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Cold Case

Anthologie
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Cold Case - Frühling. Aus genau diesem Grund

Cold Case - Frühling. Aus genau diesem Grund
 

"So ein Scheiß", murmelte Nick Vera und stempelte ein fertig ausgefülltes Dokument mit deutlich mehr Nachdruck ab, als nötig gewesen wäre. Kaum war er fertig, zog Kat Miller es ihm weg und pustete auf die feuchte Tinte. Dann schob sie es in einen daliegenden Aktenordner.

"Vera", knurrte sie warnend und warf ihm einen bissigen Blick zu. "Sie gehen mir auf den Wecker... Hören Sie auf damit!"

"Was ist denn?", fragte ihr Kollege und blinzelte unschuldig.
 

Nicht einmal ein Blinder wäre auf diesen Blick der gespielten Unschuld hereingefallen, dachte Scott Valens, während er amüsiert den Streit zwischen seinen Kollegen beobachtete. Schon seit dem Mittag waren Kat Miller und Nick Vera dabei, sich gegenseitig mit abwechselnd gemeinen Kommentaren, Zitaten, bösen Blicken und spitzen Bemerkungen zu beschießen - und all das nur, weil der bullige Polizist heute Morgen seine Klappe nicht hatte halten können. Ein eigentlich recht alltägliches Ereignis in den Räumen der Piladelphia Mordkommission.
 

Am Schreibtisch ihm gegenüber blickte Lil auf.

"Worum gehts?"

Scotty zog die Brauen hoch. "Sie haben es nicht mitbekommen?"

Lil lachte leise auf, ein Laut, der eine Mischung aus Verlegenheit und Humor in Einem war. "Nein."

Wie charakteristisch für seine Partnerin, sich so sehr in ihre Arbeit zu vertiefen, dass sie die Welt und vor allem die Menschen um sich herum völlig vergaß.

"Es geht um die Tatsache, dass weibliche Cops in Serien und Filmen falsch dargestellt werden."

"Sagt Miller", warf Vera muffig ein. Die schnaubte abfällig, sagte aber nichts.

"Gut falsch oder schlecht falsch?", fragte Lil.

"Schlicht und ergreifend falsch. Zum Beispiel..."

Scotty wurde rüde von Vera unterbrochen.

"Schlagen Sie sich etwa auf deren Seite, Valens?"

"Aber ich habe doch gar nichts gesagt!", protestierte der Beschuldigte.

"Typisch!", regte der andere Polizist sich auf, während Scotty in seinen Stuhl zurückrutschte und grinsend lauschte. "So typisch! Feigling, Sie, Schande für die Männerwelt! Sie schlagen sich auf ihre Seite, verraten alles, was Sie sind..."

Lil blinzelte ihm zu und drehte sich dann um, damit sie ihre Freundin sehen konnte.

"Weibliche TV-Cops, huh?"

Wieder schnaubte Kat, beschränkte sich diesmal jedoch nicht nur auf diesen Laut des Abscheus.

"Vera, der Idiot, behauptet, dass weibliche Cops im TV nur Dekoration sind. Die eigentliche Arbeit machen angeblich nur die Männer, während die Frauen lediglich gut auszusehen, lächelnd die Marke zu zücken und den gefesselten Kriminellen schliesslich nach der Befragung in Handschellen abzuführen haben, damit jeder sieht, was sie geleistet haben - nämlich nichts."

"Da ist was dran", sagte Jeffries, der gerade den Raum betrat und die letzten Worte mitgehört hatte. "Haben Sie sich schon mal eine dieser Mittwoch-Abend-Serien angesehen? Die wahre Laufarbeit machen da immer die Männer."

"Das ist überhaupt nicht wahr!", fuhr Kat wütend auf. "Nennen Sie mir einen Grund, warum weibliche Cops den männlichen unterlegen sein sollten, besonders im Fernsehen! Gerade die Medien sollten die Gleichberechtigung und die Emanzipation der Frau berücksichtigen. Sie haben Vorbildfunktion!"

"Und trotzdem sind es die Männer, die die Verfolgungsjagden auf sich nehmen!", schnappte Vera. Kat blitzte ihn an.

"Sie sind definitiv nicht derjenige, der hier die Klappe aufreißen sollte, Vera! Verfolgungsjagden, ja? Die sind für Sie doch am nächsten Coffeeshop zu Ende!"

"Was... was soll das denn heißen?" Für einen Moment war Vera die Luft weggeblieben, dann verteidigte er sich umso heftiger. Drohend richteten seine 100kg Körpermasse sich auf.

"Sehen Sie sich an!", sagte Kat spöttisch und tat das Gegenteil: Sie wandte sich von ihrem Kollegen ab. "Aus diesem Grund vertreten Sie doch die Position der TV-Cops: Weil die Realität auf Sie einfach nicht zutrifft."

Jetzt fehlten Vera tatsächlich die Worte. Hörbar schnappte er nach Luft. Herausfordernd warf Kat Jeffries, Lil und Scotty einen Blick zu: "Oder wissen Sie einen besseren Grund? Die Serien, die er so gerne sieht, sind für ihn ein Ersatz, weil es im wahren Leben leider nicht so läuft, wie er es gerne hätte. Wann hat der große Nick Vera schon mal die Gelegenheit, bei einer Verfolgungsjagd einen Verbrecher zu schnappen? Nie! Deshalb schaut er lieber fern, bei denen die Männer die Helden sind, die er nicht sein kann..."

"Aber er hat doch Recht", sagte Lil lächelnd und verriet innerhalb einer Sekunde sowohl ihre Freundin als auch ihr eigenes Geschlecht. "Weibliche Cops in den Serien rennen nie."

Scotty kicherte in sich hinein, Vera sah aus, als sei Lil die Heldin seines Tages, Jeffries grinste und ignorierte die bitterbösen Blicke, die aus Kats Richtung kamen.

"Und warum sollten sie es nicht tun, verdammt noch mal?", fauchte sie und warf ihre braunen Locken wütend zurück.

Aber bevor auch nur irgendjemand darüber nachdenken konnte, was man ihr antworten sollte, trat der Boss zu ihnen an den Schreibtisch.

"Scotty, Lil", sagte er in seiner typischen, ruhigen Art und sah die beiden über den Rand seiner Brille hinweg an, die ihm knapp über der Nasenspitze saß. "Der Staatsanwalt hat angerufen, wir haben den Haftbefehl für William Peters."

Lil stand auf, ihre Augen funkelten Scotty voll Tatendrang an. "Dann sollten wir ihn besser schnell holen gehen."

Als sie aus dem Department rauschte, blieb Scotty dicht hinter ihr und musste lachen, als er die wütende Kat zu ihrem eigenen Schreibtisch stampfen sehen konnte.

-V-

"Sehen Sie ihn?", fragte Scotty vom Beifahrersitz aus. Lil schüttelte den Kopf und strengte ihre Augen an, um durch die verstaubte Scheibe zu schauen und dabei etwas erkennen zu können.

"Er kommt bestimmt gleich. Er ist jeden Donnerstag bis fünf hier, er müsste - ah. Da."

Sie tauschte einen Blick mit ihm, die Brauen leicht hochgezogen. Scotty nickte und duckte sich auf dem Beifahrersitz. Lil öffnete die Fahrertür und griff nach ihrer Dienstmarke an ihrem Gürtel.

"William Peters?"

Der glatzköpfige Mann - offensichtlich rasierte er sich den Schädel - schaute auf, als die blonde, attraktive Frau auf ihn zukam.

"Kann ich etwas für Sie tun, Schätzchen?"; fragte er. Durch die Autotür klang seine Stimme gedämpft. Scotty knirschte mit den Zähnen. Selbst nach Jahren der Zusammenarbeit verstand er nicht, wie Lil diese Bemerkungen und Beleidigungen kalt hinnehmen konnte, während er selbst bei dieser Art von Kommentaren am liebsten jeden Mann zusammengeschlagen hätte, der seine Partnerin auch nur schief anschaute. Er hasste diese Blicke, die sie von oben bis unten musterten, sie evaluierten, sie beinahe auszogen, wo sie stand...

Lil schien nun endlich ihre Marke gezückt zu haben, denn der Anmache folgten keine weiteren sexistischen Sprüche mehr. Scotty wusste, dass Lil gleichzeitig die rechte Hand dicht am Halfter ihrer Pistole hielt. William Peters galt als unberechenbar und gefährlich.

"Philadelphia Police, Mordkommission", hörte er sie kalt sagen. "William Peters, Sie sind festgenommen."

"Scheiße!"

Ein gedämpfter Fluch entfuhr Peters, dann ertönte Lils Stimme, kalt und befehlend: "Stehen bleiben!"

Schritte, die in die Richtung des Wagens liefen, in dem Scotty saß, waren das nächste, was er wahrnahm.

Lil hatte wieder einmal Recht gehabt, dachte er, riskierte einen kurzen Blick durch die Scheibe und sah den glatzköpfigen Mann auf sich zustürmen. Hastig nahm er den Kopf wieder herunter, zählte bis drei und stiess dann mit der Übung, die von vielen vorangegangenen Versuchen zeugte, die Autotür auf.

-V-

Peters erwies sich als hartnäckig.

Statt frontal gegen das plötzlich vor ihm auftauchende Hindernis zu laufen, wich er der Tür aus, eine weitere Palette an Gossenflüchen ergoss sich aus seinem Mund während er strauchelte und weiterrannte. Verdutzt starrte Scotty dem Flüchtenden nach. Nun, dieses Mal hatte es offensichtlich nicht...

"Bewegung!", fuhr Lil ihn an, die dem Mann dicht auf den Fersen war und an ihm vorbeisprintete, ihre goldenen Haare flogen hinter ihr her. Schnell rappelte er sich auf und schob die Spitze aus Beschämung, dass er nicht sofort die Verfolgung begonnen hatte, gekonnt zur Seite. Dafür war später noch Zeit. Wie ein Pfeil, der von der Sehne abgefeuert worden war, flog Lil hinter Peters her. Gott, war sie schnell! So sehr Scotty sich auch anstrengte, es gelang ihm nicht, sie zu überholen. Plötzlich schwenkte Peters vor ihren Augen ab, schoss um die Ecke und verschwand in einer dunklen Gasse zu ihrer Rechten. Lil folgte ihm in einer fliessenden Bewegung, Scotty musste abrupt bremsen und wäre beinahe an der Gasse vorbeigefegt. Dann fing er sich wieder und rannte um die Ecke.
 

Es war nicht mehr als eine Garageneinfahrt, ein kleiner Durchgang zwischen zwei der heruntergekommenen Häuser der Gegend, aber am Ende des dunklen Durchgangs sah Scotty Licht. Beinahe am Ende angekommen, hörte er einen wütenden Aufschrei und einen Aufprall - so, als zwei Körper im vollen Lauf gegeneinander geprallt. Scotty schoss aus der Dunkelheit, die Dienstwaffe in der Hand, und bremste so abrupt ab, dass er beinahe über am Boden liegenden Müll gestolpert wäre: Vor ihm war Peters abrupt stehengeblieben und hatte sich, als Lil aus der einfahr stürmte, frontal auf sie geworfen. Lil wehrte sich verbissen, aber ihr im Vergleich zu Peters geringeres Körpergewicht drängte sie von Anfang an in die Defensive. Peters hielt ihren ausgestreckten Arm von sich, die Waffe auf einen unbestimmten Punkt entlang der Hauswand gerichtet. Als er Scotty kommen sah, versuchte er, die noch immer in Lils Hand liegende Waffe auf ihn zu richten, aber Lil kämpfte verbissen gegen ihn an. Mit wild schlagendem Herzen visierte er den Mann an und versuchte, eine Stelle zu finden, an der er Peters und nicht Lil treffen würde. Aber das war unmöglich. Er wusste - genau wie Peters - dass er seine Partnerin treffen würde, sobald er einen Schuss abfeuerte.

Peters fluchte, hielt sie jedoch verbissen fest, auch, nachdem Lil ihm ihren Ellenbogen in den Unterleib rammte.

"Schlampe!", keuchte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. Im nächsten Moment hatte er ihr die Waffe aus der Hand geschlagen und landete einen Schlag mit der flachen Hand in ihrem Gesicht. Mit einem Schmerzenslaut und in einem Wirbel aus Armen und Beinen zerrte Lil ihn zu Boden. Scotty, mit vor Furcht rasendem Herzen und keinerlei Ahnung, was er nun tun konnte außer darauf zu warten, dass einer von beiden die Oberhand gewann, bückte sich nach Lils Waffe. Aber da riss sie sich in einer einzigen Kraftanstrengung los, wälzte sich blitzschnell von Peters weg und griff nach ihrer Waffe. Noch am Boden liegend, richtete sie den Lauf auf ihn.

"Ergeben Sie sich", kommandierte sie eiskalt, aber deutlich atemlos.

-V-

Wütend liess William Peters zu, dass Scotty ihm die Handschellen anlegte und ihn ins Auto bugsierte. Dann drehte Scotty sich wieder zu seiner Partnerin um, die an einem Laternenpfosten lehnte, die Arme über der Brust gefaltet. Zum ersten Mal hatte er Zeit, sie richtig anzusehen...
 

Sie sah schrecklich aus.

Ihr Gesicht war dreckverschmiert und wo Peters Hand sie getroffen hatte, war ihre Lippe aufgeplatzt und blutete. Ihre Haare hatten sich aus ihrem Zopf gelöst und blonde Strähnen hingen ihr zerzaust ins Gesicht, ihr Jackett war schmutzig und verschmiert vom Dreck der Gasse, ihre Bluse halb zerrissen und ebenfalls schmutzig. Als sie seinen Blick bemerkte, stieg ihr die Röte in die Wangen und sie funkelte ihn an. Scotty musterte sie besorgt.

"Ist alles in Ordnung?"

Lils Blick war nicht kalt, sondern voll flammender Wut.

"Mir geht es gut", schnappte sie und wandte sich ab. Durch die zerrissene Bluse sah Scotty mehr von ihrer Haut, als er jemals gesehen hatte - und wahrscheinlich jemals sehen würde.

"Was ist los?", sagte sie spöttisch. "Kein Grund, so bedröppelt zu schauen. Das nächste Mal läuft es wieder nach dem Bilderbuchprinzip ab. Es kann nicht immer perfekt laufen."

Ob ihrer Weigerung, sich helfen zu lassen, musste er unwillkürlich grinsen. Was ihm ein weiteres wütendes Funkeln einbrachte.

"Aus genau diesem Grund sind es die Männer, die im Fernsehen diesen Job erledigen, Valens, und nicht die Frauen."

Scotty verkniff sich das Lachen, das in seiner Kehle aufstieg, wohl wissend, dass sie ihn dafür umbringen würde. Er war nur froh, dass es ihr gut ging. Stattdessen zog er sich sein Jackett aus und warf es ihr zu. Mit den funkelnden Augen, dem zerzausten Haar und den Wangen, die noch immer von der Verfolgungsjagd und ihrer Scham und Wut gerötet waren, sah sie so schön aus wie nie zuvor.

"Ich könnte mich glatt an die Realität gewöhnen."
 

Dafür sprach sie bis zum Präsidium kein Wort mehr mit ihm.



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