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Hoffnung zu Asche

Schatten und Licht, Band 2
von

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Finstere Aussicht

Schweiß tropfte von ihrem zarten Kinn auf den Boden, als Siris Übungskampf mit ihrem Schüler einen Augenblick Ruhe fand. Beide trainierten und lebten in verborgenen Räumen unter Baron Trias Anwesen in Palas, der Stadt, in der Siri als Attentäterin gesucht wurde. Ihren Blick starr auf Ryu gerichtet, justierte sie den Griff an den schmalen Dolchen in ihren Händen. Diese beiden Waffen waren ihr die liebsten. Sie waren ein unfreiwilliges Geschenk und ein Andenken an ihren Traum Allen Shezar. In einer düsteren Tropfsteinhöhle unter seinen ehemaligen Stützpunkt hatten sie stürmisch von einander Abschied genommen. Im Austausch für seine Dolche hatte sie ihr Schwert in seine Obhut gegeben. Eigentlich war es nie ihr Schwert gewesen. Es hatte sich fremd angefühlt und viel zu oft hatte sie es aus der Hand gelegt. Allens Dolche hingegen verschmolzen mit ihrem Körper und waren ein Teil ihrer selbst.

Ohne Vorwarnung stürmte sie seitlich an Ryu und damit an seiner Verteidigung vorbei. Ihr Schüler wehrte den ersten Dolch mit einer Parade vor seiner Schulter ab, ließ seine Meisterin durch ihren eigenen Schwung getragen an ihn vorbei treten und trieb seine Klinge senkrecht auf ihren Rücken zu.

Doch Siri kannte diesen Konter bereits, da er ihn jedes Mal verwendete, wenn ein Feind übereifrig über ihn herfiel. Doch jetzt sollte Ryu lernen, dass ein Trick nie zwei Mal und erst recht nicht hundert Mal beim gleichen Gegner funktionierte. Blind fing sie sein Schwert mit gekreuzten Dolchen über ihren Kopf ab, wirbelte herum und drückte dabei sein Klinge zu Seite. Ein Tritt in seine steinharten, dennoch ungeschützten Bauchmuskeln beförderte ihn quer durch den Raum. Überrascht beobachtete sie, wie er seinen Flug bremste, indem er sein Schwert in den Holzboden trieb. Nur einen Augenblick später waren beide Schultergelenke ausgekugelt und er rollte unkontrolliert aus.

Hilflos lag ihr Schüler auf seinen Rücken mit ausgestreckten Armen dar und stöhnte. Seufzend kam sie auf ihn zu und beugte sich zu ihm hinab. Sein Instinkt war hellwach, wie sie zugeben musste, aber nicht bei Verstand.

„Schwachkopf!“, schalt sie ihn fürsorglich. „Du kennst noch immer nicht deine Grenzen.“ Ohne Rücksicht auf weitere Schmerzen renkte sie beide Arme umgehend wieder ein. Dann kniete sie sich hinter ihm und legte beide Hände auf seine Schulter. Sie entspannte sich, schloss ihre Augen und fuhr mit ihrem inneren Auge in seinen Körper. Deutlich fühlte das Pochen seines Herzens und den alles durchdringenden Blutfluss. Schicht um Schicht stapelten sich Gewebe aufeinander, verwoben sich miteinander und schlossen sich zu Organen zusammen. Ein eigene, sehr lebendige Welt für sich. Information über Zellintegrität, Stoffwechsel und elektrischer Signale fluteten ihren Kopf. Sie hatte das Gefühl, als könnte sie in seinen Körper sehen.

„Wie geht es ihm?“

Die fordernde Stimme, die sie sowohl in ihren Kopf als auch durch ihre Ohren gehört hatte, riss sie aus ihrer Wahrnehmung zurück in die triste Realität. Siri sah zu ihrem Meister auf, erhob sich jedoch nicht. Er hatte sie schließlich ebenfalls nicht begrüßt.

„Beide Schultern waren ausgerenkt. Ich wollte mir gerade die Schäden ansehen.“

„Das wird warten müssen. Ich habe etwas mit dir zu besprechen und nur wenig Zeit.“

„Ja, Meister.“, bestätigte sie und half Ryu aufzustehen. Sie wies ihn an, in seinem Zimmer auf sie zu warten. Als ihr Schüler die Tür hinter sich zu gemacht hatte, fragte Trias:

„Wie lange wird die Heilung dauern?“

„Ich weiß es nicht.“, gab Siri ehrlich zu. „Bei einem Menschen würde die Behandlung Monate in Anspruch nehmen, aber bei unserer Art gab es meines Wissens einen solchen Fall noch nie. Es dürfte jedoch sehr viel schneller gehen.“

„Du hast recht.“, bestätigte Trias. „Bisher ist so etwas bei uns nicht vorgekommen. Ich erwarte einen genauen Bericht.“

„Ja, Meister.“

„Ich habe Neuigkeiten für dich“, eröffnete ihr Trias. „Wenn alles nach Plan läuft, bist du bald frei.“

Siri sah ihren Herren erstaunt an. Es gab eine Abmachung zwischen ihnen, dass sie von dem Augenblick an nicht mehr seine Untergebene wäre, in dem Allen stürbe. Für sie war es eine Zwickmühle. Sie sehnte ihre Freiheit herbei, bangte aber gleichzeitig um Allens Leben. Wenn es nur eine Möglichkeit gäbe, den geistlichen Fesseln zu entfliehen...

„Möchtest du mehr wissen?“

„Warum solltet ihr mir mehr erzählen?“, wich Siri der Antwort aus. „Ihr teilt eure Pläne niemanden mit, es sei denn, es ist absolut notwendig.“

„Bei dir ist genau dies der Fall!“

„Warum? Ich kann unmöglich...“

„Ich weiß, dass du nichts tun kannst, was den Tod deines Geliebten auch nur indirekt fördern könnte.“, unterbrach Trias sie. „Als meine Schülerin gestehe ich dir diese Freiheit zu, denn ob du es glaubst oder nicht, deine Liebe wird ein starker Antrieb der Zerstörung dieser Welt sein.“

„Aber warum...“

„Weil ich möchte, dass du begreifst, dass es keine Möglichkeit gibt, ihn zu retten und sein Tod unausweichlich ist.“

Siris Blick sackte samt Kinn nach unten. Sie konnte es nicht mehr ertragen in die kalten Augen ihres Meisters zu sehen. Jedes Mal, wenn sie ihn ansah, brach eine weitere Hoffnung entzwei.

„Ich höre!“, verkündete sie mit mühsam kontrollierter Stimme.

„Ich habe vor ein paar Stunden Aston mitgeteilt, dass Hitomi Kanzaki in Farnelia gesehen worden ist. Aus Farnelia dürfte innerhalb der nächsten Woche ein Brief eintreffen, der meine Information bestätigt. Dass ich sie ihm jedoch sehr viel früher überbracht habe, dürfte bei ihm Zweifel bezüglich ihres Aufenthaltes der letzten Monate wecken. Ich werde diese schüren und ihn zu dem Schluss kommen lassen, dass König Van von Farnelia einer Flüchtigen bei sich Unterschlupf gewährt hat. Sobald er das glaubt, werde ich ihm folgenden Plan unterbreiten. Er soll eine Eingreiftruppe entsenden, die aus einem Träger mit einem halben Dutzend unserer neuesten Guymelefs und ein paar hundert Soldaten besteht. Diese Truppe wird einen von mir ausgesuchten Unterhändler begleiten. Dieser wird das Fräulein Kanzaki verhaften und auf den Träger bringen lassen. Sobald sie in der Luft ist, wird er den König mit den Vorwurf des Verrats konfrontieren und ihn zur Übergabe der Herrscherinsignien bewegen. Derweil postieren sich die Guymelefs oberhalb der Schlucht und bedrohen so Farnelia. Der König hat andere Wahl als zu kapitulieren. Somit befinden sich seine Liebste und Farnelia in Astons Gewalt.“

„Das wird nie funktionieren!“, äußerte sich Siri zuversichtlich. „Mein König ist kein Feigling. Er wird kämpfen. Sechs Guymelefs sind kein Problem für ihn und Escaflowne.“

„Natürlich sind sie das nicht, aber Aston vertraut mir. Ich werde ihm versichern, dass die Zaibacher nur mit einem Dutzend ihrer Guymelefs Farnelia zerstört haben und das zu einem Zeitpunkt, an dem die Verteidigung der Stadt intakt und in voller Stärke vorhanden war. Farnelias jetzige Streitkräfte sind nicht ansatzweise mit den damaligen zu vergleichen. Deswegen würden auch sechs Guymelefs reichen.“, erklärte Trias überheblich lächelnd. „Aber zu einem Kampf wird es sowieso nicht kommen. Allen Shezar wird nämlich der Kommandant der Guymeleftruppe sein. Nachdem, was er alles Chuzario erlebt hat, wird er es nicht übers Herz bringen, den Schießbefehl an seine Untergebenen weiterzugeben, geschweige denn ihn auszuführen.“, prophezeite er spöttisch. „Hitomi wird von ihrem strahlenden König in Weiß gerettet werden und Farnelia wird weiterhin frei, aber isoliert sein. Allen Shezar wird selbstverständlich für die Schlappe verantwortlich sein. Man wird ihn des Hochverrats anklagen und hinrichten.“

Siri schluckte. Allen war tatsächlich naiv genug um in diese Falle zu laufen.

„Dann wirst du frei sein und ich kann in aller Ruhe Farnelia erobern, ohne dass ihnen jemand zu Hilfe kommt. Aston wir darauf vertrauen, dass die Grenzfeste zu Farnelia halten wird. Ehe er merkt, dass die Invasion nicht aus Farnelia, sondern aus Dörfern in Astoria kommt, von denen niemand seit einer Ewigkeit etwas gehört hat, wird es zu spät sein und Palas wird fallen. Und ich werde von meiner lächerlichen Rolle befreit sein.“

„Und was dann? Gaia wird wohl untergehen, nur weil Farnelia und Astoria ausgelöscht werden. Außerdem wird Vasram nie riskieren, auch ein Opfer zu werden. Eher werden sie alle betroffenen Gebiete in einer Kugel aus Licht verschwinden lassen.“

„Mitsamt aller Überlebenden.“, stimmte Trias zu. „Doch dadurch können sie mich auch nicht aufhalten. Ich habe längst meine Diener über weitere Länder verstreut. Wer weiß, vielleicht bekomme ich Vasram soweit, dass sie jedes Land auslöschen, in dem das Gerücht auftaucht, dass meine Leute gekommen wären. Wenn ja, werde ich den Augenblick noch als Lebender genießen können, wenn Gaia ins nichts entschwindet. Sollte ich jedoch vorher getötet werden, wirst du mein Erbe antreten und mein Ziel verfolgen.“

„Warum sollte ich? Nur weil Allen..?“

„Hast du eine Ahnung, wessen Seele das Schwert enthielt, das du so großzügig an ihn verschenkt hast?“, gab Trias eine Frage als Antwort zurück.

„Nein.“, gab Siri ehrlich zu. Ihren Meister anzulügen hatte sie schon vor Monaten aufgegeben.

„Sie war meine Frau.“

Siri schluckte.

„Was ist passiert?“

„Wenige Jahrzehnte, nachdem wir Gaia bevölkert hatten, erkrankte sie. Die Lebewesen, die von der alten Welt zur unserer neuen transportiert worden waren, brachten auch neue Krankheiten mit. Ich konnte zwar ein Gegenmittel finden, aber für sie kam es zu spät. Ich war bei ihr, als ihr Körper starb. Sie ist die Wächterin der Lebenden. Als solche kennt sie das Wesen aller Geschöpfe, ihre Position und ihre Gedanken.“, klärte Trias seine Schülerin auf. „Indem du Allen dein Schwert überlassen hast, hast du vielen Menschen aus Chuzario das Leben gerettet. Menschen, die jetzt keine Heimat haben und als Aussätzige gebrandmarkt werden. Menschen, die wegen dir noch sehr viel länger und mehr leiden müssen, als ihre toten Nachbarn. Glaubst du, du hast ihnen einen Gefallen getan?“

„Das ist nicht wahr!“, dementierte Siri den Tränen nahe.

„Erforsche deine Gefühle! Du weißt, dass es wahr ist.“, hielt er dagegen. „Diese armen Seelen haben nichts mehr außer ein Leben in Qual.“

„Die ihr ihnen bereitet habt.“, konterte sie.

„Und du hast sie ihr ausgeliefert!“, schlug Trias zurück. „Sie alle könnten schon längst erlöst sein.“ Dann verrauchte sein Wut. „Meine Frau ergeht es noch schlimmer. Als Wächterin muss sie die Aufgabe erfüllen, die ihr bei der Erschaffung von Gaia auferlegt worden ist, solange der Planet existiert, doch sie ist dabei zu einem ewigen Leben der Einsamkeit verdammt. Wenn niemand das Schwert führt und es unnütz verstaubt, kann sie nichts wahrnehmen, während sie wie ein Rad im Getriebe von Gaia weiter funktioniert. Sie braucht einen Träger, auf dessen Sinne sie zugreifen kann, um überhaupt leben zu können und nicht lebendig tot zu sein.“

„Warum hattet ihr mich dafür auserwählt.“

„Weil sie immer noch an Gaia glaubt. Sie möchte den Planeten bewahren. Wenn Allen stirbt, wirst du den gleichen seelischen Schmerz fühlen, wie ich beim Tod meiner Frau. Das hätte sie ebenfalls überzeugen sollen, dass das Leben nicht erstrebenswert ist, sondern das Heil im Nichts liegt. Zusammen wärt ihr unschlagbar gewesen.“

„Aber daraus wird jetzt nichts mehr.“, erwiderte Siri trotzig.

„Nein, stattdessen wirst du, wenn mein Körper jemals zerstört werden sollte, meinen Seelenstein an dich nehmen und ihn immer bei dir tragen.“, klärte Trias sie lächelnd auf. „Ich habe diesen Befehl bereits so tief in deinen Kopf eingebrannt, dass er mich überdauern wird. Du wirst dich dem Zwang, mich immer bei dir zu haben, nicht entziehen können. Gemeinsam werden wir dann auf die Erlösung aller Wächter hin arbeiten. Damit auch sie endlich Frieden haben!“

„Ich hasse euch!“

„So? Dann sollte ich dich wohl freilassen, da du es in meiner Nähe offenbar nicht aushältst.“, entgegnete er gelassen. Er nahm ihre Hand samt den Dolch und ritzte mit der Klinge einen seiner Finger an. „Trink mein Blut, dann bist du frei!“

„Verarschen kann ich mich selbst. Warum solltet ihr...?“

„Bei jedem unserer Art sind Antiviren für den jeweils eigenen Virenstamm im Blut. Sie verhindern, dass wir bei einem Unglück, bei dem das eigene Virus ins Blut gelangt, uns selbst versklaven. Ohne diese Vorsichtsmaßnahme würde ein jeder von uns versuchen sich selbst mental zu binden. Das Ergebnis wäre eine endlose Schleife aus Gedankenketten, so als würde man zwischen zwei gegenüber stehenden Spiegeln stehen und in einen hinein sehen. Mit anderen Worten, Wahnsinn.“ Trias hielt ihr den Finger weiter hin, doch ein Strudel aus widersprüchlichen Gefühlen hielt Siri zurück. Einerseits verachtete sie ihren Meister, wünschte ihm den Tod, ihr selbst die Freiheit, andererseits würde sie alles tun, um seinen Willen auszuführen, und war ihm Treu ergeben. Das Wissen, dass diese Ergebenheit durch Zwang verursacht wurde, machte sie nicht weniger real. Und dann war da noch der wachsende Zweifel, gepaart mit Eifersucht auf Allen und Merle, und dem Gefühl verraten worden zu sein. „Du kannst es nicht.“, stellte ihr Meister vergnüglich fest. „Tief im Herzen weißt du, dass ich Recht habe. Du willst, dass alles endet!“ Trias steckte den Finger wieder ein und wandte sich zu Gehen. „Hör auf dich selbst zu belügen.“

Am liebsten wollte sie im Boden versinken. Vom heutigen Tage an, das wusste sie, gehörte sie ganz und gar Trias, ihrem Meister.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fahnm
2008-12-29T02:03:16+00:00 29.12.2008 03:03
ICh verstehe. Da kommt eine Menge arbeit auf sie alle zu.
Ich bin mal gespannt wie es weiter gehen wird.

mfg
fahnm


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