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Das Blut des Königs

Gibt es überhaupt Helden in Zeiten des Krieges?
von

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Teil I
 

Krieg! Krieg ändert sich nie und wird sich niemals ändern. Die Gründe dafür sind meist scheinheilig und das Ergebnis vernichtend. Ganz gleich ob es um Eroberung, Kampf um Rohstoffe oder Verbreitung der eigenen Zivilisation geht, die Opfer die dafür gebracht werden, rechtfertigen niemals den ursprünglichen Grund, bis er schließlich ganz in den Hintergrund rückt und das sinnlose Schlachten alleine weitergeht.

Gedankenverloren schritt König Aran VII seines Zeichens Regent des einstmals stolzen Anarea durch die Empfangshalle seines Palastes. Früher einmal, bevor der Krieg begonnen hatte, kam ihm dieser Raum immer am wärmsten und hellsten vor, gesäumt von vielen der königlichen Garde, nun war er schmutzig, kalt und leer. Die Gardisten an der Front eingesetzt und die menschlichen Ressourcen zu kostbar um sie mit dem Putzen von Prunk zu vergeuden.

Wie hatte all das eigentlich begonnen? Und wieso dauerte es an? Es kam ihm so vor, als läge all dies in einem undurchdringlichen Nebel, als wollte die Vergangenheit nicht geweckt werden. Dies war einer der Momente in dem ihm erneut bewusst wurde, dass er langsam alt wurde. Er zählte inzwischen fünfundsechzig Sommer, war aber immer noch stattlich und stolz. Er war großgewachsen und hager und um das bartlose, kantige Gesicht fielen immer noch kräftige weiße Haare, die er mit einem goldenen Stirnreif zu bändigen suchte. Dieser Stirnreif war in jenen Zeiten auch das einzige Insignium seiner Macht.

Er hatte fünf Söhne gezeugt und aufwachsen sehen, aber bis auf einen hatte er sie auch alle beerdigt, gefallen in sinnlosen Schlachten getrieben von dem Willen sich zu beweisen.

Und diesen einen, Jorin, einen stillen Knaben von sechzehn Sommern, suchte er nach bestem Wissen zu schützen. Nicht nur, weil er nicht auch noch das letzte Kind das er liebte begraben wollte, sondern auch, weil er befürchtete dass auf den Schultern seines schmächtigen Sohnes die letzte Hoffnung für Anarea ruhen könnte. Noch war es nicht soweit, das wusste Aran zu verhindern, aber er war auch nicht mehr der jüngste und jedes Jahr, in dem der Krieg andauerte zehrte zusätzlich an seinen Kräften.

Jemand betrat die Halle. Auf diesen Jemand hatte Aran gewartet und durch die Leere des Raumes wurde dessen Ankunft besonders hervorgehoben. Die Schritte hallten auf dem kalten Steinboden wider und wirbelten Staub auf, als er sich Aran näherte.

Als er bei ihm angelangt war, kniete er vor seinem König nieder und senkte den Kopf.

„Herr!“

„Du darfst dich erheben Athrin.“

Athrin Hohenfels, Kommandant der königlich anareanischen Truppen gehorchte. Er war ein Mann mittleren Alters, der schon viele Schlachten schlagen musste und sich von jeder einzelnen, so schien es, eine Narbe geholt hatte. Er war zäh und verbissen, aber desillusioniert und in seinen trüben Augen konnte man erkennen, dass er nichts mehr zu verlieren hatte.

„Herr, ich bringe Nachrichten von der Front!“

„Ich sehe Deinem Blick an, dass Du diese Nachrichten lieber nicht überbringen würdest, Athrin.“

Der Kommandant nickte und schluckte.

„Thoris ist gefallen und Jefalla auch. Diese beiden Städte konnten die tamurischen Angreifer bisher aufhalten, wie Ihr wisst. Nun, da diese beiden Posten gefallen sind, gehört nicht viel Fantasie dazu, sich auszumalen, was die Tamuraner als nächstes planen werden...“

„Sie kommen hierher, nicht wahr?“

„Korrekt, ihr nächstes Ziel lautet Anareana, Hauptstadt des Reiches. Noch genießen die tamurischen Generäle ihren Sieg, aber wenn sie ihn genug ausgekostet haben, werden sie weiter machen. Wir sind in ihren Augen geschwächt genug, sodass sie uns den finalen Schlag versetzen können.“

Der König zitterte. Es war nicht so, dass er all das nicht wusste. Nacht für Nacht konnte er sie sehen die Angreifer – Nacht für Nacht in seinen Träumen. Aber dass alles so schnell gehen würde, hätte er nicht geglaubt.

„So schnell geben wir uns nicht geschlagen, Athrin. Anareana darf nicht fallen. Aber wir müssen realistisch sein und nichts überstürzen. Unsere Truppen sind geschwächt und müde und bei weitem nicht so gut gerüstet wie die Tamuraner. Aber wir haben noch immer Ressourcen, die es uns möglicherweise erlauben, alles noch einmal zum Guten zu wenden. Wir haben den Magierrat und die Macht der Alten.“

Nun war es Athrin der erzitterte.

„Herr, wollt Ihr wirklich so weit gehen?“

„Wenn es mein Land schützt, so will ich es tun. Ich sehe es nun ganz klar vor mir. Ich hätte gar nicht erst so lange zögern dürfen...“

„Aber Herr, wir wissen nicht was passiert, wenn diese Macht entfesselt wird.“

„Nein das wissen wir nicht, aber schlimmer als dass, was uns momentan blüht, wird es kaum werden.“

Athrin schwieg bevor er zögernd nickte.

„Vermutlich habt Ihr Recht.“

„Meine Befehle sind klar. Bringt Jorin in Sicherheit, ihm darf unter keinen Umständen etwas passieren und ruft den Magierrat zusammen. Ich brauche ihre Unterstützung.“

„Wie Ihr befehlt!“ Athrin verbeugte sich erneut und verließ dann die Halle, um die Befehle auszuführen.

Aran blieb zurück, geschlagen und mutlos.

Sie marschierten auf Anareana zu, damit hatte er nicht gerechnet. Zumindest nicht so schnell. Und ob sein Plan funktionieren würde, das wussten nur die Götter – und die hatten sich die letzten eineinhalb Jahre erstaunlich still verhalten...

Schließlich wandte auch er sich um und verließ die kalte Halle, immerhin wollte er seinem Sohn noch auf Wiedersehen sagen – oder vielleicht sogar „Auf Nimmerwiedersehen.“ Auch wenn seine Truppen das anders sahen und damit recht hatten - die Schlacht um Anarea hatte gerade erst begonnen und wenn sie verloren würde, dann brach ein finsteres Zeitalter an.
 

Magistratin Amaryll Gunnarsdottir war keine schöne Frau, zumindest wenn man schön im klassischen Sinne benutzte. Sie war großgewachsen und schlank, war aber dennoch robust und kräftig gebaut. Ihre Gesichtszüge waren kantig und wurden durch ihre hohen Wangenknochen noch einmal besonders betont. Die braunen Haare hingen ihr über den Rücken, lose durch ein Lederband in der Nähe der Haarspitzen zusammengehalten. Wenn man sie betrachtete war es schwer, ihre Herkunft zu ermitteln, denn auch wenn ihr zweiter Name anderes verriet, wirkte sie nicht auf den ersten Blick wie eine typische Nordländerin. Zumindest erging es Athrin Hohenfels so, als er sie zum ersten Mal erblickte.

Es stimmte, ihre Statur deutete darauf hin, aber weder ihr Vorname, noch ihre braunen Haare bestätigten dies. Sie würde im kommenden Jahr siebenunddreißig Sommer zählen und die Reife hatte schon erste Spuren in ihrem sommersprossigen Gesicht hinterlassen.

Dennoch vertrat sie ohne Zweifel die nördlichen Provinzen für den Magierrat, die, wie ihr Name unschwer erriet, den nördlichsten Teil von Anarea bildeten. Manchmal wurden sie auch „Drachenbund“ genannt, wobei der Name weniger auf echte Drachen zurückzuführen war, als auf die Stärke und den Zusammenhalt der Einwohner. Diesen wurde es keineswegs gerecht, sie auf Barbaren zu reduzieren, die zwar stark und zäh, aber primitiv waren. Die Städte innerhalb des Drachenbundes gehörten mit zu den florierendsten und mächtigsten in ganz Anarea, was durch ihre zentrale Lage direkt am Eismeer nur begünstigt wurde, welches ihnen die Möglichkeit ausgedehnten Handels gab. Natürlich war in diesen Zeiten nicht mehr allzu sehr an Handel zu denken, aber die Tatsache, direkt am Meer gebaut zu sein, gab ihnen immerhin einen taktischen Vorteil.

Wie Amaryll nun vor Athrin Hohenfels stand, wirkte sie abgekämpft und zerzaust von einem anstrengenden Ritt, strahlte aber immer noch eine innere Würde aus, die ihn überraschte.

Er wusste nicht viel über sie, nur dass sie die Leiterin einer der größten arkanen Akademien des Landes war und offensichtlich eine gute Lehrmeisterin. Man sagte ihr nach, die Kunst des Heilens wie keine zweite zu verstehen und obendrein gehörte sie zu denjenigen Gelehrten des Landes, die sich bisher am erfolgreichsten mit den Inschriften der Alten auseinandergesetzt hatten.

Dennoch war sie nur eine der wenigen Frauen des Magierrates und vertrat ihre Position nun umso verbissener.

Sie und Athrin standen in den Ställen des königlichen Palastes, wo er ihr Pferd hingeführt hatte, damit man sich seiner annahm. Die Knechte hatten das Tier nur allzu bereitwillig in Empfang genommen, waren momentan doch die meisten Boxen leer.

Er bot ihr an, ihren Mantel zu nehmen, doch sie lehnte ab. Stattdessen sah sie ihn ernst, aber dennoch verständig an.

„Die Nachrichten waren nicht gut.“

„Nein Herrin.“

„Als man mir Euren Brief brachte, machte ich mich sofort auf den Weg. Ich habe mein Pferd nicht geschont, obwohl Jagedal, wie ihr wisst, mehrere Tagesreisen von hier entfernt liegt.“

„Ihr seht, mit Verlaub, etwas erschöpft aus. Wenn es nichts mehr gibt, was Ihr dringend erledigen müsst, so würde ich Euch gerne die Kammer zeigen, die man Euch zugewiesen hat, solange die Ratssitzung dauert.“

„Ich danke Euch.“

So gingen sie schweigend nebeneinander her, zumindest für eine Weile, denn es gab eine Frage, die Athrin noch unter den Nägeln brannte.

„Herrin, bitte verzeiht meine Impertinenz, aber wir leben in gefährlichen Zeiten. Wie habt Ihr es geschafft, den Ritt unbeschadet zu überstehen. Überfälle gehören inzwischen zur Tagesordnung und wenn man Eure Kleidung besieht, so seht Ihr gewiss nicht arm aus.“

Sie lächelte.

„Ich reiste nicht alleine. Mein Gefährte und Beschützer Iain Thoransson begleitete mich. Er wird ebenfalls hier eintreffen, hatte aber in der Stadt noch einige Geschäfte zu erledigen.“

„Ich verstehe...“

Ihr Beschützer, natürlich. Jeder, der sich den arkanen Künsten intensiver widmete, bekam von der Magiergilde einen Beschützer zur Seite gestellt, in der Regel einen zähen, in der Kunst des Kämpfens bewanderten Krieger. Durch ihre Eide aneinander gebunden, geschah es nicht selten, dass Magier und Beschützer auch eine andere Partnerschaft miteinander eingingen, so wie es offensichtlich bei Amaryll und Iain geschehen war.

Nun war es nicht so, dass nur Magier in der Lage gewesen wären, Zauber anzuwenden. Jeder Mensch verfügte über diese Anlagen, nur die wenigsten nahmen die Kraft und die Geduld auf sich, diese Kunst zu verfeinern. Den restlichen blieben begrenze Möglichkeiten, die sich meist in kleineren Heil- oder Feuerzaubern äußerten.

Athrin wusste noch genau, wie es bei seiner Ausbildung gewesen war. Auch als Soldat des Königs wurde man im Arkanen unterwiesen, obwohl die meisten Ausbilder ihre Aufgabe nur lustlos wahrgenommen hatten. Immerhin war jetzt dankbar für das Wissen, das er sich erworben hatte. Es hatte sich schon das eine ums andere Mal als sehr nützlich herausgestellt.

Er wandte sich erneut an Amaryll.

„Man sagt, Ihr seid eine begnadete Heilerin und gebt dieses Wissen sorgfältig weiter...“

Ein Schatten legte sich über ihre Gesichtszüge.

„Ich tue, was ich kann. Selbst wenn es bedeutet, bis zum Umfallen zu arbeiten. Aber seit Beginn dieses unsäglichen Krieges habe ich nicht selten dass Gefühl, dass alles, was ich tue irgendwie dennoch umsonst ist.“

„Dieses Gefühl hat jeder von uns. Und mit den tamurischen Truppen vor den Toren von Anareana ist es auch mehr als berechtigt. Ich weiß, dass König Aran wirklich alles versucht, aber ich frage mich, ob es genug sein wird...“

„Es kommt darauf an, was jeder Einzelne dazu beisteuert.“ Ihre Gesichtszüge erhärteten sich. „Ich ahne, weswegen er den Magierrat zusammenrufen lässt und bete, dass man seine Bitte erhört. Das Wichtigste aber ist, dass wir die Hoffnung nicht aufgeben. Wenn wir das tun, haben wir schon verloren.“

„Ihr müsst einräumen, dass die Lage mehr als ernst ist.“

„Es sieht zweifellos danach aus. Aber bislang haben wir noch nicht verloren. Ich bin kein erfahrener Soldat wie Ihr, weiß aber dass Ihr mir nun entgegenhalten wollt, wie abgekämpft unsere Truppen sind. Es ist auch richtig, dass es immer schwieriger wird, neue Soldaten zu rekrutieren und wie schmerzlich der Verlust eines jeden ist. Ich bin selbst Mutter zweier Söhne und hoffe jeden Tag, den Krieg beendet zu sehen, bevor sie alt genug sind um ebenfalls mitzukämpfen. Aber damit das nicht geschieht, werde ich alles tun, was in meiner Macht steht, auch wenn es umsonst oder nicht ausreichend ist. Und wenn jeder das seinige tut, so denke ich, haben wir noch eine Chance. Versteht mich nicht falsch. In meinen Augen ist es Wahnsinn, das ganze Morden und Schlachten, aber wir befinden uns nun mal in düsteren Zeiten und haben den Krieg obendrein nicht vom Zaum gebrochen.“

Athrin nickte nachdenklich.

„Ich wünschte, ich hätte Eure Zuversicht.“

„Nennt es Hoffnung...“

Er nickte und dachte über ihre Worte nach, bevor er sie in ihrem Quartier ablieferte. Dann ging er zurück zu den Stallungen, nachsehen ob weitere Mitglieder des Magierrates eingetroffen waren. Mit Amaryll waren bereits sechs hier – acht fehlten noch. Danach musste er Jorin auf seine Abreise vorbereiten und in Sicherheit bringen, eine Aufgabe, der er mit gemischten Gefühlen entgegensah.



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