Wenn Zwei sich streiten...
Prolog - Wenn Zwei sich streiten...
„Misaki! Misaki!” Warme Tropfen brannten sich auf dem kühlen Gesicht des Braunhaarigen ein. Regnete es etwa? Langsam öffnete Misaki seine Augen. Usagi-san war über ihn gebeugt, und rief immer und immer wieder verzweifelt seinen Namen. Aber etwas stimmte nicht an dem Anblick, der sich dem Jüngeren darbot. Usami weinte und sein Gesicht, mit den vom Salzwasser geröteten Augen, war geradezu verzerrt vor Sorge. Was musste denn schlimmes passiert sein, damit Usami Akihiko, der sonst so gefasste und erfolgreiche Geschäftsmann, sich so gehen ließ und so aufgelöst war? Misaki- kun hatte ihn noch nie zuvor in einer solchen Verfassung gesehen. Am liebsten hätte der Kleinere ihn sofort in den Arm genommen und getröstet, doch als er beide Arme nach ihm ausstrecken wollte, um Usagi-san zu sich zu ziehen, durchzuckte seinen gesamten Körper ein unerträglicher Schmerz und er konnte nicht anders, als qualvoll aufzuschreien. Erst jetzt realisierte der Student, was um ihn herum vor sich ging: den kalten, harten, nassen Asphalt auf dem er lag, Usamis ebenso kalte, zitternde Hände, die seinen Kopf umklammerten, die immer lauter werdenden Sirenen eines nahenden Krankenwagens und letztlich auch die rote Flüssigkeit, die an seiner rechten Schläfe herunterronn und langsam eine immer größer werdende Lache unter seinem Kopf bildete. Was um alles in der Welt war bloß mit ihm geschehen? „Bleib bei mir Misaki! Verlass mich nicht!”, waren die letzten flehenden Worte die er hörte, bevor er erneut das Bewusstsein verlor und die Dunkelheit ihn wieder umschlang.
„Ich will ihn haben!” - „Misaki gehört mir!” - „Niemals! Ich nehme ihn dir weg! Du wirst schon sehen! Schon sehr bald wird er erkennen, was für ein unausstehlicher Mensch du bist und dann von ganz allein zu mir kommen und dich für immer vergessen.” - „Du bist doch bloß eifersüchtig, das ist alles! Du wolltest schon immer alles haben, was mir gehört Haruhiko!” - „Und diesmal werde ich es auch bekommen!” - „Das werden wir ja sehen!”
Die beiden Brüder standen sich wutentbrannt gegenüber und warfen sich tödliche Blicke zu, die schärfer waren, als jede Klinge eines japanischen Messers. Die Spannung, die in der Luft lag, war förmlich greifbar. Keiner der Beiden würde so einfach Klein bei geben, dazu waren Usagi und sein großer Bruder viel zu große Sturköpfe. Sie würden bis zum Äußersten gehen um zu gewinnen. Nur eigentlich ging es doch hierbei um Misaki!? Warum fragte ihn denn nicht einfach jemand nach seiner Meinung? Ganz einfach, weil sowohl Usami Akihiko als auch sein Bruder Haruhiko, riesige Egoisten sein konnten. Auch wenn sie nur Halbbrüder waren, so hatten sie diese Eigenschaft definitiv beide vererbt bekommen.
Misaki Takahashi stand immer noch stumm zwischen den beiden Streithähnen, damit beschäftigt, entsetzt zwischen ihnen hin- und herzuschauen. Doch so langsam platzte dem Kleinen allmählich der Kragen. Er war eigentlich ein sehr ruhiger und friedliebender Mensch, aber jede Geduld kannte ihre Grenzen.
Was bildeten sich diese beiden Dickschädel eigentlich ein?! Was war er denn? Ihre Puppe? Oder ihr Plüschteddy? Sie verhielten sich hier gerade, als würden sie sich, wie zwei kleine Jungen, über einen gestohlenen Lolli streiten. Das musste sich Misaki-kun jawohl kaum bieten lassen. „Ihr habt sie doch nicht mehr alle! Was bildet ihr egoistischen Idioten euch ein!? Bin ich denn nichts weiter, als ein Gegensand, ein Ding für euch?! Ich hab die Schnauze voll! Ein für alle Mal! Mir reicht’s!!! Sucht euch doch einen anderen Dummen, den ihr als euer Spielzeug benutzen könnt!”
Nachdem er seine Herzen Luft gemacht hatte, bemerkte er wie dicke Tränen über seine glühenden Wangen rollten und lief beschämt davon. Er musste weg von hier, so schnell wie möglich. Der Auftritt den er sich eben geleistet hatte, war einfach zu peinlich gewesen. Und den beiden waren seine Tränen mit Sicherheit nicht entgangen.
Völlig kopflos rannte er den Gehweg entlang und wollte auf die andere Straßenseite wechseln, um in der nächstbesten Seitengasse zu verschwinden. Er würde sich für heute Abend einfach in irgend einem billigen Hotel verkriechen, dafür würde sein Bargeld gerade noch reichen. So konnte er Usagi-san unmöglich unter die Augen treten. Außerdem wollte er ihn am liebsten ohnehin nie wieder sehen.
Aus lauter Panik achtete Takahashi nicht auf den belebten Verkehr, der auf der Hauptstraße herrschte, während er damit beschäftigt war seine Salztränen aus dem Gesicht zu wischen und schon passierte es.
Das Letzte, was er wahrnahm, bevor alles Schwarz wurde, waren die quietschenden Reifen eines Fahrzeugs und ein anschließender heftiger dumpfer Schlag. Er war blindlings in sein Verderben gerannt.