. »Ich meine, ist es überhaupt möglich sich in einen Dämon zu verlieben?«

Ellary brummte. »Als ob ich das wüsste …«

»Du hast im Gegensatz zu mir immerhin einige getroffen, sogar den König persönlich …« Rue stoppte. Es war nur eine kleine Reaktion von Ellary’s Seite, aber er wusste dass er einen wunden Punkt getroffen hatte. Ellary hatte eine schwierige Vergangenheit und der Tag, an dem er dem Dämonenkönig begegnet war, war definitiv der schlimmste gewesen. Auch wenn die Hauptakteure damals zwei andere gewesen waren. »Wirst du ihm Shai noch vorstellen? Du weißt, dass uns so oder so nicht mehr viel Zeit bleibt. Mir hast du ja nie verraten, wo du sie versteckt hast, aber du wirst sie sicher nicht allein zurücklassen, oder?« Der andere schwieg. »Hättest du übrigens schon längst mal machen können.«

Ellary zog eine Grimasse. »Sprich nicht so leichtfertig über sie.«

»Oho~«, neckte ihn Rue. »Nein im Ernst, das ist es doch, woran du gedacht hast, als du ihn als Schüler aufgenommen hast. Dass er ihren Fluch überschreiben kann?«

Der alte Zauberer in seinem alten verblichenen Mantel schüttelte den Kopf. »Das kann er nicht. So wie er jetzt ist, kann er das nicht. Das ist mir schon lange klar. Was das Holy Dark daran ändert, weiß ich noch nicht. Aber wenigstens wird sie in den Händen des Wächters in guten Händen sein. Also lass uns dafür sorgen, dass er lange genug lebt, um ein guter Wächter zu werden.« Er erhob sich und wollte gerade wieder in die Küche treten als er Rue’s Ausdruck bemerkte.

»Ein Gewitter zieht auf. Mein Siegel wird nicht halten.«
 

*
 

Harmony starrte an die Kante zwischen Wand und Decke. Auf seinem Schoß lag das aufgeschlagene Buch, die Seiten waren leer. Es stand nichts darin geschrieben und doch, gab es so viel zu lesen. Was sollen wir lesen, fragte er sich? Was wollt ihr hören? In dieser Seite stand so viel, was er in dem Gewirr aus unzähligen Stimmen und Geschichten nicht ausfindig machen konnte, soviel was er nicht verstand. Aber da war etwas, was alle umhüllte, was sie gemeinsam zu haben schienen. Er schloss die Augen und suchte in sich selbst nach einem Gefühl, was diesem ähnelte. Eine Geschichte, die so ähnlich klang, die er in Worte fassen konnte. Nicht gerade wie die Kante der Wand, eher ellipsenförmig. Leise ein bisschen, aber an manchen Stellen laut. Aufgebracht manchmal, aber sanft. Kühl wie Sand in der Nacht. Sand, der aus vielen feinen Kügelchen besteht, die sich an die Füße schmiegen, bei jedem Schritt knirschen und manchmal vom Wind fortgeweht werden. Sie wird wahrscheinlich dort sein. In ihrer Stube mit den rotgrünen Möbeln. Sie wird vielleicht Handarbeiten machen. Weil sie mit ihren schlechten Augen nichts anderes mehr machen kann. Der dunkelgrüne Vorhang ist schwer und riecht nach Staub und im Kamin liegt noch die letzte kalte Asche vom Winter. So wird es sein, aber … ich möchte sie trotzdem mit meinen eigenen Augen sehen. Sie sehen und sie umarmen und ihr sagen „Es ist alles gut, Mama, dein Sohn ist jetzt ein richtiger Zauberer.“ Aber das ist nicht etwas, das ich tun kann. Ich habe zu viel Angst davor, was sie antworten könnte. Mein Sohn ist vor elf Jahren gestorben. Wenn du Zauberer bist, wieso kannst mir mein Augenlicht nicht zurückgeben? Du hast deinen Vater dafür gehasst, wieso macht du dasselbe wie er? Mich kümmert nicht, ob du Zauberer bist oder nicht, ich wollte nur, dass du bei mir bist … Oder … gar nichts. Das ist nicht etwas, das ich tun kann. Ich würde weinen. Ich wäre nicht in der Lage sie noch einmal zu verlassen. Ich wünsche mir, dass sie einsam ist ohne mich. Ich wünsche mir, dass sie nicht einsam ist. Ich frage mich, ob der alte Mann mit der Katze immer noch in dem Haus auf der Klippe wohnt. Ich frage mich, ob er die Fische sehen konnte. Ich frage mich, ob er traurig war, als sie starben. Ich frage mich, ob er vielleicht noch immer darauf wartet, dass sie wieder fliegen. Ich warte noch immer …

Er öffnete die Augen. Es war ein schmerzhaftes Ziehen in seiner Brust. Eine leere Seite. Aber er hatte das Gefühl, er verstand etwas, was in ihr geschrieben stand. Soviel wie er mit seinem jungen Herzen verstehen konnte. Er atmete ein paar Mal tief ein und aus. Das Gurgeln war geblieben. Und es fühlte sich seltsam an. Wie der aufrollende Lärm bevor eine Panik losbrach. »Was bist du nur?« fragte er und rieb sich das Gesicht, als plötzlich die Tür aufflog und Master Ellary hereinstürmte.

»Harmony! Zieh dich an, wir müssen gehen.«

»Was? Wieso?« Der Junge schlüpfte verwirrt in seine Schuhe und warf seinen Mantel um.

»Sie kommen heute Nacht. Rue’s Siegel ist im Begriff zu …«

In diesem Moment krachte der erste Donner. Harmony riss die Augen auf. Auf einmal war ihm klar, was er vorher gehört hatte. Und auch dass Master Rue’s Siegel nicht halten würde. Es war so stark, weil es die Energieflüsse der Umgebung nutzte. Langsame Wechsel konnte es vertragen, aber nicht etwas Abruptes wie ein Gewitter mit Wind und Regen und elektrischen Entladungen. Er beeilte sich das Buch sicher unter seinen Sachen zu verstauen und schnallte sich sein Schwert an den Gürtel.

Ellary zuckte zusammen. Gerade hatten sie sein eigenes Siegel durchbrochen und schon im nächsten Augenblick hörte man Stimmen vor dem Haus. »Schnell!« zischte er.

»Was ist mit Rue?«

»Rue ist immer noch Mitglied des Rats, sie können ihn nicht einfach so umbringen.« Mit diesem Satz legte er den Arm um seinen Schüler und teleportierte beide aus dem Haus. Harmony war von der Wortwahl überhaupt nicht angetan. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er auch gegen die RA sein Leben verteidigen musste. Die Zauberer der RA durften nicht töten.

Sie landeten auf einem Grasfeld. Der Regen war hier bereits vorüber gezogen und aus dem feuchten Gras stieg weißer Nebel auf, der im Mondlicht leuchtete. Es war totenstill. »Wo sind wir hier?« fragte Harmony angespannt.

»Ich wollte, dass du wenigstens einmal hier warst. Vergiss diesen Ort nie. Vergiss sie nie.«

Sie? wunderte er sich, doch sein Meister hatte ihn schon wieder gepackt und das Gras und der Mond waren verschwunden. Stattdessen füllte sich der Himmel wieder mit Wolken und in der Ferne erklang das Donnergrollen.

»Wo wir auch hingehen, solange du das Holy Dark bei dir hast, werden sie uns überall finden. Wir haben also keine andere Wahl als uns ihnen zu stellen, aber …« Ellary schaute seinen Schüler eindringlich an. »Versuche nicht, gegen sie zu kämpfen. Kein Schwert, keine Magie. Gib ihnen keinen Grund dich als Gefahr zu sehen.«

Harmony nickte langsam während sein Blick von seinem Meister hinüber zu der Gestalt glitt, die sich hinter diesem näherte. Ein zweifarbiger Mantel, ein breiter Gürtel und ein schweres Schwert sowie ein Schal von der Art wie ihn auch Master Rue besaß, wie ihn jeder Inhaber eines offiziellen Amtes der RA trug. Die Stickerei zeigte eine schemenhafte schwarze Katze.

»Keine Gefahr«, echote Blackleath Rabenstein. »Dafür ist es leider zu spät. Wenn sich der Wächter des Holy Dark mit dem Dämonenprinzen verbündet, ist das natürlich eine Gefahr für die Menschheit.«

Seine Art zu sprechen widerte Harmony vom Grund seines Seins aus an. Was für eine Dunkelheit musste dieser Mann in sich tragen. Was für ein Zauberer konnte er sein? Er schüttelte sich und antwortete trotzig. »Juval hat nichts damit zu tun.« Doch Master Ellary schnippte ihm ins Gesicht und verbot ihm den Mund.

»Wenn das hier so sehr über Dämonen ist, warum stehen Sie dann vor uns und nicht Servas Essex und seine Elitetruppe von Dämonenjägern? Der Dämonenjunge ist doch nur ein glücklicher Zufall, ein willkommener Vorwand für euch, das Holy Dark zu „retten“.«

Blackleath schüttelte lächelnd den Kopf und trat näher. Weiter hinten zeichneten sich nach und nach immer mehr Schatten weiterer Personen ab. »Vielleicht ist es so, vielleicht ist es nicht. Wer weiß das schon. Ich bin nur hier um die Mission zu erfüllen, die mir vom Rat aufgetragen wurde. Ich frage dich hiermit, Harmony Snow, Sohn eines unbekannten Zauberers, Schüler von Ellary Mare, Wächter des Holy Dark. Wirst du den Zauber freiwillig abgeben und der RA, respektive Zenon French, überlassen?«

Harmony kniff die Augen zusammen. Er war verärgert. Die ordentliche Anrede samt Vater und Meister hörte sich einfach mies an. »Werde ich nicht«, antwortete er. »Oder sollte ich sagen: Ich, Harmony Snow, Sohn eines unbekannten Zauberers, Schüler eines kriminellen Zauberers, Freund des Dämonenprinzen, würde eher sterben als der RA irgendetwas zu überlassen?«

Sein Meister schnippte ihn erneut und schob ihn hinter sich. »Er hat bisweilen ein loses Mundwerk, aber die Welt in Unglück zu stürzen gehört sicher nicht zu seinen Plänen. Wenn Sie uns also einfach in Ruhe lassen …«

Doch Master Blackleath machte keine Anstalten dergleichen. Stattdessen zog er sein Schwert aus der Scheide. »Warum sind Sie überhaupt weggelaufen, frage ich mich dann. Und wie ich bereits sagte, ich habe meine Mission und mag meine Kollegen nicht enttäuschen. Wenn du meinst, was du sagtest, Harmony Snow, und das solltest du als Zauberer, dann stirb hier und jetzt!« Er sprang auf die beiden und schwang sein Schwert. Aber Ellary stieß seinen Schüler augenblicklich zur Seite, zog sein eigenes Schwert und dicker Nebel begann aufzuschäumen. »Wie richtige Zauberer«, hörte Harmony seinen Meister noch lachen. »Das hab ich beinahe vermisst!« Er konnte sie nicht mehr sehen. Nur das Aufeinandertreffen der Klingen und ihre Schritte waren zu hören. Und ihr Wind, den er deutlich spürte und der ihm ungefähr verriet, was vorging. Der Nebel musste Blackleath’s Werk sein, um ihn vielleicht irgendwann aus dem Hinterhalt zu überfallen. Zudem war da noch eine Horde Untergebene, die was auch immer taten. Auch wenn er sich schlecht dabei fühlte, seinen Meister zurückzulassen, helfen konnte er ihm im Moment wahrscheinlich doch nicht. Einmal wollte er auf ihn hören. Wenn er sie nicht sah, dann sahen ihn die anderen vielleicht auch nicht und er hatte eine Chance sich ein Versteck zu suchen. Solange bis … ja, wie lange eigentlich? Was war notwendig um diese alberne Auseinandersetzung zu beenden?

Er rannte. Die feuchte Erde machte es ihm nicht einfach, aber er vertraute seinen Füßen. Von hinten drangen stetig Geräusche und Wind zu ihm heran. Der Nebel pulsierte von Magie. Seit jenem Tag, als Ellary in die Ewige Bibliothek eingebrochen um sie zurückzuholen, hatte er sein Leben als Schwarzmagier verwirkt, zuviel Kraft hatte es ihn gekostet. Er würde der Magie von Master Blackleath nicht standhalten können. Sein Siegel war schon so leicht zu brechen gewesen. Er würde nicht … und wenn doch … Und sie … Harmony stolperte und fiel. Und das nicht nur, weil ihm von vorne die Wärme fremder Körper entgegenströmte. Er entwand sich den Händen, die versuchten ihn zu greifen. »Meister!!« brüllte er. »Meister!!« Warum? Warum?! Das Kribbeln in den Fingerspitzen und die Hände und Magie, die ihn festhielten und auf den Boden drückten. Ganz deutlich spürte er den rauen Atem seines Meisters und seine Worte für ihn. Die Stimme, die ihn fragte, aber war eine andere. »Soll ich sie essen?« »Nein! Nein!!« rief er verzweifelt. Wenn du das tust, dann … »Dann stirbt er.« Harmony krümmte sich und schloss die Augen. Eine Feuerwalze fegte über ihn hinweg, fraß den Nebel auf. Stimmen schrien durcheinander, die Hände ließen von ihm ab um sich selbst vor den Flammen zu schützen. Der Junge fühlte die Hitze nicht. Es war warm. Angenehm warm, wie zuhause, wenn er sich im Winter vor dem Kamin in die Schafsdecke gekuschelt hatte und den Gesprächen seiner Meister lauschte … Er erhob sich. Das Feuer war erloschen und Asche schwebte langsam durch die Luft. Die Wolken am Himmel waren verschwunden und aus der unendlichen Dunkelheit des Universums leuchteten Millionen Sterne. Die auf dem Feld kauernden Zauberer kamen langsam wieder zu Sinnen. Irgendwo darin stand Master Blackleath Rabenstein. Mit Verbrennungen und Schnittwunden, aber eindeutig lebendig. Von Ellary Mare dagegen war keine Spur.

Harmony richtete seine tiefblauen Augen fest auf die Gestalt Blackleath’s und stapfte über die versengte Erde auf ihn zu.

»Nur falls du denkst, vielleicht ist er nicht tot, vielleicht ist er noch irgendwo hier, er ist es nicht. Dein Meister hat seine letzte Kraft aufgebracht, um … was weiß ich anzustellen. Uns zu töten vielleicht? Dich zu beschützen? Keine Ahnung, was er sich dabei gedacht hat, es war völlig unnütz.« Blackleath lachte, doch etwas in der Erscheinung des Jungen ließ ihn schaudern. »Übergibst du mir jetzt das Holy Dark, Wächter?« Nur noch wenige Meter trennten sie voneinander.

»Er mag weg sein, aber ich bin noch da«, antwortete Harmony kühl. Er hasste es. Wie es seit Jahrhunderten, seit Jahrtausenden immer nur darum ging. Wer war stärker, wer hatte mehr Macht, mehr Geld, mehr Kühe … Andere für die eigenen Zwecke ausnutzen ohne Rücksicht. Wie Zauberer auch nach Jahrtausenden keine bessere Lösung wussten, ihre Probleme zu lösen. »Ich brauche weder Schwert noch Magie.« Auch das Holy Dark hatte Lebendiges in sich, auf das man acht geben sollte. Er ballte die Fäuste, machte einen Satz und schlug dem anderen mit aller Kraft ins Gesicht. »Ich werde sie nicht euch überlassen.«

Master Blackleath fiel auf die Knie vor Schmerzen. Der vorangegangene Kampf hatte doch seine Spuren hinterlassen. Blut tropfte auf die schwarzen Schuhe des Zaubererschülers. Wind verwehe seine Haare. Der Zauberer der RA fühlte die eigenartige Sensation des nahen Todes. Wie sein Herz mit aller Macht versuchte zu leben und stattdessen das Gegenteil erreichte und das Blut stetig aus den Wunden herauspresste. Wie aufregend. Das hatte er schon so lange nicht mehr empfunden. Er atmete tief durch und richtete sich wieder auf. Doch da wurde Harmony von hinten am Arm gepackt und weggerissen. Es war Rue, der nun an seiner Stelle vor dem Zauberer stand und ihn böse anblickte.

»Es ist vorbei, Master Blackleath«, sagte er. »Jacob und Williams sind bereits zurückgekehrt. Nehmen Sie Ihre Handlanger und verschwinden Sie auch. Für heute haben Sie genug angerichtet.«

»Ich bin so nah dran, das Holy Dark in meine Hände zu kriegen. Wäre es nicht töricht, jetzt umzukehren?« antwortete dieser herausfordernd.

»Ihre Hände …«, entgegnete Rue ruhig, griff flink nach besagten und mit einem hässlichen Krachen verdrehten sich Blackleath’s Finger in alle Richtungen, dass sogar Juval einen Moment große Augen machte. »Welche Hände?« Rue Levian wandte sich um, zog seinen Schüler hinter sich er, welcher den anderen immer noch anstarrte, bis er und Rue sich ein paar Schritte weiter in Luft auflösten.

Nur kurz herrschte noch Stille, dann eilten die auf dem Feld verstreuten Zauberer zu ihrem Meister. Der stand noch wie gelähmt, vor ihm blutverkrustete Erde. Er hatte längst aufgegeben den Schmerz zu fühlen, die Aufregung war gewichen. Ruhig erteilte er seine Befehle. Die Verletzten wurden zusammengetragen und nicht lange danach kehrten auch die Zauberer der RA dem Feld den Rücken und verschwanden. Zurück blieb nur der Dämonenprinz, unsichtbar für Menschenaugen, pflückte, was noch übrig war, und fütterte seine Kleinen damit. Zauberer, so hatte er festgestellt, waren unbarmherzig.
 

*
 

Endlich zuhause ließ sich Harmony auf sein Bett fallen und erwartete schon den üblichen Geräuschschwall, der aufkam, sobald er seine Augen schloss. Stattdessen blieben die Stimmen leise und nur eine einzelne hob sich deutlich hervor. Der Junge riss erschreckt die Augen wieder auf und blickte sich um. Das Zimmer hatte sich nicht verändert. Dann lauschte er erneut. Versucht ihr mich aufzuheitern, fragte er das Holy Dark und lächelte traurig. Wie oft hatte er vergeblich versucht, sich an diese Stimme zu erinnern … Er zog die Decke bis zur Nasenspitze, vergrub sein Gesicht im Kissen und schlief das erste Mal seit langem ohne die Hilfe des Dämonenprinzen einen alptraumlosen Schlaf.

1870: Den Weg entlang, quer übers Feld

1870

4. Den Weg entlang, quer übers Feld
 

Der nächste Morgen war kristallklar. Die Luft glitzerte förmlich und die Sonne strahlte warm. Aus der Küche drangen der Geruch von Orangentee und vertraute Stimmen. Harmony blinzelte, tastete nach dem Buch. Alles war wie immer. Das Bettzeug raschelte weiß, als er sich aufsetzte. Alles war wie immer. Doch auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch hingen die schmutzigen Sachen, Blut klebte auf den Schuhen. Der Lärm der letzten Nacht hallte noch in seinem Kopf wider. Mit wem zur Hölle redete Rue dann? Er rieb sich das Gesicht, kletterte aus dem Bett und warf sich ein Hemd um, bevor er in den Korridor trat und die Treppe in die Küche hinunter stieg.

»Ah, guten Morgen, Harmony!« begrüßte ihn Rue, während er klappernd Teller in den Schrank trug.

»Yo«, machte der andere am Tisch, die Haare schimmerten silbern in der Morgensonne.

Harmony nickte leicht verwirrt. Juval an seinem Frühstückstisch, unterhielt sich mit seinem Meister. Der Junge hielt noch einen Moment inne. Dann fragte er: »Was machst du hier?«

»Wollte nur sehen, wie es dir geht. In der Nacht war ja ganz schön was los. Ich hatte kein Abendessen, weißt du.« Die Wahrheit war, es hatte ihm nicht geschmeckt.

Harmony verzog das Gesicht. So war das also.

»Wie fühlst du dich? Hast du Hunger?« fragte ihn Rue.

Er schüttelte den Kopf und trottete nach draußen. Ihm war nicht nach essen oder reden. Er war erleichtert, Juval und Rue wohlauf zu sehen, doch die Welt hatte an diesem Morgen eine andere Farbe als früher. Ein Haus ohne den Hausherrn war nicht mehr dasselbe. Er setzte sich ins Gras und schaute. Diese Welt, das Licht, der Wind. Blickte auf seine Hände, die nichts hatten tun können. Er ließ sich auf den Rücken fallen, legte die Hände auf die Ohren und hörte seinem Blut beim Fließen zu. Ah, wie beruhigend, dachte er. Es war angenehm neben den Stimmen des Zaubers auch den eigenen Körper leben zu hören. Er atmete, schloss die Augen. Der süße Geruch der Blumen, das Surren der Insekten, Wolken, die langsam durch den Himmel zogen. Das Geräusch der Wolken im Himmel, Geschichten.

Derweil näherte sich Juval. Leise wie eine Katze strich er durch das Gras. Und er wunderte sich. Er hatte schon gesehen, wenn Menschen starben, weinten andere, das schmeckte salzig. Oder sie wurden wütend, das roch dann nach Grünkohl. Harmony schien nichts von beiden. Es war wohl salzig, aber auf eine andere Art. Er überlegte. War es Fisch? Er hockte sich neben den Zaubererschüler und schaute ihn an.

Irgendwann blinzelte dieser und sagte: »Es ist irritierend. Egal, was passiert, die Welt hört nicht auf schön zu sein.«

Juval legte den Kopf schräg und tippte ihm auf die Stirn. »Ich weiß nichts über Schönheit, aber ich weiß, dass ich Salz nicht mag. Also hör auf, salzig zu sein.« Das Geräusch der Wolken. Die Tage vergingen.

Der Dämonenprinz ging im Haus ein und aus wie es ihm gefiel. Meistens gefiel es ihm nicht. Die Atmosphäre blieb gedrückt. Rue erledigte die Arbeiten des täglichen Lebens und ordnete, was Vivyan Ellary Mare hinterlassen hatte. Allem voran Papier, viel Papier, aber auch Kunden, welche Rue nun nacheinander aufsuchte und vom Dahinscheiden Ellary’s informierte. Harmony dagegen verbrachte die meiste Zeit im Garten und tat nichts. Und wenn doch, sehr langsam. Ihm zuzuschauen war nicht spannend. Trotzdem war es genau das, was der Dämon oft stundenlang tat. Ihm zuschauen und warten. Denn ein unterschwelliger Geruch nach Erde, der täglich stärker zu werden schien, zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Etwas Interessantes bahnte sich an.

»Ne, Juval«, sagte Harmony irgendwann und legte den Arm über sein Gesicht. »Welche Farbe hat der Himmel? Ich hab ihn jetzt so lange angeschaut, dass die Farbe verloren gegangen ist …«

Der andere hüpfte von der Regentonne, auf der er bis eben gesessen hatte, und schlenderte hinüber zu dem im Gras liegenden Zauberer. »Dieselbe Farbe wie deine Augen.«

»Als wüsste ich meine Augenfarbe.«

»Dieselbe wie der Himmel.«

Harmony zog eine Grimasse und setzte sich auf. »Ich habe darüber nachgedacht …«

»Ich weiß, dass du gedacht hast«, fiel ihm Juval ins Wort und lief um die Büsche. »Du tust seit Tagen nichts anderes. Es riecht schon überall nach Asche, dass ich sie bald nicht mehr mag.«

»Dann kommst du also nur zum Essen her …«

»Natürlich. Leider braucht man für deine Asche einen starken Magen, deswegen kann ich nur wenige meiner Kleinen damit füttern …«

Harmony schaute ihm hinterher. Wenn das sein einziges Problem war … »Wie auch immer«, sagte er schließlich und stand auf. »Der Himmel hier taugt nichts mehr. Ich brauche einen Ortswechsel.« Und er dachte an den letzten Ort, den sein Meister ihm gezeigt hatte. Er wollte sie kennen lernen.

»Und wo ist sie?« fragte Juval, als sie schließlich auf dem weiten grünen Feld standen umgeben von Grashalmen, die ihnen bis an die Knie reichten. Er lief ein paar Schritte vor. Das Grün schien ihm zu gefallen. »Ich kann sie leicht finden, wenn du willst. Etwas wie sie riecht definitiv anders als Gras.«

»Mh«, machte Harmony und rührte sich nicht. Der Geruch des Grases war stark und betäubend. »Warum bist du eigentlich hier?« Der Dämon drehte sich um. »Ich meine, wieso bist du hier mit mir? Du hast kein Interesse am Holy Dark, oder?«

Ein Wind fuhr durch ihre Haare. »Zu sagen, ich wäre nicht interessiert, wäre nicht richtig. Aber mein Interesse bezieht sich nicht darauf, seine Macht zu erlangen. Ich brauche das Holy Dark nicht, um das zu erreichen, was ich will. Es ist gut, eine stetige Nahrungsquelle zu haben. Aber was ich eigentlich will, ist viel mehr wohlschmeckende Gefühle essen. Dafür ist das Holy Dark eher ungeeignet.«

Harmony bekam rote Wangen. »Dann heißt das, du isst Nacht für Nacht meine Alpträume, obwohl sie dir nicht mal schmecken?«

»Ist das komisch?« Er bahnte sich seinen Weg zurück zu Harmony. »In der Nähe von Zauberern gibt es immer viele gute Gerüche und Geschmäcke, die man bei normalen Menschen mühsam suchen muss. Aber ein gewöhnlicher Zauberer würde mich kaum in seiner Gegenwart dulden.«

»Ich verstehe«, sagte der Junge erleichtert. Also war er in gewisser Weise notwendig … Zumindest bequem.

»Außerdem …«, fuhr Juval fort und seine hellgrauen Augen schimmerten im Sonnenlicht. »Ist da etwas … Wenn du mich ansiehst, denke ich manchmal an die Frau, die mir meinen Namen gegeben hat.«

»Huh?« Harmony zog eine begeisterte Grimasse. Sowas hatte er nicht hören wollen. »Die Frau, die dir deinen Namen gegeben hat … deine Mutter?« Sowas hatte er nicht hören wollen.

»Vermutlich. Wenn man das bei Dämonen so nennen kann. Es ist nur …« Er dachte einen Augenblick nach. »Die Art wie du mich ansiehst, löst ein Gefühl in mir aus, das weder Geruch noch Geschmack hat und das mich an etwas erinnert, was schon lange her ist.« Er kniff die Augen zusammen und dachte erneut angestrengt. »Das ist, was ihr Selbstbewusstsein nennt … wahrscheinlich.« Er sah Harmony an, dessen Wangen sich wieder rosa färbten. Der Wind strich ihnen durch die Haare und über das Feld und die Wolken schoben sich sanft und langsam durch den Himmel. »Äpfel«, sagte Juval schließlich.

Woraufhin Harmony mit knallrotem Gesicht erst rückwärts sprang und dann an ihm vorbei durch das Gras stapfte. Manchmal war es wirklich lästig, wie leicht der Dämon ihn durchschaute. Alberne Fröhlichkeit. Aber er hatte ja recht, das traf recht gut, was er fühlte. Im Moment war er glücklich. Er war notwendig und die Art, in der er es war, deckte sich ziemlich genau, mit der Art, auf die Juval es für ihn war.

Irgendwann blieb er stehen und sah sich um. Irgendwo hier in diesem Feld, war sie versteckt, diese wichtige Person seines Meisters. Irgendwo hier. Er wunderte sich, warum gerade hier? War es ein bedeutsamer Ort für sie gewesen? Und wo überhaupt? »Ne, Juval, lass uns die Gegend ansehen. Vielleicht gibt es in der Nähe eine Stadt oder so. Ich will wissen, wo wir eigentlich sind.«

»Wolltest du sie nicht kennen lernen?«

»Schon, aber das hat Zeit. Im Moment kann ich noch nicht mal ordentlich auf das Holy Dark acht geben, da wäre es unverantwortlich sie aus dem Ort zu reißen, an dem sie fast zwanzig Jahre sicher geschlafen hat. Ich möchte warten, bis ich stark genug geworden bin, um sie zu beschützen.« So lästig die scharfe Auffassungsgabe des Dämonenprinzen manchmal auch war, so angenehm unscharf war sie bisweilen. Sodass Harmony ihm gegenüber Dinge sagen konnte, die ihn bei Menschen in Verlegenheit gebracht hätten. Er hatte noch Zeit. Mit noch nicht einmal sechzehn Jahren hatte er noch viel Zeit. Und hier war sie sicher. Er konnte ihre Anwesenheit spüren. Das Mädchen, für das Ellary Mare über hundert Jahre seines Lebens gelassen hatte. Diese Art von tiefer Liebe kannte er noch nicht und sein Gefühl sagte ihm, dass er bis dahin nicht in der Lage sein würde, zu verstehen, was sie ihm sagte, was es ihm sagte. Das Buch, in dem sie eingeschlossen war. »Shai«, sprach er zum ersten Mal ihren Namen. Und noch einmal »Shai.« Ein schöner Name, dachte er sich und lächelte zufrieden. Ein nostalgischer Klang irgendwie.

Als die beiden Jungen nach langem Weg durch das Gras endlich hinter Bäumen die Spitze eines Kirchturms erkennen konnten, hatten sich Harmony’s Gedanken begonnen zu ordnen. Es fehlte nicht mehr viel bis zur Lösung.
 

*

Zurück zu Hause trat Harmony allein durch die Haustür in die Küche, in welcher Rue am Herd stand und träge in einer Suppe herumrührte. Er kochte öfters, wenn er nichts anderes zu tun hatte. Und seit er Ellary nicht mehr hinterher räumen musste, hatte er öfter nichts zu tun. Als er den Jungen sah, erhellte sich seine Miene etwas, dieser dagegen machte plötzlich ein unglückliches Gesicht als er in den Topf schaute.

»Was ist mit den vielen Tomaten? Du weißt, dass ich keine Tomaten mag.«

»Ah, tut mir leid. Schau, ich kann sie auch rausholen.« Er wollte schon eine Kelle nehmen und anfangen, das Gemüse herauszufischen, aber Harmony winkte ab.

»Das ändert jetzt am Geschmack auch nichts mehr. Für heute werde ich es einfach ertragen«, sagte er und setzte sich an den Tisch. »Nur heute.«

»Ah«, machte Rue angetan und befüllte zwei Teller. »Ist heute was Besonderes passiert?«

»Nichts besonders Besonderes. Ein bisschen vielleicht.« Er knabberte an einem Brot.

Rue ließ sich ihm gegenüber nieder und stütze den Kopf auf die Hand während er auf seinem Teller die Tomaten misshandelte. »Ein bisschen also.«

»Wir haben Shai besucht.«

»Shai? Dann hat Vivyan noch …?

»Mh.«

»Und …«

»Wir haben sie noch nicht gefunden. Das heißt, wir haben noch nicht gesucht. Aber sie war da. Und ich weiß jetzt auch genau wo.«

»So. Das ist gut.« Rue war angetan, war erleichtert. Nicht nur wegen Shai, vor allem wegen Harmony. Eine lockere Atmosphäre wie jetzt hatten sie seit Ellary’s Tod nicht gehabt. Tatsächlich hatten sie kaum miteinander gesprochen. Harmony schien immer tief in seine Gedanken versunken, was es für Rue schwer machte, sich ihm zu nähern. »Trotzdem, es war leichtsinnig einfach so zu verschwinden. Wenn etwas passiert wäre.«

Der Junge lachte ihn an. »Sie riecht eigentlich sogar gut. Deine Suppe.«

»Lenk nicht vom Thema ab.«

»Jaja.« Er löffelte. »Juval war bei mir.«

Rue seufzte und begann ebenfalls zu essen.

»Was hast du ihnen eigentlich damals gesagt, damit sie Ruhe geben?« fragte Harmony irgendwann und schielte hinüber zu seinem Meister ohne dabei aufzusehen. Als dieser nicht antwortete, hakte er nach. »Wer war das überhaupt? Jacob und Williams? Du hast sie nicht verletzt, oder?«

»Jacob Ayrs und Thureau Williams. Und nein, ich habe sie nicht verletzt. Wie kommst du darauf?«

Harmony ging nicht weiter darauf ein. Er wusste, dass Rue wusste, was er meinte. »Was hast du ihnen dann erzählt? Sie werden kaum gesagt haben „oh, es ist nur Rue, dann gehen wir wieder.“ Dann wärst du eher bei uns gewesen.«

»Darum geht es dir also.«

»Nein, es geht um beides. Ich will wissen, warum mein Meister sterben musste, und ich will wissen, was man ihnen erzählen muss, damit sie uns in Ruhe lassen.«

Rue starrte auf seinen Teller. Das fast weiße Haar, das sonst hinter seinen Ohren lag, war auf einer Seite heruntergefallen. Eine lange Zeit herrschte Stille zwischen den beiden. Nur von draußen hörte man das Zwitschern der Vögel. Irgendwann begann Rue. »Ich denke Vivyans Tod war letztendlich unvermeidbar … Es ist einfach so, dass Zauberer dazu neigen ihre Probleme mit Kämpfen zu lösen. Und es ist nun mal so, dass Menschen meistens erst merken, dass etwas so nicht geht, wenn jemand dabei stirbt …« Er fühlte sich unwohl unter Harmony’s Blick. »Und im Gegensatz zu Blackleath, der so besessen ist von seinen eigenen Machtplänen, ist Jacob recht scharfsinnig und …«

»Was hast du ihnen erzählt?«

Rue lächelte seinen Schüler an, sagte aber nichts mehr. Stattdessen erhob er sich und stellte seinen Teller in den Abwasch. »Ich bin müde. Ich gehe ins Bett.«

Harmony machte sich nicht die Mühe wütend zu werden oder ihm auch nur nachzusehen. Er legte seinen Kopf auf die Tischplatte und schaute aus dem Fenster.

»Soll ich herausfinden, was er gesagt hat?« fragte ihn Juval von irgendwo. »Das ist sicherlich ein dunkles Geheimnis, das kann ich leicht essen, während er schläft.«

Aber der Junge wehrte ab. »Wahrscheinlich bekommst nur Lust ihn gleich vollständig zu essen, wenn du es erfährst. Wahrscheinlich ist es besser, wenn ich es nicht weiß und in dem Glauben weiter lebe, dass mein Meister Rue ein guter Mensch ist.«

Juval fuhr mit dem Finger über den Teller und leckte einen Suppenrest. »Zweifellos, das ist er nicht.«
 

*
 

Nach einem kurzen Klopfen, öffnete sich die Tür und unter dem Rascheln hellgrauen Stoffs trat Rozen Meyers in das kleine sonnendurchflutete Zimmer seines Freundes Ardath. Dieser saß am Fenster und blickte hinaus. Die langen aschblonden Haare lagen offen auf seinen Schultern, die Hände gefaltet in seinem Schoß. Rozen ließ sich auf dem beigefarbenen Kanapee nieder. Eine Zeit lang herrschte Stille, bis Ardath ohne den Kopf zu wenden begann. »Und was führt dich her mit solch einer ernsten Miene?«

Rozen schüttelte den Kopf. »Wieso fragst, wenn du es schon weißt?«

Der andere lachte ihn an. »Der Höflichkeit halber? Vielleicht irre ich mich ja auch einmal.«

Sein Freund seufzte. In all der Zeit, in der ihn kannte, konnte man seine Irrungen an einer Hand abzählen. »Wieso lässt du ihn gewähren? Jemand wie er hat nichts in der Nähe des Rates verloren.«

Ardath stimmte ihm zu. »Aber es ist doch interessant, findest du nicht? Ich fürchte, in Zukunft wird das Holy Dark mit Harmony Snow nur noch langweiliger werden als es mit Aubrey Vane war. Da kommt das gerade recht. Und bequem ist es auch noch.«

Rozen zog eine Grimasse. »Und ich fürchte, du hast dein Ziel aus den Augen verloren.«

»Das hab ich wohl.« Und Ardath’s Lächeln schmälerte sich, als er den Blick wieder nach draußen wandte. »Dann wiederum habe ich manchmal das Gefühl, dass Zenon ein ganz ähnliches hat. Ziemlich paradox, nicht wahr?«

Rozen fuhr sich durch sein dunkles Haar. Zauberer waren so anstrengend. Wenn sie einmal das sagen würden, was sie tatsächlich dachten, tatsächlich wollten, wäre alles so viel einfacher. Dann würden welche, die dachten, sie arbeiteten gegeneinander, plötzlich erkennen, dass sie für dasselbe kämpfen, und so viele Missverständnisse klärten sich endlich auf … So anstrengend. Deswegen hatte er niemals diese Art von Zauberer werden wollen und sich stattdessen für die Dämonenjäger entschieden.

»Aah. Ich mag ihn wirklich nicht« stellte Ardath vergnügt fest. »Dieser jugendliche Optimismus und die Direktheit …«

»Erinnert dich an jemanden, was?« bemerkte Rozen grimmig und erntete dafür ein amüsiertes Blinzeln. »Weißt du eigentlich, was er vorhat?« fragte er schließlich und meinte nicht Harmony.

»Sicher. Wenn ich es nicht wüsste, könnte er sich hier nicht so frei bewegen. Zusätzlich – zur Beruhigung aller anderen – habe ich mir überlegt, ihm Jacob zur Seite zu stellen, damit der praktisch auf ihn aufpasst.«

»Ausgerechnet Jacob?« Jacob Ayrs war nicht unbedingt der Typ von Mensch, dessen Anwesenheit einem Beruhigung verschaffte.

»Sie haben sozusagen dasselbe Hobby.«

Rozen überlegte einen Augenblick. »Meinst du diese Clairvoyance-Sache?«

»Genau die.«

Der alte Dämonenjäger schüttelte den Kopf und stand auf.

»Vergiss nicht, dass es auch einen großen Vorteil hat, ein gutes Verhältnis zur Wizardry zu pflegen«, rief Ardath ihm noch nach, bevor er die Tür erreichte.

»Sicher. Sicher.« Rozen legte die Hand auf die Messingklinke. »Ich habe vollstes Vertrauen darin, dass du solche Dinge nicht einzig deiner persönlichen Belustigung wegen anstiftest und durchaus die Kontrolle behältst. Aber ich würde es begrüßen, wenn du vorher mit mir darüber sprichst.«

»Aah. Tut mir leid«, versuchte Ardath ihn zu besänftigen. »Das nächste Mal wieder.«

Rozen schickte ihm einen fiesen, aber nicht wirklich ernst gemeinten Blick zu. »Wir sehen uns dann zum Essen«, sagte er und verließ den Raum. So anstrengend!, wiederholte er in seinen Gedanken und durchschritt langsam den angenehm kühlen Korridor. Sie kannten sich nun schon so lange, in Jahren gemessen ein ganzes Leben, er war wahrscheinlich der einzige, gegenüber welchem sich Ardath offen und liebenswürdig verhielt. Und trotzdem neigte jener dazu, solche entscheidenden Angelegenheiten unausgesprochen zu lassen. Der große Makel so vieler Zauberer. Woher er kam, konnte Rozen nicht sagen. Aber er war imminent. Die meisten namhaften Zauberer aus Gegenwart und Geschichte behielten ihr tatsächliches Objektiv für sich. Ardath, Zenon, Lirith May, genauso wie damals Juno Vane und selbst Eiru Roche. Auch wenn man seines durch ein wenig Überlegen leicht herausfinden konnte. Diejenigen, die ganz unverblümt sagten, was sie wollten, wie Shai Liona Martillo oder Jacob Ayrs, waren erfrischende Ausnahmen. Das war ein Punkt gewesen, den Rozen Meyers versucht hatte seinem Schüler Servas mit auf den Weg zu geben. Größtenteils war er erfolgreich gewesen, doch viel mehr hatte Servas von jenen leisen, manipulativen Methoden Lord Ardath’s gelernt. Diese beherrschte er allerdings zuverlässig, musste Rozen ihm zugestehen. So sehr, dass es wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit war, bis Servas bestimmte, in welche Richtung sich Lirith May’s Fäden ausspannen würden. Master Rozen seufzte laut. Und das war es sicherlich, was Ardath als so interessant empfand. Ihm bereitete es nur Kopfschmerzen. Er war zu alt für diese Spielchen.

An einer Gabelung des Ganges hielt er inne. Cecil Loco kam ihm wippend entgegen. Zu alt, schoss es ihm erneut durch den Kopf. Welche Rolle spielte eigentlich Cecil in Servas’ Plänen?

»Guten Tag, Master Rozen«, begrüßte ihn der Junge brav.

»Hallo, Cecil. Was führt dich denn hierher?«

Der Zaubererschüler vergrub die Hände in den Hosentaschen und wandte das Gesicht zu einem der Fenster. »Nichts weiter. Nur Laufen.«

»Ich verstehe«, lachte der Alte. Genau das war eine der wunderbaren Eigenarten der Gebäude der RA, die er selbst so gern ausnutze. Eine Zeit lang ruhten seine Augen noch auf dem Jungen mit seinem fast weißen Haar und den scharfen Gesichtszügen. Dann klopfte er ihm auf die Schulter. »Sieh nur zu, dass du nicht zu einer von Servas Schachfiguren wirst.«

Cecil sah mit großen Augen zu ihm hoch. »Mh«, sagte er dann und beobachtete, wie sich der alte Zauberer entfernte, bis das Sonnenlicht ihn verschluckte. Ihm selbst war die Lust am ziellosen Herumlaufen vergangen. Rozen Meyers’ unverhüllte und aufgeschlossene Art irritierte ihm immer. Er hatte gelernt mit Servas’ grimmiger Direktheit umzugehen und Zenon’s leicht befangener Freundlichkeit. Doch Master Rozen blieb ungewohnt und erinnerte ihn oft an die Dreistigkeit, mit welcher ihm vor zwei Jahren Harmony Snow begegnet war. Cecil kletterte auf den Wandsockel, um aus einem Fenster sehen zu können. Unter ihm lag das Dach des Schulgebäudes, auf dem kein Vogel saß, und noch tiefer der Hof. Gerade tummelten sich dort viele Schüler, schwatzten und lachten. Der Junge seufzte und legte das Kinn auf die Hände. Es war schon zwei Wochen her, dass er das letzte Mal zum Unterricht gegangen war. Wenn er die anderen so sah, vermisste er es manchmal. Aber sobald er drinnen saß, würde er sich nichts sehnlicher wünschen als nicht dort zu sitzen.

Plötzlich schreckte er auf. Von rechts näherte sich jemand mit geräuschlosen Schritten, aber einer Ausstrahlung, die ihn frösteln ließ. Er stieg vom Sockel.

Es war ein Mann mit blonden, leicht gewellten Haaren und einer weißen Robe mit fliederfarbenen Nähten. Cecil hatte ihn noch nie gesehen, aber das Zeichen auf dem Mantel kam ihm bekannt vor und der Schal wies auf ein offizielles Amt.

Der Mann nickte ihm freundlich zu, als er ihn erreichte, und erhob seine leise, aber schneidende Stimme. »Guten Tag. Du musst Cecil Loco sein, von dem ich schon so viel gehört habe?«

Der Junge schüttelte sich unwillkürlich. Ihm war, als würde sein Atem gleich weiße Wölkchen bilden. »Der bin ich«, sagte er heiser. »Und Sie?«

Doch der Fremde ignorierte diese Frage und beugte sich stattdessen zu ihm hinunter um seinerseits fortzufahren. »Verzeih, wenn dir meine Gegenwart Unbehagen verursacht. Aber wenn du so sensibel bist, frage ich mich, wie gut wohl deine Augen sehen?«

Cecil kniff dieselben zusammen und antwortete barsch. »Gar nicht gut!«

»Oh. Das ist schade.« Der Mann richtete sich wieder auf und strich sein Haar zurecht. »Wirklich schade. Sonst hättest du mir vielleicht bei einer bestimmten Sache sehr behilflich sein können.« Er machte eine Pause. »Nun denn, wir laufen uns von nun an sicher öfter über den Weg. Auf wiedersehen, Cecil.« Er lächelte, nickte und schlug den Weg ein, aus welchen Rozen gekommen war.

Cecil blickte ihm verstört nach und schüttelte sich erneut. Jemandem mit so einer gefährlichen Aura war er noch nie begegnet.
 

*
 

Ärgerlich verscheuchte Ellary Mare die Tauben, die um seinen Kopf herumflatterten und watete mit angehobenem Mantel durch die halb überflutete Gasse. Lian Withers hatte ihm versprochen, ihn in der richtigen Stadt raus zu lassen, aber gerade zweifelte der alte Zauberer mal wieder an der Vertrauenswürdigkeit jenes Mannes, der allgemein einen sehr fragwürdigen Ruf besaß. Lian Withers betrieb einen Spielzeugladen, auf erster Ebene. Eigentlich war es Magiegeschäft, das den durchschnittlichen Bürger mit allem ausstattete, was er für seine kleinen Zauberrituale und Hexenkünste benötigte. Weswegen er bei den tatsächlichen Zauberern nicht beliebt war. Trotzdem kamen sie oft zu ihm. Denn sein drittes Handelsgut waren Informationen. Was Lian Withers nicht wusste, fand auch niemand anderes heraus, außer Servas vielleicht. Und egal wer man war oder welcher Gilde man angehörte, man konnte jede Information erwerben, sofern man willens und in der Lage war den Preis zu bezahlen. Ellary hatte Glück gehabt. Der Preis für den derzeitigen Aufenthaltsort Aubrey Vane’s war erschwinglich gewesen. Ganz im Gegensatz zu seinem Versteck als Wächter. Aber das war ja inzwischen nicht mehr von Belang und so machte sich Ellary Mare nun auf den Weg zu dem alten Mann, von der Hoffnung angetrieben, ihn noch lebendig anzutreffen.

Er erreichte eine trockene, größere Straße und beschloss ihr rechterhand zu folgen. Einen Berg hoch, einen Berg hinunter, aber es roch nach Meer. Vielleicht hatte Lian ihm wirklich die richtige seiner zwei dutzend Türen geöffnet. Je näher Ellary dem Wasser kam, desto belebter wurde die Stadt. Es war auch Morgen. Schon viel zu warm. Und da, zwischen den sandfarbenen Häusern, blitzte es blau und hörte auch nicht auf, wenn man den Blick über die Dächer hinweg hob. Der strahlende Beginn eines Tages. Die Augen des Zauberers tränten geblendet. Vor ihm breitete sich ein weiß gepflasterter Platz aus mit einem plätschernden Brunnen im Zentrum, zwei oder drei Cafes auf der einen Seite und weiten Treppenstufen auf der anderen. Ellary Mare spähte durch die nie zur Ruhe kommenden Menschen hindurch. Das Geräusch des Wassers, aufgeregt davon fliegende Tauben und zurückgelassene Federn, die langsam zu Boden schwebten. Schritte und Wörter und ein Wind, der nach Salz roch und nach Brot. Ellary wandte den Kopf. Hier war es. Schüttelte die Satzfetzen ab, die sich um ihn gesammelt hatten, und trat auf die Treppe.

Auf einer Stufe weiter oben saß klein und unscheinbar ein Greis. In einen zerschlissenen Umhang gehüllt aber mit ordentlich gepflegten Schuhen. »Wenn das nicht Ellary Mare ist, guten Morgen«, begrüßte er den Jüngeren. »Ein prächtiges Siegel haben Sie da aufgebaut, man spürt den Zauber fast gar nicht mehr.«

»Das was hauptsächlich Rue«, antwortete Ellary und schaute noch einmal um sich. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn wir uns an einem ruhigeren Ort unterhielten?«

»Ganz und gar nicht.« Master Vane griff nach seinem Gehstock und erhob sich etwas mühselig. »Aber dann müssen Sie auch meine Langsamkeit ertragen.«

Sie begannen die Treppe hinunter zu schlendern und sich in die Menge zu mischen, um nach kurzer Zeit wieder aus ihr heraus in den Schatten einer Gasse zu gleiten und von dort aus einsameren Wegen zu folgen. Aubrey Vane’s Stock klackte bei jedem Schritt und bisweilen rasselte seine Lunge ein wenig. »Dass Sie mich wegen des Holy Dark aufsuchen, steht wohl außer Frage, aber was genau liegt Ihnen auf dem Herzen, Master Ellary?«

»Dass Sie das Holy Dark zurücknehmen, steht wohl auch außer Frage, daher begnüge ich mich dem Wissen, was sich in siebzig Jahren Wächterdasein ansammelt. Ihre Einweisung ist etwas kurz ausgefallen, wie mir Harmony erzählte.«

»Ah ja«, schnaufte Aubrey unter einer Steigung. »Dafür muss ich mich entschuldigen. Das war eigentlich nicht meine Absicht. Aber ich hatte so viele Jahre in meinem Versteck ohne Kontakt zu anderen verbracht, dass mir vieles einfach entfallen ist.«

»Ah ja. Und jetzt?«

»Das meiste scheint zurückgekehrt zu sein.«

»Dann beginnen Sie am besten am Anfang.«

Master Vane schnaufte erneut lautstark, tat aber wie geheißen. »Wie Sie vielleicht wissen, sollte damals eigentlich mein älterer Bruder Juno die Aufgaben des Wächters übernehmen. Allerdings fühlte er sich nach den Ereignissen um seinen Sohn nicht mehr in der Lage dazu.«

»Master Juno hatte einen Sohn?«

»Eben. Niemand wusste, dass er der Vater war. Und eventuell hätte er ihn retten können, hätte er es gesagt, aber er zog es vor zu schweigen.«

»Dieser Sohn … ist dann nicht etwa Faron Navere?«

»Niemand anderes.«

Ellary schüttelte den Kopf. Plötzlich machte Geschichte einen Sinn.

Aubrey Vane fuhr fort. »Durch diesen Fehltritt, Fehler, Schuld war er sehr verwundbar geworden und neigte dazu, sich leicht von anderen manipulieren zu lassen. Was als Wächter natürlich ganz unpassend war und das wusste er. Deswegen übertrug er den Zauber, kurz nachdem er ihn erhalten hatte, mir und wir ließen es für die Öffentlichkeit aussehen, als hätte ich ihn mit Gewalt an mich genommen. Das war für alle das Beste, dachten wir. Allerdings hatte ich die Macht und Penetranz des Zaubers unterschätzt und die vielen Kämpfe machten ihn noch unruhiger. Sodass ich nach wenigen Jahren nur noch wünschte, dass er aufhörte. Ich war bereit auf der Stelle zu sterben, wenn ich dafür ewige Ruhe erhielt. Aber statt des Todes fand ich eine Welt, die mich nur sehen ließ, was ich sehen wollte. Mir nichts bot, aber auch nichts verlangte. Und unserer beider Sinne so betäubte, dass das Holy Dark nur mehr ein Hintergrundrauschen wurde wie der Ozean. Und ich begann zu sehen, was ich sehen wollte und schaute ohne zu denken. Die Menschen, die vorübergingen in ihrer Welt wie hinter einem Schleier, und nur ab und zu fiel mir etwas ein, über das ich den Willen fand nachzusinnen. So verging die Zeit, ohne dass ich viel davon bemerkte. Bis ich eines Tages in einem wachen Moment gewahr wurde, dass ich viel gesehen und gehört hatte und dass ich vor meiner Zeit alt geworden war. Was nicht verwunderlich ist. Selbst ein Zauberer lebt nicht allein von dem, was er hört und sieht. Also habe ich endlich bewusst geschaut, um meinen Nachfolger zu finden, und mich für Harmony Snow entschieden.«

Ellary beobachtete ein paar Tauben. Inzwischen hatten sich die beiden Männer auf einer Bank auf einem Friedhof niedergelassen, wo hohe Ahornbäume angenehmen Schatten spendeten. »Sind Sie nicht auf die Idee gekommen, dass es genauso gefährlich sein könnte, es einem Kind anzuvertrauen wie der RA oder Gotis selbst?«

»Doch natürlich. Aber, wie er es nennt, ich halte ewige Hoffnung. Tatsächlich hätte ich das Holy Dark eher an das Crest of Gotis oder eine der kleineren Gilden gegeben als an die RA. Die Herrin von Gotis hat gerade einen vielversprechenden Jungen geboren.«

»Eher Gotis als die RA?« empörte sich Ellary. »An Ardath niemals oder irgendeinen Rabenstein, aber ein paar vernünftige Männer gibt es doch noch.«

Aubrey rasselte müde. »Aber das Problem bei so einer Organisation ist die Unabhängigkeit. Master Fio wäre ideal gewesen. Oder seine Tochter.«

Der andere machte einen verächtlichen Laut. »Ich glaube, in dem Punkt kannte ich sie besser als Sie.« Gerade Shai und das Holy Dark wären eine bedrohliche Kombination gewesen. »Aber wenn Sie soviel von den beiden hielten, was ist mit Rozen Meyers? Er hat ähnliche Auffassungen.«

»Zu alt.«

»Ah. Das stimmt. Und sein Schüler? Servas Essex?«

»Nie. Nie!« Der Alte schüttelte sich.

Und Ellary sackte zusammen. Es hatte wohl keinen Sinn sich jetzt noch darüber zu streiten. »Lassen wir das.« Er musterte den krummen alten Mann. Seine fleckige Haut hatte schon beinahe jegliche lebendige Farbe verloren. Die knochigen Hände zitterten. »Gibt es sonst noch etwas, was Sie Harmony mit auf den Weg geben könnten?«

Aubrey Vane betrachtete eine Weile stumm die dunklen Grabsteine, die in der Nähe aus dem grünen Boden ragten. Keiner trug einen Namen. »Nur eines«, sagte er schließlich. »Halte ewige Hoffnung.«

Das war vor zwei Wochen gewesen. Aubrey Vane war nicht mehr und auch Ellary Mare nicht und der neue Wächter krümmte sich gerade unter heftigen Kopfschmerzen am Fuß seines Bettes. Rue kam ins Zimmer und fragte etwas. Der Junge ahnte nur, was es war. »Es geht schon«, antwortete er atemlos. »Es geht schon.« Die Stirn auf dem Holzboden, die Augen geschlossen. Manchmal hatte das Holy Dark solche Phasen. Vielleicht geschah gerade irgendwo auf der Welt etwas besonders Grauenhaftes? Nein, das konnte es nicht sein. Es verging keine Sekunde, in der nicht etwas Grauenhaftes passierte, eines so schlimm wie das andere. Es war wohl nur eine Phase, ein vorübergehender Ausbruch wie ein Kind, das plötzlich Heimweh verspürte und wenig später schon wieder mit den anderen Kindern lachte. Vorübergehend. Wie eine Wolke.

»Was hast du ihnen erzählt?« fragte Harmony immer noch gekrümmt.

Rue, der neben kniete, blickte traurig auf ihn herab. »Das kann ich dir wirklich nicht sagen.«

»Also war es etwas Gemeines? Denn ich dachte, wenn ich ihnen dasselbe erzähle, gäben sie vielleicht Ruhe.«

»Nein. Gerade weil es etwas Gemeines war, darfst du ihnen das nicht erzählen.«

»Ich verstehe.« Langsam ließ der Schmerz nach und Harmony entspannte sich wieder. »Aber ich hab ihnen auch so genug zu erzählen.« Er blickte auf zu seinem Meister. »Kannst du ein Treffen organisieren zwischen der RA und mir?«

Rue traute seinen Ohren kaum. »Du willst was?!«

»Ein Treffen zwischen der RA und mir! So wie es jetzt ist, kann es doch nicht weiter gehen. Ich will mich nicht verstecken müssen und ich will nicht kämpfen. Erst recht nicht, wenn ich nicht einmal weiß, was die anderen wollen. Vielleicht sind unsere Ziele gar nicht so weit von einander entfernt. Ich will hören, was sie mit dem Holy Dark und mir wollen, und ich will sie hören lassen, was ich vorhabe. Und dann können wir entscheiden, ob wir uns vertragen oder nicht.«

Rue war sprachlos. Vielleicht war es ein bisschen gewagt, aber vielleicht auch der einzig vernünftige Weg, der ihnen blieb. Der, den gereifte Zauberer wie er in ihren festgefahrenen Rollen nicht mehr sahen. Er senkte das Haupt. »Ich werde mit Zenon sprechen. Wo und wann hättest du es gerne?«

»So schnell wie möglich. Heute bei Nachteinbruch … irgendwo, wo keine Außenstehenden mit hinein gezogen werden könnten.«

Rue nickte und erhob sich. »Ich bereite dann eine offizielle Einladung vor.« Er lächelte und verließ das Zimmer.

Harmony krabbelte müde auf sein Bett und schmiegte sich an sein Kissen. Nicht mehr lange und alles würde viel besser werden. Darauf vertraute er. Natürlich wusste er, dass es auch anders kommen könnte, wenn sie ihn nicht verstanden oder nicht verstehen wollten oder tatsächlich einfach alles ganz anders dachten als er. Aber im Moment konnte er sich nur an die Hoffnung klammern. Die letzten Worte seines Meisters. Er schloss die Augen. Und unten im Garten fand Juval zwischen Rosen und Erde auch eine Hand voll Erdbeeren.
 

*
 

Eine kühle Brise strich durch das Gras, in dem Harmony hockte und nervös in die Ferne starrte, vorbereitet jeden Moment aufzuspringen, sollte sich etwas regen. Es war Zeit. Die Sonne war hinter dem Horizont verschwunden und der Himmel wurde bald dunkel. Rue stand etwas weiter ab in seiner weißen offiziellen Robe mit dem zugehörigen Schal. Die Stickerei zeigte einen Eiskristall. Der Zauberer schien nicht weniger aufgeregt als sein Schüler. Er hatte die Einladung geschrieben und sie standesgemäß von Lleu Grandis, dem offiziellen Postboten der RA, überbringen lassen. Und er hatte sich später auch noch einmal mit Zenon privat abgesichert, aber wer tatsächlich alles auftauchen würde, wusste er nicht. Obgleich das maßgeblich entscheidend für den Ausgang des Treffens war.

»Sie kommen«, bemerkte Juval und verschwand in einem Schatten.

Harmony richtete sich auf, ballte die Fäuste und atmete tief durch.

Kurz darauf tauchte eine ganze Reihe von Silhouetten in der Ebene auf. Zenon French an der Spitze, ebenfalls in Robe mit Schal. Seinen zierte ein Immergrün. Die anderen Gestalten erkannte Rue teilweise als Mitglieder des Erweiterten Rates, teilweise als ganz gewöhnliche Zauberer. Von den Herren des Inneren Rates war wirklich nur Zenon erschienen. Was wiederum nicht allzu verwunderlich war, wenn man bedachte, dass es nur sieben Mitglieder gab, zwei jetzt hier standen, einer im Krankenbett lag und weitere zwei ganz andere Interessen als das Holy Dark hatten.

»Guten Abend, Harmony Snow, Master Rue«, begrüßte sie Zenon förmlich.

»Ah … hallo …«, antwortete Harmony und knickte innerlich zusammen. Er versagte gerade bei den einfachsten Dingen. Er riss sich zusammen, ging auf den Zauberer zu und streckte ihm die Hand entgegen. »Es freut mich Sie wiederzusehen, Master Zenon.«

Dieser ergriff sie freundlich. »Ganz meinerseits.« Dann trat er einen Schritt beiseite, um die Aufmerksamkeit auch auf die anderen zu lenken. »Ich war sehr positiv überrascht von deiner Einladung und bin gerne bereit, dir zuzuhören und mit dir zu sprechen. Ebenso wie diese Männer. Verzeih, wenn ich sie nicht alle namentlich vorstelle. Ich hoffe, wir können gemeinsam eine produktive Unterhaltung führen.«

Harmony nickte. Deswegen waren sie hier. Er holte Luft. »Dann fange ich gleich an. Ich plane nicht, das Holy Dark in irgendeiner Weise zu nutzen, die der RA oder der Welt schädlich sein könnte. Ich will gegen niemanden kämpfen, ich will niemanden verletzten oder töten. Vielmehr denke ich, dass es umgekehrt ist. Es gibt wohl genug Leute, die dem Zauber schaden wollen. Er ist zwar nicht in dem Sinn lebendig wie ein richtiger Mensch, aber er wurde aus Menschen geboren, deswegen denke ich, dass er trotzdem in einer Weise lebendig ist. Sowas wie eine Seele hat oder zumindest Teile davon … Ich meine, ich höre ihn und weiß, dass es mehr wehtut, wenn sich um uns herum alles streitet oder unglücklich ist. Was ich also will, was ich entschieden habe …« Und er blickte fest in die Menge. »Ich werde das Holy Dark trösten.« Und zog die Lautstärke an um das Raunen zu übertönen. »Ich werde ihnen ihre Trauer und Angst nehmen und sie zum Lächeln bringen! Weil es das ist, was ein Zauberer macht, und weil es das ist, weswegen ich Zauberer geworden bin. Um die Dunkelheit zu durchdringen.« Er schaute hinüber zu Master Zenon und war erleichtert. Er schien sehr angetan zu sein.

Doch aus der Gruppe der anderen erhob sich eine zweifelnde Stimme. »Weißt du eigentlich, wie alt das Holy Dark ist? Meinst du nicht in all der Zeit hätte man das nicht schon längst gemacht, wenn es möglich wäre?« Andere stimmten ihm zu.

»Ich weiß, dass es alt ist«, antwortete Harmony. »Aber ich weiß nicht, was andere versucht haben oder nicht. Vielleicht gab es welche, die es versucht haben und vielleicht hatten sogar Erfolg, wurden aber zu schnell von anderen abgehalten, die das Holy Dark lieber intakt für sich haben wollten.«

»So …«, machte Zenon. »Das ist möglich.«

»Und was ist …«, begann ein anderer und trat vor. »Was ist mit dem Dämon? Die Vergangenheit hat uns gezeigt, dass Dämonen den Menschen immer nur geschadet haben. Auch wenn du sagst, du willst das nicht, aus unserer Erfahrung schließen wir, der Dämon will es doch. Da können wir doch unmöglich so etwas Mächtiges wie das Holy Dark in seiner Reichweite lassen.« Wieder stimmten viele zu.

Harmony stand einen Moment da, unschlüssig, was er zuerst entgegnen sollte. Da ergriff Rue hinter ihm das Wort. »Ich glaube, wenn der Dämonenprinz den Zauber wirklich wollte, hätte er sich ihn schon lange geholt. Er war nach dem Crest of Gotis der zweite, der auftauchte, kurz nachdem Harmony das Buch erhalten hatte. Und seitdem gab es viele Möglichkeiten, in denen er uns hätte „schaden“ können. Ich denke nicht, dass er irgendetwas dergleichen vorhat. Und selbst wenn, bräuchte er wohl nicht das Holy Dark dazu.«

Der Junge musste grinsen. »Master Rue hat recht. Juval und ich sind Freunde. Sollte er auf Ideen kommen, die ich für falsch halte, werde ich versuchen, ihn abzuhalten. Das schließt auch das Holy Dark mit ein. Ob Freund oder nicht, ich habe nicht vor, irgendjemanden das Holy Dark zu überlassen, sofern er meine Ziele nicht besser umsetzen kann als ich selbst. Wenn jemand sagt, ich will das und das und dafür möchte ich deine Hilfe, werde ich es bedenken. Wenn jemand allerdings unsere Leben gefährdet, werden wir uns natürlich entsprechend verteidigen.«

Zenon nickte. Jeder würde so handeln.

»Darf ich Sie jetzt etwas fragen?« richtete sich Harmony an den Zauberer, welcher erneut nickte. »Wissen Sie, was Rue Master Jacob und Master Thureau an dem Abend vor unserem Haus erzählt hat?«

Hinter ihm schlug sich Rue die Hand an den Kopf. »Harmony …«

»Tut mir ja leid, aber ich dachte, ich nutze die Chance mal …«

Das passte zu den beiden, Zenon hatte nichts anderes erwartet. »Leider weiß ich das auch nicht.« Harmony zog ein langes Gesicht. »Aber es schien recht befriedigend für die beiden zu sein. Sonst wären sie heute hier.«

Harmony seufzte. Dann war es mit Sicherheit gemein gewesen. »Dann zurück zum ernsthaften. Was will die RA mit dem Holy Dark?«

Zenon schaute den jungen Wächter etwas resigniert an. »So etwas wie eine absolute Wahrheit der RA gibt es nicht.«
 

*
 

Servas stellte ein Glas Wasser auf den Tisch, an dem Cecil saß und mit ernsthafter Miene an einem Läufer schnitzte. Eine Zahl anderer Figuren und unbenutzter Holzklötzchen reihten sich bereits fröhlich dreinblickend vor ihm auf. »Was machst du da?« fragte der Ältere trotzdem, während sein Blick hinunter zum Boden wanderte, auf dem allerlei Holzspäne lagen.

»Ein Schachspiel für dich und Zenon.«

»Dann«, sagte er und tippte auf den Kopf eines Springers. »mach den hier neu. Er ist viel kleiner als die anderen.«

Cecil reagierte nur mit einer Augenbewegung. Eine kurze Zeit schaute Servas dem Jungen noch zu, dann holte er sich den Stuhl von der Tür heran und setzte sich. »Weißt du«, begann er. »Du solltest dich langsam entscheiden, was du willst. Jemand ohne Perspektive ist auf die Dauer zu anstrengend für mich. Dass dein Meister dich verstoßen hat, ist letztendlich nicht so nachteilig wie du denkst.« Cecil sah ihn an. »Du musst dich nach niemanden richten bei dem, was du lernst. Du kannst werden, was du willst. Alles machen, was du willst. Deinen eigenen Weg wählen. Du kannst und du musst nur selbst entscheiden.«

»Alles, was ich will ...«, wiederholte Cecil langsam. Plötzlich wurde sein Gesichtsausdruck lebendig. »Dann will ich zu dem Treffen zwischen Master Zenon und Harmony!«

Servas schien alles andere als überrascht. Er erhob sich, pflückte schwungvoll seinen Mantel vom Schrankhaken und grinste. »Nichts leichter als das.«
 

*
 

»Ich kann dir nur sagen, was ich weiß, oder was ich glaube zu wissen«, begann Zenon. »Heutzutage sagen die meisten Zauberer nicht mehr, was sie tatsächlich wollen. Das ist wahrscheinlich eine Art Trend durch verschiedene Faktoren ausgelöst, die hier jetzt nicht so wichtig sind. Was den Teil der RA betrifft, der zu den Rabensteins gehört, ist es so, dass die Vorfahren dieses Clans bereits an der – sagen wir Geburt – des Holy Dark beteiligt waren, damals auch viele Wächter gestellt haben und es quasi Gewohnheitsrecht geworden ist, das Holy Dark zu besitzen. Gerade als es auf ein bewegliches Medium übertragen wurde und damit die Kämpfe richtig entfacht sind, waren die Rabensteins noch die bessere Wahl, einen der Menschheit nicht schädlichen Umgang mit dem Zauber zu gewährleisten. Das hat sich mit der Zeit geändert, besonders als sich Gotis von der RA abgespalten hat. Seitdem war kein einziger Wächter mehr von der RA oder ein Rabenstein. Verständlich, dass sie es endlich zurückwollen. Gewohnheit eben, Ansehen, Kontrolle … Nur dass es heute nur noch zwei große Gilden gibt und auch die Auseinandersetzungen mit den Dämonen deutlich abgenommen haben, sodass es eigentlich egal ist, wer das Holy Dark besitzt, solange er damit nicht die Welt vernichtet.« Zenon seufzte angespannt. Hinter ihm traten einige Zauberer nervös auf der Stelle. »Das ist zumindest meine Sicht der Dinge. Natürlich wollen andere das anders sehen. In jedem Fall gibt es keinen einheitlichen Kurs. Es gibt die Rabensteins hier und den da und den anderen dort … Ich persönlich bin froh, wenn ich nichts mit dem Holy Dark zu tun habe. Und was Lord Ardath angeht, denke ich sogar, dass er eigentlich auch n…« Ein plötzliches Tosen verschluckte Zenon’s Worte.

Harmony sah ihn sprechen, aber es war einmal mehr wie es immer war mit Zauberern: Das Wichtigste hörte man nicht von ihnen. Aber er hörte Rue hinter sich rufen, riss instinktiv die Arme vors Gesicht und duckte sich. Dass sich dabei zwei messerscharfe Windklingen lösten und geradewegs durch das Tosen schossen, bemerkte er nicht.

Master Zenon wusste gerade nicht mehr, wo ihm der Kopf stand. Die Luft war plötzlich gefüllt von Magie. Irgendjemand in der Gruppe hatte angefangen und die anderen hatten wohl wie Harmony reflexartig reagiert. Panik.

Er versuchte dem Durcheinander Einhalt zu gebieten, aber seine Stimme wurde überhört und für einen Mann allein war es einfach schwierig gegen die Magie von fast zwanzig anzukommen. Wieso?! fragte er sich. Fürchten sie sich tatsächlich so sehr vor ihm? Oder wollen sie nicht vernünftig sein?!

Wieso, das fragte sich auch Harmony. Er saß im Gras, die Augen aufgerissen ohne wirklich zu sehen. Um sich herum spürte er Rue’s Felder pulsieren. Er verstand nicht, wie es zu dieser Situation gekommen war. Eben noch hatten sie sich normal unterhalten und jetzt tobte ein Kampf?! Genau das hatte er doch verhindern wollen …!

Er stand taumelnd auf und erhob die Stimme. »Aufhören …« Und noch einmal »Aufhören!!« Und dabei machte er eine energische Geste mit der Hand und wieder bildete sich eine Windklinge, die mitten in die Menge traf. Einige Zauberer schrien auf. Harmony starrte auf seine Hand. Gerade verfluchte er das Holy Dark fürchterlich. Offenbar hatte es sich über seinen Willen hinweg gesetzt und verteidigte sich selbst. »Wieso?« knirschte er böse, an den Zauber gerichtet wie auch an die Menschen. »Hört einfach auf damit!! Das ganze macht doch keinen Sinn mehr!!« Tatsächlich beruhigten sich die Zauberer etwas und der Magiesturm ebbte ab. »Wenn einer unter euch ist, der was zu sagen hat, dann soll er das tun! Aber nicht aus dem Nichts einen Kampf anzetteln!! Das ist doch …« Er stockte. Erneut hatte er die Hand zu einer Geste gehoben, wie er jetzt bleich bemerkte. Als er sie schon wieder behutsam zurücknehmen wollte, hielt er plötzlich die Luft an und bewegte sich nur leicht nach links. Den Bruchteil einer Sekunde später rauschte ein Pfeil rechts an seinem Gesicht vorbei. Und noch bevor er wieder ausatmen konnte, sah er den Schrecken in Zenon’s Gesicht steigen. Eine gequälte Stimme hinter dem Jungen. Wie in Zeitlupe drehte er sich um, hoffte noch, dass es nicht stimmte. Doch vor seinen Augen fiel Rue auf die Knie, sich die linke Schulter haltend, aus der rotes Blut heraus quoll, kristallisierte sobald es die Luft berührte und mit einem glockenhellen Klang zu Boden fiel.

»Rue!!« brüllte Harmony verzweifelt und setzte an zu ihm hinüber zu laufen. Noch im selben Moment wandte er den Kopf mit dem schwarzen Schatten, der über ihn hinweg, flog zu den Zauberern. »Nicht, Juval!!«

Und gerade vor dem Schützen hielt der Dämon inne, starrte nur kurz in dessen vor Angst geweitete Augen und nutzte eine winzige Berührung mit der Hand um sich wieder in die entgegengesetzte Richtung abzustoßen. Er landete ein Stück hinter Harmony und funkelte die Männer böse an. Keiner wagte mehr sich zu regen. Nur Zenon fand endlich aus seinem Schock zurück.

Harmony kniete inzwischen an Rue’s Seite. Sein Meister lag schwer atmend im Gras, das Blut perlte noch immer klingend und die Kristallisation setzte sich fort, fraß sich von der Wunde weg in den restlichen Körper hinein.

Wieso? echote der Junge in seinem Kopf. Wieso war es dazu gekommen?! Erst Ellary und jetzt … Wenn er wenigstens nicht ausgewichen wäre. Ein gesunder Mensch wie er, hätte überlebt, aber Rue … »Bitte stirb nicht, Rue! Ich verspreche, ich werde auch nie wieder fragen, was du Jacob und dem andern erzählt hast! Aber bitte stirb nicht!« Er hasste es so sehr. Er hatte sich so bemüht, aber die Erwachsenen machten alles innerhalb kürzester Zeit vergebens, indem sie einfach nicht zuhören wollten. Er hasste sie so sehr, dass er sie am liebsten allesamt sofort in die Hölle befördert hätte, das Holy Dark gleich hinterher. Ewige Hoffnung, was für ein Betrug. Er ließ den Kopf auf die Brust seines Meisters sinken.

Rue Levian versuchte noch zu lächeln und legte seine Hand auf die seines Schülers. »Tut mir leid, Harmony, ich konnte ihn nicht sehen.«

1870: Wohin meine Stimme reicht

1870

5. Wohin meine Stimme reicht
 

Es war ein blasser fast voller Mond, der sie in sein milchigweißes Licht einhüllte und ihnen die Zeit raubte, alles still und kalt machte. Die Sorgfalt, mit der die Hände immer wieder über das Gesicht des Zauberers strichen, die Tränen, die sie begleiteten. Der Schatten des jungen Wächters, der eben noch energisch und laut den Dämonenprinzen an einem Gegenangriff gehindert hatte, sah in diesem Moment wieder so schmal aus wie eh. Und als er aufblickte zu Master Zenon, der noch immer ebenso fassungslos und kreidebleich da stand, war es nicht Hass oder Wut, welche er ihm entgegen brachte, sondern viel mehr tiefe Verbundenheit. Wir beide fühlen dasselbe, oder nicht? Denselben Schmerz, denselben Verlust … Oh ja, dachte Zenon. Zu groß. Viel zu groß. Die restlichen Zauberer hatten bis jetzt geschwiegen, aus Respekt, Betroffenheit und Angst vor dem Dämon, doch jetzt erhob sich von weit hinten eine Stimme, so unerwartet und hell, dass alle erschreckt auffuhren. »Harmony!!« rief es. Und zwischen den nach und nach auseinanderweichenden Männern drängte sich ein Junge mit fast weißem Haar. »Harmony!« rief er erneut, stolperte vorbei an dem ebenfalls verblüfften Zenon ohne ihn zu beachten.

»Cecil!« Reflexartig wischte sich Harmony die Tränen aus dem Gesicht.

Der jüngere wankte einige Augenblicke angesichts des toten Körpers mit dem bekannten Gesicht, riss sich dann aber zusammen. »Geht es dir gut? Was wirst du jetzt tun?«

Harmony schaute ihn an, dann wieder hinab zu Master Rue. Schließlich nickte er. »Es geht schon.« Er griff nach dem Schwert seines Meisters, befestigte es an seinem Gürtel neben dem eigenen, murmelte noch kurz ein paar Worte, dann stand er auf und richtete sich an Zenon. »Sie werden für eine anständige Bestattung sorgen, nicht wahr, Master Zenon? Vergessen Sie nicht die Rosen.«

Dieser nickte.

»Harmony, wohin wirst du gehen?« fragte Cecil erneut mit großen Augen.

Der Wächter lächelte, hell und sanft wie das Mondlicht, aber warm. »Nach Hause.« Kurz noch wandte er sich an den jüngeren. »Danke, dass du nach mir gerufen hast.« Dann drehte er ihnen den Rücken zu und lief dem Dämonenprinzen entgegen. »Lass uns gehen, Juval!« hörten sie ihn noch sagen, bevor beide in der Dunkelheit verschwanden, doch zurück blieb ein leichter Wind, den nur wenige bemerkten.

Master Zenon trat nun endlich an die Leiche seines Freundes, kniete sich neben ihn und strich ihm ebenso übers Gesicht wie es zuvor Harmony getan hatte. Das kristallisierte Blut auf der Brust funkelte im Mondlicht. »Es tut mir leid, mein Freund«, murmelte er. »Es tut mir leid.« Nach einer Weile richtete er sich wieder auf und nickte Cecil zu, der noch immer neben ihnen stand. Es war schon erstaunlich wie sehr er Rue ähnelte, obwohl sie nur dieselbe Haar- und Augenfarbe hatten. Er wandte sich um zu den anderen. Eine Gestalt hatte sich von der Gruppe gelöst und stand dort mit den Händen in den Taschen des langen schwarzen Mantels. Es war Servas. Zenon atmete auf. Seine Anwesenheit half ihm. Er strich sich kurz die Haare hinters Ohr und erhob die Stimme. »Ihr habt es gehört, ihr habt es gesehen, es ist vorbei. Harmony Snow bleibt Wächter des Holy Dark und die RA hält sich bis auf Weiteres von ihm fern. Und was Master Rue betrifft …« Er machte eine Pause. »Bahrt ihn vorsichtig auf und bringt ihn nach Hause, bitte.« Während sich die Zauberer ordneten, einige verschwanden, andere sich um Rue kümmerten, ging Zenon hinüber zu Servas, Cecil folgte ihm. Unterwegs kam ihm Gavin Lewis, der Todesschütze, entgegen gelaufen. Er machte ein furchtbar besorgtes Gesicht und zupfte nervös an seinen Ärmeln. »E-Es tut mir so leid, Master Zenon«, stotterte er. »Das … Ich …«

Zenon legte ihm nur die Hand auf die Schulter und schüttelte den Kopf. »Natürlich. Sie haben nur getan, was Sie für richtig hielten.« Doch seine Miene musste anderes sagen. Denn Lewis, der hinter ihm zurück blieb, sah noch elender aus als vorher.

»Jemand sollte später in Ruhe mit ihm reden«, meinte Zenon, als sie Servas erreichten.

Dieser zuckte nur mit der Braue. »In solchen Fällen bist das normalerweise du. Aber ihm ist sowieso nicht mehr zu helfen.« Und auf Zenon’s fragenden Blick hin fuhr er fort: »Der Dämon hat ihn berührt. Selbst wenn wir ihm sagen „alles ist gut, mach dir keine Gedanken“ und die Dämonensaat in ihm nicht wächst, sobald er das Gebiet der RA verlässt, erwischt er ihn doch.«

»Du denkst, er würde soweit gehen für den Wächter?« In der Ferne schulterten die anderen gerade den Leichnam Master Rue’s.

»Sicher. Du hast es doch gesehen. Frag mich nicht warum, aber der Dämonenprinz scheint einiges für den Wächter zu tun.«

»Hmm … Wir sollten herausfinden, wer aus der Gruppe eigentlich angefangen hat.«

»Das und wer dafür gesorgt hat, dass Augustine nicht dabei war. Ein Ereignis wie dieses ohne Chronologist …«

War so gut wie nie geschehen. Zenon legte den Kopf in die Hand. Warum hatte er nicht eher daran gedacht. Es war alles geplant gewesen.

Servas blickte seinen Freund an, dann hinunter zu Cecil, der nur stumm zugehört hatte. Sein Gesicht schien blass im Mondlicht. »Gehen wir auch nach Hause.«

Wenige Augenblicke später traten sie durch das große eiserne Tor der RA und liefen entlang des Schulgebäudes vorbei an Bibliothek und Hof auf das Hauptgebäude zu, in dem sich Zenon’s und Servas’ Räume befanden. Die Fackeln, die an den Mauern befestigt waren, brannten hell und warm. Trotz der fortgeschrittenen Stunde waren noch viele Zauberer unterwegs. Die Einladung des Wächters hatte für Aufregung gesorgt. Jetzt als Master Zenon zurückkehrte, hingen ihm dutzende Augenpaare nach, die zu ergründen versuchten, was geschehen war. Doch wie Zenon gut im Umgang mit Menschen war, war Servas Essex besonders gut darin, sie fernzuhalten. Seine Erscheinung in einer Nacht wie dieser war ausreichend für den durchschnittlichen Zauberer sich mit Schauder abzuwenden, wie Cecil nicht ohne Erstaunen feststellte. Sie betraten das Hauptgebäude durch den Eingang der Kapelle, in welcher in wenigen Minuten Master Rue aufgebahrt werden würde. Durch die großen Fenster in der Höhe schien das Mondlicht und hüllte den Altar in neblig weißes Licht. Sie bogen durch eine schmale Tür in einen Gang und folgten diesem eine Weile und ein paar Treppen hinauf. Irgendwann nickte Zenon den anderen zum Abschied. Er würde Lord Ardath noch einen Kurzbericht abgeben bevor er auch zu Bett ging. Alles Weitere musste Zeit haben bis zum Morgen. Der Morgen.

Servas schloss die Tür zu seinen Gemächern auf und hinter sich wieder ab. Cecil war neben ihm hindurch geschlüpft, schlurfte jetzt hinter ihm her ins Schlafzimmer und hockte sich dort auf den Stuhl neben der Tür. »Wird dieser Mann sterben?« fragte er den älteren.

Dieser zündete ganz in Ruhe die Lampe an, bevor er antwortete. »Wahrscheinlich.«

»Aber wenn das durch den Dämon ist, kannst du ihn dann nicht retten?«

Er machte ein gelangweiltes Gesicht. »Vielleicht könnte ich das. Aber ich will nicht.«

»Ich dachte, das ist genau was Zauberer machen.«

Servas grinste und hängte seinen Mantel an einen Haken am Schrank. »Sollten sie zumindest. Aber ich gehöre nicht zu dieser Sorte Zauberer. Du kannst sagen, ich bin vom alten Schlag.« Und er schien sich sichtlich in seiner Rolle zu gefallen. »Gavin Lewis dagegen wollte so ein Zauberer sein. Und er hat die Regeln gebrochen und einen Menschen getötet. Soll er dafür die Konsequenzen tragen. Außerdem war Rue ein Freund von Zenon.«

Das war es. »Dann ist es okay, für eine Freundschaft andere Menschen sterben zu lassen?«

Servas stellte einen Fuß auf den Stuhl vor dem Schreibtisch und begann die Schnürsenkel zu lösen. »Weiß ich nicht. Ich halte nur mein Versprechen.«

»Versprechen?« hakte Cecil nach, aber Servas schien nicht weiter darauf eingehen zu wollen. »Meinst du, Harmony und ich hätten Freunde werden können, wenn das damals anders gelaufen wäre?«

Der Zauberer blickte ihn aus dunkelgrünen Augen an und lachte ihn aus. »So wie du früher warst, hättest du im Leben nie einen Freund gefunden.«

Der Junge plusterte die Backen und legte sein Kinn auf die angezogenen Knie. »Du bist wirklich so fies, wie man sagt.«

Doch Servas lachte nur weiter, zog sich den zweiten Schuh aus und stellte beide unter seinen Mantel vor den Schrank. »Irgendwann …«, begann er während er sein Hemd aufknöpfte. »Werdet ihr sicher miteinander auskommen. Wenn ihr beide en bisschen reifer seid. Heute war doch ein guter Anfang, oder?« Er zog das Hemd aus und hängte es über die Stuhllehne. Dann fuhr er sich durch das kurze zersauste Haar und überlegte.

»Wie ist das eigentlich passiert?« fragte Cecil und meinte eine dunkle dünne Narbe die einmal rund um Servas’ linken Oberarm reichte.

»Was denkst du? Von einem Kampf mit den Dämonenkönig. Dämonenschwerter sind gefährlich.« Schließlich entschied er sich doch für den Kamm, der auf dem Schreibtisch lag.

»War der Arm ab?« fragte Cecil weiter.

»Vollkommen«, erklärte Servas. »Und ohne Master Fio wäre er das auch geblieben. Die Magie damals war noch großartig. Ein einziges Wort konnte die Welt verändern …« Er hielt einen Moment gedankenvoll inne, doch im nächsten war er wieder in der Gegenwart und beantwortete die Frage des Jungen, ohne dass dieser sie stellen musste. »Master Fio war Schriftgelehrter und Dämonenjäger. Der Meister von Harmony’s Meister Ellary Mare.«

»Wirklich?!« Cecil war überrascht.

»Wirklich.« Der ältere schickte ihm einen missbilligenden Blick. »Und jetzt raus, ich geh schlafen.«

»Hööö«, machte Cecil und versuchte ein ähnliches Gesicht zu ziehen. »Und wie geht es jetzt weiter? Was besprecht ihr morgen in der Ratssitzung?«

Servas ließ sich seufzend auf seinem Bett nieder. »Kannst du die paar Stunden bis morgen früh nicht einfach abwarten? Wieso willst du jetzt wissen?«

»Du hast mir grad vorhin erst gesagt, ich solle selbst denken und meinen eigenen Weg finden und so weiter. Jetzt mach ich mir halt Gedanken.«

Servas schaute ihn einen Moment lang an, als wollte er fragen „Wieso nimmst du alles, was ich sage, gleich so ernst?“, begann dann aber auszuführen. »Die Sache mit Holy Dark und Dämonenprinz hat sich wohl vorerst erledigt. Es bleibt natürlich abzuwarten, wie es sich weiter entwickelt. Aber im Moment zumindest scheint es keine bedrohliche Situation zu sein und ich denke, der Rat wird jetzt genauso entscheiden. Wenigstens der personelle Wechsel wird sich bemerkbar machen. Womit wir zu einem anderen Problem kommen …« Er blickte erstaunlich ernst. Seine Gesichtszüge waren zwar immer recht unlustig, aber man merkte gewöhnlich an seiner Art, dass ihn die meisten Dinge nicht besonders berührten und er vieles eben nicht so ernst nahm, wie andere es gern hätten. Diesmal war es anders. »Einer der beiden freien Plätze wird mit Sicherheit mir zufallen. Der andere geht wahrscheinlich wieder an einen Rabenstein. Hoffentlich. Aber der nächste freie Sitz wird nicht lange auf sich warten lassen, Master Rozen tritt bald seines Alters wegen zurück. Und wenn nicht bis dahin ein Wunder geschieht, hat Lirith May seinen permanenten Platz im Inneren Rat sicher, was mir persönlich absolut widerstrebt.«

»Lirith May?« fragte Cecil, sichtlich um Verständnis bemüht.

»Der Leiter der Wizardry.«

»Aber als Leiter der Wizardry hat er doch im Rat nichts verloren, oder? Was will er da?«

»Wenn ich das wüsste, fühlte ich mich wohler … oder wahrscheinlich eher nicht. Denn genau das ist es. Er plant etwas und aus irgendeinem Grund lässt Ardath ihn gewähren.«

Der Junge nickte bedächtig. »Woher weißt du, dass es etwas Schlechtes wird?«

»Mein Gefühl.« Tatsächlich war Servas recht gut darin, die Intentionen von Menschen abzuschätzen. Und diese Art von kühler Planung, die er in Lirith May entdeckte, war ihm nur allzu vertraut. »Wenn du ihn triffst, weißt du, was ich meine.« Er fuhr sich durch die Haare und stand wieder auf. »Jetzt ist genug«, sagte er schließlich und schob Cecil aus der Tür. Der Junge wehrte sich nicht, aber er sah auch nicht gerade glücklich aus, als er zu seinem Zimmer hinüber schlurfte. Servas blickte ihm nach und seufzte. »Du wirst heute Nacht sicher keine Alpträume haben. Die haben andere.« Dann schloss er die Tür, löschte das Licht und fiel in sein Bett.

Cecil stand dort noch eine Weile. Durch die großen Fenster fiel das Mondlicht auf Sofa und Tisch und das Glas einer Vitrine. Master Servas hatte manchmal eine seltsame Art sich um andere zu kümmern. Aber Cecil war froh, dass er es überhaupt tat. Im Gegensatz zu seinen Eltern oder seinem Meister, der ihn verstoßen hatte seit dem Vorfall vor zwei Jahren. Seitdem schauten Zenon und Servas nach ihm. Für Zenon war das normal, er leitete schließlich die Schule der RA, die jetzt auch Cecil besuchte. Eigensinnig und spröde wie er war, blieb Servas’ Fall aber etwas Besonderes. Cecil öffnete die Tür zu seinem Zimmer. Seinem Zimmer oder besser dem Raum, den er benutzen durfte, wenn er hier schlief, denn sein eigentliches Zimmer hatte er drüben im Internat bei den anderen Schülern. Die Luft war staubig wie immer. Es gab kein Fenster. Der ganze Raum war gefüllt mit aufeinander gestapelten Kisten voll Papier. Nur in einer Ecke lag auf ein paar Kisten eine Matratze. Das war das Bett. Andere Menschen hätten sich angesichts der Situation vielleicht für die Couch draußen im Salon entschieden, doch nicht so Cecil. Er mochte sein Zimmer. Ordentlich faltete er seine Sachen und legte sie auf eine Kiste nahe dem Bett, dann krabbelte er in jenes hinein und schnüffelte. Es war angenehm. Der Staub roch gut. Nach Hause, hatte Harmony gesagt. Er fragte sich, ob das auch so ein Ort war wie dieser. Umgeben von Kisten voller Papier, auf dem die Daten hunderter Zauberer aufgezeichnet waren. Irgendwo war sicher auch seine Akte, dachte sich der Junge. Er mochte diesen Ort, das Hauptquartier der RA. Wo so viele Zauberer ein und aus gingen. Obwohl sie ganz woanders auf der Welt lebten und arbeiteten, immer wieder hierher zurückkehrten. Es war ein guter Ort. Es war sein Zuhause. Die alten Herren sollten nicht leichtfertig mit ihm und den Menschen umgehen dürfen nur um ihre eigenen Interessen zu verwirklichen. Und auch die jungen nicht. Beschloss er, verabschiedete sich von Master Rue und dachte daran, was Servas über Lirith May von der Wizardry gesagt hatte.
 

*
 

Harmony saß auf der Treppe vor seinem Haus. In eine Decke gehüllt beobachtete er den Sonnenaufgang. Er saß regungslos. Die ganze Nacht hatte er dort gesessen und geschaut. Als die Sonnenstrahlen begannen warm zu werden, erhob und streckte er sich und ging in die Küche um Korb, Zeitung und Schaufel zu holen. Wenig später schnürte er sich den Korb, in dem sich jetzt einer von Rue’s Rosensträuchern befand, auf den Rücken und machte sich auf den Weg über die Felder ins nächste Dorf. Der Himmel war blau und weiße Wolken türmten sich vom Horizont her auf. Ein warmer Wind fuhr durch das heranwachsende Getreide und vereinzelte Baumkronen. Ihr Rauschen vermischte sich mit dem Surren von Insekten und dem Knirschen des Sandes bei jedem Schritt. Die ersten Schmetterlinge schwebten eifrig auf und ab. Ohne Zweifel, es war Sommer. Harmony schaute in die Ferne. Soweit er sehen konnte, strahlte alles und die Sonne kribbelte auf seiner Haut. Es war wirklich irritierend, so unendlich schön konnte die Welt an einem Tag wie diesem sein. Als er endlich den Schatten eines kleinen Hains trat, setzte er den Korb ab und wischte sich die Augen. Ein paar Minuten blieb er dort stehen bis Juval ihm bestätigte, dass sie nicht mehr rot waren. Dann verließ er den Wald und erreichte bald das Dorf und den Lebensmittelladen, in dem seine Meister immer eingekauft hatten. Es war gerade die Zeit, dass die Leute begannen geschäftig zu werden.

Harmony schlüpfte durch ein Tor neben dem Laden in den Garten zur Hintertür und klopfte dort ein paar Mal.

Schließlich öffnete sich die Tür erst einen Spalt breit, dann plötzlich sehr schwungvoll. »Harmony!! Du warst ja Ewigkeiten nicht mehr hier!!« begrüßte ihn die Tochter des Hauses, ein Mädchen in seinem Alter mit langen braunen Zöpfen und roten Backen. »Was verschafft uns denn die Ehre und auch noch so früh am Morgen?!«

»Das hier.« Er stellte den Korb vor ihr ab.

Sie hockte sich davor. »Und das ist?«

»Ein Rosenstrauch.«

Sie blickte ihn von unten fragend an.

»Es gibt niemanden mehr, der auf sie aufpassen kann. Also wenn ihr wenigstens den einen … Vor dem Haus sind noch mehr, wenn ihr wollt. Nur die meisten sind angebrannt …«

»Was meinst du, es gibt niemanden mehr? Und überhaupt …« Sie stand wieder auf. »Du siehst furchtbar aus! Was ist mit deinen Augen?! Hast du geweint?!!«

»Hab ich nicht!!« entgegnete Harmony sofort. Doch nach einer kurzen Pause »Meine Meister sind beide gestorben, was denkst du, was ich mache?«

Sie wurde blass. »Gestorben? Aber ich hab Master Rue doch vorgestern noch gesehen …«

»Es war gestern Abend.«

»So … Und Master Ellary«

»Ein paar Wochen.«

»Ein paar Wochen?« echote sie und ging ein paar Schritte rückwärts. »W-wie ist es passiert?«

Harmony überlegte kurz. »Master Ellary durch sein Alter vermutlich und bei Rue war es ein Unfall …«

Dicke Tränen rollten über ihre Wangen. »Entschuldige«, schluchzte sie. »es muss viel schlimmer für dich sein und trotzdem weine ich so viel.«

»Ist okay … Kümmert euch nur gut um Rue’s Rosen.« Er wandte sich zum gehen.

»Harmony!!« rief sie und hielt ihm am Ärmel fest. »Was wirst du jetzt machen?«

»Ich gehe zu einem Freund.«

»Du kannst immer hier her kommen, wenn du willst. Immer!«

»Danke dir.« Lächelnd löste er ihre Hand von seinem Arm. »Aber ich denke nicht, dass ich jemals hier her zurückkehren werde. Pass auf dich auf«, sagte er und verließ den Garten zur Straße Richtung Wald.

Der Lebensmittelhändler, der gerade draußen Obst auftrug, sah ihn noch und rief ihm zu. »Yo, Harmony, guten Morgen!!«

Der Junge drehte sich noch einmal um und winkte. Dann verschwand er zwischen den Bäumen.

Als der Mann gerade noch überlegte, ob er sich wundern sollte, tauchte neben ihm seine Tochter mit verquollenen feuchten Augen auf und versetzte ihn in einen ordentlichen Schrecken.

Dem jungen Zauberer fiel der Weg zurück trotz fehlendem Gepäck schwerer als der Hinweg. Statt der Blätter und Insekten hörte er nur noch das Rauschen in seinen Ohren und der tiefblaue Himmel war unerbittlich. Abschiede lagen ihm nicht. All das zurücklassen, was ihn so viele Jahre lang begleitet und glücklich gemacht hatte, kam ihm vor wie Verrat. »Wahrscheinlich laufe ich nur davon«, sagte er zu sich selbst.

Und Juval antwortete. »Das machen alle Menschen so, oder?«

Harmony seufzte. »Damit hilfst du mir auch nicht.«

»Ich bin ein Dämon. Ich kann sagen, eure Trauer schmeckt nach Salz und eure Angst nach Erdbeeren. Aber deswegen verstehe ich noch lange nicht, woher das eine kommt oder wie das andere wieder weggeht. Und meistens interessiert es mich auch nicht.«

Meistens. Harmony betrachtete schweigend den Jungen, der jetzt vor ihm durchs Gras lief, und fragte sich, wie es wohl war, nichts zu fühlen. Einsam?

»Ich weiß nicht, wie sich einsam sein anfühlt.«

»Natürlich nicht.« Sie erreichten den kühlen Schatten der ersten Bäume ihres Grundstücks. »Ich denke, es schmeckt nach Flieder.«

Juval drehte sich um. »Flieder? Wie schmeckt Flieder?«

»Ich weiß nicht.« Aber das Lila sah sehr einsam aus.

Er blieb stehen. Auf der Treppe in der Sonne saß jemand mit langem, weißem Mantel. Als er die beiden sah, erhob er sich und kam auf sie zu. »Guten Morgen, Harmony. Verzeih, dass ich hier so einfach auftauche.« Es war Zenon French. »Ich komme wegen der Rosen.«

»Hmm«, machte Harmony. »Nehmen Sie so viele Sie wollen.«

»Es tut mir leid, dass es so gekommen ist. Es war meine Schuld.«

»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Ändern können wir jetzt auch nichts mehr.« Er beobachtete die Schmetterlinge.

»Wenn irgendetwas ist, egal was, kannst du dich immer an mich wenden …«

Der Junge blinzelte ihn an. »Wie das? Sie sind von der RA.«

»Rue war ein guter Freund von mir.« Er griff in seinen Mantel und holte einen Umschlag hervor. »Eugène Grandis, der jüngste Postbote der RA, liefert diskret alles an jeden, egal ob RA oder nicht. Damit kannst du ihn rufen.«

Harmony nahm den Umschlag entgegen. »Danke.«

Zenon’s Blick verweilte noch kurz auf dem Jungen. »Ich verabschiede mich dann erst mal. Ich werde später mit Hilfe wiederkommen, um die Rosen abzuholen.«

»Wie es Ihnen gefällt. Ich werde dann nicht mehr hier sein.«

Zenon verstand. Er nickte ihm und dem Dämon mit traurigen dunkelgrünen Augen zu, bevor er sich abwandte und nach ein paar Schritten verschwand.

Der junge Wächter stand noch eine Zeit lang in dem Garten vor dem Haus, in dem er so viele Jahre seiner Kindheit verbracht hatte. Mit seinem grimmigen Meister Ellary und seinem freundlichen Meister Rue. Es hatte ihm Spaß gemacht, als sie drei noch als fahrende Zauberer durch Europa gereist waren, durch England und Portugal und Deutschland und allen dazwischen. Doch als sie hier einzogen, war es, als wäre er zurückgekehrt. Der sichere Ort, der sich niemals veränderte … Er ging in die Hocke und schlug die Arme über den Kopf. Vor seinen Augen war der Strand vor Tante Jinnee’s Haus aufgetaucht, mit den Schilffeldern und Möwen, die zwischen den Felsen nach Fischen pickten. Fische … Der sichere Ort, der sich niemals veränderte.

Harmony schluchzte. »Ich hab ihnen gesagt, ich ginge nach Hause, aber an den einzigen Ort, den ich noch so nennen kann, kann ich nicht mehr zurück.«

»Wieso nicht?« wunderte sich Juval und ging einen Kreis um den kauernden Jungen.

»Weil es dann aufhören würde, mein Zuhause zu sein.« Unverändert. Golden.

»Huh.« Juval schaute und ging den Kreis noch einmal in die andere Richtung. »Was ist das überhaupt, ein Zuhause?«

Harmony blickte zu ihm auf. »Ein Ort, an dem du gerne bist, wo sich dein Herz warm anfühlt und sicher … denke ich …«

Der Dämon betrachtete ihn von oben. Er mochte kein Salz. Aber er mochte frischgebackenes Brot. »Dann lass uns dorthin gehen.«

»Huh?«

»Nach Hause. Du hast ihnen auch erzählst, du gehst zu einem Freund. Ich habe auch ein Zuhause.«

Harmony stand auf und sah ihn mit großen, meerblauen Augen an. »In die Dämonenwelt?«

»Ja.«

»Aber wie …«

Juval lächelte und tippte ihm auf die Brust. »Wie du sagtest, dort wo es sich warm anfühlt. Der Eingang zur Dämonenwelt ist in jedem Menschen.«

Der Zauberer machte ein überraschtes Gesicht. »Ich verstehe. Ich denke, das kann ich.« Er warf einen letzten Blick auf Master Ellary’s Haus, dann nahm er Juval’s Hand, schloss seine Augen und wanderte tief hinein in seine eigene Dunkelheit. Bis zu dem Punkt, an dem es anfing warm und angenehm zu werden. Er stellte sich vor, wie die Feder seines Meisters über das Papier kratzte, der Geruch von Tinte und Tee und die Geschichten, die Master Rue ihm vorgelesen hatte, als er noch ein Kind gewesen war, im Sessel vor dem Kamin mit der Schafsdecke. Und noch tiefer, wo es wieder still wurde, nur das regelmäßige Atmen einer Person neben ihm, ihren dünnen Arm um ihn gelegt. Weich und warm und der Geruch von Lavendel … Ein solcher Ort wäre schön. Er öffnete die Augen und hob den Kopf. Ein Ort zum Zusammensein. Was war das über ihm? Er versuchte durch die Dunkelheit zu sehen. Ein seltsame Dunkelheit, da er sehen konnte und auch wieder nicht. Was war das dort oben? Er lächelte. Ein Ort, um zusammen die Sterne anzuschauen.

»Willkommen zu Hause«, sagte Juval und folgte Harmony’s Blick. »Und das sind …«

»Das ist, was ich mir gewünscht habe«, antwortete dieser glücklich. »Sind sie nicht wunderschön?« Tränen standen in seinen Augen und er schniefte. »Die schönsten Sterne, die ich seit langem gesehen habe.«

Der Dämonenprinz wunderte sich. Er weinte, aber es war nicht der übliche Geschmack nach Salz, mehr der von Sahne, die er so sehr mochte. Doch er hatte noch nicht gelernt, wie man andere als salzige Tränen behandelte. Aber Tränen waren immer noch Tränen und er entschied sich, dasselbe zu versuchen wie sonst auch. Er legte seine Arme und den schmalen Jungen und drückte ihn fest. »Warum weinst du?« fragte er.

»Weil ich glücklich bin.«

»Es gibt auch glückliche Tränen?«

»Mh. Ich bin auch furchtbar traurig, aber gerade viel mehr auch glücklich. Dass ich noch am Leben bin und dass ich hier sein darf … mit dir … du bist warm.« Es war das erste Mal.

»Das ist, was du dir gewünscht hast?«

»Mh.«

Er löste die Umarmung. »Danke, dass du sie mitgebracht hast. Wir werden sie bewahren als das erste Geschenk, das wir je erhalten haben.«

»Mit Vergnügen.« Sie grinsten sich an.

»Du weißt, wie es hier läuft, oder? Mach es dir bequem«, sagte Juval und wandte sich ab.

»Sicher. Wohin gehst du? Was ist mit den anderen Dämonen?«

»Nur etwas Arbeit, die ich noch zu erledigen habe.« Er machte eine Handbewegung und aus der Dunkelheit formten sich zwei Silhouetten. »Die zwei werden bis auf Weiteres auf dich aufpassen.«

»Danke.« Der Junge blickte in die Dunkelheit, aber da er Dämonen nicht fürchtete, waren sie schwer zu erkennen, weil sie so keine spezielle Form annahmen.

»Fresst ihn nicht«, sagte Juval noch und war schon verschwunden. Die beiden Gestalten blieben. Der junge Zauberer konnte sie nicht sehen, aber er fühlte ihre Existenz, ebenso wie die dutzender oder sogar hunderter anderer Kreaturen, die hier herum lungern mussten. Na gut, niemals allein, dachte er und hatte sich schon daran gewöhnt, da es keinen Unterschied machte zu den Stimmen des Holy Dark. Welche, wie er bemerkte, ziemlich ruhig waren. Aber er wusste schon wieso und musste erneut lächeln. Das erste Mal, seit er das Holy Dark hatte, blickte er etwas voller Erwartung entgegen. Er wusste noch nicht, was es war, aber er würde es wissen, sobald es ihm begegnete. Im Moment fühlte er sich nur als hätte er all den Schmerz des letzten Monats endlich hinter sich gelassen. Ein bisschen würde für immer bleiben und er wollte, dass es blieb, und noch waren seine Auge feucht. Aber es fühlte sich so viel leichter an als zuvor. So leicht, dass er sich auf den Rücken fallen ließ und einfach da lag und in den Himmel schaute. Das Gras zwischen den Fingern lauschte er all den Klängen dieser Welt, die so lange ungehört geblieben waren.

1870: Sehen, wo der Regen fällt

1870

6. Sehen, wo der Regen fällt
 

Und wieder stand er hier, in diesem Gang. Die Sonne strahlte so hell wie Tage zuvor, kribbelte warm auf der Haut, selbst durch den weißen Stoff seiner Sachen hindurch. Er trat an eines der Fenster, wie Tage zuvor, stieg auf den Wandsockel und blickte hinaus. Das Gelände der RA, auf dem man so wunderbar ziellos herumstreifen konnte ohne ertappt zu werden, wo er sich immer noch verlaufen konnte, wenn er wollte. Selbst Wege, die er glaubte zu kennen, führten ihn manchmal in die Irre und er landete plötzlich in irgendeinem schattigen Gang oder vor einer alten verschlossenen Tür. Die Wege hier waren so. Übten sich, wie der Rest der Gemäuer, in einer angenehmen Starrsinnigkeit.

Draußen über den Hof wehte gerade der schwarze Umhang Blackleath Rabensteins, während er firmen Schrittes auf das eiserne Tor zustrebte. Cecil gehörte nicht zu den Menschen, die sehen konnte, was weit weit vorn auf dem Weg lag. Ob Master Blackleath nur hinausging oder ob er fort ging … Er konnte das Zittern der Wolken spüren, aber seine Augen sahen nicht weit. Und trotzdem … Der Junge legte sein Kinn auf die gefalteten Arme. Er wollte sehen. Er wollte wissen. Was am Ende der Wege lag, in ihren Sackgassen, hinter den verschlossenen Türen. Wissen und erkennen. Unabhängig denken. Von der Schule, von Servas und Zenon. Die Ewige Bibliothek wäre ein guter Start dafür gewesen, aber die Regeln des neuen Bibliothekars verboten unter anderem auch Kindern den Zutritt. Der einzige Ort, der ähnlich delikates Material besaß wie die Bibliothek, war die Wizardry. Und ihr Leiter Lirith May … Auf Cecil’s Gesicht legte sich ein zufriedenes Grinsen. Das war ein Weg, der seinem Gesinnen entsprach. Er hüpfte vom Sockel und lief behend den sonnigen Gang entlang den kühlen Zauberer zu suchen.
 

End of Act II

1858: Die Geschichten der Wolken (2) - Wolkenlos

III. 1858

Die Geschichten der Wolken (2) - Wolkenlos
 

Mit offenem Mund stand der kleine Junge im feuchten Sand und starrte in den schier unendlich tiefen Nachthimmel mit den Millionen von Sternen. An seinen Knien und Händen und den hochgekrempelten Hosen, dem Hemd und Wangen und Haaren klebten Sand und Salzkristalle. Das Wasser kitzelte seine Zehen und machte ihn glücklich. Tatsächlich machte ihn kaum etwas glücklicher als Meer und Sand und viele Sterne. »Harmony!!« rief ihn eine Frauenstimme. Er wirbelte herum und hüpfte ihr mit leuchtenden Augen entgegen. »Mama!!«

Seine Mutter hob ihr Kleid an und stapfte durch den Sand. »Du sollst doch nachts nicht allein ans Wasser! Davon, dass du schlafen solltest, ganz zu schweigen.«

Doch er überhörte sie und hielt sich fröhlich am Stoff ihres Kleides fest, als sie einander erreichten. »Siehst du die vielen Sterne? Meinst du, sie bleiben so? In zwei Tagen ist doch Neumond, dann kommen doch bestimmt die Fische wieder, oder? Oder?«

Sie legte ihm beruhigend die Hand auf den Schopf. »Sicher, sicher. Du wirst sie bestimmt fliegen sehen. Aber dafür musst du jetzt schlafen!« Sie verpasste ihm einen Klaps auf den Hinterkopf und schob ihn Richtung Hinterland, wo gleich hinter einer Reihe Schilf und Gras das flache Haus ihrer Schwester stand, bei welcher sie ihre Sommerferien verbrachten.

Harmony war bereits voraus gerannt, doch die junge Frau lief behutsamer. Anna Snow teilte die Freude ihres Sohnes nicht. Wenn sie den Blick hinter sich wandte zum Meer oder nach oben in den dunklen Himmel, legte sich ein schmerzvoller Ausdruck auf ihr Gesicht. Für sie gab es dort keine Sterne mehr. Sie würde auch die fliegenden Fische nicht sehen können.

Am folgenden Tag konnte Harmony kaum stillsitzen und streifte singend durch die Schilffelder am Strand und, obgleich es ihm seine Mutter und Tante Jinnee verboten hatten, die Straßen des kleinen Fischerdorfes. Am Hafen schaute er einem alten Mann beim Angeln zu, bei den abladenden Fischkuttern wartete er auf Katzen und ließ sich wie eine von ihnen mit geräuchertem Fisch füttern. Irgendwann wurde er müde und kehrte zum Strand vor Tante Jinnee’s Haus zurück. Dort lag er eine Weile und ließ sich die Sonne auf den Bauch scheinen, hörte den Möwen zu und den Wellen und wunderte sich, wohin die Wolken zogen. Immer waren sie rastlos. Wurden sie niemals müde? Gingen sie nie nach Hause? Doch! stellte er freudig fest und kugelte sich. Sicher waren sie zuhause und schliefen, wenn der Himmel leer war! Was auch sonst? Er kuschelte seine Backe in den Sand, als er plötzlich eine Bewegung bemerkte. An diesem Strand stand noch ein zweites Haus, oben auf der Klippe, zu der er nicht gehen durfte. Er setzte sich ordentlich hin und schaute. Man hatte ihm erzählt, dass dort niemand wohnte. Doch was er sah, täuschte ihn sicher nicht. Der Junge sprang auf und lief Richtung Klippe. Seine Neugier verlieh ihm anfangs flinke Füße, aber der Weg stellte sich als viel länger heraus, als er gedacht hatte und durch den Sand bergauf zu steigen, strengte seine kurzen Beine furchtbar an. Dazu kamen Hitze und Durst. Er seufzte und ließ sich plumpsen. Tante Jinnee’s Haus lag erstaunlich klein in dem Schilffeld. Der Weg zurück war weit. Er konnte nicht umkehren. Nur noch ein kleines Stück. Das andere Haus war schon fast vollständig. Das karminrote Dach, das sich scharf gegen den blauen Himmel abzeichnete, und der Wetterhahn. Das weiße Gestein und die grünen Rahmen der Fenster. Aber Harmony’s Beine mochten nicht mehr und seine Zunge klebte. Er legte den Kopf in den Sand und beschloss sich ein wenig auszuruhen, bevor er das letzte Stück zurücklegte. Wer auch immer sich in dem Haus bewegte, würde sicher nicht so schnell verschwinden. Und wenn musste er erst an ihm vorbei. Zufrieden legte er schützend einen Arm über sein Gesicht und schlief sofort ein.

Als er wieder erwachte, roch es seltsam. Und seine Wange tat weh. Das war nicht der weiche Sand, sondern rauer Stoff und Staub. Aber es war kühl und es ging ihm besser. Harmony öffnete die Augen und schaute. Er lag auf einem alten dunkelgrünen Teppich, nicht weit von ihm entfernt sah er wohl die kugeligen Füße eines Möbelstücks. Er drehte den Kopf und setzte sich langsam auf. War er etwa in dem Haus auf der Klippe? Rechts neben ihm ragte ein Tisch empor und weiter hinten auf einem Kanapee waren zwei lange, übereinander geschlagene Beine. Der Junge sah den Mann mit großen blauen Augen an.

»Du brauchst nicht schauen wie ein Schaf«, antwortete dieser.

»Ah!« machte Harmony daraufhin. »Mein Name ist Harmony Snow. Freut mich Sie kennen zu lernen.«

Der Alte musterte ihn skeptisch, wandte sich aber schnell wieder seinem Buch zu.

»Wie heißen Sie?« fragte der Junge unbeirrt. Und als der Mann ihn ignorierte, fragte er einfach noch einmal mit derselben kindlichen Geduld. »Wie heißen Sie?«

Schließlich seufzte der Mann und antwortete ihm grimmig. »Shaun Eldis.«

»Wohnen Sie hier? Wissen die Leute aus dem Dorf, dass Sie hier sind?«

»Natürlich! Das ist schließlich mein Haus.«

»Warum erzählen sie mir dann, dass hier niemand wohnt?«

Shaun Eldis blinzelte ihn an. »Weil ich nicht von Kindern wie dir belästigt werden will.«

»Oooh!« machte Harmony, schien aber unbeeindruckt. »Warum haben sie mich dann hergebracht?«

»Was soll ich bitte deiner Mutter erzählen, wenn man deine ausgetrocknete Leiche in der Nähe meines Hauses findet?«

»Dann sind Sie doch ein netter Mensch!«

»Bin ich nicht. Ich gehe nur unnötigem Ärger aus dem Weg. Sie hat so oder so schon genug Sorgen.«

»Huh?«

»Dass du keinen Vater hast, wird dir sicher nicht entgangen sein? Und ihre schlechten Augen? Keine Ahnung, wie sie das anstellen will, wenn sie bald gar nichts mehr sieht. Ohne Mann, mit einem Balg zuhause. Gibt es da Beihilfen?« Er blätterte um. »Naja, ich kenn mich in dieser Welt ja nicht aus, sie wird schon wissen, was sie tut.«

Harmony saß immer noch auf dem Boden und blickte ihn mit großen Augen an. Er hatte nicht verstanden, was der alte Mann ihm sagen wollte. Shaun Eldis war schon drauf und dran ihn wieder für seinen Schäfchenblick zu rügen, da schob sich plötzlich ein Ohr und eine Nase hinter dem Kanapee hervor und der Ausdruck des Jungen wechselte schlagartig. »Katze!!« quiekte er begeistert und krabbelte zu ihr hinüber. »Darf ich sie streicheln?«

»Wenn du weiter so laut bist, wird sie dich aber nicht mögen.«

»Sie ist ein Mädchen? Hallo, kleine Katze. Ich bin Harmony Snow. Und wie heißt du?«, strahlte er sie an.

Mädchen, dachte sich Shaun Eldis. Alte Dame traf es besser. »Ihr Name ist Io.«

Die Katze schielte kurz hinauf zu ihrem Herrchen und rieb dann ihren Kopf an Harmony’s Knie, woraufhin der Alte einen verächtlichen Laut ausstieß. Der Junge war selig und vergrub seine Nase dem schwarzen Fell. »So weich«, freute er sich. Dann hielt er inne und setzte sich auf. »Ich hab Durst! Darf ich was trinken?«

Der Alte verdrehte die Augen. »Auf dem Tisch.«

Also hüpfte Harmony zum Tisch, nur um dem Mann kurz darauf einen finsteren Blick zuzuwerfen. »Viel zu hoch.«

»Pfff«, machte der nur und las weiter. Aber Io kam Harmony zur Hilfe und sprang erst auf einen Stuhl und dann auf die Tischplatte. Der Junge tat es ihr nach, freute sich zwischendurch an der grünen Sitzpolsterung und erreichte endlich das einzelne Glas Wasser.

Wenig später tobten die beiden lautstark durch das Haus. Shaun Eldis’ Gesicht war nur etwas grimmiger als sonst. Die Stirnfalten waren tiefer und die Mundwinkel angespannt verzogen und der rechte Fuß wippte nur nervös auf und ab. Aber Kind und Katze Einhalt zu gebieten, erschien ihm zu anstrengend. So fuhr er mit seinem Buch fort und übte sich in Ignoranz. Bis er sich irgendwann die Augen rieb und es zuklappte. Es war zu dunkel geworden zum Lesen. Er erhob sich ächzend, klopfte seinen dünnen Mantel glatt und trat hinaus auf die Terrasse. Die Sonne war bereits halb hinter dem Horizont versunken, malte Meer und Himmel noch hellgelb und tieforange bis violett. Der alte Mann seufzte, als er Harmony und Io zusammengerollt auf einem der beiden Sessel liegen sah, die unter dem kleinen Vordach standen. Welche Dreistigkeit, stellte er fest, das passte zu ihm. Er setzte sich auf den zweiten Sessel und beobachtete das Meer. Weiße Schaumkrönchen kräuselten sich auf der Oberfläche, ein kleiner Kutter tuckerte Richtung Hafen. Die Wolken zogen langsam nach Nordwesten und nahmen Master Shaun’s Gedanken mit. Eine Weile noch, dann begann ein kühler Wind zu wehen. Die Haustür fiel zurück ins Schloss und eine junge Männerstimme erklang. »Ich bin wieder da, Meister.«

»Wird auch Zeit«, brummte dieser und ging zurück ins Wohnzimmer seinem Schüler Lauryn Halo entgegen.

»Wieso? Ist was passiert?«, fragte Lauryn Halo mit großen Augen und streifte dabei auch das Wasserglas auf dem Tisch.

Der alte Mann wandte sich schaudernd wieder ab. Diesen Blick hatte er heute oft genug sehen müssen. Er winkte Lauryn ihm auf die Terrasse zu folgen. »Kannst du ihn nach Hause bringen?« fragte er auf Harmony deutend.

Der andere zuckte kurz zusammen, nickte dann aber. »Wie kommt es, dass er hier ist?«

»Gah«, machte der Alte nur.

Woraufhin Lauryn lachte. »Io scheint ihn jedenfalls zu mögen. Ist selten, oder? Dass sie zu Fremden so zutraulich ist?«

»Das ist gar nicht selten. Sie sieht hier bloß nicht viele Fremde.«

»Natürlich«, der Jüngere grinste und nahm Harmony behutsam auf den Arm, um ihn nicht zu wecken. »Ich geh dann mal.« Schnell ließ er das Haus hinter sich. Der Sand knirschte leise im Einklang mit dem stetigen Rauschen der Wellen. Die schmale Mondsichel war nicht hell genug den Weg zu zeigen. Doch Lauryn kannte ihn aus dem Herzen. Er lebte schon viele Jahre hier mit seinem Meister. Hatte Harmony oft am Strand spielen sehen. Doch seine kalte Nase jetzt am eigenen Hals zu spüren, war ungewohnt. Und dann auch wieder nicht. Roch sein Haar doch genauso wie das seiner Mutter.

Lauryn klopfte an die Tür von Jenifer Snow’s Haus. Erschreckend schnell wurde die Tür aufgerissen und eine junge Frau mit blassem Gesicht und tiefblauen Augen starrte ihn an.

»Lauryn …«, stotterte sie. Die Grillen zirpten.

»Tut mir leid«, antwortete er. »Er hat sich wohl zu uns nach oben verirrt und mein Meister hat es nicht für nötig gehalten ihn wieder rechtzeitig nach Hause zu schicken. Wenn ich eher zurück gekommen …«

»Natürlich«, lächelte Anna müde und nahm ihm ihren Sohn ab. »Danke, dass du ihn hergebracht hast.«

»Mh.« Eine Wolke schob sich vor den Mond und der Wind frischte auf.

»Ist noch etwas?« fragte die junge Frau.

Lauryn’s Blick schweifte über ihren dünnen Handgelenke und das firme Kinn, die blassroten, zusammengepressten Lippen, das lange, nussbraune Haar. »Du hast mir nicht mal erzählt, wie er heißt.«

»Das hast du doch inzwischen sicher oft genug gehört?«

»Aber das ist nicht dasselbe!«

»Oh! Aber ich höre auch zum ersten Mal, dass dich das interessiert.«

»Huuh? Natürlich interessiert es mich!«

»Woher soll ich das wissen?«

»Ist das nicht normal?«

Anna schnaufte. »Bei euch Zauberern ist doch nichts normal.«

»Ah«, machte Lauryn. »Ja.« Sie schauten sich an. Ein bisschen erhitzt mit roten Backen, aber die Atmosphäre fühlte sich besser an als zuvor.

Schließlich sagte Anna: »Er heißt Harmony«

Und Lauryn grinste und antworte: »Ist das nicht ein seltsamer Name für einen Jungen?«

»Und er ist genauso albern wie du!« Sie boxte ihn zwischen die Rippen.

»Ich bin doch nicht …«, versuchte er noch zu widersprechen, doch sie fiel ihm scharf ins Wort.

»Leugne nicht!« Dann trat sie einen Schritt zurück hinter die Schwelle. »Und ich gehe jetzt rein. Er ist nämlich auch schwer. Ich hoffe für euch, dass Master Shaun ihm nicht irgendwelchen Unsinn erzählt hat.«

»Das hat er bestimmt.«

Sie seufzte und ergriff die Türklinke. »Gute Nacht.«

»Gute Nacht.«

Die Tür schloss sich und es wurde wieder still. Lauryn Halo legte den Kopf in den Nacken und atmete durch. Sie war immer noch dieselbe. Und er musste lachen. Irgendwann löste er sich vom Haus um den Rückweg anzutreten, zog die Schuhe aus und watete barfuß durch den weißen Sand. Zum ersten Mal seit langem wunderte er sich, ob er die fliegenden Fische in der nächsten Nacht wohl sehen würde. Und trotzdem roch es nach Regen.
 

*
 

Der nächste Tag verlief erstaunlich ruhig. Harmony lag im Sand und rührte sich kaum, schaute den Wellen zu und ein paar Möwen, die bei den Felsen nach Fischen pickten. Trotz des bewölkten Himmels konnte man weit sehen. Wegen des bewölkten Himmels konnte man weit sehen, wurde man erst gewahr, wie weit er war. Hinter einer Wolke kam immer noch eine nächste und eine nächste bis das Meer schließlich den Himmel bedeckte. Das war der Horizont. So weit. So weit.

Jemand setzte sich neben ihn. Das weinrote Kleid seiner Mutter.

»Die Wolken sollen nach Hause gehen«, maulte er eintönig.

Anna streichelte sein Haar. »Das werden sie. Bis heute Nacht ist noch genug Zeit.«

»Wir werden sie zusammen sehen, oder?«

»Ja.«

»Der Opa hat gesagt, deine Augen seien schlecht.« Anna erschrak und Harmony kletterte an ihr auf und blickte ihr ins Gesicht.

»Das … eh …«, stotterte sie, bevor sie sich wieder fing. »Es stimmt, meine Augen werden immer schlechter. Aber … letztes Jahr habe ich sie gesehen, also sehe ich sie dieses Jahr vielleicht auch noch …«

»Vielleicht …«, wiederholte ihr Sohn und sank an ihre Brust.

»Tut mir leid …« Ihre Herz zog schmerzhaft.

»Wirst du dann blind werden?«

»Wahrscheinlich … Irgendwann.«

»Kann man das nicht heilen?!«

»Bis jetzt nicht …«

»Und Papa? Er ist doch Zauberer?! Kann er dir nicht helfen? Wieso ist er nicht hier?!« Harmony schaute sie mit großen blauen Augen an, erwartungsvoll, verzweifelt.

Anna biss sich auf die Lippen. Warum erinnerte er sich an so etwas? Wann hatten sie das letzte Mal über seinen Vater gesprochen? »Selbst Magie kann nicht alles …«

»Aber er hilft doch Menschen damit, wieso kann er dir nicht helfen?«

Sie nahm ihn in den Arm und drückte ihn fest. »Weißt du, das frage ich mich auch so oft.«
 

*
 

Als endlich die ersehnte Nacht anbrach, blieb es dunkel. Kein Stern erhellte den Himmel, bedeckt von einer geschlossenen Wolkenschicht. Harmony lag auf dem Rücken und starrte nach oben. Müde, enttäuscht. Ein Teil seiner kleinen Welt schien heute zerbrochen. Dunkelheit.

Enttäuscht war auch jemand anderes. So viele Jahre lebte er nun schon an diesem Strand, so viele Neumonde hatte er erlebt, auch wolkenlose. Aber das letzte Mal, dass er die fliegenden Fische gesehen hatte, war so lange her. Diese magischen Fische, die nur in sternenklaren Neumondnächten erschienen, die glitzerten wie Sterne im tiefschwarzen Meer. Ein zweiter Himmel. Doch nur wenige Menschen waren in der Lage, ihn zu sehen. Wer glaubte schon an die Existenz solcher Wesen. Lauryn Halo erhob sich aus seinem Sessel, atmete tief ein. Das einzige, was er tun konnte für seinen Sohn. Und pustete. Und sandte den entstehenden Wind mit einer Handbewegung in den Himmel. Die Wolken stoben auseinander, gaben den Blick auf die Sterne frei.

Augenblicklich begann es auch auf dem Meer zu blitzen. Harmony traute seinen Augen kaum und schnellte auf. Ein leises Platschen kam zum stetigen Rauschen der Wellen hinzu. Kleine Körper mit zarten Flügeln, die das Sternenlicht einfingen.

Der Junge starrte erst ungläubig, dann glücklich und zerrte seine Mutter neben ihm schon aufgeregt am Ärmel. Doch als er sie sah, erstarb sein Lachen wieder. Sie sah sie nicht. Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen und weinte.

Harmony sagte nichts und wandte sich wieder dem Meer und seinen Fischen zu, betrachtete sie ruhig. Es tat weh. Sie waren so schön, wie sie das Sternenlicht fingen und die Wassertropfen zum Glitzern brachten. Wie sie immer wieder dem Himmel entgegen strebten. So oft sie zurückfielen, immer wieder erneut sprangen und so hoch flogen. So schön, so irritierend schön.

Die Nacht ging zu Ende und der erste Sonnenstrahl fiel über die Bucht. Harmony kletterte aus seinem Bett. Er war wohl irgendwann eingeschlafen und seine Mutter hatte ihn nach Hause getragen. Seine Mutter … Die Erinnerungen der Nacht wurden wieder lebendig. Er schob sich durch die Zimmertür, lief leise den Korridor entlang und schlüpfte durch die Haustür nach draußen, durchquerte das Schilffeld zum Wasser. Alles war still. Außer den Wellen war nichts zu hören. Kein Wind, kein Vogel. Nur der Atem des Jungen. Er stand im feuchten Sand und sein Herz schlug bis zum Hals. Der Himmel an diesem Morgen war eindrucksvoll, weiße flockige Wolken mit einem Hauch Gold, Rosa, Hellblau. Doch Harmony sah das nicht. Vor seinen Füßen wiegten die Wellen den toten Körper eines Fisches. Die Augen milchig weiß, das Maul geöffnet. Die fast transparenten Flügel bewegten sich stetig vor und zurück, als würden sie noch immer fliegen.

Harmony fiel in den Sand, schlug die Arme vors Gesicht und schluchzte laut. Seine Fische waren gestorben.
 

*
 

»Jetzt siehst du, was du angerichtet hast«, meinte Master Shaun grimmig und kehrte zurück ins Haus um sich einen Morgentee zu brühen. Lauryn blickte geschockt auf die Oberfläche des Meeres, auf welcher viele kleine Punkte golden in der Sonne schillerten. Er verstand selbst nicht recht, wie es dazu gekommen war. Sie waren doch letzte Nacht geflogen wie immer, oder? Wieso verschwanden sie nicht einfach? Wieso starben sie auf diese Art? Es war, als wäre die Magie selbst gestorben. Der junge Zauberer schüttelte den Kopf und lief um das Haus herum, den Weg zum Strand hinunter. Er konnte das nicht glauben.

Als er unten anlangte, verringerte er sein Tempo und näherte sich dem kleinen Jungen. Einen Moment noch musste er überlegen, was er sagte, dann sprach er ihn an. Harmony hob den Kopf.

»Weinst du um die Fische?« Lauryn hockte sich neben ihn.

»Mh.«

»Sie waren schön letzte Nacht, oder?«

»Sie konnten sie sehen?«

»Ja. Seit langem mal wieder.«

Harmony blickte traurig auf den leblosen Fisch vor ihm. »Wieso sind sie gestorben?«

»… Ich weiß nicht.« Bedrückende Stille.

»Heißt das, sie werden nie wieder fliegen? Ich werde sie nie wieder sehen können?«

Lauryn schaute den Jungen an. Er ahnte, was in seinem Kopf vorging. »Vielleicht doch«, sagte er schließlich.

Harmony sah ihn an.

»Sie sind schließlich magische Fische, oder? Die können doch nicht auf so eine Weise sterben.« Er stand auf und lächelte. »Außerdem will ich, nachdem ich sterbe, ein fliegender Fisch werden und alle Menschen, die uns sehen, glücklich machen.« Endlich ein richtiger Zauberer werden. »Alleine fliegen ist schließlich doof.« Er spähte kurz über das Wasser, schlüpfte aus seinen Schuhen und lief ein Stück den Strand entlang. »Es gibt bestimmt einen Weg sie zurück zu bringen.«

Harmony schaute ihm verwundert nach. Wie er die Hände aneinander legte und wieder entfernte und plötzlich ein Blatt Papier hielt, es mit Händen und Lippen flink im Gehen faltete. Schließlich knietief ins Wasser watete und mit irgendetwas leise sprach. Kleine goldene Blasen schwebten in die Luft, lösten sich auf. Der Junge beobachtete sie staunend. So etwas hatte er noch nie gesehen.

Lauryn pustete und die letzten Blasen verschwanden. Er kehrte zurück zu Harmony, in den Händen das Papier.

»Wenn ich sterbe«, sagte Harmony plötzlich entschlossen. »Werde ich Wind! Um die Wolken wegzuschieben und die Fische noch höher fliegen zu lassen.«

Der Zauberer lächelte ihn an und hockte sich wieder neben ihn. »Das ist schön. Aber bis dahin musst du mir versprechen noch ganz lange zu leben. Wie dieser Fisch hier.« Er hielt ihm das Papier vor die Nase. Es war ein gefaltetes Schiff.

Harmony nahm es skeptisch entgegen. »Das ist ein Fisch?«

»Naja … Es ist schon ein Papierschiff, aber darin liegt die Seele eines fliegenden Fisches.« Und auf den verständnislosen Blick des Jungen, versuchte er zu erklären. »Der Fisch ist nicht wirklich tot. Sein Körper schon, aber seine Seele schläft jetzt im Körper dieses Schiffchens. Und wie gesagt, es sind magische Fische, vielleicht kann er sich also einen neuen Köper machen, wenn man ihn irgendwann zurück ins Wasser bringt.«

Harmony betrachtete sein Schiff. Er wusste noch nicht, ob er das verstand. Er wusste nicht, was er darüber denken sollte. Aber das Papier fühlte sich schön an zwischen seinen Fingern. Die warme Morgensonne. Das Salz. Er schloss die Augen und legte es an seine Wange. »Es riecht nach Meer.«
 

End of Act III

1997: Die Geschichten der Wolken (4) - Die andere Seite der Wolken 1

VIII. 1997 – 2009

Die Geschichten der Wolken (4)
 

1997 – Die andere Seite der Wolken 1
 

Wolken am Himmel. Zwischen den Baumkronen spielen weiße Lichtflecken.

Wenn sie den Kopf in den Nacken legte, konnte sie den Himmel spüren. Er musste grau sein. Ein intensives helles Grau, das fast blendete. Eben noch hatte Master Zenon gesagt, sie solle nicht alleine herum laufen, aber kaum dass er ihre Hand hatte losgelassen, war sie ihrem Drang gefolgt, sich umzusehen. Die Erwachsenen waren so sehr in ihr Gespräch vertieft gewesen, dass sie ihr Verschwinden nicht bemerkt hatten. Ein bisschen hatte sie das enttäuscht. Sie hatte erwartet, dass ein Mann wie Zenon French aufmerksamer war. Wie lange würde es brauchen, um sie wiederzufinden? Und wenn sie jetzt davon liefe, wie lange würde es brauchen, um sie wiederzufinden? Doch sie lächelte nur über diesen Gedanken. Eigentlich machten sie ihr nichts aus – der Ort, an dem sie von jetzt an leben würde, die Menschen, mit denen sie zusammen leben würde und dieser graue britische Himmel, den sie heute zum ersten Mal fühlte. Es war gut so.

Langsam schritt sie über den Hof. Er war weit und hell, aber die Präsenz der alten Gebäude zu drei Seiten war trotzdem überwältigend. Master Zenon hatte extra eine Zeit gewählt, um sie herzubringen, zu der für gewöhnlich nur wenige Leute hier unterwegs waren. Doch das Mädchen war sich sicher, dass egal, wie bunt das Treiben auf dem Hof wurde, diese uralten Steine würden nie ihre ruhige und ehrwürdige Eleganz verlieren. Ewigkeit. Sie blickte wieder auf. Aber diesmal nicht in den Himmel, sondern eine Mauer empor und ein Schauer rann ihr über den Rücken. Das musste es sein. Etwas bestimmt für die Ewigkeit. Sie streckte die Fingerspitzen und berührte die Steine. Die berühmte Ewige Bibliothek. Vielleicht kümmerte es sie doch ein wenig. Dass der Ort, an dem sie von jetzt an leben sollte, erst einige hundert Meilen weiter nördlich war. Und es wunderte sie, wie ihr Herz bereits an etwas hängen konnte, dem sie eben erst begegnet war.

Sie lief weiter. Strich mit ihren Fingern die Wand entlang. Eine lange Wand mit vielen hohen Fenstern. Es hieß, dass die Glasscheiben früher je nach Laune der Bibliothek das Licht in verschiedenen Farben reflektiert haben sollten. Vielleicht war deswegen der Hof so weit und hell. Um die Farben sehen zu können.

Tief in ihre Gedanken versunken folgte sie glücklich einem runden Abschnitt der Mauer, die sie schließlich zur Rückseite führte, wo heute weder Sonne noch Wind hinreichten und es bis auf den Geruch von feuchtem Gras totenstill war. Bis sie plötzlich einen Lufthauch bemerkte und seltsame Geräusche, die viel zu nahe kamen, noch bevor sie sie zuordnen konnte, und etwas stieß sie von vorn zu Boden. Doch …

»Ah …«, hörte sie jemanden keuchen. »Ent… Entschuldigung …« Es war die Stimme eines Jungen, noch jünger als sie selbst. »Ich hab nur was Gruseliges gesehen und bin weggerannt …«

»Nicht so schlimm«, antwortete sie und rappelte sich auf. »Es war ja nichts, das dich verfolgen könnte, oder?«

»Ich denke nicht …«, antwortete er etwas zögerlich und warf vorsichtshalber einen Blick hinter sich.

»Dann ist jetzt alles wieder gut«, lachte sie ihn an und legte ihre Hand auf seinen Kopf. »Ich bin Yuukyuu. Aber du kannst mich Yuu nennen. Und wie heißt du?«

»Mint« murmelte er, während er sie weg schob. Doch sie war hartnäckig und griff stattdessen seine Hand, die immer noch zitterte.

»Es ist okay. Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Wenn es um Monster geht, bin ich sehr stark.«

Er betrachtete sie etwas grimmig. Sie war selbst nur ein Kind und gab schon so an. Aber immerhin war sie schon einen ganzen Kopf größer als er und trug leuchtend rote ausländische Sachen und sie hatte genauso kalte Hände wie seine Mutter immer und die war wirklich stark, wenn es um Monster ging. Bevor er wirklich wusste warum, hatte er sich etwas beruhigt. »Hat das mit den Monster was … mit deinen Augen zu tun?« Er schielte hinauf zu dem schwarzen Band, was sie um die Augen gebunden trug.

»Das? Ja, so ist es«, grinste Yuu, nicht ganz ohne Stolz. »Aber weißt du«, unterbrach sie dann. »Lass uns auf dem Weg reden.«

»Auf dem Weg?«

»Mh. Ich hab mich verlaufen und du bringst mich zurück zu Master Zenon.«

»Ah. So ist das also«, brummte Mint und setzte sich in Bewegung, zog sie hinter sich her hinaus aus den Schatten. »Kannst du nicht sehen oder …?« begann er erneut.

Der Himmel hatte etwas aufgeklärt und Yuu genoss die Sonnenstrahlen, die jetzt ihr schwarzes Haar wärmten. »Ich kann.«

»Aber …«

»Ich darf nur nicht. Weil … sie sagen, dass alles, was ich sehe von dieser Welt verschwindet.«

Mint betrachtete sie skeptisch. »Wie soll denn das gehen?«

Das Mädchen zuckte nur mit den Schultern. »Keine Ahnung. Aber es hat schon bei meiner Großmutter angefangen und meine Mutter hatte es auch, deswegen werden sie wissen, wovon sie reden …«

»Hmmm …« Sie hatten bereits die Hälfte des Hofes überquert. »Willst du denn gar nicht sehen?«

»Natürlich würde ich gerne, aber …« Sie stoppte. Etwas in seinem Tonfall hatte merkwürdig geklungen. Viel zu ernst. Und etwas in seinem Blick verunsicherte sie. »Welche Farbe haben deine Augen?«

»Grün. Aber du weißt ja gar nicht wie das aussieht.«

»Sogar ich hab etwas Fantasie …«, entgegnete sie irritiert. Etwas stimmte nicht mit ihm. »Du kannst mir ja darüber erzählen. Was für ein Grün?«

»Hmm« machte er. »Es ist wie die Sonne, die durch ein dünnes Laubblatt scheint.«

»Ha! Das hört sich an wie ein hübsches Grün!«

»… Ist es aber nicht.« Mint blieb stehen. Sie hatten die große Holztür erreicht, durch die Yuu aus dem Hauptgebäude gekommen war. »Master Zenon wird bald hier sein und dich abholen.«

»So …« Sie hielt inne, als er ihre Hand losließ und sich anschickte, einfach zu gehen. »Woher … Magst du nicht hier mit mir warten? Du könntest mir noch mehr erzählen, über die Bibliothek zum Beispiel.«

Doch statt einer Antwort erhielt sie nur einen flüchtigen Blick der grünen Augen, bevor die Schritte des Jungen sich schnell entfernten und schließlich in den Schatten der alten Gebäude verschwanden.

»Was für ein Problem hat der denn?«, murmelte sie ärgerlich vor sich hin. Dann wandte sie das Gesicht wieder Richtung Himmel. Wartete darauf, gefunden zu werden.
 

*
 

Mint dagegen kauerte inzwischen in einer dunklen Nische auf der Nordseite des Hauptgebäudes und sein Herz klopfte unter dem Gedanken, der ihm durch den Kopf ging. Sie konnte nicht sehen. Sie konnte nicht sehen, weil sie ihre Augen verschlossen hatte. Vielleicht konnte er das auch, den Teil seiner Augen verschließen, der diese ganzen hässlichen Dinge sah. Vielleicht konnte er das auch … Er hob den Kopf und betrachtete die Wolken, die grau und langsam über den blauen Himmel zogen, und die Erinnerung an die gerade vergangenen Ereignisse holte ihn ein und erneut durchschüttelte ihn ein Schauder. Oh ja, selbst wenn er dann nicht mehr das Blau hinter dem Grau sehen konnte, es war das Beste diese grausigen Augen zu schließen.

Er senkte den Kopf und legte die Handflächen auf seine Augen und um ihn herum wurde es still.

2009: Die Geschichten der Wolken (4) - Die andere Seite der Wolken 2

2009 – Die andere Seite der Wolken 2
 

Der Pinsel glitt so leicht über das Papier, dass sie ihn kaum vernahm. Wörter tropften heraus. Fünf, acht, fünf Silben. Kitzelten in ihren Ohren, rannen den Rücken hinunter. Er legte den Pinsel beiseite, pustete einmal und schaute sie an. Ein weiteres Kitzeln. Ihre Hände schwitzten. Sie spürte die Wärme seiner Arme neben ihrem Gesicht und dann auf ihrer Schulter das Ende einer Kordel, über ihrer Nase die leichten Luftwirbel, die unter dem Papier entstanden, welches jetzt wie eine Maske über ihren Augen lag. Der Geruch von Pflanzenfasern und Tinte.

»Es ist sicher kein Meisterwerk«, sagte Mint ruhig. »Aber ausreichend für den ersten Versuch.« Und nach einer Pause: »Du hast sie doch schon gespürt, oder?«

Sie hatte. Die Wörter. Und trotzdem. Zwanzig Jahre hatte sie nicht sehen dürfen, jetzt war sie nur noch einen Millimeter davon entfernt. Aber wenn der Zauber nicht gelungen war, wenn das Tor in ihren Augen, das alles auffraß, was sie sah, doch nicht verschlossen war, was würde dann mit Mint geschehen, wenn sie die Augen öffnete?

»Vertraust du mir nicht?« Er legte seine Hände auf ihre Wangen und hielt ihren Kopf fest. Schaute ihr direkt in die Augen, durch das Papier, durch die schwarze Augenbinde.

»Doch!« entfuhr es ihr leicht entrüstet. »Ich glaube schließlich an die Ewigkeit!«

»Ha«, lächelte er. »Natürlich tust du das.« Natürlich. Er war schließlich der 16. Bibliothekar der Ewigen Bibliothek. Um ihn zu fressen, erforderte es, eine unendliche Menge an Zeit hinunter zu schlingen. Nicht einmal die Andere Seite konnte das. Davon ging er zumindest aus. Und sie? Natürlich. Schließlich trug sie die Ewigkeit in ihrem Namen. »Dann werde ich es jetzt lösen.«

Sie nickte. Und er entknotete die Augenbinde, zog sie sanft weg. Licht. Langsam öffnete das Mädchen die Augen. Licht. Trotz des Papiers vor ihren Augen, kein Papier. Stattdessen … Grün. Ein Hellgrün so scharf wie Diamant, das überging in ein tiefes Dunkelgrün. Tief und weit. So weit. »Ah«, sagte sie nur. »Deine Augen haben die Farbe der Zukunft.«

»Grün.«

»Ich weiß.« Schwungvoll stand sie auf und lief ein paar Schritte. »Ich darf jetzt den Magischen Zirkel verlassen, oder?«

»Mh.«

»Dann …« Sie hüpfte durch die große offene Tür auf die Holzterrasse nach draußen. Der Boden davor war bedeckt von abgestorbenen Blättern und ein wenig Gras. Hohe Bäume ragten empor, wiegten ihre erstaunlich braunen Kronen. Der Herbst war noch einen Monat entfernt. Und dort, zwischen den Blättern hoch über den weißen Flecken aus Licht, war Blau. Sie taumelte. Blau. Griff nach Mint’s Hand, der jetzt hinter ihr stand.

»Blau«, sagte er.

»Ich weiß …« Es war das erste Mal, dass sie sah, und doch erkannte sie alles sofort. Es war einfach nur betäubend schön. Ihr schwindelte und sie schloss die Augen, wischte sich die Tränen weg. Nie hätte sie damit gerechnet, dass er sein Versprechen so schnell einlösen würde. Nie hätte sie damit gerechnet, dass er es überhaupt einlösen würde. Dass er es konnte. Die Magie, die er benutzt hatte, war schon lange nicht mehr gebräuchlich. Aber schließlich war er der Wächter jener Bibliothek, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichermaßen kannte. Er hatte Zugang zu jedem Wissen, das Zauberer über Jahrtausende gesammelt hatten.

»Warte nur ab, bis du die Sterne siehst. Und Regen und Schnee.«

»Schnee? Hier oben?«

»Und Sonnenblumenfelder und Meer und …«

»Die Bibliothek?«

Zufrieden schob er sein Kissen mit dem Fuß zurecht und ließ sich wieder auf dem Boden nieder. »Wenn das Siegel erst mal stabil genug ist, könntest du ohne Gefahr für deine Umwelt auch außerhalb der Wizardry leben.«

Sie setzte sich ebenfalls wieder und betrachtete in Ruhe das Zimmer, in dem sie seit nunmehr zwölf Jahren wohnte. Der rote Stuhl, den SU ihr gebaut hatte, die Kalligrafien an der Wand. Es war seltsam, wie fremd ihre eigene Handschrift aussah. Ihr gegenüber gähnte und streckte sich der Junge und rollte sich dann zusammen.

»Das Siegel hält allerhöchstens bis Sonnenuntergang, eher kürzer«, sagte er mit geschlossenen Augen. »Weckt mich zum Essen.«

Yuu genoss noch eine Weile, was sie sah. Dass sie sah. Die Lichtflecken zwischen den Bäumen draußen, der kühle Schatten hier drinnen. Ein schlafendes Kind. Genau das Gesicht, das sie sich vorgestellt hatte, als sie sich damals zum ersten Mal trafen. Genau die Farbe, die sich vorgestellt hatte. Ein Sonnenstrahl durch ein Laubblatt. Schließlich erhob sie sich und verließ das Zimmer, um die anderen zu suchen.
 

*
 

Leise knirschte das Holz unter seinen Füßen. Dünne Zweige, sprödes Gras, das Rascheln gefallender Blätter. Durch die Lücken der Baumkronen fiel warmes Licht. Bildete Flecken, malte die Luft weiß. Gern hätte Mint den Blick gehoben in die Bäume direkt über ihn, doch der Weg hielt ihn zurück. Er wusste, wenn er den Weg aus den Augen verlor, würde er ihn nicht mehr wieder finden. Einmal zu weit nach links oder zu weit nach rechts und das, was eben noch klar zu sehen war, würde sich auflösen in einen Irrgarten aus Bäumen. Und wer sich umdrehte, stolperte mit hoher Wahrscheinlichkeit geradewegs auf die Andere Seite. So funktionierte dieser Wald, dieser Berg. Nicht umsonst war es hier, wo sich die Wizardry befand. Hier, wo die Grenze zwischen dieser und der Anderen Seite so ausgesprochen dünn war. Der Junge konnte sie fast in seinem Rücken nagen spüren. Er atmete tief durch und schritt unbeirrt weiter. Aber bald traten ihm trotz des kühlen Schattens der Bäume Schweißperlen auf die Stirn. Außer den eigenen Schritten vernahm er kein Geräusch, dennoch war sich sicher, zu den Schatten, die ab und zu in seinen Augenwinkeln herum sprangen, auch das eine oder andere Wispern zu hören. Er hätte doch nicht alleine gehen sollen, ging es ihm durch den Kopf. SU oder Yuu hätten ihn abholen können. Aber es war ja auch nicht so, dass er den Weg nicht kannte. Im Gegenteil. Für ihn, für seine Augen, war es leicht den Weg nicht zu verlieren. Aber so gut er sah, war es heute nicht gut. Er hatte das Gefühl, dass er beobachtet wurde. Dass etwas hinter ihm stetig näher kam. Und wenn es sich zeigte, würde er es sehen. Das macht ihm Angst. Nicht dass er vom Weg abkommen und sich auf der Anderen Seite verirren könnte. Er würde nicht abkommen und er würde sich nicht verirren. Aber er würde Dinge sehen, die nicht dazu bestimmt waren von Menschenaugen gesehen zu werden.

Linkerhand streifte sein Blick einen See, der vom Fuße eines Abhangs her in der Sonne glitzerte. Jedes Mal fragte sich Mint, ob es einen Weg gab, der tatsächlich an seine Ufer führte. Als er Yuu einmal danach gefragt hatte, hatte sie nur gelacht und geantwortet, dass es hier keinen See gäbe.

Noch etwas höher, etwas steiler, vorbei an den Ausläufern des Friedhofs mit den wenigen verrosteten Eisenstangen, die von dem Zaun übrig geblieben waren. Noch ein wenig höher und zwischen den Bäumen erhob sich endlich die Wizardry, die alte Zaubererschule, die seit jeher diejenigen Menschen und Zauber beherbergte, die in der normalen Welt keinen mehr Platz fanden. Unscheinbar. Drei flache gemauerte Häuser. Einen Moment noch blieb der Junge stehen, schloss erleichtert die Augen. Hier oben wehte sogar etwas Wind, stellte er fest. Die Blätter der Bäume schaukelten leise mit. Das Knarren von Holzdielen. »Ah, Mint! Da bist du ja endlich!« rief ihm jemand von der Terrasse des nächsten Hauses zu. Eine Stimme mit dem klaren Klang von Quellwasser.

»Morgen, Yuu«, antwortete Mint knapp und stieg zu ihr hinauf auf die Terrasse. »Wie geht es dir?«

Sie strich ihm kurz mit der Hand über die Wange, wie um sicher zu gehen, dass er es wirklich war. Der schwarze Stoff um ihre Augen lag so fest gebunden wie eh. »Gut, danke. Uns geht es allen gut. Nur Master Virgil ist schon seit dem Morgen verschwunden.« Sie liefen die Terrasse entlang zu Yuukyuu’s Zimmer. »Heute Nacht ist Vollmond.«

Kein Grund darüber nachzudenken. Virgil Loco war so. Mint stellte seine Tasche ab setzte sich auf eines der Kissen, die in der Mitte von Yuu’s Zimmer auf dem Boden lagen, und beobachtete, wie das Mädchen Tee zubereitete. Eine Weile später stand eine Tasse dampfenden schwarzen Tees vor ihm. Schwarzer Tee, der eigentlich nicht zu Yuu passte. Mint hatte ihn mitgebracht und nur für Mint brühte sie ihn. Endlich setzte auch sie sich. Und weitere Minuten zogen vorüber. Wie der Dampf des Tees sich langsam im Wind bog. Durch die große geöffnete Tür konnte sogar noch ein Stück vom Himmel sehen. Ein wenig Blau zwischen den Baumkronen, welche erstaunlich braun waren und sich kaum unterschieden von den abgestorbenen Blättern am Boden. Noch war der Herbst einen Monat entfernt. Über das Blau schob sich eine Wolke. Die Lichtflecken in der Luft flackerten. Lautlos.

»Ist es schön?« fragte Yuu lächelnd.

Mint wandte den Blick zurück in das schattige Zimmer zu dem Mädchen ihm gegenüber, das aufrecht und still auf ihren Unterschenkeln saß, in einem roten mit Blumen bemusterten Yukata und pechschwarzen leicht gewellten Haaren. Und einer schwarzen Augenbinde. »Ja«, antwortete er. Trotzdem beide wussten, dass sie die Welt nicht so sahen wie die meisten Menschen. Yuu, die sehen konnte, aber nicht durfte. Und Mint, von dem man sagte, sein Blick erreichte sogar die Zukunft.

Er nahm seine Tasse und nippte am Tee. Dann begann er zu sprechen. »Ich habe Papier und Tinte mitgebracht. Ich werde etwas ausprobieren. Wenn du mich lässt.«

»Etwas?«

Langsam begann er seine Tasche auszupacken. Eine Mappe mit Papier, das er letzte Woche selbst geschöpft hatte. Eine Schachtel mit Pinseln. Ein Tuschestein und ein kleines Schälchen. »Du erinnerst dich sicher, wie wir darüber gesprochen haben, wieso deine Augen sind, wie sie sind. Und dass wir zu dem Schluss gekommen sind, dass es sich wahrscheinlich um eine Art Tor handelt, welches auf die Andere Seite führt.« Sie nickte. »Wenn es ein Tor ist, kann es verschlossen werden. Ganz so wie Lian damals das Tor geschlossen hat, das Lirith May geöffnet hatte. Nur ein wenig kleiner.«

»Hmm. Verstehe.« Sie nickte bedeutend. »Deswegen bringst du Papier mit.«

Er blinzelte. »Kein Grund mich zu verspotten. Das ist schließlich mein Job.«

»Natürlich, Herr Bibliothekar.« Sie grinste.

»Pff. Du wirst schon sehen.«

»Wirklich?«

Er spürte, wie sie unsicher wurde. Die gespielte Unernsthaftigkeit hielt nicht mehr. Die Hände in ihrem Schoß verrieten ihre Anspannung. Ein wenig unangenehm wurde dem Jungen schon. »Ich kann nicht garantieren, dass es klappt. Ich hatte noch nicht viel Gelegenheit mit solcher Magie umzugehen. Und die Umgebung hier ist auch nicht gerade gut geeignet für Zauber von dieser Seite.«

»Mh«, antwortete sie nur und lauschte. Um sie herum hatte es angefangen zu rascheln. Mint bedeckte den Boden um sie herum mit Blättern. Und … der Geruch von Tinte und … Blut? »Was machst du?«

»Einen magischen Zirkel, der die störenden Einflüsse von draußen eindämmen soll.« Nach und nach bemalte er das Papier mit der Tusche gemischt mit seinem Blut, sodass sich bald über die zusammengelegten Blätter ein schwarzer Kreis erstreckte, in dessen Mittelpunkt Yuukyuu saß. Mint entfernte noch den Tee und seine leere Tasche, das Kissen, stellte sich dann vor das Mädchen, legte die Hände vor seiner Brust aneinander und konzentrierte sich.

Ein heftiger Windstoß durchfuhr plötzlich das Zimmer. Einen Augenblick lang fürchtete Yuu, die Blätter wären davon geflogen. Doch weder hatte sie sie gehört, noch machte Mint den Anschein, dass etwas nicht stimmte. Stattdessen kniete er sich wieder vor sie hin.

»Eine Säuberung«, erklärte er. »Jetzt ist nichts mehr innerhalb des Kreises, was hier nicht hin gehört.« Yuu nickte. »Und jetzt werde ich das Siegel schreiben.«

»Eeeeh… Wie machst du das? Ein typischer einundzwanzigsilbiger RA-Zauberspruch?«

»Ha. No way. Ein Haiku. Das passt besser zu dir.«

Sie kicherte. »Dann bist du also ein Poet.«

»Sicher. Aber nur auf Englisch. Mein Japanisch ist noch nicht gut genug zum dichten. Und jetzt still. Ich schreibe.«
 

*
 

Vor ihm erstreckte sich die sanft gewellte Oberfläche des Sees, reflektierte die Dunkelheit des Universums. Mint seufzte. Er hatte genau gemerkt, als sich der Weg verändert hatte. Aber hatte nichts dagegen tun können. Er hatte nicht einfach umdrehen können. Für seinen nächsten Besuch hatte Yuu ihm eine ihrer speziellen Laternen versprochen, die immer den rechten Weg leuchteten, aber jetzt stand er hier, am Ufer des Sees, zu dem kein Weg führen sollte. Vollmondnacht. Auch der anstrengende Aufstieg am Morgen hatte ihn keines besseren belehrt. Vielleicht sollte er einfach hier sitzen bleiben und warten, bis die Sonne aufging. Master Virgil würde ihn finden.

Mint zog seinen Schal fester um den Hals. Von der anderen Seite des Sees hauchte ihm eine kühle Brise entgegen. Und … er lauschte plötzlich aufmerksam. Von drüben drangen Geräusche. Ein Rascheln? Eher ein Scharren … Dem Jungen schauderte. Da war etwas Lebendiges am gegenüberliegenden Ufer. Etwas, das … Pfeife rauchte und eine etwas merkwürdige Silhouette hatte. Vielleicht war es nur Master Virgil, folgerte Mint. Doch dann rann ein erneuter Schauder über seinen Rücken, als der Wind eine Stimme zu ihm herüber trug.

»Seid gegrüßt, einsamer Wanderer. Was führt euch zu dieser Stunde hierher?«

Mint war nicht danach mit jemanden zu reden, der die ganze Zeit klang, als würde er grinsen. Überhaupt war ihm gar nicht nach reden mitten in der Nacht an einem unbekannten Ort. Dementsprechend frostig antwortete er. »Der Weg.« Er konnte sehen, wie der andere an seiner Pfeife zog und weißen Qualm ausstieß, der im Mondlicht glitzerte.

»Ich würde lügen, wenn ich sagte, dass das nicht meine Intention war, aber weißt du, ich lüge nicht so gern. Eigentlich wollte ich dich nur kennen lernen. Sie reden viel von dir. Dem, der die Zukunft sehen kann.«

»Vielleicht kann ich das, vielleicht auch nicht. Ich bin nur ein Bibliothekar. Aber wer sind sie?«

Wolken verdeckten den Mond, tauchten für Minuten alles in Dunkelheit und Schweigen. Mint hörte sein eigenes Herz schlagen, während er darauf wartete, dass das weiße Licht zurückkehrte. Und als er die Silhouette des anderen endlich wieder an alter Stelle auf der anderen Seite des Sees ausmachen konnte, war er fast erleichtert.

»Was ist mit deinem Großvater? Geht es ihm gut? Er kam früher oft hierher.«

Früher, das war über ein Jahrhundert her.

»Er verdankt mir sein Leben, weißt du?«

»Ach wirklich? Und was willst du jetzt von mir?«

»Ich mochte, wonach Jacob damals suchte. Er hat es letztendlich gefunden. Kaum zu glauben. Ein wirklich hartnäckiger Mann.« Und nach einer Pause. »Ich möchte, was du sehen kannst, diese Seite, die andere Seite, die Zukunft …«

Mint steckte die Hände in die Hosentaschen und nahm sich Zeit, darüber nachzudenken. Er hatte eine Ahnung, mit wem er es zu tun hatte. Aber es war zu absurd. Dann wiederum, wenn man bedachte, was damals im Lirith May-Fall passiert war und danach mit Virgil Loco, war es nicht so unwahrscheinlich. Aber trotz allem, trotzdem er Bibliothekar der Ewigen Bibliothek war und tagtäglich mit Buchgeistern und Zauberern, Flüchen, Dämonen und dem Holy Dark zu tun hatte, er selbst fühlte sich nicht wie ein Zauberer und er war der Meinung, dass es Dinge gab, mit denen Menschen sich einfach nicht beschäftigen sollten, die für immer den Märchen und Legenden vorbehalten bleiben sollten. Die Feenwelt gehörte dazu. »Ich kann mich nicht erinnern, mit der Fähigkeit geboren zu sein, die Andere Seite sehen zu können.«

»Aber wie falsch du liegst. Es schlummert seit Generationen in deiner Familie! Du gibst dir nur große Mühe, sie nicht zu sehen.« Der andere kicherte. »Aber sorge dich nicht, ich kann ich davon befreien.«

»Oh bitte. Das ist genau das, was ich mir immer gewünscht habe. Im Ernst jetzt, ich rede nicht mal mit Leuten – oder Wesen – die nicht die Höflichkeit besitzen, sich vorzustellen. Egal welcher Welt sie angehören. Dementsprechend werde ich jetzt nach Hause gehen und kein weiteres Wort an jemanden verschwenden, der überhaupt nicht da ist.« Das war es. Mint hatte seine Entscheidung getroffen. Was auch immer es war, das der andere mit ihm oder seinen Augen vorhatte, das war nichts, an dem er teilnehmen wollte. Er würde den Weg schon finden …

»Ah ja?« kicherte der andere und zog an seiner Pfeife. »Und wie willst du denn den Weg finden? Es gibt keinen anderen Weg als den, auf dem du gekommen bist. Was wirst du tun? Traust du dich, dich umzudrehen?«

Mint stand noch immer am Ufer und starrte in die Dunkelheit. Er hatte nicht ein Mal den Blick abgewendet. Auch wenn Yuu gesagt hatte, es gäbe hier keinen See, was ungefähr gleichbedeutend damit war, dass es keinen Weg gab, der zu ihm hinführte, trotzdem hatte der auf der anderen Seite des Sees einen geschaffen; trotzdem war sich jeder sicher, dass wohin man sich auch auf diesem Berg verirrte, Master Virgil einen finden würde. Also musste es doch Wege geben, die überall hinführten. Wie in jedem anderen Wald auch. Nur waren sie vielleicht schmaler und feiner und für die meisten Menschen schwierig zu sehen. Doch wenn es etwas gab, dem Mint vertraute, waren das seine Augen. Viele Jahre lang hatte er gehasst, dass er sah, was er sah. Er war nur hier hinein geraten, weil er sehen konnte. Er würde nur wieder herauskommen, weil er sehen konnte.

Der auf der anderen Seite kicherte immer noch, doch Mint überhörte es. Er atmete durch und fasste sich ein Herz. Der Grund, warum Yuu den See nicht kannte, war nicht, weil kein Weg hierher führte. Er machte einen Schritt über das Ufer hinaus. Es war, weil es keinen See gab.

Natürlich hatte er nie etwas anderes geglaubt, aber ein Funken Erleichterung schoss doch durch Mints Gedanken. Der Boden unter seinen Füßen war derselbe wie vorher. Trockenes Gras und Erde. Der Weg war nie verloren.

Der junge Bibliothekar lief schnurstracks über die Lichtung auf den wieder beginnenden Wald zu. Auf ein paar Steinen zu seiner Linken lungerten seltsame Schatten, doch er beachtete sie nicht weiter. Auf dem größten dieser Steine verstummte der andere, verfolgte Mint mit seinen stechenden Augen, bis er ihn passierte, scharrte mit seinem Huf und schnaubte weißen Pfeifenrauch aus. Aber selbst wenn er etwas Anerkenndes geäußert hätte, Mint hätte ihn nicht gehört. Er tauchte wieder in den Schatten der Bäume ein, die schnell dichter wurden und dunkler. Das Unterholz knisterte und manches Dickicht reichte dem Jungen bis zur Hüfte und er musste aufpassen, nicht zu stolpern. Der Weg war tatsächlich schwieriger als der übliche für den Abstieg. Aber er war da. Und er war weit. Schweißperlen traten Mint auf die Stirn. Wie heute morgen hörte er unter dem Knistern des Holzes und dem Rauschen der Blätter, Wispern und Murmeln von Stimmen. Schatten, die zwischen den Bäumen umherhuschten. Aber anders als heute morgen waren sie hier viel näher. Der Weg war nur mehr ein schmaler Pfad mit schlechtem Untergrund und Mint dachte sehnsüchtig an die Laterne, die Yuu ihm versprochen hatte, die immer den richtigen Weg leuchten sollte.

Plötzlich wurden seine Schritte langsamer. Vor ihm war beinahe nur Dunkelheit. Und etwas wie eine Gabelung … Mint holte Luft. Welcher Weg war der richtige? War einer eine Sackgasse? Oder eine Täuschung? Oder führten doch beide zum Ziel? Er kam immer näher und gerade als er sich endgültig entscheiden musste, erhaschten seine Augen etwas in einem der Bäume weiter hinten des linken Weges. Eine rote Schleife hing in einem Ast. Leuchtete matt. Mint schlug erleichtert nach links ein. Rot war die Farbe von Virgil Loco. Schnell wurde der Weg wieder breiter und leichter zu begehen und nicht lange danach erkannte Mint die Umgebung wieder. Es war der reguläre Weg und da erhob sich auch schon der weiße Torbogen, der den Eingang kennzeichnete und böse Geister fernhalten sollte. Der Junge atmete auf. Die ganze Anspannung fiel von ihm ab und er hatte keinen Zweifel, dass die Geister dasselbe taten, als er endlich das Tor durchschritt.

Vor ihm lag wieder der große staubige Platz und dahinter das kleine besonnene Städtchen, das seit Jahrhunderten im Dienste der RA und der Wizardry stand und sich um Besucher und Bewohner des Berges kümmerte.

Schon sprang im nächsten Haus ein Licht an und ein Mann trat aus einer Tür und rief zu ihm herüber. »Guten Abend, Herr Bibliothekar! Möchten Sie sofort abreisen oder erst morgen früh?«

»Sofort bitte«, antwortete Mint befreit. Er fühlte sich, als wäre sein letztes normales Gespräch Ewigkeiten her gewesen.

»Dann bereite ich sofort eine Kutsche vor. Kommen Sie und warten Sie solange hier im Haus. Meine Frau macht Ihnen einen schönen heißen Tee.«

Er nickte und schmunzelte einmal mehr innerlich bei dem Gedanken an die altmodische Kutsche. Manche Dinge änderten sich eben auch in einhundert Jahren nicht.

Einmal noch drehte er sich um. Der Mond warf einen unheimlichen Schein auf das Tor. Und dahinter … Mint hätte schwören können, in der Dunkelheit einen Schatten gesehen zu haben. Das Scharren eines Hufs. Einen Moment noch schaute er. Dann wandte er sich ab. Das gehörte nicht zu seiner Welt. Er überquerte den Platz und folgte dem alten Mann ins Haus, um auf die Kutsche zu warten.

Vollmond. Hinter den Toren wartet die Andere Seite.
 

End of Act 8



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Kommentare zu dieser Fanfic (15)
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Von:  mikar
2009-09-07T18:30:06+00:00 07.09.2009 20:30
Soo, dann wage ich mich mal an den vorerst letzten Teil...

Es fängt schon mal sehr schön an. Nasser Sand, Sterne, Meer *-*. Das mag ich. Und ich musste sofort an Harmony und die fliegenden Fische denken. Irgendwie. Die fliegenden Fische sind tollig. Auch wenn ich nicht genau verstehe, warum sie gestorben sind. Meine These ist ja, dass das etwas mit der kindlichen Unschuld von Harmony zu tun hat. Denn nachdem er sieht, wie seine Mutter weint, sterben sie..

Ich mag es, wie Harmony seinen Vater zum ersten Mal "trifft". Lauryn gefällt mir überigens sehr gut. Auch wenn ich nicht ganz verstehe, wie Anna sich auf ihn einlassen konnte, wenn sie nach Lauryn "immer noch dieselbe" war. Und ich frage mich, ob ihr Schmerz etwas mit Harmonys Vater zu tun hat oder einen anderen Ursprung hat.

Sehr gefallen hat mir auch das "Trotz des bewölkten Himmels konnte man weit sehen. Wegen des bewölkten Himmels konnte man weit sehen, wurde man erst gewahr, wie weit er war". Das kenn ich. Mit Wolken sieht der Himmel viel weiter aus...

Ja, ich mag auch das Papierschiffchen. Das erinnert mich dann an dein Fanart mit Harmony in jung und Harmony in älter und den Fischen und diesem tolligen Meeres-Umhang und dem Papierschiffchen. Jetzt verstehe ich auch das Schiffchen xD. Aber ich schweife ab.

Insgesamt ein sehr schönes Kapitel. Es hat mir mehr zu denken gegeben, natürlich, aber das ist auch schön...
Von:  Kazu-chanX
2009-09-04T14:48:49+00:00 04.09.2009 16:48
Rue...! OQ... ><
Also jemandhat geschossen... aber wie ist Harmony ausgewichen? Instinktiv? Durch das Holy Dark? Durch Juval... irgendwie...? @.@
Rue... ÓÒ
Es gab wieder eine Million Sachen, die ich nicht verstanden hab. Ich an deiner Stelle würde es nicht ganz so verwirrend machen, ich vergesse irgendwann sogar wieder, was ich nicht verstandenhabund wenn dann die Auflösung kommt, dann erinner ich mich nicht mehr... *überfordert*
Aber, wie gesagt, trotzdem ist deine Geschichte toll. Eigentlich sollte man wohl besser nichts daran ändern.:)
Von:  Kazu-chanX
2009-09-04T14:06:08+00:00 04.09.2009 16:06
Die Kapitel werden immer besser, bin gespannt, wies weitergeht. :)
Obwohl ich zugeben musst, dass es iwie immermehr Namen werden und man langsam wirklich überfordert ist... ich zumindest.O.O Nja,ich versuche mitzukommen.
Ich fand Ellarys Tod jetzt schon so etwas undramatisch. Also, es muss ja nicht kitschig werden, aber das war so... "Er ist tot??? Ah, das wars jetzt also..." Hm... Aber ich liebe deine Geschichte trotzdem!^^
Du hast eine unglaubliche Fantasie. Irgendwie wirkt alles so logisch, als gäbe es diese Welt wirklich. :D
Was ich nicht verstehe... Zauberer werden also älter als normale Menschen... aber Harmony ist wirklich erst 15, Cecil ist... 13? *nicht mehr sicher* Und Zenon und Servas sind... 70 oder so? Ich dachte, die wären im gleichen Alter. Da war ich irritiert.
Von:  Kazu-chanX
2009-09-03T17:00:27+00:00 03.09.2009 19:00
Das Kapitel ist wirklich toll. Bewundernswert, wie du auf solche Ideen kommst. Wunderschön. :) Juval ist tollig, den mag ich.
Von:  Kazu-chanX
2009-09-03T13:11:39+00:00 03.09.2009 15:11
Hm, also bisher verstehe ich auch noch nicht gerade viel. Es sind so viele Namen, ist schwierig, sich die alle zu merken. Aber die sind total toll, wie kommst du auf solche Namen, supa.^^ Auch die bildliche Sprache gefällt mir. :)
Ich les bald weiter.^^
Von:  mikar
2009-06-29T15:50:51+00:00 29.06.2009 17:50
Hm. Das war ein kurzes Kapitel. Aber die Länge sagt ja nichts über den Inhalt aus... Cecil will also sehen, was am Ende der Wege liegt... Lernt man das als "normaler" Zauberer nicht? Ist das irgendwie verrufen in der RA, so eine Art "schwarze Magie" oder will er das einfach nur selber lernen, ohne die Hilfe der RA? Wendet er sich vielleicht auch an Lirith May, um sich von der RA zu lösen und nicht nur, weil er keine andere Wahl hat?
Ein Kapitel mit wenigen Worten, aber viel Inhalt. Den muss ich jetzt erst einmal verdauen... Das vorerst letzte Kapitel muss noch ein wenig auf mich warten.
Von:  mikar
2009-06-29T15:39:18+00:00 29.06.2009 17:39
So, nach einer Ewigkeit konnte ich endlich weiter lesen. Gut, Erdbeeren waren keine Hoffnung, sondern Angst xD. Ein bisschen was anderes...
Aber ich fang schon wieder am falschen Ende des Kapitels an. Mir gefällt der erste Satz. Der passt irgendwie einfach... keine Ahnung, wie ich das beschreiben soll. Der ist einfach tollig.
Und dann ist mir da mal wieder etwas aufgefallen. Das "Es war alles geplant gewesen" hat mich ein wenig stutzig gemacht. Was war geplant gewesen? Der Tod von Rue? Oder irgendetwas anderes, wofür man einen Chronologisten gebraucht hätte?
In dem Zusammenhang fällt mir auch das "Versprechen" ein, das Servas Cecil gegenüber erwähnt... Hat er versprochen, Gavin Lewis sterben zu lassen? Und wenn ja, wem und warum?
Zusätzlich gibt es da noch das "Es war meine Schuld" von Zenon French.
Insgesamt ein Kapitel mit mehr aufgeworfenen Fragen als Antworten. Es gefällt mir also. Ich glaub, ich les sofort weiter *-*
Von:  Rechenbaer
2009-06-20T21:12:00+00:00 20.06.2009 23:12
Hab gelesen, ich lese! Ich les deine Geschichte endlich! ;_;
Von:  mikar
2009-05-16T17:23:15+00:00 16.05.2009 19:23
Hach, endlich hab ich mal wieder Zeit zum lesen...
Nach dem letzten Kapitel habe ich mich ehrlich gesagt gefragt, was mit Rue passiert. Ich hatte schon so eine Ahnung, dass er auch sterben würde.. Aber so schnell und auf diese Art, das kam völlig unerwartet. Was ich wieder einmal richtig toll fand. So ein Ereignis, das kann man sich vor dem lesen nicht ausdenken. Und vorhersehbare Geschichten sind langweilig.
Und ich finde, in diesem Kapitel kamen die Ziele der Zauberer ziemlich gut raus. Bzw die verwirrenden, hintergründigen Ziele der Zauberer. Hier hat ja so gut wie jeder ein anderes Ziel als der nächste, der einzige Unterschied ist nur, dass einige diese Ziele offen aussprechen, andere aber nicht. Mittlerweile bin ich völlig verwirrt, wer denn jetzt was warum will. Ich glaub, ich les gleich noch mal.
Hm, schmeckt Hoffnung eigentlich nach Erdbeeren? Also Asche scheint ja was mit den Albträumen und der schlechten Stimmung zu tun zu haben, Rosen hab ich noch nicht ganz raus (obwohl sie rein theoretisch auch Hoffnung sein könnten), aber ich glaub, Hoffnung, das sind Erdbeeren. Wär auf jeden Fall tollig. Ich mag Erdbeeren <3
Von:  mikar
2009-04-20T17:32:01+00:00 20.04.2009 19:32
Gut, ich hatte ja wohl echt ein Brett vorm Kopf. Vor den Kapiteln stehen ja Jahreszahlen >.<
Also gut, Kapitel 1 spielt vor dem hier, ich habs gesehen xD


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